In der letzten Woche war der Karsten Wildberger auf der re:publica. Wie schätzen Sie sein Ankommen in der Digitalszene ein?
Es gibt viel Wohlwollen, weil die Hoffnung noch da ist, dass es mit der Digitalisierung in Deutschland irgendwann mal was wird. Und er ist ja auch erst seit wenigen Wochen im Amt. Deshalb hat er sicherlich Vorschusslorbeeren bekommen. Bei den Zielen sind wir auch einer Meinung: Deutschland muss digitaler, digital souveräner werden und wir müssen mehr in den Dialog über die Digitalisierung treten. Diese Botschaften hat er hervorgebracht. Man könnte höchstens einwenden, dass einige seiner Vorgänger mit einer ähnlichen Mission angetreten sind. Aber wir lassen uns gerne positiv überraschen.
Wieso haben denn seine Vorgänger das nicht hinbekommen?
Da gab es verschiedenste Gründe. Wo soll man da anfangen?
Nehmen wir mal beispielsweise Volker Wissing, der als erster Minister das Wort „Digital“ mit im Titel stehen hatte.
Ich hatte das Gefühl, dass Wissing ein überschätzter Digitalminister war, weil er zum Thema Digitalisierung viel weniger zu verantworten hatte, als sein Titel es suggeriert hat. In der Ampel gab es ein riesiges digitalpolitisches Kompetenzwirrwarr. Und einen Kanzler, der sich nicht dafür interessierte, so dass Kompetenzen und Hüte für Gesetzesvorhaben auf unterschiedliche Ministerien verteilt wurden. Der Digitalminister, der eigentlich Verkehrsminister war, konnte digitalpolitisch teilweise weniger gestalten als der Wirtschaftsminister oder die Innenministerin. Aus diesen Erfahrungen heraus hat man sich jetzt entschlossen, das Digitalministerium mit einer Person zu verbinden, die dafür auch die politische Verantwortung trägt. Das ist einen Versuch wert. Man hat den Eindruck, dass, solange eine Person nicht für etwas verantwortlich gemacht werden kann, alle nur für verantwortlich sein wollen, wenn es gut läuft – wenn es schlecht läuft, hat plötzlich keiner mehr was damit zu tun. Diese Verantwortungsdiffusion war immer Teil des Problems.
Mit dem neuen Minister steht der zügigen Digitalisierung also nichts mehr im Wege?
Vieles ist noch ungeklärt: Wie hoch ist das Digitalbudget? Welche digitalen Grundsatzentscheidungen werden eher im Forschungsministerium verantwortet? Es ist noch offen, wie viele Kompetenzen in den anderen Ministerien bleiben und wie die Zusammenarbeit und Abgrenzung funktioniert. Beispielsweise bei Fragen vom Datenschutz und IT-Sicherheit. Werden BMI und BMDS gut kooperieren oder wird es wieder Grabenkämpfe geben?
Die Erwartungen an das neue Ministerium sind riesig. Was muss in den nächsten zwölf Monaten passieren, damit sich keine Enttäuschung einstellt?
Es muss sich zeigen, dass ein tatsächlicher Wandel da ist. Wie oft haben wir jetzt in den letzten Jahrzehnten gehört, dass viele E-Government-Anwendungen funktionieren werden. Außerhalb der Steuererklärung funktionieren die für viele noch immer nicht in der Praxis. Wie oft schon hat ein digital zuständiger Minister beim Regierungsstart erklärt, dass er als erstes ein Glasfaser-Beschleunigungsgesetz auf den Weg bringen würde? Als Herr Wildberger mir das auf der Bühne der re:publica sagte, dachte ich: das habe ich jetzt schon dreimal gehört. Aber vielleicht wird es dieses Mal klappen und ich bekomme auch zeitnah endlich Glasfaser. Wir haben immerhin 2025.
Eine riesige Baustelle ist auch das Thema digitale Souveränität.
Das ist eine der größten Herausforderungen sowohl in der Verwaltung als auch in der Gesellschaft und Wirtschaft. Wie können Alternativen zu US-Monopolsystemen gefördert werden, die funktionieren?
Gibt es überhaupt Programme, die gut genug sind, um die gesamte deutsche Verwaltung zu hosten?
Das ist ein Henne-Ei-Problem. Wären wir das früher angegangen, hätten wir jetzt die passenden Alternativen. Das ZENDIS, das Zentrum für digitale Souveränität, entwickelt eine Kollaborationssuite und andere Open-Source-Werkzeuge für die Verwaltung und ist dabei auch schon ziemlich weit. Es wird aber nicht ausreichend gefördert. Da zeigt sich das Grundproblem: wenn man nicht genug Geld drauf wirft, bekommt man keine Software, die funktioniert. Eine, die so intuitiv ist, dass Beamte im Ministerium dahin wechseln wollen. Dazu gehört auch, dass die Verwaltungsmitarbeiter offen sind. Oft hört man: „Bei meinem Microsoft Office ist der Druckbutton oben links und wenn der etwas weiter rechts ist, kann ich damit nicht mehr arbeiten.“ Kein Scherz: die Mitarbeiterinnen dahingehend zu sensibilisieren, dass sie ihre 30 Jahre lang heiß geliebte Microsoft-Software gegen eine andere Software austauschen, die genau so funktioniert, ist eine riesige psychologische Herausforderung bei dieser Transformation.
Was ist denn die Alternative?
Es gibt keine. Außer wir bleiben bei Microsoft, überweisen jedes Jahr Unmengen an Lizenzgebühren, um abhängig davon zu sein, dass Donald Trump jederzeit sagen kann: „Wir schalten jetzt mal in Deutschland den Microsoft-Zugang ab.“ Dass er dazu die Befugnisse hat, war vielen Menschen bis vor kurzem nicht bewusst. Das ist der eigentliche Skandal: dass man das viel früher hätte wissen müssen.
Warum hängen viele an den altbekannten Programmen?
Viele Personen, die in den letzten Jahrzehnten für Digitalisierung irgendwo im politischen Apparat zuständig waren, hatten wenig Ahnung von dem Thema. Sonst wären sie mit deutlich mehr Gehalt in der Wirtschaft gelandet. Die Personen, die in Entscheidungspositionen gelandet sind, hatten dann sehr häufig Angst, für eine Entscheidung verantwortlich zu sein. Das war der psychologische Effekt, warum Microsoft immer so erfolgreich war: wenn man die Microsoft-Produkte von der Stange gekauft hat, konnte man keinen Fehler machen, weil es alle haben. Hätte man auf eine Alternative gesetzt und wäre es schief gegangen, dann wären sie ja selbst dafür verantwortlich gewesen. Diesen psychologischen Effekt hat sich Microsoft sehr zu Nutze gemacht, um sein Monopol immer weiter auszubauen.
Das klingt fast nach einem Teufelskreis…
Es ist nicht alles schlecht. Schleswig-Holstein hat seit Jahren eine sehr engagierte Open Source-Strategie. Da legt man es drauf an, große Teile der Verwaltung umzustellen. Thüringen geht ähnliche Wege.
Finden Sie es sinnvoll, dass die Staatsmodernisierung als zweites Thema im Digitalministerium angesiedelt ist?
Vielleicht kann das BMDS als Testlabor dafür dienen, eine andere Art der ministerialen Zusammenarbeit zu etablieren. Das Thema Digitales zieht auch in der Verwaltung Menschen an, die gerne mal anders arbeiten wollen. Wenn sie dort Gleichgesinnte treffen, könnte das fruchtbar sein. Aber das Ganze steht und fällt damit, ob man es hinbekommt, zum Beispiel über eine Grundgesetzänderung mehr Zuständigkeiten zum Bund zu bringen. Damit mal ein paar zentralisierte Aufgaben vom Bund erledigt werden können und nicht jedes Bundesland und jede Kommune eigene Insellösungen betreibt.
Der Normkontrollrat hat kürzlich ein Gutachten vorgestellt, laut dem man auch ohne eine Grundgesetzänderung mehr Aufgaben bündeln könnte.
Ich bin kein Verfassungsrechtler, aber ich glaube, mit einer Grundgesetzänderung würde man das sauberer hinbekommen. Was ich auffällig finde: Allein an der Vielzahl der Gremien vom IT-Planungsrat bis Normenkontrollrat, die mit dem Thema beschäftigt sind, sieht man die Komplexität der Aufgabe und warum in Deutschland bisher so wenig gelaufen ist.
Sie haben das „Zentrum für Digitalrechte und Demokratie“ gegründet. Was wollen Sie damit erreichen?
Das Ziel ist, digitale Grundrechte aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive strategisch besser zu kommunizieren. Viele gesellschaftliche Fragestellungen werden innerhalb der sehr engagierten digitalen Zivilgesellschaft zwar schon thematisiert, aber es gelingt uns zu wenig, über die eigenen Bubbles hinaus zu kommunizieren – obwohl es weitaus mehr Menschen betrifft. Wir wollen dazu beitragen, dass wir über andere Narrative sprechen als jene, die uns von Big Tech vorgegeben werden. Laut deren Erzählung haben sie dankenswerterweise die Welt digitalisiert. Dabei haben sie uns abhängig gemacht. Trotzdem erzählen sie, dass sie die Welt besser machen, während wir dabei zusehen mussten, wie die Welt sich auch durch Big Tech- Produkte und ihre Mechanismen zum Schlechteren wandelt.
Das ist nicht ganz neu: Die Gewinner dürfen die Geschichte erzählen.
Im Digitalen ist es aber besonders stark. Wir haben uns fast vollständig abhängig gemacht von wenigen Unternehmen, wo teilweise einzelne Personen entscheiden können, wie wir miteinander kommunizieren und uns informieren. Auf der einen Seite gibt es X mit Elon Musk, der sich als rechtsradikaler Verschwörungsideologe entpuppt hat. Bei ihm müssen wir davon ausgehen, dass er im Hintergrund Inhalte manipuliert und rechtsradikale Inhalte bevorzugt durchlässt. Bei Instagram, Facebook und Co haben wir Mark Zuckerberg, der als Einzelperson über Nacht entscheiden kann, wie über drei Milliarden Menschen weltweit kommunizieren. Wir haben uns daran gewöhnt, dass große Unternehmen uns unsere digitalen Kommunikationsräume zur Verfügung stellen. Wir müssen dringend lernen, wieder in Alternativen zu denken.
Es braucht also ein europäisches, staatliches Twitter?
Eine zentralisierte Plattform kann ich mir auch nicht vorstellen, aber wir haben diese ganzen zarten Pflänzchen wie Mastodon und das Fediverse-Universum, die man ausbauen könnte. Der Staat hat auch die Aufgabe, Alternativen zu fördern, damit wir staatsferne Infrastrukturen bekommen, die demokratisch und gemeinwohlorientiert funktionieren und betrieben werden können.
Glauben Sie, dass die Politik es beim Thema Künstliche Intelligenz geschafft hat, früh genug mit auf den Zug aufzuspringen?
Wir laufen Gefahr, dieselben Fehler zu wiederholen, wie schon bei den Plattformen in den 2010er-Jahren. Nämlich, dass wir wenige Unternehmen viel mächtiger und größer machen, als es für Demokratie und Wettbewerb gesund ist. Ich würde mir wünschen, wenn man hier viel größere industriepolitische Anstrengungen schaffen würde, eigene Infrastrukturen aufzubauen, von einer eigenen Chip-Industrie in Europa bis hin zu eigenen Rechenzentren und eigenen KI-Lösungen – hier in Europa und auch gemeinwohlorientierter, gerne soviel Open Source wie möglich. Und dabei immer auch den ökologischen Fußabdruck mit bedenken.
Und wie kann das funktionieren?
Ich kann mir vorstellen, dass es besser ist, wenn wir in Europa in Ökosystemen denken, wo viele Industrieplayer mit Universitäten zusammenarbeiten, wir aber auch gemeinwohlorientierte Infrastrukturen schaffen, um allen den Zugang zu solchen Werkzeugen gewährleisten zu können. Am Ende wollen wir nicht wieder abhängig von einzelnen Unternehmen sein, sondern das Thema KI als staatliche Aufgabe sehen, so wie Strom als Basisfunktionalität auch für alle bereitgestellt wird.