Interview
Erscheinungsdatum: 14. Mai 2024

Kieler OB Ulf Kämpfer: „Wichtig ist, dass alle, denen diese Demokratie am Herzen liegt, an Deck bleiben“

Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) erwägt einen Wechsel in die Landespolitik, wo er den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther herausfordern würde. Über die Herausforderungen bei der Wärmewende in den Kommunen spricht er in seiner Rolle als VKU-Präsident.

Herr Kämpfer, Sie sind vor zehn Jahren zum Oberbürgermeister von Kiel gewählt worden, vor fünf Jahren wurden Sie mit Zweidrittel-Mehrheit im Amt bestätigt. Das ist ja ein Ergebnis, von dem die SPD anderswo nur träumen kann. Was ist Ihr Geheimnis?

Ich glaube, es ist kein persönliches Geheimnis. Bürgermeisterwahlen sind immer auch Persönlichkeitswahlen, da gibt es auch in anderen Städten Kandidatinnen und Kandidaten der SPD, die überzeugend gewinnen. Ich hatte dabei das Glück, einmal von drei und einmal von vier Parteien unterstützt zu werden. Und die SPD ist ja von vielen Menschen die Zweit-Lieblingspartei; also sind wir für viele wählbar, obwohl sie uns nicht immer wählen.

Wenn es Persönlichkeitswahlen sind: Welche Persönlichkeit bringen Sie denn mit?

Ich glaube, es ist eine ganz gute Mischung. Ich habe Verwaltungs- und Führungserfahrung mit in das Amt gebracht – und ein Politikverständnis, das eher in Richtung Kompromiss zielt. In einer Stadt wie Kiel mit einer strukturellen rot-grünen oder grün-roten Mehrheit hat es sicher auch geholfen, dass ich als Sozi beim grünen Landesminister Robert Habeck Staatssekretär war und mit einer grünen Landesvorsitzenden verheiratet bin. Und wenn man dann noch Menschen mag, hilft das auch – das merken die Leute.

Wie sehr reizt es Sie, diesen Erfolg im Jahr 2027 auf Landesebene zu wiederholen und als SPD-Spitzenkandidat gegen Daniel Günther anzutreten?

Die Frage stelle ich mir auch gerade. Aber vorher muss ich eine andere Frage beantworten, nämlich ob ich ein drittes Mal als Kieler Oberbürgermeister antrete.

Wovon hängt das ab?

Das Amt macht mir noch genau so viel Spaß wie am ersten Tag. Aber wenn ich mich noch mal zur Wahl stelle, muss ich mich fragen: Bin ich auch nach 16 oder 17 Jahren als Bürgermeister noch frisch genug? Erst wenn ich das entschieden habe, stellt sich die Frage, ob ich mich auf anderer Ebene engagiere.

Aber vorstellen können Sie es sich schon?

Falls ich nicht wieder antrete, könnte die Landespolitik eine Alternative sein. Ich glaube, dass unsere Demokratie gerade in einer sehr starken Bewährungsprobe ist. Und das wird, fürchte ich, auch in ein oder zwei Jahren nicht vorbei sein. Insofern spüre ich in mir den starken Drang, mich weiter für eine offene, solidarische, plurale Demokratie einzusetzen. Wo ich das mache, ist vielleicht gar nicht so entscheidend – wichtig ist, dass alle, denen diese Demokratie am Herzen liegt, an Deck kommen oder an Deck bleiben. Und das wird bei mir der Fall sein.

Zurück zu Ihrem aktuellen Amt: Eine der größten Aufgaben für die Kommunen ist derzeit die Klima-Wende in der Wärmeversorgung. Wie kommt Kiel dabei voran?

Wir wollen die Fernwärme in Kiel schon bis 2035 die Fernwärme zu 100 Prozent klimaneutral haben. Wir setzen dabei auf Großwärmepumpen, eine dekarbonisierte Müllverbrennung, Tiefengeothermie und Wasserstoff. Ein Mix, der zeigt: Wer ambitioniert ist bei der Wärmewende, findet auch Modelle, wie das gehen kann.

Gleichzeitig sind Sie Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) und stellvertretender Präsident des Deutschen Städtetags. Diese Verbände sind bei der Wärmewende viel weniger ambitioniert. Wie passt das zusammen?

Das liegt daran, dass die Voraussetzungen unserer Mitgliedsunternehmen sehr, sehr unterschiedlich sind. Zum einen sind wir mit der Wärmeplanung schon weiter als andere, weil Schleswig-Holstein sie per Landesgesetz frühzeitig eingeführt hat und die großen Städte in Schleswig-Holstein schon bis zum Jahresende damit fertig sein müssen. Ich habe in Kiel die Ostsee, wo ich relativ einfach Großwärmepumpen in Betrieb nehmen kann. Andere haben es da schwerer, entsprechend sind die Ausgangslagen unterschiedlich. Darauf müssen wir als Verband Rücksicht nehmen, zumal das Klimaneutralitätsziel 2045 schon ambitioniert ist. Aber ich würde schon sagen, dass Klimaschutz überall angekommen ist.

Aber wenn das Thema angekommen ist: Warum haben Ihre Verbände dann beim Wärmeplanungsgesetz dafür gekämpft, die Fristen für die Dekarbonisierung der Fernwärme weit in die Zukunft zu verschieben?

Dafür gibt es aus meiner Sicht einen guten Grund. Wir wollen ja nicht nur die bestehende Fernwärme dekarbonisieren, sondern wir wollen sie massiv ausbauen, idealerweise verdreifachen. Und das ist mit vielen Unsicherheiten behaftet, auch durch fehlende politische Rahmenbedingungen: Habe ich als Kommune die Kapazität und das Kapital? Wollen die Bürgerinnen und Bürger das? Kann ich einen attraktiven Preis bieten? Wenn man da die erneuerbaren Anteile in der Fernwärme gesetzlich zu schnell steigert, würde das dazu führen, dass viele Stadtwerke lieber vorsichtig sind und weniger Fernwärme ausbauen. Darum haben wir uns dafür eingesetzt, dass man nicht zu viel will, weil man damit am Ende weniger erreichen würde. Vielleicht muss man manchmal ein bisschen verlangsamen, um Klimaschutz für alle in einem guten Tempo zu schaffen.

Zu einem anderen Thema: Die thüringische Landesregierung erwägt, den Bürgermeistern und Landräten die Zuständigkeit für die Ausweisung von Windrad-Gebieten zu entziehen – offenbar aus Sorge davor, dass nach der Wahl dort viele Bürgermeister von der AfD stammen könnten, die Windkraft ablehnt. Was halten Sie davon?

Ich verstehe die Sorgen, was es bedeutet, wenn eine Partei an Einfluss gewinnt, die den menschengemachten Klimawandel nicht als Problem anerkennt. Aber ob das Instrument das Richtige ist, da habe ich meine Zweifel.

Warum?

Ich finde, die Zuordnung von Entscheidungsebenen sollte grundsätzlich einer Sachlogik folgen und nicht politischen Vorsorge-Strategien. Denn das kann sich auch ganz schnell gegen einen selbst richten, wenn sich die Mehrheiten auf Landesebene ändern.

Ein weiteres Thema, bei dem die Stadtverwaltungen klimapolitisch relevante Entscheidungen treffen, ist der Verkehr. Allerdings passiert da in Deutschland sehr viel weniger als in vielen anderen Ländern. Warum haben deutsche Kommunen so viel Angst davor, Autofahrern etwas Platz wegzunehmen?

In jeder verkehrspolitisch ambitionierten Stadt gibt es massive Verteilungskonflikte im öffentlichen Raum. . Es gibt sehr emotionale Auseinandersetzungen, wenn Fahrstreifen oder Parkplätze wegfallen. Auch bei diesem Thema gilt: Wenn ich meine Überzeugung zu schnell und zu rücksichtslos in praktische Politik umsetze, dann steigt die Gefahr, dass das Pendel mit voller Macht zurückschlägt und sich in anderen Mehrheiten niederschlägt. Mein Ansatz ist nicht, das Auto zu verteufeln, sondern die Alternativen attraktiver zu machen, indem wir den ÖPNV ausbauen – etwa mit der neuen Stadtbahn, die wir in Kiel planen. Die Mehrheiten dafür will ich nicht aufs Spiel setzen, sondern Brücken bauen und den Laden hier zusammenhalten.

Kiel war im vergangenen Herbst erstmals von einer offenbar klimabedingten Sturmflut betroffen, die massive Schäden im Olympiahafen angerichtet hat. Hat das die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger in Sachen Klimaschutz verändert?

Eher nicht. Zum einen gab es kaum private Schäden, die Yachten im Hafen waren versichert. Zum anderen ist die Zuordnung einzelner Wetterphänomene zum Klima ja nicht ganz einfach. An anderen Stellen merken die Kommunen den Klimawandel aber schon deutlich: Über 80 Landkreise mussten in den letzten Jahren temporäre Nutzungsbeschränkungen oder Entnahmeverbote für die Wassernutzung ausrufen, auch in Schleswig-Holstein waren sind viele Brunnen, gerade von Selbstversorgern zeitweilig trocken.

Warum fällt es trotzdem so schwer gegenzusteuern?

Immer wenn es konkret wird und um einzelne Maßnahmen geht, wird sehr emotional diskutiert. Aber dass es den Klimawandel gibt und dass wir deswegen Dinge auch grundlegend ändern müssen, das würden hier in Kiel fast alle unterschreiben – von der IHK bis zu den Kirchengemeinden, von Fridays for Future bis zu den bürgerlichen Parteien. Daraus müssen wir etwas machen. Aber nicht so, dass das Pendel zurückschlägt wie bei Obama: Der hat nur wenig umgesetzt von dem, was er wollte. Aber es hat trotzdem gereicht, um Trump nach vorne zu bringen. Das sollte uns ein warnendes Beispiel sein und ein Ansporn, es klüger zu machen: Mit langem Atem, aber auch mit einer klugen Moderation, damit sich die Gesellschaft nicht spaltet.

Ulf Kämpfer, 51, ist seit zehn Jahren Oberbürgermeister von Kiel. Daneben ist er Präsident des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) und stellvertretender Präsident des Deutschen Städtetags. Welche Vorschläge Kämpfer zur Finanzierung der Wärmewende hat und warum er das aktuelle „Fernwärme-Bashing“ mit Sorge sieht, lesen Sie im Climate.Table. Zudem war er kürzlich zu Gast im Podcast Table.Today.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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