Herr Bett, der Haushaltsentwurf für 2025 im Bereich Energieforschung bleibt gegenüber 2024 stabil – aber der Klima -und Transformationsfonds, von dem das ISE immer profitiert hat, entfällt weitgehend. Was heißt das für Sie am Standort Freiburg?
Wir spüren tatsächlich die Nachwirkungen der 30prozentigen Forschungsmittelkürzung für den Haushalt 2024, der auch durch die reduzierte Mittelverfügbarkeit im KTF zustande kam. Besonders betroffen sind die Mittel im Batterieforschungs- und Wasserstoffbereich. Insofern hat die KTF-Kürzung direkte Auswirkungen auf unsere Forschungsarbeiten in Freiburg. Tatsächlich haben die 30 Prozent an Kürzungen im Haushalt 2024 bei uns wegen erfolgreicher Projektakquise nicht voll durchgeschlagen. Aber die Kürzungen sind da, und das wird in den kommenden Jahren noch richtig spürbar werden.
Was heißt das in Euro?
Wenn wir Forschungsprojekte beantragen, gehen 70 bis 75 Prozent des Budgets in Personalkosten. Wir hatten zuletzt an öffentlichen Mitteln etwa 60 Millionen Euro pro Jahr, vom BMWE kamen davon knapp 50 Millionen. Zieht man 30 Prozent davon ab, würden uns also 15 Millionen Euro fehlen und wir können unser Personal nicht mehr finanzieren.
Sie sind in Freiburg vorne dabei in der Batterie- und Wasserstoffforschung – Technologien, die wir für die Energiewende dringend brauchen. Können wir uns die Kürzungen leisten?
Wir sollten sie und wir können sie uns aus meiner Sicht nicht leisten. Immerhin sagt auch die neue Bundesregierung, dass Forschung die Basis für künftige Innovationen ist, Innovationen, die in die Industrie hineinwirken. Diese Nahtstelle auszufüllen, dafür stehen wir als Fraunhofer-Gesellschaft. Die unerwartete Kürzung von 30 Prozent war wie ein Schock: Es gab bisher immer eine Planung mit einer gewissen Verlässlichkeit, etwa für das Personal, und plötzlich war es nicht mehr umsetzbar.
In China fließen Milliarden an Mitteln in die Solarforschung. Können wir in Deutschland noch mithalten?
Ja, wir müssen uns fokussieren, aber wir sollten uns nicht von der Solarforschung verabschieden. Es ist nun mal Fakt, dass die Solarindustrie in China produziert oder von chinesischen Firmen im asiatischen Raum dominiert wird. Das klassische Beispiel sind die Wafer, die zu 99 Prozent aus China kommen. Wir haben ja gesehen, was solche Abhängigkeiten bedeuten. Aber im PV-Bereich können wir in Bezug auf Forschung noch mithalten. Wenn man da jetzt kürzt, wird das immer schwieriger. Schwieriger wird es sicherlich auch, wenn wir keine Produktion mehr in Deutschland haben. Daher muss sich schon entscheiden, ob wir eine hundertprozentige Abhängigkeit haben wollen oder ob wir uns doch eine eigene Forschung und Entwicklung samt Produktion leisten wollen.
„Ja, es wird eine gewisse Zufinanzierung brauchen”
Heißt das, die Regierung hätte helfen sollen, als sich mit Meyer-Burger der letzte deutsche Zell- und Modulhersteller verabschiedet hat?
Ich würde dies ungern an einer Firma festmachen. Wenn es dann mit dieser Firma trotz Subventionen schief geht, steht auch die Politik im Regen. Wir brauchen eher Rahmenbedingungen, auch einen gewissen Wettbewerb, um hier mit guter Technologie produzieren zu können. Welche Firma das am Ende ist, ist eigentlich egal. Meyer Burger hätte es mit ihrer Technologie und unter fairen Rahmenbedingungen durchaus schaffen können.
Was sind faire Rahmenbedingungen? Zölle?
In der PV hatten wir schon mal Zölle, die dann umgangen wurden. Es gäbe meines Erachtens auch ohne Zölle durchaus Chancen für eine europäische oder deutsche Produktion. Der Net-Zero-Industry-Act der EU kann den Weg vorgeben. Er besagt, dass bei einer großen Importabhängigkeit von einem Land 40 Prozent dessen, was wir in Europa brauchen, auch in Europa produziert werden muss. Fakt ist bei der Photovoltaik, dass neben den Wafern über 90 Prozent der Zellen und fast 85 Prozent der Module aus China kommen.
Damit haben wir aber hier noch keine Produktion.
Wenn man keine Zölle will, könnte man es über Steuergutschriften steuern, wie es die USA machen oder über Ausschreibungen, bei denen ein Nachweis für lokale Produkte zu erbringen wäre. Man kann zusätzlich auch den CO2-Ausstoß bei der Produktion einpreisen. Am Ende müssen die Unternehmen, die hier produzieren, einen Markt haben. Und ja, für die 40 Prozent, die hier produziert werden, wird es eine gewisse Zufinanzierung brauchen, um mit rein chinesischen Produkten mithalten zu können.
Und das ist dann noch fairer Wettbewerb?
Die Frage ist doch, was ist fair? Wir sollten chinesische Produkte nicht komplett raushalten. Das würde die Energiewende torpedieren. Wir können den Chinesen dankbar sein, dass sie in die PV so reininvestiert haben. Aktuell verdienen sie mit ihren Modulen kein Geld. Aber sie wollen das durchstehen, um am Ende Weltmarktführer in einer Zukunftstechnologie mit viel Potenzial zu sein. Und sie haben schon jetzt die Macht, den Preis bei uns anzuheben. Das wird bei uns viel zu wenig diskutiert. Natürlich wollen auch wir die kostengünstigste Energie. Insofern ist das eine schwierige Diskussion, die wir aber führen müssen. Wir brauchen nun mal eine gewisse Resilienz und möglichst auch technische Unabhängigkeit – das kostet Geld.
„Der größte Fehler wäre zu glauben, alles selbst zu können”
Wie kann sich Deutschland gegenüber China behaupten?
Auf der Forschungsseite habe ich die geringsten Zweifel. Wir haben gute, motivierte Leute. Wir haben immer noch ein hervorragendes Bildungssystem und sind in der Forschung durchaus auf Augenhöhe und an einzelnen Stellen noch führend.
Wir waren mal führend in einer Reihe von Bereichen, sind es aber nicht mehr.
Wir können immer noch gut mithalten in vielen Bereichen. Es stimmt, der Abstand ist kleiner geworden. China hat über die schiere Anzahl an Personen viele kluge Leute, auch weil sie über die Jahre ihr Bildungssystem verbessert haben. Allein die Zahl der studierten Ingenieure ist um ein Vielfaches höher als bei uns. Wir haben bei uns immer noch einen sehr hohen Standard und müssen uns daher nicht verstecken. Die Frage ist, wie kriegen wir es aus der Forschung in die Industrie?
Reichen die Strukturen aus, die wir haben?
Ich finde gut, was wir haben. Wir haben ein europäisches Forschungsprogramm, in dem wir uns eng austauschen. Überhaupt sollten wir uns auf der Forschungsebene international offen zeigen. Forschung ist zunächst einmal präkompetitiv. Wir sollten schauen, was passiert in den USA, in China, in Japan – das ist in der Forschungslandschaft gängig. Natürlich, wenn es dann in Richtung Anwendung und Produktion geht, wird die Kooperation weniger. Dann kommen die Interessen der Industrie zum Tragen. Aber die Vernetzung bringt Impulse und Innovationen. Der größte Fehler wäre, sich in einen Turm zurückzuziehen und zu glauben, alles selbst zu können.
Wo hakt es noch beim Übergang von der angewandten Forschung zur industriellen Fertigung?
Wir sind in Deutschland auf der Forschungsseite häufig führend, aber dann gibt es eine Lücke zum Produkt. Hier braucht es den Mut auch risikoreich zu investieren.
„Wir haben einfach zu viele Prozesse, die zu schwerfällig sind”
Haben wir aus dem Fiasko mit dem mp3-player, der in Deutschland entwickelt wurde und dann in den USA und Japan in Serie ging, nicht gelernt?
Ja, das ist ein Thema und macht den globalen Rahmen sichtbar. Die Frage ist: Wie stellen wir uns auf in dieser Zwischenphase zwischen Forschung, ersten Demonstrationen und der Serienfertigung? Wer finanziert das? In den USA gibt es die Tradition des venture capitalism. Die sagen, ihr kriegt mal zehn Millionen nur auf der Grundlage von Power-Point-Präsentationen. Das ist bei uns nicht so gängig, in ganz Europa nicht. Hier will man erst etwas als Produkt sehen, bevor mit großen Summen investiert wird. Es geht somit in kleinen Stufen voran und damit wird alles bedächtiger. Das hat auch Vorteile, aber es ist eine andere Denke. In den USA können Dinge sehr schnell in den Markt kommen, bei uns geht es meist langsamer.
Hat das nicht auch Vorteile?
Disruptive Entwicklungen finden eher in den USA statt, während bei uns eher kontinuierlich an Hochtechnologie gearbeitet wird. Wir sind damit ja durchaus auch erfolgreich. Jetzt kommt mit China ein neuer Player ins Spiel, der selbst Hochtechnologien beherrschen will. Und sie schaffen die Rahmenbedingungen dafür – vor allem bei der Finanzierung. Und ohne zu klagen, wenn was schief geht. Weil dort die Entwicklungsgeschwindigkeiten so hoch sind, zieht Europa dabei möglicherweise den Kürzeren. Ich bin allerdings noch nicht abschließend mit meinem Urteil – wir sollten schon auch wertschätzen, was in Europa immer noch geleistet wird.
Unsere Strukturen sind zu schwerfällig geworden?
Das ist ein bisschen mein Gefühl. Ich bin jetzt 35 Jahre in der Forschung tätig. Wir haben einfach zu viele Prozesse, die zu schwerfällig sind. Weil wir öffentlich ausschreiben müssen, weil jedes Risiko minimiert werden und immer noch irgendwelche Details überprüft werden müssen. Das kostet immer Zeit und Geld, und das nimmt Dynamik raus. China hat den Riesenvorteil, dass es in dieser Hinsicht weniger Hürden gibt.
Stimmen die deutschen Forschungsstrukturen noch?
Von den Strukturen her sind wir im internationalen Vergleich super aufgestellt. Natürlich kann man da und dort nachjustieren und sich die Rollenverteilung großer Einrichtungen wie Fraunhofer, Helmholtz oder Max-Planck noch mal anschauen. Fraunhofer ist im deutschen Wissenschaftssystem für die angewandte Forschung, also den Transfer von Technologien in die Wirtschaft zuständig und hat dadurch eine besondere Industrienähe. Dabei fokussiert sich Fraunhofer gemäß seines Geschäftsmodells – zwei Drittel des Budgets muss im Wettbewerb erwirtschaftet werden – auf die Auftragsforschung, das Lizenzgeschäft und Start-ups. So gilt es für jede Wissenschaftsorganisation, sich gemäß seiner Widmung auf das jeweilige Kerngeschäft zu konzentrieren. Als ganz besonders relevant ist hier die Grandlagenforschung zu nennen.
„Es ist absolut notwendig, den Klimawandel auf der politischen Agenda zu halten”
Sie haben hier im Haus den Klimawandel fest im Auge – und wissen zugleich, dass wir alle Ziele verfehlen werden. Was ist Ihr Appell an die politischen Entscheidungsträger?
Man sollte in der jetzt auch schwierigen globalen Situation – mit Krieg, Zöllen, der Situation im Nahen Osten – nicht vergessen, dass der Klimawandel das drängendste globale Problem ist. Es ist absolut notwendig, es weiter auf der politischen Agenda zu halten und nicht im Nirwana verschwinden zu lassen.
Sorgen Sie mögliche Dunkelflauten in den Wintermonaten ohne Sonne und Wind?
Angst habe ich nicht, aber natürlich ist es ein Thema. Über Dunkelflauten wird schon lange geredet, weil wir angeblich zu wenig Energie aus PV und Wind im System hätten – und es hat sich nie bewahrheitet. Mit kostengünstigeren Batterien können wir zumindest einen Teil abpuffern, vielleicht nicht restlos lösen; aber wir haben ein europäisches Verbundnetz, und deshalb sehe ich das Problem nicht wirklich, wenn es gut koordiniert wird. Wenn jetzt europaweit kein Wind weht, und es gibt ja Szenarien für solche Fälle, gibt es immer noch die Reservekraftwerke, die mit Gas laufen….
….die es aber noch nicht in ausreichender Zahl gibt.
Aktuell gibt es noch ausreichend, aber eben auch mit Kohle betriebene. Richtig ist, je mehr wir in die Erneuerbaren gehen, desto mehr müssen wir solche Reservekraftwerke bereithalten, die idealerweise mit Wasserstoff betreibbar sind. Wir müssen das thematisieren, aber es ist lösbar. Es stellt sich damit die Frage, wann wir ausreichend Wasserstoff zur Verfügung haben werden. Deshalb ist es strategisch richtig, dass die modernen Gaskraftwerke auch Wasserstoff-ready sind.
Aber ein Paradoxon bleibt: Wir bauen diese Reservekraftwerke, um sie möglichst wenig einzusetzen. Warum investieren wir nicht viel energischer in große Speicher?
Das ist kein Paradoxon. Wir hatten auch in der Vergangenheit Reservekraftwerke, zumeist auf Kohlebasis. Das gehört zu einem stabilen Energiesystem dazu. Das wird jetzt nur so pointiert dargestellt. Der Mechanismus der Bezahlung ist natürlich eine Frage. Aber das ist im Grunde nichts Neues. Das Ziel muss sein, dass wir auch die Reservekraftwerke nicht mit Gas betreiben.
„Geld für Kompensationen in Höhen, die wir noch gar nicht beziffern können”
Und trotzdem: Warum nicht viel mehr Investitionen in Großspeicher, die ja viel flexibler einsetzbar sind, als jedes Gas- oder Wasserstoffkraftwerk?
Batterien sind nur effizient zu betreiben, wenn ich sie häufig be- und entlade. Und wenn ich viel für eine längere Dunkelflaute investiere, um die Speicher dann einmal im Jahr zu entladen, bleibt es wirtschaftlicher, das über Gas- oder Wasserstoffkraftwerke sicherzustellen. In diesem Kontext kann man Reservekraftwerke wie ein kostengünstigerer Langzeitspeicher betrachten. Das Speichermedium ist Wasserstoff. Man muss immer schauen, an welcher Stelle des Transformationspfades man sich befindet. Jetzt haben wir die Phase, bei welcher Batterie-Großspeicher dazukommen, um die Tag- und Nachtunterschiede der Photovoltaik auszugleichen. Das ist der notwendige nächste Schritt – und der kommt auch.
Warum fließen wissenschaftliche Erkenntnisse oft so schwerfällig und verzögert in politische Prozesse ein?
Ist das wirklich der Fall?
Sie sagen doch selbst, das Klimathema sei die dringlichste Herausforderung.
Stimmt.
Ertappt!
Nein, nicht ertappt. Ich sehe das aus meiner wissenschaftlichen Perspektive und da habe ich den Eindruck, dass unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse wahrgenommen werden. Es gibt auch die Perspektive der militärischen Sicherheit oder des sozialen Ausgleichs.
Darauf reagieren die politischen Akteure aber sehr viel schneller als beim Klima-Thema. Quasi über Nacht sollen fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung fließen.
Das würde ich so nicht unterschreiben. Das ist eine Bewertung der politischen Dringlichkeit, da geht es weniger um die Forschung als um die direkte Umsetzung. Und mir ist wichtig, dass wir die Klimakrise im politischen Umfeld nicht vergessen. Die Dringlichkeit ist hoch. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir viel Geld für die Kompensation ausgeben müssen – in Höhen, die wir noch gar nicht beziffern können. Das wäre natürlich besser vorbeugend eingesetzt. Womit ich sagen will: Die Wissenschaft hat zum Klima eine sehr eindeutige Meinung.
„Es ist ziemlich enttäuschend, dass wir uns auf diesem Niveau auseinandersetzen”
Verzweifeln Sie nicht manchmal als Wissenschaftler, der versucht, die Zusammenhänge herzustellen – und zugleich sind die politischen Prozesse unglaublich schwerfällig.
Ein klares Ja – da verzweifle ich schon. Aber das heißt nicht, dass ich aufgebe. Es ist Aufgabe von uns Wissenschaftlern, darauf hinzuweisen. Ich respektiere, dass die Politik auch Zwänge hat, die man unterschiedlich bewerten kann. Aber ich bin kein Politiker oder verfechte ein Weltbild. Ich versuche lediglich, mit Fakten auf die Herausforderungen bei der Energiewende hinzuweisen und Lösungen anzubieten.
Es gibt den Vorwurf, die fossilen Energieträger hätten im politisch-medialen Raum die deutlich bessere Lobby als die Erneuerbaren. Teilen Sie das?
Es kommt darauf an, wohin Sie schauen. In Deutschland zum Beispiel haben wir eine vergleichsweise positive Stimmung für die Erneuerbaren und Energiewende – zumindest in einem Teil der Medien. Es gibt auch den anderen Teil, der auf Bestehendem beharrt. Da stellt sich dann für den Bürger schon die Frage, was ist eigentlich wissenschaftlich gesichert?
Wir hatten vor drei Jahren die Kampagne gegen die Wärmepumpe. Mit dem Ergebnis, dass auch im vergangenen Jahr noch 50 Prozent aller neuen Heizungen Gasheizungen waren.
Eine Katastrophe! Faktenbasiert war das nicht. Ja, da haben die Medien sicher eine Rolle gespielt.
Was ist da schiefgelaufen?
Einiges! Dieses Beispiel ist markant. Die Rede war von einem Heizungsgesetz, das es in dieser Form nie gab, aber in den Medien so genannt wurde und selbst jetzt noch im Koalitionsvertrag vorkommt. Da kann man verzweifeln, wenn sich ein solcher Begriff, von den Medien und politischen Akteuren geprägt, beharrlich hält. Aber natürlich hatten wir einen Wahlkampf. Als rational denkender Mensch kann ich nachvollziehen, wie es dazu kam – aber letztlich ist schon ziemlich enttäuschend, dass wir uns auf diesem Niveau auseinandersetzen.
Andreas Bett, Physiker und Solarforscher, 63, ist Co-Leiter des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) und Professor für „Solare Energie – Materialien und Technologien“ an der Uni Freiburg