Interview
Erscheinungsdatum: 10. Oktober 2024

BA-Verwaltungsratsvorsitzende: „Wir sind nicht der verlängerte Arm des BMAS“

Christina Ramb steht seit Juli zum bereits dritten Mal dem Selbstverwaltungsgremium der Bundesagentur für Arbeit vor. Sie kritisiert, dass der Bund immer mehr Kosten auf die BA verlagere.

Zum Start als Vorsitzende des Verwaltungsrats haben Sie gesagt, es müsse Schluss damit sein, dass der Bundesagentur für Arbeit (BA) ständig neue Aufgaben aufgebürdet werden. Ist inzwischen Schluss?

Nein. Zum 1. Januar geht die Verantwortung für Weiterbildung und Reha von Bürgergeld-Empfängern von den Jobcentern auf die Arbeitsagenturen über. Das kostet die Arbeitslosenversicherung laut Haushalt 900 Millionen Euro, ich gehe von mehr aus. Das wird auch personell einen großen Aufwand mit sich bringen. Dann stehen auch noch das SGB-III-Modernisierungsgesetz und die Wachstumsinitiative an. Auch hier erwarte ich spürbare Steigerungen an Aufwand und Kosten für die BA.

Auch Andrea Nahles lehnt diese beiden Vorhaben ab. Hört die Politik auf Ihre Kritik?

Mein Eindruck ist nicht, dass die Politik verstanden hat, welche Wirkungen die Vorhaben auf die BA haben. Durch die Kostensteigerungen werden wir im nächsten Jahr in ein Defizit geraten. Trotzdem hat die Bundesregierung offensichtlich ein großes Interesse daran, Kosten aus dem Bundeshaushalt auf den BA-Haushalt und damit auf die Beitragskasse zu verlagern – und stellt keine Bemühungen an, daran etwas zu ändern.

Das SGB-III-Modernisierungsgesetz und die „Wachstumsinitiative“ sollen doch aber die Arbeit der Arbeitsagenturen erleichtern.

Es gibt tatsächlich Vereinfachungen, zum Beispiel für die IT der BA. Es gibt aber auch Veränderungen, die zu mehr Aufwand oder Kosten führen. Zum Beispiel soll die Anerkennungsberatung bei ausländischen Berufsqualifikationen völlig fachfremd auf die Arbeitsagenturen übertragen werden und mehr Menschen sollen einen Gründungszuschuss bekommen können. In manchen Punkten wie bei der Frage, wie viel die BA für die Sprachförderung von Beschäftigten zahlen soll, zeichnet sich ein gewisses Entgegenkommen der Politik ab. Aus unserer Sicht reicht das aber nicht aus.

Was kritisieren Sie genau?

Vorgesehen ist etwa ein Zuschuss der BA für die Teilnahme an Berufssprachkursen. Wir sehen die Verantwortung dafür, so etwas zu bezahlen bzw. Zeit zu investieren, bei den Arbeitgebern und Beschäftigten selbst. Das ist allgemein so: Die Politik reagiert auf jedes Problem mit finanzieller Förderung und Prämien, statt die Verantwortung des Einzelnen stärker in den Vordergrund zu stellen. Das ist auch bei der geplanten Rentenaufschubprämie so oder bei der Idee, Überstunden extra zu fördern.

Sind Anreize nicht etwas Gutes?

Ich finde den Gedanken falsch, durch finanzielle Leistungen Menschen dazu zu bekommen, was eigentlich selbstverständlich ist: arbeiten zu gehen, für den eigenen Lebensunterhalt aufzukommen oder die eigenen Beschäftigten weiterzubilden. Das ist nicht die Aufgabe der BA. Sie ist dafür da, Menschen in Arbeit zu bringen.

Und was passt Ihnen an der „Wachstumsinitiative“ nicht?

Die Änderungen beim Bürgergeld finde ich sinnvoll. Gut ist zudem, dass künftig auch Zeitarbeitsfirmen Leute aus dem Ausland rekrutieren dürfen. Allerdings sind die Grenzen so eng gesetzt und die Auflagen so hoch, dass es nicht viel bringen wird. Das führt dazu, dass die Branche benachteiligt wird im Vergleich zu anderen Arbeitgebern. Trotzdem verkauft die Bundesregierung das als Verbesserung.

Wie steht es um den Haushalt?

Das SGB II ist für das, was der Gesetzgeber im Bürgergeld festgeschrieben hat, unterfinanziert. Und die Strukturen sind so kleinteilig, dass eine effiziente Verwaltung dauerhaft nicht möglich ist. Manche Jobcenter sind zudem so klein, dass sie mit ihrem anteilig vom Gesamtbudget heruntergerechneten Anteil nicht sinnvoll arbeiten können.

Welche Alternative schlagen Sie vor?

Es bräuchte in der neuen Legislaturperiode eine Kommission, die sich intensiv mit diesen Strukturen auseinandersetzt. Ich halte das gesamte System inzwischen für kaum noch administrierbar. Dieser Bedarf wurde auch außerhalb der BA schon erkannt, beispielsweise vom Normenkontrollrat.

Wer sollte in dieser Kommission sitzen?

Natürlich Experten aus der Praxis, aus Wissenschaft und Rechtsprechung. Und alle föderalen Ebenen sollten vertreten sein, was bei der Hartz-Kommission damals übrigens nicht der Fall war. Wir brauchen rechtskreisübergreifend arbeitsfähige Strukturen – die weniger die eigenen Zuständigkeiten vor Augen haben als das gemeinsame Ziel, Menschen schnellstmöglich in Arbeit zu bringen.

Gibt es da eine bestimmte Stellschraube, auf die es aus Ihrer Sicht besonders ankommt?

Die Bündelung von Leistungen. Und damit meine ich nicht nur, dass man sie in einem digitalen System zusammenführt, sondern auch genau überlegt: Welche Leistungen brauchen die Menschen, wie können sie gebündelt und einheitlich administriert werden? Helfen würde eine stärkere Bündelung auch bei der aktiven Arbeitsmarktförderung. Also bei der Frage, welche Maßnahmen konkret dabei helfen, dass Menschen nachhaltig in Arbeit kommen. Gut wäre es auch, sich noch mal den Erwerbsfähigkeitsbegriff anzusehen: Wer ist wirklich erwerbsfähig und wer braucht eine andere Form von Unterstützung als die sofortige Eingliederung in Arbeit?

Wie sieht es aus mit dem Thema Fachkräfte? Der Bund will bei den anstehenden Regierungskonsultationen in Neu-Delhi eine eigene Strategie für Indien vorstellen.

Die BA hat in der Vergangenheit immer wieder an Vermittlungsabsprachen mitgewirkt, es gibt auch schon zwei mit Indien bzw. einem indischen Bundesstaat. Aber derzeit stehen wir vor einer extrem schwierigen finanziellen Situation, und da müssen wir schauen, wo unsere Kernaufgaben in der BA liegen. Aus meiner Sicht ist das vor allem im Inland der Fall, insbesondere bei der Arbeitsmarktzulassung, der Integration in den Arbeitsmarkt und der Information der Arbeitgeber über Möglichkeiten von Zuwanderung. Da hat die BA eine gesetzlich festgeschriebene Rolle.

Das heißt, Sie wollen an der Indien-Strategie nicht beteiligt werden?

Ich bin erst mal zurückhaltend und schaue mir an, was die Bundesregierung plant. Wichtig ist mir: Diese ständige Verschiebung von Aufgaben ist nicht nur eine Belastung für die Behörde, sondern auch für alle Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Es ist nicht Aufgabe der BA, Menschen im Ausland zu rekrutieren und nach Deutschland zu begleiten. Die Bundesagentur für Arbeit ist nicht der verlängerte Arm des BMAS – jedenfalls nicht in der Arbeitslosenversicherung.

Wie schaut es denn beim inländischen Potenzial aus? Bremen startet zum Beispiel einen Ausbildungsfonds, in den die örtlichen Betriebe einzahlen müssen. Wie finden Sie das?

Bei dem Ausbildungsmarkt, den wir jetzt haben, ist das ein völlig falsches Mittel. Viele Menschen pendeln nach Bremen rein, in der Umgebung sind durchaus Ausbildungsplätze vorhanden. Solange es davon noch genug gibt, muss die Besetzung der Stellen im Fokus stehen. Arbeitgeber finanzieren die duale Ausbildung, ein Erfolgsmodell. Da braucht man sie nicht mit einer Umlage zu belasten. Das führt im Zweifel nur dazu, dass sich Arbeitgeber ganz aus der Ausbildung verabschieden.

In der Pflege und im Baugewerbe gibt es auch Umlagen, da scheint es ganz gut zu funktionieren.

Ja, aber in der Baubranche ist das eine Umlage, die die Tarifpartner – ohne den Staat – gemeinsam beschlossen haben und administrieren. Die Branchen wissen selbst am besten, was gut für sie ist.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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