Wenn es eins gibt, auf das sich in der Opposition fast alle einigen können, dann ist es das Urteil, Olaf Scholz habe die Bindung zu Land und Bürgern verloren. Von „Ignoranz“ sprach am Mittwoch zum Auftakt der Generaldebatte Alexander Dobrindt. Sahra Wagenknecht, die drei Stunden später ein Drei-Minuten-Redefenster für das BSW nutzte, stellte die Frage, welche Medikamente der Bundesgesundheitsminister gerade an sich teste, wenn er behaupte, Scholz sei der beste Bundeskanzler, den das Land je hatte.
Der Kanzler aber ist mit sich – und der Wirklichkeit – im Reinen. Er wiederholte sein Bekenntnis zum grundgesetzlich garantierten Asylrecht und betonte zugleich seine Entschlossenheit, im Kampf gegen illegale Zuwanderung zu obsiegen. Scholz listete auf, was unter ihm erreicht worden sei und bezeichnete das Ergebnis als „größte Wende im Umgang mit irregulärer Migration“. Gelächter bei der Opposition; rauschender Beifall bei den eigenen Leuten. Scholz bewies eines: aus seiner Sicht ist das alles zwar ein „mühseliger Prozess“, aber seine Ampel sei dabei entschlossen und erfolgreich. Das Kanzleramt verschickte wenig später ein 20-seitiges Papier, um die Worte des Kanzlers mit Zahlen zu unterlegen. Aus Sicht von Scholz ein Erfolg, den die Union in der Regierung nie hinbekommen habe. Sein Urteil, an Friedrich Merz und dessen CDU gerichtet: „Sie können es nicht!“
In der Union sorgten diese Vorhaltungen für Empörung. So gesehen war es auf der einen Seite das Übliche in einer Generaldebatte. Und doch beließ es Scholz nicht dabei, kämpferisch anzugreifen. Mehrfach betonte er, dass er die Tür für Gespräche nicht zuschlagen werde. Und so ließ sich bei ihm wie später auch bei Merz eine denkwürdige Gratwanderung beobachten. Auf je eigene Weise waren beide bemüht, auf harte Vorwürfe wie Untätigkeit, Blockade und Unfähigkeit immer wieder auch Gesprächs- und Kooperationsangebote zu unterbreiten. Attacken wechselten sich ab mit Anerkennung und Offerten.
Scholz lobte das Gesprächsangebot von Merz.Auch wenn dieser sich später „in die Büsche geschlagen“ habe. Und Merz wies zwar den Vorwurf als „infam“ zurück, er habe die Gespräche am Dienstag „nach Drehbuch“ platzen lassen. Aber auch er betonte, dass er zum Dialog bereit sei, nur nicht „in einer Endlosschleife von Gesprächen“. Die FAZ berichtet, die Koalition habe wegen der rechtlichen Unsicherheit am Dienstag auf Vorschlag von Marco Buschmann angeboten, einmal probeweise in einem oder wenigen Grenzabschnitten auszuprobieren, was sich CDU und CSU flächendeckend wünschen, und zu schauen, ob Gerichte dann anders entschieden als früher. Die Union habe ein solches „experimentelles“ Vorgehen jedoch abgelehnt.
Merz stellte in der Bundestagsdebatte klar, dass die Regierung anders als beim Asylkompromiss 1992/’93 keine Unterstützung brauche, weil es nicht um eine Grundgesetzänderung gehe. Entsprechend könne die Ampel ihre angekündigten Maßnahmen allein beschließen. „Sie brauchen uns nicht“, sagte Merz, um zugleich klarzumachen, dass er das Recht behalte, die Schritte der Koalition als ungenügend abzulehnen. „Das Nein dazu muss aus der Mitte des Parlaments kommen.“
Wo in dieser Mitte die FDP gerne stehen würde, zeigte ihr Generalsekretär am Mittwoch deutlich. Noch vor Beginn der Sitzung und mitten im Plenarsaal plauderte Bijan Djir-Sarai mit Merz und Jens Spahn. Djir-Sarais Rede klang wie eine Bewerbung um den Eintritt in eine christlich-liberale Koalition. Er betonte die Notwendigkeit einer „Wirtschaftswende“, lobte die Schuldenbremse und bekräftigte, an Merz gewandt, was Christian Lindner am Vorabend bei Table.Briefings vorgegeben hatte: Die FDP unterstütze die Forderung von Merz, alle Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen. „Wir als FDP stehen Ihnen [in der Migrationspolitik] weitaus näher als unsere geschätzten Kollegen in der Koalition.“ Das war eine Einladung, die die Union nicht ausschlug. Eine Sammlung der relevantesten Zitate aus der Debatte lesen Sie hier.