Die Zeitenwende ist in aller Munde, aber noch nicht in ausreichender Konsequenz in der deutschen Industriepolitik angekommen. Während sich Europa in einer neuen Ära sicherheitspolitischer Bedrohungen wiederfindet – durch Russland, Iran und transnationale Terrornetzwerke –, bleibt die Frage unbeantwortet, wie Deutschland und seine Partner wehrhaft, resilient und technologisch führend bleiben oder gar erst werden können. Ein entscheidender Partner dabei: Israel.
Die deutsch-israelische Verteidigungskooperation hat in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen – nicht zuletzt durch das Raketenabwehrsystem „Arrow 3“, das die Bundesrepublik als erstes europäisches Land in Betrieb nehmen wird. Dieses Projekt ist Leuchtturm und Lackmustest zugleich. Denn es zeigt, wie komplementär deutsche industrielle Fähigkeiten und israelisches Know-how sein können – wenn politische Führung und industriepolitische Steuerung ineinandergreifen. Das 60. Jubiläum der bilateralen diplomatischen Beziehungen sollte auch als Anlass dienen, eine neue Dekade der bilateralen Industriepolitik auszurufen – gemeinsam innovativ, gemeinsam sicher.
Deutschland bringt Stärken in Plattformtechnologien, Serienproduktion, Logistik und Systemintegration ein. Israel profitiert seit Jahren von deutschem Know-how – etwa bei Luftfahrtsystemen, Artillerietechnik und insbesondere in der U-Boot-Technologie, wo deutsche Werften eine tragende Rolle für Israels nukleare Zweitschlagsfähigkeit spielen. Diese industrielle Zuverlässigkeit ist politisch hochrelevant – sie muss weitergedacht werden.
Während mit dem Kauf von „Arrow 4“ bereits über das nächste bilaterale Leuchtturmprojekt gesprochen wird, fehlt gleichzeitig eine strukturierte, dauerhafte Plattform zur gemeinsamen Entwicklung von Verteidigungstechnologien. Ein German-Israeli Defense Tech Hub, eingebettet in die Nationale Sicherheitsstrategie und verwoben mit Bundeswehr und Beschaffungswesen, sowie Start-ups und den Industrien beider Nationen, könnte hier echte und vor allem nachhaltige Wirkung entfalten.
Israel ist weltweit führend in Drohnen, Cyberabwehr, Sensorik und Frühwarnsystemen. Gerade in Feldern, in denen Deutschland technologische Defizite hat, kann Israel Impulse liefern – wenn man bereit ist, Partnerschaft auf Augenhöhe auch industriepolitisch zu denken. Das heißt: gemeinsame Ausschreibungen, F E-Förderung, Exportstrategien.
Industriepolitik muss sicherheitspolitische Realität abbilden. Technologieführerschaft entsteht nicht durch Subventionen im Binnenmarkt, sondern durch internationale Co-Innovation. Die USA haben es unter anderem mit „Arrow 3“ vorgemacht. Genau hier liegen bei zukünftigen Innovationen ungenutzte Potenziale in der deutsch-israelischen Zusammenarbeit.
Aktuell ist die Kooperation oft fragmentiert und diplomatisch motiviert. Es fehlt ein verbindlicher Rahmen. Was es braucht, ist ein gemeinsames Innovationsbudget, das gezielt Dual-Use Technologien fördert: KI-gestützte Gefechtsfeldaufklärung, Miniaturisierung von Sensoren, mobile Luftverteidigung in urbanen Räumen.
Deutschland sollte sich in Israel nicht nur als Käufer verstehen, sondern auch als Anbieter. Mittelständler aus der Wehrtechnik und Systemzulieferung können von Israels Innovationsgeschwindigkeit und Netzwerkzugängen profitieren – durch Forschungsprojekte oder Co-Produktion in Drittmärkten.
Weitere Schlüssel sind Ausbildung und Austausch. Verteidigung beginnt im Kopf. Seit 1984 besteht an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ein Ausbildungsprogramm für israelische Offiziere. Umgekehrt nehmen deutsche Soldaten regelmäßig an Programmen in Israel teil. Besonders bedeutsam ist die enge Kooperation bei der Ausbildung deutscher Drohnenpiloten: Seit 2019 werden sie auf der Luftwaffenbasis Tel Nof in Israel an der Heron TP ausgebildet.
Aufbauend darauf könnte eine bilaterale Verteidigungsakademie für Technologie und Innovation entstehen, gemeinsam getragen von Bundeswehr und IDF. Sie würde Offiziere, Ingenieure und zivile Fachkräfte beider Länder auf gemeinsame sicherheitstechnologische Herausforderungen vorbereiten – und das strategische Verständnis für eine partnerschaftlich getragene Sicherheitsarchitektur stärken. Denn Vertrauen und gemeinsame Kompetenz sind das Fundament jeder Allianz.
Entsprechend darf der kommende Nationale Sicherheitsrat nicht nur ein Abstimmungsorgan sein. Er muss Innovationsmotor werden: mit Mandat, ressortübergreifendem Zugriff und internationalen Partnern wie Israel. Deutschland sollte hier eine europäische Führungsrolle übernehmen – und industriepolitisch entschlossen handeln.
Militärische Innovation entscheidet über Freiheit und Frieden. Es ist Zeit, sicherheitsgeleitete Industriepolitik strategisch neu zu denken – gemeinsam innovativ, gemeinsam sicher. Die ELNET Security Defense Initiative (ESDI), die im Juli in Berlin ins Leben gerufen wird, soll solche Gesprächsfäden künftig bündeln und verstetigen.Carsten Ovens leitet das Berliner Büro von ELNET Deutschland – seit Juni 2023 als CEO. Davor war er unter anderem Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit vielen Jahre engagiert er sich für die Stärkung der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, mit einem besonderen Fokus auf Innovationen und Start-ups.