Rigorosum
Erscheinungsdatum: 11. November 2024

Warum Techies wie Lilium sterben sollen und die alte Meyer Werft überleben darf 

Thomas Sattelberger kritisiert das drohende Aus des e-Luftshuttle-Start-ups Lilium. In der Ablehung der rettenden Wandelanleihen, die sogar durch Patente und einer Zusage des Freistaats Bayern abgesegnet waren, setzten die Haushälter der alten Ampel-Regierung die Politik Altmeiers (CDU) fort: Industriepolitik von inkompetenten Nasen für verschlafene Nasen!

„Verkehrsmittel der Zukunft oder Milliardengrab?“, schreibt BR24 Wirtschaft zur Insolvenz von Lilium, des oberbayrischen e-Luftshuttle-Start-ups. Die „Welt“ betitelt ihren Beitrag „Das bittere Ende eines deutschen Traums“. Die „Gründerszene“ schreibt: „Flugtaxis sollen trotz Insolvenzverfahren in Betrieb gehen“. In einem früheren Beitrag hieß es „Sollte der Staat Lilium retten?“ Die Haushälter der alten Ampel-Regierung entschieden sich gegen Rettung, getrieben vom Veto der Grünen. Sie lehnten Wandelanleihen für das Start-up in Höhe von 50 Millionen, die zudem durch Patente abgesichert waren, ab – obwohl es eine Zusage des Freistaats Bayern in der gleichen Höhe gab, diese allerdings nur, wenn der Bund ebenfalls seinen 50 Millionen-Part übernommen hätte.

Die bisherigen 1,5 Milliarden Euro an investiertem und verbrauchtem Entwicklungsaufwand sind zu 95 Prozent von internationalen Investoren aufgebracht worden. Wenn der FAZ-Kommentator Maximilian Sachse jetzt in seinem Beitrag „Die Lehren aus dem Fall Lilium“ argumentiert, dass diese Investoren irgendwann das Vertrauen in das Start-up verloren haben und der Staat nicht dazu da sei, das mit Steuergeldern auszugleichen, so ist das theoretisch zwar wunderschön marktliberal, praktisch aber töricht in einem Land, welches eine Aufholjagd bei Elektromobilität vor sich hat.

Dieses Argument wurde von Politikern aller Ampelcouleur, auch der FDP, aufgegriffen und als eines der Argumente zur Verteidigung der Entscheidung genutzt. Dass die internationale Investoren-Szene einen kleinen, aber ernsthaften Vertrauensbeweis des deutschen Staates sehen wollte, dass dieser regulatorisch wie volkswirtschaftlich – auch und gerade in Deutschland – in der Elektroluftfahrt eine mögliche Schlüsselindustrie und einen Zukunftsmarkt sieht, ist der politischen und insbesondere der innovationsfeindlichen grünen Seele fremd.

In einem Interview mit der FAZ äußerte sich der Gründer Daniel Wiegand, dass er sein Unternehmen Lilium nicht noch einmal in Deutschland gründen würde. Dies ist besonders brisant vor dem Hintergrund, dass Frankreichs Präsident Macron für die Serienfertigung des Elektro-Senkrechtstarters (übrigens ein Senkrechtstarter mit E-Jet-Triebwerken, technologisch eine Unique Proposition) in Frankreich schon 200 Millionen Euro in Aussicht gestellt hatte.

Im Unterschied zu Deutschland macht Frankreich nämlich nicht nur eine Industriepolitik für seine altehrwürdigen Tech-Konzerne, sondern auch für seine kommenden Tech 2.0-Konzerne. Frankreich als Start-up-Nation bedeutet technologiestrategisch nichts anderes, als dass es über Innovationsökosysteme neue Tech-Konzerne ermöglichen will. Das hat Frankreich in der Industriewelt schon um die Jahrhundertwende demonstriert, als es die Daimler Benz Aerospace mit ihrem ehemaligen Herzstück Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) machtpolitisch-elegant von München-Ottobrunn nach Toulouse „verlagerte“ - zuerst unter dem Namen EADS und später dann Airbus.

Die Luft- und Raumfahrtbranche zählt in Frankreich zu einer hochpriorisierten Technologiebranche. Und da gibt es nicht nur ,Ansiedlungsprämien‘ für reife Unternehmen, sondern heute vor allem für technologische Zukunftshoffnungen wie Lilium. Denn das Unternehmen würde natürlich zusätzlich komplementäre Innovationen wie beispielsweise Hochleistungsbatterien, LP also nicht nur ein Produkt, sondern ein potenzielles Wertschöpfungssystem, mitbringen.

Mit der (hoffentlich vergeblichen) Sterbehilfe für Lilium haben die zerfasernden Ampel-Parteien nahtlos fortgesetzt, was schon Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU unter Angela Merkel mit seiner Industriestrategie verfolgte. Da tauchte das Wort Mittelstand nicht auf, geschweige denn DeepTech, sondern nur alte Industriegiganten wie Siemens und Alsthom, die schon die damalige Regierung defensiv und protektionistisch schützen wollte.

Lieber subventionieren Alt-Politiker die müden, arroganten Herren der Automobilbranche mit Milliarden Elektromobilitätsprämien und denken jetzt über VW-Hilfen nach, die dann aber alle, auch Zulieferer wie ZF, gierig haben wollen. Und lieber wollen sie sich als milliardenschwere Retter der 229 Jahre alten Meyer Werft aufschwingen, als einer Firma wie Lilium mit 50 Millionen Euro (noch dazu mit innovativen Patenten abgesichert) das Überleben zu sichern.

Die angeschlagene Meyer-Werft soll vorübergehend verstaatlicht werden. Der Bund übernimmt einen Anteil von knapp 40,4 Prozent an der Werft in Papenburg in Niedersachsen. Einen ebenso großen Anteil soll das Land Niedersachsen erwerben: zusammen 400 Millionen Euro für die Mehrheitsbeteiligung. Dazu kommen noch Bürgschaften für Fremdfinanzierungen in Höhe von 2,6 Milliarden Euro.

Wer jetzt geopolitisch-militärisch für deutsche Werften argumentiert, dem sei gesagt: Meyer Werft ist für den Bau von zivilen Schiffen wie Kreuzfahrtschiffen, Fähren und Tankern bekannt. Während des Zweiten Weltkriegs hat die Werft auch Schiffe für die Kriegsmarine repariert.

Für wichtige grüne und einige – wie ich aus verlässlichen Quellen weiß – rote Führungsfiguren in der Berliner und auch bayerischen Politik war Lilium nichts anderes als ein „Spielzeug für Millionäre“. Diese Figuren waren es, die die Insolvenz besiegelten: Diejenigen, die vordergründig saubere, grüne Luftfahrt fordern, in Wirklichkeit aber die Zukunft dieser Branche in Deutschland abwürgen wollen. Grüne Energie ja, aber nicht für die Luftfahrt. Es muss ja auch nicht verwundern, dass Anna Christmann von den Grünen, die Luft- und Raumfahrtbeauftragte der Bundesregierung, hier plötzlich ganz schweigsam geworden ist. Wie immer, wenn sie strategisch und politisch in ihrer Zuständigkeit versagt. Oder besser gesagt: wenn sie in ihrer wahren Rolle als Abwicklerin der Branche agierte.

Die grüne bayerische Landtagsabgeordnete Claudia Köhler begründet den Widerstand ihrer Parteifreunde mit dem Risiko, Lilium könnte scheitern. Der Bund habe das Start-up bereits mit elf Millionen Euro (sic!) gefördert, „wenn's nicht klappt, ist das Geld weg“, sagte Köhler dem Bayerischen Rundfunk. Die 1,5 Milliarden Euro der privaten Investoren weltweit jucken sie nicht. Köhler kommt dann zu ihrer Wahrheit: bei Lilium gehe es um ein Produkt im „Luxussegment“. Flugtaxis seien interessant, aber „in einer Zeit, in der die Leute nicht mehr in die Arbeit kommen, weil kein Zug fährt, haben wir bestimmt nicht 50 Millionen übrig “. Das ist die grüne Seele pur. Dabei weiß doch jeder einigermaßen innovationskompetente Mensch, dass dies fast bei jeder Neuerung der Fall ist. Erst Skalierung macht meist Produkte und Services preiswerter. Noch dazu, da das Lilium-Shuttle doch ein Zwischenschritt zum elektrischen Fliegen ist.

Die Roten bei den Grünen vergessen in ihrem Neid auf Gutverdiener und Wohlhabende und in ihrer Lust, Deutschland auf eine Gemeinwohl-Ökonomie zu schrumpfen, dass regionale Shuttle-Services nicht nur ein Geschäftsmodell für vermögende Privatleute oder Geschäftsleute sind, sondern ein volkswirtschaftlich kluges Geschäftsmodell gegen zeitraubende und termintötende Staus auf Autobahnen und Verspätungen von Lufthansa und Bahn, also ein innovatives Geschäftsmodell gegen marode Verkehrsinfrastruktur. Grüne sind ansonsten ja Freunde von Staatshilfen, aber in diesem Falle ideologisch getriggert eben nicht.

Ich möchte zudem gar nicht ausschließen, dass tief innen drin die gehässige Rache grüner Politiker dafür mitspielt, dass CSU-Ministerpräsident Markus Söder die Grünen nicht als koalitionsfähig betrachtet. Da trifft es sich dann spiegelbildlich gut, dass der Hannoveraner SPD-Hotspot inklusive dem Niedersachsen Matthias Miersch als neuem SPD-Generalsekretär nicht nur niedersachsenpatriotisch VW stützt, sondern eben auch die niedersächsische Meyer Werft in Papenburg. Was dem einen der Neid ist, ist dem anderen die Wählergunst. Eben Industriepolitik à la Deutschland. Egal, aus welchen Gründen geht es darum, Altes zu schützen und Neues nicht zuzulassen oder gar zu zerstören.

Meine feste Überzeugung ist, dass Deutschland mit seiner dominanten Prägung durch die „Maschine“ und den Maschinenbau am ehesten noch durch „Industrial DeepTech“ eine Chance hat, aus der "middle technology“-Falle zu entkommen, die Clemens Fuest, der Chef des Münchner IFO-Instituts in seinem Beitrag „How to escape the middle-technology trap“ für Deutschland und Europa trefflich beschrieben hat. Ob wir in Deutschland überhaupt noch Softwarekonzerne aufbauen können, steht in den Sternen, aber dass wir ohne neue Tech-Konzerne, die Maschine und Daten verknüpfen (cyberphysische Systeme), nur noch als verlängerte Werkbank anderer Nationen vegetieren, steht für mich außer Frage.

Deshalb bin ich ja auch entschiedener Befürworter von DeepTech-Start-ups, egal ob sie Isar Aerospace Technologies, Marvel Fusion, Lilium oder Sunfire heißen. Wir müssen eine Tech-Mittelstandsnation 2.0 mit DeepTech-Hidden Champions werden. Diese technologischen Zukunftsträger müssen in Deutschland ihre Heimat finden. Dazu braucht es fortschrittliche Industriepolitik politischer Zukunftsträger. Und natürlich hoffe ich, dass es für Lilium diese Zukunft gibt.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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