Rigorosum
Erscheinungsdatum: 07. September 2023

Die verlorenen KI-Jahre: Tragik deutscher Forschungspolitik

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat Ende August den KI-Aktionsplan vorgestellt und anschließend in die Kabinettsklausur in Meseberg eingebracht. Mitte September soll er öffentlich sein. Diesen neuen Anlauf nimmt Thomas Sattelberger zum Anlass, die KI-Politik des letzten Jahrzehnts und das Unstrategische an der KI-Strategie seit 2018 zu beleuchten.

Zunächst ein kurzer Blick zurück. Schon 2019 formulierte die Expertenkommission Forschung Innovation (EFI) politisch korrekt die erste große Sünde staatlicher KI-Politik. Sie hätte sagen können, dass die relevanten KI-Trends fünf Jahre lang verschlafen wurden, aber der Bericht formuliert taktisch elegant: „ Die Bundesregierung verharrte lange auf einer fast ausschließlichen Förderung von symbolischer KI. Sie engagierte sich erst sehr spät im Zuge der Ausschreibung der Kompetenzzentren für Maschinelles Lernen (ML-Kompetenzzentren) im Jahr 2017 für die seit 2012 stärker sichtbar gewordenen Ansätze der neuronalen KI.“

Der damalige Abteilungsleiter und spätere BMBF-Staatssekretär Wolf-Dieter Lukas hatte 2012 offenbar beschlossen, nur auf den alten Pfad zu setzen. Und zwar in trauter Einigkeit mit dem ehemaligen Papst symbolischer KI, Wolfgang Wahlster aus Saarbrücken. Wer die Pfadtheorie kennt, weiß, was es heißt, bei Wegzweigungen falsch abzubiegen und im Deadlock zu enden.

Der Königsweg für den „kranken Mann Europas“ wäre eigentlich die schnelle Kommerzialisierung exzellenter KI-Forschung. Der Stanford KI-Report 2023 listet jedoch auf, dass Deutschland zwischen 2013 und 2022 gerade einmal 245 KI-Start-ups gegründet hat, Frankreich dagegen 338, Kanada 341, Israel 402 und Großbritannien 630. Selbst die zehnmal kleinere Schweiz brachte es auf 108 Start-ups. Noch schlimmer sieht es bei KI-Studiengängen aus. Im kleineren Großbritannien gibt es neunmal so viele KI-Studiengänge im Vergleich zu unseren 125 deutschen – und das mit halb so vielen Universitäten. Nur 15 Prozent davon sind hierzulande Bachelorstudiengänge, während Großbritannien und die USA rund die Hälfte für Bachelor anbieten.

Dem neuen KI-Facelift wie auch schon der alten KI-Strategie fehlt jegliche Wettbewerbspositionierung. Eine solide SWOT-Analyse als Grundlage einer strategischen Priorisierung von Hunderten interministerieller Projekte fehlt ebenso wie ein effizientes Projektmanagement für die betroffenen Ministerien zur strategischen Umsetzung. Die Einzelheiten sowie die skeptischen Kommentare des Branchenverbandes Bitkom, des KI-Bundesverbandes und vieler Gründer zum neuen KI-Aktionsplan sind bekannt.

Übrigens: Von den fünf Milliarden Fördersumme der alten KI-Strategie ist bis Mai 2023 gerade mal ein Viertel abgeflossen, nämlich 1,28 Milliarden Euro. Mit dieser „Deutschland-Geschwindigkeit“ lässt sich leider kein Blumentopf gewinnen.

Innovating Innovation – Fünf Empfehlungen, um die Tragik staatlicher KI-Politik zu mildern:

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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