Rigorosum
Erscheinungsdatum: 19. Oktober 2023

Die Leopoldina – Lobby für IPP und Iter? 

Ein Leopoldina-Fokus-Papier tritt für die Förderung der Magnetfusion ein. Kein Wunder: Zwei der drei Autoren sind Protagonisten der Magnetfusionsforschung in Deutschland. Thomas Sattelberger plädiert für eine technologieoffene Förderung der Kernfusion, die auch den Start-ups offensteht.

Als ich jüngst das Leopoldina-Fokus-Papier zur Fusionsforschung las, dachte ich, mich tritt ein Pferd. Die Leopoldina hat schon einmal zu Beginn der Corona-Pandemie im April 2020 eine Stellungnahme veröffentlicht, die sich durch komplette Ignoranz gegenüber diversen Sichtweisen auszeichnete.

Jetzt veröffentlichte die Akademie erneut ein eindimensionales Papier, in dem Magnetfusion von Magnet-Fusionierern zelebriert wird. Diesmal waren es drei Verfasser statt 26, doch das macht die Sache nicht besser. Der belgische Professor Wim Lehmanns, der heute den Beschleunigerbereich des Desy in Hamburg leitet, brachte die Laser-Sicht zur Fusion gerade mal am Rande ein. Ansonsten ist das Papier voll und ganz von der wohlbekannten Diktion von Sibylle Günter, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) geprägt, einer geradezu glühenden Vertreterin der Magnetfusion. Zusammen mit dem weiteren Co-Autor Thomas Klinger, ebenfalls vom IPP. Als solche beide engstens verbandelt mit dem Mega-Projekt Iter. Wie bei so einer Autoren-Zusammensetzung Objektivität herauskommen soll, entzieht sich nicht nur meiner Erkenntnis.

Die EU-Staaten haben 2021 weitere 5,6 Milliarden für das Kernforschungs-Experiment Iter im französischen Cadarache beschlossen. Damit waren in nur 15 Jahren die ursprünglich geplanten Kosten um das Dreifache auf inzwischen 20 Milliarden Euro angestiegen. Selbst die immer sehr optimistischen Kernfusionsforscher rechnen nun frühestens 2060 mit einem ersten einsatzbereiten Kernfusionsreaktor. Dabei ist Iter schon wieder fünf Jahre im Verzug der geplanten Baufortschritte. Schon 1998 versuchten Politiker, einen Strich durch die bis ins Detail ausgearbeiteten Konstruktionspläne zu machen. Mit Kosten von 13 Milliarden Mark (!) sei Iter selbst als internationales Gemeinschaftsprojekt nicht zu bezahlen, hieß es.

Dann arbeiteten die Wissenschaftler an einer halb so teuren Variante, dem „Iter light“, die inzwischen 20 Milliarden (!) kostet. Nur unter Berufung auf das amerikanische Informationsfreiheitsgesetz konnte der „Scientific American“ Dokumente recherchieren, die ein düsteres Bild hinsichtlich des Baufortschritts zeigen. Bereits vor einem Jahr ging man demnach intern von einer weiteren Verzögerung von drei zusätzlichen Jahren aus und wohl weiteren Milliarden Kostensteigerungen aus. Von diesen Gesamtkosten übernimmt in der Bauphase die EU 45 Prozent, deren Forschungshaushalt von Deutschland anteilig finanziert wird. Die Forscher am Iter hängen wie ermattete Boxer in den Seilen und erwarten eigentlich das endgültige Aus.

Während Iter mit dem Tokamak-Prinzip arbeitet, wird am Greifswalder Standort des IPP nach dem Stellarator-Prinzip an der Wendelstein 7- Experimentieranlage geforscht. Für ein Kraftwerk auf Stellarator-Basis werben die Autoren im Leopoldina-Papier wie Klinger zuvor schon im Forschungsausschuss – und wollen dafür weitere 20 Milliarden Euro über 20 Jahre. Damit soll ein funktionierendes Kraftwerk auf deutschem Boden gebaut werden. Was dies als mögliche Kosten-Explosion beinhaltet, mag jeder anhand der Iter-Kosten beurteilen.

Zumal inzwischen viele Experten erwarten, dass das erste Kraftwerk nicht aus der Forschung heraus, sondern von privaten Firmen gebaut wird. Dann würde ein „staatliches“ Kraftwerk allemal eine Investitionsruine. Zudem erwartet eine überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Fusion Industry Association, dass ein Kraftwerksbau schon im nächsten Jahrzehnt erfolgt.

Dass Forscherinnen und Forscher ihre Sicht der Dinge verabsolutieren, mag ihrem Ringen um mehr wissenschaftliche Reputation, ihrer wissenschaftlichen Unduldsamkeit oder ihrer dogmatischen Konsequenz geschuldet sein. Dass sie eine andere Ökonomie zu Grunde legen als normale Betriebswirte, ist zumindest tiefenpsychologisch verständlich. Aber die Leopoldina kann sich das nicht leisten. Ist sie doch zutiefst der Unabhängigkeit, Technologieoffenheit und Diversität der Forschungsansätze verpflichtet. Sie und ihr Chef Gerald Haug sind für mich zum zweiten Mal angezählt.

Wenn Geld im Spiel ist, dann schlägt das Legacy-Imperium IPP zurück, will man doch vermeiden, dass innovative Start-ups einen fairen Anteil der Forschungsgelder erhalten. Nicht mal einen Brosamen, der vom Tisch fällt, gönnt man Ihnen. Und da geht es mir nicht nur um die laserbasierten Start-ups, sondern auch um magnetbasierte Start-ups wie das Münchner Start-up Proxima, einer Ausgründung aus dem IPP. Dem kann man nur anraten, sich so schnell wie möglich vom IPP abzunabeln.

Markus Roth von der TU Darmstadt, Chief Science Officer des Laserfusion-Start-ups Focused Energy moniert in diesem Zusammenhang nicht nur die Schieflage bei der Auswahl der Verfasser des Papiers, sondern auch den damit betriebenen Lobbyismus, einzig das IPP zu stärken. Eigentlich hätte er laut werden müssen, wie unsäglich die Leopoldina sowie die Autoren dieses Fokus-Papiers mit Start-ups umgehen, die wegen ihrer innovativen technologischen Ansätze in den USA mit einer Multimillionen-Förderung umgarnt werden. Und das Forschungsministerium, welches unmissverständlich auf Technologieoffenheit setzt, hätte die Leopoldina zurechtweisen müssen, dass bei derartig einseitiger Analyse nicht ex Cathedra gesprochen werden kann.

Innovating Innovation ist hier schwer zu benennen. Eigentlich geht es nur darum, Schlimmeres zu verhindern. Beide laserbasierten Start-ups, Focused Energy und Marvel Fusion, kann man wohl heute schon als deutsch-amerikanische Unternehmen bezeichnen. Es muss alles getan werden, um diese zumindest mit einem Fuß in Deutschland zu halten. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat Förderung in Höhe von 1 Milliarde Euro für die Fusionsforschung bis 2027 angekündigt. Davon sind allemal wohl schon mehr als zwei Drittel an München (IPP), Karlsruhe (KIT) und an das Forschungszentrum Jülich fix verplant. Von dem verbleibenden Rest stehen für 2024 und 2025 jeweils nur wenige Dutzend Millionen zur Verfügung. Zumindest diese sollten an innovative Start-ups gehen.

Doch auch die Wirtschaft ist hier gefragt. Wenn die Firmen Trumpf oder Siemens Energy ihren Lasertechnologien weitere Spielbeine geben wollen, dann müssten sie in diese Start-ups investieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass der DeepTech Climate Fonds nur darauf wartet, diese Investitionen zu matchen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

Teilen
Kopiert!