kurz vor dem anstehenden EU-Gipfel hat die Kommission ihr Maßnahmenpaket gegen höhere Energiepreise vorgestellt (über die Vorschläge hat Europe.Table bereits gestern berichtet). Doch die Mitgliedstaaten sind in Bezug auf den Gaspreisdeckel nach wie vor uneins. Die Idee eines dynamischen Preisdeckels, die Antwort der Kommission auf Forderungen nach einer allgemeinen Preisobergrenze für Gas, trifft auf gemischte Reaktionen. Aus Berlin kommt Kritik, die sich insbesondere gegen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen richtet. Auf ein insgesamt positives Echo stieß hingegen der Vorschlag eines gemeinsamen Gaseinkaufs. Manuel Berkel und Till Hoppe fassen den Stand der Debatte zusammen.
Es war eines der großen Wahlkampfversprechen der FDP: Die Liberalen haben sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass der Verbrennungsmotor über 2035 hinaus mit E-Fuels betrieben werden kann. Doch nun zeichnet sich ab, dass daraus nichts wird. Denn die Co-Gesetzgeber planen nach Informationen von Europe.Table, in einer einzigen Trilogsitzung am 27. Oktober einen Kompromiss zu Verbrenner-Aus und Flottengrenzwerten zu erreichen. Damit das gelingt, müssten sie das Thema E-Fuels ausklammern. Doch die Lage ist für die FDP nicht aussichtslos, wie Markus Grabitz analysiert. “Ein paar Telefonate aus dem Kanzleramt würden reichen”, sagt ein Beobachter.
Schon zu Beginn seiner Amtszeit als EU-Außenbeauftragter gab es kritische Stimmen. Denn da war Josep Borrell manchen bereits mit eher undiplomatischen Aussagen aufgefallen. Eine seiner Reden hat nun für heftige Kritik gesorgt. “Die Gärtner müssen in den Dschungel gehen”, hatte er vor Nachwuchsdiplomaten gesagt, wobei mit “Dschungel” offenbar der nicht-europäische Teil der Welt gemeint war. Mehr erfahren Sie im Porträt von Ella Joyner.
Wie ein Appell klangen gestern Teile der Rede Ursula von der Leyens, als die Kommissionspräsidentin das Maßnahmenpaket ihrer Fachleute für niedrigere Energiepreise vorstellte. “Sobald sich der Rat auf diese Grundsätze geeinigt hat, werden wir sie ausarbeiten”, sagte von der Leyen in Straßburg. Gemeint war die Idee der Kommission für einen dynamischen Preisdeckel (Europe.Table berichtete). Gelten soll er für den wichtigsten Gaspreisindex, den niederländischen TTF, nach dem sich viele Gaslieferungen in der EU richten. Es soll die Antwort der Kommission auf Forderungen aus dem Rat sein, schnell einen allgemeinen Preisdeckel auf sämtliche Gaskäufe einzuführen.
Der Rat soll es dann auch sein, der den Preisdeckel beschließt. Als Grundsätze hat die Kommission allerdings eine ganze Reihe von Bedingungen in ihren Verordnungsentwurf geschrieben. So soll der Deckel die Versorgungssicherheit nicht gefährden und davon abhängen, dass weitere Fortschritte beim Gassparen gemacht werden. Falls die Mitgliedstaaten diesen Grundsätzen zustimmen, könnte der Deckel allerdings schnell Erleichterung bringen, versprach von der Leyen. “Der Mechanismus zur Preiskorrektur wird sich dämpfend auf die Gaspreise auswirken und könnte sofort wirksam werden, wenn wir den heutigen Vorschlag konkretisiert haben.”
Sicher ist die Zustimmung der Mitgliedstaaten allerdings noch nicht. “Obwohl Fortschritte in einem noch nie dagewesenen Tempo erzielt werden, sind wir noch weit davon entfernt, Lösungen zu finden, die auf Dauer Bestand haben können“, sagte Spaniens Energieministerin Teresa Ribera am Dienstag. Für einen allgemeinen Gaspreisdeckel sprachen sich erneut Kroatien und Litauen aus.
In der Bundesregierung wird das Paket kritisch gesehen, obwohl die Kommission Forderungen nach dem allgemeinen Gaspreisdeckel gar nicht aufgegriffen hat. Mit den Vorschlägen zum TTF steige das Risiko, dass Gas rationiert und zugeteilt werden müsse, heißt es in Berlin. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen von der Leyen: Diese habe gegen den Rat ihres Kabinettschefs Björn Seibert auf weiterreichende Vorschläge gepocht, sagt ein Diplomat. Ausdrückliche Zustimmung zu den Vorschlägen für den TTF kam dagegen von Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis.
Auf allgemein positives Echo stieß der geplante gemeinsame Gaseinkauf – etwa bei Luxemburg und Österreich. Fachleute in der Kommission sind allerdings noch unsicher, ob die großen Gasunternehmen den Einkauf künftig stärker abstimmen. “Niemand hindert die Unternehmen daran, jetzt schon gemeinsam Gas zu beschaffen“, sagte Oliver Koch aus der Generaldirektion Energie gestern bei einer Veranstaltung der Florence School of Regulation. Er warnte jedenfalls davor, Joint Ventures dadurch zu erleichtern, dass Wettbewerbsregeln aufgeweicht würden. Verbrauchern könnten dann noch höhere Preise drohen.
Weitere Vorschläge des Pakets (Europe.Table berichtete):
Auch über das Wochenende fand die Kommission dagegen keinen Konsens für eine Ausweitung des iberischen Modells für den Elektrizitätsmarkt. Dabei würden die EU-Staaten Gas für die Stromerzeugung subventionieren, um den Strompreis zu subventionieren.
Von der Leyen sagte gestern jedoch zu, sehr wohl weiter an einem Vorschlag zu arbeiten. Zuvor müssten jedoch zwei Punkte gelöst werden: Die Subventionierung von Gaskraftwerken dürfe nicht dazu führen, dass verbilligter Strom in benachbarte Nicht-EU-Staaten fließe. Zudem sei noch nicht geklärt, welche EU-Staaten welchen Teil der Finanzierung tragen würden. Energiekommissarin Kadri Simson nannte eine weitere Bedingung: “Wir können keinen Anstieg des Gasverbrauchs zulassen.”
Angesichts solcher Probleme sprechen die Grünen im EU-Parlament inzwischen von einem Aus. “Das spanische Modell eines fixen Preisdeckels für Gas zur Stromerzeugung ist erstmal vom Tisch, und das ist ein erster Lichtblick”, sagt der Abgeordnete Michael Bloss. “Denn damit sind auch die Milliardensubventionen an Gaskonzerne beerdigt.” Für Anfang 2023 hat die Kommission in ihrem gestern ebenfalls veröffentlichten Arbeitsprogramm allerdings die geplante Reform des Strommarktes terminiert. Ein Ziel auch dort: Die Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis.
In der EVP-Fraktion zeigte sich Zustimmung zu den Plänen der Kommission vom Dienstag. “Der gezielte dynamische Gaspreisdeckel für den Gashandelspunkt TTF und die Vorhaben gegen zu starke Preisschwankungen scheinen auf den ersten Blick als zeitlich befristete Maßnahmen sinnvoll”, sagte die CSU-Abgeordnete Angelika Niebler. “Ob sie die Erwartungen erfüllen, muss eine genaue Prüfung zeigen. In jedem Fall sind solche komplexen Markteingriffe jedoch nur eine Brücke. Ziel muss sein, so schnell wie möglich den geplanten neuen Preisbenchmark für Flüssiggas einzuführen.”
Mehr finanzielle Hilfen forderten die Sozialdemokraten. “Wir benötigen ein europäisches Winter-Solidaritätspaket, um Menschen und Unternehmen angesichts der steigenden Energiekosten über Wasser zu halten”, sagte der Vorsitzende der Europa-SPD, Jens Geier. Er warb außerdem für eine Verstetigung des SURE-Programms aus der Corona-Krise. “EU-Kommission und Mitgliedstaaten sollten das erfolgreiche EU-Programm für Kurzarbeit und damit die Sicherung von Arbeitsplätzen in Krisen zu einem permanenten Abfederungsinstrument ausbauen. Ansonsten läuft dieser soziale EU-Erfolg dieses Jahr aus.” Mit Till Hoppe
Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Nach Informationen von Europe.Table aus Verhandlungskreisen wollen die Unterhändler von Parlament und tschechischer Ratspräsidentschaft den Trilog zu Verbrenner-Aus im Jahr 2035 und CO2-Flottengrenzwerten für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge schon am 27. Oktober abschließen. Ursprünglich war noch ein Termin am 6. Dezember vorgesehen. Der Sitzungsbeginn wurde von den Mittagsstunden am 27. Oktober auf den Nachmittag verschoben. Auch das deutet darauf hin, dass eine Nachtsitzung angepeilt wird, die den Deal bringen soll.
Ein Durchmarsch der Verhandler hätte Folgen für ein Thema, das im letzten Wahlkampf für die FDP eine wichtige Rolle gespielt hat und bis heute zwischen den Ampel-Parteien heftig umstritten ist. Es geht um E-Fuels – nahezu klimaneutral hergestellte synthetische Kraftstoffe, die schon heute von so gut wie allen Fahrzeugen verbrannt werden können. Sie werden als Möglichkeit gesehen, den Fahrzeugbestand zu dekarbonisieren.
Wenn die Verhandlungsführer nächste Woche im Trilog den informellen Kompromiss erzielen wollen, hieße dies, dass sie das Thema E-Fuels ausklammern müssten. Das Wahlversprechen der FDP, in der Bundesregierung dafür zu sorgen, dass der Verbrennungsmotor über 2035 hinaus mit E-Fuels betrieben werden kann, wäre damit kaum mehr erfüllbar.
Zur Erinnerung: Ende Juni hatte die FDP noch triumphiert. Die Umweltminister der 27 Mitgliedsländer hatten nämlich bei der allgemeinen Ausrichtung diese Formulierung beschlossen: “Die Kommission wird einen Vorschlag machen, wie auch nach 2035 Fahrzeuge angemeldet werden können, die mit CO2-freien Kraftstoffen betrieben werden“. Die Passage enthält noch den Zusatz, dass dies “außerhalb der Systematik der CO2-Flottengesetzgebung” geschehen werde.
Diese Formulierung steht aber nicht im Gesetzestext, sondern unter den Erwägungsgründen und hat damit keinen rechtsverbindlichen, sondern rein appellatorischen Charakter. Das Europaparlament hatte den Einsatz von E-Fuels in dem Gesetzestext abgelehnt.
Die FDP feierte die Passage aus dem sogenannten Recital 9 als großen Erfolg. Sie verbreitete zudem die Botschaft, Bundeskanzler Olaf Scholz habe der Kommissionspräsidentin in einem Telefonat das Versprechen abgerungen, dass die Kommission noch einen Vorschlag zur Umsetzung machen werde.
Bislang ist dazu aber nichts gekommen. Der zuständige Vizpräsident Frans Timmermans ist erklärtermaßen kein Anhänger von E-Fuels. Er hat kein Hehl daraus gemacht, dass von ihm kein Vorschlag kommen werde.
Wenige Tage vor dem abschließenden Trilog deutet nichts mehr auf einen Vorstoß in der Sache hin. Als Ursula von der Leyen am Montag zu Gast in der Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten war, waren E-Fuels dem Vernehmen nach gar kein Thema. Die FDP scheint resigniert zu haben. In FDP-Kreisen hört man, es sei schon ein Erfolg, wenn es der Satz zu den E-Fuels als Erwägungsgrund bis in den Gesetzestext schaffe. In Regierungskreisen hieß es, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sei im Gespräch mit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Lemke hat bei dem Thema die Federführung. Und von ihr ist bekannt, dass sie gegen E-Fuels ist.
Die Ausgangslage vor dem entscheidenden Trilog wäre für die FDP zwar schwierig, aber eben nicht aussichtslos. Die Bundesregierung müsste Mitstreiter in den Reihen der Mitgliedstaaten finden, auf einem Non-Paper ein Konzept skizzieren und dafür sorgen, dass es in die Verhandlungen eingespeist wird. “Ein paar Telefonate aus dem Kanzleramt würden reichen”, sagt ein Beobachter.
Aufseiten der Mitgliedstaaten gäbe es durchaus Verbündete. Portugal, Italien, Polen und die Slowakei gelten als interessiert. Selbst die tschechische Ratspräsidentschaft wäre offen, hört man. Zur Rolle von Tschechien als “ehrlicher Makler” – das Land hat noch bis Ende des Jahres die Ratspräsidentschaft inne – passt so ein Vorstoß allerdings eher nicht.
Derzeit spricht aber alles dafür, dass nächste Woche schnell ein Kompromiss gefunden und damit das Thema E-Fuels beendet wird. In der Sache liegen die Co-Gesetzgeber ohnehin nicht weit auseinander: Parlament und Umweltminister tragen den Vorschlag der Kommission mit, ab 2035 keine Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor in der EU zuzulassen. Auch bei dem Abbaupfad für den durchschnittlichen CO2-Ausstoß der Neufahrzeugflotten der Hersteller gibt es kaum Differenzen.
Mit einem Aktionsplan will die EU-Kommission die Digitalisierung des Energiesystems vorantreiben. So soll Europa unabhängig von fossilen Brennstoffen aus Russland werden und die Klimakrise bewältigen. Nicht zuletzt soll die beschleunigte Digitalisierung des Sektors auch dabei helfen, die Energierechnungen der Verbraucher zu senken. Dafür plant die Kommission, das europäische Energiesystem tiefgreifend umzugestalten. Sie sieht neue Regeln für Rechenzentren vor und will Mitgliedstaaten auch gestatten, das energieintensive Krypto-Mining zeitweise zu untersagen.
Der Aktionsplan hat drei Stoßrichtungen:
Um diese Entwicklungen voranzutreiben, plant die Kommission, die bestehende Task-Force Intelligente Netze neu aufzustellen. Die Gruppe wird in Sachverständigengruppe für intelligente Energie umbenannt und über mehr Zuständigkeiten verfügen. Innerhalb dieser Expertengruppe wird die Kommission bis spätestens März 2023 die Arbeitsgruppe Daten für Energie (D4E) einrichten, um einen gemeinsamen europäischen Datenraum für Energie zu entwickeln.
Da Rechenzentren bereits im Jahr 2018 knapp drei Prozent des Strombedarfs in der EU ausmachten und ihr Energieverbrauch zwischen 2020 und 2030 voraussichtlich um 200 Prozent steigen wird, enthält der Aktionsplan verschiedene Maßnahmen zur Bewältigung des Wachstums.
Darüber hinaus wird die Kommission auf einen EU-Verhaltenskodex für die Nachhaltigkeit von Telekommunikationsnetzen hinarbeiten.
Etwa 0,4 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs wird für die Schaffung von Kryptowährungen aufgewandt, Tendenz steigend. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten daher auf, gezielte und ehrgeizige Maßnahmen zur Senkung des Stromverbrauchs von Krypto-Akteuren zu ergreifen. Für den Fall, dass Lastabsenkungen in den Stromnetzen erforderlich werden, müssten die Mitgliedstaaten auch bereit sein, das Mining von Kryptowährungen einzustellen.
Längerfristig will die Kommission außerdem dafür sorgen, dass Steuererleichterungen und andere steuerliche Maßnahmen zugunsten von Krypto-Minern abgeschafft werden, die derzeit in einigen Mitgliedstaaten in Kraft sind. vis
Die EU-Kommission hat die europäischen Regierungen zur Sicherung ihrer 5G-Mobilnetze aufgerufen. “Mitgliedstaaten, die noch keine Beschränkungen für Hochrisikolieferanten erlassen haben, sollten dies unverzüglich tun, da die verlorene Zeit die Anfälligkeit der Netze in der Union erhöhen kann“, schreibt die Kommission in einer Empfehlung zum Schutz kritischer Infrastruktur, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
Unter “Hochrisikolieferant” werden in Brüssel vor allem die chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei und ZTE verstanden. Die Technik von Huawei spielt zwar in vielen europäischen Mobilfunknetzen eine zentrale Rolle, jedoch sieht sich das Unternehmen auf vielen wichtigen Märkten mit einem De-Facto-Ausschluss vom 5G-Ausbau konfrontiert (China.Table berichtete). Der Netzwerkausrüster gilt als technisch hochversiert und auf dem Weltmarkt vergleichsweise günstig im Einkauf. Zweifel gibt es an seiner Vertrauenswürdigkeit; der Konzern steht im Verdacht, für die Geheimdienste seines Landes die Rivalen auszuspionieren und sich Kontrolle über deren kritische Infrastruktur zu verschaffen.
Die EU-Kommission warnt davor, sich auf Angaben der Hersteller zu verlassen. Es sei von “entscheidender Bedeutung”, dass alle EU-Länder die “relevanten Beschränkungen für Hochrisikolieferanten” umsetzten. Zur Begründung verweist die Kommission auf “essenzielle Dienste”, die 5G-Netze übernehmen sollen, sowie auf die “verflochtene Natur digitaler Ökosysteme“. Beschränkungen für Hochrisikoanbieter seien für Schlüsselbereiche des Netzes erforderlich, die von der EU als “kritisch und sensibel” eingestuft wurden.
Zeitgleich mit der Mahnung der EU hat Huawei seine Präsenz in Europa allerdings verstärkt. Der Technologieriese kündigte an, 150 Millionen Euro in sein erstes europäisches Cloud-Zentrum in Dublin zu investieren. In den nächsten zwei Jahren sollen 60 Arbeitsplätze geschaffen werden, bis 2027 soll die Zahl auf 200 steigen. mw
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat dem Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, die Führung der Amtsgeschäfte untersagt. Schönbohm ist seit 2016 Chef der für IT-Sicherheit zuständigen Bonner Behörde, aber kein sogenannter politischer Beamter, der jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden könnte.
Die Gründe, die das BMI für den Schritt anführt, sind strittig: “Hintergrund sind nicht zuletzt die in den Medien bekannten und breit diskutierten Vorwürfe, die das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Neutralität und Unparteilichkeit der Amtsführung als Präsident der wichtigsten deutschen Cybersicherheitsbehörde nachhaltig beschädigt haben.”
Nach Berichterstattung der Satiresendung ZDF Magazin Royal hatte die Ministerin binnen weniger Stunden angekündigt, alle Optionen zu prüfen, einschließlich einer Demission Schönbohms. Anlass dafür waren Kontakte zu einem von ihm 2012 mitgegründeten Verein. In diesem war seit 2020 auch ein aus russischen Geheimdienstkreisen gegründetes Unternehmen Mitglied. Das Innenministerium hatte einen Auftritt Schönbohms im Spätsommer 2022 als Jubiläumsfestredner bei eben diesem Verein genehmigt.
Faeser sieht in den Vorwürfen dennoch ein Problem “in der aktuellen Krisenlage hinsichtlich der russischen hybriden Kriegsführung. Die im Raum stehenden Vorwürfe beeinträchtigen auch das unerlässliche Vertrauensverhältnis der Ministerin in die Amtsführung”, teilt das Innenministerium mit.
Ob die Maßnahme der Ministerin rechtskräftig erfolgt ist, ist offen: Schönbohm kann gegen den Schritt der Ministerin gerichtlich vorgehen und prüfen lassen, ob die Untersagung der Amtsgeschäftsführung gerechtfertigt ist. Solange könnte auch kein Nachfolger für den BSI-Präsidenten ernannt werden. Vorübergehend führt BSI-Vizepräsident Gerhard Schabhüser das Amt. Soweit Schönbohm kein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann, müsste Faeser dann eine adäquate Ersatzverwendung für ihn finden, wenn er nicht ins BSI zurückkehrt.
Der teils skurril anmutende Fall erregt seit Bekanntwerden in ganz Europa Aufmerksamkeit: Das BSI ist als IT-Sicherheitsbehörde europaweit anerkannt und sowohl im Rahmen der Europäischen Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde ENISA als auch in bilateralen Projekten aktiv. Die Bonner Behörde gehört dabei zu den größten ihrer Art in Europa – und arbeitet weitgehend unabhängig. Die Ampelkoalition hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, diese Unabhängigkeit noch weiter auszubauen. fst
Auf dem Rohstoffgipfel des NGO-Netzwerks Arbeitskreis Rohstoffe haben gestern Akteure aus Zivilgesellschaft und Industrie Ziele gefordert, um den Verbrauch von Primärrohstoffen zu reduzieren. Bergbau verletze weltweit und vor allem im globalen Süden Menschenrechte und Umwelt, während in Europa der Bedarf weiter steigt und Ressourcen massiv verschwendet werden. Bei der Veranstaltung in Berlin berichteten auch Aktivistinnen aus Bergbauregionen in Afrika und Südamerika über die Auswirkungen von Bergbauprojekten.
Das Netzwerk, zu dem unter anderem Germanwatch, Power Shift und der BUND gehören, fordert von der Politik eine Obergrenze für den Gesamtrohstoffverbrauch. Ohne ein solches Ziel würde es auch weiterhin keine Fortschritte hin zu einer Kreislaufwirtschaft geben. Bislang betrage der Anteil von recycelten Rohstoffen in der deutschen Produktion insgesamt nur etwa 13 Prozent. In den vergangenen Jahren habe sich kaum etwas getan.
Die Obergrenze müsse aggregiert für alle Stoffströme gelten, damit es zu keinen Verschiebungen oder Substitutionen in Form von anderen Rohstoffen kommt, sagte Benedikt Jacobs vom BUND. Dazu sei ein verlässliches Monitoring notwendig, das den Verbrauch überprüft und regelmäßig veröffentlicht wird. Alle Akteure sollten sehen können, ob die Maßnahmen funktionierten.
“Das Geheimnis ist eine Zieldefinition”, sagte auch Herwart Wilms, Geschäftsführer des Recyclingunternehmens Remondis und Vorsitzender des BDI-Rohstoffausschusses. “Das bringt Dinge in Bewegung.” Konkrete Ziele würden den Herstellern Anreize bieten, weniger Primärrohstoffe zu verwenden und zur Kreislaufwirtschaft beizutragen.
Außerdem brauche es eine treibende finanzielle Steuerung, so Wilms: “Wer ein Produkt so herstellt, dass es recycelbar ist, muss im Markt besser gestellt werden als diejenigen, die das nicht tun.” Morgen findet in Berlin auch der Rohstoffkongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie statt. leo
Die Initiative des Europaparlaments für eine weitreichende Reform des Europawahlrechts droht zu scheitern. Bei einem Treffen der zuständigen Ministerinnen und Minister der EU-Staaten äußerten sich am Dienstag in Luxemburg etliche Teilnehmer kritisch oder sogar klar ablehnend zu vom Parlament vorgelegten Vorschlägen. Für eine Annahme neuer Regeln wäre allerdings eine einstimmige Entscheidung notwendig.
Konkret kritisierten mehrere Staaten unter anderem den Vorschlag, den 9. Mai als europaweiten Wahltag für die Wahl zum Europäischen Parlament festzulegen und neben den Wahlkreisen der Mitgliedstaaten noch einen weiteren EU-weiten Wahlkreis für länderübergreifende Kandidatenlisten zu schaffen. Als Argument gegen den 9. Mai wurde genannt, dass in vielen Ländern traditionell am Sonntag gewählt wird. Ein neuer EU-Wahlkreis könnte nach Ansicht von Kritikern die Identifizierung von Wählern mit dem Parlament und Europa erschweren.
Zu den Vorschlägen des Parlaments zählt auch die Einführung einer Sperrklausel von 3,5 Prozent, die insbesondere deutsche Parteien wie die Freien Wähler, die Satirepartei Die Partei oder die Tierschutzpartei treffen könnte. Diese Maßnahme wurde in der Aussprache am Dienstag nicht kontrovers diskutiert, sie dürfte aber auch nur im Rahmen einer größeren Reform eine Chance auf Umsetzung haben. Die nächste Europawahl ist 2024. dpa
Das EU-Parlament hat weiterhin Zweifel an der Haushaltsführung der skandalumwitterten EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die Abgeordneten verweigerten am Dienstag in Straßburg bereits zum zweiten Mal die sogenannte Entlastung für den Haushalt des Jahres 2020. Die Abgeordneten kritisierten das “Ausmaß des schwerwiegenden Fehlverhaltens” des früheren Frontex-Chefs Fabrice Leggeri. Die Behörde habe die Grundrechte von Migranten und Asylbewerbern nicht ausreichend geschützt. Im Mai hatte das Parlament schon einmal gegen die Entlastung gestimmt.
Das Europaparlament überprüft die Ausgaben aus dem EU-Haushalt durch die verschiedenen Institutionen jedes Jahr. Wird eine Institution wegen Unstimmigkeiten zunächst nicht entlastet, muss sie Empfehlungen des Parlaments folgen. Geschieht dies nicht, kann die Entlastung ganz verweigert werden, was in der Vergangenheit etwa zu Änderungen in der Führungsetage einer Behörde geführt hat. Im Normalfall erteilt das Parlament jedoch die für den Rechnungsabschluss notwendige Entlastung.
Der Vorsitzende der Europa-SPD, Jens Geier, begrüßte die Entscheidung vom Dienstag: “Bis heute hat Frontex zwei der 2021 formulierten Bedingungen für eine Entlastung nicht erfüllt.” Er verwies auf die Einstellung von mindestens 40 Grundrechtebeobachtern bis Dezember 2020 und eine Beendigung der Unterstützung bei Rückführungen aus Ungarn.
Die Vorsitzende des Frontex-Kontrollgremiums des Europaparlaments, Lena Düpont (CDU), sah hingegen positive Entwicklungen bei Frontex und kritisierte: “Diese Verbesserungen in so kurzer Zeit unter den schwierigsten geopolitischen Bedingungen sollten statt einer politisch motivierten Kampagne, die ausschließlich auf eine Schwächung der Agentur abzielt, anerkannt werden.”
Der grüne Europaabgeordnete Erik Marquardt sieht in der Entscheidung hingegen “auch eine Ohrfeige für die EU-Mitgliedstaaten, die Frontex gewähren ließen und europäische Grenzen zu Orten ohne Werte und ohne rechtsstaatliche Prinzipien verkommen ließen”. dpa
Unter dem Eindruck zahlreicher Krisen hat am Dienstag in Schweden eine neue Regierung mit dem Konservativen Ulf Kristersson an der Spitze die Geschäfte übernommen. Seine Koalition aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen übernehme “ein Land, das sich mitten in mehreren parallelen Krisen befindet”, sagte Kristersson am Dienstag im schwedischen Parlament. Damit sprach er unter anderem Schwedens Probleme mit der Bandenkriminalität und die Energiekrise an. “Es ist eine ernste Lage, die noch schlimmer werden kann”, sagte der 58-Jährige.
Zum Regierungsteam des Konservativen gehört mit der 26-jährigen Klima- und Umweltministerin Romina Pourmokhtari das jüngste Kabinettsmitglied, das Schweden je hatte. Das neue Kabinett, das Kristersson am Dienstag vorstellte, besteht neben dem Ministerpräsidenten aus 23 Ministerinnen und Ministern. Zwölf davon entfallen auf Kristerssons konservative Partei Moderaterna, sechs auf die Christdemokraten und fünf auf die Liberalen. 13 sind Männer, elf Frauen.
Neuer schwedischer Außenminister ist der erfahrene konservative Politiker Tobias Billström. Ebba Busch, Parteichefin der Christdemokraten, ist neue Energie- und Wirtschaftsministerin sowie stellvertretende Ministerpräsidentin. Liberalen-Chef Johan Pehrson ist Arbeitsmarkts- und Integrationsminister.
Eines der Hauptprojekte der neuen Regierung ist die Bekämpfung der eskalierenden Bandengewalt in Schweden. Außerdem will die Regierung die Einwanderungspolitik verschärfen und unter anderem die Zahl der Quotenflüchtlinge deutlich auf 900 reduzieren. “Schweden kann nicht weiter so eine große Verantwortung übernehmen”, sagte die neue konservative Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard.
Am Montag war Kristersson zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Er tritt die Nachfolge der Sozialdemokratin Magdalena Andersson an, nachdem sein konservativ-rechtes Lager bei der schwedischen Parlamentswahl am 11. September eine knappe Mehrheit erzielt hatte.
Zweitstärkste politische Kraft waren allerdings nicht Kristerssons Konservative, sondern die rechten Schwedendemokraten geworden. Um auf eine Mehrheit zu kommen, ist die neue Drei-Parteien-Koalition auf die Rechten angewiesen. Die Zusammenarbeit der Minderheitsregierung mit den Schwedendemokraten, die die Parteien in einem gemeinsamen Abkommen festgehalten haben, ist Neuland in Schweden. dpa
Schon ganz zu Beginn gab es kritische Stimmen. Einem hochrangigen EU-Diplomaten entfuhr ein Stoßseufzer, als Josep Borrell 2019 berufen wurde. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte den heute 75-Jährigen als “EU-Außenminister” durchgedrückt, als sich die Staats- und Regierungschefs auf das Personaltableau mit Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin und die anderen Spitzenjobs einigten.
Da war Borrell, der im Dezember dann sein Amt als Hoher Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik antrat, auf Brüsseler Parkett schon kein Unbekannter mehr. Der Katalane war 2004 ins Europaparlament gewählt worden und gleich als Parlamentspräsident durchgestartet. Ein Parlamentspräsident muss viele Reden halten.
2019 wusste man also, dass da einer kommt, der zu blumiger, kraftvoller Sprache neigt, sich an der eigenen Wortmacht ergötzt und dabei gelegentlich völlig undiplomatisch über das Ziel hinausschießt. Eine Kostprobe aus seiner Zeit als spanischer Außenminister im Kabinett Sánchez gefällig? “Die Grenzen sind die Narben, welche die Geschichte in der Haut der Erde hinterlassen hat.” Das sagte Borrell – ein Katalane, der sich gegen eine Abspaltung von Madrid positioniert hat – im Hinblick auf den innerspanischen Konflikt um die Unabhängigkeit der Region im Nordosten.
Die Hälfte der Wahlperiode in Brüssel ist inzwischen um. Nach dem Rücktritt des irischen Handelskommissars Phil Hogan wegen Verstoßes gegen Corona-Regeln ist ausgerechnet der Chefdiplomat zum Problemfall im Team von der Leyen geworden. Er ist derjenige, der immer wieder mit unbedachten Äußerungen aneckt. In seinem Umfeld sind sie jedes Mal alarmiert, wenn Borrell von dem vorbereiteten Redetext abweicht.
In den vergangenen Wochen ist ihm das besonders häufig passiert. Jüngster Stein des Anstoßes: Borrell hatte eine Rede vor Nachwuchsdiplomaten in Brüssel gehalten und dabei eine etwas krude Botanik-Metapher gewählt. Er zeichnete das Bild von Europa, das ein idyllischer Garten sei, und dem Rest der Welt, der einem Dschungel gleiche. Er forderte die nächste Generation von Diplomaten auf, missionarisch tätig zu werden. “Die Gärtner müssen in den Dschungel gehen”, waren seine Worte. “Die Europäer müssen sich viel stärker für den Rest der Welt engagieren.” Andernfalls, so die apokalyptische Warnung, werde die Welt “bei uns” eindringen.
Außer ihm dürfte es kaum jemanden geben, den die Reaktionen auf die Passage überrascht haben: Man warf ihm kolonialistisches Denken vor. Der kanadische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Bob Rae, brandmarkte Borrells Worte als “schreckliche Analogie”. “Die Geschichte und unsere eigenen Erfahrungen lehren uns, dass kein Teil der Welt frei von Gewalt ist.”
Der Wissenschaftler Mohammadbagher Forough vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien kritisierte, dass Borrell die Geschichte der Kolonialisierung nicht richtig verstanden habe: “Aus historischer Sicht war es zumindest in den letzten Jahrhunderten der ‘Garten’, der in den Dschungel eindrang, ihn imperialisierte und kolonisierte.”
Die grüne Europa-Abgeordnete Anna Cavazzini, Chefin des Binnenmarktausschusses, ist fassungslos: “Wie kann der höchste Diplomat der EU eine solche kolonialistische Analogie verwenden? Das ist einfach falsch.”
Wenige Tage zuvor hatte Borrell schon einmal mit einer verunglückten Formulierung Schlagzeilen gemacht: Da wollte er das eigene diplomatische Corps des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) auffordern, schneller und berichtsfreudiger zu werden. Und wählte Worte, die nicht so gut ankamen: “Ich müsste eigentlich der bestinformierte Mensch weltweit sein”, spornte er die Karrierediplomaten an. Die EU unterhalte so viele Delegationen rund um den Globus. Sein Appell: “Senden Sie ein Telegramm, eine Mail – und zwar schnell.” Gern auch mehr Tweets, das werde jetzt immer wichtiger.
Borrell ist nicht der erste Politiker, der sich genötigt fühlt, seinen Aussagen eine Klarstellung folgen zu lassen. Er hat genug Erfahrung im Geschäft, um zu wissen, dass etwa schiefgelaufen ist, wenn eine Klarstellung nötig wird. Anfang der Woche war die Kritik an seinen Botanik-Passagen so heftig, dass er einräumen musste: Er habe sich vielleicht nicht richtig ausgedrückt. Seine Rede sei eigentlich gedacht gewesen als eine “Botschaft gegen die Festung Europa”.
Er habe dafür werben wollen, dass die jungen Europäer in die Welt hinaus gehen, sich dort engagieren und für die Werte der EU und unser Lebensmodell werben. “Ehrlich gesagt, ich verstehe und teile die Interpretation nicht, dass diese Botschaft rassistisch und kolonialistisch sein soll.”
Eine EU-Kommissionssprecherin sicherte am Montag zu, Borrell habe das Vertrauen von Ursula von der Leyen. Ella Joyner
kurz vor dem anstehenden EU-Gipfel hat die Kommission ihr Maßnahmenpaket gegen höhere Energiepreise vorgestellt (über die Vorschläge hat Europe.Table bereits gestern berichtet). Doch die Mitgliedstaaten sind in Bezug auf den Gaspreisdeckel nach wie vor uneins. Die Idee eines dynamischen Preisdeckels, die Antwort der Kommission auf Forderungen nach einer allgemeinen Preisobergrenze für Gas, trifft auf gemischte Reaktionen. Aus Berlin kommt Kritik, die sich insbesondere gegen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen richtet. Auf ein insgesamt positives Echo stieß hingegen der Vorschlag eines gemeinsamen Gaseinkaufs. Manuel Berkel und Till Hoppe fassen den Stand der Debatte zusammen.
Es war eines der großen Wahlkampfversprechen der FDP: Die Liberalen haben sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass der Verbrennungsmotor über 2035 hinaus mit E-Fuels betrieben werden kann. Doch nun zeichnet sich ab, dass daraus nichts wird. Denn die Co-Gesetzgeber planen nach Informationen von Europe.Table, in einer einzigen Trilogsitzung am 27. Oktober einen Kompromiss zu Verbrenner-Aus und Flottengrenzwerten zu erreichen. Damit das gelingt, müssten sie das Thema E-Fuels ausklammern. Doch die Lage ist für die FDP nicht aussichtslos, wie Markus Grabitz analysiert. “Ein paar Telefonate aus dem Kanzleramt würden reichen”, sagt ein Beobachter.
Schon zu Beginn seiner Amtszeit als EU-Außenbeauftragter gab es kritische Stimmen. Denn da war Josep Borrell manchen bereits mit eher undiplomatischen Aussagen aufgefallen. Eine seiner Reden hat nun für heftige Kritik gesorgt. “Die Gärtner müssen in den Dschungel gehen”, hatte er vor Nachwuchsdiplomaten gesagt, wobei mit “Dschungel” offenbar der nicht-europäische Teil der Welt gemeint war. Mehr erfahren Sie im Porträt von Ella Joyner.
Wie ein Appell klangen gestern Teile der Rede Ursula von der Leyens, als die Kommissionspräsidentin das Maßnahmenpaket ihrer Fachleute für niedrigere Energiepreise vorstellte. “Sobald sich der Rat auf diese Grundsätze geeinigt hat, werden wir sie ausarbeiten”, sagte von der Leyen in Straßburg. Gemeint war die Idee der Kommission für einen dynamischen Preisdeckel (Europe.Table berichtete). Gelten soll er für den wichtigsten Gaspreisindex, den niederländischen TTF, nach dem sich viele Gaslieferungen in der EU richten. Es soll die Antwort der Kommission auf Forderungen aus dem Rat sein, schnell einen allgemeinen Preisdeckel auf sämtliche Gaskäufe einzuführen.
Der Rat soll es dann auch sein, der den Preisdeckel beschließt. Als Grundsätze hat die Kommission allerdings eine ganze Reihe von Bedingungen in ihren Verordnungsentwurf geschrieben. So soll der Deckel die Versorgungssicherheit nicht gefährden und davon abhängen, dass weitere Fortschritte beim Gassparen gemacht werden. Falls die Mitgliedstaaten diesen Grundsätzen zustimmen, könnte der Deckel allerdings schnell Erleichterung bringen, versprach von der Leyen. “Der Mechanismus zur Preiskorrektur wird sich dämpfend auf die Gaspreise auswirken und könnte sofort wirksam werden, wenn wir den heutigen Vorschlag konkretisiert haben.”
Sicher ist die Zustimmung der Mitgliedstaaten allerdings noch nicht. “Obwohl Fortschritte in einem noch nie dagewesenen Tempo erzielt werden, sind wir noch weit davon entfernt, Lösungen zu finden, die auf Dauer Bestand haben können“, sagte Spaniens Energieministerin Teresa Ribera am Dienstag. Für einen allgemeinen Gaspreisdeckel sprachen sich erneut Kroatien und Litauen aus.
In der Bundesregierung wird das Paket kritisch gesehen, obwohl die Kommission Forderungen nach dem allgemeinen Gaspreisdeckel gar nicht aufgegriffen hat. Mit den Vorschlägen zum TTF steige das Risiko, dass Gas rationiert und zugeteilt werden müsse, heißt es in Berlin. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen von der Leyen: Diese habe gegen den Rat ihres Kabinettschefs Björn Seibert auf weiterreichende Vorschläge gepocht, sagt ein Diplomat. Ausdrückliche Zustimmung zu den Vorschlägen für den TTF kam dagegen von Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis.
Auf allgemein positives Echo stieß der geplante gemeinsame Gaseinkauf – etwa bei Luxemburg und Österreich. Fachleute in der Kommission sind allerdings noch unsicher, ob die großen Gasunternehmen den Einkauf künftig stärker abstimmen. “Niemand hindert die Unternehmen daran, jetzt schon gemeinsam Gas zu beschaffen“, sagte Oliver Koch aus der Generaldirektion Energie gestern bei einer Veranstaltung der Florence School of Regulation. Er warnte jedenfalls davor, Joint Ventures dadurch zu erleichtern, dass Wettbewerbsregeln aufgeweicht würden. Verbrauchern könnten dann noch höhere Preise drohen.
Weitere Vorschläge des Pakets (Europe.Table berichtete):
Auch über das Wochenende fand die Kommission dagegen keinen Konsens für eine Ausweitung des iberischen Modells für den Elektrizitätsmarkt. Dabei würden die EU-Staaten Gas für die Stromerzeugung subventionieren, um den Strompreis zu subventionieren.
Von der Leyen sagte gestern jedoch zu, sehr wohl weiter an einem Vorschlag zu arbeiten. Zuvor müssten jedoch zwei Punkte gelöst werden: Die Subventionierung von Gaskraftwerken dürfe nicht dazu führen, dass verbilligter Strom in benachbarte Nicht-EU-Staaten fließe. Zudem sei noch nicht geklärt, welche EU-Staaten welchen Teil der Finanzierung tragen würden. Energiekommissarin Kadri Simson nannte eine weitere Bedingung: “Wir können keinen Anstieg des Gasverbrauchs zulassen.”
Angesichts solcher Probleme sprechen die Grünen im EU-Parlament inzwischen von einem Aus. “Das spanische Modell eines fixen Preisdeckels für Gas zur Stromerzeugung ist erstmal vom Tisch, und das ist ein erster Lichtblick”, sagt der Abgeordnete Michael Bloss. “Denn damit sind auch die Milliardensubventionen an Gaskonzerne beerdigt.” Für Anfang 2023 hat die Kommission in ihrem gestern ebenfalls veröffentlichten Arbeitsprogramm allerdings die geplante Reform des Strommarktes terminiert. Ein Ziel auch dort: Die Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis.
In der EVP-Fraktion zeigte sich Zustimmung zu den Plänen der Kommission vom Dienstag. “Der gezielte dynamische Gaspreisdeckel für den Gashandelspunkt TTF und die Vorhaben gegen zu starke Preisschwankungen scheinen auf den ersten Blick als zeitlich befristete Maßnahmen sinnvoll”, sagte die CSU-Abgeordnete Angelika Niebler. “Ob sie die Erwartungen erfüllen, muss eine genaue Prüfung zeigen. In jedem Fall sind solche komplexen Markteingriffe jedoch nur eine Brücke. Ziel muss sein, so schnell wie möglich den geplanten neuen Preisbenchmark für Flüssiggas einzuführen.”
Mehr finanzielle Hilfen forderten die Sozialdemokraten. “Wir benötigen ein europäisches Winter-Solidaritätspaket, um Menschen und Unternehmen angesichts der steigenden Energiekosten über Wasser zu halten”, sagte der Vorsitzende der Europa-SPD, Jens Geier. Er warb außerdem für eine Verstetigung des SURE-Programms aus der Corona-Krise. “EU-Kommission und Mitgliedstaaten sollten das erfolgreiche EU-Programm für Kurzarbeit und damit die Sicherung von Arbeitsplätzen in Krisen zu einem permanenten Abfederungsinstrument ausbauen. Ansonsten läuft dieser soziale EU-Erfolg dieses Jahr aus.” Mit Till Hoppe
Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Nach Informationen von Europe.Table aus Verhandlungskreisen wollen die Unterhändler von Parlament und tschechischer Ratspräsidentschaft den Trilog zu Verbrenner-Aus im Jahr 2035 und CO2-Flottengrenzwerten für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge schon am 27. Oktober abschließen. Ursprünglich war noch ein Termin am 6. Dezember vorgesehen. Der Sitzungsbeginn wurde von den Mittagsstunden am 27. Oktober auf den Nachmittag verschoben. Auch das deutet darauf hin, dass eine Nachtsitzung angepeilt wird, die den Deal bringen soll.
Ein Durchmarsch der Verhandler hätte Folgen für ein Thema, das im letzten Wahlkampf für die FDP eine wichtige Rolle gespielt hat und bis heute zwischen den Ampel-Parteien heftig umstritten ist. Es geht um E-Fuels – nahezu klimaneutral hergestellte synthetische Kraftstoffe, die schon heute von so gut wie allen Fahrzeugen verbrannt werden können. Sie werden als Möglichkeit gesehen, den Fahrzeugbestand zu dekarbonisieren.
Wenn die Verhandlungsführer nächste Woche im Trilog den informellen Kompromiss erzielen wollen, hieße dies, dass sie das Thema E-Fuels ausklammern müssten. Das Wahlversprechen der FDP, in der Bundesregierung dafür zu sorgen, dass der Verbrennungsmotor über 2035 hinaus mit E-Fuels betrieben werden kann, wäre damit kaum mehr erfüllbar.
Zur Erinnerung: Ende Juni hatte die FDP noch triumphiert. Die Umweltminister der 27 Mitgliedsländer hatten nämlich bei der allgemeinen Ausrichtung diese Formulierung beschlossen: “Die Kommission wird einen Vorschlag machen, wie auch nach 2035 Fahrzeuge angemeldet werden können, die mit CO2-freien Kraftstoffen betrieben werden“. Die Passage enthält noch den Zusatz, dass dies “außerhalb der Systematik der CO2-Flottengesetzgebung” geschehen werde.
Diese Formulierung steht aber nicht im Gesetzestext, sondern unter den Erwägungsgründen und hat damit keinen rechtsverbindlichen, sondern rein appellatorischen Charakter. Das Europaparlament hatte den Einsatz von E-Fuels in dem Gesetzestext abgelehnt.
Die FDP feierte die Passage aus dem sogenannten Recital 9 als großen Erfolg. Sie verbreitete zudem die Botschaft, Bundeskanzler Olaf Scholz habe der Kommissionspräsidentin in einem Telefonat das Versprechen abgerungen, dass die Kommission noch einen Vorschlag zur Umsetzung machen werde.
Bislang ist dazu aber nichts gekommen. Der zuständige Vizpräsident Frans Timmermans ist erklärtermaßen kein Anhänger von E-Fuels. Er hat kein Hehl daraus gemacht, dass von ihm kein Vorschlag kommen werde.
Wenige Tage vor dem abschließenden Trilog deutet nichts mehr auf einen Vorstoß in der Sache hin. Als Ursula von der Leyen am Montag zu Gast in der Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten war, waren E-Fuels dem Vernehmen nach gar kein Thema. Die FDP scheint resigniert zu haben. In FDP-Kreisen hört man, es sei schon ein Erfolg, wenn es der Satz zu den E-Fuels als Erwägungsgrund bis in den Gesetzestext schaffe. In Regierungskreisen hieß es, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sei im Gespräch mit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Lemke hat bei dem Thema die Federführung. Und von ihr ist bekannt, dass sie gegen E-Fuels ist.
Die Ausgangslage vor dem entscheidenden Trilog wäre für die FDP zwar schwierig, aber eben nicht aussichtslos. Die Bundesregierung müsste Mitstreiter in den Reihen der Mitgliedstaaten finden, auf einem Non-Paper ein Konzept skizzieren und dafür sorgen, dass es in die Verhandlungen eingespeist wird. “Ein paar Telefonate aus dem Kanzleramt würden reichen”, sagt ein Beobachter.
Aufseiten der Mitgliedstaaten gäbe es durchaus Verbündete. Portugal, Italien, Polen und die Slowakei gelten als interessiert. Selbst die tschechische Ratspräsidentschaft wäre offen, hört man. Zur Rolle von Tschechien als “ehrlicher Makler” – das Land hat noch bis Ende des Jahres die Ratspräsidentschaft inne – passt so ein Vorstoß allerdings eher nicht.
Derzeit spricht aber alles dafür, dass nächste Woche schnell ein Kompromiss gefunden und damit das Thema E-Fuels beendet wird. In der Sache liegen die Co-Gesetzgeber ohnehin nicht weit auseinander: Parlament und Umweltminister tragen den Vorschlag der Kommission mit, ab 2035 keine Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor in der EU zuzulassen. Auch bei dem Abbaupfad für den durchschnittlichen CO2-Ausstoß der Neufahrzeugflotten der Hersteller gibt es kaum Differenzen.
Mit einem Aktionsplan will die EU-Kommission die Digitalisierung des Energiesystems vorantreiben. So soll Europa unabhängig von fossilen Brennstoffen aus Russland werden und die Klimakrise bewältigen. Nicht zuletzt soll die beschleunigte Digitalisierung des Sektors auch dabei helfen, die Energierechnungen der Verbraucher zu senken. Dafür plant die Kommission, das europäische Energiesystem tiefgreifend umzugestalten. Sie sieht neue Regeln für Rechenzentren vor und will Mitgliedstaaten auch gestatten, das energieintensive Krypto-Mining zeitweise zu untersagen.
Der Aktionsplan hat drei Stoßrichtungen:
Um diese Entwicklungen voranzutreiben, plant die Kommission, die bestehende Task-Force Intelligente Netze neu aufzustellen. Die Gruppe wird in Sachverständigengruppe für intelligente Energie umbenannt und über mehr Zuständigkeiten verfügen. Innerhalb dieser Expertengruppe wird die Kommission bis spätestens März 2023 die Arbeitsgruppe Daten für Energie (D4E) einrichten, um einen gemeinsamen europäischen Datenraum für Energie zu entwickeln.
Da Rechenzentren bereits im Jahr 2018 knapp drei Prozent des Strombedarfs in der EU ausmachten und ihr Energieverbrauch zwischen 2020 und 2030 voraussichtlich um 200 Prozent steigen wird, enthält der Aktionsplan verschiedene Maßnahmen zur Bewältigung des Wachstums.
Darüber hinaus wird die Kommission auf einen EU-Verhaltenskodex für die Nachhaltigkeit von Telekommunikationsnetzen hinarbeiten.
Etwa 0,4 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs wird für die Schaffung von Kryptowährungen aufgewandt, Tendenz steigend. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten daher auf, gezielte und ehrgeizige Maßnahmen zur Senkung des Stromverbrauchs von Krypto-Akteuren zu ergreifen. Für den Fall, dass Lastabsenkungen in den Stromnetzen erforderlich werden, müssten die Mitgliedstaaten auch bereit sein, das Mining von Kryptowährungen einzustellen.
Längerfristig will die Kommission außerdem dafür sorgen, dass Steuererleichterungen und andere steuerliche Maßnahmen zugunsten von Krypto-Minern abgeschafft werden, die derzeit in einigen Mitgliedstaaten in Kraft sind. vis
Die EU-Kommission hat die europäischen Regierungen zur Sicherung ihrer 5G-Mobilnetze aufgerufen. “Mitgliedstaaten, die noch keine Beschränkungen für Hochrisikolieferanten erlassen haben, sollten dies unverzüglich tun, da die verlorene Zeit die Anfälligkeit der Netze in der Union erhöhen kann“, schreibt die Kommission in einer Empfehlung zum Schutz kritischer Infrastruktur, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
Unter “Hochrisikolieferant” werden in Brüssel vor allem die chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei und ZTE verstanden. Die Technik von Huawei spielt zwar in vielen europäischen Mobilfunknetzen eine zentrale Rolle, jedoch sieht sich das Unternehmen auf vielen wichtigen Märkten mit einem De-Facto-Ausschluss vom 5G-Ausbau konfrontiert (China.Table berichtete). Der Netzwerkausrüster gilt als technisch hochversiert und auf dem Weltmarkt vergleichsweise günstig im Einkauf. Zweifel gibt es an seiner Vertrauenswürdigkeit; der Konzern steht im Verdacht, für die Geheimdienste seines Landes die Rivalen auszuspionieren und sich Kontrolle über deren kritische Infrastruktur zu verschaffen.
Die EU-Kommission warnt davor, sich auf Angaben der Hersteller zu verlassen. Es sei von “entscheidender Bedeutung”, dass alle EU-Länder die “relevanten Beschränkungen für Hochrisikolieferanten” umsetzten. Zur Begründung verweist die Kommission auf “essenzielle Dienste”, die 5G-Netze übernehmen sollen, sowie auf die “verflochtene Natur digitaler Ökosysteme“. Beschränkungen für Hochrisikoanbieter seien für Schlüsselbereiche des Netzes erforderlich, die von der EU als “kritisch und sensibel” eingestuft wurden.
Zeitgleich mit der Mahnung der EU hat Huawei seine Präsenz in Europa allerdings verstärkt. Der Technologieriese kündigte an, 150 Millionen Euro in sein erstes europäisches Cloud-Zentrum in Dublin zu investieren. In den nächsten zwei Jahren sollen 60 Arbeitsplätze geschaffen werden, bis 2027 soll die Zahl auf 200 steigen. mw
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat dem Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, die Führung der Amtsgeschäfte untersagt. Schönbohm ist seit 2016 Chef der für IT-Sicherheit zuständigen Bonner Behörde, aber kein sogenannter politischer Beamter, der jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden könnte.
Die Gründe, die das BMI für den Schritt anführt, sind strittig: “Hintergrund sind nicht zuletzt die in den Medien bekannten und breit diskutierten Vorwürfe, die das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Neutralität und Unparteilichkeit der Amtsführung als Präsident der wichtigsten deutschen Cybersicherheitsbehörde nachhaltig beschädigt haben.”
Nach Berichterstattung der Satiresendung ZDF Magazin Royal hatte die Ministerin binnen weniger Stunden angekündigt, alle Optionen zu prüfen, einschließlich einer Demission Schönbohms. Anlass dafür waren Kontakte zu einem von ihm 2012 mitgegründeten Verein. In diesem war seit 2020 auch ein aus russischen Geheimdienstkreisen gegründetes Unternehmen Mitglied. Das Innenministerium hatte einen Auftritt Schönbohms im Spätsommer 2022 als Jubiläumsfestredner bei eben diesem Verein genehmigt.
Faeser sieht in den Vorwürfen dennoch ein Problem “in der aktuellen Krisenlage hinsichtlich der russischen hybriden Kriegsführung. Die im Raum stehenden Vorwürfe beeinträchtigen auch das unerlässliche Vertrauensverhältnis der Ministerin in die Amtsführung”, teilt das Innenministerium mit.
Ob die Maßnahme der Ministerin rechtskräftig erfolgt ist, ist offen: Schönbohm kann gegen den Schritt der Ministerin gerichtlich vorgehen und prüfen lassen, ob die Untersagung der Amtsgeschäftsführung gerechtfertigt ist. Solange könnte auch kein Nachfolger für den BSI-Präsidenten ernannt werden. Vorübergehend führt BSI-Vizepräsident Gerhard Schabhüser das Amt. Soweit Schönbohm kein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann, müsste Faeser dann eine adäquate Ersatzverwendung für ihn finden, wenn er nicht ins BSI zurückkehrt.
Der teils skurril anmutende Fall erregt seit Bekanntwerden in ganz Europa Aufmerksamkeit: Das BSI ist als IT-Sicherheitsbehörde europaweit anerkannt und sowohl im Rahmen der Europäischen Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde ENISA als auch in bilateralen Projekten aktiv. Die Bonner Behörde gehört dabei zu den größten ihrer Art in Europa – und arbeitet weitgehend unabhängig. Die Ampelkoalition hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, diese Unabhängigkeit noch weiter auszubauen. fst
Auf dem Rohstoffgipfel des NGO-Netzwerks Arbeitskreis Rohstoffe haben gestern Akteure aus Zivilgesellschaft und Industrie Ziele gefordert, um den Verbrauch von Primärrohstoffen zu reduzieren. Bergbau verletze weltweit und vor allem im globalen Süden Menschenrechte und Umwelt, während in Europa der Bedarf weiter steigt und Ressourcen massiv verschwendet werden. Bei der Veranstaltung in Berlin berichteten auch Aktivistinnen aus Bergbauregionen in Afrika und Südamerika über die Auswirkungen von Bergbauprojekten.
Das Netzwerk, zu dem unter anderem Germanwatch, Power Shift und der BUND gehören, fordert von der Politik eine Obergrenze für den Gesamtrohstoffverbrauch. Ohne ein solches Ziel würde es auch weiterhin keine Fortschritte hin zu einer Kreislaufwirtschaft geben. Bislang betrage der Anteil von recycelten Rohstoffen in der deutschen Produktion insgesamt nur etwa 13 Prozent. In den vergangenen Jahren habe sich kaum etwas getan.
Die Obergrenze müsse aggregiert für alle Stoffströme gelten, damit es zu keinen Verschiebungen oder Substitutionen in Form von anderen Rohstoffen kommt, sagte Benedikt Jacobs vom BUND. Dazu sei ein verlässliches Monitoring notwendig, das den Verbrauch überprüft und regelmäßig veröffentlicht wird. Alle Akteure sollten sehen können, ob die Maßnahmen funktionierten.
“Das Geheimnis ist eine Zieldefinition”, sagte auch Herwart Wilms, Geschäftsführer des Recyclingunternehmens Remondis und Vorsitzender des BDI-Rohstoffausschusses. “Das bringt Dinge in Bewegung.” Konkrete Ziele würden den Herstellern Anreize bieten, weniger Primärrohstoffe zu verwenden und zur Kreislaufwirtschaft beizutragen.
Außerdem brauche es eine treibende finanzielle Steuerung, so Wilms: “Wer ein Produkt so herstellt, dass es recycelbar ist, muss im Markt besser gestellt werden als diejenigen, die das nicht tun.” Morgen findet in Berlin auch der Rohstoffkongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie statt. leo
Die Initiative des Europaparlaments für eine weitreichende Reform des Europawahlrechts droht zu scheitern. Bei einem Treffen der zuständigen Ministerinnen und Minister der EU-Staaten äußerten sich am Dienstag in Luxemburg etliche Teilnehmer kritisch oder sogar klar ablehnend zu vom Parlament vorgelegten Vorschlägen. Für eine Annahme neuer Regeln wäre allerdings eine einstimmige Entscheidung notwendig.
Konkret kritisierten mehrere Staaten unter anderem den Vorschlag, den 9. Mai als europaweiten Wahltag für die Wahl zum Europäischen Parlament festzulegen und neben den Wahlkreisen der Mitgliedstaaten noch einen weiteren EU-weiten Wahlkreis für länderübergreifende Kandidatenlisten zu schaffen. Als Argument gegen den 9. Mai wurde genannt, dass in vielen Ländern traditionell am Sonntag gewählt wird. Ein neuer EU-Wahlkreis könnte nach Ansicht von Kritikern die Identifizierung von Wählern mit dem Parlament und Europa erschweren.
Zu den Vorschlägen des Parlaments zählt auch die Einführung einer Sperrklausel von 3,5 Prozent, die insbesondere deutsche Parteien wie die Freien Wähler, die Satirepartei Die Partei oder die Tierschutzpartei treffen könnte. Diese Maßnahme wurde in der Aussprache am Dienstag nicht kontrovers diskutiert, sie dürfte aber auch nur im Rahmen einer größeren Reform eine Chance auf Umsetzung haben. Die nächste Europawahl ist 2024. dpa
Das EU-Parlament hat weiterhin Zweifel an der Haushaltsführung der skandalumwitterten EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die Abgeordneten verweigerten am Dienstag in Straßburg bereits zum zweiten Mal die sogenannte Entlastung für den Haushalt des Jahres 2020. Die Abgeordneten kritisierten das “Ausmaß des schwerwiegenden Fehlverhaltens” des früheren Frontex-Chefs Fabrice Leggeri. Die Behörde habe die Grundrechte von Migranten und Asylbewerbern nicht ausreichend geschützt. Im Mai hatte das Parlament schon einmal gegen die Entlastung gestimmt.
Das Europaparlament überprüft die Ausgaben aus dem EU-Haushalt durch die verschiedenen Institutionen jedes Jahr. Wird eine Institution wegen Unstimmigkeiten zunächst nicht entlastet, muss sie Empfehlungen des Parlaments folgen. Geschieht dies nicht, kann die Entlastung ganz verweigert werden, was in der Vergangenheit etwa zu Änderungen in der Führungsetage einer Behörde geführt hat. Im Normalfall erteilt das Parlament jedoch die für den Rechnungsabschluss notwendige Entlastung.
Der Vorsitzende der Europa-SPD, Jens Geier, begrüßte die Entscheidung vom Dienstag: “Bis heute hat Frontex zwei der 2021 formulierten Bedingungen für eine Entlastung nicht erfüllt.” Er verwies auf die Einstellung von mindestens 40 Grundrechtebeobachtern bis Dezember 2020 und eine Beendigung der Unterstützung bei Rückführungen aus Ungarn.
Die Vorsitzende des Frontex-Kontrollgremiums des Europaparlaments, Lena Düpont (CDU), sah hingegen positive Entwicklungen bei Frontex und kritisierte: “Diese Verbesserungen in so kurzer Zeit unter den schwierigsten geopolitischen Bedingungen sollten statt einer politisch motivierten Kampagne, die ausschließlich auf eine Schwächung der Agentur abzielt, anerkannt werden.”
Der grüne Europaabgeordnete Erik Marquardt sieht in der Entscheidung hingegen “auch eine Ohrfeige für die EU-Mitgliedstaaten, die Frontex gewähren ließen und europäische Grenzen zu Orten ohne Werte und ohne rechtsstaatliche Prinzipien verkommen ließen”. dpa
Unter dem Eindruck zahlreicher Krisen hat am Dienstag in Schweden eine neue Regierung mit dem Konservativen Ulf Kristersson an der Spitze die Geschäfte übernommen. Seine Koalition aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen übernehme “ein Land, das sich mitten in mehreren parallelen Krisen befindet”, sagte Kristersson am Dienstag im schwedischen Parlament. Damit sprach er unter anderem Schwedens Probleme mit der Bandenkriminalität und die Energiekrise an. “Es ist eine ernste Lage, die noch schlimmer werden kann”, sagte der 58-Jährige.
Zum Regierungsteam des Konservativen gehört mit der 26-jährigen Klima- und Umweltministerin Romina Pourmokhtari das jüngste Kabinettsmitglied, das Schweden je hatte. Das neue Kabinett, das Kristersson am Dienstag vorstellte, besteht neben dem Ministerpräsidenten aus 23 Ministerinnen und Ministern. Zwölf davon entfallen auf Kristerssons konservative Partei Moderaterna, sechs auf die Christdemokraten und fünf auf die Liberalen. 13 sind Männer, elf Frauen.
Neuer schwedischer Außenminister ist der erfahrene konservative Politiker Tobias Billström. Ebba Busch, Parteichefin der Christdemokraten, ist neue Energie- und Wirtschaftsministerin sowie stellvertretende Ministerpräsidentin. Liberalen-Chef Johan Pehrson ist Arbeitsmarkts- und Integrationsminister.
Eines der Hauptprojekte der neuen Regierung ist die Bekämpfung der eskalierenden Bandengewalt in Schweden. Außerdem will die Regierung die Einwanderungspolitik verschärfen und unter anderem die Zahl der Quotenflüchtlinge deutlich auf 900 reduzieren. “Schweden kann nicht weiter so eine große Verantwortung übernehmen”, sagte die neue konservative Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard.
Am Montag war Kristersson zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Er tritt die Nachfolge der Sozialdemokratin Magdalena Andersson an, nachdem sein konservativ-rechtes Lager bei der schwedischen Parlamentswahl am 11. September eine knappe Mehrheit erzielt hatte.
Zweitstärkste politische Kraft waren allerdings nicht Kristerssons Konservative, sondern die rechten Schwedendemokraten geworden. Um auf eine Mehrheit zu kommen, ist die neue Drei-Parteien-Koalition auf die Rechten angewiesen. Die Zusammenarbeit der Minderheitsregierung mit den Schwedendemokraten, die die Parteien in einem gemeinsamen Abkommen festgehalten haben, ist Neuland in Schweden. dpa
Schon ganz zu Beginn gab es kritische Stimmen. Einem hochrangigen EU-Diplomaten entfuhr ein Stoßseufzer, als Josep Borrell 2019 berufen wurde. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte den heute 75-Jährigen als “EU-Außenminister” durchgedrückt, als sich die Staats- und Regierungschefs auf das Personaltableau mit Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin und die anderen Spitzenjobs einigten.
Da war Borrell, der im Dezember dann sein Amt als Hoher Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik antrat, auf Brüsseler Parkett schon kein Unbekannter mehr. Der Katalane war 2004 ins Europaparlament gewählt worden und gleich als Parlamentspräsident durchgestartet. Ein Parlamentspräsident muss viele Reden halten.
2019 wusste man also, dass da einer kommt, der zu blumiger, kraftvoller Sprache neigt, sich an der eigenen Wortmacht ergötzt und dabei gelegentlich völlig undiplomatisch über das Ziel hinausschießt. Eine Kostprobe aus seiner Zeit als spanischer Außenminister im Kabinett Sánchez gefällig? “Die Grenzen sind die Narben, welche die Geschichte in der Haut der Erde hinterlassen hat.” Das sagte Borrell – ein Katalane, der sich gegen eine Abspaltung von Madrid positioniert hat – im Hinblick auf den innerspanischen Konflikt um die Unabhängigkeit der Region im Nordosten.
Die Hälfte der Wahlperiode in Brüssel ist inzwischen um. Nach dem Rücktritt des irischen Handelskommissars Phil Hogan wegen Verstoßes gegen Corona-Regeln ist ausgerechnet der Chefdiplomat zum Problemfall im Team von der Leyen geworden. Er ist derjenige, der immer wieder mit unbedachten Äußerungen aneckt. In seinem Umfeld sind sie jedes Mal alarmiert, wenn Borrell von dem vorbereiteten Redetext abweicht.
In den vergangenen Wochen ist ihm das besonders häufig passiert. Jüngster Stein des Anstoßes: Borrell hatte eine Rede vor Nachwuchsdiplomaten in Brüssel gehalten und dabei eine etwas krude Botanik-Metapher gewählt. Er zeichnete das Bild von Europa, das ein idyllischer Garten sei, und dem Rest der Welt, der einem Dschungel gleiche. Er forderte die nächste Generation von Diplomaten auf, missionarisch tätig zu werden. “Die Gärtner müssen in den Dschungel gehen”, waren seine Worte. “Die Europäer müssen sich viel stärker für den Rest der Welt engagieren.” Andernfalls, so die apokalyptische Warnung, werde die Welt “bei uns” eindringen.
Außer ihm dürfte es kaum jemanden geben, den die Reaktionen auf die Passage überrascht haben: Man warf ihm kolonialistisches Denken vor. Der kanadische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Bob Rae, brandmarkte Borrells Worte als “schreckliche Analogie”. “Die Geschichte und unsere eigenen Erfahrungen lehren uns, dass kein Teil der Welt frei von Gewalt ist.”
Der Wissenschaftler Mohammadbagher Forough vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien kritisierte, dass Borrell die Geschichte der Kolonialisierung nicht richtig verstanden habe: “Aus historischer Sicht war es zumindest in den letzten Jahrhunderten der ‘Garten’, der in den Dschungel eindrang, ihn imperialisierte und kolonisierte.”
Die grüne Europa-Abgeordnete Anna Cavazzini, Chefin des Binnenmarktausschusses, ist fassungslos: “Wie kann der höchste Diplomat der EU eine solche kolonialistische Analogie verwenden? Das ist einfach falsch.”
Wenige Tage zuvor hatte Borrell schon einmal mit einer verunglückten Formulierung Schlagzeilen gemacht: Da wollte er das eigene diplomatische Corps des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) auffordern, schneller und berichtsfreudiger zu werden. Und wählte Worte, die nicht so gut ankamen: “Ich müsste eigentlich der bestinformierte Mensch weltweit sein”, spornte er die Karrierediplomaten an. Die EU unterhalte so viele Delegationen rund um den Globus. Sein Appell: “Senden Sie ein Telegramm, eine Mail – und zwar schnell.” Gern auch mehr Tweets, das werde jetzt immer wichtiger.
Borrell ist nicht der erste Politiker, der sich genötigt fühlt, seinen Aussagen eine Klarstellung folgen zu lassen. Er hat genug Erfahrung im Geschäft, um zu wissen, dass etwa schiefgelaufen ist, wenn eine Klarstellung nötig wird. Anfang der Woche war die Kritik an seinen Botanik-Passagen so heftig, dass er einräumen musste: Er habe sich vielleicht nicht richtig ausgedrückt. Seine Rede sei eigentlich gedacht gewesen als eine “Botschaft gegen die Festung Europa”.
Er habe dafür werben wollen, dass die jungen Europäer in die Welt hinaus gehen, sich dort engagieren und für die Werte der EU und unser Lebensmodell werben. “Ehrlich gesagt, ich verstehe und teile die Interpretation nicht, dass diese Botschaft rassistisch und kolonialistisch sein soll.”
Eine EU-Kommissionssprecherin sicherte am Montag zu, Borrell habe das Vertrauen von Ursula von der Leyen. Ella Joyner