Kaum etwas wird in Brüssel derzeit so hitzig diskutiert wie die Frage, ob Investitionen in Kernkraft und Erdgas als nachhaltig klassifiziert werden sollten. Im Koalitionsvertrag findet sich zur Taxonomie: kein Wort. Was nicht bedeutet, dass die drei Parteien darüber nicht diskutiert und gestritten hätten.
Der Grünen-Unterhändler Sven Giegold etwa hatte ausdrücklich gewarnt, weder Investitionen in Gas noch in Atomenergie dürfen „durch die Aufnahme in die Taxonomie grün gewaschen werden“. SPD und FDP hingegen setzen auf Gas als Brückentechnologie und verhinderten eine klare Positionierung.
Die Grünen fügten sich schließlich und rechtfertigen dies mit höheren Zielen: Der Streit um die Kernkraft dürfe nicht das Verhältnis zu Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und den erwünschten Aufbruch gefährden, sagt Giegold. „Das wäre ein schwerer europapolitischer Fehler.“ Daher wolle man in den kommenden Wochen versuchen, die Kuh vom Eis zu holen – sprich: einen gangbaren Kompromiss zu finden.
Wenig Konkretes im Koalitionsvertrag zu Lieferketten
Hinsichtlich von Umwelt- und Sozialstandards für Lieferketten hat das Ringen der drei Parteien wenig aussagekräftige Formulierungen hervorgebracht. „Wir unterstützen ein wirksames EU-Lieferkettengesetz, basierend auf den UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte, das kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert“, heißt es dazu. Grünen-Handelspolitikerin Anna Cavazzini, eine Verfechterin weitreichender Standards für Unternehmen, verweist auf das Wort „wirksam“. Einzelheiten werde man besprechen, wenn die Kommission ihren bislang für Dezember terminierten Entwurf zum Sorgfaltspflichtengesetz vorgelegt habe (Europe.Table berichtete).
Die Abschnitte zur Handelspolitik tragen hingegen deutlich die Handschrift von Grünen und jenen in der SPD, die die bisher abgeschlossenen Handelsabkommen kritisch sehen. Eine schnelle Ratifizierung der noch anhängigen Verträge mit Kanada, Mercosur und China ist von der Ampel kaum zu erwarten.
So heißt es im Koalitionsvertrag, über die Ratifizierung des Ceta-Abkommens mit Kanada werde die Koalition nach Abschluss der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Dort ist derzeit noch eine Verfassungsbeschwerde der NGOs Foodwatch, Campact und Mehr Demokratie anhängig. Selbst wenn die Karlsruher Richter diese abweisen sollten, ist der Weg für die Ratifizierung des vorläufig in Kraft getretenen Abkommens nicht automatisch frei. Cavazzini wertet dies als „großen Erfolg“: So gewinne man Zeit, um mit der kanadischen Regierung nochmals zu verhandeln, insbesondere über das Investitionsschutzkapitel des Abkommens.
Ampel will beim Mercosur-Abkommen nachverhandeln
Grüne und SPD setzten durch, dass sich die Ampel auch jenseits von Ceta dafür einsetzen will, den Spielraum von Investoren für Klagen einzuschränken. So sollten die Abkommen „den Investitionsschutz für Unternehmen im Ausland auf direkte Enteignungen und Diskriminierungen konzentrieren“. Cavazzini hofft, so die Diskussion in Brüssel über das Thema anzuheizen und ein neues Modellkapitel zum Investitionsschutz zu entwickeln, das in künftige Abkommen einfließt.
Auch beim Abkommen mit den Mercosur-Staaten will die Ampel nachverhandeln. Vor einer Ratifizierung brauche es vonseiten der Partnerländer rechtliche verbindliche Verpflichtungen zum Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsschutz sowie praktisch durchsetzbare Zusatzvereinbarungen zum Schutz und Erhalt bestehender Waldflächen, heißt es im Koalitionsvertrag.
Zudem wolle man sich dafür einsetzen, dass künftige Handelsabkommen, etwa mit Chile, Neuseeland oder Australien, „mit effektiven Nachhaltigkeitsstandards unter Anwendung eines Streitbeilegungsmechanismus ausgestattet“ würden. Auch hier dürfte der Knackpunkt sein, was die drei Partner unter „effektiv“ verstehen – Sanktionen oder auch Dialogformate.