gestern hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Vorschlag für das sechste Sanktionspaket gegen Russland vorgestellt. Er sieht den schrittweisen Ausstieg aus russischem Öl vor. Bei Industrie und Wirtschaftsverbänden stößt der Vorschlag auf ein gemischtes Echo, Experten zweifeln an der Wirkung. Stephan Israel hat die Details.
Was ein Ende der russischen Gasimporte für die europäischen Volkswirtschaften bedeuten würde, darüber wurde viel diskutiert. Zu wenig sei jedoch die Frage behandelt worden, wie man sich auf eine drohende Gasknappheit vorbereiten sollte, schreiben Isabella M. Weber und Karsten Neuhoff im Standpunkt. Ihr Rat: Verhandlungen über einen Notfallplan auf EU-Ebene sollten sofort beginnen. Dabei gelte es, Fragen von Fairness, Solidarität und Legitimität besonders in den Blick zu nehmen.
Während sich chinesische Konzerne öffentliche Bauaufträge etwa für Riesenbrücken sichern, dürfen EU-Firmen in der Volksrepublik bei vergleichbaren Projekten nicht mal bei der Ausschreibung mitbieten. Das will die Kommission nicht länger hinnehmen. Mit einer neuen EU-Verordnung, dem “Instrument für das internationale Beschaffungswesen” (IPI), will sie den Beschaffungsmarkt in China aufbrechen und Billigangebote benachteiligen. Amelie Richter erläutert das Vorhaben und fragt nach den Erfolgsaussichten.
Jetzt sind die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten am Zug. Die Beratungen im Kreis der EU-Botschafter haben noch am Mittwoch begonnen. Am Morgen hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das sechste Sanktionspaket gegen Russland präsentiert. Für eine Einigung im Kreis der Mitgliedstaaten könnte es bis zum Wochenende dauern. Die nötige Einstimmigkeit ist derzeit nicht garantiert.
Ungarn und die Slowakei lehnen den Vorschlag ab, obwohl die EU-Kommission den beiden Ländern deutlich längere Fristen für den Ausstieg beim russischen Öl zugesteht: “Dieses Sanktionspaket würde die Energieversorgung Ungarns völlig unmöglich machen”, sagte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó in einem Video auf seiner Facebook-Seite. Das sei keine Frage mangelnden politischen Willens. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission hätten Ungarn sowie die Slowakei bis Ende 2023 Zeit, Ersatz für Öl aus Russland zu finden.
Das sei leider viel zu wenig, so der slowakische Energieminister Karol Galek. Die Slowakei brauche mindestens bis Ende 2025, um Ersatz für das schwere Rohöl für seine Raffinerien zu finden. Die anderen EU-Staaten müssten die Lieferverträge für russisches Rohöl schon in sechs Monaten und jene für Diesel sowie Benzin bis Ende des Jahres auslaufen lassen.
Weniger kategorisch fallen die Reaktionen der Wirtschaft und wichtiger Branchenverbände aus. Dort scheint man sich schon auf das Öl-Embargo gegen Russland eingestellt zu haben. Als Branche unterstütze man das Vorhaben, bis Ende des Jahres aus russischen Öl-Importen auszusteigen, sagte Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x). Bei einer Veranstaltung der Berliner Energietage betonte er, dass die Auswirkungen eines Öl-Embargos für die Raffinerien in Ostdeutschland schwerer zu verkraften seien als in Westdeutschland. Es stelle sich vor allem die Frage nach Möglichkeiten für Ersatzlieferungen für russisches Öl.
Die Raffinerie Leuna in Sachsen-Anhalt kann laut dem Wirtschaftsverband über eine Pipeline durch den Seehafen Danzig versorgt werden, wenn auch in geringerem Umfang. Die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, die bislang mit russischem Öl durch den Staatskonzern Rosneft beliefert wurde, könnte übergangsweise ebenfalls via Pipeline aus Rostock beliefert werden. Allerdings müsste auch in Schwedt auf Teillast umgestellt werden, da der Lieferumfang aus Rostock nicht die ausfallenden Rosneft-Lieferungen kompensieren könnte.
In Summe würden in den ostdeutschen Regionen Mineralprodukte fehlen, mahnt der Verband. Diese müssten durch Transporte innerhalb Deutschlands und Importe aus dem Ausland ersetzt werden. Übergangsweise könne man mit der Situation umgehen, da Rohölprodukte auf Vorrat bereitstünden. Gemeinsam mit der Teillast der beiden Raffinerien könne der Tankstellenbetrieb aufrechterhalten werden. Allerdings nur erheblicher Belastung der Transportwege, insbesondere der Binnenschifffahrt.
Ähnlich verhalten die Reaktion des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI): “Es gilt das Primat der Politik, wir haben mit diesem Schritt gerechnet.” Dank eines Kraftaktes von Politik und Wirtschaft in den vergangenen Wochen scheine die Versorgung über alternative Bezugsquellen gesichert. Sorgen macht man sich in der Branche aber über die zu erwartenden weiteren Preisanstiege für Rohöl und generell die Rohstoffpreise. Die Wettbewerbsfähigkeit der Branche werde damit mehr und mehr belastet, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Der Verband betont, dass ein Lieferstopp für Erdgas ein deutlich gravierenderes Problem darstellen würde.
Wie immer bei Sanktionen bestehe das Risiko, dass es zu Umleitungen komme, sagt Katsiaryna Kliuyeva von European Shippers Council (ESC). Russland werde andere Abnehmer für sein Öl finden. Moskau gegenüber weniger kritische Länder wie Indien oder China seien logische Destinationen. Wladimir Putin könnte auch versuchen, russisches Öl billiger an ärmere Länder zu verkaufen. Unter der Bedingung, dass sich diese Länder nicht an westlichen Sanktionen beteiligen. Allerdings geht das Sanktionspaket beim Öl über ein reines Importverbot hinaus. Auch Versicherer, Konsulenten und andere Dienstleister im Ölhandel sind im Visier. So könnte es für Reedereien schwierig werden, ihre Tanker zu versichern, wenn sie russisches Öl transportieren.
Damit wäre möglicherweise auch eine andere Gefahr gebannt, vor der Experten im Vorfeld gewarnt haben. Dass nämlich Putin dank steigender Preise vom Öl-Embargo indirekt noch profitieren könnte. Russland könnte zwar nach dem Ausstieg der Europäer weniger verkaufen, aber für die geringeren Mengen mehr Geld bekommen. Auch die Brüsseler Denkfabrik Bruegel hatte unter anderem mit diesem Argument vor einem schrittweisen Ausstieg gewarnt und für Preisobergrenzen oder Abgaben plädiert.
Tatsächlich hat der Markt das Öl-Embargo gegen Russland mit steigenden Preisen teilweise schon vorweggenommen. Der russische Haushalt dürfte durch den hohen Ölpreis in diesem Jahr mehr an Steuern einnehmen als 2021, sagte Jacopo Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Mittelfristig würden Russland aber die Einnahmen aus Europa fehlen. Die große Frage werde sein, wie schnell Moskau andere Abnehmer finden werde.
Das Sanktionspaket dürfte bis zur Verabschiedung durch die EU-Botschafter noch einige Veränderungen erfahren. Sowohl das Öl-Embargo an sich als auch der geordnete Ausstieg bleiben umstritten. Christian Egenhofer von der Brüsseler Denkfabrik Ceps hält das Embargo überhaupt für Symbolpolitik. Was Putin wirklich treffen würde, sei ein Gasembargo. Denn Gas könne nicht einfach umgeleitet werden. Beobachter schließen allerdings nicht aus, dass Putin nun als Reaktion auf das Öl-Embargo nach dem Gasstopp für Bulgarien und Polen auch anderen EU-Staaten den Hahn zudreht.
Doch während es Ungarn und der Slowakei beim Öl zu schnell geht, hatten die baltischen Länder und Polen auf einen sofortigen Ausstieg gedrängt. Ursula von der Leyen versuchte deshalb den schwierigen Balanceakt: Es gehe darum, den Druck auf Russland zu maximieren und den Kollateralschaden für die EU und ihre Partner zu minimieren. Am Ende spielt auch der öffentliche Druck eine Rolle. So ist es schwer verständlich, dass Europa nach wie vor indirekt Putins Krieg mitfinanziert. Mit Lukas Scheid und Ella Joyner
04.05.-06.05.2022, Berlin/ online
Bundeskartellamt, Conference 21st Annual Conference of the International Competition Network
The International Competition Network (ICN) provides a forum for exchange on competition policy, enforcement, and the future of the network. INFOS
06.05.2022 – 12:00-18:00 Uhr, online
HBS, Vortrag Digital Services Act – ein scharfes Schwert gegen Desinformation und Hetze?
Bei der Veranstaltung der Heinrich Böll Stiftung (HBS) geht es unter anderem um die Rolle des Digital Services Act (DSA) für die Zukunft des Internets, seine Wirksamkeit bei digitaler Desinformation und Hass im Netz sowie um den Umgang mit illegalen Inhalten. INFOS & ANMELDUNG
06.05.-07.05.2022, Salzburg (Österreich)/ online
EC, Seminar Global Europe Seminar: Uncertain Future?
The Global Europe Seminar, hosted by the European Commission (EC), will discuss trends and developments on a European and global level in regard to the coronavirus pandemic and the Ukraine war. INFOS
09.05.-10.05.2022, Barcelona (Spanien)
Eurogas, Conference World Hydrogen Decarbonising the Gas Grid
At the conference, strategies for the transformation and implementation of clean gas grids, cutting-edge technologies and successful business models for the decarbonization of gas grids and the development of pure hydrogen grids will be discussed. INFOS & REGISTRATION
09.05.-12.05.2022, Miami Beach (USA)
AI, Conference Aspen Ideas: Climate
Organized by Aspen Ideas (AI), the City of Miami Beach, and partner institutions, the event provides a platform to discuss opportunities for shaping a collective future around the realities of climate change. INFOS & REGISTRATION
10.05.2022 – 09:00-10:00 Uhr, online
CSIS & HBS, Discussion U.S. and European Strategies to Tackle Human Rights in Global Supply Chains
The Center for Strategic & International Studies (CSIS) and the Heinrich Böll Foundation (HBS) are hosting a discussion on EU and U.S. policy tools to ensure the reliability and sustainability of supply chains and minimize the risk of human rights violations. INFOS & REGISTRATION
10.05.2022 – 10:00-16:00 Uhr, Berlin/ online
BMBF, Konferenz Fona-Forum 2022
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) veranstaltete Forum soll einen Einblick geben, inwiefern die Strategie zur Forschung für Nachhaltigkeit (FONA) grüne Innovationen vorantreibt, und eine Plattform für Austausch bieten. INFOS & ANMELDUNG
10.05.2022 – 11:00-12:00 Uhr, online
TÜV Rheinland, Seminar Compliance und Nachhaltigkeit in der Lieferkette – Herausforderung und Zukunftschance
Die Referentin gibt eine Übersicht der aktuellen Rechtslage in Deutschland und der EU zum Thema Lieferketten mit den Schnittstellen zu Compliance, Nachhaltigkeit und ISO-Normen. ANMELDUNG
10.05.2022 – 15:00-16:30 Uhr, online
Digital Europe, Panel Discussion Mind the Gap: Empowering Europe through Connectivity
This Digital Europe event will explore Europe’s connectivity strategy and goals and discuss how 5G can become a reality in Europe. The new study on the state of connectivity in Europe will also be presented. INFOS & REGISTRATION
10.05.2022 – 19:00-20:30, online
Polis 180, Diskussion Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Bei diesem Treffen soll über aktuelle Entwicklungen in der Sicherheitspolitik und die internationale Sicherheitslage informiert und diskutiert werden. INFOS & ANMELDUNG
10.05.-11.05.2022, Berlin/ online
Handelsblatt, Konferenz Stadtwerke 2022 – Mit Energie in die Zukunft
Welche Anpassungen müssen Stadtwerke und Kommunen vornehmen, um Energieunabhängigkeit und Versorgungssicherheit zu erreichen? Lassen sich diese Anpassungen mit den Klimazielen vereinbaren? Diese Fragen werden bei der Stadtwerke-Konferenz beleuchtet. INFOS & ANMELDUNG
10.05.-11.05.2022, Berlin
BvD, Konferenz BvD-Verbandstage
Die Themen der Verbandstage des Berufsverbandes der Datenschutzbeauftragten Deutschlands (BvD) sind digitale Mobilität, Datensouveränität des Individuums, Datenschutz in Zeiten von Cybercrime und die Digitalisierung in Deutschland. INFOS & ANMELDUNG
Chinesische Konzerne greifen sich öffentliche Bauaufträge für Riesenbrücken in Kroatien, in der Volksrepublik dürfen EU-Firmen aber bei ähnlichen Projekten nicht einmal bei der Ausschreibung mitbieten. Genau das soll sich durch das “Instrument für das internationale Beschaffungswesen” (IPI) ändern. Mit der neuen EU-Verordnung will die Kommission den Beschaffungsmarkt in China aufbrechen. Gleichzeitig will sie Billigangebote aus China bei öffentlichen Ausschreibungen benachteiligen.
Über IPI soll bereits im Juni im Europaparlament abgestimmt werden. Dann fehlt nur noch das grüne Licht des EU-Rats, bevor die neuen Vorgaben formal beschlossen sind und in Kraft treten können.
Konkret ist der Plan: Wenn sich ein Drittstaat wie China weigert, seinen öffentlichen Beschaffungsmarkt für EU-Anbieter im gleichen Ausmaß zu öffnen wie die EU, drohen Sanktionen. So können die Angebote aus China entweder komplett von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden oder bekommen einen Preisaufschlag obendrauf. Für einen Ausschluss bedarf es einer qualifizierten Mehrheit der EU-Regierungen. Das sind zwei Drittel der Mitgliedsstaaten. Geht es dagegen nur um einen Preisaufschlag, wird dieser von Brüssel aus angewiesen. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen und auch nicht bei jeder Ausschreibung.
In China gebe es bisher “null Bereitschaft, den Markt zu öffnen”, sagte der für das IPI federführende EU-Abgeordnete Daniel Caspary (CDU) bei einer Pressekonferenz nach der Einigung des EU-Parlaments und des EU-Rats. Der EU gehe es mit dem neuen Instrument nicht darum, den europäischen Markt für Drittstaaten zu schließen, sondern vielmehr darum, andere Länder zu ermutigen, sich zu öffnen. Aber: “Wir wollen im Zweifel wehrhaft sein und Druck ausüben”, so Caspary. Er betonte, dass China mit billigen Aufträgen im Ausland auch Know-how ins eigene Land abziehen wolle.
Die große Frage ist jedoch, ob solche Strafen wirklich dazu führen werden, dass China seine öffentlichen Ausschreibungen für die Europäer öffnet. Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ist noch skeptisch. Grundsätzlich seien die Auswirkungen schwer einzuschätzen.
Matthes sieht in der Volksrepublik derzeit zwei gegensätzliche Entwicklungen, die den von der EU gewünschten Erfolg des IPI beeinflussen: Einerseits gebe es in China kleine Liberalisierungsschritte, etwa für ausländische Investitionen und Joint-Venture-Bestimmungen oder im Rahmen des Abkommens Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP). Auch bei den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bewege sich zumindest auf dem Papier etwas, so Matthes. “Das ist die eine Seite, wo wir durchaus hier und da positive Entwicklungen in den letzten Jahren gesehen haben.”
Auf der anderen Seite wolle China zunehmend autark werden, etwa durch die “Made in China 2025”-Politik, so der Wirtschaftswissenschaftler. Im Auge habe Peking dabei eine Reihe von Hochtechnologie-Bereichen, unter anderem die Medizintechnik. “Hier gab es sogar noch weitere Einschränkungen für die öffentliche Beschaffung durch Vorgaben zum Domestic Content”, so Matthes.
Laut diesen Vorschriften zur heimischen Wertschöpfung sollen bei der öffentlichen Beschaffung bevorzugt Produkte und Hersteller aus der Volksrepublik gewählt werden. Provinzen wie Zhejiang und Guangdong haben beispielsweise Weiße Listen für die Einfuhr von Medizinprodukten veröffentlicht. Staatliche Krankenhäuser dürfen dort keine importierten Medizinprodukte anschaffen, die nicht auf der Liste stehen. Ausländische Unternehmen werden es in den Bereichen mit Fokus auf “Domestic Content” in Zukunft noch schwerer haben, in Ausschreibungen den Zuschlag zu bekommen, ist sich Matthes sicher.
Der Markt für öffentliche Beschaffung von Medizintechnik ist ein Paradebeispiel für die zunehmend autark ausgerichtete Politik Chinas: “Die chinesischen Importe von Medizintechnikgütern aus der EU, den USA und der Schweiz sind im vergangenen Jahr zurückgegangen. Darüber hinaus ist der Rückgang der chinesischen Importe von Medizintechnik insbesondere bei der zentralstaatlich beschafften Medizintechnik zu beobachten”, schreiben Forscher:innen der Denkfabrik Europäisches Zentrum für internationale politische Ökonomie (ECIPE) in einer Studie. Für diese wurden öffentliche Ausschreibungen in der Medizintechnik in China genauer betrachtet. Chinesische Firmen konnten sich im beobachteten Zeitraum zwischen 2019 und 2021 demnach bei 68 Prozent der Ausschreibungen durchsetzen – Tendenz steigend, wie ECIPE schreibt.
Weil das IPI mehr Reziprozität schaffen könnte, fällt Matthes ein insgesamt verhalten optimistisches Urteil: “Die Chancen, dass sich in China etwas zum Vorteil europäischer Unternehmen in der öffentlichen Beschaffung tut, ist mit IPI definitiv größer als ohne.”
Auch für den EU-Markt sei das neue Instrument unverzichtbar, so Matthes. Denn oft gingen chinesische Anbieter mit Dumpingpreisen in den Beschaffungsmarkt. Das ließe sich verhindern, wenn die EU das IPI – nach vergeblichen Verhandlungen mit China – tatsächlich umsetzt. Zudem sei allein die Geschlossenheit der EU ein Zeichen an Peking. Auch wenn EU-Vertreter betonen, es handele sich nicht um ein “Lex China”.
Wie sich die Vorgaben aus Brüssel letztlich konkret in der öffentlichen Beschaffung niederschlagen, sei noch offen, sagt Matthes. “Das hängt auch davon ab, wie die Verwaltungsfachleute in den Kommunen das IPI bei ihren öffentlichen Ausschreibungen in die Praxis umsetzen.” Eine kritische Debatte über Chinas Rolle in der europäischen Wirtschaft könne dabei zu mehr Sensibilität gegenüber chinesischen Dumping-Offerten führen. Daher spricht Matthes sich für mehr China-Kompetenz auch auf regionaler und lokaler Ebene aus, wo Entscheidungen fallen.
Kritiker sehen in dem neuen Vergabe-Instrument zunehmenden Protektionismus der EU. Sie fürchten, dass das Instrument EU-Märkte gegen China abschotten werde, ohne dass sich in der Volksrepublik die Dinge positiv ändern. Die Behauptung, der chinesische Markt sei nicht offen genug für Firmen aus der EU, sei eine “Verzerrung der Fakten”, sagte der für Handel zuständige Minister bei der EU-Vertretung Chinas, Peng Gang, bei einer Online-Veranstaltung der EU-China Business Association (EUCBA).
Unternehmen aus der EU haben in China einen guten Ruf und seien deshalb durchaus sehr gefragt. Das ginge sogar so weit, dass chinesische Lokalregierungen Firmen aus der Heimat “diskriminierten”, weil sie lieber mit ausländischen Anbietern arbeiten wollten, so Peng Gang. “IPI ist bisher nicht implementiert, die Auswirkungen werden erst die Zeit zeigen”, sagt der Minister.
Kommunen sollen künftig verbindlich eine Wärmeplanung erarbeiten. Eine entsprechende rechtliche Änderung kündigte Abteilungsleiter Christian Maaß aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) am Mittwoch bei den Berliner Energietagen an. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel lediglich vereinbart, sich für eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung einzusetzen. Für Kommunen bestimmter Größe sind Wärmepläne bereits durch ein Landesgesetz in Baden-Württemberg vorgesehen. Mit diesem Instrument wird in erster Linie der Ausbau von Fernwärmenetzen geplant oder der Umbau von bestehenden Netzen auf den Betrieb mit erneuerbaren Energien.
Zur beihilferechtlichen Genehmigung der entsprechenden Bundesförderung für effiziente Wärmenetze steht das Ministerium laut Maaß in engem Kontakt mit der EU-Kommission. Sobald Berlin die Genehmigung erhalte, werde die Förderung umgesetzt.
Der schnellere Ausbau von Wärmenetzen für erneuerbare Energien steht in Konkurrenz zur weiteren Nutzung von und Erhaltungsinvestitionen in kommunale Gasverteilnetze. Zum Teil seien diese Assets noch nicht abgeschrieben, hatte einen Tag zuvor Kerstin Andreae gemahnt, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Bundesnetzagentur (BNetzA) habe dieses Problem noch nicht adressiert, sagte Andreae. Die Energiewirtschaft brauche eine Regulierung, mit der die Abschreibung bestehender Netze und gleichzeitig die Investition in neue Infrastrukturen funktioniere. ber
Der Wandel weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien werde sich beschleunigen, prognostizierte Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x), bei den Berliner Energietagen. Aber man müsse auf dem Weg dorthin technologieoffen agieren, forderte er die Politik auf. Die eine Lösung gebe es nicht, es brauche vielmehr eine Vielzahl von Angeboten alternativer Flüssigkraftstoffe: von fortschrittlichen Biokraftstoffen ohne Nahrungskonkurrenz über synthetische Kraftstoffe bis hin zu Wasserstoff.
Ob man beispielsweise in Leuna, eine der beiden Ölraffinerien in Ostdeutschland, künftig sogenannte E-Fuels auf Wasserstoff-Basis herstellen kann, hänge von der EU-Definition von grünem Wasserstoff ab, sagte Thomas Behrends, der Geschäftsführer der Leuna-Raffinerie. Er schickt damit eine klare Forderung nach Brüssel, der Mineralölindustrie die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Transformation zu geben.
Bei der Überarbeitung der Renewable Energy Directive (RED III) erhofft sich die Branche in dieser Hinsicht endlich Klarheit. Denn solange nicht geklärt ist, welche Technologien später auch als “grün” gelten, kann die Hochskalierung nicht starten. In Leuna hofft man auf eine möglichst breite Begriffsdefinition. Denn, so Behrends, man baue bestehende Anlagen bereits um, um mit grünem Wasserstoff synthetische Kraftstoffe beispielsweise für den Einsatz in Flugzeugtanks herzustellen.
Damit sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF) allerdings marktreif und preislich konkurrenzfähig werden (Europe.Table berichtete), müsse man aus Demonstrationsmaßstäben endlich in die industrielle Produktion kommen, fordert Melanie Form. Sie sitzt im Vorstand der Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany (AIREG), einer NGO, die sich für den Hochlauf von SAF einsetzt.
Derzeit kosten SAF noch das Zwei- bis Sechsfache, verglichen mit herkömmlichem fossilen Kerosin. Aber: Gelingt der Markthochlauf, sinken auch die Preise, so die Idee. Das hat auch die Politik eingesehen. Bernd Westphal, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft, kündigte an, alle Potenziale nutzen zu wollen, um aus der Pilotphase herauszukommen und den Hochlauf zu schaffen. Beim Luftverkehr sei die Zahlungsbereitschaft für teurere, aber grüne Kraftstoffe ohnehin vorhanden. Melanie Form glaubt, dass auch Passagiere für mehr Klimaschutz zahlen würden, so wie sie es beim Heizen von Gebäuden bereits tun. luk
Die Bundesregierung plädiert dafür, es den Aufsichtsbehörden zu erleichtern, Unternehmen bei schwerwiegenden Verstößen zu zerschlagen. “Meiner Meinung nach sollten wir in der EU darüber nachdenken, strukturelle Maßnahmen und Instrumente zu stärken”, sagte Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold gestern bei einer Kartellrechtskonferenz. Der Grünen-Politiker forderte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auf, dies bei der geplanten Reform der Vorschriften zu berücksichtigen.
Auch die Regeln für die Fusionskontrolle der EU bedürften einer Aktualisierung, so Giegold. Dies gelte insbesondere, um sogenannte Killerakquisitionen zu verhindern, bei denen Großkonzerne kleine Rivalen aufkaufen. “Wir brauchen hier eine Reform”, so Giegold. Es sei unverständlich, dass sich die Kommission dagegen wehre.
Vestager hatte vor einiger Zeit angekündigt, die als Verordnung 1/2003 bekannten Regeln für die Missbrauchsaufsicht zu überarbeiten (Europe.Table berichtete). Diese sind die Grundlage für die Wettbewerbsverfahren, in denen Vestager gegen Unternehmen wie Google, Apple und Amazon vorgegangen ist und teils Bußgelder in Milliardenhöhe verhängt hat. “Marktuntersuchungen und strukturelle Abhilfemaßnahmen sollten auch bei der anstehenden Überprüfung der Verordnung 1/2003 auf dem Tisch liegen”, sagte Giegold. Dieser Aspekt komme leider auch beim Digital Markets Act zu kurz.
Giegold sagte, die Bundesregierung plane auch, dem Kartellamt mehr Befugnisse zu geben. “Wir werden bei der Reform des nationalen Wettbewerbsrechts prüfen, ob wir dem Bundeskartellamt bei seinen marktinternen Untersuchungen mehr Flexibilität einräumen.” tho/rtr
Das Europaparlament will einen Verfassungskonvent für eine umfassende Reform der Europäischen Union auf den Weg bringen. Das Parlament verabschiedete am Mittwoch in Straßburg eine Erklärung, die sicherstellen soll, dass die Ergebnisse eines einjährigen Bürgerdialogs zur Zukunft der EU umgesetzt werden. Dabei ging es zwischen Bürgern sowie Vertretern von Parlament, Mitgliedstaaten und EU-Kommission um Ideen, wie die EU weiterentwickelt werden kann. Heraus kamen 325 konkrete Vorschläge.
In der Erklärung heißt, man müssse die Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas einhalten und die Erwartungen der Bürger erfüllen. Dazu gehören etwa die Forderungen, in fast allen Politikbereichen das Prinzip der Einstimmigkeit aufzugeben, dem Europaparlament ein Initiativrecht für Gesetzesvorschläge zu gewähren sowie nach deutlich mehr EU-Kompetenzen in den Bereichen Gesundheits- und Sozialpolitik.
Dazu sind Änderungen der EU-Verträge erforderlich. Sie können durch einen Verfassungskonvent geändert werden, an dem Vertreter der nationalen Parlamente und Regierungen sowie des Europaparlaments und der Kommission teilnehmen. Etliche Länder äußerten gegen Bedenken gegen solche Änderungen. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP zeigt sich im Koalitionsvertrag offen dafür.
Sollte der zuständige Ausschuss im Europaparlament nun den Prozess für einen Konvent starten, müsste das Plenum des Parlaments noch zustimmen. Dies könnte im Juni geschehen. Anschließend müsste noch die Mehrheit der EU-Staaten das Vorhaben billigen. dpa

Was würde eine Beendigung der russischen Gasimporte für die europäischen Volkswirtschaften bedeuten? Die Ökonomen sind in dieser Frage völlig unterschiedlicher Meinung. Zwar sind sich alle einig, dass sie negative Folgen hätte, doch wie gravierend wären diese? Die Vorhersagen reichen von einer milden Rezession bis hin zu einer wirtschaftlichen Katastrophe und Massenarbeitslosigkeit.
Viel geistige Energie wurde dafür aufgewandt, die Größenordnung der potenziellen BIP-Verringerungen einzuschätzen. Deutlich weniger wurde darüber gesagt, wie man sich auf die Gasknappheit vorbereiten sollte, die auf einen russischen Lieferstopp folgen kann. Das ist so, als prognostiziere man das Ausmaß der Schäden, die ein Orkan anrichten wird, statt sich tatsächlich auf ihn vorzubereiten.
Nun jedoch, da Russland seine Lieferungen von Gas an Polen und Bulgarien ausgesetzt hat (Europe.Table berichtete), haben die Politiker und Kommentatoren in Europa keine Wahl mehr. Sie müssen den Fokus von Kritteleien über voraussichtliche Ergebnisse (die niemand präzise vorhersagen kann) auf die Begrenzung der tatsächlichen Folgen einer potenziellen Gasverknappung verlagern. Alle europäischen Gasanbieter – nicht nur die Produzenten in der Europäischen Union, sondern auch benachbarte Länder, die Gas per Pipeline liefern, sowie Exporteure von Flüssigerdgas – operieren bereits mit voller Kapazität. Das überwiegend per Pipeline aus Russland gelieferte Gas macht 40 Prozent des Angebots in Europa aus. Sollte dieses Angebot unterbrochen werden – was durchaus passieren könnte -, müsste der EU-Gasverbrauch deutlich reduziert werden.
Im Prinzip können drei Mechanismen zu einem geringeren Verbrauch beitragen: hohe Preise, staatliche Programme und Zwangsrationierung. Aus unserer Sicht wird der Preismechanismus allein zur Bewältigung der Verknappung nicht ausreichen. Die Gaspreise in Europa haben bereits Höchststände erreicht, und die Gaseinsparungen sind noch lange nicht ausreichend. Weitere Preiserhöhungen würden die Inflation verschärfen und die Armen am härtesten treffen. Und weil eine Zwangsrationierung ein letztes Mittel sein sollte, sind wir der Meinung, dass der dritten Möglichkeit – Regierungsinitiativen – mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.
In einem aktuellen Dossier für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sprechen wir uns für einen Notfallplan auf EU-Ebene aus, um Einsparungen beim Gasverbrauch zu erreichen. Um den drohenden populistischen Herausforderungen von rechts die Spitze zu nehmen, muss jeder derartige Plan öffentliche Unterstützung genießen und als fair wahrgenommen werden. Ohne breite Einbeziehung der betroffenen Gruppen und Solidarität auf EU-Ebene wird es privilegierten Gruppen viel besser ergehen als anderen, was die bestehenden Ungleichheiten vergrößern und die Spannungen in und zwischen den europäischen Gesellschaften verschärfen wird.
Obwohl die EU einige Notfallrichtlinien für die Stromversorgung und die Infrastruktur hat, ist keine davon geeignet, das Ausmaß der potenziellen Verknappungen zu steuern, die auf eine plötzliche monatelange Aussetzung der russischen Gaslieferungen folgen würden. Die meisten bestehenden Mechanismen sind auf kurzfristige Unterbrechungen ausgelegt, die durch Extremwetter oder Technologieversagen verursacht sind, und haben das Ziel, die privaten Haushalte zu schützen. Sie unterwerfen daher Nutzer aus der Industrie einer Zwangsrationierung.
Doch bei einer monatelangen Unterbrechung ist eine Stilllegung der energieintensiven Industriesektoren der europäischen Volkswirtschaft nicht praktikabel. Sie könnte schwerwiegende Dominoeffekte haben, darunter eine zusätzliche Belastung der weltweiten Lieferketten, mit potenziell weitreichenden Auswirkungen auf Inflation und Wachstum.
Gaseinsparungen in einem ausreichenden Maßstab müssten daher beträchtliche Beiträge von allen Gruppen von Gasnutzern umfassen: den privaten Haushalten, der Dienstleistungswirtschaft und der Industrie. Dies würde klare Ziele und eine faire Lastenteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten, zwischen den privaten Haushalten und zwischen Haushalten und industriellen Nutzern erfordern. Doch um politisch akzeptabel und einsatzbereit zu sein, müssen derartige Ziele vorbeugend ausgehandelt werden.
Darüber hinaus sollten Gebäude mit Gasheizungen zusätzlich wärmeisoliert werden, solange noch Zeit dafür ist. Dies ist ein groß angelegtes Unterfangen, das einen Notinvestitionsplan erfordert. Zusätzliche Einsparungen lassen sich durch eine Neueinstellung von Heizanlagen erzielen, doch bedarf es auch einiger schwieriger Verhaltensanpassungen. So können die Europäer ihren Gasverbrauch mit jeder Verringerung der Zimmertemperatur um 1 Grad um rund 10 Prozent verringern, und weitere Einsparungen lassen sich erzielen, indem nicht bewohnte Räume ungeheizt bleiben.
Die Menschen zum Gassparen aufzufordern, wirft wichtige Verteilungs- und Legitimitätsfragen auf. Um sich der Unterstützung der Bevölkerung zu versichern, werden die Regierungen überzeugende Argumente für konzertiertes Handeln vorbringen müssen. Ihre Pläne müssen faire Methoden zur Lastenteilung, Unterstützung und Anleitung zur Realisierung von Einsparungen, Maßnahmen zur Sicherstellung von Transparenz sowie gegebenenfalls Durchsetzungsmechanismen umfassen.
Dieser Prozess wird einfacher und wirksamer ausfallen, wenn die EU-Regierungen die Ziele für Gaseinsparungen gemeinsam beschließen und jeder Mitgliedstaat sich zur Übernahme eines fairen Anteils verpflichtet. Sollten Verknappungen auftreten, ohne dass es einen Notfallplan gibt, dürfte eine ungeordnete Lastenverteilung den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft disproportionalen Schaden zufügen.
Angesichts des breiten Spektrums betroffener Gruppen sollten Verhandlungen über Notfallpläne sofort beginnen. Gaseinsparziele und -maßnahmen werden unweigerlich das Rückgrat jeder EU-Reaktion auf eine Unterbrechung sein. Sie werden glaubwürdiger sein, wenn sie parallel zu Notfallplänen für eine Rationierung und zusätzlichen Solidarmaßnahmen vereinbart werden. Die Wirtschaftspolitik muss sich die Logik der Katastrophenvorsorge zu eigen machen und Fragen der Fairness, Solidarität und Legitimität besondere Aufmerksamkeit schenken.
Eine Verlagerung des Fokus von der Wirtschaftsprognostik auf die Katastrophenvorsorge könnte sich für Europas Fähigkeit zur Bewältigung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kosten einer Unterbrechung der Gaslieferungen als entscheidend erweisen. Die Aufgabe der Politik besteht darin, mehr als nur preisgestützte Reaktionen auf den Mangel zu entwickeln, um sicherzustellen, dass jeder seinen fairen Beitrag leistet, und um den Schaden weitestmöglich zu begrenzen.
In Kooperation mit Project Syndicate, 2022. Aus dem Englischen von Jan Doolan.
gestern hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Vorschlag für das sechste Sanktionspaket gegen Russland vorgestellt. Er sieht den schrittweisen Ausstieg aus russischem Öl vor. Bei Industrie und Wirtschaftsverbänden stößt der Vorschlag auf ein gemischtes Echo, Experten zweifeln an der Wirkung. Stephan Israel hat die Details.
Was ein Ende der russischen Gasimporte für die europäischen Volkswirtschaften bedeuten würde, darüber wurde viel diskutiert. Zu wenig sei jedoch die Frage behandelt worden, wie man sich auf eine drohende Gasknappheit vorbereiten sollte, schreiben Isabella M. Weber und Karsten Neuhoff im Standpunkt. Ihr Rat: Verhandlungen über einen Notfallplan auf EU-Ebene sollten sofort beginnen. Dabei gelte es, Fragen von Fairness, Solidarität und Legitimität besonders in den Blick zu nehmen.
Während sich chinesische Konzerne öffentliche Bauaufträge etwa für Riesenbrücken sichern, dürfen EU-Firmen in der Volksrepublik bei vergleichbaren Projekten nicht mal bei der Ausschreibung mitbieten. Das will die Kommission nicht länger hinnehmen. Mit einer neuen EU-Verordnung, dem “Instrument für das internationale Beschaffungswesen” (IPI), will sie den Beschaffungsmarkt in China aufbrechen und Billigangebote benachteiligen. Amelie Richter erläutert das Vorhaben und fragt nach den Erfolgsaussichten.
Jetzt sind die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten am Zug. Die Beratungen im Kreis der EU-Botschafter haben noch am Mittwoch begonnen. Am Morgen hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das sechste Sanktionspaket gegen Russland präsentiert. Für eine Einigung im Kreis der Mitgliedstaaten könnte es bis zum Wochenende dauern. Die nötige Einstimmigkeit ist derzeit nicht garantiert.
Ungarn und die Slowakei lehnen den Vorschlag ab, obwohl die EU-Kommission den beiden Ländern deutlich längere Fristen für den Ausstieg beim russischen Öl zugesteht: “Dieses Sanktionspaket würde die Energieversorgung Ungarns völlig unmöglich machen”, sagte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó in einem Video auf seiner Facebook-Seite. Das sei keine Frage mangelnden politischen Willens. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission hätten Ungarn sowie die Slowakei bis Ende 2023 Zeit, Ersatz für Öl aus Russland zu finden.
Das sei leider viel zu wenig, so der slowakische Energieminister Karol Galek. Die Slowakei brauche mindestens bis Ende 2025, um Ersatz für das schwere Rohöl für seine Raffinerien zu finden. Die anderen EU-Staaten müssten die Lieferverträge für russisches Rohöl schon in sechs Monaten und jene für Diesel sowie Benzin bis Ende des Jahres auslaufen lassen.
Weniger kategorisch fallen die Reaktionen der Wirtschaft und wichtiger Branchenverbände aus. Dort scheint man sich schon auf das Öl-Embargo gegen Russland eingestellt zu haben. Als Branche unterstütze man das Vorhaben, bis Ende des Jahres aus russischen Öl-Importen auszusteigen, sagte Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x). Bei einer Veranstaltung der Berliner Energietage betonte er, dass die Auswirkungen eines Öl-Embargos für die Raffinerien in Ostdeutschland schwerer zu verkraften seien als in Westdeutschland. Es stelle sich vor allem die Frage nach Möglichkeiten für Ersatzlieferungen für russisches Öl.
Die Raffinerie Leuna in Sachsen-Anhalt kann laut dem Wirtschaftsverband über eine Pipeline durch den Seehafen Danzig versorgt werden, wenn auch in geringerem Umfang. Die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, die bislang mit russischem Öl durch den Staatskonzern Rosneft beliefert wurde, könnte übergangsweise ebenfalls via Pipeline aus Rostock beliefert werden. Allerdings müsste auch in Schwedt auf Teillast umgestellt werden, da der Lieferumfang aus Rostock nicht die ausfallenden Rosneft-Lieferungen kompensieren könnte.
In Summe würden in den ostdeutschen Regionen Mineralprodukte fehlen, mahnt der Verband. Diese müssten durch Transporte innerhalb Deutschlands und Importe aus dem Ausland ersetzt werden. Übergangsweise könne man mit der Situation umgehen, da Rohölprodukte auf Vorrat bereitstünden. Gemeinsam mit der Teillast der beiden Raffinerien könne der Tankstellenbetrieb aufrechterhalten werden. Allerdings nur erheblicher Belastung der Transportwege, insbesondere der Binnenschifffahrt.
Ähnlich verhalten die Reaktion des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI): “Es gilt das Primat der Politik, wir haben mit diesem Schritt gerechnet.” Dank eines Kraftaktes von Politik und Wirtschaft in den vergangenen Wochen scheine die Versorgung über alternative Bezugsquellen gesichert. Sorgen macht man sich in der Branche aber über die zu erwartenden weiteren Preisanstiege für Rohöl und generell die Rohstoffpreise. Die Wettbewerbsfähigkeit der Branche werde damit mehr und mehr belastet, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Der Verband betont, dass ein Lieferstopp für Erdgas ein deutlich gravierenderes Problem darstellen würde.
Wie immer bei Sanktionen bestehe das Risiko, dass es zu Umleitungen komme, sagt Katsiaryna Kliuyeva von European Shippers Council (ESC). Russland werde andere Abnehmer für sein Öl finden. Moskau gegenüber weniger kritische Länder wie Indien oder China seien logische Destinationen. Wladimir Putin könnte auch versuchen, russisches Öl billiger an ärmere Länder zu verkaufen. Unter der Bedingung, dass sich diese Länder nicht an westlichen Sanktionen beteiligen. Allerdings geht das Sanktionspaket beim Öl über ein reines Importverbot hinaus. Auch Versicherer, Konsulenten und andere Dienstleister im Ölhandel sind im Visier. So könnte es für Reedereien schwierig werden, ihre Tanker zu versichern, wenn sie russisches Öl transportieren.
Damit wäre möglicherweise auch eine andere Gefahr gebannt, vor der Experten im Vorfeld gewarnt haben. Dass nämlich Putin dank steigender Preise vom Öl-Embargo indirekt noch profitieren könnte. Russland könnte zwar nach dem Ausstieg der Europäer weniger verkaufen, aber für die geringeren Mengen mehr Geld bekommen. Auch die Brüsseler Denkfabrik Bruegel hatte unter anderem mit diesem Argument vor einem schrittweisen Ausstieg gewarnt und für Preisobergrenzen oder Abgaben plädiert.
Tatsächlich hat der Markt das Öl-Embargo gegen Russland mit steigenden Preisen teilweise schon vorweggenommen. Der russische Haushalt dürfte durch den hohen Ölpreis in diesem Jahr mehr an Steuern einnehmen als 2021, sagte Jacopo Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Mittelfristig würden Russland aber die Einnahmen aus Europa fehlen. Die große Frage werde sein, wie schnell Moskau andere Abnehmer finden werde.
Das Sanktionspaket dürfte bis zur Verabschiedung durch die EU-Botschafter noch einige Veränderungen erfahren. Sowohl das Öl-Embargo an sich als auch der geordnete Ausstieg bleiben umstritten. Christian Egenhofer von der Brüsseler Denkfabrik Ceps hält das Embargo überhaupt für Symbolpolitik. Was Putin wirklich treffen würde, sei ein Gasembargo. Denn Gas könne nicht einfach umgeleitet werden. Beobachter schließen allerdings nicht aus, dass Putin nun als Reaktion auf das Öl-Embargo nach dem Gasstopp für Bulgarien und Polen auch anderen EU-Staaten den Hahn zudreht.
Doch während es Ungarn und der Slowakei beim Öl zu schnell geht, hatten die baltischen Länder und Polen auf einen sofortigen Ausstieg gedrängt. Ursula von der Leyen versuchte deshalb den schwierigen Balanceakt: Es gehe darum, den Druck auf Russland zu maximieren und den Kollateralschaden für die EU und ihre Partner zu minimieren. Am Ende spielt auch der öffentliche Druck eine Rolle. So ist es schwer verständlich, dass Europa nach wie vor indirekt Putins Krieg mitfinanziert. Mit Lukas Scheid und Ella Joyner
04.05.-06.05.2022, Berlin/ online
Bundeskartellamt, Conference 21st Annual Conference of the International Competition Network
The International Competition Network (ICN) provides a forum for exchange on competition policy, enforcement, and the future of the network. INFOS
06.05.2022 – 12:00-18:00 Uhr, online
HBS, Vortrag Digital Services Act – ein scharfes Schwert gegen Desinformation und Hetze?
Bei der Veranstaltung der Heinrich Böll Stiftung (HBS) geht es unter anderem um die Rolle des Digital Services Act (DSA) für die Zukunft des Internets, seine Wirksamkeit bei digitaler Desinformation und Hass im Netz sowie um den Umgang mit illegalen Inhalten. INFOS & ANMELDUNG
06.05.-07.05.2022, Salzburg (Österreich)/ online
EC, Seminar Global Europe Seminar: Uncertain Future?
The Global Europe Seminar, hosted by the European Commission (EC), will discuss trends and developments on a European and global level in regard to the coronavirus pandemic and the Ukraine war. INFOS
09.05.-10.05.2022, Barcelona (Spanien)
Eurogas, Conference World Hydrogen Decarbonising the Gas Grid
At the conference, strategies for the transformation and implementation of clean gas grids, cutting-edge technologies and successful business models for the decarbonization of gas grids and the development of pure hydrogen grids will be discussed. INFOS & REGISTRATION
09.05.-12.05.2022, Miami Beach (USA)
AI, Conference Aspen Ideas: Climate
Organized by Aspen Ideas (AI), the City of Miami Beach, and partner institutions, the event provides a platform to discuss opportunities for shaping a collective future around the realities of climate change. INFOS & REGISTRATION
10.05.2022 – 09:00-10:00 Uhr, online
CSIS & HBS, Discussion U.S. and European Strategies to Tackle Human Rights in Global Supply Chains
The Center for Strategic & International Studies (CSIS) and the Heinrich Böll Foundation (HBS) are hosting a discussion on EU and U.S. policy tools to ensure the reliability and sustainability of supply chains and minimize the risk of human rights violations. INFOS & REGISTRATION
10.05.2022 – 10:00-16:00 Uhr, Berlin/ online
BMBF, Konferenz Fona-Forum 2022
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) veranstaltete Forum soll einen Einblick geben, inwiefern die Strategie zur Forschung für Nachhaltigkeit (FONA) grüne Innovationen vorantreibt, und eine Plattform für Austausch bieten. INFOS & ANMELDUNG
10.05.2022 – 11:00-12:00 Uhr, online
TÜV Rheinland, Seminar Compliance und Nachhaltigkeit in der Lieferkette – Herausforderung und Zukunftschance
Die Referentin gibt eine Übersicht der aktuellen Rechtslage in Deutschland und der EU zum Thema Lieferketten mit den Schnittstellen zu Compliance, Nachhaltigkeit und ISO-Normen. ANMELDUNG
10.05.2022 – 15:00-16:30 Uhr, online
Digital Europe, Panel Discussion Mind the Gap: Empowering Europe through Connectivity
This Digital Europe event will explore Europe’s connectivity strategy and goals and discuss how 5G can become a reality in Europe. The new study on the state of connectivity in Europe will also be presented. INFOS & REGISTRATION
10.05.2022 – 19:00-20:30, online
Polis 180, Diskussion Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Bei diesem Treffen soll über aktuelle Entwicklungen in der Sicherheitspolitik und die internationale Sicherheitslage informiert und diskutiert werden. INFOS & ANMELDUNG
10.05.-11.05.2022, Berlin/ online
Handelsblatt, Konferenz Stadtwerke 2022 – Mit Energie in die Zukunft
Welche Anpassungen müssen Stadtwerke und Kommunen vornehmen, um Energieunabhängigkeit und Versorgungssicherheit zu erreichen? Lassen sich diese Anpassungen mit den Klimazielen vereinbaren? Diese Fragen werden bei der Stadtwerke-Konferenz beleuchtet. INFOS & ANMELDUNG
10.05.-11.05.2022, Berlin
BvD, Konferenz BvD-Verbandstage
Die Themen der Verbandstage des Berufsverbandes der Datenschutzbeauftragten Deutschlands (BvD) sind digitale Mobilität, Datensouveränität des Individuums, Datenschutz in Zeiten von Cybercrime und die Digitalisierung in Deutschland. INFOS & ANMELDUNG
Chinesische Konzerne greifen sich öffentliche Bauaufträge für Riesenbrücken in Kroatien, in der Volksrepublik dürfen EU-Firmen aber bei ähnlichen Projekten nicht einmal bei der Ausschreibung mitbieten. Genau das soll sich durch das “Instrument für das internationale Beschaffungswesen” (IPI) ändern. Mit der neuen EU-Verordnung will die Kommission den Beschaffungsmarkt in China aufbrechen. Gleichzeitig will sie Billigangebote aus China bei öffentlichen Ausschreibungen benachteiligen.
Über IPI soll bereits im Juni im Europaparlament abgestimmt werden. Dann fehlt nur noch das grüne Licht des EU-Rats, bevor die neuen Vorgaben formal beschlossen sind und in Kraft treten können.
Konkret ist der Plan: Wenn sich ein Drittstaat wie China weigert, seinen öffentlichen Beschaffungsmarkt für EU-Anbieter im gleichen Ausmaß zu öffnen wie die EU, drohen Sanktionen. So können die Angebote aus China entweder komplett von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden oder bekommen einen Preisaufschlag obendrauf. Für einen Ausschluss bedarf es einer qualifizierten Mehrheit der EU-Regierungen. Das sind zwei Drittel der Mitgliedsstaaten. Geht es dagegen nur um einen Preisaufschlag, wird dieser von Brüssel aus angewiesen. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen und auch nicht bei jeder Ausschreibung.
In China gebe es bisher “null Bereitschaft, den Markt zu öffnen”, sagte der für das IPI federführende EU-Abgeordnete Daniel Caspary (CDU) bei einer Pressekonferenz nach der Einigung des EU-Parlaments und des EU-Rats. Der EU gehe es mit dem neuen Instrument nicht darum, den europäischen Markt für Drittstaaten zu schließen, sondern vielmehr darum, andere Länder zu ermutigen, sich zu öffnen. Aber: “Wir wollen im Zweifel wehrhaft sein und Druck ausüben”, so Caspary. Er betonte, dass China mit billigen Aufträgen im Ausland auch Know-how ins eigene Land abziehen wolle.
Die große Frage ist jedoch, ob solche Strafen wirklich dazu führen werden, dass China seine öffentlichen Ausschreibungen für die Europäer öffnet. Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ist noch skeptisch. Grundsätzlich seien die Auswirkungen schwer einzuschätzen.
Matthes sieht in der Volksrepublik derzeit zwei gegensätzliche Entwicklungen, die den von der EU gewünschten Erfolg des IPI beeinflussen: Einerseits gebe es in China kleine Liberalisierungsschritte, etwa für ausländische Investitionen und Joint-Venture-Bestimmungen oder im Rahmen des Abkommens Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP). Auch bei den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bewege sich zumindest auf dem Papier etwas, so Matthes. “Das ist die eine Seite, wo wir durchaus hier und da positive Entwicklungen in den letzten Jahren gesehen haben.”
Auf der anderen Seite wolle China zunehmend autark werden, etwa durch die “Made in China 2025”-Politik, so der Wirtschaftswissenschaftler. Im Auge habe Peking dabei eine Reihe von Hochtechnologie-Bereichen, unter anderem die Medizintechnik. “Hier gab es sogar noch weitere Einschränkungen für die öffentliche Beschaffung durch Vorgaben zum Domestic Content”, so Matthes.
Laut diesen Vorschriften zur heimischen Wertschöpfung sollen bei der öffentlichen Beschaffung bevorzugt Produkte und Hersteller aus der Volksrepublik gewählt werden. Provinzen wie Zhejiang und Guangdong haben beispielsweise Weiße Listen für die Einfuhr von Medizinprodukten veröffentlicht. Staatliche Krankenhäuser dürfen dort keine importierten Medizinprodukte anschaffen, die nicht auf der Liste stehen. Ausländische Unternehmen werden es in den Bereichen mit Fokus auf “Domestic Content” in Zukunft noch schwerer haben, in Ausschreibungen den Zuschlag zu bekommen, ist sich Matthes sicher.
Der Markt für öffentliche Beschaffung von Medizintechnik ist ein Paradebeispiel für die zunehmend autark ausgerichtete Politik Chinas: “Die chinesischen Importe von Medizintechnikgütern aus der EU, den USA und der Schweiz sind im vergangenen Jahr zurückgegangen. Darüber hinaus ist der Rückgang der chinesischen Importe von Medizintechnik insbesondere bei der zentralstaatlich beschafften Medizintechnik zu beobachten”, schreiben Forscher:innen der Denkfabrik Europäisches Zentrum für internationale politische Ökonomie (ECIPE) in einer Studie. Für diese wurden öffentliche Ausschreibungen in der Medizintechnik in China genauer betrachtet. Chinesische Firmen konnten sich im beobachteten Zeitraum zwischen 2019 und 2021 demnach bei 68 Prozent der Ausschreibungen durchsetzen – Tendenz steigend, wie ECIPE schreibt.
Weil das IPI mehr Reziprozität schaffen könnte, fällt Matthes ein insgesamt verhalten optimistisches Urteil: “Die Chancen, dass sich in China etwas zum Vorteil europäischer Unternehmen in der öffentlichen Beschaffung tut, ist mit IPI definitiv größer als ohne.”
Auch für den EU-Markt sei das neue Instrument unverzichtbar, so Matthes. Denn oft gingen chinesische Anbieter mit Dumpingpreisen in den Beschaffungsmarkt. Das ließe sich verhindern, wenn die EU das IPI – nach vergeblichen Verhandlungen mit China – tatsächlich umsetzt. Zudem sei allein die Geschlossenheit der EU ein Zeichen an Peking. Auch wenn EU-Vertreter betonen, es handele sich nicht um ein “Lex China”.
Wie sich die Vorgaben aus Brüssel letztlich konkret in der öffentlichen Beschaffung niederschlagen, sei noch offen, sagt Matthes. “Das hängt auch davon ab, wie die Verwaltungsfachleute in den Kommunen das IPI bei ihren öffentlichen Ausschreibungen in die Praxis umsetzen.” Eine kritische Debatte über Chinas Rolle in der europäischen Wirtschaft könne dabei zu mehr Sensibilität gegenüber chinesischen Dumping-Offerten führen. Daher spricht Matthes sich für mehr China-Kompetenz auch auf regionaler und lokaler Ebene aus, wo Entscheidungen fallen.
Kritiker sehen in dem neuen Vergabe-Instrument zunehmenden Protektionismus der EU. Sie fürchten, dass das Instrument EU-Märkte gegen China abschotten werde, ohne dass sich in der Volksrepublik die Dinge positiv ändern. Die Behauptung, der chinesische Markt sei nicht offen genug für Firmen aus der EU, sei eine “Verzerrung der Fakten”, sagte der für Handel zuständige Minister bei der EU-Vertretung Chinas, Peng Gang, bei einer Online-Veranstaltung der EU-China Business Association (EUCBA).
Unternehmen aus der EU haben in China einen guten Ruf und seien deshalb durchaus sehr gefragt. Das ginge sogar so weit, dass chinesische Lokalregierungen Firmen aus der Heimat “diskriminierten”, weil sie lieber mit ausländischen Anbietern arbeiten wollten, so Peng Gang. “IPI ist bisher nicht implementiert, die Auswirkungen werden erst die Zeit zeigen”, sagt der Minister.
Kommunen sollen künftig verbindlich eine Wärmeplanung erarbeiten. Eine entsprechende rechtliche Änderung kündigte Abteilungsleiter Christian Maaß aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) am Mittwoch bei den Berliner Energietagen an. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel lediglich vereinbart, sich für eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung einzusetzen. Für Kommunen bestimmter Größe sind Wärmepläne bereits durch ein Landesgesetz in Baden-Württemberg vorgesehen. Mit diesem Instrument wird in erster Linie der Ausbau von Fernwärmenetzen geplant oder der Umbau von bestehenden Netzen auf den Betrieb mit erneuerbaren Energien.
Zur beihilferechtlichen Genehmigung der entsprechenden Bundesförderung für effiziente Wärmenetze steht das Ministerium laut Maaß in engem Kontakt mit der EU-Kommission. Sobald Berlin die Genehmigung erhalte, werde die Förderung umgesetzt.
Der schnellere Ausbau von Wärmenetzen für erneuerbare Energien steht in Konkurrenz zur weiteren Nutzung von und Erhaltungsinvestitionen in kommunale Gasverteilnetze. Zum Teil seien diese Assets noch nicht abgeschrieben, hatte einen Tag zuvor Kerstin Andreae gemahnt, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Bundesnetzagentur (BNetzA) habe dieses Problem noch nicht adressiert, sagte Andreae. Die Energiewirtschaft brauche eine Regulierung, mit der die Abschreibung bestehender Netze und gleichzeitig die Investition in neue Infrastrukturen funktioniere. ber
Der Wandel weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien werde sich beschleunigen, prognostizierte Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x), bei den Berliner Energietagen. Aber man müsse auf dem Weg dorthin technologieoffen agieren, forderte er die Politik auf. Die eine Lösung gebe es nicht, es brauche vielmehr eine Vielzahl von Angeboten alternativer Flüssigkraftstoffe: von fortschrittlichen Biokraftstoffen ohne Nahrungskonkurrenz über synthetische Kraftstoffe bis hin zu Wasserstoff.
Ob man beispielsweise in Leuna, eine der beiden Ölraffinerien in Ostdeutschland, künftig sogenannte E-Fuels auf Wasserstoff-Basis herstellen kann, hänge von der EU-Definition von grünem Wasserstoff ab, sagte Thomas Behrends, der Geschäftsführer der Leuna-Raffinerie. Er schickt damit eine klare Forderung nach Brüssel, der Mineralölindustrie die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Transformation zu geben.
Bei der Überarbeitung der Renewable Energy Directive (RED III) erhofft sich die Branche in dieser Hinsicht endlich Klarheit. Denn solange nicht geklärt ist, welche Technologien später auch als “grün” gelten, kann die Hochskalierung nicht starten. In Leuna hofft man auf eine möglichst breite Begriffsdefinition. Denn, so Behrends, man baue bestehende Anlagen bereits um, um mit grünem Wasserstoff synthetische Kraftstoffe beispielsweise für den Einsatz in Flugzeugtanks herzustellen.
Damit sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF) allerdings marktreif und preislich konkurrenzfähig werden (Europe.Table berichtete), müsse man aus Demonstrationsmaßstäben endlich in die industrielle Produktion kommen, fordert Melanie Form. Sie sitzt im Vorstand der Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany (AIREG), einer NGO, die sich für den Hochlauf von SAF einsetzt.
Derzeit kosten SAF noch das Zwei- bis Sechsfache, verglichen mit herkömmlichem fossilen Kerosin. Aber: Gelingt der Markthochlauf, sinken auch die Preise, so die Idee. Das hat auch die Politik eingesehen. Bernd Westphal, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft, kündigte an, alle Potenziale nutzen zu wollen, um aus der Pilotphase herauszukommen und den Hochlauf zu schaffen. Beim Luftverkehr sei die Zahlungsbereitschaft für teurere, aber grüne Kraftstoffe ohnehin vorhanden. Melanie Form glaubt, dass auch Passagiere für mehr Klimaschutz zahlen würden, so wie sie es beim Heizen von Gebäuden bereits tun. luk
Die Bundesregierung plädiert dafür, es den Aufsichtsbehörden zu erleichtern, Unternehmen bei schwerwiegenden Verstößen zu zerschlagen. “Meiner Meinung nach sollten wir in der EU darüber nachdenken, strukturelle Maßnahmen und Instrumente zu stärken”, sagte Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold gestern bei einer Kartellrechtskonferenz. Der Grünen-Politiker forderte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auf, dies bei der geplanten Reform der Vorschriften zu berücksichtigen.
Auch die Regeln für die Fusionskontrolle der EU bedürften einer Aktualisierung, so Giegold. Dies gelte insbesondere, um sogenannte Killerakquisitionen zu verhindern, bei denen Großkonzerne kleine Rivalen aufkaufen. “Wir brauchen hier eine Reform”, so Giegold. Es sei unverständlich, dass sich die Kommission dagegen wehre.
Vestager hatte vor einiger Zeit angekündigt, die als Verordnung 1/2003 bekannten Regeln für die Missbrauchsaufsicht zu überarbeiten (Europe.Table berichtete). Diese sind die Grundlage für die Wettbewerbsverfahren, in denen Vestager gegen Unternehmen wie Google, Apple und Amazon vorgegangen ist und teils Bußgelder in Milliardenhöhe verhängt hat. “Marktuntersuchungen und strukturelle Abhilfemaßnahmen sollten auch bei der anstehenden Überprüfung der Verordnung 1/2003 auf dem Tisch liegen”, sagte Giegold. Dieser Aspekt komme leider auch beim Digital Markets Act zu kurz.
Giegold sagte, die Bundesregierung plane auch, dem Kartellamt mehr Befugnisse zu geben. “Wir werden bei der Reform des nationalen Wettbewerbsrechts prüfen, ob wir dem Bundeskartellamt bei seinen marktinternen Untersuchungen mehr Flexibilität einräumen.” tho/rtr
Das Europaparlament will einen Verfassungskonvent für eine umfassende Reform der Europäischen Union auf den Weg bringen. Das Parlament verabschiedete am Mittwoch in Straßburg eine Erklärung, die sicherstellen soll, dass die Ergebnisse eines einjährigen Bürgerdialogs zur Zukunft der EU umgesetzt werden. Dabei ging es zwischen Bürgern sowie Vertretern von Parlament, Mitgliedstaaten und EU-Kommission um Ideen, wie die EU weiterentwickelt werden kann. Heraus kamen 325 konkrete Vorschläge.
In der Erklärung heißt, man müssse die Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas einhalten und die Erwartungen der Bürger erfüllen. Dazu gehören etwa die Forderungen, in fast allen Politikbereichen das Prinzip der Einstimmigkeit aufzugeben, dem Europaparlament ein Initiativrecht für Gesetzesvorschläge zu gewähren sowie nach deutlich mehr EU-Kompetenzen in den Bereichen Gesundheits- und Sozialpolitik.
Dazu sind Änderungen der EU-Verträge erforderlich. Sie können durch einen Verfassungskonvent geändert werden, an dem Vertreter der nationalen Parlamente und Regierungen sowie des Europaparlaments und der Kommission teilnehmen. Etliche Länder äußerten gegen Bedenken gegen solche Änderungen. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP zeigt sich im Koalitionsvertrag offen dafür.
Sollte der zuständige Ausschuss im Europaparlament nun den Prozess für einen Konvent starten, müsste das Plenum des Parlaments noch zustimmen. Dies könnte im Juni geschehen. Anschließend müsste noch die Mehrheit der EU-Staaten das Vorhaben billigen. dpa

Was würde eine Beendigung der russischen Gasimporte für die europäischen Volkswirtschaften bedeuten? Die Ökonomen sind in dieser Frage völlig unterschiedlicher Meinung. Zwar sind sich alle einig, dass sie negative Folgen hätte, doch wie gravierend wären diese? Die Vorhersagen reichen von einer milden Rezession bis hin zu einer wirtschaftlichen Katastrophe und Massenarbeitslosigkeit.
Viel geistige Energie wurde dafür aufgewandt, die Größenordnung der potenziellen BIP-Verringerungen einzuschätzen. Deutlich weniger wurde darüber gesagt, wie man sich auf die Gasknappheit vorbereiten sollte, die auf einen russischen Lieferstopp folgen kann. Das ist so, als prognostiziere man das Ausmaß der Schäden, die ein Orkan anrichten wird, statt sich tatsächlich auf ihn vorzubereiten.
Nun jedoch, da Russland seine Lieferungen von Gas an Polen und Bulgarien ausgesetzt hat (Europe.Table berichtete), haben die Politiker und Kommentatoren in Europa keine Wahl mehr. Sie müssen den Fokus von Kritteleien über voraussichtliche Ergebnisse (die niemand präzise vorhersagen kann) auf die Begrenzung der tatsächlichen Folgen einer potenziellen Gasverknappung verlagern. Alle europäischen Gasanbieter – nicht nur die Produzenten in der Europäischen Union, sondern auch benachbarte Länder, die Gas per Pipeline liefern, sowie Exporteure von Flüssigerdgas – operieren bereits mit voller Kapazität. Das überwiegend per Pipeline aus Russland gelieferte Gas macht 40 Prozent des Angebots in Europa aus. Sollte dieses Angebot unterbrochen werden – was durchaus passieren könnte -, müsste der EU-Gasverbrauch deutlich reduziert werden.
Im Prinzip können drei Mechanismen zu einem geringeren Verbrauch beitragen: hohe Preise, staatliche Programme und Zwangsrationierung. Aus unserer Sicht wird der Preismechanismus allein zur Bewältigung der Verknappung nicht ausreichen. Die Gaspreise in Europa haben bereits Höchststände erreicht, und die Gaseinsparungen sind noch lange nicht ausreichend. Weitere Preiserhöhungen würden die Inflation verschärfen und die Armen am härtesten treffen. Und weil eine Zwangsrationierung ein letztes Mittel sein sollte, sind wir der Meinung, dass der dritten Möglichkeit – Regierungsinitiativen – mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.
In einem aktuellen Dossier für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sprechen wir uns für einen Notfallplan auf EU-Ebene aus, um Einsparungen beim Gasverbrauch zu erreichen. Um den drohenden populistischen Herausforderungen von rechts die Spitze zu nehmen, muss jeder derartige Plan öffentliche Unterstützung genießen und als fair wahrgenommen werden. Ohne breite Einbeziehung der betroffenen Gruppen und Solidarität auf EU-Ebene wird es privilegierten Gruppen viel besser ergehen als anderen, was die bestehenden Ungleichheiten vergrößern und die Spannungen in und zwischen den europäischen Gesellschaften verschärfen wird.
Obwohl die EU einige Notfallrichtlinien für die Stromversorgung und die Infrastruktur hat, ist keine davon geeignet, das Ausmaß der potenziellen Verknappungen zu steuern, die auf eine plötzliche monatelange Aussetzung der russischen Gaslieferungen folgen würden. Die meisten bestehenden Mechanismen sind auf kurzfristige Unterbrechungen ausgelegt, die durch Extremwetter oder Technologieversagen verursacht sind, und haben das Ziel, die privaten Haushalte zu schützen. Sie unterwerfen daher Nutzer aus der Industrie einer Zwangsrationierung.
Doch bei einer monatelangen Unterbrechung ist eine Stilllegung der energieintensiven Industriesektoren der europäischen Volkswirtschaft nicht praktikabel. Sie könnte schwerwiegende Dominoeffekte haben, darunter eine zusätzliche Belastung der weltweiten Lieferketten, mit potenziell weitreichenden Auswirkungen auf Inflation und Wachstum.
Gaseinsparungen in einem ausreichenden Maßstab müssten daher beträchtliche Beiträge von allen Gruppen von Gasnutzern umfassen: den privaten Haushalten, der Dienstleistungswirtschaft und der Industrie. Dies würde klare Ziele und eine faire Lastenteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten, zwischen den privaten Haushalten und zwischen Haushalten und industriellen Nutzern erfordern. Doch um politisch akzeptabel und einsatzbereit zu sein, müssen derartige Ziele vorbeugend ausgehandelt werden.
Darüber hinaus sollten Gebäude mit Gasheizungen zusätzlich wärmeisoliert werden, solange noch Zeit dafür ist. Dies ist ein groß angelegtes Unterfangen, das einen Notinvestitionsplan erfordert. Zusätzliche Einsparungen lassen sich durch eine Neueinstellung von Heizanlagen erzielen, doch bedarf es auch einiger schwieriger Verhaltensanpassungen. So können die Europäer ihren Gasverbrauch mit jeder Verringerung der Zimmertemperatur um 1 Grad um rund 10 Prozent verringern, und weitere Einsparungen lassen sich erzielen, indem nicht bewohnte Räume ungeheizt bleiben.
Die Menschen zum Gassparen aufzufordern, wirft wichtige Verteilungs- und Legitimitätsfragen auf. Um sich der Unterstützung der Bevölkerung zu versichern, werden die Regierungen überzeugende Argumente für konzertiertes Handeln vorbringen müssen. Ihre Pläne müssen faire Methoden zur Lastenteilung, Unterstützung und Anleitung zur Realisierung von Einsparungen, Maßnahmen zur Sicherstellung von Transparenz sowie gegebenenfalls Durchsetzungsmechanismen umfassen.
Dieser Prozess wird einfacher und wirksamer ausfallen, wenn die EU-Regierungen die Ziele für Gaseinsparungen gemeinsam beschließen und jeder Mitgliedstaat sich zur Übernahme eines fairen Anteils verpflichtet. Sollten Verknappungen auftreten, ohne dass es einen Notfallplan gibt, dürfte eine ungeordnete Lastenverteilung den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft disproportionalen Schaden zufügen.
Angesichts des breiten Spektrums betroffener Gruppen sollten Verhandlungen über Notfallpläne sofort beginnen. Gaseinsparziele und -maßnahmen werden unweigerlich das Rückgrat jeder EU-Reaktion auf eine Unterbrechung sein. Sie werden glaubwürdiger sein, wenn sie parallel zu Notfallplänen für eine Rationierung und zusätzlichen Solidarmaßnahmen vereinbart werden. Die Wirtschaftspolitik muss sich die Logik der Katastrophenvorsorge zu eigen machen und Fragen der Fairness, Solidarität und Legitimität besondere Aufmerksamkeit schenken.
Eine Verlagerung des Fokus von der Wirtschaftsprognostik auf die Katastrophenvorsorge könnte sich für Europas Fähigkeit zur Bewältigung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kosten einer Unterbrechung der Gaslieferungen als entscheidend erweisen. Die Aufgabe der Politik besteht darin, mehr als nur preisgestützte Reaktionen auf den Mangel zu entwickeln, um sicherzustellen, dass jeder seinen fairen Beitrag leistet, und um den Schaden weitestmöglich zu begrenzen.
In Kooperation mit Project Syndicate, 2022. Aus dem Englischen von Jan Doolan.