Table.Briefing: Europe

Klimapolitischer Ausblick 2022 + Evelyne Gebhardt im Interview + CBAM-Berichtsentwurf

  • Klimapolitischer Ausblick Frühjahr 2022
  • Evelyne Gebhardt: Europapolitik ohne Poltern und Schreien
  • Termine
  • CBAM-Berichtsentwurf: Weiterer Geltungsbereich und früherer Start
  • Programm der französischen Ratspräsidentschaft
  • Irische Datenschutzaufsicht: Reynders sieht keinen Handlungsbedarf
  • Rekord-Einnahmen durch ETS
  • Joanna Bryson: KI sicherer machen
  • Französische Autowerbung
Liebe Leserin, lieber Leser,

nachdem wir Ihnen gestern einen digitalpolitischen Ausblick auf die kommenden Monate gegeben haben, ist heute die europäische Klimapolitik dran. 2022 soll nämlich das Jahr werden, in dem die ambitionierten Ziele der EU umgesetzt werden. Doch es stehen komplizierte Verhandlungen in den Parlaments-Ausschüssen sowie in den Trilogen bevor. Außerdem will die EU-Kommission auch weitere Vorhaben des Green Deals an den Start bringen.

Der Vorschlag für einen europäischen CO₂-Grenzausgleich hat den Startblock bereits verlassen und gestern eine weitere Hürde genommen. Mohammed Chahim ist niederländischer EU-Abgeordneter und Berichterstatter des Parlaments für den geplanten CBAM. Am Mittwoch legte der Sozialdemokrat seinen Berichtsentwurf vor und fordert darin deutliche Veränderungen. So soll die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate erheblich früher auslaufen als von der Kommission vorgeschlagen. Auch der Geltungsbereich des CBAMs müsse ausgeweitet werden. Timo Landenberger hat die Forderungen zusammengefasst.

Sie ist klein, auch nach eigener Auffassung zu klein. Dabei ist sie für einige der ganz großen Datenverarbeiter zuständig: die irische Datenschutzaufsicht DPC. Nun hat EU-Justizkommissar Didier Reynders auf ein Schreiben mehrerer EU-Parlamentarierinnen reagiert und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Irland vorläufig ausgeschlossen. Warum das aber noch längst nicht das Ende der Auseinandersetzungen ist, berichtet Falk Steiner.

28 Jahre lang europäische Kompromisse schmieden – auf diese Erfahrung kann die Deutsch-Französin Evelyne Gebhardt in knapp einem Monat zurückblicken, wenn sie ihr Mandat als Europaabgeordnete niederlegt. Wie die 67-jährige Sozialdemokratin politischen Tiefschlägen trotzte, sich dabei ihrem eigenen Stil treu blieb und mit dem Klischee, Frauen könnten mit Technik nichts anfangen, aufräumte, hat sie Jasmin Kohl erzählt. Ihr Wunsch an die Ampel-Koalition: Europapolitik weniger als “Gegeneinander-Politik” und mehr als “Miteinander-Politik” begreifen.

Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Klimapolitischer Ausblick: Was im Frühjahr 2022 zu erwarten ist

Das erklärte Ziel lautet, den Großteil des Fit-for-55-Pakets in diesem Jahr zu verabschieden (Europe.Table berichtete). Sobald die Positionen von Parlament und Rat vorliegen, soll nahtlos mit den Trilog-Verhandlungen begonnen werden. Allerdings ist schon jetzt mit Verzögerungen zu rechnen – vor allem bei den Teilen des Pakets, die besonders hitzig diskutiert werden.

Fortschritte beim Fit-for-55-Paket

ETS-Reform und Ausweitung

Die Vorschläge zur ETS-Reform liegen seit Juli 2021 auf dem Tisch. Die Anzahl der Emissionsrechte soll reduziert werden, kostenlose Zuteilungen für die Industrie schrittweise reduziert und schließlich ganz wegfallen. Zudem soll ein neues ETS für den Gebäude- und Verkehrssektor entstehen – allerdings bislang ohne die Schifffahrt. Am 14. Januar will Berichterstatter Peter Liese (EVP) seinen Berichtsentwurf vorlegen. Bis Ende April soll der Bericht mit den Schattenberichterstatter:innen abgestimmt und am 16. Mai im ENVI-Ausschuss beschlossen werden. Im Juni soll schließlich das Plenum abstimmen.

Zuletzt waren Forderungen lauter geworden, den ETS künftig stärker zu regulieren (Europe.Table berichtete). Liese hatte sich im Herbst noch nicht festgelegt, ob er eine strengere Aufsicht in seinen Bericht aufnehmen würde.

CO2-Grenzausgleich CBAM

Parallel zur schrittweisen Verringerung der kostenlosen Emissionsrechte plant die EU die Einführung eines Grenzausgleichsmechanismus. So soll der Schutz vor Carbon Leakage auch weiterhin WTO-konform garantiert werden. Dieser Klimazoll ist jedoch umstritten. Die Industrie fürchtet, dass er als Schutz vor Carbon Leakage nicht ausreicht, da Importe aus dem EU-Ausland ebenso ausgenommen sind wie Exporte europäischer Unternehmen.

Gestern wurde der Entwurf für den Bericht des niederländischen Sozialdemokraten Mohammed Chahim (S&D) öffentlich (siehe News in dieser Ausgabe). Damit beginnen nun auch die Verhandlungen mit den Schattenberichterstatter:innen.

Alternative Fuel Infrastructure Regulation (AFIR)

Auch im Verkehrssektor sollen Emissionen reduziert werden. Damit das gelingt, muss zunächst die Infrastruktur für emissionsärmeren Transport geschaffen werden. Dafür hat die Kommission im Juli 2021 eine neue Verordnung vorgeschlagen.

Der Ausbau der Ladeinfrastruktur für emissionsarme Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge wird federführend im TRAN-Ausschuss behandelt. Der deutsche Berichterstatter Ismail Ertug (S&D) will einen ersten Berichtsentwurf Ende Februar vorlegen, Mitte Mai sollen dann die Ausschlussmitglieder darüber abstimmen und im Juli das Plenum. Sollte auch der Rat bis dahin so weit sein, könnte anschließend mit dem Trilog begonnen werden.

Für Pkw schlägt die Kommission unter anderem nationale flottenbasierte Ausbauziele vor. Pro E-Auto soll eine Gesamtleistung von mindestens 1 kW durch öffentlich zugängliche Ladestationen bereitgestellt werden, für jedes Plug-in-Hybridfahrzeug mindestens 0,66 kW. Für Nutzfahrzeuge gibt es distanzbasierte Ziele. Schiffe und Flugzeuge sollen an Land beziehungsweise am Boden künftig mit grünem Strom versorgt werden.

Verschärfung der CO₂-Flottengrenzwerte

Im Sommer hatte die Kommission neue CO₂-Grenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge vorgeschlagen, um den noch immer steigenden Treibhausgasemissionen im Straßenverkehr Einhalt zu gebieten. Ab 2025 müssten die Emissionen der Neuwagenflotte 15 Prozent niedriger sein als im Vergleichsjahr 2021. 2030 müssten es 55 Prozent bei Pkw und 50 Prozent bei leichten Nutzfahrzeugen weniger sein. Ab 2035 dürften nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden. Renew-Berichterstatter Jan Huitema hat in seinem ersten Berichtsentwurf höhere Zwischenziele vorgeschlagen und sich umgehend Kritik von den Schattenberichterstattern eingefangen (Europe.Table berichtete).

Die Arbeit an einem Kompromiss läuft. Am 12. Januar wird der Berichtsentwurf im ENVI-Ausschuss diskutiert und im Mai folgt das Votum. Anschließend wird der Bericht dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt.

Neue Klimapolitik-Vorhaben der EU-Kommission 2022

Naturschutz-Paket (Geplant für den 23. März)

Im Rahmen der Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie will die EU-Kommission schon im ersten Quartal des neuen Jahres einen Vorschlag für strengere Regeln für die Nutzung von Pestiziden vorlegen. Bis 2030 soll das Risiko und die Verwendung von chemischen Pestiziden und sogenannten “more hazardous pesticides” jeweils um 50 Prozent reduziert werden.

Außerdem sollen im Naturschutzpaket verbindliche Ziele für die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme in Europa vorgelegt werden. Diese waren ursprünglich schon für Ende 2021 angekündigt, wurden aber verschoben. Ökosysteme mit Potenzial CO2 zu speichern, Naturkatastrophen zu verhindern und die Biodiversität zu sichern, sollen dabei besonders in den Fokus rücken.

Kreislaufwirtschaftspaket 1 (Geplant für den 30. März)

Auch Konsumgüter will die Kommission nachhaltiger gestalten. Produkte und deren Einzelteile sollen wiederverwendet oder recycelt werden können. Im ersten Teil des Kreislaufwirtschaftspaketes sollen vor allem Vorschläge für langlebigere und umweltschonende Produkte vorgelegt werden. Mit der Initiative für nachhaltige Produkte soll die Ökodesign-Richtlinie überarbeitet werden, die Regeln für die Konstruktion von hauptsächlich elektronischen Geräten festlegt. So sollen Einzelteile leichter entnommen, repariert oder fachgerecht entsorgt werden können.

Außerdem sollen mit einem neuen Verordnungsvorschlag klarere Kriterien festgelegt werden, unter denen Produkte oder Hersteller ihren ökologischen Fußabdruck angeben. Auch eine Strategie für nachhaltige Textilien ist für das Kreislaufwirtschaftspaket 1 vorgesehen.

Emissions- und Schadstoffpaket (Geplant für den 05. April)

Die Industrie und der Verkehrssektor zählen zu den am schwersten zu dekarbonisierenden Bereichen. Mit einem Vorschlag zur Überarbeitung der Industrieemissionen-Richtlinie will die Kommission Anlagenbetreiber zur Nutzung umweltfreundlicher Technologien bewegen. Dazu gehört auch eine Aktualisierung des Europäischen Registers zur Erfassung der Freisetzung und Übertragung von Schadstoffen (E-PRTR). Außerdem sollen die EU-Vorschriften für fluorierte Treibhausgase (industrielle Abgase) überprüft werden, um industrielle Emissionen weiter einzudämmen.

Verkehrsemissionen will die EU-Kommission durch eine neue Euro-Norm für Pkw und Nutzfahrzeuge senken. Erste Vorschläge für eine neue Norm hatte bereits für heftige Diskussionen zwischen der Automobilindustrie und Umweltschützer:innen gesorgt (Europe.Table berichtete).

Strategie für internationales Energie-Engagement (Geplant für den 27. April)

Die EU-Kommission will die Energiewende nicht nur auf Europa beschränken und plant, sich global für mehr Energieeffizienz, für sichere und nachhaltige Technologien einzusetzen. So soll weltweit die Verstromung fossiler Energieträger zugunsten erneuerbarer Energien ersetzt werden. Blaupause für die Strategie könnte die Energiepartnerschaft mit Südafrika sein (Europe.Table berichtete), die die EU gemeinsam mit den Regierungen in Frankreich, Großbritannien, USA und Deutschland auf der Klimakonferenz COP26 in Glasgow geschlossen hat.

Kreislaufwirtschaftspaket 2 (Geplant für den 20. Juli)

Im zweiten Teil des Pakets geht es um die Vermeidung von Plastik und Verpackungsmüll. Im Juli 2022 sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für biobasierte, biologisch abbaubare und kompostierbare Kunststoffe und eine Überarbeitung der Richtlinie für Verpackungen und Verpackungsabfälle vorgelegt werden. Außerdem soll die Abwasser-Richtlinie überprüft werden, nachdem die Kommission eine Folgenabschätzung zur aktuellen Regelung veröffentlichen wird. Bei der Überprüfung geht es insbesondere darum, Verbesserungspotentiale für weniger Wasserverschwendung in den Städten auszumachen.

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    Evelyne Gebhardt: Europapolitik ohne Poltern und Schreien

    Evelyne Gebhardt: Europapolitik ohne Poltern und Schreien

Evelyne Gebhardt ist seit 1994 Europaabgeordnete.
    Evelyne Gebhardt ist seit 1994 Europaabgeordnete.

    Die SPD-Politikerin Evelyne Gebhardt ist Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) sowie stellvertretende Vorsitzende der Delegation für die parlamentarischen Beziehungen zur Volksrepublik China. Ihre deutsch-französische Perspektive half ihr entschieden beim Kompromisse schmieden. Sie setzt sich für einen sozialen Binnenmarkt mit starkem Verbraucherschutz sowie die Gleichstellung von Mann und Frau ein. Zuletzt kämpfte die 67-Jährige als Schattenberichterstatterin für eine starke Parlamentsposition zum Digital Markets Act (DMA).

    Frau Gebhardt, Sie hängen das Abgeordnetenmandat zur Mitte der Wahlperiode an den Nagel, um den Weg für Jüngere freizumachen. Wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung gefallen?

    Es fällt mir schon schwer zu gehen, weil meine Arbeit sehr spannend ist. Ich habe es immer als große Ehre und ganz großes Glück empfunden, dass ich diese Arbeit machen durfte. Ich habe fast jeden Tag den Eindruck gehabt, ich kann etwas gestalten und voranbringen. Ich bin also einerseits wehmütig, aber andererseits auch froh, dass ich diese Entscheidung jetzt getroffen habe, weil ich weiß: Irgendwann muss sie getroffen werden.

    Sie haben 1994 erstmals für das Amt der Europaabgeordneten kandidiert, um gegen soziale und gesellschaftliche Missstände aktiv zu werden. Mit welchen Mitteln haben Sie für Ihre Ziele gekämpft?

    Noch bevor ich Europaabgeordnete geworden bin, habe ich mir vorgenommen, dass ich zeigen möchte, dass man Politik auch anders machen kann und damit Erfolg haben kann. Also nicht mit Poltern oder Schreien, was in den 70er Jahren üblich war. Das entspricht einfach nicht meinem Naturell. Es gibt viele andere Möglichkeiten, sich durchzusetzen: durch Strategie, gutes Überlegen und Einfühlungsvermögen. Das sind meine Mittel. Und das habe ich bewiesen, sonst hätte ich nicht so lange mein Mandat ausüben und auf viele Erfolge zurückschauen können.

    Kampf für die Gleichstellung von Mann und Frau

    Als Sie ins Europaparlament eingezogen sind, waren Frauen dort noch stark unterrepräsentiert. Wie haben Sie das zu spüren bekommen?

    Es hat sich in den Jahren für mich als Frau viel geändert. Als ich ganz neu im Parlament war, wollte man mich gleich in den Frauenausschuss stecken, weil ich mich zuvor schon für die Belange von Frauen eingesetzt habe. Aber ich habe immer gesagt: Wir Frauen müssen auch in die “harten Ausschüsse” – deshalb bin ich in den Rechtsausschuss und den Umweltausschuss gegangen.

    In welchen Situationen haben Sie gemerkt, dass Ihr Geschlecht eine Rolle spielt, obwohl es eigentlich nichts zur Sache tun sollte?

    Das prägendste Beispiel war die Zeit, in der ich Berichterstatterin für die Dienstleistungsrichtlinie war. Mein Vater ist während der heißen Verhandlungsphase (2004/2005) gestorben, und ich bin natürlich zu seiner Beerdigung gefahren. Daher musste ich eine Sitzung verschieben. Auf der Beerdigung habe ich dann einen Anruf von einem Mitarbeiter meiner Fraktion bekommen, der mir sagte: “Evelyne, du musst so schnell wie möglich wieder zurück nach Brüssel kommen.”

    Es stellte sich heraus, dass der Schattenberichterstatter der Liberalen mir die Fähigkeit absprechen wollte, meine Arbeit als Berichterstatterin zu machen: Ich sei durch den Tod meines Vaters emotional nicht in der Lage, die Verhandlungen weiterzuführen. Wäre ich ein Mann, wäre niemand auf solch eine Idee gekommen. Das ist ein Beispiel aus der Vergangenheit, aber es gibt auch heute noch solche Situationen.

    Welche zum Beispiel?

    Bei den Verhandlungen zum Digital Markets Act habe ich gemerkt, wie der eine oder andere Kollege meinte, er müsste mir jetzt helfen – auch aus meiner Fraktion. Das hat mich richtig gestört. Da gibt es zum einen das Klischee, Frauen könnten mit Technik nichts anfangen. Ich war aber immer sehr technikaffin. Und zum anderen spricht man uns Frauen immer noch ab, dass wir durchsetzungsfähig sind. Das wird zwar nicht offen gesagt, aber ich bekomme das immer noch unterschwellig zu spüren. Darüber ärgere ich mich immer wieder.

    Sie sind gebürtige Französin und 1975 nach Deutschland ausgewandert. Hat Ihnen das geholfen, im Parlament Kompromisse zu finden?

    Dass ich die Erfahrung von zwei Staaten, zwei Kulturen und zwei Traditionen habe, hat mir natürlich im europäischen Rahmen sehr geholfen. Ich weiß, dass in jedem Mitgliedstaat eine andere Kultur vorherrscht und dass man das auch mitberücksichtigen muss, wenn man im Europäischen Parlament Erfolg haben will.

    Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

    Vor ungefähr 15 Jahren hatten sich deutsche und französische Kollegen aus der S&D-Fraktion vorgenommen, ein gemeinsames Papier zur Außen- und Verteidigungspolitik zu schreiben. Das Papier las sich wirklich sehr gut, aber ich war mir nicht sicher, ob wir dem zustimmen konnten. Denn hinter “Verteidigungspolitik” stecken in Deutschland und Frankreich unterschiedliche Philosophien: In Deutschland geht es um die Verteidigung des eigenen Staates, in Frankreich versteht man darunter eine sehr extensive Politik, zu der auch Kriegseinsätze im Ausland gehören. Es gab dann eine lange Diskussion, die leider dazu geführt hat, dass das Papier im Papierkorb gelandet ist. Das war hart für diejenigen, die daran gearbeitet haben, aber ich konnte ja nicht einfach still sitzen bleiben. Es war ein wichtiges Thema, bei dem man nicht einfach den Eindruck erwecken konnte, als hätten wir uns geeinigt.

    Was werden Sie am meisten an Ihrer Arbeit als Europaabgeordnete vermissen?

    Ich werde das Schmieden von Kompromissen vermissen – die Verhandlungen, die Überlegungen, die Strategien, die man entwickeln muss. Aber auch die direkte Konfrontation mit den Ideen der anderen Fraktionen. Das ist eine sehr produktive Arbeit: Man hat eine Idee, man weiß, die anderen wollen etwas ganz anderes, und man versucht das Beste daraus zu machen. Am Ende findet man immer eine Lösung, das gefällt mir. Man bekommt zwar nie 100 Prozent, aber wenn ich 80 Prozent bekomme, bin ich auch zufrieden.

    Digitalpolitik: “Es sind noch sehr viele Fragen offen”

    Ihr Nachfolger ist der 42-jährige René Repasi (Europe.Table berichtete). Er wird als DMA-Schattenberichterstatter eine wichtige Rolle im Trilog spielen. Welche Ratschläge geben Sie ihm mit auf den Weg?

    Jeder Mensch hat seine eigene Arbeitsweise, und das respektiere ich viel zu sehr, als dass ich jetzt anfangen würde, ihm zu sagen, was er zu tun oder zu lassen hat. Wir hatten bereits viele Gespräche und er weiß, dass er mich anrufen kann, wenn er einen Ratschlag braucht.

    Als Schattenberichterstatterin für den DMA haben Sie stark für die Interoperabilität gekämpft (Europe.Table berichtete) und sich in diesem Punkt gegen den EVP-Berichterstatter Andreas Schwab durchsetzen können. Befürchten Sie, dass diese Erfolge im Trilog verwässert werden?

    Ich werde wahrscheinlich noch zwei oder drei Triloge mitmachen können. Die französische Ratspräsidentschaft will die Verhandlungen im April abschließen. Glücklicherweise übernimmt René Repasi auch meine Mitarbeiter, die das nötige Fachwissen haben. Ich bin mir sicher, dass er auch ein Auge auf den Berichterstatter haben wird. Denn ich weiß, dass Herr Schwab die eine oder andere Kröte schlucken musste (Europe.Table berichtete), die ich ihm in seine Suppe gelegt habe (lacht).

    Sie haben als Europaabgeordnete viele Digitalthemen betreut, mit einem Fokus auf Verbraucherschutz und Regulierung von Künstlicher Intelligenz. Ist die EU dort auf dem richtigen Weg?

    Es sind noch sehr viele Fragen offen. Ich bin froh darüber, dass die Europäische Kommission neben dem Digital Services Act den Media Freedom Act angekündigt hat, um Probleme wie Hassrede europaweit anzugehen. Ich bin mir sicher, dass wir in diesen Fragen in Europa und in der Bundesregierung Hand in Hand gehen werden. Ich wünsche mir, dass da sehr konsequent gehandelt wird. Denn es geht nicht nur um die Frage, wie mit den Rechten von Verbraucher:innen umgegangen wird, sondern auch um die Frage, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln soll.

    Evelyne Gebhardt: Europapolitik als “Miteinander-Politik”

    Die neue Bundesregierung schürt europapolitisch viele Hoffnungen. Welche Veränderungen erwarten Sie konkret in der deutschen Position?

    Ich habe mich sehr gefreut, dass im Koalitionsvertrag die Option von Vertragsänderungen aufgenommen wurde (Europe.Table berichtete). Die sind in der Europäischen Union absolut notwendig, um die Integration und Vertiefung der europäischen Idee zu verfolgen und auch ein sozialeres Europa zu schaffen. Es geht um die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments: Das Parlament sollte entscheiden, wer Kommissionspräsident:in wird (Europe.Table berichtete) und nicht die Regierungschefs hinter verschlossenen Türen. Denn die wählen im Zweifel einfach eine Person, die für sie am wenigsten Probleme schafft. Auch das Initiativrecht für das Parlament und die Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips im Rat stehen im Koalitionsvertrag. Diese Themen müssen breit diskutiert werden und wenn ich dazu in Zukunft einen Beitrag leisten kann, werde ich das natürlich gerne machen.

    Was wünschen Sie sich noch von der Ampel-Koalition mit Blick auf die Europapolitik?

    Europapolitik sollte weniger als “Gegeneinander-Politik” und mehr als “Miteinander-Politik” begriffen werden. Es ist eine gemeinsame Souveränität: Wenn wir Entscheidungsebenen auf die europäische Ebene übertragen, heißt es ja nicht, dass die Nationalstaaten keine Souveränität mehr haben in diesem Bereich, sondern sie teilen die Souveränität. So muss das auch dargestellt werden. Ich hoffe, dass nicht wie in früheren Zeiten immer gesagt wird: “Wir haben in Europa etwas erreicht, gegen die Anderen”, sondern: “Es war schwierig, aber wir haben uns auf etwas Gemeinsames geeinigt.” Das ist eine andere Sprache, die dann auch eine andere Wahrnehmung der Europapolitik in der Bevölkerung schafft. Man darf nicht vergessen: Bei jeder Entscheidung – ob sie gut oder schlecht ankommt – ist die nationale Politik involviert. Ohne sie geht es nicht.

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      Termine

      07.01.2022 – 19:30-21:00 Uhr, online
      FNS, Diskussion Die Wirtschaft nach Corona – Prognosen und Perspektiven nach der Pandemie
      Bei dieser Veranstaltung der Friedrich Naumann Stiftung (FNS) werden mit Ingmar Niemann unter anderem eine mögliche Stagflation durch die Corona-Pandemie, die Auswirkungen eines weiteren Pandemie-Jahres für die globale Wirtschaft sowie Folgen für die deutsche und europäische Wirtschaft diskutiert. INFOS & ANMELDUNG

      10.01.2022 – 17:00-18:30 Uhr, online
      BVMW, Diskussion Beschaffung – Inflation – Klimaziele: Was bringt 2022?
      Im Zentrum dieser Online-Diskussionrunde des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) stehen langfristige Ziele und disruptive Trends in Deutschland zu den Themen Dekarbonisierung, Demografie und De-Globalisierung. INFOS & ANMELDUNG

      11.01.2022 – 18:00-20:00 Uhr, online
      RLS, Vortrag Grüne Industriekonversion in Ostdeutschland
      Wie kann ein ökologischer Umbau, der notwendig ist, um den Klimawandel zu stoppen, sozial verträglich gestaltet werden? Dieser Frage widmet sich die Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS). INFOS

      News

      CBAM-Berichtsentwurf: Weiterer Geltungsbereich und früherer Start

      Nachdem die Europäische Kommission im Rahmen ihres Fit-for-55-Pakets einen Vorschlag zur Einführung eines Grenzausgleichs für CO₂-Emissionen (CBAM) vorgelegt hatte, hat nun der Berichterstatter des EU-Parlaments, Mohammed Chahim (S&D), seinen Entwurf vorgelegt. Er habe den Bericht an die Schattenberichterstatter der anderen Fraktionen übermittelt, teilte der niederländische Abgeordnete am Mittwoch mit.

      Der Kommissionsvorschlag sei ein “hervorragender Ausgangspunkt”, schrieb Chahim auf seinem Twitter-Kanal. Es gebe jedoch in mehreren Bereichen Raum für Verbesserungen. So müsse der Geltungsbereich des Grenzausgleichs auf organische Chemikalien, Wasserstoff und Polymere ausgeweitet werden. Die Produkte hätten die “richtigen Eigenschaften”, um vom CBAM erfasst zu werden. Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag lediglich Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium und die Stromerzeugung aufgeführt und als “Waren, bei denen ein hohes Risiko der Verlagerung von CO₂-Emissionen besteht” klassifiziert.

      Daneben müssten laut Chahim auch indirekte Emissionen, also solche, die etwa bei Förderung, Transport und Produktion von Energieträgern anfallen, miteinbezogen werden. “Das ist äußerst wichtig, um die Klimaschutz-Ambitionen des Vorschlags zu stärken”, so der Berichterstatter.

      CBAM-Einführung schneller als vorgesehen

      Angesichts des Klimanotstands müsse der CBAM außerdem schneller eingeführt werden als von der Kommission vorgesehen. Entsprechend solle die Zuteilung der Gratis-Zertifikate an die Industrie früher auslaufen. “Die Garantie von kostenlosen Zertifikaten bis 2036 steht nicht im Einklang mit den Klimazielen der Union für 2030”, so Chahim. Der Abgeordnete schlägt deshalb vor, die Übergangsphase von drei auf zwei Jahre zu verkürzen.

      Bislang war vorgesehen, dass der CBAM nach seiner geplanten Einführung im Jahr 2023 zunächst nur eine Berichterstattungspflicht für die erfassten Produkte darstellt, um eine reibungslose Einführung und den Dialog mit Drittländern zu erleichtern. Erst ab 2026 sollten erste Ausgleichszahlungen fällig und die Gratis-Zertifikate gekürzt werden.

      In seinem Bericht fordert Chahim nun, die Zuteilung der Zertifikate bereits im Jahr 2025 auf 90 Prozent, 2026 auf 70 Prozent, 2027 auf 40 Prozent zu senken. Bis Ende 2028 und damit sieben Jahre früher als von der Kommission geplant soll die Vergabe kostenloser Zertifikate ganz auslaufen.

      Zentralisiertes System

      Anstatt, wie von der Kommission vorgesehen, die Organisation und Überwachung des Grenzausgleichs 27 nationalstaatlichen Behörden zu überlassen, will Chahim ein zentralisiertes System mit einer EU-CBAM-Behörde einführen. Wie genau das aussehen soll, führt der Sozialdemokrat zunächst nicht näher aus. Eine zentrale Anlaufstelle könne jedoch zu höheren Skalenerträgen führen und würde dazu beitragen “Forum Shopping aufgrund von Diskrepanzen unter den Mitgliedsstaaten zu vermeiden.”

      Außerdem müsse sichergestellt werden, dass der CBAM mehr zu Kooperation denn zu Konfrontation mit den EU-Handelspartnern beiträgt. Es müsse vermieden werden, dass Entwicklungsländer durch die Ausgleichszahlungen unverhältnismäßig stark belastet werden. Direkte Ausnahmen seien jedoch das falsche Signal. Vielmehr sollte die EU die Dekarbonisierung in Entwicklungsländern finanziell unterstützen, so Chahim. Nur Handelspartner mit einer expliziten CO₂-Preis-Politik könnten vom Grenzausgleich ausgenommen werden.

      Im Rahmen des Green Deals plant die EU die Einführung eines CO₂-Grenzausgleichs auf Importgüter. Damit soll sichergestellt werden, dass die ehrgeizigen Klimaziele erreicht werden können, ohne dass energieintensive Industriezweige ins Ausland abwandern (Carbon-Leakage). Kritiker befürchten Handelskonflikte mit Drittstaaten. Auch bezweifeln viele die Umsetzbarkeit des komplexen Systems, die Verwendung der Einnahmen ist weiter umstritten und die Konformität mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) noch nicht vollständig geklärt. til

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        Paris macht Druck bei Fiskalregeln und Lieferkettengesetz

        Die EU-Finanzminister werden voraussichtlich am 15. März über erste Erkenntnisse aus der Konsultation zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes diskutieren. Das geht aus dem neuen Programm der französischen Ratspräsidentschaft hervor. Bereits am 10. und 11. März sollen demnach die Staats- und Regierungschefs bei einem informellen Gipfel über ein “neues europäisches Modell für Wachstum, Investitionen und Beschäftigung” sprechen.

        Die EU-Kommission hatte die öffentliche Befragung zur wirtschaftspolitischen Steuerung am 19. Oktober begonnen (Europe.Table berichtete). Die Debatte über eine Reform der europäischen Fiskalregeln dürfte in den kommenden Wochen und Monaten deutlich an Fahrt aufnehmen. Die neue Bundesregierung hält sich bislang mit konkreten Signalen zur deutschen Position zurück.

        Paris will EU-Lieferkettengesetz vorantreiben

        Die Regierung in Paris will ihren Ratsvorsitz zudem nutzen, um das geplante EU-Lieferkettengesetz voranzutreiben. Der derzeit für Mitte Februar terminierte Vorschlag der Kommission werde ebenso wie das Instrument zur Bekämpfung der Entwaldung “von maßgeblicher Bedeutung sein”, heißt es im Programm.

        Außerdem wird die geplante Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) von Unternehmen eine Priorität der Ratspräsidentschaft sein. Die CSRD soll die Transparenz von Unternehmen etwa in Bezug auf Umweltwirkungen, Grundrechte oder Korruptionsbekämpfung erhöhen. “Ein ehrgeiziger Zeitplan für die Durchführung in dieser Hinsicht könnte der EU erlauben, sich als Vorreiter in einem Rahmen starker normativer Konkurrenz zu positionieren”, schreibt die Regierung in Paris. In der deutschen Industrie wird das Vorhaben der Regierung in Paris ebenso wie das EU-Lieferkettengesetz kritisch gesehen. tho

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          Irische Datenschutzaufsicht: Reynders sieht keinen Handlungsbedarf

          Eigentlich sollte die Datenschutzgrundverordnung ein einheitliches Schutz- und Durchsetzungsniveau beim Datenschutz gewährleisten – doch insbesondere an der Data Protection Commission (DPC) der Republik Irland wird immer wieder Kritik laut. Denn die Aufsichtsbehörde ist zwar für die europäischen Ableger von Digitalgiganten wie Google oder Facebook zuständig. Doch die irische Aufsicht gilt bei der Durchsetzung europäischer Rechtsvorgaben regelmäßig als besonders zurückhaltend. EU-Justizkommissar Didier Reynders sieht derzeit jedoch keine rechtliche Handhabe, Irland auf einen strengeren Datenschutzkurs zu zwingen.

          In einem Antwortschreiben an die Europaparlamentarierinnen Sophie int’Veld (D66/Renew), Birgit Sippel (SPD/S&D), Tineke Strik (GroenLinks/EFA) und Cornelia Ernst (Linke/GUE/NGL) argumentiert er, dass ihm bislang keine Hinweise auf Probleme mit den irischen Datenschutzregeln und keinerlei Beweise dafür, dass diese nicht eingehalten würden vorlägen.

          Die Innen- und Justizpolitikerinnen hatten dem Justizkommissar am 6. Dezember einen Brief geschickt, in dem sie Reynders zu insgesamt sieben Fragekomplexen zur Stellungnahme aufgefordert hatten. Reynders verweist in seinem Antwortschreiben nun unter anderem darauf, dass die Data Protection Commission der Republik Irland erst kürzlich unter anderem eine hohe Strafe gegen Whatsapp ausgesprochen habe. Dieser ging allerdings erst ein Beschluss im europäischen Datenschutzausschuss voraus, dem gemeinsamen Gremium der Datenschutzaufsichtsbehörden, das die Rechtssicht der irischen Datenschutzbehörde überstimmte.

          DPC ist Sinnbild für unzureichende Durchsetzung

          Die irische Datenschutzaufsicht und ihre Chefin Helen Dixon stehen derzeit sowohl international als auch national unter gewaltigem Druck. National wird um mehr Personal gestritten. Zuletzt entging die Regierungspartei Sinn Féin einer größeren Untersuchung mit Verweis auf die unzureichende Personalausstattung. Zudem gibt es Diskussionen über ein größeres Bürogebäude. Die ehemals kleine Behörde ist vor allem von der Zivilgesellschaft, sowohl in Irland als auch in der gesamten EU, zum Sinnbild für unzureichende Durchsetzung geworden.

          Die Datenschutzorganisation None of your Business (NOYB) des österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems verklagt die Data Protection Commission vor Gerichten in Irland und Österreich. Grund ist die ihrer Auffassung nach absichtliche Unterlassung der Durchsetzung von Regeln. NOYB zitierte zuletzt umfangreich aus Verfahrensakten von DPC und Facebook. Deren Veröffentlichung hatte die DPC der Organisation untersagen wollen. Für NOYB steht fest, dass die irische Datenschutzaufsicht statt einem Aufsichtsregime ein zu freundschaftliches Verhältnis insbesondere zu Facebook pflege. Als “Äußerst unwahr” bezeichnete DPC-Chefin Helen Dixon daraufhin die Anschuldigungen. Die DPC schloss NOYB vom weiteren Verfahren aus, woraufhin die Nichtregierungsorganisation ihrerseits die DPC bei der österreichischen Justiz verklagte.

          Proteste in Irland gegen die Data Protection Commission

          Auch in Irland selbst regt sich Protest gegen die Zustände bei der Data Protection Commission. Die Organisation Irish Council for Civil Liberties (ICCL) wandte sich zuletzt per Brief an EU-Justizkommissar Reynders und forderte ihn auf, die europäischen Regeln auch in Irland durchzusetzen. Der Sinn Féin-MEP Chris MacManus schrieb kurz vor Weihnachten ebenfalls eine als Frage verpackte Aufforderung an Reynders, die Thematik erneut zu prüfen. Erst im Sommer mahnte ein Bericht des Justizausschusses des irischen Parlaments deutliche Verbesserungen bei der Behörde an, die mit 19,1 Millionen Euro Budget zuletzt nur die Hälfte der beantragten Mittel erhalten hatte. Zum Vergleich: Allein der Landesdatenschutzaufsicht in Nordrhein-Westfalen stehen jährlich etwa 7 Millionen Euro zur Verfügung. Facebook, das sich seit kurzem Meta nennt, hat zuletzt eine Milliarde Euro Rückstellungen für mögliche Strafen nach der Datenschutzgrundverordnung gebildet. fst

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            Google: Bundeskartellamt stellt marktübergreifende Bedeutung fest

            Das Bundeskartellamt stellt auf Basis neuer gesetzlicher Befugnisse im Falle Alphabets und Googles erstmals eine überragende marktübergreifende Bedeutung eines Internet-Riesen fest, wie die Behörde am Mittwoch mitteilte. Das Bundeskartellamt könnte Google nun in einem zweiten Schritt wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen. Dazu hat das Amt schon erste konkrete Schritte eingeleitet. “Wir haben bereits damit begonnen, uns mit der Verarbeitung persönlicher Daten durch Google sowie dem Thema Google News Showcase intensiver zu befassen”, sagte Kartellamtschef Andreas Mundt: “Parallel dazu betreiben wir mit Nachdruck weitere Verfahren gegen Amazon, Apple und Meta, ehemals Facebook.”

            Der Gesetzgeber hatte dem Kartellamt vor einem Jahr mit der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) neue Möglichkeiten eröffnet. Danach kann das Bundeskartellamt eine marktbeherrschende Stellung leichter feststellen und eingreifen, um bestimmte Verhaltensweisen zu untersagen. Google nehme eine wirtschaftliche Machtposition ein, “die ihm vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte, marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet”, heißt es in der Mitteilung des Bundeskartellamts. Die Entscheidung sei auf fünf Jahre befristet – innerhalb dieses Zeitraums können die Wettbewerbshüter Google stärker kontrollieren.

            Auf europäischer Ebene wird derzeit über ein ähnliches Gesetz verhandelt, den Digital Markets Act. Der DMA dürfte es den nationalen Behörden zwar weiter erlauben, auf Grundlage nationaler Gesetze gegen die Digitalkonzerne vorzugehen. Allerdings rechnen Experten damit, dass die Bedeutung in der Praxis abnehmen wird, da die großen Verfahren von der EU-Kommission geführt werden dürften.

            Corint Media begrüßt das Vorgehen des Bundeskartellamts gegen Google

            Die Verwertungsgesellschaft Corint Media begrüßte das Vorgehen und hier besonders, dass die Wettbewerbsbehörde das Nachrichtenangebot Google News Showcase stärker unter die Lupe nimmt. “Das Amt gibt damit zu erkennen, dass es die von Google initiierten Verträge mit Verlegern zur Abgeltung des Presseleistungsschutzrechts möglicherweise für marktmissbräuchlich halten könnte, da individuelle Konditionen und geringe Preise nur wegen Googles übergroßer Marktbedeutung durchgesetzt werden konnten.”

            Die Verwertungsgesellschaft, die die Leistungsschutzrechte von Medienhäusern vertritt, hatte Google im Oktober einen Lizenzvertrag vorgelegt. Demnach fordert Corint Media für die Nutzung von Presseinhalten wie Überschriften, kurzen Artikelausschnitten und Vorschaubildern in der Suchmaschine eine Gebühr von 420 Millionen Euro für 2022. Google hat dies zurückgewiesen und betont, dass man Mehrwert für Verlage schaffe und mit Nachrichteninhalten keine nennenswerten Einnahmen erziele. rtr/tho

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              Bund erzielt Rekord-Einnahmen durch ETS

              Die neue Bundesregierung gewinnt durch Rekord-Einnahmen aus dem Verkauf von CO₂-Emissionsrechten Spielraum beim Klimaschutz. Angesichts rasant gestiegener Preise für die Zertifikate habe der Verkauf an Energieversorger und Industrie 2021 dem Bund mit 5,3 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel eingebracht wie im Jahr davor, teilte das Umweltbundesamt am Mittwoch mit. Neben diesen Einnahmen über das EU- Emissionshandelssystem (ETS) kamen weitere 7,2 Milliarden Euro durch die neue nationale Abgabe auf Sprit, Heizöl und Gas dazu. Sie hatte beispielsweise den Liter Benzin um etwa acht Cent für Autofahrer verteuert. Ab diesem Jahr steigt der nationale CO₂-Preis auf 30 Euro pro Tonne CO₂, was umgerechnet Benzin dann etwa zehn Cent teurer macht. Der Bund verwendete 2021 rund 4,7 Milliarden Euro der Mittel für die Senkung der Umlage zur Ökostrom-Förderung (EEG), die die Verbraucher zahlen müssen.

              “Die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung leisten einen wichtigen Beitrag für die Umsetzung der Energiewende, finanzieren Klimaschutzprojekte und werden außerdem zur Entlastung der Verbraucher genutzt”, sagte der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner. “Damit zeigen wir, dass Klimaschutz und sozialer Ausgleich Hand in Hand gehen können.” Die Ampel-Koalition hat beschlossen, dass ab 2023 die EEG-Umlage komplett gestrichen wird, um den Einsatz von Strom als Alternative zu Sprit und Gas attraktiver zu machen.

              Die gestiegenen Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem (ETS) ergeben sich aus den stark gestiegenen CO₂-Preisen (Europe.Table berichtete) an der Börse, wo die Zertifikate gehandelt werden. Im Schnitt erlöste der Bund 2021 für die Berechtigung zum Ausstoß einer Tonne CO₂ rund 52,40 Euro. Im Jahr 2020 waren es mit 24,60 Euro weniger als die Hälfte. Grund für den Anstieg sind unter anderem die verschärften Klimaziele der EU, die eine weitere Verknappung der ausgegebenen CO₂-Rechte nach sich ziehen wird. rtr

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                Joanna Bryson: KI sicherer machen

                Joanna Bryson, Professorin für Ethik und Technik an der Hertie School, trägt auf dem Bild eine Brille und ist vor neutralem Hintergrund abgebildet.
                Joanna Bryson ist Professorin für Ethik und Technik an der Hertie School.

                “Das Interview muss in englischer Sprache stattfinden”, hatte die Assistentin schon vorab klargestellt. Joanna Bryson drückt das anders aus: “Du kannst auf Deutsch sprechen. Aber ich werde es nicht verstehen.” Und sie lacht. Sie lacht überhaupt mehr, als man es von einer Professorin an einer Hochschule in Deutschland erwarten würde – und zwar vor allem über sich selbst. Sie habe schon an der Universität versucht, Deutsch zu lernen und besuche im Moment auch einen Sprachkurs am Goethe-Institut. Aber sie sei einfach schon immer eine Niete in Fremdsprachen gewesen, sagt die 56-Jährige.

                Statt mit Artikeln und Verbkonjugationen beschäftigt sich die Professorin an der Hertie School in Berlin lieber mit Künstlicher Intelligenz und der Frage, wie Unternehmen durch Technik geschützt werden können. In Europa ist sie übrigens nur gelandet, weil sie nach ihrem Bachelor in Verhaltensforschung nicht gewusst hat, welches Fach sie für ihren Aufbaustudiengang wählen soll. “Ich dachte mir, im Ausland würde ich auf jeden Fall irgendwas lernen”, erzählt sie.

                An der Universität im schottischen Edinburgh habe es damals schon eine Abteilung für Künstliche Intelligenz gegeben, die wirklich interdisziplinär arbeitete: “Es gab Linguistik, Neurowissenschaften, Logik, Philosophie, Musik, einfach alles!” Neben dem Master in Künstlicher Intelligenz machte sie auch einen in Psychologie. Nachdem sie dann in Massachusetts promoviert und während der Dotcom-Krise in der Heimat keine Stelle gefunden hatte, kehrte sie nach Europa zurück: “In den USA bewarb ich mich auf sieben Jobs, hatte ein Interview und kein Angebot. In Großbritannien bewarb ich mich auf zwei Jobs und bekam fünf Angebote”, erinnert sich die Professorin.

                Erst da fing Joanna Bryson an, sich wirklich mit diesem Kontinent und der Politik hier zu beschäftigen. “Die Briten schienen seltsamerweise nicht zu wissen, dass die EU viele Möglichkeiten bietet, davon erfuhr ich erst nach meiner Ankunft”, sagt die gebürtige US-Amerikanerin, die seit 2007 die britische Staatsangehörigkeit hat und nun in Berlin lebt. Viele Leute hätten damals gedacht, dass die Investition in KI ein Weg wäre, viel Geld zu verdienen. Was man dabei vergaß: “Man kann niemals Cybersicherheit ohne Künstliche Intelligenz haben und man kann Künstlicher Intelligenz niemals ohne Cybersicherheit trauen”, sagt Bryson.

                “Politik hat sich durch die digitale Revolution verändert”

                International werde KI viel zu wenig als das gesehen, was es ist: ein menschengemachtes Produkt wie jede Software: “Früher dachte man, Politiker sollten sich dafür interessieren, was die Leute, die sie repräsentieren, ‘wirklich’ wollen. Soziale Medien wären ja ein guter Weg gewesen, das herauszufinden. Stattdessen zeigt sich jetzt, dass die Menschen durch soziale Medien dazu gebracht werden können, neue Dinge haben zu wollen. Manche Politiker nutzen das, andere sind überrascht darüber, dass es stimmt.”

                Joanna Bryson sieht die Aufgabe von Politikwissenschaftlern darin, diese Entwicklung zu beobachten – und auch die ethischen Konsequenzen davon im Blick zu haben. Ich würde nie sagen, dass die Politik von Maschinen mitbestimmt wird, ich benutze Maschinen nie als Akteur, aber das, was wir tun können, hat sich durch die digitale Revolution verändert, und damit natürlich auch Politik und Governance, sagt sie.

                Die geplante KI-Verordnung auf EU-Ebene sieht sie als eine Möglichkeit, die Probleme, die es hier gibt, aus dem Weg zu räumen (Europe.Table berichtete). “Auch wenn ich die Inhalte bisher nicht hundertprozentig unterschreiben würde – dass es diesen Prozess gibt, finde ich großartig“, sagt sie. Wichtig ist ihr vor allem, dass die Regierungen in der Welt einen anderen Umgang mit Unternehmen wie Google, Apple oder Facebook pflegen: “Diese Unternehmen sind so groß, so bequem, fast schon mythisch geworden. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir sie durch innovativen Institutionen leiten können.”

                Seit fast zwei Jahren lehrt Joanna Bryson nun als Professorin für Ethik und Technik an der privaten Hertie School of Governance in Berlin. Neben Forschung und Lehre gehören für die Professorin übrigens auch Presseinterviews zum Berufsalltag. Die führt sie gerne auf einem der fünf technischen Geräte, die sie selbst besitzt: “Ich habe jeweils einen Desktop im Büro und zu Hause, einen Laptop, ein iPad und ein Smartphone. Aber ich achte – anders als viele andere Menschen – darauf, dass ich meine Dateien auf einem meiner Geräte habe, nicht nur in der Cloud, und auch auf mehreren meiner Festplatten. Ich nutze aber immer noch viele Google-Dienste, weil ich glaube, dass sie die Cybersicherheit richtig handhaben.” Sie empfange ihre E-Mails auch nicht auf dem Smartphone, “der Work-Life-Balance zuliebe. Ich würde mich auf dem kleinen Display sowieso nicht richtig mit ihnen auseinandersetzen”, sagt sie. “Und ich habe auch nicht gerne einen Stecker in meinem Ohr, der mich navigiert. Stattdessen sehe ich mir lieber eine Karte an, laufe dann los – und verirre mich dann halt auch manchmal.Von Janna Degener-Storr

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                Apéropa

                “Vermeiden Sie, zu viel Fett, Zucker und Salz zu essen” oder “Essen Sie mindestens fünf Portionen Früchte und Gemüse pro Tag” – Franzosen sind diese gut gemeinten, aber in deutschen Ohren bevormundend klingenden Hinweise allgegenwärtig. Seit 2007 sind sie in Frankreich bei der Werbung für viele Lebensmittel Pflicht. Auch Alkohol ist von den Hinweisen betroffen: Keine noch so verführerische Rotwein-Werbung kommt ohne den Hinweis aus: “L’abus d’alcool est dangereux pour la santé” (Alkoholmissbrauch ist gefährlich für die Gesundheit). Im Fernsehen und Kino ist Alkohol-Werbung in Frankreich ganz und gar verboten. Adieu liberté.

                Doch man kann es auch positiv bewerten: Vater Staat passt auf die Gesundheit seiner Einwohner:innen auf. Dieser Ansatz zieht sich bis in die Hochsommermonate hinein, während derer das französische Gesundheitsministerium regelmäßig im Fernsehen erinnert: Bei Hitze muss man ausreichend Wasser trinken. Ah bon?

                Ab März weitet sich das französische Schutzbedürfnis nun auf den Automobilsektor aus. Autofans soll die Lust am Vehikel (und am CO₂-Ausstoß) vergehen, wenn Autohersteller in ihrer Werbung künftig auf alternative und umweltfreundliche Verkehrsmittel hinweisen müssen – also auf genau das Gegenteil der Produkte, die sie bewerben.

                Die Pflicht soll für Fernseh-, Print-, Radio- und Internetwerbung gelten. Die Hersteller müssen sich einen der folgenden Slogans aussuchen: “Gehen Sie für kurze Strecken zu Fuß oder fahren Sie mit dem Fahrrad”, “ziehen Sie Fahrgemeinschaften in Betracht” oder “nehmen Sie im Alltag öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch”. Auch der eigens entworfene Hashtag #SeDéplacerMoinsPolluer (sich fortbewegen, weniger verschmutzen) sowie die Emissionsklasse müssen auf das Werbemittel drauf – ganz nach dem Vorbild des Nutri-Score. Pfeifen die Autohersteller auf die Pflicht, drohen ihnen bis zu 50.000 Euro Strafe.

                So sehr man sich als Deutsche:r über die bevormundenden Hinweise und vermeintliche Überregulierung lustig machen kann: Sie regen zum Umdenken an. Denn wer Emissionen einsparen will, ist auf die Bevölkerung angewiesen. In der Bundesrepublik gilt jedoch nach wie vor: Allein bei Tabakwerbung kann man sich auf größere Einschränkungen einigen. Dabei wäre Autowerbung à la française im Autoland Deutschland umso dringender notwendig. Eine weitere idée française: ein völliges Werbeverbot für besonders umweltschädliche Autos, darunter viele SUVs. Das tritt in der Grande Nation ab 2028 in Kraft. Jasmin Kohl

                Europe.Table Redaktion

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                  Liebe Leserin, lieber Leser,

                  nachdem wir Ihnen gestern einen digitalpolitischen Ausblick auf die kommenden Monate gegeben haben, ist heute die europäische Klimapolitik dran. 2022 soll nämlich das Jahr werden, in dem die ambitionierten Ziele der EU umgesetzt werden. Doch es stehen komplizierte Verhandlungen in den Parlaments-Ausschüssen sowie in den Trilogen bevor. Außerdem will die EU-Kommission auch weitere Vorhaben des Green Deals an den Start bringen.

                  Der Vorschlag für einen europäischen CO₂-Grenzausgleich hat den Startblock bereits verlassen und gestern eine weitere Hürde genommen. Mohammed Chahim ist niederländischer EU-Abgeordneter und Berichterstatter des Parlaments für den geplanten CBAM. Am Mittwoch legte der Sozialdemokrat seinen Berichtsentwurf vor und fordert darin deutliche Veränderungen. So soll die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate erheblich früher auslaufen als von der Kommission vorgeschlagen. Auch der Geltungsbereich des CBAMs müsse ausgeweitet werden. Timo Landenberger hat die Forderungen zusammengefasst.

                  Sie ist klein, auch nach eigener Auffassung zu klein. Dabei ist sie für einige der ganz großen Datenverarbeiter zuständig: die irische Datenschutzaufsicht DPC. Nun hat EU-Justizkommissar Didier Reynders auf ein Schreiben mehrerer EU-Parlamentarierinnen reagiert und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Irland vorläufig ausgeschlossen. Warum das aber noch längst nicht das Ende der Auseinandersetzungen ist, berichtet Falk Steiner.

                  28 Jahre lang europäische Kompromisse schmieden – auf diese Erfahrung kann die Deutsch-Französin Evelyne Gebhardt in knapp einem Monat zurückblicken, wenn sie ihr Mandat als Europaabgeordnete niederlegt. Wie die 67-jährige Sozialdemokratin politischen Tiefschlägen trotzte, sich dabei ihrem eigenen Stil treu blieb und mit dem Klischee, Frauen könnten mit Technik nichts anfangen, aufräumte, hat sie Jasmin Kohl erzählt. Ihr Wunsch an die Ampel-Koalition: Europapolitik weniger als “Gegeneinander-Politik” und mehr als “Miteinander-Politik” begreifen.

                  Ihr
                  Lukas Knigge
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                  Analyse

                  Klimapolitischer Ausblick: Was im Frühjahr 2022 zu erwarten ist

                  Das erklärte Ziel lautet, den Großteil des Fit-for-55-Pakets in diesem Jahr zu verabschieden (Europe.Table berichtete). Sobald die Positionen von Parlament und Rat vorliegen, soll nahtlos mit den Trilog-Verhandlungen begonnen werden. Allerdings ist schon jetzt mit Verzögerungen zu rechnen – vor allem bei den Teilen des Pakets, die besonders hitzig diskutiert werden.

                  Fortschritte beim Fit-for-55-Paket

                  ETS-Reform und Ausweitung

                  Die Vorschläge zur ETS-Reform liegen seit Juli 2021 auf dem Tisch. Die Anzahl der Emissionsrechte soll reduziert werden, kostenlose Zuteilungen für die Industrie schrittweise reduziert und schließlich ganz wegfallen. Zudem soll ein neues ETS für den Gebäude- und Verkehrssektor entstehen – allerdings bislang ohne die Schifffahrt. Am 14. Januar will Berichterstatter Peter Liese (EVP) seinen Berichtsentwurf vorlegen. Bis Ende April soll der Bericht mit den Schattenberichterstatter:innen abgestimmt und am 16. Mai im ENVI-Ausschuss beschlossen werden. Im Juni soll schließlich das Plenum abstimmen.

                  Zuletzt waren Forderungen lauter geworden, den ETS künftig stärker zu regulieren (Europe.Table berichtete). Liese hatte sich im Herbst noch nicht festgelegt, ob er eine strengere Aufsicht in seinen Bericht aufnehmen würde.

                  CO2-Grenzausgleich CBAM

                  Parallel zur schrittweisen Verringerung der kostenlosen Emissionsrechte plant die EU die Einführung eines Grenzausgleichsmechanismus. So soll der Schutz vor Carbon Leakage auch weiterhin WTO-konform garantiert werden. Dieser Klimazoll ist jedoch umstritten. Die Industrie fürchtet, dass er als Schutz vor Carbon Leakage nicht ausreicht, da Importe aus dem EU-Ausland ebenso ausgenommen sind wie Exporte europäischer Unternehmen.

                  Gestern wurde der Entwurf für den Bericht des niederländischen Sozialdemokraten Mohammed Chahim (S&D) öffentlich (siehe News in dieser Ausgabe). Damit beginnen nun auch die Verhandlungen mit den Schattenberichterstatter:innen.

                  Alternative Fuel Infrastructure Regulation (AFIR)

                  Auch im Verkehrssektor sollen Emissionen reduziert werden. Damit das gelingt, muss zunächst die Infrastruktur für emissionsärmeren Transport geschaffen werden. Dafür hat die Kommission im Juli 2021 eine neue Verordnung vorgeschlagen.

                  Der Ausbau der Ladeinfrastruktur für emissionsarme Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge wird federführend im TRAN-Ausschuss behandelt. Der deutsche Berichterstatter Ismail Ertug (S&D) will einen ersten Berichtsentwurf Ende Februar vorlegen, Mitte Mai sollen dann die Ausschlussmitglieder darüber abstimmen und im Juli das Plenum. Sollte auch der Rat bis dahin so weit sein, könnte anschließend mit dem Trilog begonnen werden.

                  Für Pkw schlägt die Kommission unter anderem nationale flottenbasierte Ausbauziele vor. Pro E-Auto soll eine Gesamtleistung von mindestens 1 kW durch öffentlich zugängliche Ladestationen bereitgestellt werden, für jedes Plug-in-Hybridfahrzeug mindestens 0,66 kW. Für Nutzfahrzeuge gibt es distanzbasierte Ziele. Schiffe und Flugzeuge sollen an Land beziehungsweise am Boden künftig mit grünem Strom versorgt werden.

                  Verschärfung der CO₂-Flottengrenzwerte

                  Im Sommer hatte die Kommission neue CO₂-Grenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge vorgeschlagen, um den noch immer steigenden Treibhausgasemissionen im Straßenverkehr Einhalt zu gebieten. Ab 2025 müssten die Emissionen der Neuwagenflotte 15 Prozent niedriger sein als im Vergleichsjahr 2021. 2030 müssten es 55 Prozent bei Pkw und 50 Prozent bei leichten Nutzfahrzeugen weniger sein. Ab 2035 dürften nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden. Renew-Berichterstatter Jan Huitema hat in seinem ersten Berichtsentwurf höhere Zwischenziele vorgeschlagen und sich umgehend Kritik von den Schattenberichterstattern eingefangen (Europe.Table berichtete).

                  Die Arbeit an einem Kompromiss läuft. Am 12. Januar wird der Berichtsentwurf im ENVI-Ausschuss diskutiert und im Mai folgt das Votum. Anschließend wird der Bericht dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt.

                  Neue Klimapolitik-Vorhaben der EU-Kommission 2022

                  Naturschutz-Paket (Geplant für den 23. März)

                  Im Rahmen der Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie will die EU-Kommission schon im ersten Quartal des neuen Jahres einen Vorschlag für strengere Regeln für die Nutzung von Pestiziden vorlegen. Bis 2030 soll das Risiko und die Verwendung von chemischen Pestiziden und sogenannten “more hazardous pesticides” jeweils um 50 Prozent reduziert werden.

                  Außerdem sollen im Naturschutzpaket verbindliche Ziele für die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme in Europa vorgelegt werden. Diese waren ursprünglich schon für Ende 2021 angekündigt, wurden aber verschoben. Ökosysteme mit Potenzial CO2 zu speichern, Naturkatastrophen zu verhindern und die Biodiversität zu sichern, sollen dabei besonders in den Fokus rücken.

                  Kreislaufwirtschaftspaket 1 (Geplant für den 30. März)

                  Auch Konsumgüter will die Kommission nachhaltiger gestalten. Produkte und deren Einzelteile sollen wiederverwendet oder recycelt werden können. Im ersten Teil des Kreislaufwirtschaftspaketes sollen vor allem Vorschläge für langlebigere und umweltschonende Produkte vorgelegt werden. Mit der Initiative für nachhaltige Produkte soll die Ökodesign-Richtlinie überarbeitet werden, die Regeln für die Konstruktion von hauptsächlich elektronischen Geräten festlegt. So sollen Einzelteile leichter entnommen, repariert oder fachgerecht entsorgt werden können.

                  Außerdem sollen mit einem neuen Verordnungsvorschlag klarere Kriterien festgelegt werden, unter denen Produkte oder Hersteller ihren ökologischen Fußabdruck angeben. Auch eine Strategie für nachhaltige Textilien ist für das Kreislaufwirtschaftspaket 1 vorgesehen.

                  Emissions- und Schadstoffpaket (Geplant für den 05. April)

                  Die Industrie und der Verkehrssektor zählen zu den am schwersten zu dekarbonisierenden Bereichen. Mit einem Vorschlag zur Überarbeitung der Industrieemissionen-Richtlinie will die Kommission Anlagenbetreiber zur Nutzung umweltfreundlicher Technologien bewegen. Dazu gehört auch eine Aktualisierung des Europäischen Registers zur Erfassung der Freisetzung und Übertragung von Schadstoffen (E-PRTR). Außerdem sollen die EU-Vorschriften für fluorierte Treibhausgase (industrielle Abgase) überprüft werden, um industrielle Emissionen weiter einzudämmen.

                  Verkehrsemissionen will die EU-Kommission durch eine neue Euro-Norm für Pkw und Nutzfahrzeuge senken. Erste Vorschläge für eine neue Norm hatte bereits für heftige Diskussionen zwischen der Automobilindustrie und Umweltschützer:innen gesorgt (Europe.Table berichtete).

                  Strategie für internationales Energie-Engagement (Geplant für den 27. April)

                  Die EU-Kommission will die Energiewende nicht nur auf Europa beschränken und plant, sich global für mehr Energieeffizienz, für sichere und nachhaltige Technologien einzusetzen. So soll weltweit die Verstromung fossiler Energieträger zugunsten erneuerbarer Energien ersetzt werden. Blaupause für die Strategie könnte die Energiepartnerschaft mit Südafrika sein (Europe.Table berichtete), die die EU gemeinsam mit den Regierungen in Frankreich, Großbritannien, USA und Deutschland auf der Klimakonferenz COP26 in Glasgow geschlossen hat.

                  Kreislaufwirtschaftspaket 2 (Geplant für den 20. Juli)

                  Im zweiten Teil des Pakets geht es um die Vermeidung von Plastik und Verpackungsmüll. Im Juli 2022 sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für biobasierte, biologisch abbaubare und kompostierbare Kunststoffe und eine Überarbeitung der Richtlinie für Verpackungen und Verpackungsabfälle vorgelegt werden. Außerdem soll die Abwasser-Richtlinie überprüft werden, nachdem die Kommission eine Folgenabschätzung zur aktuellen Regelung veröffentlichen wird. Bei der Überprüfung geht es insbesondere darum, Verbesserungspotentiale für weniger Wasserverschwendung in den Städten auszumachen.

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                    Evelyne Gebhardt: Europapolitik ohne Poltern und Schreien

                    Evelyne Gebhardt: Europapolitik ohne Poltern und Schreien

Evelyne Gebhardt ist seit 1994 Europaabgeordnete.
                    Evelyne Gebhardt ist seit 1994 Europaabgeordnete.

                    Die SPD-Politikerin Evelyne Gebhardt ist Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) sowie stellvertretende Vorsitzende der Delegation für die parlamentarischen Beziehungen zur Volksrepublik China. Ihre deutsch-französische Perspektive half ihr entschieden beim Kompromisse schmieden. Sie setzt sich für einen sozialen Binnenmarkt mit starkem Verbraucherschutz sowie die Gleichstellung von Mann und Frau ein. Zuletzt kämpfte die 67-Jährige als Schattenberichterstatterin für eine starke Parlamentsposition zum Digital Markets Act (DMA).

                    Frau Gebhardt, Sie hängen das Abgeordnetenmandat zur Mitte der Wahlperiode an den Nagel, um den Weg für Jüngere freizumachen. Wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung gefallen?

                    Es fällt mir schon schwer zu gehen, weil meine Arbeit sehr spannend ist. Ich habe es immer als große Ehre und ganz großes Glück empfunden, dass ich diese Arbeit machen durfte. Ich habe fast jeden Tag den Eindruck gehabt, ich kann etwas gestalten und voranbringen. Ich bin also einerseits wehmütig, aber andererseits auch froh, dass ich diese Entscheidung jetzt getroffen habe, weil ich weiß: Irgendwann muss sie getroffen werden.

                    Sie haben 1994 erstmals für das Amt der Europaabgeordneten kandidiert, um gegen soziale und gesellschaftliche Missstände aktiv zu werden. Mit welchen Mitteln haben Sie für Ihre Ziele gekämpft?

                    Noch bevor ich Europaabgeordnete geworden bin, habe ich mir vorgenommen, dass ich zeigen möchte, dass man Politik auch anders machen kann und damit Erfolg haben kann. Also nicht mit Poltern oder Schreien, was in den 70er Jahren üblich war. Das entspricht einfach nicht meinem Naturell. Es gibt viele andere Möglichkeiten, sich durchzusetzen: durch Strategie, gutes Überlegen und Einfühlungsvermögen. Das sind meine Mittel. Und das habe ich bewiesen, sonst hätte ich nicht so lange mein Mandat ausüben und auf viele Erfolge zurückschauen können.

                    Kampf für die Gleichstellung von Mann und Frau

                    Als Sie ins Europaparlament eingezogen sind, waren Frauen dort noch stark unterrepräsentiert. Wie haben Sie das zu spüren bekommen?

                    Es hat sich in den Jahren für mich als Frau viel geändert. Als ich ganz neu im Parlament war, wollte man mich gleich in den Frauenausschuss stecken, weil ich mich zuvor schon für die Belange von Frauen eingesetzt habe. Aber ich habe immer gesagt: Wir Frauen müssen auch in die “harten Ausschüsse” – deshalb bin ich in den Rechtsausschuss und den Umweltausschuss gegangen.

                    In welchen Situationen haben Sie gemerkt, dass Ihr Geschlecht eine Rolle spielt, obwohl es eigentlich nichts zur Sache tun sollte?

                    Das prägendste Beispiel war die Zeit, in der ich Berichterstatterin für die Dienstleistungsrichtlinie war. Mein Vater ist während der heißen Verhandlungsphase (2004/2005) gestorben, und ich bin natürlich zu seiner Beerdigung gefahren. Daher musste ich eine Sitzung verschieben. Auf der Beerdigung habe ich dann einen Anruf von einem Mitarbeiter meiner Fraktion bekommen, der mir sagte: “Evelyne, du musst so schnell wie möglich wieder zurück nach Brüssel kommen.”

                    Es stellte sich heraus, dass der Schattenberichterstatter der Liberalen mir die Fähigkeit absprechen wollte, meine Arbeit als Berichterstatterin zu machen: Ich sei durch den Tod meines Vaters emotional nicht in der Lage, die Verhandlungen weiterzuführen. Wäre ich ein Mann, wäre niemand auf solch eine Idee gekommen. Das ist ein Beispiel aus der Vergangenheit, aber es gibt auch heute noch solche Situationen.

                    Welche zum Beispiel?

                    Bei den Verhandlungen zum Digital Markets Act habe ich gemerkt, wie der eine oder andere Kollege meinte, er müsste mir jetzt helfen – auch aus meiner Fraktion. Das hat mich richtig gestört. Da gibt es zum einen das Klischee, Frauen könnten mit Technik nichts anfangen. Ich war aber immer sehr technikaffin. Und zum anderen spricht man uns Frauen immer noch ab, dass wir durchsetzungsfähig sind. Das wird zwar nicht offen gesagt, aber ich bekomme das immer noch unterschwellig zu spüren. Darüber ärgere ich mich immer wieder.

                    Sie sind gebürtige Französin und 1975 nach Deutschland ausgewandert. Hat Ihnen das geholfen, im Parlament Kompromisse zu finden?

                    Dass ich die Erfahrung von zwei Staaten, zwei Kulturen und zwei Traditionen habe, hat mir natürlich im europäischen Rahmen sehr geholfen. Ich weiß, dass in jedem Mitgliedstaat eine andere Kultur vorherrscht und dass man das auch mitberücksichtigen muss, wenn man im Europäischen Parlament Erfolg haben will.

                    Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

                    Vor ungefähr 15 Jahren hatten sich deutsche und französische Kollegen aus der S&D-Fraktion vorgenommen, ein gemeinsames Papier zur Außen- und Verteidigungspolitik zu schreiben. Das Papier las sich wirklich sehr gut, aber ich war mir nicht sicher, ob wir dem zustimmen konnten. Denn hinter “Verteidigungspolitik” stecken in Deutschland und Frankreich unterschiedliche Philosophien: In Deutschland geht es um die Verteidigung des eigenen Staates, in Frankreich versteht man darunter eine sehr extensive Politik, zu der auch Kriegseinsätze im Ausland gehören. Es gab dann eine lange Diskussion, die leider dazu geführt hat, dass das Papier im Papierkorb gelandet ist. Das war hart für diejenigen, die daran gearbeitet haben, aber ich konnte ja nicht einfach still sitzen bleiben. Es war ein wichtiges Thema, bei dem man nicht einfach den Eindruck erwecken konnte, als hätten wir uns geeinigt.

                    Was werden Sie am meisten an Ihrer Arbeit als Europaabgeordnete vermissen?

                    Ich werde das Schmieden von Kompromissen vermissen – die Verhandlungen, die Überlegungen, die Strategien, die man entwickeln muss. Aber auch die direkte Konfrontation mit den Ideen der anderen Fraktionen. Das ist eine sehr produktive Arbeit: Man hat eine Idee, man weiß, die anderen wollen etwas ganz anderes, und man versucht das Beste daraus zu machen. Am Ende findet man immer eine Lösung, das gefällt mir. Man bekommt zwar nie 100 Prozent, aber wenn ich 80 Prozent bekomme, bin ich auch zufrieden.

                    Digitalpolitik: “Es sind noch sehr viele Fragen offen”

                    Ihr Nachfolger ist der 42-jährige René Repasi (Europe.Table berichtete). Er wird als DMA-Schattenberichterstatter eine wichtige Rolle im Trilog spielen. Welche Ratschläge geben Sie ihm mit auf den Weg?

                    Jeder Mensch hat seine eigene Arbeitsweise, und das respektiere ich viel zu sehr, als dass ich jetzt anfangen würde, ihm zu sagen, was er zu tun oder zu lassen hat. Wir hatten bereits viele Gespräche und er weiß, dass er mich anrufen kann, wenn er einen Ratschlag braucht.

                    Als Schattenberichterstatterin für den DMA haben Sie stark für die Interoperabilität gekämpft (Europe.Table berichtete) und sich in diesem Punkt gegen den EVP-Berichterstatter Andreas Schwab durchsetzen können. Befürchten Sie, dass diese Erfolge im Trilog verwässert werden?

                    Ich werde wahrscheinlich noch zwei oder drei Triloge mitmachen können. Die französische Ratspräsidentschaft will die Verhandlungen im April abschließen. Glücklicherweise übernimmt René Repasi auch meine Mitarbeiter, die das nötige Fachwissen haben. Ich bin mir sicher, dass er auch ein Auge auf den Berichterstatter haben wird. Denn ich weiß, dass Herr Schwab die eine oder andere Kröte schlucken musste (Europe.Table berichtete), die ich ihm in seine Suppe gelegt habe (lacht).

                    Sie haben als Europaabgeordnete viele Digitalthemen betreut, mit einem Fokus auf Verbraucherschutz und Regulierung von Künstlicher Intelligenz. Ist die EU dort auf dem richtigen Weg?

                    Es sind noch sehr viele Fragen offen. Ich bin froh darüber, dass die Europäische Kommission neben dem Digital Services Act den Media Freedom Act angekündigt hat, um Probleme wie Hassrede europaweit anzugehen. Ich bin mir sicher, dass wir in diesen Fragen in Europa und in der Bundesregierung Hand in Hand gehen werden. Ich wünsche mir, dass da sehr konsequent gehandelt wird. Denn es geht nicht nur um die Frage, wie mit den Rechten von Verbraucher:innen umgegangen wird, sondern auch um die Frage, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln soll.

                    Evelyne Gebhardt: Europapolitik als “Miteinander-Politik”

                    Die neue Bundesregierung schürt europapolitisch viele Hoffnungen. Welche Veränderungen erwarten Sie konkret in der deutschen Position?

                    Ich habe mich sehr gefreut, dass im Koalitionsvertrag die Option von Vertragsänderungen aufgenommen wurde (Europe.Table berichtete). Die sind in der Europäischen Union absolut notwendig, um die Integration und Vertiefung der europäischen Idee zu verfolgen und auch ein sozialeres Europa zu schaffen. Es geht um die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments: Das Parlament sollte entscheiden, wer Kommissionspräsident:in wird (Europe.Table berichtete) und nicht die Regierungschefs hinter verschlossenen Türen. Denn die wählen im Zweifel einfach eine Person, die für sie am wenigsten Probleme schafft. Auch das Initiativrecht für das Parlament und die Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips im Rat stehen im Koalitionsvertrag. Diese Themen müssen breit diskutiert werden und wenn ich dazu in Zukunft einen Beitrag leisten kann, werde ich das natürlich gerne machen.

                    Was wünschen Sie sich noch von der Ampel-Koalition mit Blick auf die Europapolitik?

                    Europapolitik sollte weniger als “Gegeneinander-Politik” und mehr als “Miteinander-Politik” begriffen werden. Es ist eine gemeinsame Souveränität: Wenn wir Entscheidungsebenen auf die europäische Ebene übertragen, heißt es ja nicht, dass die Nationalstaaten keine Souveränität mehr haben in diesem Bereich, sondern sie teilen die Souveränität. So muss das auch dargestellt werden. Ich hoffe, dass nicht wie in früheren Zeiten immer gesagt wird: “Wir haben in Europa etwas erreicht, gegen die Anderen”, sondern: “Es war schwierig, aber wir haben uns auf etwas Gemeinsames geeinigt.” Das ist eine andere Sprache, die dann auch eine andere Wahrnehmung der Europapolitik in der Bevölkerung schafft. Man darf nicht vergessen: Bei jeder Entscheidung – ob sie gut oder schlecht ankommt – ist die nationale Politik involviert. Ohne sie geht es nicht.

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                      Termine

                      07.01.2022 – 19:30-21:00 Uhr, online
                      FNS, Diskussion Die Wirtschaft nach Corona – Prognosen und Perspektiven nach der Pandemie
                      Bei dieser Veranstaltung der Friedrich Naumann Stiftung (FNS) werden mit Ingmar Niemann unter anderem eine mögliche Stagflation durch die Corona-Pandemie, die Auswirkungen eines weiteren Pandemie-Jahres für die globale Wirtschaft sowie Folgen für die deutsche und europäische Wirtschaft diskutiert. INFOS & ANMELDUNG

                      10.01.2022 – 17:00-18:30 Uhr, online
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                      Im Zentrum dieser Online-Diskussionrunde des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) stehen langfristige Ziele und disruptive Trends in Deutschland zu den Themen Dekarbonisierung, Demografie und De-Globalisierung. INFOS & ANMELDUNG

                      11.01.2022 – 18:00-20:00 Uhr, online
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                      Wie kann ein ökologischer Umbau, der notwendig ist, um den Klimawandel zu stoppen, sozial verträglich gestaltet werden? Dieser Frage widmet sich die Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS). INFOS

                      News

                      CBAM-Berichtsentwurf: Weiterer Geltungsbereich und früherer Start

                      Nachdem die Europäische Kommission im Rahmen ihres Fit-for-55-Pakets einen Vorschlag zur Einführung eines Grenzausgleichs für CO₂-Emissionen (CBAM) vorgelegt hatte, hat nun der Berichterstatter des EU-Parlaments, Mohammed Chahim (S&D), seinen Entwurf vorgelegt. Er habe den Bericht an die Schattenberichterstatter der anderen Fraktionen übermittelt, teilte der niederländische Abgeordnete am Mittwoch mit.

                      Der Kommissionsvorschlag sei ein “hervorragender Ausgangspunkt”, schrieb Chahim auf seinem Twitter-Kanal. Es gebe jedoch in mehreren Bereichen Raum für Verbesserungen. So müsse der Geltungsbereich des Grenzausgleichs auf organische Chemikalien, Wasserstoff und Polymere ausgeweitet werden. Die Produkte hätten die “richtigen Eigenschaften”, um vom CBAM erfasst zu werden. Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag lediglich Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium und die Stromerzeugung aufgeführt und als “Waren, bei denen ein hohes Risiko der Verlagerung von CO₂-Emissionen besteht” klassifiziert.

                      Daneben müssten laut Chahim auch indirekte Emissionen, also solche, die etwa bei Förderung, Transport und Produktion von Energieträgern anfallen, miteinbezogen werden. “Das ist äußerst wichtig, um die Klimaschutz-Ambitionen des Vorschlags zu stärken”, so der Berichterstatter.

                      CBAM-Einführung schneller als vorgesehen

                      Angesichts des Klimanotstands müsse der CBAM außerdem schneller eingeführt werden als von der Kommission vorgesehen. Entsprechend solle die Zuteilung der Gratis-Zertifikate an die Industrie früher auslaufen. “Die Garantie von kostenlosen Zertifikaten bis 2036 steht nicht im Einklang mit den Klimazielen der Union für 2030”, so Chahim. Der Abgeordnete schlägt deshalb vor, die Übergangsphase von drei auf zwei Jahre zu verkürzen.

                      Bislang war vorgesehen, dass der CBAM nach seiner geplanten Einführung im Jahr 2023 zunächst nur eine Berichterstattungspflicht für die erfassten Produkte darstellt, um eine reibungslose Einführung und den Dialog mit Drittländern zu erleichtern. Erst ab 2026 sollten erste Ausgleichszahlungen fällig und die Gratis-Zertifikate gekürzt werden.

                      In seinem Bericht fordert Chahim nun, die Zuteilung der Zertifikate bereits im Jahr 2025 auf 90 Prozent, 2026 auf 70 Prozent, 2027 auf 40 Prozent zu senken. Bis Ende 2028 und damit sieben Jahre früher als von der Kommission geplant soll die Vergabe kostenloser Zertifikate ganz auslaufen.

                      Zentralisiertes System

                      Anstatt, wie von der Kommission vorgesehen, die Organisation und Überwachung des Grenzausgleichs 27 nationalstaatlichen Behörden zu überlassen, will Chahim ein zentralisiertes System mit einer EU-CBAM-Behörde einführen. Wie genau das aussehen soll, führt der Sozialdemokrat zunächst nicht näher aus. Eine zentrale Anlaufstelle könne jedoch zu höheren Skalenerträgen führen und würde dazu beitragen “Forum Shopping aufgrund von Diskrepanzen unter den Mitgliedsstaaten zu vermeiden.”

                      Außerdem müsse sichergestellt werden, dass der CBAM mehr zu Kooperation denn zu Konfrontation mit den EU-Handelspartnern beiträgt. Es müsse vermieden werden, dass Entwicklungsländer durch die Ausgleichszahlungen unverhältnismäßig stark belastet werden. Direkte Ausnahmen seien jedoch das falsche Signal. Vielmehr sollte die EU die Dekarbonisierung in Entwicklungsländern finanziell unterstützen, so Chahim. Nur Handelspartner mit einer expliziten CO₂-Preis-Politik könnten vom Grenzausgleich ausgenommen werden.

                      Im Rahmen des Green Deals plant die EU die Einführung eines CO₂-Grenzausgleichs auf Importgüter. Damit soll sichergestellt werden, dass die ehrgeizigen Klimaziele erreicht werden können, ohne dass energieintensive Industriezweige ins Ausland abwandern (Carbon-Leakage). Kritiker befürchten Handelskonflikte mit Drittstaaten. Auch bezweifeln viele die Umsetzbarkeit des komplexen Systems, die Verwendung der Einnahmen ist weiter umstritten und die Konformität mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) noch nicht vollständig geklärt. til

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                        Paris macht Druck bei Fiskalregeln und Lieferkettengesetz

                        Die EU-Finanzminister werden voraussichtlich am 15. März über erste Erkenntnisse aus der Konsultation zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes diskutieren. Das geht aus dem neuen Programm der französischen Ratspräsidentschaft hervor. Bereits am 10. und 11. März sollen demnach die Staats- und Regierungschefs bei einem informellen Gipfel über ein “neues europäisches Modell für Wachstum, Investitionen und Beschäftigung” sprechen.

                        Die EU-Kommission hatte die öffentliche Befragung zur wirtschaftspolitischen Steuerung am 19. Oktober begonnen (Europe.Table berichtete). Die Debatte über eine Reform der europäischen Fiskalregeln dürfte in den kommenden Wochen und Monaten deutlich an Fahrt aufnehmen. Die neue Bundesregierung hält sich bislang mit konkreten Signalen zur deutschen Position zurück.

                        Paris will EU-Lieferkettengesetz vorantreiben

                        Die Regierung in Paris will ihren Ratsvorsitz zudem nutzen, um das geplante EU-Lieferkettengesetz voranzutreiben. Der derzeit für Mitte Februar terminierte Vorschlag der Kommission werde ebenso wie das Instrument zur Bekämpfung der Entwaldung “von maßgeblicher Bedeutung sein”, heißt es im Programm.

                        Außerdem wird die geplante Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) von Unternehmen eine Priorität der Ratspräsidentschaft sein. Die CSRD soll die Transparenz von Unternehmen etwa in Bezug auf Umweltwirkungen, Grundrechte oder Korruptionsbekämpfung erhöhen. “Ein ehrgeiziger Zeitplan für die Durchführung in dieser Hinsicht könnte der EU erlauben, sich als Vorreiter in einem Rahmen starker normativer Konkurrenz zu positionieren”, schreibt die Regierung in Paris. In der deutschen Industrie wird das Vorhaben der Regierung in Paris ebenso wie das EU-Lieferkettengesetz kritisch gesehen. tho

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                          Irische Datenschutzaufsicht: Reynders sieht keinen Handlungsbedarf

                          Eigentlich sollte die Datenschutzgrundverordnung ein einheitliches Schutz- und Durchsetzungsniveau beim Datenschutz gewährleisten – doch insbesondere an der Data Protection Commission (DPC) der Republik Irland wird immer wieder Kritik laut. Denn die Aufsichtsbehörde ist zwar für die europäischen Ableger von Digitalgiganten wie Google oder Facebook zuständig. Doch die irische Aufsicht gilt bei der Durchsetzung europäischer Rechtsvorgaben regelmäßig als besonders zurückhaltend. EU-Justizkommissar Didier Reynders sieht derzeit jedoch keine rechtliche Handhabe, Irland auf einen strengeren Datenschutzkurs zu zwingen.

                          In einem Antwortschreiben an die Europaparlamentarierinnen Sophie int’Veld (D66/Renew), Birgit Sippel (SPD/S&D), Tineke Strik (GroenLinks/EFA) und Cornelia Ernst (Linke/GUE/NGL) argumentiert er, dass ihm bislang keine Hinweise auf Probleme mit den irischen Datenschutzregeln und keinerlei Beweise dafür, dass diese nicht eingehalten würden vorlägen.

                          Die Innen- und Justizpolitikerinnen hatten dem Justizkommissar am 6. Dezember einen Brief geschickt, in dem sie Reynders zu insgesamt sieben Fragekomplexen zur Stellungnahme aufgefordert hatten. Reynders verweist in seinem Antwortschreiben nun unter anderem darauf, dass die Data Protection Commission der Republik Irland erst kürzlich unter anderem eine hohe Strafe gegen Whatsapp ausgesprochen habe. Dieser ging allerdings erst ein Beschluss im europäischen Datenschutzausschuss voraus, dem gemeinsamen Gremium der Datenschutzaufsichtsbehörden, das die Rechtssicht der irischen Datenschutzbehörde überstimmte.

                          DPC ist Sinnbild für unzureichende Durchsetzung

                          Die irische Datenschutzaufsicht und ihre Chefin Helen Dixon stehen derzeit sowohl international als auch national unter gewaltigem Druck. National wird um mehr Personal gestritten. Zuletzt entging die Regierungspartei Sinn Féin einer größeren Untersuchung mit Verweis auf die unzureichende Personalausstattung. Zudem gibt es Diskussionen über ein größeres Bürogebäude. Die ehemals kleine Behörde ist vor allem von der Zivilgesellschaft, sowohl in Irland als auch in der gesamten EU, zum Sinnbild für unzureichende Durchsetzung geworden.

                          Die Datenschutzorganisation None of your Business (NOYB) des österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems verklagt die Data Protection Commission vor Gerichten in Irland und Österreich. Grund ist die ihrer Auffassung nach absichtliche Unterlassung der Durchsetzung von Regeln. NOYB zitierte zuletzt umfangreich aus Verfahrensakten von DPC und Facebook. Deren Veröffentlichung hatte die DPC der Organisation untersagen wollen. Für NOYB steht fest, dass die irische Datenschutzaufsicht statt einem Aufsichtsregime ein zu freundschaftliches Verhältnis insbesondere zu Facebook pflege. Als “Äußerst unwahr” bezeichnete DPC-Chefin Helen Dixon daraufhin die Anschuldigungen. Die DPC schloss NOYB vom weiteren Verfahren aus, woraufhin die Nichtregierungsorganisation ihrerseits die DPC bei der österreichischen Justiz verklagte.

                          Proteste in Irland gegen die Data Protection Commission

                          Auch in Irland selbst regt sich Protest gegen die Zustände bei der Data Protection Commission. Die Organisation Irish Council for Civil Liberties (ICCL) wandte sich zuletzt per Brief an EU-Justizkommissar Reynders und forderte ihn auf, die europäischen Regeln auch in Irland durchzusetzen. Der Sinn Féin-MEP Chris MacManus schrieb kurz vor Weihnachten ebenfalls eine als Frage verpackte Aufforderung an Reynders, die Thematik erneut zu prüfen. Erst im Sommer mahnte ein Bericht des Justizausschusses des irischen Parlaments deutliche Verbesserungen bei der Behörde an, die mit 19,1 Millionen Euro Budget zuletzt nur die Hälfte der beantragten Mittel erhalten hatte. Zum Vergleich: Allein der Landesdatenschutzaufsicht in Nordrhein-Westfalen stehen jährlich etwa 7 Millionen Euro zur Verfügung. Facebook, das sich seit kurzem Meta nennt, hat zuletzt eine Milliarde Euro Rückstellungen für mögliche Strafen nach der Datenschutzgrundverordnung gebildet. fst

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                            Google: Bundeskartellamt stellt marktübergreifende Bedeutung fest

                            Das Bundeskartellamt stellt auf Basis neuer gesetzlicher Befugnisse im Falle Alphabets und Googles erstmals eine überragende marktübergreifende Bedeutung eines Internet-Riesen fest, wie die Behörde am Mittwoch mitteilte. Das Bundeskartellamt könnte Google nun in einem zweiten Schritt wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen. Dazu hat das Amt schon erste konkrete Schritte eingeleitet. “Wir haben bereits damit begonnen, uns mit der Verarbeitung persönlicher Daten durch Google sowie dem Thema Google News Showcase intensiver zu befassen”, sagte Kartellamtschef Andreas Mundt: “Parallel dazu betreiben wir mit Nachdruck weitere Verfahren gegen Amazon, Apple und Meta, ehemals Facebook.”

                            Der Gesetzgeber hatte dem Kartellamt vor einem Jahr mit der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) neue Möglichkeiten eröffnet. Danach kann das Bundeskartellamt eine marktbeherrschende Stellung leichter feststellen und eingreifen, um bestimmte Verhaltensweisen zu untersagen. Google nehme eine wirtschaftliche Machtposition ein, “die ihm vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte, marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet”, heißt es in der Mitteilung des Bundeskartellamts. Die Entscheidung sei auf fünf Jahre befristet – innerhalb dieses Zeitraums können die Wettbewerbshüter Google stärker kontrollieren.

                            Auf europäischer Ebene wird derzeit über ein ähnliches Gesetz verhandelt, den Digital Markets Act. Der DMA dürfte es den nationalen Behörden zwar weiter erlauben, auf Grundlage nationaler Gesetze gegen die Digitalkonzerne vorzugehen. Allerdings rechnen Experten damit, dass die Bedeutung in der Praxis abnehmen wird, da die großen Verfahren von der EU-Kommission geführt werden dürften.

                            Corint Media begrüßt das Vorgehen des Bundeskartellamts gegen Google

                            Die Verwertungsgesellschaft Corint Media begrüßte das Vorgehen und hier besonders, dass die Wettbewerbsbehörde das Nachrichtenangebot Google News Showcase stärker unter die Lupe nimmt. “Das Amt gibt damit zu erkennen, dass es die von Google initiierten Verträge mit Verlegern zur Abgeltung des Presseleistungsschutzrechts möglicherweise für marktmissbräuchlich halten könnte, da individuelle Konditionen und geringe Preise nur wegen Googles übergroßer Marktbedeutung durchgesetzt werden konnten.”

                            Die Verwertungsgesellschaft, die die Leistungsschutzrechte von Medienhäusern vertritt, hatte Google im Oktober einen Lizenzvertrag vorgelegt. Demnach fordert Corint Media für die Nutzung von Presseinhalten wie Überschriften, kurzen Artikelausschnitten und Vorschaubildern in der Suchmaschine eine Gebühr von 420 Millionen Euro für 2022. Google hat dies zurückgewiesen und betont, dass man Mehrwert für Verlage schaffe und mit Nachrichteninhalten keine nennenswerten Einnahmen erziele. rtr/tho

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                              Bund erzielt Rekord-Einnahmen durch ETS

                              Die neue Bundesregierung gewinnt durch Rekord-Einnahmen aus dem Verkauf von CO₂-Emissionsrechten Spielraum beim Klimaschutz. Angesichts rasant gestiegener Preise für die Zertifikate habe der Verkauf an Energieversorger und Industrie 2021 dem Bund mit 5,3 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel eingebracht wie im Jahr davor, teilte das Umweltbundesamt am Mittwoch mit. Neben diesen Einnahmen über das EU- Emissionshandelssystem (ETS) kamen weitere 7,2 Milliarden Euro durch die neue nationale Abgabe auf Sprit, Heizöl und Gas dazu. Sie hatte beispielsweise den Liter Benzin um etwa acht Cent für Autofahrer verteuert. Ab diesem Jahr steigt der nationale CO₂-Preis auf 30 Euro pro Tonne CO₂, was umgerechnet Benzin dann etwa zehn Cent teurer macht. Der Bund verwendete 2021 rund 4,7 Milliarden Euro der Mittel für die Senkung der Umlage zur Ökostrom-Förderung (EEG), die die Verbraucher zahlen müssen.

                              “Die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung leisten einen wichtigen Beitrag für die Umsetzung der Energiewende, finanzieren Klimaschutzprojekte und werden außerdem zur Entlastung der Verbraucher genutzt”, sagte der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner. “Damit zeigen wir, dass Klimaschutz und sozialer Ausgleich Hand in Hand gehen können.” Die Ampel-Koalition hat beschlossen, dass ab 2023 die EEG-Umlage komplett gestrichen wird, um den Einsatz von Strom als Alternative zu Sprit und Gas attraktiver zu machen.

                              Die gestiegenen Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem (ETS) ergeben sich aus den stark gestiegenen CO₂-Preisen (Europe.Table berichtete) an der Börse, wo die Zertifikate gehandelt werden. Im Schnitt erlöste der Bund 2021 für die Berechtigung zum Ausstoß einer Tonne CO₂ rund 52,40 Euro. Im Jahr 2020 waren es mit 24,60 Euro weniger als die Hälfte. Grund für den Anstieg sind unter anderem die verschärften Klimaziele der EU, die eine weitere Verknappung der ausgegebenen CO₂-Rechte nach sich ziehen wird. rtr

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                                Joanna Bryson: KI sicherer machen

                                Joanna Bryson, Professorin für Ethik und Technik an der Hertie School, trägt auf dem Bild eine Brille und ist vor neutralem Hintergrund abgebildet.
                                Joanna Bryson ist Professorin für Ethik und Technik an der Hertie School.

                                “Das Interview muss in englischer Sprache stattfinden”, hatte die Assistentin schon vorab klargestellt. Joanna Bryson drückt das anders aus: “Du kannst auf Deutsch sprechen. Aber ich werde es nicht verstehen.” Und sie lacht. Sie lacht überhaupt mehr, als man es von einer Professorin an einer Hochschule in Deutschland erwarten würde – und zwar vor allem über sich selbst. Sie habe schon an der Universität versucht, Deutsch zu lernen und besuche im Moment auch einen Sprachkurs am Goethe-Institut. Aber sie sei einfach schon immer eine Niete in Fremdsprachen gewesen, sagt die 56-Jährige.

                                Statt mit Artikeln und Verbkonjugationen beschäftigt sich die Professorin an der Hertie School in Berlin lieber mit Künstlicher Intelligenz und der Frage, wie Unternehmen durch Technik geschützt werden können. In Europa ist sie übrigens nur gelandet, weil sie nach ihrem Bachelor in Verhaltensforschung nicht gewusst hat, welches Fach sie für ihren Aufbaustudiengang wählen soll. “Ich dachte mir, im Ausland würde ich auf jeden Fall irgendwas lernen”, erzählt sie.

                                An der Universität im schottischen Edinburgh habe es damals schon eine Abteilung für Künstliche Intelligenz gegeben, die wirklich interdisziplinär arbeitete: “Es gab Linguistik, Neurowissenschaften, Logik, Philosophie, Musik, einfach alles!” Neben dem Master in Künstlicher Intelligenz machte sie auch einen in Psychologie. Nachdem sie dann in Massachusetts promoviert und während der Dotcom-Krise in der Heimat keine Stelle gefunden hatte, kehrte sie nach Europa zurück: “In den USA bewarb ich mich auf sieben Jobs, hatte ein Interview und kein Angebot. In Großbritannien bewarb ich mich auf zwei Jobs und bekam fünf Angebote”, erinnert sich die Professorin.

                                Erst da fing Joanna Bryson an, sich wirklich mit diesem Kontinent und der Politik hier zu beschäftigen. “Die Briten schienen seltsamerweise nicht zu wissen, dass die EU viele Möglichkeiten bietet, davon erfuhr ich erst nach meiner Ankunft”, sagt die gebürtige US-Amerikanerin, die seit 2007 die britische Staatsangehörigkeit hat und nun in Berlin lebt. Viele Leute hätten damals gedacht, dass die Investition in KI ein Weg wäre, viel Geld zu verdienen. Was man dabei vergaß: “Man kann niemals Cybersicherheit ohne Künstliche Intelligenz haben und man kann Künstlicher Intelligenz niemals ohne Cybersicherheit trauen”, sagt Bryson.

                                “Politik hat sich durch die digitale Revolution verändert”

                                International werde KI viel zu wenig als das gesehen, was es ist: ein menschengemachtes Produkt wie jede Software: “Früher dachte man, Politiker sollten sich dafür interessieren, was die Leute, die sie repräsentieren, ‘wirklich’ wollen. Soziale Medien wären ja ein guter Weg gewesen, das herauszufinden. Stattdessen zeigt sich jetzt, dass die Menschen durch soziale Medien dazu gebracht werden können, neue Dinge haben zu wollen. Manche Politiker nutzen das, andere sind überrascht darüber, dass es stimmt.”

                                Joanna Bryson sieht die Aufgabe von Politikwissenschaftlern darin, diese Entwicklung zu beobachten – und auch die ethischen Konsequenzen davon im Blick zu haben. Ich würde nie sagen, dass die Politik von Maschinen mitbestimmt wird, ich benutze Maschinen nie als Akteur, aber das, was wir tun können, hat sich durch die digitale Revolution verändert, und damit natürlich auch Politik und Governance, sagt sie.

                                Die geplante KI-Verordnung auf EU-Ebene sieht sie als eine Möglichkeit, die Probleme, die es hier gibt, aus dem Weg zu räumen (Europe.Table berichtete). “Auch wenn ich die Inhalte bisher nicht hundertprozentig unterschreiben würde – dass es diesen Prozess gibt, finde ich großartig“, sagt sie. Wichtig ist ihr vor allem, dass die Regierungen in der Welt einen anderen Umgang mit Unternehmen wie Google, Apple oder Facebook pflegen: “Diese Unternehmen sind so groß, so bequem, fast schon mythisch geworden. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir sie durch innovativen Institutionen leiten können.”

                                Seit fast zwei Jahren lehrt Joanna Bryson nun als Professorin für Ethik und Technik an der privaten Hertie School of Governance in Berlin. Neben Forschung und Lehre gehören für die Professorin übrigens auch Presseinterviews zum Berufsalltag. Die führt sie gerne auf einem der fünf technischen Geräte, die sie selbst besitzt: “Ich habe jeweils einen Desktop im Büro und zu Hause, einen Laptop, ein iPad und ein Smartphone. Aber ich achte – anders als viele andere Menschen – darauf, dass ich meine Dateien auf einem meiner Geräte habe, nicht nur in der Cloud, und auch auf mehreren meiner Festplatten. Ich nutze aber immer noch viele Google-Dienste, weil ich glaube, dass sie die Cybersicherheit richtig handhaben.” Sie empfange ihre E-Mails auch nicht auf dem Smartphone, “der Work-Life-Balance zuliebe. Ich würde mich auf dem kleinen Display sowieso nicht richtig mit ihnen auseinandersetzen”, sagt sie. “Und ich habe auch nicht gerne einen Stecker in meinem Ohr, der mich navigiert. Stattdessen sehe ich mir lieber eine Karte an, laufe dann los – und verirre mich dann halt auch manchmal.Von Janna Degener-Storr

                                • Digitalisierung
                                • Künstliche Intelligenz

                                Apéropa

                                “Vermeiden Sie, zu viel Fett, Zucker und Salz zu essen” oder “Essen Sie mindestens fünf Portionen Früchte und Gemüse pro Tag” – Franzosen sind diese gut gemeinten, aber in deutschen Ohren bevormundend klingenden Hinweise allgegenwärtig. Seit 2007 sind sie in Frankreich bei der Werbung für viele Lebensmittel Pflicht. Auch Alkohol ist von den Hinweisen betroffen: Keine noch so verführerische Rotwein-Werbung kommt ohne den Hinweis aus: “L’abus d’alcool est dangereux pour la santé” (Alkoholmissbrauch ist gefährlich für die Gesundheit). Im Fernsehen und Kino ist Alkohol-Werbung in Frankreich ganz und gar verboten. Adieu liberté.

                                Doch man kann es auch positiv bewerten: Vater Staat passt auf die Gesundheit seiner Einwohner:innen auf. Dieser Ansatz zieht sich bis in die Hochsommermonate hinein, während derer das französische Gesundheitsministerium regelmäßig im Fernsehen erinnert: Bei Hitze muss man ausreichend Wasser trinken. Ah bon?

                                Ab März weitet sich das französische Schutzbedürfnis nun auf den Automobilsektor aus. Autofans soll die Lust am Vehikel (und am CO₂-Ausstoß) vergehen, wenn Autohersteller in ihrer Werbung künftig auf alternative und umweltfreundliche Verkehrsmittel hinweisen müssen – also auf genau das Gegenteil der Produkte, die sie bewerben.

                                Die Pflicht soll für Fernseh-, Print-, Radio- und Internetwerbung gelten. Die Hersteller müssen sich einen der folgenden Slogans aussuchen: “Gehen Sie für kurze Strecken zu Fuß oder fahren Sie mit dem Fahrrad”, “ziehen Sie Fahrgemeinschaften in Betracht” oder “nehmen Sie im Alltag öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch”. Auch der eigens entworfene Hashtag #SeDéplacerMoinsPolluer (sich fortbewegen, weniger verschmutzen) sowie die Emissionsklasse müssen auf das Werbemittel drauf – ganz nach dem Vorbild des Nutri-Score. Pfeifen die Autohersteller auf die Pflicht, drohen ihnen bis zu 50.000 Euro Strafe.

                                So sehr man sich als Deutsche:r über die bevormundenden Hinweise und vermeintliche Überregulierung lustig machen kann: Sie regen zum Umdenken an. Denn wer Emissionen einsparen will, ist auf die Bevölkerung angewiesen. In der Bundesrepublik gilt jedoch nach wie vor: Allein bei Tabakwerbung kann man sich auf größere Einschränkungen einigen. Dabei wäre Autowerbung à la française im Autoland Deutschland umso dringender notwendig. Eine weitere idée française: ein völliges Werbeverbot für besonders umweltschädliche Autos, darunter viele SUVs. Das tritt in der Grande Nation ab 2028 in Kraft. Jasmin Kohl

                                Europe.Table Redaktion

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