falls Sie Ihren Sommerurlaub am Gardasee planen, wird Ihnen in diesem Jahr vermutlich ein ungewöhnlich niedriger Wasserpegel auffallen. 70 Kubikmeter Wasser pro Sekunde werden zurzeit aus dem See in Richtung Poebene abgeleitet. Dort versuchen verzweifelte Landwirte, Italiens Jahrhundertdürre zu trotzen. Mit Wasser aus dem Gardasee wird versucht, den Po vor der kompletten Austrocknung zu bewahren und einen Teil der Ernte zu retten.
Vergleichsweise besser sieht sich die italienische Regierung mit Blick auf die Erdgasversorgung aufgestellt. Ministerpräsident Mario Draghi bleibt dabei: Italien sei besser auf einen russischen Lieferstopp vorbereitet als seine europäischen Nachbarn, im Winter seien keine Engpässe zu befürchten. Wie es Italien innerhalb kurzer Zeit gelungen ist, sich von Russland unabhängiger zu machen, hat sich Isabel Cuesta Camacho genauer angeschaut.
Kanada hat am Samstag angekündigt, die dort gewartete Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland zurückzuschicken. Russland hatte eine Drosselung der Gaslieferungen unter anderem mit einer fehlenden Turbine begründet. Siemens will die Turbine trotz der Sanktionen und deutlicher Kritik aus Kiew so schnell wie möglich in Russland installieren. Heute beginnen circa zehntägige Wartungsarbeiten an der Pipeline.
In Deutschland droht die Diskussion um die Durchsetzung des Digital Services Act (DSA) kompliziert zu werden. Der DSA schreibt Regeln vor, für die in Deutschland sehr unterschiedliche Behörden zuständig sind – und für deren Umsetzung viele nationale Vorgaben angepasst werden müssen. Vor welch gewaltiger Aufgabe Bund und Länder nun stehen, erklärt Falk Steiner.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!
Angesichts der Unterbrechung russischer Gaslieferungen bekräftigt Italien, den Winter ohne Notfälle überstehen zu können. In den vergangenen Wochen hat Italien die Gasspeicherung beschleunigt und seine Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern bei der Gasversorgung verstärkt. Der Minister für den ökologischen Umbau, Roberto Cingolani, erwartet weiterhin, dass Italien den Winter ohne Versorgungsengpässe überstehen wird. Dies hatte er bereits im Februar angekündigt (Europe.Table berichtete).
“In Italien bereiten wir uns an der Energiefront auf diesen Winter vor. Die in Erwägung gezogenen Maßnahmen gewährleisten, dass es im kommenden Winter keinen Notfall geben wird”, erklärte auch Ministerpräsident Mario Draghi auf einer Pressekonferenz nach dem Europäischen Rat in Brüssel Ende Juni. Die italienische Abhängigkeit von russischem Gas ist von 40 Prozent auf 25 Prozent gesunken, sagte Draghi. Russland hat systematisch seine Gaslieferungen nach Europa reduziert, beginnend am 15. Juni mit einer 40-prozentigen Kürzung für Deutschland. Am 16. Juni lieferte Russland 15 Prozent weniger Erdgas an Italien, am darauffolgenden Tag 50 Prozent weniger.
Nach der Sitzung des Gasnotstandsausschusses Ende Juni beschloss das Ministerium für den ökologischen Übergang eine Verschärfung der Maßnahmen. Es beauftragte den italienischen Fernleitungsnetzbetreiber Snam mit der Lieferung der fehlenden Mengen, um das für Juni gesetzte Ziel von 5,4 Milliarden Kubikmetern zu erreichen. Inzwischen hat Italien seine Lagerbestände mehr als verdreifacht. Sie liegen aktuell bei 60 Prozent. Italien verfügt über die zweitgrößten Gasspeicherkapazitäten in Europa nach Deutschland und, im Gegensatz zur Bundesrepublik, auch über strategische Gasreserven. Die Vorräte wurden im Jahr 2000 per Gesetz angelegt (Europe.Table berichtete).
Auch die Erdgasproduktion aus heimischen Vorkommen steigt in Italien zum ersten Mal seit vier Jahren wieder an. Der italienische “Plan für den Übergang zu nachhaltiger Energie für förderfähige Gebiete” (PiTESAI) hatte eigentlich eine Verringerung der heimischen Produktion von 20 Prozent im Jahr 2000 auf 3 bis 4 Prozent im Jahr 2020 vorgesehen. Dies soll nun laut Minister Roberto Cingolani überprüft werden, um die aktuelle Krise zu bewältigen und die Gasimporte zu verringern. In Gebieten wie der unteren Adria kann die Förderung aus bereits aktiven Feldern gesteigert werden.
Als sichere Grundlage für den Winter wolle die italienische Regierung bis zum Ende des Jahres Gasreserven von über 85 Prozent erreichen, erklärte Minister Cingolani am Rande des Energierats in Luxemburg am 27. Juni. “In der Zwischenzeit wird unsere Operation zur Diversifizierung der Bezugsquellen mit anderen Ländern neue Ströme ermöglichen, die mehr als kompensieren werden, was an russischen Lieferungen verloren gegangen ist oder noch gehen wird”, sagte Cingolani. Diese Lieferungen würden bereits ankommen, insbesondere durch die Pipelines der südlichen Routen.
Die Regierung hat in den letzten Monaten Maßnahmen ergriffen, um ihre Gaslieferquellen zu diversifizieren und dadurch die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Zwischen acht und zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas könnten in zwei Jahren aus Algerien, Libyen und Aserbaidschan kommen (Europe.Table berichtete). Auch von den Nordseeproduzenten könnte Italien sich Lieferungen sichern. Draghi traf Mitte Juni außerdem seinen israelischen Amtskollegen Naftali Bennett, um über die geplante Eastmed-Poseidon-Pipeline (Europe.Table berichtete) zu besprechen. Diese würde Erdgaslieferungen aus Israel über Zypern und Griechenland bis nach Otranto im Südosten Italiens ermöglichen.
Flüssigerdgas wird derweil per Schiff zu den drei italienischen Wiederverdampfungsanlagen in den ligurischen Städten La Spezia und Livorno sowie in Rovigo an der Adriaküste transportiert. Die Importquote könnte um weitere fünf Millionen Kubikmeter steigen, da die Anlagen 20 bis 25 Prozent mehr Rohstoffe verarbeiten könnten. Zusätzliches LNG könnte aus Katar, aber auch aus Ägypten und Israel kommen. Im April hatte die Regierung bereits neue Lieferverträge mit Angola und der Republik Kongo unterzeichnet. Die USA haben außerdem für den kommenden Winter mindestens 30 Milliarden Kubikmeter mehr Flüssigerdgas für Europa zugesagt, einen Teil davon für Italien. Die Snam-Gruppe hat daher ein Wiederverdampfungsschiff erworben, das sie vor der Westküste bei Piombino stationieren will. Ein zweites Schiff soll bis Ende des Jahres im Hafen von Ravenna an der Ostküste Italiens eintreffen.
Cingolani hat gegenüber italienischen Medien weiter erklärt, dass noch kein kritischer Punkt erreicht sei: “Die Entwicklung des Gasflusses wird in Zusammenarbeit mit den Betreibern ständig überwacht.” Der Minister wolle zwar die schwierige Situation, die ein Winter mit weniger Gaslieferungen aus dem Ausland bedeuten könnte, nicht herunterspielen. Er erklärte aber, Italien wäre weniger betroffen als andere europäische Länder, wenn Russland den Gashahn ganz zudrehen würde.
Nach Angaben des Ministeriums für ökologische Umstrukturierung stammen 43,3 Prozent der italienischen Erdgasimporte im Jahr 2020 aus Russland, dem mit Abstand größten Gaslieferanten des Landes. Algerien (22,8 Prozent), Norwegen und Katar (jeweils rund 10 Prozent) spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Im Jahr 2021 kamen 38 Prozent des in Italien verbrauchten Erdgases aus Russland.
Die Suche nach alternativen Quellen schließt indessen nicht aus, dass die italienische Regierung auf europäischer Ebene den Vorschlag einer Preisobergrenze für den Gasbezug vorantreibt (Europe.Table berichtete).
Nachdem der Digital Services Act (DSA) im Europaparlament beschlossen wurde, kann sich die EU-Kommission, die für die Aufsicht der besonders großen Plattformen und Suchmaschinen (VLOP und VLOSE) zuständig sein wird, langsam an die Arbeit machen: “Die Durchsetzung ist der Schlüssel”, schrieb Binnenmarktkommissar Thierry Breton in einem LinkedIn-Beitrag, in dem er den EU-Ansatz zu DMA- und DSA-Durchsetzung erläuterte.
Über 100 Mitarbeiter will die Kommission im Generaldirektorat Connect, dem Quasi-Digitalministerium, und aus der Generaldirektion Wettbewerb zusammenziehen und teilweise neu einstellen, um DMA und DSA im Rahmen ihrer Zuständigkeiten durchzusetzen (Europe.Table berichtete). Doch das Zusammenspiel von Digital Services Act, DMA, Data Governance Act, Data Act, AI Act und weiteren Rechtsakten ist komplex, weshalb die EU-Kommission nun eine Umsetzungsstrategie plant (Europe.Table berichtete). Während der Digital Markets Act zwar Rückwirkungen auf die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in den Mitgliedstaaten hat, entsteht aus ihm wenig direkter Handlungsbedarf in den Mitgliedstaaten. Beim DSA ist dies komplizierter.
Der DSA ist als Verordnung unmittelbar geltendes Europarecht. Allerdings enthält er viele Vorschriften, deren Durchsetzung nationalen Behörden und Gerichten obliegt. Das führt auf Bundes- und Landesebene zu Handlungsbedarf, wie eine Antwort der Bundesregierung vom Juni auf eine kleine Anfrage von CDU und CSU-Fraktion zeigt, als der DSA bereits ausverhandelt war. “Aufgrund der vollharmonisierenden Wirkung des DSA muss der nationale Rechtsrahmen grundlegend überarbeitet werden. Dies gilt für das Telemediengesetz (TMG), das NetzDG und voraussichtlich auch für das Jugendschutzgesetz (JuSchG)“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. “Im Rahmen der Überarbeitung ist es auch möglich, dass sich ein Bedarf an Folgeänderungen in anderen Gesetzen ergeben könnte. Die Länder müssen in eigener Zuständigkeit prüfen, ob im Medienstaatsvertrag und im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag Anpassungen erforderlich sind.”
Speziell für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz muss das Bundesministerium der Justiz unter FDP-Mann Marco Buschmann Anpassungen prüfen. Der DSA nutze eine andere Regelungstechnik als das NetzDG, schreibt die Bundesregierung der Opposition. Die Anforderungen an die Meldeverfahren seien etwa vergleichbar. Die Definition, wann ein Inhalt illegal ist, überlasse der Digital Services Act dem nationalen Recht beziehungsweise dem sonstigen EU-Recht.
Allerdings heißt es auch: “Nach aktuellem Erkenntnisstand sind ‘illegale Inhalte’ nach dem DSA alle Informationen, die nicht im Einklang mit dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats stehen. Der Begriff des ‘illegalen Inhalts’ wird dementsprechend ein anderer sein als der Begriff der ‘rechtswidrigen Inhalte’ nach dem NetzDG, der sich ausschließlich nach nationalem Strafrecht bestimmt.”
Im Ergebnis soll es eine Art Doppeltür-Prinzip sein: Illegal ist nach DSA, was nach nationalem Recht illegal ist, wenn dieses nationale Recht im Einklang mit dem Europarecht steht. Verboten ist dann, was Verboten ist, wenn ein solches Verbot in der EU erlaubt ist. Dass dies vor allem mit Blick auf rechtsstaatlich problematische Staaten wie Polen oder Ungarn als Mechanismus entstanden sei, will offiziell keiner der Befragten bestätigen.
Damit Behörden einzelner Mitgliedstaaten nicht den gesamten Prozess lahmlegen können, sei es aus wirtschaftlichem oder politischem Motiv der Mitgliedstaaten, hat der DSA sowohl eine vergleichsweise starke Stellung der Durchsetzungsbehörden vorgesehen, aber auch Konfliktlösungsmechanismen. “Die Mitgliedstaaten müssen unabhängige Behörden (“Koordinatoren für digitale Dienste”) schaffen. Die sollen die Einhaltung des DSA überwachen und etwa Strafen in Höhe von bis zu 6 Prozent des jährlichen globalen Umsatzes eines Unternehmens aussprechen können”, erläutert Paul Seeliger vom Deutschen Forschungsinstitut für die öffentliche Verwaltung. “Die Koordinatorinnen für digitale Dienste können grenzüberschreitende Initiativen anstoßen, um passive Kolleginnen zum Handeln aufzufordern. Auch in diesem Verfahren liegt die letztgültige Entscheidung, ob und wie sie Verstöße ahnden, aber weiterhin bei den örtlich zuständigen Behörden.” Ob der Versuch, aus den Erfahrungen mit der Durchsetzung des Rechts bei der DSGVO zu lernen, erfolgreich sei, müsse die Praxis zeigen, sagt Seeliger.
In Deutschland gibt es für die meisten Vorschriften thematisch bereits zuständige Stellen: Für den Prozess der Inhaltemoderation gibt es etwa das Bundesamt für Justiz in Bonn, in dem 37 Stellen für die Beaufsichtigung der Plattformen nach Netzwerkdurchsetzungsgesetz tätig sind. Für Fragen der Zulässigkeit von Inhalten nach Mediendienstestaatsvertrag sind derzeit die Landesmedienanstalten zuständig, soweit ihnen von den Ländern die Kompetenz zugewiesen wurde. Für Datenschutzaspekte sind grundsätzlich die unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder zuständig, abhängig vom Sitz des jeweiligen Unternehmens. Und viele der neuen Regelungen sind zusätzliche Regelungen zu eh schon vorhandenen Durchsetzungsmechanismen. Etwa dann, wenn die Nutzungsbedingungen oder die Oberflächengestaltung Verbraucher täuscht, wäre bereits heute theoretisch die AGB-Kontrolle durch Verbraucherverbände nach Unterlassungsklagegesetz möglich (Europe.Table berichtete). Der DSA müsste, damit auch Unterlassungsklagen oder gar Musterfeststellungsklagen möglich sind, in den Katalog der anwendbaren Gesetze aufgenommen werden.
Doch das sei für die DSA-Durchsetzung nicht in allen Bereichen unbedingt nötig, sagt Paul Seeliger. Der Rechtswissenschaftler an der Deutschen Forschungsinstitut für die öffentliche Verwaltung sieht den DSA etwa bei der Regelung zu Dark Patterns nicht unbedingt als das Rechtsinstrument der Wahl: “Der DSA sieht sich für Dark Patterns als Auffanggesetz und regelt explizit nur einen sehr kleinen Ausschnitt. Insbesondere das Wettbewerbs- und Datenschutzrecht gehen als spezielle Rechtsmaterien vor.”
Die komplexe Gemengelage zu einer wirksamen Durchsetzung in Deutschland zusammenbinden muss am Ende die Bundesregierung – mit den Bundesländern. Die muss Entscheidungen treffen, etwa die, wer in Deutschland als Digital Services Coordinator tätig sein soll. Doch das droht ein zähes Ringen zu werden. Denn dass die Landesgesetzgeber Teile der Zuständigkeiten an eine Bundesbehörde übertragen, steht kaum zu erwarten.
In einem Gastbeitrag für die FAZ signalisierte die Grünen-Medienpolitikerin und Bundestags-Digitalausschussvorsitzende Tabea Rößner bereits: Sie sehe nicht, dass die Bundesnetzagentur als Digital Services Coordinator allein zuständig sein könne. Gemeinsam mit dem Kölner Medienrechtler Karl-Eberhard Hain skizziert sie mehrere Möglichkeiten, wie der deutsche DSC organisiert sein könnte.
Mehrere Optionen erscheinen den Autoren unrealistisch, etwa die Schaffung einer gemeinsamen Bund-Länder-Behörde, die als DSC fungiert. Auch die Übertragung einer Alleinzuständigkeit an die Bundesnetzagentur oder an das gemeinsame Medienanstalten-Gremium ZAK, der Zentralen Zulassungs- und Aufsichtskommission, das selbst keine eigenständig verfasste Behörde ist, erscheint den Autoren nicht vom DSA gedeckt. Stattdessen plädieren die Rößner und Hain dafür, dass eine Behörde die Hauptzuständigkeit erhält und die anderen Akteure ihre Zuständigkeiten behalten – der Digitale-Dienste-Koordinator solle dann über Spiegelreferate zu den anderen Akteuren diese in die eigene Arbeit aktiv einbinden. Rößner und Hain denken dabei laut darüber nach, ob nicht eine der großen Landesmedienanstalten mit der Aufgabe betraut werden könnte. Dass Tobias Schmid, Chef der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen, sich die Aufgabe zutrauen würde, ist kein Geheimnis (Europe.Table berichtete).
Das auf Bundesebene politisch für den DSA zuständige BMDV würde wohl grundsätzlich die Bundesnetzagentur präferieren, aus Sicht von Rößner und Hain erfüllt es derzeit aber nicht die Kriterien des europäischen Gesetzgebers beim DSA. Denn noch ist die Bundesnetzagentur BMWK und BMDV fachlich unterstellt und an Weisungen gebunden. Nach einem EuGH-Urteil 2021 muss die Unabhängigkeit eh gestärkt werden (Europe.Table berichtete), um den Anforderungen der Binnenmarktstromrichtlinie von 2009 zu entsprechen. Das soll laut Regierungskreisen eigentlich noch in diesem Jahr erfolgen, in diesem Zuge könnte die Unabhängigkeit auf alle Zuständigkeiten ausgedehnt werden, präventiv damit auch auf den DSA.
Die Verantwortlichen stehen also jetzt vor einer gewaltigen Aufgabe: Auf der einen Seite sind sie in der Pflicht, ein funktionierendes Aufsichtsregime für den DSA in Deutschland zu erarbeiten. Zugleich müssen sie das komplizierte Zusammenwirken der Medienaufsichten, Datenschutzbehörden, Bundesamt für Justiz und weiterer Akteure zu einem sinnvollen Ganzen zusammenführen, politisch heikles Terrain im föderalen Staat. Hier droht ein langer, komplizierter und spezifisch deutscher Prozess, der den rechtzeitigen Institutionenaufbau vor Wirksamwerden der DSA-Regelungen Anfang 2024 ambitioniert erscheinen lässt. Er wird sowohl die Rechtswissenschaftler als auch die zuständigen Ministerien und Fachpolitiker wohl über Monate beschäftigen.
Der Weg für die Lieferung der in Kanada gewarteten Siemens-Turbine für die Gaspipeline Nord Stream 1 ist frei. Die Regierung in Ottawa erklärte am Samstagabend, man werde eine Ausnahme von den Russland-Sanktionen machen und die Turbine nach Deutschland zurückschicken. Russland hatte eine Drosselung von Gaslieferungen durch die Pipeline unter anderem mit der fehlenden Turbine begründet. Die Bundesregierung hatte indes betont, sie halte dies für vorgeschoben und sehe, dass Russland Gaslieferungen als politische Waffe einsetze. Russland wiederum hatte erklärt, die Gaslieferungen nach Europa würden wieder erhöht, wenn die in Kanada reparierte Turbine zurückkomme.
Die kanadische Regierung teilte am Samstag mit, man werde eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Genehmigung für Siemens Canada erteilen, um die Rückführung reparierter Nord Stream 1-Turbinen nach Deutschland zu ermöglichen. Ohne die notwendige Versorgung mit Erdgas bekäme die deutsche Wirtschaft große Probleme und es bestehe die Gefahr, dass die Deutschen ihre Häuser im Winter nicht mehr heizen könnten, hieß es.
Ein Sprecher der Bundesregierung hatte zuletzt bereits von “positiven Signalen” aus Kanada zur Rückführung der Turbine gesprochen. Die Regierung hat argumentiert, die Turbine sollte wieder eingesetzt werden, damit sich Russland nicht mehr auf ein technisches Problem berufen könne. Das wiederum hatte Kanada nicht behagt, weil Ottawa befürchtete, bei einer Lieferung der Turbine zu einer Verdichter-Station in Russland gegen westliche Russland-Sanktionen zu verstoßen. Deshalb war eine Lösung erwogen werden, bei der die Turbine
zunächst nach Deutschland geliefert wird.
Die Kürzung der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 hat zu Notmaßnahmen der Bundesregierung geführt. Sie sorgt sich unter anderem, dass die deutschen Gasspeicher bis zum Herbst nicht ausreichend gefüllt sein könnten, um auch Unternehmen, die auf Gas zur Produktion angewiesen sind, gut durch den Winter zu bringen. Am heutigen Montag beginnen Wartungsarbeiten an der Pipeline, die etwa zehn Tage dauern werden. Wiederholt wurde die Befürchtung geäußert, Russland könnte danach noch weniger Gas oder auch gar keines mehr durch die Pipeline schicken. rtr/leo
Ein internationales Recherchenetzwerk hat gestern Informationen über die Lobbyarbeit und Steuerhinterziehungen des Fahrdienstanbieters Uber während dessen Markteintritts in verschiedenen Ländern enthüllt. Laut der Dokumente soll das Unternehmen sich unter anderem bei politischen Entscheidungsträgern für eine Lockerung der Arbeits- und Taxigesetze eingesetzt und illegale Methoden angewandt haben, um Regulierungsbehörden und Strafverfolgungsbehörden zu umgehen.
Die Uber-Akten des Konsortiums enthüllen die außergewöhnlichen Anstrengungen, die das 2009 gegründete Unternehmen unternahm, um sich in fast dreißig Ländern zu etablieren. Bei den Daten handelt es sich um über 124.000 Dokumente wie E-Mails, SMS, Rechnungen oder PowerPoint-Folien aus den Jahren 2013 bis 2017. Die britische Zeitung The Guardian hatte diese zuerst erhalten und sie an das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und weitere internationale Recherchenetzwerke weitergegeben. In Deutschland waren NDR, WDR und die Süddeutsche Zeitung beteiligt.
Lobbyisten des Unternehmens, darunter ehemalige Berater von Präsident Barack Obama, drängten Regierungsbeamte dazu, ihre Ermittlungen einzustellen, Arbeits- und Taxigesetze umzuschreiben und die Hintergrundkontrollen von Fahrern zu lockern, wie aus den Unterlagen hervorgeht. Die Dokumente enthüllen unter anderem, wie die ehemalige EU-Kommissarin Neelie Kroes dem Unternehmen schon während ihrer Karenzzeit Vorteile verschafft hat, bevor sie dann Mitglied des Uber-Beirats wurde.
Emmanuel Macron soll in seiner Zeit als französischer Wirtschaftsminister ein Verbot der Uber-Dienstleistungen in der Stadt Marseille verhindert haben. In Deutschland lobbyierte das Unternehmen nur zum Teil erfolgreich. Rupert Scholz, Staatsrechtler und Ex-Verteidigungsminister, lieferte etwa ein Gutachten zum Vorteil von Uber. Der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap wiederum verfasste laut der Dokumente eine Studie und einen Gastbeitrag für die FAZ, die Uber teilweise redigierte.
In den Uber-Akten heißt es außerdem, das Unternehmen habe seine Steuerrechnung um Millionen von Dollar gesenkt, indem es seine Gewinne über die Bermudas und andere Steuerparadiese abgewickelt und dann “versucht habe, die Aufmerksamkeit von seinen Steuerschulden abzulenken, indem es den Behörden geholfen hat, Steuern von seinen Fahrern einzutreiben.”
In einer schriftlichen Erklärung räumte Uber-Sprecherin Jill Hazelbaker “Fehler” in der Vergangenheit ein. Uber Deutschland hat laut Angaben der SZ das Verhalten ehemaliger CEOs und Führungskräfte als “unentschuldbar” bezeichnet und angekündigt, die Vorwürfe zu prüfen. leo/ AP
Tesla-Chef Elon Musk hat seinen milliardenschweren Übernahmeversuch von Twitter (Europe.Table berichtete) für beendet erklärt. Der Kurznachrichtendienst habe mehrere Punkte der Übernahme-Vereinbarung gebrochen, erklärte Musk am Freitagabend. Die Twitter-Aktie fiel angesichts der Mitteilung, dass Elon Musk Twitter nicht kauft, im nachbörslichen Handel um 7,5 Prozent auf 34,05 Dollar.
Ursprünglich hatte Musk 54,20 Dollar pro Aktie geboten. Das Gesamtvolumen des Vorhabens belief sich auf rund 44 Milliarden Dollar. Allerdings hatte sich seit Wochen abgezeichnet, dass es gravierende Reibungspunkte gab.
Twitter kündigte an, gegen Musks Absprung klagen zu wollen. Das Unternehmen hat laut Experten gute Chancen, sich vor Gericht erfolgreich gegen den Rückzug des Tesla-Chefs Elon Musk von der Übernahme zur Wehr zu setzen. Denkbar sei aber auch, dass sich der Kurznachrichten-Dienst für Nachverhandlungen oder einen Vergleich entscheide, anstatt gegen Musk einen langwierigen Rechtsstreit zu führen, um ihn zum Kauf unter den im April vereinbarten Bedingungen zu zwingen. dpa/leo
Nach dem Antrag des strauchelnden Gasversorgers Uniper auf staatliche Stabilisierungsmaßnahmen ist weiter unklar, wie diese genau aussehen werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will bei der Rettung des Unternehmens auch die Eigentümer in die Pflicht nehmen. “Es gehört ja jemandem, auch jemandem, der solvent ist und der stützen kann”, sagte der Grünen-Politiker dem Deutschlandfunk.
Hauptaktionär von Uniper ist der finnische Energieversorger Fortum, der rund 80 Prozent des Grundkapitals hält, und der wiederum zu etwas mehr als 50 Prozent dem finnischen Staat gehört. Fortum schlug am Freitag eine Restrukturierung Unipers vor – mit dem Ziel, eine Versorgungssicherheitsgesellschaft im Eigentum des Bundes zu gründen. “Wir glauben, dass eine Neuordnung des Geschäftsportfolios von Uniper, also eine Bündelung der systemkritischen deutschen Geschäftsbereiche, die akuten Probleme langfristig am besten lösen kann”, sagte Fortum-Finanzchef Bernhard Günther.
Eine Entscheidung für konkrete Maßnahmen der Bundesregierung bei Uniper gab es am Freitag nach Angaben aus Regierungskreisen noch nicht. Ein milliardenschwerer Einstieg des Bundes bei Uniper über eine Beteiligung beim Eigenkapital sei möglich. Denkbar sei aber auch ein Mix mit der Möglichkeit, dass Uniper hohe Preissteigerungen beim Gaseinkauf an die Kunden weitergebe.
Uniper steht als größter deutscher Gasimporteur nach der starken Drosselung russischer Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 schwer unter Druck. Die Firma muss teures Gas einkaufen, um Verträge mit seinen Kunden bedienen zu können. Uniper spielt eine zentrale Rolle für die deutsche Energieversorgung und beliefert mehr als hundert Stadtwerke und Industriefirmen. dpa
Großbanken im Euroraum sind nach Einschätzung der EZB-Aufsicht in Summe nicht ausreichend auf milliardenschwere Klimarisiken vorbereitet und müssen dringend nachbessern. Der erste Klimastresstest der Europäischen Zentralbank (EZB) habe ergeben, dass Geldhäuser die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels noch nicht hinreichend in ihre Stresstestrahmen und internen Modelle einbezögen. Den Berechnungen zufolge drohen Banken infolge einer Zunahme von Naturkatastrophen sowie tiefgreifenden Veränderungen in vielen Branchen im Zuge des Umbaus hin zu einer grüneren Wirtschaft Verluste von mindestens 70 Milliarden Euro.
“Die Banken des Euro-Währungsgebiets müssen dringend ihre Bemühungen zur Messung und Steuerung des Klimarisikos verstärken”, mahnte der Chef der EZB-Bankenaufsicht, Andrea Enria, bei der Vorlage zusammenfassender Stresstestergebnisse am Freitag. 65 Prozent der 104 untersuchten Banken schnitten demnach schwach ab und wiesen nach Angaben der Aufseher “erhebliche Einschränkungen bei ihren Stresstestfähigkeiten” auf. Durchfallen konnten Banken bei dem als “Lernübung” deklarierten Test allerdings nicht. Direkte Auswirkungen auf die Kapitalanforderungen haben die Ergebnisse auch nicht.
Die Summe von 70 Milliarden umweltbezogenen Kredit- und Marktverlusten bezieht sich auf die 41 größeren Banken, die auch die negativsten Szenarien durchrechnen mussten. Sie spiegele “nur einen Bruchteil” des tatsächlichen klimabedingten Risikos für die Branche wider, warnten die Aufseher. Der Vizechef der EZB-Bankenaufsicht, Frank Elderson, betonte in Frankfurt: “Wir erwarten von den Banken, dass sie entschlossen handeln und kurz- bis mittelfristig robuste Klimastresstests entwickeln.” dpa
Eine auf Kreislaufprinzipien basierende Gebäuderenovierung kann die Energieeffizienz des Gebäudesektors erheblich verbessern und einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaneutralität leisten. Das stellt die Europäische Umweltagentur (EEA) in einem Briefing fest, das sie vergangene Woche veröffentlicht hat. Die Studie untersucht, welchen Einfluss die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft auf die Vorteile der Gebäudesanierung haben. Die EEA kommt zu dem Ergebnis, dass die Kreislaufwirtschaft bis 2050 den Materialverbrauch erheblich reduzieren und zu einer signifikanten zusätzlichen Verringerung der CO2-Emissionen in europäischen Gebäuden beitragen kann.
Zwischen 2005 und 2019 haben laut EEA die bestehenden Maßnahmen und die wärmeren Winter dazu beigetragen, die CO2-Emissionen von Gebäuden während ihrer Nutzungsphase um 29 Prozent zu reduzieren. Um die EU-Klimaziele zu erreichen, müsse diese Reduzierung jedoch auf 60 Prozent erweitert werden. “Da 40 Prozent des jährlichen Energieverbrauchs in der EU und 36 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen aus dem Energiesektor auf Gebäude entfallen, ist die Verbesserung der Nachhaltigkeit des Gebäudesektors für die Erreichung der EU-Klimaziele von entscheidender Bedeutung”, heißt es in dem Briefing.
20 bis 25 Prozent der Lebenszyklusemissionen des derzeitigen EU-Gebäudebestands seien in Baumaterialien eingebettet. Um diese Emissionen zu reduzieren, seien die wirksamsten zirkulären Renovierungsmaßnahmen die Verlängerung der Lebensdauer bestehender Gebäude und die intensivere Nutzung der Gebäude. Dadurch verringere sich die Nachfrage nach Neubauten, die mehr Materialien verbrauchen als die Renovierung bestehender Gebäude. Ehrgeizige Strategien für die zirkuläre Renovierung könnten laut EEA zwischen 2022 und 2050 erhebliche Mengen an Treibhausgasemissionen einsparen, je nach Umfang der Renovierung. leo
Um den Umstieg auf Elektromobilität zu beschleunigen, fordern mehrere Unternehmen eine Reform der Dienstwagenbesteuerung im Rahmen des geplanten Klimaschutz-Sofortprogramms. Es brauche eine “ökologische Umgestaltung der Dienstwagenbesteuerung”, appellieren Ikea, Aldi Süd und elf weitere Unternehmen in einem am Freitag veröffentlichten gemeinsamen Schreiben an die Bundesminister für Wirtschaft, Verkehr und Finanzen. “Zwei von drei neuen Autos werden in Deutschland als Firmenwagen zugelassen. Diese Neuzulassungen sollten schnellstmöglich vollelektrisch sein, weil sie der Bevölkerung nach einigen Jahren als erschwingliche Gebrauchtwagen zur Verfügung stehen”, heißt es etwa in dem Schreiben.
Weiter fordern die Unternehmen die Unterstützung von den “ehrgeizigen europäischen Flottengrenzwerten“, “ambitionierte und bedarfsgerechte Ziele für die Ladeinfrastruktur” und “Superabschreibungen für rein batterieelektrische Firmenwagen”. Diese Maßnahmen sollen den Übergang zur Elektromobilität beschleunigen, der unerlässlich sei, um die Klimaziele der Regierung für 2030 zu erreichen, hieß es.
“Um die von der Bundesregierung gesetzten Klimaziele zu erreichen, müssen die Emissionen im Verkehr sehr schnell deutlich reduziert werden”, sagte Jan Lorch aus der Geschäftsleitung des Outdoor-Ausrüsters Vaude. Man solle jetzt alles dafür tun, um die Elektromobilität bei den Unternehmen zu beschleunigen. “Da sich auf freiwilliger Basis leider wenig tut, fordern wir schnellstmöglich konkrete Maßnahmen.” dpa
Agora Agrar gibt es erst seit knapp zwei Monaten. Christine Chemnitz übernimmt mit Harald Grethe die Leitung des unabhängigen Thinktanks für Landwirtschaft, Ernährung und Forst. Agora Agrar ist Teil der Agora Thinktanks, zu denen auch Agora Energiewende und Agora Industrie gehören. Chemnitz stammt aus einem kleinen Dorf in Niedersachsen, hat Agrarwissenschaften in Göttingen und Berlin studiert und dann in Berlin an der Humboldt-Universität in Agrarökonomie promoviert.
Aktuell baut sie die Organisation auf, reguläre Arbeitstage gibt es noch nicht. Derzeit ist die wichtigste Aufgabe, ein starkes und kreatives Team zusammenzustellen. Bis zum Ende des Jahres sollen 14 Personen eingestellt werden. Da kann es schon vorkommen, dass Christine Chemnitz einen ganzen Tag damit verbringt, Bewerbungen zu lesen.
Gleichzeitig liegt ihr Fokus auch auf unterschiedlichen Handlungsfeldern – zum Beispiel dem Umbau der Tierhaltung, einem nachhaltigen Ackerbau, der Wiedervernässung von Mooren oder auch einer nachhaltigen Ernährung. Dafür werden die gegenwärtigen Situationen und Handlungsstrategien analysiert.
Auch wenn die Belegschaft derzeit noch im Aufbau ist, die Ziele von Agora Agrar sind klar: “Zum einen muss die Transformation von Landwirtschaft und Ernährung hin zu mehr Nachhaltigkeit Fahrt aufnehmen, damit Nachhaltigkeitsziele wie Klimaneutralität und Biodiversitätsschutz erreicht werden”, erklärt Chemnitz.
Zum anderen würden wissenschaftliche Einrichtungen zwar dazu beitragen, die Entscheider in der Politik zu informieren. Allerdings sei die Flughöhe wissenschaftlicher Publikationen häufig zu hoch. Vieles sei noch nicht hinreichend mit Interessengruppen diskutiert, noch nicht weit genug durchgedacht und in Gesetzgebungsprozesse übersetzt und noch nicht breit und allgemeinverständlich genug kommuniziert. An diesen Punkten setzt Agora Agrar an. So soll es der Politik leichter gemacht werden, wissenschaftsbasierte Konzepte zu nutzen.
“Dafür will Agora Agrar mit allen wichtigen Akteuren aus den Bereichen Wissenschaft, Politik und öffentliche Verwaltung, Zivilgesellschaft, Medien und Wirtschaft in den Dialog treten”, so Chemnitz, die 15 Jahre lang das Referat internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung geleitet hat und dabei auch an der Erstellung eines Jugendbuches zum Thema Fleischkonsum und Fleischproduktion beteiligt war.
Die berufliche Ausrichtung spiegelt sich bei Chemnitz aber auch im Privaten wider. Ihre Freizeit verbringt sie nämlich gerne draußen, mit ihren Kindern in Brandenburg. “Auch wenn ich seit mehr als 25 Jahren in Berlin wohne, werde ich wohl nie ein Stadtmensch und bin gerne in der Natur.” Sarah Tekath
falls Sie Ihren Sommerurlaub am Gardasee planen, wird Ihnen in diesem Jahr vermutlich ein ungewöhnlich niedriger Wasserpegel auffallen. 70 Kubikmeter Wasser pro Sekunde werden zurzeit aus dem See in Richtung Poebene abgeleitet. Dort versuchen verzweifelte Landwirte, Italiens Jahrhundertdürre zu trotzen. Mit Wasser aus dem Gardasee wird versucht, den Po vor der kompletten Austrocknung zu bewahren und einen Teil der Ernte zu retten.
Vergleichsweise besser sieht sich die italienische Regierung mit Blick auf die Erdgasversorgung aufgestellt. Ministerpräsident Mario Draghi bleibt dabei: Italien sei besser auf einen russischen Lieferstopp vorbereitet als seine europäischen Nachbarn, im Winter seien keine Engpässe zu befürchten. Wie es Italien innerhalb kurzer Zeit gelungen ist, sich von Russland unabhängiger zu machen, hat sich Isabel Cuesta Camacho genauer angeschaut.
Kanada hat am Samstag angekündigt, die dort gewartete Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland zurückzuschicken. Russland hatte eine Drosselung der Gaslieferungen unter anderem mit einer fehlenden Turbine begründet. Siemens will die Turbine trotz der Sanktionen und deutlicher Kritik aus Kiew so schnell wie möglich in Russland installieren. Heute beginnen circa zehntägige Wartungsarbeiten an der Pipeline.
In Deutschland droht die Diskussion um die Durchsetzung des Digital Services Act (DSA) kompliziert zu werden. Der DSA schreibt Regeln vor, für die in Deutschland sehr unterschiedliche Behörden zuständig sind – und für deren Umsetzung viele nationale Vorgaben angepasst werden müssen. Vor welch gewaltiger Aufgabe Bund und Länder nun stehen, erklärt Falk Steiner.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche!
Angesichts der Unterbrechung russischer Gaslieferungen bekräftigt Italien, den Winter ohne Notfälle überstehen zu können. In den vergangenen Wochen hat Italien die Gasspeicherung beschleunigt und seine Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern bei der Gasversorgung verstärkt. Der Minister für den ökologischen Umbau, Roberto Cingolani, erwartet weiterhin, dass Italien den Winter ohne Versorgungsengpässe überstehen wird. Dies hatte er bereits im Februar angekündigt (Europe.Table berichtete).
“In Italien bereiten wir uns an der Energiefront auf diesen Winter vor. Die in Erwägung gezogenen Maßnahmen gewährleisten, dass es im kommenden Winter keinen Notfall geben wird”, erklärte auch Ministerpräsident Mario Draghi auf einer Pressekonferenz nach dem Europäischen Rat in Brüssel Ende Juni. Die italienische Abhängigkeit von russischem Gas ist von 40 Prozent auf 25 Prozent gesunken, sagte Draghi. Russland hat systematisch seine Gaslieferungen nach Europa reduziert, beginnend am 15. Juni mit einer 40-prozentigen Kürzung für Deutschland. Am 16. Juni lieferte Russland 15 Prozent weniger Erdgas an Italien, am darauffolgenden Tag 50 Prozent weniger.
Nach der Sitzung des Gasnotstandsausschusses Ende Juni beschloss das Ministerium für den ökologischen Übergang eine Verschärfung der Maßnahmen. Es beauftragte den italienischen Fernleitungsnetzbetreiber Snam mit der Lieferung der fehlenden Mengen, um das für Juni gesetzte Ziel von 5,4 Milliarden Kubikmetern zu erreichen. Inzwischen hat Italien seine Lagerbestände mehr als verdreifacht. Sie liegen aktuell bei 60 Prozent. Italien verfügt über die zweitgrößten Gasspeicherkapazitäten in Europa nach Deutschland und, im Gegensatz zur Bundesrepublik, auch über strategische Gasreserven. Die Vorräte wurden im Jahr 2000 per Gesetz angelegt (Europe.Table berichtete).
Auch die Erdgasproduktion aus heimischen Vorkommen steigt in Italien zum ersten Mal seit vier Jahren wieder an. Der italienische “Plan für den Übergang zu nachhaltiger Energie für förderfähige Gebiete” (PiTESAI) hatte eigentlich eine Verringerung der heimischen Produktion von 20 Prozent im Jahr 2000 auf 3 bis 4 Prozent im Jahr 2020 vorgesehen. Dies soll nun laut Minister Roberto Cingolani überprüft werden, um die aktuelle Krise zu bewältigen und die Gasimporte zu verringern. In Gebieten wie der unteren Adria kann die Förderung aus bereits aktiven Feldern gesteigert werden.
Als sichere Grundlage für den Winter wolle die italienische Regierung bis zum Ende des Jahres Gasreserven von über 85 Prozent erreichen, erklärte Minister Cingolani am Rande des Energierats in Luxemburg am 27. Juni. “In der Zwischenzeit wird unsere Operation zur Diversifizierung der Bezugsquellen mit anderen Ländern neue Ströme ermöglichen, die mehr als kompensieren werden, was an russischen Lieferungen verloren gegangen ist oder noch gehen wird”, sagte Cingolani. Diese Lieferungen würden bereits ankommen, insbesondere durch die Pipelines der südlichen Routen.
Die Regierung hat in den letzten Monaten Maßnahmen ergriffen, um ihre Gaslieferquellen zu diversifizieren und dadurch die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Zwischen acht und zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas könnten in zwei Jahren aus Algerien, Libyen und Aserbaidschan kommen (Europe.Table berichtete). Auch von den Nordseeproduzenten könnte Italien sich Lieferungen sichern. Draghi traf Mitte Juni außerdem seinen israelischen Amtskollegen Naftali Bennett, um über die geplante Eastmed-Poseidon-Pipeline (Europe.Table berichtete) zu besprechen. Diese würde Erdgaslieferungen aus Israel über Zypern und Griechenland bis nach Otranto im Südosten Italiens ermöglichen.
Flüssigerdgas wird derweil per Schiff zu den drei italienischen Wiederverdampfungsanlagen in den ligurischen Städten La Spezia und Livorno sowie in Rovigo an der Adriaküste transportiert. Die Importquote könnte um weitere fünf Millionen Kubikmeter steigen, da die Anlagen 20 bis 25 Prozent mehr Rohstoffe verarbeiten könnten. Zusätzliches LNG könnte aus Katar, aber auch aus Ägypten und Israel kommen. Im April hatte die Regierung bereits neue Lieferverträge mit Angola und der Republik Kongo unterzeichnet. Die USA haben außerdem für den kommenden Winter mindestens 30 Milliarden Kubikmeter mehr Flüssigerdgas für Europa zugesagt, einen Teil davon für Italien. Die Snam-Gruppe hat daher ein Wiederverdampfungsschiff erworben, das sie vor der Westküste bei Piombino stationieren will. Ein zweites Schiff soll bis Ende des Jahres im Hafen von Ravenna an der Ostküste Italiens eintreffen.
Cingolani hat gegenüber italienischen Medien weiter erklärt, dass noch kein kritischer Punkt erreicht sei: “Die Entwicklung des Gasflusses wird in Zusammenarbeit mit den Betreibern ständig überwacht.” Der Minister wolle zwar die schwierige Situation, die ein Winter mit weniger Gaslieferungen aus dem Ausland bedeuten könnte, nicht herunterspielen. Er erklärte aber, Italien wäre weniger betroffen als andere europäische Länder, wenn Russland den Gashahn ganz zudrehen würde.
Nach Angaben des Ministeriums für ökologische Umstrukturierung stammen 43,3 Prozent der italienischen Erdgasimporte im Jahr 2020 aus Russland, dem mit Abstand größten Gaslieferanten des Landes. Algerien (22,8 Prozent), Norwegen und Katar (jeweils rund 10 Prozent) spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Im Jahr 2021 kamen 38 Prozent des in Italien verbrauchten Erdgases aus Russland.
Die Suche nach alternativen Quellen schließt indessen nicht aus, dass die italienische Regierung auf europäischer Ebene den Vorschlag einer Preisobergrenze für den Gasbezug vorantreibt (Europe.Table berichtete).
Nachdem der Digital Services Act (DSA) im Europaparlament beschlossen wurde, kann sich die EU-Kommission, die für die Aufsicht der besonders großen Plattformen und Suchmaschinen (VLOP und VLOSE) zuständig sein wird, langsam an die Arbeit machen: “Die Durchsetzung ist der Schlüssel”, schrieb Binnenmarktkommissar Thierry Breton in einem LinkedIn-Beitrag, in dem er den EU-Ansatz zu DMA- und DSA-Durchsetzung erläuterte.
Über 100 Mitarbeiter will die Kommission im Generaldirektorat Connect, dem Quasi-Digitalministerium, und aus der Generaldirektion Wettbewerb zusammenziehen und teilweise neu einstellen, um DMA und DSA im Rahmen ihrer Zuständigkeiten durchzusetzen (Europe.Table berichtete). Doch das Zusammenspiel von Digital Services Act, DMA, Data Governance Act, Data Act, AI Act und weiteren Rechtsakten ist komplex, weshalb die EU-Kommission nun eine Umsetzungsstrategie plant (Europe.Table berichtete). Während der Digital Markets Act zwar Rückwirkungen auf die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in den Mitgliedstaaten hat, entsteht aus ihm wenig direkter Handlungsbedarf in den Mitgliedstaaten. Beim DSA ist dies komplizierter.
Der DSA ist als Verordnung unmittelbar geltendes Europarecht. Allerdings enthält er viele Vorschriften, deren Durchsetzung nationalen Behörden und Gerichten obliegt. Das führt auf Bundes- und Landesebene zu Handlungsbedarf, wie eine Antwort der Bundesregierung vom Juni auf eine kleine Anfrage von CDU und CSU-Fraktion zeigt, als der DSA bereits ausverhandelt war. “Aufgrund der vollharmonisierenden Wirkung des DSA muss der nationale Rechtsrahmen grundlegend überarbeitet werden. Dies gilt für das Telemediengesetz (TMG), das NetzDG und voraussichtlich auch für das Jugendschutzgesetz (JuSchG)“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. “Im Rahmen der Überarbeitung ist es auch möglich, dass sich ein Bedarf an Folgeänderungen in anderen Gesetzen ergeben könnte. Die Länder müssen in eigener Zuständigkeit prüfen, ob im Medienstaatsvertrag und im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag Anpassungen erforderlich sind.”
Speziell für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz muss das Bundesministerium der Justiz unter FDP-Mann Marco Buschmann Anpassungen prüfen. Der DSA nutze eine andere Regelungstechnik als das NetzDG, schreibt die Bundesregierung der Opposition. Die Anforderungen an die Meldeverfahren seien etwa vergleichbar. Die Definition, wann ein Inhalt illegal ist, überlasse der Digital Services Act dem nationalen Recht beziehungsweise dem sonstigen EU-Recht.
Allerdings heißt es auch: “Nach aktuellem Erkenntnisstand sind ‘illegale Inhalte’ nach dem DSA alle Informationen, die nicht im Einklang mit dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats stehen. Der Begriff des ‘illegalen Inhalts’ wird dementsprechend ein anderer sein als der Begriff der ‘rechtswidrigen Inhalte’ nach dem NetzDG, der sich ausschließlich nach nationalem Strafrecht bestimmt.”
Im Ergebnis soll es eine Art Doppeltür-Prinzip sein: Illegal ist nach DSA, was nach nationalem Recht illegal ist, wenn dieses nationale Recht im Einklang mit dem Europarecht steht. Verboten ist dann, was Verboten ist, wenn ein solches Verbot in der EU erlaubt ist. Dass dies vor allem mit Blick auf rechtsstaatlich problematische Staaten wie Polen oder Ungarn als Mechanismus entstanden sei, will offiziell keiner der Befragten bestätigen.
Damit Behörden einzelner Mitgliedstaaten nicht den gesamten Prozess lahmlegen können, sei es aus wirtschaftlichem oder politischem Motiv der Mitgliedstaaten, hat der DSA sowohl eine vergleichsweise starke Stellung der Durchsetzungsbehörden vorgesehen, aber auch Konfliktlösungsmechanismen. “Die Mitgliedstaaten müssen unabhängige Behörden (“Koordinatoren für digitale Dienste”) schaffen. Die sollen die Einhaltung des DSA überwachen und etwa Strafen in Höhe von bis zu 6 Prozent des jährlichen globalen Umsatzes eines Unternehmens aussprechen können”, erläutert Paul Seeliger vom Deutschen Forschungsinstitut für die öffentliche Verwaltung. “Die Koordinatorinnen für digitale Dienste können grenzüberschreitende Initiativen anstoßen, um passive Kolleginnen zum Handeln aufzufordern. Auch in diesem Verfahren liegt die letztgültige Entscheidung, ob und wie sie Verstöße ahnden, aber weiterhin bei den örtlich zuständigen Behörden.” Ob der Versuch, aus den Erfahrungen mit der Durchsetzung des Rechts bei der DSGVO zu lernen, erfolgreich sei, müsse die Praxis zeigen, sagt Seeliger.
In Deutschland gibt es für die meisten Vorschriften thematisch bereits zuständige Stellen: Für den Prozess der Inhaltemoderation gibt es etwa das Bundesamt für Justiz in Bonn, in dem 37 Stellen für die Beaufsichtigung der Plattformen nach Netzwerkdurchsetzungsgesetz tätig sind. Für Fragen der Zulässigkeit von Inhalten nach Mediendienstestaatsvertrag sind derzeit die Landesmedienanstalten zuständig, soweit ihnen von den Ländern die Kompetenz zugewiesen wurde. Für Datenschutzaspekte sind grundsätzlich die unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder zuständig, abhängig vom Sitz des jeweiligen Unternehmens. Und viele der neuen Regelungen sind zusätzliche Regelungen zu eh schon vorhandenen Durchsetzungsmechanismen. Etwa dann, wenn die Nutzungsbedingungen oder die Oberflächengestaltung Verbraucher täuscht, wäre bereits heute theoretisch die AGB-Kontrolle durch Verbraucherverbände nach Unterlassungsklagegesetz möglich (Europe.Table berichtete). Der DSA müsste, damit auch Unterlassungsklagen oder gar Musterfeststellungsklagen möglich sind, in den Katalog der anwendbaren Gesetze aufgenommen werden.
Doch das sei für die DSA-Durchsetzung nicht in allen Bereichen unbedingt nötig, sagt Paul Seeliger. Der Rechtswissenschaftler an der Deutschen Forschungsinstitut für die öffentliche Verwaltung sieht den DSA etwa bei der Regelung zu Dark Patterns nicht unbedingt als das Rechtsinstrument der Wahl: “Der DSA sieht sich für Dark Patterns als Auffanggesetz und regelt explizit nur einen sehr kleinen Ausschnitt. Insbesondere das Wettbewerbs- und Datenschutzrecht gehen als spezielle Rechtsmaterien vor.”
Die komplexe Gemengelage zu einer wirksamen Durchsetzung in Deutschland zusammenbinden muss am Ende die Bundesregierung – mit den Bundesländern. Die muss Entscheidungen treffen, etwa die, wer in Deutschland als Digital Services Coordinator tätig sein soll. Doch das droht ein zähes Ringen zu werden. Denn dass die Landesgesetzgeber Teile der Zuständigkeiten an eine Bundesbehörde übertragen, steht kaum zu erwarten.
In einem Gastbeitrag für die FAZ signalisierte die Grünen-Medienpolitikerin und Bundestags-Digitalausschussvorsitzende Tabea Rößner bereits: Sie sehe nicht, dass die Bundesnetzagentur als Digital Services Coordinator allein zuständig sein könne. Gemeinsam mit dem Kölner Medienrechtler Karl-Eberhard Hain skizziert sie mehrere Möglichkeiten, wie der deutsche DSC organisiert sein könnte.
Mehrere Optionen erscheinen den Autoren unrealistisch, etwa die Schaffung einer gemeinsamen Bund-Länder-Behörde, die als DSC fungiert. Auch die Übertragung einer Alleinzuständigkeit an die Bundesnetzagentur oder an das gemeinsame Medienanstalten-Gremium ZAK, der Zentralen Zulassungs- und Aufsichtskommission, das selbst keine eigenständig verfasste Behörde ist, erscheint den Autoren nicht vom DSA gedeckt. Stattdessen plädieren die Rößner und Hain dafür, dass eine Behörde die Hauptzuständigkeit erhält und die anderen Akteure ihre Zuständigkeiten behalten – der Digitale-Dienste-Koordinator solle dann über Spiegelreferate zu den anderen Akteuren diese in die eigene Arbeit aktiv einbinden. Rößner und Hain denken dabei laut darüber nach, ob nicht eine der großen Landesmedienanstalten mit der Aufgabe betraut werden könnte. Dass Tobias Schmid, Chef der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen, sich die Aufgabe zutrauen würde, ist kein Geheimnis (Europe.Table berichtete).
Das auf Bundesebene politisch für den DSA zuständige BMDV würde wohl grundsätzlich die Bundesnetzagentur präferieren, aus Sicht von Rößner und Hain erfüllt es derzeit aber nicht die Kriterien des europäischen Gesetzgebers beim DSA. Denn noch ist die Bundesnetzagentur BMWK und BMDV fachlich unterstellt und an Weisungen gebunden. Nach einem EuGH-Urteil 2021 muss die Unabhängigkeit eh gestärkt werden (Europe.Table berichtete), um den Anforderungen der Binnenmarktstromrichtlinie von 2009 zu entsprechen. Das soll laut Regierungskreisen eigentlich noch in diesem Jahr erfolgen, in diesem Zuge könnte die Unabhängigkeit auf alle Zuständigkeiten ausgedehnt werden, präventiv damit auch auf den DSA.
Die Verantwortlichen stehen also jetzt vor einer gewaltigen Aufgabe: Auf der einen Seite sind sie in der Pflicht, ein funktionierendes Aufsichtsregime für den DSA in Deutschland zu erarbeiten. Zugleich müssen sie das komplizierte Zusammenwirken der Medienaufsichten, Datenschutzbehörden, Bundesamt für Justiz und weiterer Akteure zu einem sinnvollen Ganzen zusammenführen, politisch heikles Terrain im föderalen Staat. Hier droht ein langer, komplizierter und spezifisch deutscher Prozess, der den rechtzeitigen Institutionenaufbau vor Wirksamwerden der DSA-Regelungen Anfang 2024 ambitioniert erscheinen lässt. Er wird sowohl die Rechtswissenschaftler als auch die zuständigen Ministerien und Fachpolitiker wohl über Monate beschäftigen.
Der Weg für die Lieferung der in Kanada gewarteten Siemens-Turbine für die Gaspipeline Nord Stream 1 ist frei. Die Regierung in Ottawa erklärte am Samstagabend, man werde eine Ausnahme von den Russland-Sanktionen machen und die Turbine nach Deutschland zurückschicken. Russland hatte eine Drosselung von Gaslieferungen durch die Pipeline unter anderem mit der fehlenden Turbine begründet. Die Bundesregierung hatte indes betont, sie halte dies für vorgeschoben und sehe, dass Russland Gaslieferungen als politische Waffe einsetze. Russland wiederum hatte erklärt, die Gaslieferungen nach Europa würden wieder erhöht, wenn die in Kanada reparierte Turbine zurückkomme.
Die kanadische Regierung teilte am Samstag mit, man werde eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Genehmigung für Siemens Canada erteilen, um die Rückführung reparierter Nord Stream 1-Turbinen nach Deutschland zu ermöglichen. Ohne die notwendige Versorgung mit Erdgas bekäme die deutsche Wirtschaft große Probleme und es bestehe die Gefahr, dass die Deutschen ihre Häuser im Winter nicht mehr heizen könnten, hieß es.
Ein Sprecher der Bundesregierung hatte zuletzt bereits von “positiven Signalen” aus Kanada zur Rückführung der Turbine gesprochen. Die Regierung hat argumentiert, die Turbine sollte wieder eingesetzt werden, damit sich Russland nicht mehr auf ein technisches Problem berufen könne. Das wiederum hatte Kanada nicht behagt, weil Ottawa befürchtete, bei einer Lieferung der Turbine zu einer Verdichter-Station in Russland gegen westliche Russland-Sanktionen zu verstoßen. Deshalb war eine Lösung erwogen werden, bei der die Turbine
zunächst nach Deutschland geliefert wird.
Die Kürzung der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 hat zu Notmaßnahmen der Bundesregierung geführt. Sie sorgt sich unter anderem, dass die deutschen Gasspeicher bis zum Herbst nicht ausreichend gefüllt sein könnten, um auch Unternehmen, die auf Gas zur Produktion angewiesen sind, gut durch den Winter zu bringen. Am heutigen Montag beginnen Wartungsarbeiten an der Pipeline, die etwa zehn Tage dauern werden. Wiederholt wurde die Befürchtung geäußert, Russland könnte danach noch weniger Gas oder auch gar keines mehr durch die Pipeline schicken. rtr/leo
Ein internationales Recherchenetzwerk hat gestern Informationen über die Lobbyarbeit und Steuerhinterziehungen des Fahrdienstanbieters Uber während dessen Markteintritts in verschiedenen Ländern enthüllt. Laut der Dokumente soll das Unternehmen sich unter anderem bei politischen Entscheidungsträgern für eine Lockerung der Arbeits- und Taxigesetze eingesetzt und illegale Methoden angewandt haben, um Regulierungsbehörden und Strafverfolgungsbehörden zu umgehen.
Die Uber-Akten des Konsortiums enthüllen die außergewöhnlichen Anstrengungen, die das 2009 gegründete Unternehmen unternahm, um sich in fast dreißig Ländern zu etablieren. Bei den Daten handelt es sich um über 124.000 Dokumente wie E-Mails, SMS, Rechnungen oder PowerPoint-Folien aus den Jahren 2013 bis 2017. Die britische Zeitung The Guardian hatte diese zuerst erhalten und sie an das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und weitere internationale Recherchenetzwerke weitergegeben. In Deutschland waren NDR, WDR und die Süddeutsche Zeitung beteiligt.
Lobbyisten des Unternehmens, darunter ehemalige Berater von Präsident Barack Obama, drängten Regierungsbeamte dazu, ihre Ermittlungen einzustellen, Arbeits- und Taxigesetze umzuschreiben und die Hintergrundkontrollen von Fahrern zu lockern, wie aus den Unterlagen hervorgeht. Die Dokumente enthüllen unter anderem, wie die ehemalige EU-Kommissarin Neelie Kroes dem Unternehmen schon während ihrer Karenzzeit Vorteile verschafft hat, bevor sie dann Mitglied des Uber-Beirats wurde.
Emmanuel Macron soll in seiner Zeit als französischer Wirtschaftsminister ein Verbot der Uber-Dienstleistungen in der Stadt Marseille verhindert haben. In Deutschland lobbyierte das Unternehmen nur zum Teil erfolgreich. Rupert Scholz, Staatsrechtler und Ex-Verteidigungsminister, lieferte etwa ein Gutachten zum Vorteil von Uber. Der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap wiederum verfasste laut der Dokumente eine Studie und einen Gastbeitrag für die FAZ, die Uber teilweise redigierte.
In den Uber-Akten heißt es außerdem, das Unternehmen habe seine Steuerrechnung um Millionen von Dollar gesenkt, indem es seine Gewinne über die Bermudas und andere Steuerparadiese abgewickelt und dann “versucht habe, die Aufmerksamkeit von seinen Steuerschulden abzulenken, indem es den Behörden geholfen hat, Steuern von seinen Fahrern einzutreiben.”
In einer schriftlichen Erklärung räumte Uber-Sprecherin Jill Hazelbaker “Fehler” in der Vergangenheit ein. Uber Deutschland hat laut Angaben der SZ das Verhalten ehemaliger CEOs und Führungskräfte als “unentschuldbar” bezeichnet und angekündigt, die Vorwürfe zu prüfen. leo/ AP
Tesla-Chef Elon Musk hat seinen milliardenschweren Übernahmeversuch von Twitter (Europe.Table berichtete) für beendet erklärt. Der Kurznachrichtendienst habe mehrere Punkte der Übernahme-Vereinbarung gebrochen, erklärte Musk am Freitagabend. Die Twitter-Aktie fiel angesichts der Mitteilung, dass Elon Musk Twitter nicht kauft, im nachbörslichen Handel um 7,5 Prozent auf 34,05 Dollar.
Ursprünglich hatte Musk 54,20 Dollar pro Aktie geboten. Das Gesamtvolumen des Vorhabens belief sich auf rund 44 Milliarden Dollar. Allerdings hatte sich seit Wochen abgezeichnet, dass es gravierende Reibungspunkte gab.
Twitter kündigte an, gegen Musks Absprung klagen zu wollen. Das Unternehmen hat laut Experten gute Chancen, sich vor Gericht erfolgreich gegen den Rückzug des Tesla-Chefs Elon Musk von der Übernahme zur Wehr zu setzen. Denkbar sei aber auch, dass sich der Kurznachrichten-Dienst für Nachverhandlungen oder einen Vergleich entscheide, anstatt gegen Musk einen langwierigen Rechtsstreit zu führen, um ihn zum Kauf unter den im April vereinbarten Bedingungen zu zwingen. dpa/leo
Nach dem Antrag des strauchelnden Gasversorgers Uniper auf staatliche Stabilisierungsmaßnahmen ist weiter unklar, wie diese genau aussehen werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will bei der Rettung des Unternehmens auch die Eigentümer in die Pflicht nehmen. “Es gehört ja jemandem, auch jemandem, der solvent ist und der stützen kann”, sagte der Grünen-Politiker dem Deutschlandfunk.
Hauptaktionär von Uniper ist der finnische Energieversorger Fortum, der rund 80 Prozent des Grundkapitals hält, und der wiederum zu etwas mehr als 50 Prozent dem finnischen Staat gehört. Fortum schlug am Freitag eine Restrukturierung Unipers vor – mit dem Ziel, eine Versorgungssicherheitsgesellschaft im Eigentum des Bundes zu gründen. “Wir glauben, dass eine Neuordnung des Geschäftsportfolios von Uniper, also eine Bündelung der systemkritischen deutschen Geschäftsbereiche, die akuten Probleme langfristig am besten lösen kann”, sagte Fortum-Finanzchef Bernhard Günther.
Eine Entscheidung für konkrete Maßnahmen der Bundesregierung bei Uniper gab es am Freitag nach Angaben aus Regierungskreisen noch nicht. Ein milliardenschwerer Einstieg des Bundes bei Uniper über eine Beteiligung beim Eigenkapital sei möglich. Denkbar sei aber auch ein Mix mit der Möglichkeit, dass Uniper hohe Preissteigerungen beim Gaseinkauf an die Kunden weitergebe.
Uniper steht als größter deutscher Gasimporteur nach der starken Drosselung russischer Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 schwer unter Druck. Die Firma muss teures Gas einkaufen, um Verträge mit seinen Kunden bedienen zu können. Uniper spielt eine zentrale Rolle für die deutsche Energieversorgung und beliefert mehr als hundert Stadtwerke und Industriefirmen. dpa
Großbanken im Euroraum sind nach Einschätzung der EZB-Aufsicht in Summe nicht ausreichend auf milliardenschwere Klimarisiken vorbereitet und müssen dringend nachbessern. Der erste Klimastresstest der Europäischen Zentralbank (EZB) habe ergeben, dass Geldhäuser die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels noch nicht hinreichend in ihre Stresstestrahmen und internen Modelle einbezögen. Den Berechnungen zufolge drohen Banken infolge einer Zunahme von Naturkatastrophen sowie tiefgreifenden Veränderungen in vielen Branchen im Zuge des Umbaus hin zu einer grüneren Wirtschaft Verluste von mindestens 70 Milliarden Euro.
“Die Banken des Euro-Währungsgebiets müssen dringend ihre Bemühungen zur Messung und Steuerung des Klimarisikos verstärken”, mahnte der Chef der EZB-Bankenaufsicht, Andrea Enria, bei der Vorlage zusammenfassender Stresstestergebnisse am Freitag. 65 Prozent der 104 untersuchten Banken schnitten demnach schwach ab und wiesen nach Angaben der Aufseher “erhebliche Einschränkungen bei ihren Stresstestfähigkeiten” auf. Durchfallen konnten Banken bei dem als “Lernübung” deklarierten Test allerdings nicht. Direkte Auswirkungen auf die Kapitalanforderungen haben die Ergebnisse auch nicht.
Die Summe von 70 Milliarden umweltbezogenen Kredit- und Marktverlusten bezieht sich auf die 41 größeren Banken, die auch die negativsten Szenarien durchrechnen mussten. Sie spiegele “nur einen Bruchteil” des tatsächlichen klimabedingten Risikos für die Branche wider, warnten die Aufseher. Der Vizechef der EZB-Bankenaufsicht, Frank Elderson, betonte in Frankfurt: “Wir erwarten von den Banken, dass sie entschlossen handeln und kurz- bis mittelfristig robuste Klimastresstests entwickeln.” dpa
Eine auf Kreislaufprinzipien basierende Gebäuderenovierung kann die Energieeffizienz des Gebäudesektors erheblich verbessern und einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaneutralität leisten. Das stellt die Europäische Umweltagentur (EEA) in einem Briefing fest, das sie vergangene Woche veröffentlicht hat. Die Studie untersucht, welchen Einfluss die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft auf die Vorteile der Gebäudesanierung haben. Die EEA kommt zu dem Ergebnis, dass die Kreislaufwirtschaft bis 2050 den Materialverbrauch erheblich reduzieren und zu einer signifikanten zusätzlichen Verringerung der CO2-Emissionen in europäischen Gebäuden beitragen kann.
Zwischen 2005 und 2019 haben laut EEA die bestehenden Maßnahmen und die wärmeren Winter dazu beigetragen, die CO2-Emissionen von Gebäuden während ihrer Nutzungsphase um 29 Prozent zu reduzieren. Um die EU-Klimaziele zu erreichen, müsse diese Reduzierung jedoch auf 60 Prozent erweitert werden. “Da 40 Prozent des jährlichen Energieverbrauchs in der EU und 36 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen aus dem Energiesektor auf Gebäude entfallen, ist die Verbesserung der Nachhaltigkeit des Gebäudesektors für die Erreichung der EU-Klimaziele von entscheidender Bedeutung”, heißt es in dem Briefing.
20 bis 25 Prozent der Lebenszyklusemissionen des derzeitigen EU-Gebäudebestands seien in Baumaterialien eingebettet. Um diese Emissionen zu reduzieren, seien die wirksamsten zirkulären Renovierungsmaßnahmen die Verlängerung der Lebensdauer bestehender Gebäude und die intensivere Nutzung der Gebäude. Dadurch verringere sich die Nachfrage nach Neubauten, die mehr Materialien verbrauchen als die Renovierung bestehender Gebäude. Ehrgeizige Strategien für die zirkuläre Renovierung könnten laut EEA zwischen 2022 und 2050 erhebliche Mengen an Treibhausgasemissionen einsparen, je nach Umfang der Renovierung. leo
Um den Umstieg auf Elektromobilität zu beschleunigen, fordern mehrere Unternehmen eine Reform der Dienstwagenbesteuerung im Rahmen des geplanten Klimaschutz-Sofortprogramms. Es brauche eine “ökologische Umgestaltung der Dienstwagenbesteuerung”, appellieren Ikea, Aldi Süd und elf weitere Unternehmen in einem am Freitag veröffentlichten gemeinsamen Schreiben an die Bundesminister für Wirtschaft, Verkehr und Finanzen. “Zwei von drei neuen Autos werden in Deutschland als Firmenwagen zugelassen. Diese Neuzulassungen sollten schnellstmöglich vollelektrisch sein, weil sie der Bevölkerung nach einigen Jahren als erschwingliche Gebrauchtwagen zur Verfügung stehen”, heißt es etwa in dem Schreiben.
Weiter fordern die Unternehmen die Unterstützung von den “ehrgeizigen europäischen Flottengrenzwerten“, “ambitionierte und bedarfsgerechte Ziele für die Ladeinfrastruktur” und “Superabschreibungen für rein batterieelektrische Firmenwagen”. Diese Maßnahmen sollen den Übergang zur Elektromobilität beschleunigen, der unerlässlich sei, um die Klimaziele der Regierung für 2030 zu erreichen, hieß es.
“Um die von der Bundesregierung gesetzten Klimaziele zu erreichen, müssen die Emissionen im Verkehr sehr schnell deutlich reduziert werden”, sagte Jan Lorch aus der Geschäftsleitung des Outdoor-Ausrüsters Vaude. Man solle jetzt alles dafür tun, um die Elektromobilität bei den Unternehmen zu beschleunigen. “Da sich auf freiwilliger Basis leider wenig tut, fordern wir schnellstmöglich konkrete Maßnahmen.” dpa
Agora Agrar gibt es erst seit knapp zwei Monaten. Christine Chemnitz übernimmt mit Harald Grethe die Leitung des unabhängigen Thinktanks für Landwirtschaft, Ernährung und Forst. Agora Agrar ist Teil der Agora Thinktanks, zu denen auch Agora Energiewende und Agora Industrie gehören. Chemnitz stammt aus einem kleinen Dorf in Niedersachsen, hat Agrarwissenschaften in Göttingen und Berlin studiert und dann in Berlin an der Humboldt-Universität in Agrarökonomie promoviert.
Aktuell baut sie die Organisation auf, reguläre Arbeitstage gibt es noch nicht. Derzeit ist die wichtigste Aufgabe, ein starkes und kreatives Team zusammenzustellen. Bis zum Ende des Jahres sollen 14 Personen eingestellt werden. Da kann es schon vorkommen, dass Christine Chemnitz einen ganzen Tag damit verbringt, Bewerbungen zu lesen.
Gleichzeitig liegt ihr Fokus auch auf unterschiedlichen Handlungsfeldern – zum Beispiel dem Umbau der Tierhaltung, einem nachhaltigen Ackerbau, der Wiedervernässung von Mooren oder auch einer nachhaltigen Ernährung. Dafür werden die gegenwärtigen Situationen und Handlungsstrategien analysiert.
Auch wenn die Belegschaft derzeit noch im Aufbau ist, die Ziele von Agora Agrar sind klar: “Zum einen muss die Transformation von Landwirtschaft und Ernährung hin zu mehr Nachhaltigkeit Fahrt aufnehmen, damit Nachhaltigkeitsziele wie Klimaneutralität und Biodiversitätsschutz erreicht werden”, erklärt Chemnitz.
Zum anderen würden wissenschaftliche Einrichtungen zwar dazu beitragen, die Entscheider in der Politik zu informieren. Allerdings sei die Flughöhe wissenschaftlicher Publikationen häufig zu hoch. Vieles sei noch nicht hinreichend mit Interessengruppen diskutiert, noch nicht weit genug durchgedacht und in Gesetzgebungsprozesse übersetzt und noch nicht breit und allgemeinverständlich genug kommuniziert. An diesen Punkten setzt Agora Agrar an. So soll es der Politik leichter gemacht werden, wissenschaftsbasierte Konzepte zu nutzen.
“Dafür will Agora Agrar mit allen wichtigen Akteuren aus den Bereichen Wissenschaft, Politik und öffentliche Verwaltung, Zivilgesellschaft, Medien und Wirtschaft in den Dialog treten”, so Chemnitz, die 15 Jahre lang das Referat internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung geleitet hat und dabei auch an der Erstellung eines Jugendbuches zum Thema Fleischkonsum und Fleischproduktion beteiligt war.
Die berufliche Ausrichtung spiegelt sich bei Chemnitz aber auch im Privaten wider. Ihre Freizeit verbringt sie nämlich gerne draußen, mit ihren Kindern in Brandenburg. “Auch wenn ich seit mehr als 25 Jahren in Berlin wohne, werde ich wohl nie ein Stadtmensch und bin gerne in der Natur.” Sarah Tekath