Politjunkies haben derzeit ein volles Programm – Sonntag Triell, Montag Vierkampf, Mittwoch #SOTEU: Ab 9 Uhr können die Europäer ihr Endgerät einschalten, um Ursula von der Leyens Rede zur Lage der Union zu lauschen. Phoenix überträgt live aus Straßburg, wenn die Kommissionspräsidentin zu Gegenwart und Zukunft der EU spricht. Man darf getrost mit den Themen Green Deal, Gesundheit, Digitalisierung und der globalen Rolle der EU rechnen.
Und mit allerlei Erfolgsmeldungen von der Leyens. Hat die Pandemie nicht gerade erst gezeigt, dass die Nationalstaaten in ihren Kompetenzfeldern kaum alles besser machen? Die Antwort der Kommission: eine neue EU-Gesundheitsbehörde namens Hera. Doch von der Leyen blickt in eine ungewisse EU-Zukunft – Deutschland wählt in eineinhalb Wochen, Frankreich in einem Dreivierteljahr. Unsere Analyse des Gesagten lesen Sie morgen an dieser Stelle.
Wir hatten am Montag bereits darüber berichtet, dass es bald kommt, nun hat meine Kollegin Jasmin Kohl die Bestätigung erhalten: Kommende Woche wird Apple der Lightning-Stecker gezogen – die Kommission dürfte einen delegierten Rechtsakt im Rahmen der Funkgeräterichtlinie erlassen.
Industriekommissar Thierry Breton, früher erfolgreicher Manager, tut sich bisweilen schwer in Europa. Nicht nur aufgrund der Sprache – Breton neigt zu Kriegsmetaphern, die woanders für Stirnrunzeln sorgen. Auch in der Sache eckt der zielstrebige Franzose an: Mit seinem Vorschlag, Wasserstoff mithilfe alter AKWs zu erzeugen, spricht Breton nicht für die Kommission, berichtet Charlotte Wirth.
Energiepreise treiben nicht nur Gelbwesten in Frankreich auf die Straße – sondern auch Frans Timmermans ins Europaparlament. Dort ging es teils hitzig zu, berichtet Timo Landenberger, und der niederländische Kommissionsvize hatte ein für manche überraschendes Argument mitgebracht.
Industriekommissar Breton will Wasserstoff mit Strom aus AKWs produzieren, deren Abschaltung bevorsteht. Damit heizt er eine Debatte an, bei der es eigentlich um etwas anderes geht: die Zukunft der Kernenergie im Rahmen des Green Deals.
“Es gibt keinen Green Deal ohne Atomkraft als Übergangsenergie. Wenn wir alle Sicherheitsvorgaben respektieren, können wir jene Reaktoren, die vor der Abschaltung stehen, zur Wasserstoffherstellung nutzen”, schrieb EU-Industriekommissar Thierry Breton Ende August in einem Blogpost. Eine Aussage, die Breton in den vergangenen Wochen vielfach wiederholt hat – bei Reden, Workshops und auf Konferenzen.
Klar ist: Der Franzose spricht nicht im Namen der EU-Kommission. Das Kollegium hat sich noch nicht auf eine gemeinsame Position festlegen können. Der Delegierte Rechtsakt zur Taxonomie soll klären, welche Rolle der Atomstrom beim Erreichen der EU-Klimaziele spielen kann. Nach bisheriger Planung will die Kommission ihn im Oktober vorlegen. Er könnte sich aber verzögern, heißt es in Brüssel, weil die Positionen im Kollegium weit auseinander liegen. Eine Kommissionssprecherin sagte, der Delegated Act werde “so früh wie möglich” verabschiedet, sobald der Prüfprozess abgeschlossen sei.
Die Behörde hat sich bereits im vergangenen Jahr eine ambitionierte Wasserstoffstrategie gegeben. Das Gas soll vor allem dazu genutzt werden, Schwerindustrien wie die Stahlproduktion nachhaltiger zu gestalten. Doch Wasserstoff ist nicht per se sauber: Derzeit wird noch ein Großteil des Hydrogens mithilfe fossiler Energien produziert. Will die EU bis 2050 klimaneutral werden, muss sich das ändern.
Erneuerbare Energien reichten allerdings nicht aus, um die europäische Industrie auf Wasserstoff umzustellen, argumentiert etwa die EU-Atomlobby Foratom. Dazu brauche es die Atomkraft. “Sie kann die konstante Energiezufuhr liefern, die zur Hydrogen-Produktion benötigt wird”, schrieb Foratom im Mai in einem Positionspapier.
Darin plädiert die Lobby dafür, dass nicht nur mit erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff als “sauber” gelten darf, sondern auch aus CO2-armen Energien – sprich: Atomstrom. Für die Branche ist die Diskussion um die Wasserstoffproduktion eine weitere Lebensader.
Dass der französische Industriekommissar die Debatte um “gelben” Wasserstoff gerade jetzt anheizt, ist kein Zufall. Für Breton erfüllt die Diskussion einen doppelten Zweck. Erstens liefert sie ein entscheidendes Argument für die Inklusion der Nuklearenergie in die Taxonomie.
Zweitens dürfte die Wasserstoffproduktion mithilfe von Atomstrom eine rentable Lösung für die alternde französische Atomflotte bedeuten: 32 Reaktoren haben mit über 40 Jahren ihr Lebensende erreicht. Ihre Weiternutzung zur Hydrogenherstellung wäre demnach eine willkommene Rechtfertigung für die Laufzeitverlängerung.
Bretons Vorstoß spielt daher der französischen Regierung in die Hände. Macrons Corona-Wiederaufbauplan “France Relance” misst sowohl dem Wasserstoff wie der Kernkraft große Bedeutung zu: Von den 30 Milliarden Euro, die für die ökologische Wende vorgesehen sind, sollen 470 Millionen in die Atomenergie und sieben Milliarden in die Wasserstoffproduktion fließen. “Die Atomenergie ist unabdingbar für die Erfüllung unserer Ambitionen im Bereich Wasserstoff”, betonte der französische Präsident vergangenen Dezember.
Auf europäischer Ebene ist die Diskussion nicht neu. Bereits im Dezember stritten die EU-Mitgliedstaaten um die Definition von sauberem Hydrogen. Es ging um die Verhandlung eines Wasserstoff-Manifests, das richtungweisend für die Finanzierung und Subventionierung von großen paneuropäischen Projekten (IPCEIs) ist.
Während etwa Frankreich, die Niederlande und osteuropäische Staaten darauf pochten, dass “CO2-arme” Wasserstoffprojekte Fördermittel erhalten dürfen, drängten die Atomskeptiker Österreich, Luxemburg, Dänemark, Portugal und Spanien darauf, dass nur Wasserstoff aus “erneuerbaren” Quellen zulässig sei.
Letztlich einigten sich beide Seiten auf einen Kompromiss der deutschen Ratspräsidentschaft. Im Manifest ist von “sicherer und nachhaltiger CO2-armer Produktion” die Rede. Ein Kompromiss, der den Mitgliedsstaaten Interpretationsfreiheit lässt und atombasierte Projekte nicht ausdrücklich von den IPCEIs ausschließt. Im Rahmen der Taxonomie ist ein solcher Kompromiss allerdings nicht zu erwarten, schließlich geht es um die prinzipielle Kategorisierung des Atomstroms als “nachhaltig”.
Das EU-Parlament hatte seinerseits vergangenen Mai über seine Position zum gelben Wasserstoff debattiert. Der SPD-Politiker Tiemo Wölken brachte einen Änderungsantrag ein, dass Wasserstoff aus Atomstrom als nicht nachhaltig bezeichnet werden und keine öffentliche Unterstützung erhalten dürfe. Der Antrag fiel jedoch durch. “Besonders frustriert hat mich, dass die Union nicht geschlossen für meinen Antrag gestimmt hat”, erinnert sich Wölken.
Die Wasserstoff-Gewinnung aus Kernenergie ist kein exklusiv europäisches Vorhaben. In Russland etwa arbeitet der französische Stromgigant EDF zusammen mit dem staatlichen Atombetreiber ROSATOM an solchen Projekten. In Großbritannien soll der ebenfalls von EDF getragene Sizewell C-Reaktor in Suffolk sowohl Strom wie auch Wasserstoff produzieren: In einem Demoprojekt will EDF sogar die für den Bau benötigten Maschinen mit Wasserstoff antreiben.
Auch in den USA und China gibt es entsprechende Projekte. Der Unterschied zu Bretons Vorhaben: Die Projekte in China, Großbritannien und Co. betreffen neue, moderne AKWs. Breton hingegen will veraltete Meiler am Leben erhalten.
Und das macht Bretons Vorschlag so problematisch. Das Sicherheitsrisiko durch die Nutzung veralteter AKWs sei enorm, warnt Manfred Mertins von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln. “Die Anlagen bleiben schließlich auf dem gleichen Sicherheitsstandard.” Der Zustand dieser AKWs sei schlecht, die Sicherheitssysteme veraltet. Ob die AKWs nun verlängert werden, um das Stromnetz zu speisen, oder Wasserstoff zu produzieren: Das Risiko bleibe das Gleiche und steige sogar, je länger die AKWs in Betrieb blieben.
Ähnlich sieht es das Bundesumweltministerium: “Gegen AKW-Alterung lässt sich nur punktuell etwas machen, nicht umfassend. Es gibt technische und wirtschaftliche Grenzen der Nachrüstbarkeit – so lässt sich etwa ein versprödeter Reaktordruckbehälter nicht austauschen”. Laufzeitverlängerungen seien nicht der richtige Weg – auch nicht für die Wasserstoffproduktion.
Hinzu kommt der wirtschaftliche Faktor. Foratom argumentiert im Positionspapier, die Produktion nuklearen Wasserstoffs rentiere sich, weil die Technologie bereits einsetzbar sei. “Gelber Wasserstoff ist wirtschaftlich sehr lukrativ, insbesondere wenn er mit Reaktoren im Langzeitbetrieb hergestellt wird”, so Foratom.
Doch zwei Drittel der europäischen Kraftwerke sind am Ende ihrer Laufzeit angekommen : Egal ob die Reaktoren am Stromnetz bleiben oder Wasserstoff herstellen, ihre Weiternutzung würde eine kostenintensive Modernisierung voraussetzen, um sie an die heutigen Sicherheitsnormen anzupassen. Laut eines Berichtes des französischen Rechnungshofes von Mai ist alleine für die Aufrüstung von Frankreichs über 40-jährigen AKWs mit Kosten von über 55 Milliarden Euro zu rechnen. Hinzu kommen die Kosten für die Betreibung und Instandhaltung.
Das würde den Strompreis weiter in die Höhe treiben, folgert der Rechnungshof. “AKWs für die Wasserstoffproduktion am Leben zu halten, ist die Mär einer sterbenden Industrie. Damit würde die EU das weltweit teuerste Hydrogen produzieren“, kommentiert der Luxemburger Energieminister Claude Turmes.
Zweifelhaft ist, dass die Modernisierung überhaupt ist technisch umsetzbar ist. Der deutsche Nuklearsicherheitsexperte Manfred Mertins meldet Zweifel an: “Die Reaktoren sind nicht mehr genehmigungsfähig. Sie sind technisch nicht mehr nachrüstbar“. Das Sicherheitsrisiko steige zudem noch, wenn nun auch noch eine Wasserstoffanlage hingebaut würde. “Die Druckwellen durch Wasserstoffexplosionen sind eine zusätzliche potenzielle Gefahr.”
Seit März sind die Ziele der “Digitalen Dekade” bekannt, mit der die Kommission den digitalen Wandel in der EU beschleunigen möchte. Sie umfassen die Bereiche Digitalisierung von Unternehmen und öffentlichen Diensten, digitale Kompetenzen und digitale Infrastrukturen. Was bisher fehlte, war die Governance-Struktur, die die Kommission nun unter dem Titel “Path to the Digital Decade” erarbeitet hat.
Der Vorschlag folgt dem Ansatz, die Ziele durch eine “strukturierte Zusammenarbeit” zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten zu erreichen. Die Kommission will dabei mehr als nur eine Orientierungshilfe sein: Die Behörde will gezielt beaufsichtigen, wie die Mitgliedstaaten die gemeinsam verabschiedeten Digitalisierungsziele umzusetzen gedenken. Das geht aus dem Gesetzentwurf hervor, der gestern öffentlich wurde.
Die Governance-Struktur soll vor allem aus zwei Elementen bestehen: dem jährlichen Statusbericht zur Umsetzung der Digitalen Dekade und den nationalen Roadmaps. Laut Artikel 6 will die Kommission das Parlament und den Rat durch den “Report on the State of the Digital Decade” über die Fortschritte des digitalen Wandels informieren. Der Bericht stützt sich auf den Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI).
Als Maßstab dienen dabei die “strategischen nationale Roadmaps”. Die Roadmaps müssen die Mitgliedstaaten der Kommission mindestens fünf Monate im Voraus übergeben. Ihr Inhalt: detaillierte Erklärungen, wie sie mit bereits existierenden und geplanten Maßnahmen die 2030-Ziele erreichen wollen.
Auch ein konkretes Zeitfenster müssen die Mitgliedstaaten dabei angeben (Artikel 7). Für die Bundesregierung dürfte dies zumindest technisch keine Herausforderung sein: Das Dashboard Digitalpolitik bildet bereits heute viele der geplanten und erwartbaren Faktoren ab.
Zugleich aber hatte die EU-Kommission zuletzt bei Genehmigung des deutschen Aufbau- und Resilienzplans im Rahmen des Wiederaufbauprogramms NextGenerationEU die Bundesrepublik für Schönfärberei kritisiert. So sei beispielsweise bei der Verwaltungsdigitalisierung eine Dienstleistung schon dann als eingeführt angegeben worden, wenn sie nur in einer Kommune zur Verfügung gestellt wurde.
Wie die nationalen Pläne im Rahmen von NextGenerationEU will die Kommission die nationalen Roadmaps detailliert analysieren. Sollte die Behörde feststellen, dass einzelne Mitgliedstaaten in ihren Roadmaps hinter den Zielvorstellungen bleiben, will sie zuerst bilateral eine Überarbeitung erwirken, indem sie konkrete Maßnahmen wie mehr Investitionen in digitale Technologien empfiehlt.
Weigert sich ein Mitgliedstaat, seine Roadmap den Empfehlungen anzupassen, ohne ausreichende Gründe zu nennen, setzt die Kommission auf das Prinzip “Naming & Shaming” (Artikel 9): Sie verabschiedet eine formelle Empfehlung, die erneut auf die Defizite im betroffenen Mitgliedstaat hinweist.
Weiteren Druck baut die Kommission durch eine Verbindung zum Europäischen Semester auf: Die formellen Empfehlungen sollen eine Ergänzung zu den länderspezifischen Empfehlungen sein, heißt es im Gesetzestext. Sollten diese Druckmittel jedoch nicht zum gewünschten Ergebnis führen, sind der Kommission erst einmal die Hände gebunden. Sanktionsmechanismen sind in dem Vorschlag nicht vorgesehen.
Ein wichtiges Mittel, um die 2030-Ziele zu erreichen, sind sogenannte Mehrländerprojekte, die die Kommission unter anderem durch den Einsatz des Kohäsionsfonds und der Aufbau- und Resilienzfazilität unterstützen will. Im Anhang zu ihrem Vorschlag zählt die Kommission elf Bereiche auf, in denen sie die Mehrländerprojekte anstoßen möchte. Darunter finden sich Low-Power-Prozessoren, Blockchain-Technologie, digitale Innovations-Hubs und Hightech-Partnerschaften für digitale Kompetenzen.
Die großangelegten Projekte will die Kommission durch einen zweistufigen Mechanismus koordinieren (Artikel 14): Zunächst ruft die Kommission die Mitgliedstaaten auf, ihr Interesse an einem speziellen Mehrländerprojekt zu bekunden. Voraussetzung ist die Beteiligung von mindestens drei Mitgliedstaaten. Das neue Instrument ergänzt das beihilferechtliche Instrument des “Important Project of Common European Interest” (IPCEI).
Sind die Teilnehmer gefunden, will ihnen die Kommission Orientierungshilfe geben, welcher bereits existierende Umsetzungsmechanismus am geeignetsten für ihr Vorhaben ist. Laut Gesetzestext (Artikel 15) will die Behörde in diesem Zusammenhang auch einen neuen Mechanismus etablieren, das “European Digital Infrastructure Consortium“. Das EDIC soll als eigenständige Einrichtung in einem der 27 Mitgliedstaaten angesiedelt werden.
Die Energiepreise in Europa sind auf Rekordniveau. So kostet Grundlaststrom an der Europäischen Energiebörse EEX in Leipzig derzeit mehr als doppelt so viel wie zur gleichen Zeit im vergangenen Jahr. Der Preis für Erdgas ist in Europa allein seit Januar um 170 Prozent gestiegen.
Europaweit sind die Sorgen groß, der Trend könnte durch geplante EU-Klimaschutzmaßnahmen wie einen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude noch verschärft werden (Europe.Table berichtete). Der Rechtfertigungsdruck auf Frans Timmermans steigt. Der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission verteidigte gestern im Europaparlament die Vorhaben: “Nur ein Fünftel des aktuellen Preiseinstiegs im Energiebereich geht auf die CO2-Bepreisung zurück”, sagte er.
Alles andere sei auf die Verknappung des Marktes zurückzuführen. “Wenn wir den Green Deal schon fünf Jahre früher umgesetzt hätten, dann wären wir jetzt nicht in dieser Situation, sondern unabhängig von Gas und anderen fossilen Energieressourcen”, so Timmermans. “Statt die Dinge jetzt zu verlangsamen, sollten wir den Ausbau der erneuerbaren Energien lieber beschleunigen.”
Gründe für die steigende Preise gibt es mehrere. Einer davon ist die Sorge vor möglichen Gas-Engpässen im bevorstehenden Winter. Aufgrund der steigenden Gasnachfrage in Asien fallen die Lieferungen nach Europa in letzter Zeit geringer aus. Auch aus Russland floss weniger Gas gen Westen. Der russische Energiekonzern Gazprom setzt auf die baldige Inbetriebnahme der inzwischen fertiggestellten Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und hat deswegen weniger Kapazitäten in den Leitungen durch die Ukraine gebucht.
Der deutliche Anstieg des Gaspreises führt wiederum zu einer verstärkten Nachfrage nach Kohle, zumal beide Energieträger in den vergangenen Monaten vermehrt für die Stromproduktion zum Einsatz kamen, da verhältnismäßig wenig Wind wehte. Hinzukommt die CO2-Bepreisung aus dem Europäischen Emissionshandel (ETS), die inzwischen bei mehr als 60 Euro pro Tonne CO2 liegt.
Die spanische Regierung hat bereits mit einer Reihe von Sofortmaßnahmen auf die stark steigenden Energiepreise reagiert. Das Kabinett um Premierminister Pedro Sanchez kündigte an, “außerordentliche Gewinne” der Energieunternehmen an die Verbraucher zurück verteilen zu wollen. Außerdem soll der Anstieg des Gaspreises begrenzt, die Steuer auf Strom gesenkt und die bestehende Verringerung der Mehrwertsteuer vorerst beibehalten werden.
Auch in Italien droht der Strompreis im letzten Jahresviertel neue Rekorde zu erklimmen, was am überdurchschnittlich hohen Gasanteil des italienischen Energiemixes liegt (48 Prozent, EU-Durchschnitt: 20 Prozent). Umweltminister Roberto Cingolani prognostizierte einen Preisanstieg um 40 Prozent. Die Regierung um Premier Mario Draghi will deshalb den Übergang zu nachhaltigen Energiequellen beschleunigen und verhindern, dass Haushalte zusätzlich belastet werden.
Im Europaparlament melden sich die Kritiker zu Wort: Die Kommission habe aus der Bewegung der Gelbwesten in Frankreich offensichtlich nichts gelernt, sagt Manon Aubry. Die französische EU-Abgeordnete und Co-Vorsitzende der Fraktion Die Linke ist überzeugt: Eine ökologische Transformation, die nicht auch sozial verträglich ist, werde nicht funktionieren. Zunächst müsse sichergestellt werden, dass nicht die Bürger, sondern die Konzerne die Kosten tragen.
Michael Bloss, umweltpolitischer Sprecher der Grünen, stärkt Timmermans hingegen den Rücken. Er sehe den Grund für steigende Strompreise in dem noch geringen Anteil der Erneuerbaren im Gesamtstromnetz, erklärte er auf Nachfrage des Europe.Table. Er glaube nicht, dass die CO2-Bepreisung sozialer Zündstoff sei. Statt Strom zu verteuern, werde der CO2-Preis dem Erneuerbaren-Ausbau einen “Boost” geben. In der Folge werde Ökostrom “billiger und billiger”.
Der verkehrspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Marian Marinescu, warnte Timmermans vor zu stark ansteigenden Lebenshaltungskosten durch das Fit for 55-Paket. Der ETS für Verkehr dürfe die Menschen, insbesondere Haushalte mit niedrigem Einkommen, nicht übermäßig belasten, schrieb der rumänische Abgeordnete auf Twitter. Preisanstiege im Verkehrssektor hängen, wie auch im Energiesektor, von den Preisen der verwendeten Energieträger ab.
Der ehemalige rumänische Präsident Traian Băsescu (EVP) forderte eine spezifische Folgenabschätzung der Kommission: “Wir müssen einschätzen können, inwiefern die Preise ansteigen werden und inwieweit wir das sozial abfedern können”.
Schon jetzt würden Millionen Europäer in Energiearmut leben, führte die polnische Abgeordnete Anna Zalewska (EKR) fort. Die Zahl werde sich durch die CO2-Bepreisung weiter erhöhen. Angelika Niebler (CSU, EVP) ergänzte, der Energiepreis müsse für die Bürger bezahlbar bleiben und dürfe für die Industrie nicht zum Wettbewerbsnachteil werden. “Sonst werden wir unsere Unternehmen in Europa in andere Regionen der Welt vertreiben.”
Tatsächlich sollte das Ausmaß der Herausforderung nicht unterschätzt werden, so Timmermans. Und dass die Lasten sozial gerecht und gleichmäßig auf die Gesellschaft verteilt sind, sei eine wichtige Aufgabe der Politik. “Aber man sollte auch nicht die ganze Zeit nur über die Kosten des Übergangs sprechen und nie die Kosten erwähnen, die anfallen, wenn wir nichts tun.”
Naturkatastrophen, wie Europa sie diesen Sommer erleben musste, seien dafür nur ein Beispiel. “Unsere Kinder werden Kriege um Wasser und Nahrungsmittel führen, wenn wir jetzt nicht handeln. Die Migrationskrisen, die wir erlebt haben, sind nichts im Vergleich zu denen, die dann aus dem Klimawandel resultieren werden.” Mit Lukas Scheid
Das Europäische Parlament fordert es schon seit mehr als zehn Jahren – nun will die Europäische Kommission liefern: Ein Vorschlag für einheitliche Ladekabel-Anschlüsse für Mobiltelefone solle kommende Woche verabschiedet werden, wie die Kommission auf Anfrage von Europe.Table bestätigte.
Wahrscheinlich ist, dass die Kommission für das Vorhaben keinen eigenständigen Rechtsakt vorschlägt, sondern dazu einen delegierten Rechtsakt im Rahmen der Funkgeräterichtlinie von 2014 vorschlägt. Die Richtlinie enthält bereits in Artikel 3 die Möglichkeit, einheitliche Ladekabel-Anschlüsse für zu definierende Geräteklassen im Rahmen eines delegierten Rechtsakts innerhalb der EU vorzuschreiben. Offenkundig ist genau dies nun der Plan. Soweit Parlament und Rat keine Einwände haben, könnte das Vorhaben also bereits Ende November in Kraft treten.
Die Kommission setzte lange Zeit auf einen freiwilligen Ansatz, unter dem die Industrie eine einheitliche Ladelösung für Mobiltelefone entwickeln sollte. Das Argument, die unter anderem von Apple angeführt wird: Auch bei Ladesteckern brauche es Innovation. Zwar hat sich die Anzahl der verschiedenen Anschlüsse von mehr als 30 im Jahr 2009 auf hauptsächlich zwei verringert: Lightning für Apple-iPhones und USB-C in Android-Smartphones.
Ein einheitliches Ladekabel hätte jedoch den Vorteil, Elektroschrott zu reduzieren, da nicht jede Neuanschaffung auch ein neues Ladegerät bedeutet. Zudem würde eine Vereinheitlichung die Interoperabilität mit Zubehörgeräten wie Headsets oder Monitoren fördern.
Unklar ist bisher noch, für welche Geräte der Kommissionsvorschlag genau gelten soll. Über Smartphones hinaus könnten die einheitlichen Ladekabel-Stecker mit anderen tragbaren elektronischen Kleingeräten wie Tablets kompatibel sein. Dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) im Europäischen Parlament geht das nicht weit genug: Anfang des Monats hatte EVP-Berichterstatter Antonius Manders einheitliche Ladestecker für sämtliche Produktkategorien gefordert (wir berichteten). koj
Die irische Datenschutzaufsichtsbehörde DPC hat zwei Verfahren gegen die Kurzvideo-Pattform TikTok eingeleitet. Gegenstand der Untersuchungen ist die Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Minderjährigen und der Transfer von Daten nach China.
Die irische Behörde ist im Rahmen der Datenschutzgrundverordnung für das Verfahren zuständig, da TikTok seinen europäischen Sitz in Dublin hat. In der Vergangenheit wurde die DPC von NGOs und anderen Aufsichtsbehörden immer wieder dafür kritisiert, zu wenig gegen die großen Datenunternehmen zu unternehmen. Im vergangenen Jahr führte die Behörde 27 internationale Verfahren, davon 14 gegen Facebook und seine Tochterunternehmen.
Die besonders bei Jugendlichen populäre Plattform TikTok steht aufgrund ihres Chinabezugs seit längerem in der Kritik: Die Betreiberfirma Bytedance betont zwar immer wieder, selbst nicht chinesischem Recht zu unterliegen. Dies aber wird von Kritikern immer wieder angezweifelt. Bytedance hatte bereits angekündigt, im Jahr 2022 in Irland ein Rechenzentrum für den europäischen Markt einrichten zu wollen. Auf das nun eingeleitete Verfahren dürfte dies jedoch keinen Einfluss haben. fst / rtr
Angela Merkel hat sich und Deutschland in ihrer Kanzlerschaft erhebliches Ansehen in der Europäischen Union (EU) verschafft. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), für die insgesamt 16.000 Menschen in zwölf Ländern befragt wurden.
Demnach würden 41 Prozent der Befragten Angela Merkel hypothetisch zur Präsidentin Europas wählen – weit mehr als Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron (14 Prozent). Ansehen genießt Deutschland vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik: Laut Umfrage verlassen sich 36 Prozent der Europäer:innen darauf, dass Deutschland hier auch ihre Interessen verteidigt. Dabei war die Bundesregierung lange für ihre Austeritätspolitik kritisiert worden.
Auch bei der Verteidigung demokratischer Werte setzen viele der Befragten auf Deutschland. Weniger Vertrauen haben sie hingegen in die Fähigkeit Berlins, europäische Interessen gegenüber anderen Mächten wie China, Russland oder den USA zu vertreten. Hier müsse die neue Bundesregierung den Kurs ändern, fordern die Studienautoren Piotr Buras und Jana Puglierin: Angela Merkels unentschlossener Ansatz funktioniere insbesondere angesichts des Konfliktes zwischen den USA und China immer weniger. “Deutschland wird gezwungen sein, für sich selbst und Europa viel stärker Position zu beziehen.” tho
EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) werden ihre gemeinsame erweiterte EU-Strategie für den Indo-Pazifik erst am Donnerstag veröffentlichen. Geplant war die Vorstellung eigentlich für Dienstag. Der Grund für die Verschiebung sei die “Logistik” wegen der Rede zur Lage der Europäischen Union (SOTEU) von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am heutigen Mittwoch, wie es aus EEAS-Kreisen hieß. Die Strategie wurde am Dienstag im College-Meeting besprochen, die Verabschiedung solle jedoch erst im Laufe der Woche erfolgen.
Laut der Strategie sollen unter anderem digitale Partnerschaften mit Japan, Südkorea und Singapur angestrebt werden, um Chinas Vormachtstreben in der Region zu begegnen. Medienberichte zu Beginn der Woche legten jedoch nahe, dass es Verstimmung zwischen Brüssel und den asiatischen Partnerländern gebe. Diese waren demnach nicht ausreichend über die Ideen der EU informiert worden. ari
Südkoreas Wettbewerbaufsicht hat Google mit einer Strafe von umgerechnet 150 Millionen Euro belegt, da die Firma angepasste Versionen ihres Android-Mobilbetriebssystems verhindert habe. Die Koreanische Aufsichtsbehörde (KFTC) teile am Dienstag mit, dass sie Googles Vertragsbedingungen für Gerätehersteller als unzulässigen Missbrauch der dominanten Marktstellung im Mobilbetriebssystemmarkt einstufe.
Der Beschluss verbietet dem Anbieter nun Geräteherstellern wie Samsung Electronics den Vertrieb modifizierter Android-Versionen (sogenannte Forks) vertraglich zu untersagen. Google kündigte in einem Statement an, gegen den Beschluss in Berufung gehen zu wollen.
Das Bußgeld kommt ausgerechnet an dem Tag, an dem das südkoreanische Telekommunikations-Anbieter-Gesetz in Kraft tritt – umgangssprachlich als “Anti Google-Gesetz” bezeichnet. Die im August verabschiedete Novellierung verbietet es den Store-Betreibern, Entwickler zur Nutzung ihrer Bezahldienstsysteme zu verpflichten. rtr
In einer gemeinsamen Erklärung wollen sich die Vereinigten Staaten und die Europäische Union dazu verpflichten, die vom Menschen verursachten Methanemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 zu reduzieren. Das geht aus einem Entwurf des “Global Methane Pledge” hervor, der der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. “Die kurze atmosphärische Lebensdauer von Methan bedeutet, dass Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden, die Geschwindigkeit der globalen Erwärmung schnell reduzieren können”, heißt es in dem Papier.
Die Verpflichtung würde sich auf die wichtigsten Verursacher von Methanemissionen erstrecken. Darunter sind undichte Öl- und Gasinfrastrukturen, alte Kohlebergwerke, Landwirtschaft und auf die Abfallwirtschaft.
In einem separaten Dokument sind mehr als zwei Dutzend Länder aufgelistet, die sich der Verpflichtung anschließen sollen. Genannt sind große Emittenten wie China, Russland, Indien, Brasilien und Saudi-Arabien, aber auch Norwegen, Katar, Großbritannien, Neuseeland und Südafrika. Das Abkommen wird voraussichtlich am Freitag bei einem Treffen der wichtigsten Emissionsländer vorgestellt, um vor dem Klimagipfel COP26 im November in Glasgow um Unterstützung zu werben. rtr
Das Vereinigte Königreich verschiebt die Einführung von Zollkontrollen von Waren-Importen wie etwa Lebensmitteln aus der EU auf 2022. Als Grund nannte Brexit-Minister David Frost am Dienstag, dass Unternehmen wegen der Folgen der Corona-Krise und der damit zusammenhängenden Materialengpässe unter Druck stünden und mehr Zeit zur Vorbereitung benötigten.
Die Regierung in London hatte ihnen bereits zuvor mehr Zeit eingeräumt und den ursprünglich geplanten Start der Zollkontrollen um sechs Monate auf Oktober verschoben. Damit sollte vor allem Lebensmittelimporteuren geholfen werden. Sie sollten ursprünglich ab April für die Einfuhren Bescheide von Tierärzten und andere Zoll-Dokumente vorlegen. Nun sollen die Regelungen erst ab 2022 schrittweise greifen. Frost sprach von einem “pragmatischen neuen Fahrplan”.
Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland ist formell im Januar 2020 aus der Europäischen Union ausgeschieden. Eine Übergangsphase, in der sich das Vereinigte Königreich noch an die Regeln des EU-Binnenmarktes hielt, lief am 31. Dezember aus. Seitdem gelten offiziell wieder Zollkontrollen. rtr
Die Wirtschaft der Europäischen Union kommt allmählich aus der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg heraus. Nach einem Rückgang des BIP um 6 Prozent im Jahr 2020 wird für 2021 eine Wachstumsrate von 4,8 Prozent und für 2022 von weiteren 4,5 Prozent prognostiziert.
Während sich die Wirtschaft erholt, wird die Strategie für den Ausstieg aus der umfangreichen Unterstützung von größter Bedeutung sein. Wir warnen dabei ausdrücklich vor einem verfrühten Ausstieg aus der expansiven Finanzpolitik.
Die fiskalische Exit-Strategie muss zu einem Zeitpunkt umgesetzt werden, an dem die EU das wichtige Ziel verfolgt, ihre Treibhausgasemissionen zu senken. Das Erreichen der Ziele des Green Deals und des “Fit for 55”-Pakets wird erhebliche zusätzliche Investitionen sowie regulatorische und steuerliche Maßnahmen erfordern.
Um das Ziel von netto null Treibhausgasemissionen in der EU bis 2050 zu erreichen, ist eine unmittelbare Ausweitung der jährlichen Investitionen in saubere und effiziente Energienutzung um etwa zwei Prozent des BIP erforderlich. Im mittleren Szenario der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission wurde ein zusätzlicher jährlicher Investitionsbedarf von durchschnittlich 360 Milliarden Euro (auf durchschnittlich 1040 Milliarden Euro zu Preisen von 2015) veranschlagt, um das Zwischenziel einer 55-prozentigen Emissionsreduzierung bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Nach 2030 sind sogar noch höhere Investitionen erforderlich. Im Verhältnis zum BIP bedeutet dies nach Angaben der Kommission einen Anstieg von 5,3 auf 7,0 Prozent.
Ein erheblicher Teil dieser zusätzlichen Investitionen wird vom öffentlichen Sektor finanziert werden müssen, wobei das Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Sektor auf 1:4 bis 1:5 geschätzt wird. In Anbetracht dessen, dass einige der erforderlichen Investitionen öffentliche Güter sind, und angesichts der bestehenden politischen Entscheidungen, müssen die öffentlichen Ausgaben nach unserer Schätzung um etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden. Dies bedeutet eine große Anstrengung, die finanziert werden muss.
Die zentrale politische Herausforderung für die Finanzministerien wird in den kommenden Jahren darin bestehen, die Defizite zu konsolidieren und gleichzeitig die grünen Investitionen zu erhöhen. Inmitten der Eurokrise Anfang der 2010er-Jahre erfolgte die Haushaltskonsolidierung in der EU recht schnell. Diese rasche Konsolidierung war eine der Hauptursachen für die Rezession im Jahr 2012.
Überdies kürzten fast alle Länder die öffentlichen Investitionen. Dafür gibt es wichtige Gründe: Erstens haben in alternden Gesellschaften die Interessen künftiger Generationen weniger Unterstützung bei den Wählern. Zweitens benachteiligen die geltenden Fiskalregeln Investitionen, indem sie diese vollständig als laufende Ausgaben behandeln, obwohl die Vorteile über lange Zeiträume anfallen.
Eine allgemeine Lockerung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes würde keine direkten Anreize zur Steigerung der umweltfreundlichen Investitionen bieten und die Gefahr übermäßiger Defizite in guten Zeiten mit sich bringen. Grüne Investitionen durch Defizite zu finanzieren, die in den Haushaltsregeln nicht berücksichtigt werden, wäre hingegen ein Anreiz, diese während der Konsolidierungsphase beizubehalten und zu erhöhen. Schließlich wären solche Investitionen von den Konsolidierungsanforderungen ausgenommen.
Wir empfehlen daher einen “grünen Fiskalpakt”, der aus folgenden Elementen besteht:
Eine solche Goldene Regel würde Anreize für die notwendigen öffentlichen Investitionen in den Klimaschutz schaffen. Ohne die Möglichkeit der Defizitfinanzierung wird die EU ihr Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen. Die Haushaltskonsolidierung würde aufgrund politökonomischer Zwänge auf Kosten der Investitionen gehen.
Investitionen von den zu berücksichtigenden Defiziten auszunehmen, wurde in der Vergangenheit abgelehnt. Zu den Hauptgründen gehört die Schwierigkeit zu definieren, was genau eine “Investition” mit positiven zukünftigen Erträgen ist. Es gibt erhebliche Anreize, laufende Ausgaben als Investitionsausgaben zu verbuchen.
Gute Gründe rechtfertigen aber die Defizitfinanzierung grüner Investitionen. Die errichtete grüne Infrastruktur wird über Jahrzehnte hinweg genutzt werden, und der Nettoinvestitionsbedarf ist enorm. Der Umbau des Energiesystems und der Verkehrsinfrastruktur ist ein enormer Aufwand, der angesichts der politisch-wirtschaftlichen Zwänge einfach nicht aus den laufenden Haushalten finanziert werden kann. Der Bedarf an Klimainvestitionen ist so groß, dass er eine makroökonomische Dimension hat.
Im Großen und Ganzen würde eine Art grüne Goldene Regel den bestehenden finanzpolitischen Rahmen sinnvoll ergänzen. Dies würde klare Anreize für umweltfreundliche öffentliche Investitionen bieten, ohne die Büchse der Pandora zu öffnen, die eine allgemeine Erhöhung der Defizitfinanzierung bedeuten würde.
Der Beitrag basiert auf einer Studie, die Bruegel für den informellen Ecofin-Rat am vergangenen Wochenende verfasst hat.
Politjunkies haben derzeit ein volles Programm – Sonntag Triell, Montag Vierkampf, Mittwoch #SOTEU: Ab 9 Uhr können die Europäer ihr Endgerät einschalten, um Ursula von der Leyens Rede zur Lage der Union zu lauschen. Phoenix überträgt live aus Straßburg, wenn die Kommissionspräsidentin zu Gegenwart und Zukunft der EU spricht. Man darf getrost mit den Themen Green Deal, Gesundheit, Digitalisierung und der globalen Rolle der EU rechnen.
Und mit allerlei Erfolgsmeldungen von der Leyens. Hat die Pandemie nicht gerade erst gezeigt, dass die Nationalstaaten in ihren Kompetenzfeldern kaum alles besser machen? Die Antwort der Kommission: eine neue EU-Gesundheitsbehörde namens Hera. Doch von der Leyen blickt in eine ungewisse EU-Zukunft – Deutschland wählt in eineinhalb Wochen, Frankreich in einem Dreivierteljahr. Unsere Analyse des Gesagten lesen Sie morgen an dieser Stelle.
Wir hatten am Montag bereits darüber berichtet, dass es bald kommt, nun hat meine Kollegin Jasmin Kohl die Bestätigung erhalten: Kommende Woche wird Apple der Lightning-Stecker gezogen – die Kommission dürfte einen delegierten Rechtsakt im Rahmen der Funkgeräterichtlinie erlassen.
Industriekommissar Thierry Breton, früher erfolgreicher Manager, tut sich bisweilen schwer in Europa. Nicht nur aufgrund der Sprache – Breton neigt zu Kriegsmetaphern, die woanders für Stirnrunzeln sorgen. Auch in der Sache eckt der zielstrebige Franzose an: Mit seinem Vorschlag, Wasserstoff mithilfe alter AKWs zu erzeugen, spricht Breton nicht für die Kommission, berichtet Charlotte Wirth.
Energiepreise treiben nicht nur Gelbwesten in Frankreich auf die Straße – sondern auch Frans Timmermans ins Europaparlament. Dort ging es teils hitzig zu, berichtet Timo Landenberger, und der niederländische Kommissionsvize hatte ein für manche überraschendes Argument mitgebracht.
Industriekommissar Breton will Wasserstoff mit Strom aus AKWs produzieren, deren Abschaltung bevorsteht. Damit heizt er eine Debatte an, bei der es eigentlich um etwas anderes geht: die Zukunft der Kernenergie im Rahmen des Green Deals.
“Es gibt keinen Green Deal ohne Atomkraft als Übergangsenergie. Wenn wir alle Sicherheitsvorgaben respektieren, können wir jene Reaktoren, die vor der Abschaltung stehen, zur Wasserstoffherstellung nutzen”, schrieb EU-Industriekommissar Thierry Breton Ende August in einem Blogpost. Eine Aussage, die Breton in den vergangenen Wochen vielfach wiederholt hat – bei Reden, Workshops und auf Konferenzen.
Klar ist: Der Franzose spricht nicht im Namen der EU-Kommission. Das Kollegium hat sich noch nicht auf eine gemeinsame Position festlegen können. Der Delegierte Rechtsakt zur Taxonomie soll klären, welche Rolle der Atomstrom beim Erreichen der EU-Klimaziele spielen kann. Nach bisheriger Planung will die Kommission ihn im Oktober vorlegen. Er könnte sich aber verzögern, heißt es in Brüssel, weil die Positionen im Kollegium weit auseinander liegen. Eine Kommissionssprecherin sagte, der Delegated Act werde “so früh wie möglich” verabschiedet, sobald der Prüfprozess abgeschlossen sei.
Die Behörde hat sich bereits im vergangenen Jahr eine ambitionierte Wasserstoffstrategie gegeben. Das Gas soll vor allem dazu genutzt werden, Schwerindustrien wie die Stahlproduktion nachhaltiger zu gestalten. Doch Wasserstoff ist nicht per se sauber: Derzeit wird noch ein Großteil des Hydrogens mithilfe fossiler Energien produziert. Will die EU bis 2050 klimaneutral werden, muss sich das ändern.
Erneuerbare Energien reichten allerdings nicht aus, um die europäische Industrie auf Wasserstoff umzustellen, argumentiert etwa die EU-Atomlobby Foratom. Dazu brauche es die Atomkraft. “Sie kann die konstante Energiezufuhr liefern, die zur Hydrogen-Produktion benötigt wird”, schrieb Foratom im Mai in einem Positionspapier.
Darin plädiert die Lobby dafür, dass nicht nur mit erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff als “sauber” gelten darf, sondern auch aus CO2-armen Energien – sprich: Atomstrom. Für die Branche ist die Diskussion um die Wasserstoffproduktion eine weitere Lebensader.
Dass der französische Industriekommissar die Debatte um “gelben” Wasserstoff gerade jetzt anheizt, ist kein Zufall. Für Breton erfüllt die Diskussion einen doppelten Zweck. Erstens liefert sie ein entscheidendes Argument für die Inklusion der Nuklearenergie in die Taxonomie.
Zweitens dürfte die Wasserstoffproduktion mithilfe von Atomstrom eine rentable Lösung für die alternde französische Atomflotte bedeuten: 32 Reaktoren haben mit über 40 Jahren ihr Lebensende erreicht. Ihre Weiternutzung zur Hydrogenherstellung wäre demnach eine willkommene Rechtfertigung für die Laufzeitverlängerung.
Bretons Vorstoß spielt daher der französischen Regierung in die Hände. Macrons Corona-Wiederaufbauplan “France Relance” misst sowohl dem Wasserstoff wie der Kernkraft große Bedeutung zu: Von den 30 Milliarden Euro, die für die ökologische Wende vorgesehen sind, sollen 470 Millionen in die Atomenergie und sieben Milliarden in die Wasserstoffproduktion fließen. “Die Atomenergie ist unabdingbar für die Erfüllung unserer Ambitionen im Bereich Wasserstoff”, betonte der französische Präsident vergangenen Dezember.
Auf europäischer Ebene ist die Diskussion nicht neu. Bereits im Dezember stritten die EU-Mitgliedstaaten um die Definition von sauberem Hydrogen. Es ging um die Verhandlung eines Wasserstoff-Manifests, das richtungweisend für die Finanzierung und Subventionierung von großen paneuropäischen Projekten (IPCEIs) ist.
Während etwa Frankreich, die Niederlande und osteuropäische Staaten darauf pochten, dass “CO2-arme” Wasserstoffprojekte Fördermittel erhalten dürfen, drängten die Atomskeptiker Österreich, Luxemburg, Dänemark, Portugal und Spanien darauf, dass nur Wasserstoff aus “erneuerbaren” Quellen zulässig sei.
Letztlich einigten sich beide Seiten auf einen Kompromiss der deutschen Ratspräsidentschaft. Im Manifest ist von “sicherer und nachhaltiger CO2-armer Produktion” die Rede. Ein Kompromiss, der den Mitgliedsstaaten Interpretationsfreiheit lässt und atombasierte Projekte nicht ausdrücklich von den IPCEIs ausschließt. Im Rahmen der Taxonomie ist ein solcher Kompromiss allerdings nicht zu erwarten, schließlich geht es um die prinzipielle Kategorisierung des Atomstroms als “nachhaltig”.
Das EU-Parlament hatte seinerseits vergangenen Mai über seine Position zum gelben Wasserstoff debattiert. Der SPD-Politiker Tiemo Wölken brachte einen Änderungsantrag ein, dass Wasserstoff aus Atomstrom als nicht nachhaltig bezeichnet werden und keine öffentliche Unterstützung erhalten dürfe. Der Antrag fiel jedoch durch. “Besonders frustriert hat mich, dass die Union nicht geschlossen für meinen Antrag gestimmt hat”, erinnert sich Wölken.
Die Wasserstoff-Gewinnung aus Kernenergie ist kein exklusiv europäisches Vorhaben. In Russland etwa arbeitet der französische Stromgigant EDF zusammen mit dem staatlichen Atombetreiber ROSATOM an solchen Projekten. In Großbritannien soll der ebenfalls von EDF getragene Sizewell C-Reaktor in Suffolk sowohl Strom wie auch Wasserstoff produzieren: In einem Demoprojekt will EDF sogar die für den Bau benötigten Maschinen mit Wasserstoff antreiben.
Auch in den USA und China gibt es entsprechende Projekte. Der Unterschied zu Bretons Vorhaben: Die Projekte in China, Großbritannien und Co. betreffen neue, moderne AKWs. Breton hingegen will veraltete Meiler am Leben erhalten.
Und das macht Bretons Vorschlag so problematisch. Das Sicherheitsrisiko durch die Nutzung veralteter AKWs sei enorm, warnt Manfred Mertins von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln. “Die Anlagen bleiben schließlich auf dem gleichen Sicherheitsstandard.” Der Zustand dieser AKWs sei schlecht, die Sicherheitssysteme veraltet. Ob die AKWs nun verlängert werden, um das Stromnetz zu speisen, oder Wasserstoff zu produzieren: Das Risiko bleibe das Gleiche und steige sogar, je länger die AKWs in Betrieb blieben.
Ähnlich sieht es das Bundesumweltministerium: “Gegen AKW-Alterung lässt sich nur punktuell etwas machen, nicht umfassend. Es gibt technische und wirtschaftliche Grenzen der Nachrüstbarkeit – so lässt sich etwa ein versprödeter Reaktordruckbehälter nicht austauschen”. Laufzeitverlängerungen seien nicht der richtige Weg – auch nicht für die Wasserstoffproduktion.
Hinzu kommt der wirtschaftliche Faktor. Foratom argumentiert im Positionspapier, die Produktion nuklearen Wasserstoffs rentiere sich, weil die Technologie bereits einsetzbar sei. “Gelber Wasserstoff ist wirtschaftlich sehr lukrativ, insbesondere wenn er mit Reaktoren im Langzeitbetrieb hergestellt wird”, so Foratom.
Doch zwei Drittel der europäischen Kraftwerke sind am Ende ihrer Laufzeit angekommen : Egal ob die Reaktoren am Stromnetz bleiben oder Wasserstoff herstellen, ihre Weiternutzung würde eine kostenintensive Modernisierung voraussetzen, um sie an die heutigen Sicherheitsnormen anzupassen. Laut eines Berichtes des französischen Rechnungshofes von Mai ist alleine für die Aufrüstung von Frankreichs über 40-jährigen AKWs mit Kosten von über 55 Milliarden Euro zu rechnen. Hinzu kommen die Kosten für die Betreibung und Instandhaltung.
Das würde den Strompreis weiter in die Höhe treiben, folgert der Rechnungshof. “AKWs für die Wasserstoffproduktion am Leben zu halten, ist die Mär einer sterbenden Industrie. Damit würde die EU das weltweit teuerste Hydrogen produzieren“, kommentiert der Luxemburger Energieminister Claude Turmes.
Zweifelhaft ist, dass die Modernisierung überhaupt ist technisch umsetzbar ist. Der deutsche Nuklearsicherheitsexperte Manfred Mertins meldet Zweifel an: “Die Reaktoren sind nicht mehr genehmigungsfähig. Sie sind technisch nicht mehr nachrüstbar“. Das Sicherheitsrisiko steige zudem noch, wenn nun auch noch eine Wasserstoffanlage hingebaut würde. “Die Druckwellen durch Wasserstoffexplosionen sind eine zusätzliche potenzielle Gefahr.”
Seit März sind die Ziele der “Digitalen Dekade” bekannt, mit der die Kommission den digitalen Wandel in der EU beschleunigen möchte. Sie umfassen die Bereiche Digitalisierung von Unternehmen und öffentlichen Diensten, digitale Kompetenzen und digitale Infrastrukturen. Was bisher fehlte, war die Governance-Struktur, die die Kommission nun unter dem Titel “Path to the Digital Decade” erarbeitet hat.
Der Vorschlag folgt dem Ansatz, die Ziele durch eine “strukturierte Zusammenarbeit” zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten zu erreichen. Die Kommission will dabei mehr als nur eine Orientierungshilfe sein: Die Behörde will gezielt beaufsichtigen, wie die Mitgliedstaaten die gemeinsam verabschiedeten Digitalisierungsziele umzusetzen gedenken. Das geht aus dem Gesetzentwurf hervor, der gestern öffentlich wurde.
Die Governance-Struktur soll vor allem aus zwei Elementen bestehen: dem jährlichen Statusbericht zur Umsetzung der Digitalen Dekade und den nationalen Roadmaps. Laut Artikel 6 will die Kommission das Parlament und den Rat durch den “Report on the State of the Digital Decade” über die Fortschritte des digitalen Wandels informieren. Der Bericht stützt sich auf den Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI).
Als Maßstab dienen dabei die “strategischen nationale Roadmaps”. Die Roadmaps müssen die Mitgliedstaaten der Kommission mindestens fünf Monate im Voraus übergeben. Ihr Inhalt: detaillierte Erklärungen, wie sie mit bereits existierenden und geplanten Maßnahmen die 2030-Ziele erreichen wollen.
Auch ein konkretes Zeitfenster müssen die Mitgliedstaaten dabei angeben (Artikel 7). Für die Bundesregierung dürfte dies zumindest technisch keine Herausforderung sein: Das Dashboard Digitalpolitik bildet bereits heute viele der geplanten und erwartbaren Faktoren ab.
Zugleich aber hatte die EU-Kommission zuletzt bei Genehmigung des deutschen Aufbau- und Resilienzplans im Rahmen des Wiederaufbauprogramms NextGenerationEU die Bundesrepublik für Schönfärberei kritisiert. So sei beispielsweise bei der Verwaltungsdigitalisierung eine Dienstleistung schon dann als eingeführt angegeben worden, wenn sie nur in einer Kommune zur Verfügung gestellt wurde.
Wie die nationalen Pläne im Rahmen von NextGenerationEU will die Kommission die nationalen Roadmaps detailliert analysieren. Sollte die Behörde feststellen, dass einzelne Mitgliedstaaten in ihren Roadmaps hinter den Zielvorstellungen bleiben, will sie zuerst bilateral eine Überarbeitung erwirken, indem sie konkrete Maßnahmen wie mehr Investitionen in digitale Technologien empfiehlt.
Weigert sich ein Mitgliedstaat, seine Roadmap den Empfehlungen anzupassen, ohne ausreichende Gründe zu nennen, setzt die Kommission auf das Prinzip “Naming & Shaming” (Artikel 9): Sie verabschiedet eine formelle Empfehlung, die erneut auf die Defizite im betroffenen Mitgliedstaat hinweist.
Weiteren Druck baut die Kommission durch eine Verbindung zum Europäischen Semester auf: Die formellen Empfehlungen sollen eine Ergänzung zu den länderspezifischen Empfehlungen sein, heißt es im Gesetzestext. Sollten diese Druckmittel jedoch nicht zum gewünschten Ergebnis führen, sind der Kommission erst einmal die Hände gebunden. Sanktionsmechanismen sind in dem Vorschlag nicht vorgesehen.
Ein wichtiges Mittel, um die 2030-Ziele zu erreichen, sind sogenannte Mehrländerprojekte, die die Kommission unter anderem durch den Einsatz des Kohäsionsfonds und der Aufbau- und Resilienzfazilität unterstützen will. Im Anhang zu ihrem Vorschlag zählt die Kommission elf Bereiche auf, in denen sie die Mehrländerprojekte anstoßen möchte. Darunter finden sich Low-Power-Prozessoren, Blockchain-Technologie, digitale Innovations-Hubs und Hightech-Partnerschaften für digitale Kompetenzen.
Die großangelegten Projekte will die Kommission durch einen zweistufigen Mechanismus koordinieren (Artikel 14): Zunächst ruft die Kommission die Mitgliedstaaten auf, ihr Interesse an einem speziellen Mehrländerprojekt zu bekunden. Voraussetzung ist die Beteiligung von mindestens drei Mitgliedstaaten. Das neue Instrument ergänzt das beihilferechtliche Instrument des “Important Project of Common European Interest” (IPCEI).
Sind die Teilnehmer gefunden, will ihnen die Kommission Orientierungshilfe geben, welcher bereits existierende Umsetzungsmechanismus am geeignetsten für ihr Vorhaben ist. Laut Gesetzestext (Artikel 15) will die Behörde in diesem Zusammenhang auch einen neuen Mechanismus etablieren, das “European Digital Infrastructure Consortium“. Das EDIC soll als eigenständige Einrichtung in einem der 27 Mitgliedstaaten angesiedelt werden.
Die Energiepreise in Europa sind auf Rekordniveau. So kostet Grundlaststrom an der Europäischen Energiebörse EEX in Leipzig derzeit mehr als doppelt so viel wie zur gleichen Zeit im vergangenen Jahr. Der Preis für Erdgas ist in Europa allein seit Januar um 170 Prozent gestiegen.
Europaweit sind die Sorgen groß, der Trend könnte durch geplante EU-Klimaschutzmaßnahmen wie einen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude noch verschärft werden (Europe.Table berichtete). Der Rechtfertigungsdruck auf Frans Timmermans steigt. Der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission verteidigte gestern im Europaparlament die Vorhaben: “Nur ein Fünftel des aktuellen Preiseinstiegs im Energiebereich geht auf die CO2-Bepreisung zurück”, sagte er.
Alles andere sei auf die Verknappung des Marktes zurückzuführen. “Wenn wir den Green Deal schon fünf Jahre früher umgesetzt hätten, dann wären wir jetzt nicht in dieser Situation, sondern unabhängig von Gas und anderen fossilen Energieressourcen”, so Timmermans. “Statt die Dinge jetzt zu verlangsamen, sollten wir den Ausbau der erneuerbaren Energien lieber beschleunigen.”
Gründe für die steigende Preise gibt es mehrere. Einer davon ist die Sorge vor möglichen Gas-Engpässen im bevorstehenden Winter. Aufgrund der steigenden Gasnachfrage in Asien fallen die Lieferungen nach Europa in letzter Zeit geringer aus. Auch aus Russland floss weniger Gas gen Westen. Der russische Energiekonzern Gazprom setzt auf die baldige Inbetriebnahme der inzwischen fertiggestellten Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und hat deswegen weniger Kapazitäten in den Leitungen durch die Ukraine gebucht.
Der deutliche Anstieg des Gaspreises führt wiederum zu einer verstärkten Nachfrage nach Kohle, zumal beide Energieträger in den vergangenen Monaten vermehrt für die Stromproduktion zum Einsatz kamen, da verhältnismäßig wenig Wind wehte. Hinzukommt die CO2-Bepreisung aus dem Europäischen Emissionshandel (ETS), die inzwischen bei mehr als 60 Euro pro Tonne CO2 liegt.
Die spanische Regierung hat bereits mit einer Reihe von Sofortmaßnahmen auf die stark steigenden Energiepreise reagiert. Das Kabinett um Premierminister Pedro Sanchez kündigte an, “außerordentliche Gewinne” der Energieunternehmen an die Verbraucher zurück verteilen zu wollen. Außerdem soll der Anstieg des Gaspreises begrenzt, die Steuer auf Strom gesenkt und die bestehende Verringerung der Mehrwertsteuer vorerst beibehalten werden.
Auch in Italien droht der Strompreis im letzten Jahresviertel neue Rekorde zu erklimmen, was am überdurchschnittlich hohen Gasanteil des italienischen Energiemixes liegt (48 Prozent, EU-Durchschnitt: 20 Prozent). Umweltminister Roberto Cingolani prognostizierte einen Preisanstieg um 40 Prozent. Die Regierung um Premier Mario Draghi will deshalb den Übergang zu nachhaltigen Energiequellen beschleunigen und verhindern, dass Haushalte zusätzlich belastet werden.
Im Europaparlament melden sich die Kritiker zu Wort: Die Kommission habe aus der Bewegung der Gelbwesten in Frankreich offensichtlich nichts gelernt, sagt Manon Aubry. Die französische EU-Abgeordnete und Co-Vorsitzende der Fraktion Die Linke ist überzeugt: Eine ökologische Transformation, die nicht auch sozial verträglich ist, werde nicht funktionieren. Zunächst müsse sichergestellt werden, dass nicht die Bürger, sondern die Konzerne die Kosten tragen.
Michael Bloss, umweltpolitischer Sprecher der Grünen, stärkt Timmermans hingegen den Rücken. Er sehe den Grund für steigende Strompreise in dem noch geringen Anteil der Erneuerbaren im Gesamtstromnetz, erklärte er auf Nachfrage des Europe.Table. Er glaube nicht, dass die CO2-Bepreisung sozialer Zündstoff sei. Statt Strom zu verteuern, werde der CO2-Preis dem Erneuerbaren-Ausbau einen “Boost” geben. In der Folge werde Ökostrom “billiger und billiger”.
Der verkehrspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Marian Marinescu, warnte Timmermans vor zu stark ansteigenden Lebenshaltungskosten durch das Fit for 55-Paket. Der ETS für Verkehr dürfe die Menschen, insbesondere Haushalte mit niedrigem Einkommen, nicht übermäßig belasten, schrieb der rumänische Abgeordnete auf Twitter. Preisanstiege im Verkehrssektor hängen, wie auch im Energiesektor, von den Preisen der verwendeten Energieträger ab.
Der ehemalige rumänische Präsident Traian Băsescu (EVP) forderte eine spezifische Folgenabschätzung der Kommission: “Wir müssen einschätzen können, inwiefern die Preise ansteigen werden und inwieweit wir das sozial abfedern können”.
Schon jetzt würden Millionen Europäer in Energiearmut leben, führte die polnische Abgeordnete Anna Zalewska (EKR) fort. Die Zahl werde sich durch die CO2-Bepreisung weiter erhöhen. Angelika Niebler (CSU, EVP) ergänzte, der Energiepreis müsse für die Bürger bezahlbar bleiben und dürfe für die Industrie nicht zum Wettbewerbsnachteil werden. “Sonst werden wir unsere Unternehmen in Europa in andere Regionen der Welt vertreiben.”
Tatsächlich sollte das Ausmaß der Herausforderung nicht unterschätzt werden, so Timmermans. Und dass die Lasten sozial gerecht und gleichmäßig auf die Gesellschaft verteilt sind, sei eine wichtige Aufgabe der Politik. “Aber man sollte auch nicht die ganze Zeit nur über die Kosten des Übergangs sprechen und nie die Kosten erwähnen, die anfallen, wenn wir nichts tun.”
Naturkatastrophen, wie Europa sie diesen Sommer erleben musste, seien dafür nur ein Beispiel. “Unsere Kinder werden Kriege um Wasser und Nahrungsmittel führen, wenn wir jetzt nicht handeln. Die Migrationskrisen, die wir erlebt haben, sind nichts im Vergleich zu denen, die dann aus dem Klimawandel resultieren werden.” Mit Lukas Scheid
Das Europäische Parlament fordert es schon seit mehr als zehn Jahren – nun will die Europäische Kommission liefern: Ein Vorschlag für einheitliche Ladekabel-Anschlüsse für Mobiltelefone solle kommende Woche verabschiedet werden, wie die Kommission auf Anfrage von Europe.Table bestätigte.
Wahrscheinlich ist, dass die Kommission für das Vorhaben keinen eigenständigen Rechtsakt vorschlägt, sondern dazu einen delegierten Rechtsakt im Rahmen der Funkgeräterichtlinie von 2014 vorschlägt. Die Richtlinie enthält bereits in Artikel 3 die Möglichkeit, einheitliche Ladekabel-Anschlüsse für zu definierende Geräteklassen im Rahmen eines delegierten Rechtsakts innerhalb der EU vorzuschreiben. Offenkundig ist genau dies nun der Plan. Soweit Parlament und Rat keine Einwände haben, könnte das Vorhaben also bereits Ende November in Kraft treten.
Die Kommission setzte lange Zeit auf einen freiwilligen Ansatz, unter dem die Industrie eine einheitliche Ladelösung für Mobiltelefone entwickeln sollte. Das Argument, die unter anderem von Apple angeführt wird: Auch bei Ladesteckern brauche es Innovation. Zwar hat sich die Anzahl der verschiedenen Anschlüsse von mehr als 30 im Jahr 2009 auf hauptsächlich zwei verringert: Lightning für Apple-iPhones und USB-C in Android-Smartphones.
Ein einheitliches Ladekabel hätte jedoch den Vorteil, Elektroschrott zu reduzieren, da nicht jede Neuanschaffung auch ein neues Ladegerät bedeutet. Zudem würde eine Vereinheitlichung die Interoperabilität mit Zubehörgeräten wie Headsets oder Monitoren fördern.
Unklar ist bisher noch, für welche Geräte der Kommissionsvorschlag genau gelten soll. Über Smartphones hinaus könnten die einheitlichen Ladekabel-Stecker mit anderen tragbaren elektronischen Kleingeräten wie Tablets kompatibel sein. Dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) im Europäischen Parlament geht das nicht weit genug: Anfang des Monats hatte EVP-Berichterstatter Antonius Manders einheitliche Ladestecker für sämtliche Produktkategorien gefordert (wir berichteten). koj
Die irische Datenschutzaufsichtsbehörde DPC hat zwei Verfahren gegen die Kurzvideo-Pattform TikTok eingeleitet. Gegenstand der Untersuchungen ist die Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Minderjährigen und der Transfer von Daten nach China.
Die irische Behörde ist im Rahmen der Datenschutzgrundverordnung für das Verfahren zuständig, da TikTok seinen europäischen Sitz in Dublin hat. In der Vergangenheit wurde die DPC von NGOs und anderen Aufsichtsbehörden immer wieder dafür kritisiert, zu wenig gegen die großen Datenunternehmen zu unternehmen. Im vergangenen Jahr führte die Behörde 27 internationale Verfahren, davon 14 gegen Facebook und seine Tochterunternehmen.
Die besonders bei Jugendlichen populäre Plattform TikTok steht aufgrund ihres Chinabezugs seit längerem in der Kritik: Die Betreiberfirma Bytedance betont zwar immer wieder, selbst nicht chinesischem Recht zu unterliegen. Dies aber wird von Kritikern immer wieder angezweifelt. Bytedance hatte bereits angekündigt, im Jahr 2022 in Irland ein Rechenzentrum für den europäischen Markt einrichten zu wollen. Auf das nun eingeleitete Verfahren dürfte dies jedoch keinen Einfluss haben. fst / rtr
Angela Merkel hat sich und Deutschland in ihrer Kanzlerschaft erhebliches Ansehen in der Europäischen Union (EU) verschafft. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), für die insgesamt 16.000 Menschen in zwölf Ländern befragt wurden.
Demnach würden 41 Prozent der Befragten Angela Merkel hypothetisch zur Präsidentin Europas wählen – weit mehr als Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron (14 Prozent). Ansehen genießt Deutschland vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik: Laut Umfrage verlassen sich 36 Prozent der Europäer:innen darauf, dass Deutschland hier auch ihre Interessen verteidigt. Dabei war die Bundesregierung lange für ihre Austeritätspolitik kritisiert worden.
Auch bei der Verteidigung demokratischer Werte setzen viele der Befragten auf Deutschland. Weniger Vertrauen haben sie hingegen in die Fähigkeit Berlins, europäische Interessen gegenüber anderen Mächten wie China, Russland oder den USA zu vertreten. Hier müsse die neue Bundesregierung den Kurs ändern, fordern die Studienautoren Piotr Buras und Jana Puglierin: Angela Merkels unentschlossener Ansatz funktioniere insbesondere angesichts des Konfliktes zwischen den USA und China immer weniger. “Deutschland wird gezwungen sein, für sich selbst und Europa viel stärker Position zu beziehen.” tho
EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) werden ihre gemeinsame erweiterte EU-Strategie für den Indo-Pazifik erst am Donnerstag veröffentlichen. Geplant war die Vorstellung eigentlich für Dienstag. Der Grund für die Verschiebung sei die “Logistik” wegen der Rede zur Lage der Europäischen Union (SOTEU) von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am heutigen Mittwoch, wie es aus EEAS-Kreisen hieß. Die Strategie wurde am Dienstag im College-Meeting besprochen, die Verabschiedung solle jedoch erst im Laufe der Woche erfolgen.
Laut der Strategie sollen unter anderem digitale Partnerschaften mit Japan, Südkorea und Singapur angestrebt werden, um Chinas Vormachtstreben in der Region zu begegnen. Medienberichte zu Beginn der Woche legten jedoch nahe, dass es Verstimmung zwischen Brüssel und den asiatischen Partnerländern gebe. Diese waren demnach nicht ausreichend über die Ideen der EU informiert worden. ari
Südkoreas Wettbewerbaufsicht hat Google mit einer Strafe von umgerechnet 150 Millionen Euro belegt, da die Firma angepasste Versionen ihres Android-Mobilbetriebssystems verhindert habe. Die Koreanische Aufsichtsbehörde (KFTC) teile am Dienstag mit, dass sie Googles Vertragsbedingungen für Gerätehersteller als unzulässigen Missbrauch der dominanten Marktstellung im Mobilbetriebssystemmarkt einstufe.
Der Beschluss verbietet dem Anbieter nun Geräteherstellern wie Samsung Electronics den Vertrieb modifizierter Android-Versionen (sogenannte Forks) vertraglich zu untersagen. Google kündigte in einem Statement an, gegen den Beschluss in Berufung gehen zu wollen.
Das Bußgeld kommt ausgerechnet an dem Tag, an dem das südkoreanische Telekommunikations-Anbieter-Gesetz in Kraft tritt – umgangssprachlich als “Anti Google-Gesetz” bezeichnet. Die im August verabschiedete Novellierung verbietet es den Store-Betreibern, Entwickler zur Nutzung ihrer Bezahldienstsysteme zu verpflichten. rtr
In einer gemeinsamen Erklärung wollen sich die Vereinigten Staaten und die Europäische Union dazu verpflichten, die vom Menschen verursachten Methanemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 zu reduzieren. Das geht aus einem Entwurf des “Global Methane Pledge” hervor, der der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. “Die kurze atmosphärische Lebensdauer von Methan bedeutet, dass Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden, die Geschwindigkeit der globalen Erwärmung schnell reduzieren können”, heißt es in dem Papier.
Die Verpflichtung würde sich auf die wichtigsten Verursacher von Methanemissionen erstrecken. Darunter sind undichte Öl- und Gasinfrastrukturen, alte Kohlebergwerke, Landwirtschaft und auf die Abfallwirtschaft.
In einem separaten Dokument sind mehr als zwei Dutzend Länder aufgelistet, die sich der Verpflichtung anschließen sollen. Genannt sind große Emittenten wie China, Russland, Indien, Brasilien und Saudi-Arabien, aber auch Norwegen, Katar, Großbritannien, Neuseeland und Südafrika. Das Abkommen wird voraussichtlich am Freitag bei einem Treffen der wichtigsten Emissionsländer vorgestellt, um vor dem Klimagipfel COP26 im November in Glasgow um Unterstützung zu werben. rtr
Das Vereinigte Königreich verschiebt die Einführung von Zollkontrollen von Waren-Importen wie etwa Lebensmitteln aus der EU auf 2022. Als Grund nannte Brexit-Minister David Frost am Dienstag, dass Unternehmen wegen der Folgen der Corona-Krise und der damit zusammenhängenden Materialengpässe unter Druck stünden und mehr Zeit zur Vorbereitung benötigten.
Die Regierung in London hatte ihnen bereits zuvor mehr Zeit eingeräumt und den ursprünglich geplanten Start der Zollkontrollen um sechs Monate auf Oktober verschoben. Damit sollte vor allem Lebensmittelimporteuren geholfen werden. Sie sollten ursprünglich ab April für die Einfuhren Bescheide von Tierärzten und andere Zoll-Dokumente vorlegen. Nun sollen die Regelungen erst ab 2022 schrittweise greifen. Frost sprach von einem “pragmatischen neuen Fahrplan”.
Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland ist formell im Januar 2020 aus der Europäischen Union ausgeschieden. Eine Übergangsphase, in der sich das Vereinigte Königreich noch an die Regeln des EU-Binnenmarktes hielt, lief am 31. Dezember aus. Seitdem gelten offiziell wieder Zollkontrollen. rtr
Die Wirtschaft der Europäischen Union kommt allmählich aus der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg heraus. Nach einem Rückgang des BIP um 6 Prozent im Jahr 2020 wird für 2021 eine Wachstumsrate von 4,8 Prozent und für 2022 von weiteren 4,5 Prozent prognostiziert.
Während sich die Wirtschaft erholt, wird die Strategie für den Ausstieg aus der umfangreichen Unterstützung von größter Bedeutung sein. Wir warnen dabei ausdrücklich vor einem verfrühten Ausstieg aus der expansiven Finanzpolitik.
Die fiskalische Exit-Strategie muss zu einem Zeitpunkt umgesetzt werden, an dem die EU das wichtige Ziel verfolgt, ihre Treibhausgasemissionen zu senken. Das Erreichen der Ziele des Green Deals und des “Fit for 55”-Pakets wird erhebliche zusätzliche Investitionen sowie regulatorische und steuerliche Maßnahmen erfordern.
Um das Ziel von netto null Treibhausgasemissionen in der EU bis 2050 zu erreichen, ist eine unmittelbare Ausweitung der jährlichen Investitionen in saubere und effiziente Energienutzung um etwa zwei Prozent des BIP erforderlich. Im mittleren Szenario der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission wurde ein zusätzlicher jährlicher Investitionsbedarf von durchschnittlich 360 Milliarden Euro (auf durchschnittlich 1040 Milliarden Euro zu Preisen von 2015) veranschlagt, um das Zwischenziel einer 55-prozentigen Emissionsreduzierung bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Nach 2030 sind sogar noch höhere Investitionen erforderlich. Im Verhältnis zum BIP bedeutet dies nach Angaben der Kommission einen Anstieg von 5,3 auf 7,0 Prozent.
Ein erheblicher Teil dieser zusätzlichen Investitionen wird vom öffentlichen Sektor finanziert werden müssen, wobei das Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Sektor auf 1:4 bis 1:5 geschätzt wird. In Anbetracht dessen, dass einige der erforderlichen Investitionen öffentliche Güter sind, und angesichts der bestehenden politischen Entscheidungen, müssen die öffentlichen Ausgaben nach unserer Schätzung um etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr erhöht werden. Dies bedeutet eine große Anstrengung, die finanziert werden muss.
Die zentrale politische Herausforderung für die Finanzministerien wird in den kommenden Jahren darin bestehen, die Defizite zu konsolidieren und gleichzeitig die grünen Investitionen zu erhöhen. Inmitten der Eurokrise Anfang der 2010er-Jahre erfolgte die Haushaltskonsolidierung in der EU recht schnell. Diese rasche Konsolidierung war eine der Hauptursachen für die Rezession im Jahr 2012.
Überdies kürzten fast alle Länder die öffentlichen Investitionen. Dafür gibt es wichtige Gründe: Erstens haben in alternden Gesellschaften die Interessen künftiger Generationen weniger Unterstützung bei den Wählern. Zweitens benachteiligen die geltenden Fiskalregeln Investitionen, indem sie diese vollständig als laufende Ausgaben behandeln, obwohl die Vorteile über lange Zeiträume anfallen.
Eine allgemeine Lockerung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes würde keine direkten Anreize zur Steigerung der umweltfreundlichen Investitionen bieten und die Gefahr übermäßiger Defizite in guten Zeiten mit sich bringen. Grüne Investitionen durch Defizite zu finanzieren, die in den Haushaltsregeln nicht berücksichtigt werden, wäre hingegen ein Anreiz, diese während der Konsolidierungsphase beizubehalten und zu erhöhen. Schließlich wären solche Investitionen von den Konsolidierungsanforderungen ausgenommen.
Wir empfehlen daher einen “grünen Fiskalpakt”, der aus folgenden Elementen besteht:
Eine solche Goldene Regel würde Anreize für die notwendigen öffentlichen Investitionen in den Klimaschutz schaffen. Ohne die Möglichkeit der Defizitfinanzierung wird die EU ihr Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen. Die Haushaltskonsolidierung würde aufgrund politökonomischer Zwänge auf Kosten der Investitionen gehen.
Investitionen von den zu berücksichtigenden Defiziten auszunehmen, wurde in der Vergangenheit abgelehnt. Zu den Hauptgründen gehört die Schwierigkeit zu definieren, was genau eine “Investition” mit positiven zukünftigen Erträgen ist. Es gibt erhebliche Anreize, laufende Ausgaben als Investitionsausgaben zu verbuchen.
Gute Gründe rechtfertigen aber die Defizitfinanzierung grüner Investitionen. Die errichtete grüne Infrastruktur wird über Jahrzehnte hinweg genutzt werden, und der Nettoinvestitionsbedarf ist enorm. Der Umbau des Energiesystems und der Verkehrsinfrastruktur ist ein enormer Aufwand, der angesichts der politisch-wirtschaftlichen Zwänge einfach nicht aus den laufenden Haushalten finanziert werden kann. Der Bedarf an Klimainvestitionen ist so groß, dass er eine makroökonomische Dimension hat.
Im Großen und Ganzen würde eine Art grüne Goldene Regel den bestehenden finanzpolitischen Rahmen sinnvoll ergänzen. Dies würde klare Anreize für umweltfreundliche öffentliche Investitionen bieten, ohne die Büchse der Pandora zu öffnen, die eine allgemeine Erhöhung der Defizitfinanzierung bedeuten würde.
Der Beitrag basiert auf einer Studie, die Bruegel für den informellen Ecofin-Rat am vergangenen Wochenende verfasst hat.