Table.Briefing: China

ZEW-Leiter im Interview + Desinfizieren gegen Covid + Dekarbonisierung

  • Achim Wambach plädiert für Freihandel 
  • China im Desinfektions-Wahn
  • Firmenzentralen drängen China-Töchter zu CO2-Diät 
  • VW verteidigt Investitionsstandort Xinjiang
  • Xi erteilt Hongkongs künftigem Chef den Segen
  • Shanghai vor Lockdown-Ende, neue Quarantäne in Peking
  • China sperrt Luftraum für russische Flugzeuge
  • Airbnb zieht sich zurück
  • Standpunkt: Staatliche Beteiligung an Tech-Firmen kein Allheilmittel
  • Im Portrait: Christoph Rehage hat China laufend erkundet
Liebe Leserin, lieber Leser,

zuerst die Corona-Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine – die globalen Lieferketten stehen dieser Tage gehörig unter Druck. So erstaunt es nicht, dass immer mehr Regierungen über eine Entflechtung der globalen Wirtschaftszweige nachdenken. Auch im Hinblick auf China stellt die deutsche Regierung aktuell eine zu große Abhängigkeit fest. Immer häufiger wird deshalb die Re-Nationalisierung einzelner Lieferkettengefordert.

Wirtschaftsexperte Achim Wambach kann einer solchen Politik nichtsabgewinnen. Im Gespräch mit Felix Lee erklärt der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW, warum das Gegenteil die Lösung wäre. Wambachs Empfehlung: Mehr Freihandel wagen. Es gäbe noch viele Regionen auf der Welt, die eine Phase hohen Wirtschaftswachstums noch vor sich hätten und wo deutsche Unternehmen sich sehr gut positioniert könnten. Ein weiterer Vorteil gegenüber China: Nicht alle dieser Länder sind Autokratien. 

Denn wie autokratisch China vorgehen kann, lässt sich nicht zuletzt an der strikten Corona-Politik der Führung in Peking begutachten: Egal ob Straßen, Wohnungen, Pakete, Parks oder Restaurants – alles, was eine Oberfläche hat, wird dieser Tage desinfiziert. Selbst Menschen. Unser Team in Peking ist deshalb der Frage nachgegangen, wie effektiv die beißenden Gemische aus Ethanol, 1-Propanol oder 2-Propanol im Kampf gegen Corona tatsächlich sind: Sind die vermummten Desinfektionstruppen Chinas Wundermittel gegen Covid oder reines Hygienetheater?  

Bei dem Versuch, ihre Klimaziele einzuhalten, stehen europäische Unternehmen in China unter Druck: Laut einer neuen Studie der Europäischen Handelskammer in China gaben 46 Prozent der befragten Unternehmen an, bereits mit der Dekarbonisierung ihrer lokalen Niederlassungen in der Volksrepublik begonnen zu haben. Doch das Umfeld für eine zügige Durchsetzung bleibe schwierig und undurchsichtig, schreibt Christiane Kühl. Der chinesische Energiemix enthalte noch immer zu wenig erneuerbare Energien. Hinzu kommt ein Mangel an offenen Märkten, gemeinsamen Standards und einem Bewusstsein für die Klimakrise auf Provinzebene.

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Amelie Richter
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Interview

“Von Abhängigkeiten lösen, aber nicht von China an sich”

ZEW-Präsident Achim Wambach, Copyright Anna Logue Fotografie
ZEW-Präsident Achim Wambach, Copyright Anna Logue Fotografie

Herr Wambach, vier Tage sollte Shanghais Lockdown zur Bekämpfung der Pandemie dauern. Jetzt sind es mehr als zwei Monate – während sich das Leben im Rest der Welt wieder normalisiert. Wie groß ist der Schaden für die deutsche Wirtschaft?

Chinas Lockdowns werden auf die globalen Lieferketten massive Auswirkungen haben. Wir werden in den nächsten Wochen zwar keinen abrupten Schock erleben, aber wir werden mit immer größeren Verzögerungen der Lieferzeiten konfrontiert. Außerdem werden die Preise dadurch wohl weiter steigen. Finanzmarkt-Experten, die wir regelmäßig befragen, erwarten zwar, dass sich die Lage in China in den nächsten sechs Monaten wieder leicht bessern wird. Aber auf einem niedrigen Niveau. Denn mit dem Ende der Corona-Maßnahmen werden die Probleme ja nicht vorbei sein. Es wird Monate dauern, bis der Handel wieder normal läuft.

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt uns einmal mehr, wie riskant es ist, sich zu sehr auf ein autoritäres Land einzulassen. Sollte uns Russland nicht auch mit Blick auf China eine Lehre sein?

Es gibt eine Reihe aktueller Studien, die sich anschauen, was auf uns zukäme, wenn wir aufhören würden, mit China zu handeln. Wir reden von einem Minus von etwa einem bis vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der chinesische und der europäische Wirtschaftsraum sind stark verflochten.

Das klingt doch gar nicht so schlimm.

Wäre es aber. Etwa zehn Prozent der deutschen Exporte gehen nach China. Viele Absatz- und Beschaffungswege müssten im Falle scharfer Konflikte umgestellt werden. Der Verlust für die betroffenen Firmen wäre deutlich höher. Hinzu kommen die Investitionen deutscher Unternehmer im Land selbst. Sollte ihre Produktion dort beeinträchtigt werden, würde das zumindest ihren Firmenwert treffen. Ein Stopp des China-Geschäfts ist zwar machbar, würde der deutschen Wirtschaft aber sehr wehtun. Im Moment sehe ich eine solche Entwicklung aber nicht. Große deutsche Unternehmen investieren weiter in China. Es sind eher kleine Unternehmen, die wegen der vielen Sicherheitsauflagen ihre China-Geschäfte überdenken.

Verständlich, oder?

Sicherlich sollten wir nach den Erfahrungen der jüngeren Zeit jetzt genau schauen, in welchen Bereichen wir uns von bestimmten Ländern zu abhängig gemacht haben und wo wir neue Lieferketten aufbauen können. Das sind die Lehren aus dem Russland-Konflikt. Und diese Frage stellt sich jetzt auch jedes größere Unternehmen, das in China engagiert ist. Den meisten geht es aber darum, sich von den Abhängigkeiten zu lösen, nicht von China an sich.

Sind einige Firmen nicht längst von China an die Kandare genommen worden? VW und Daimler erwirtschaften mehr als die Hälfte ihres Umsatzes in der Volksrepublik.

Es wäre falsch, wenn VW jetzt sagen würde: Wir gehen komplett raus. Der Handel hat vielleicht nicht zu einem Wandel geführt, wie einst erhofft. Eine gewisse Stabilität in den Beziehungen hat der intensive Austausch aber schon gebracht. Ich denke, Volkswagen und andere Unternehmen werden nun genau ermitteln, wie verletzlich sie sind, sollte es irgendwann zu umfassenderen Sanktionen des Westens gegenüber China kommen.

Wie genau?

Ich empfehle den Unternehmen die Arbeit mit Belastungsszenarien. Jedes Unternehmen sollte alle möglichen Risiken durchgehen. Russland etwa hatte kaum jemand als Risiko auf dem Schirm. Sonst hätten wir nicht diese Gas-Abhängigkeit. Auch bei anderen Rohstoffen, etwa Seltene Erden oder auch Computerchips, gibt es zu große Abhängigkeiten von einigen wenigen Ländern.

Nur was folgt aus solchen Erkenntnissen?

Die deutschen Unternehmen sollten andere geografische Räume wieder stärker ins Auge nehmen: Indien und Südamerika etwa, im Falle von VW auch Nordamerika. Das heißt aber nicht, dass für VW in China alle Maschinen still stehen sollen. Ich plädiere dafür, weiter Handel zu betreiben, aber konsequent Abhängigkeiten zu reduzieren. Es reicht aber nicht aus, dass nur Unternehmen Risiko-Management betreiben. Wie wir zuletzt gesehen haben, gibt es systemische Risiken, die Unternehmen allein nicht angehen können. Und da ist die Politik gefragt, bei der Suche nach neuen Rohstoffquellen etwa, aber eben auch bei der Suche nach neuen Absatzmärkten, etwa durch mehr Handelsverträge.

Statt Renationalisierung plädieren Sie für mehr Freihandel?

Zumindest für einen diversifizierteren Handel. Um Abhängigkeiten zu vermeiden, sollte man nicht nur mit einem Partner handeln, sondern mit vielen. Es gibt noch viele Regionen auf der Welt, die eine Phase hohen Wirtschaftswachstums vor sich haben und wo deutsche Unternehmen, die viel Erfahrung mit internationalem Handel haben, sehr gut positioniert wären. Und nicht alle davon sind Autokratien. 

Stichwort Lieferkettengesetz: Auch wenn China in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte bei der Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards gemacht hat, dürfte es für deutsche Unternehmen schwierig werden, die Einhaltung entlang aller Lieferketten gewährleisten zu können. In China fehlt es an unabhängigen Prüfstellen.

Die deutschen Unternehmen mussten ja auch schon vorher darlegen, was sie für Standards einhalten. Insofern ist das Thema nicht neu für sie. Ich halte das deutsche Lieferkettengesetz für einen guten Kompromiss. Es ist relativ vorsichtig in Hinblick auf die Anforderungen und die Tiefe, bis zu der man die Lieferkette kontrollieren kann. Aber demnächst kommt ja das europäische Pendant, was deutlich schärfer ausfallen soll. Das stellt manche deutsche Unternehmen schon vor größere Probleme.

Die USA fordern immer stärker von ihren Verbündeten, sich zu entscheiden: China oder die USA. Deutschland wirkt in der Frage unentschieden.

Wenn es darauf ankam, hat sich Deutschland immer entschieden. Und zwar für die USA. Das war bei den Sanktionen gegen Iran so, das ist aktuell bei Russland der Fall. Dafür ist der amerikanische Markt zu wichtig, die USA sind als unser wichtigster Nato-Partner auch die relevante Schutzmacht. Für mich stellt sich die Frage, was eine solche Aufforderung der USA am Ende bedeutet? Auch amerikanische Unternehmen sind in China tätig. Und auch sie haben keine Pläne, das Land zu verlassen. Ich denke, den USA geht es vor allem um sicherheitsrelevante Technologien. Und da haben sich die Deutschen längst auf die Seite der USA geschlagen.

Droht kein Gegenschlag?

Die Spirale aus Sanktionen und Gegensanktionen ist altbekannt. Wenn wir Telekommunikationsunternehmen in Europa ausschließen, dann ist zu erwarten, dass China ähnlich reagiert. 

Wird das so bleiben?

Ich denke schon. Sollte Chinas Führung überreagieren und auch die Lieferung von Maschinen, Autos und Pharma aus Europa verbieten, würde das ja die Versorgung des eigenen Volkes stark beschneiden. Ich gehe davon aus, dass Gegensanktionen dosiert erfolgen.

Achim Wambach ist seit 2016 Präsident des ZEW, dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Der promovierte Physiker ist zudem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

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Analyse

Viel Rauch um nichts: Wie sinnlose Covid-Desinfektionen verpuffen

Desinfektion der Straßen von Zhengzhou

Egal ob Straßen, Wohnungen, Pakete und Briefe aus dem Ausland oder einfach Menschen. Chinas Behörden sind zu dem Schluss gekommen, dass so ziemlich alles, was eine Oberfläche hat, das Coronavirus übertragen kann. Deshalb wird gesprüht, was das Zeug hält. Soziale Netzwerke sind voll von Videos und Fotos, auf denen ganze Bataillone von Pandemie-Helfern in weißen Schutzanzügen durch die Straßen marschieren und mit ihren Sprühkanonen Fahrbahnen, Gehwege und jeden Laternenmast, der ihnen in den Weg kommt, einnebeln.

Doch sorgten Chinas Desinfektionstruppen anfangs noch für Belustigung, hat sich die Stimmung jedoch inzwischen massiv gedreht. Denn immer häufiger ordnen Behörden an, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in Privatwohnungen zwangsweise zu desinfizieren. In Shanghai und anderen Teilen des Landes mehren sich Berichte von wütenden Wohnungsbesitzern, die in Quarantänezentren geschickt wurden. In ihrer Abwesenheit drangen Reinigungskräfte in ihre Häuser ein und hinterließen von Desinfektionsmitteln durchtränkte Möbel und Fußböden.

Für Entrüstung sorgen auch Bilder von Menschen, die sich in einer Reihe aufstellen müssen und dann mit Desinfektionsmittel beschossen werden. Viele Feuerwehrleute gehen in Shanghai nicht mehr ihrer eigentlichen Aufgabe nach, sondern sind längst fester Bestandteil der Desinfektionstruppen, die von Wohnung zu Wohnung ziehen. An Bahnhöfen und Flughäfen sind Desinfektionsroboter im Einsatz. 

Im Bahnhof von Huzhou kommt hingegen ein Desinfektionsroboter zum Einsatz

Experten verweisen darauf, dass all diese Bemühungen vor allem eines sind: Eine große Verschwendung von Ressourcen. Gleich mehrere Studien belegen, dass die Chance einer Übertragung des Virus über kontaminierte Oberflächen außerordentlich gering ist. Dafür könnte das Desinfizieren eine Gefahr für Gesundheit und Umwelt darstellen. 

Studien belegen geringes Infektionsrisiko über Oberflächen

Das US-Gesundheitsministerium schätzt, dass es beim Kontakt einer mit Covid-19 kontaminierten Oberfläche nur in einem von 10.000 Fällen zu einer Infektion komme. Eine zweijährige Studie, die im April im Journal of Exposure Science and Environmental Epidemiology veröffentlicht wurde, schätzt die Wahrscheinlichkeit sogar auf lediglich 1 zu 100.000.

Die meisten Beobachter sind sich vor dem Hintergrund solcher Zahlen einig, dass es den Behörden um andere Motive geht. Die Bilder sollen “das Vertrauen der Öffentlichkeit in staatliche Maßnahmen stärken”, sagte der Hongkonger Professor Nicholas Thomas gegenüber dem amerikanischen Fernsehsender CNN. Viele China-Beobachter sprechen im Zusammenhang mit der Sprüh-Kampagne nur noch von einem “Hygienetheater”, das nichts mehr mit sinnvollen Präventionsmaßnahmen zu tun hat. Dem Volk soll gezeigt werden, dass die Regierung nicht untätig ist. 

Draußen auf dem Sportplatz kümmern sich aber wieder Menschen um die Desinfektion

Einige Forscher halten die strikten Maßnahmen dennoch für folgerichtig. Das Desinfizieren von Oberflächen sei zwar für die Strategie der meisten Länder unerheblich, meint etwa Leo Poon, Forscher an der School of Public Health der Hongkong Universität. China, das eine Eliminierungsstrategie verfolge, bliebe jedoch kaum eine andere Wahl. 

Das Übertragungsrisiko sei zwar extrem gering. Jedoch könne jede einzelne Infektion eine neue Welle auslösen. Chinas Chefepidemiologe Wu Zunyou sagte kürzlich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch kontaminierte Oberflächen zwar gering sei, aber mit wiederholter Exposition möglich bliebe.

WHO: Groß angelegte Begasung nicht empfohlen

Eindeutig positioniert sich dagegen die Weltgesundheitsorganisation. In Außenbereichen sei eine groß angelegte Begasung “nicht empfohlen”, heißt es in den offiziellen Richtlinien der WHO. Straßen und Bürgersteige seien keine Infektionswege für das Virus. Das Sprühen von Desinfektionsmitteln könne “schädlich für die Gesundheit” sein und  Augen-, Atemwegs- oder Hautreizungen verursachen.

Sinnvoll seien Desinfektionsmaßnahmen dagegen an den richtigen Stellen: zu Hause, im Büro, in Schulen oder Fitnessstudios. Hier sei es angebracht, sogenannte High-Touch-Oberflächen regelmäßig zu desinfizieren. Als Beispiel nennt die WHO Tür- und Fenstergriffe, Arbeitsplatten in der Küche, Badezimmeroberflächen sowie Toiletten und Wasserhähne. Jörn Petring/Gregor Koppenburg

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Befehl aus Europa: China-Standorte sollen CO2 einsparen

Dekarbonisierung ist das Gebot der Stunde – und das gilt auch für europäische Unternehmen in China. Sie stehen unter dem Druck ihrer Hauptquartiere: Die meisten Großfirmen haben sich konzernweite Emissionsziele gesetzt, und die China-Standorte sollen diese nicht gefährden. Sie müssen daher in einem schwierigeren Umfeld als etwa in der EU ihren Ausstoß an schädlichen Gasen rasch senken. “Die Zeitleiste wird von den Hauptquartieren vorgegeben, nicht von China“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China (EUCCC). Das freue die Kader vor Ort, denn sie können die Erfolge der ausländischen Unternehmen den chinesischen Staatsunternehmen als Vorbild präsentieren.

Immerhin 46 Prozent der für eine neue Studie der EUCCC und Roland Berger zum Thema befragten Unternehmen in China gaben an, bereits mit der Dekarbonisierung ihrer lokalen Aktivitäten begonnen zu haben. Fünf Prozent operieren nach eigenen Angaben in China sogar schon klimaneutral. Und 16 Prozent sind in der Planungsphase. BASF etwa baut derzeit einen Verbundstandort im südchinesischen Zhanjiang, der mit Ökostrom betrieben werden soll (China.Table berichtete). Auch das Volvo-Werk in Daqing läuft nach Firmenangaben mit erneuerbarer Energie.

Viele Firmen nehmen Chinas Klimaziele der Studie zufolge als sehr ehrgeizig wahr. 60 Prozent halten sie für “aggressiv”, weitere 22 Prozent für “angemessen” – was auch immer sie selbst darunter verstehen. Drei Viertel der befragten Firmen trauen China laut der am Mittwoch in Peking vorgestellten Studie zu, seine sogenannten 30/60-Ziele zu erreichen. Diese hatte Staatschef Xi Jinping im September 2020 auf der UN-Generalversammlung verkündet: Emissionshöhepunkt bis 2030, Klimaneutralität ab 2060.

China: Ehrgeizige Klimaziele, wenig Konkretes

Die befragten Unternehmen vor Ort registrieren durchaus Aktivität der Behörden für den Klimaschutz. “Die chinesische Regierung hat damit begonnen, der Wirtschaft in Form ihres 1+N-Rahmenwerks umfassende Leitlinien zur Erreichung ihrer 30/60-Ziele bereitzustellen”, heißt es. Die 1 steht für die übergreifende Agenda, während die N-Pläne konkrete Maßgaben für einzelne Sektoren enthalten sollen. Doch derzeit sei dieser Rahmen noch “weitgehend theoretisch und enthält nicht viel an konkreten Zielen oder Koordinierungsmechanismen“, so die Studie. Schrittweise sollen in den nächsten Monaten mehr N-Pläne hinzukommen.

Die Abhängigkeit der Industrie von billiger, meist klimaschädlicher Energieträger wie Kohle zu verringern und gleichzeitig die Energiesicherheit aufrechtzuerhalten, ist nach den Angaben der EU-Firmen die größte Herausforderung für China auf dem Pfad zum Klimaziel. Der Energiemix enthalte noch immer zu wenig erneuerbare Energien. Vor allem im Rostgürtel Nordostchinas verläuft der Ausbau der Erneuerbaren laut Wuttke schleppend. Das Angebot an erneuerbarem Strom sei zudem schlecht in ein unflexibles Netz integriert, schreibt die Studie. Landesweite Strommärkte sind erst im Aufbau; viele Firmen bekommen daher nicht so viel Ökostrom, wie sie gerne hätten (China.Table berichtete).

Daraus ergäben sich ganz neue Dimensionen für nötige Entscheidungen, sagt Jörg Wuttke. “Wer in Nordostchina eine energieintensive Fabrik gebaut hat und nun die Erneuerbaren nicht bekommt, muss möglicherweise in einen anderen Teil Chinas umziehen.” Das geschieht offenbar bereits. “Chinesische Firmen beeilen sich, Zugang zu Erneuerbaren-Kapazitäten zu bekommen”, sagt Denis Depoux von Roland Berger, Mitautor der Studie. Manche schlossen Standorte im Nordosten und eröffneten neue im Südwesten, wo es viel Wasserkraft gebe – etwa in Guangxi oder Yunnan. “Allerdings ist es damit wohl bald vorbei, denn diese Regionen wollen keine Schwerindustrie-Cluster, sondern lieber neue Industrien anziehen”, so Depoux.

CO2-Emissionen: Zulieferer fließen in die Rechnung ein

Ein weiteres Problem entsteht, wenn die Lieferkette eines Unternehmens weiter auf billige Kohle-Energie setzt, wie es in China viele lokale Unternehmen tun. “Lieferanten mit einem großen CO2-Fußabdruck können meinen eigenen Fußabdruck beschädigen”, erklärt Wuttke. Fast zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben außerdem an, dass ihnen fehlende industriellen Richtlinien und Best Practice-Beispiele bei der Dekarbonisierung im Weg stehen könnten. Diese Dinge seien aber wichtig für die nötige Planungssicherheit, um die teuren Investitionen in neue Umwelttechnologie tätigen zu können.

Für das nötige Wissen seien derzeit Nichtregierungsorganisationen entscheidend, sagt Wuttke und nennt vor allem das Institute of Public & Environmental Affairs des bekannten Wasserexperten und Umweltschützers Ma Jun, das seit vielen Jahre akribisch Daten über Wasser- und Luftverschmutzung durch Unternehmen im gesamten Land sammelt. “Provinz- und Kommunalverwaltungen haben dagegen derzeit nur ein begrenztes Verständnis dafür, wie hochrangige Ziele umgesetzt werden können, und es mangelt an branchenspezifischen Kenntnissen”, so die Studie. “Viele Lokalregierungen haben zum Beispiel keinen Überblick über die Emissionen des Aluminiumsektors”, sagt Wuttke. Es sei daher kein Wunder, dass der Sektor erst einmal nicht in Chinas Emissionshandel aufgenommen werden könne. Dafür bräuchte es eine klare Datenlage.

Konsultation ist wichtig, das zeigt die Studie ebenfalls – mit der Regierung, der Planungskommission NDRC, den mächtigen Wirtschaftsverbänden. “Es gibt zudem wenig oder gar keinen Dialog auf Branchenebene zwischen Unternehmen, die in denselben Sektoren tätig sind”, stellt die Studie fest. Fast die Hälfte der Befragten gab an, nicht zu wissen, wie sich ihr eigenes Unternehmen bei der Dekarbonisierung im Vergleich zur lokalen Konkurrenz schlägt.

EU-Kammer fordert offenere Märkte

Doch die EUCCC wäre keine Handelskammer, wenn sie nicht für die eigenen Firmen werben und besseren Zugang zum Markt fordern würde. “Chinas Erfolg wird von seiner Fähigkeit abhängen, so viel Fachwissen wie möglich zu nutzen. Dazu müsste europäischen Unternehmen ein besserer Marktzugang und gleiche Wettbewerbsbedingungen geboten werden, damit sie größere Beiträge leisten können”, heißt es etwa. Der Mangel an offenen Märkten, gemeinsamen Standards und einem Bewusstsein für die Klimakrise behindere die Einführung kohlenstoffarmer Technologien.

Chinas Klimagesandter Xie Zhenhua kündigte unterdessen am Dienstag auf dem World Economic Forum in Davos an, dass China die 30/60-Ziele noch schneller erreichen wolle. Bisher hätten 37 Sektoren und Industrien Pläne zur Emissionsreduzierung angekündigt oder umgesetzt, sagte Xie. “Es geht nicht mehr nur um Worte – es geht um Taten. Klimaschutzmaßnahmen sind jetzt entscheidend”, so Xie. Die EU-Firmen in China werden hoffen, dass die Behörden auf ihn hören. Christiane Kühl

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News

VW-Chef: “Volkswagen verbessert Situation der Uiguren”

Volkswagen will trotz der neuen Enthüllungen über Menschenrechtsverletzungen an der muslimischen Minderheit der Uiguren in China sein Werk in der Provinz Xinjiang weiter betreiben. “Ich glaube, dass die Präsenz der SAIC Volkswagen dazu führt, dass sich die Situation für die Menschen verbessert“, sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess der Zeitung “Handelsblatt” (Montagausgabe) mit Blick auf das dortige Gemeinschaftsunternehmen Saic Volkswagen. “Wir reisen dort hin, stellen wie überall auf der Welt sicher, dass unsere Arbeitsstandards durchgesetzt, kulturelle und religiöse Unterschiede respektiert werden.” Gäbe es Ansatzpunkte für Vergehen, würde dagegen vorgegangen, sagte Diess weiter.

VW steht immer wieder in der Kritik, weil der Autohersteller zusammen mit dem chinesischen Staatskonzern Saic seit 2013 eine Fabrik in der Stadt Urumqi betreibt. Jüngst sollen dem Dax-Konzern dort vom Bund Investitionsgarantien verwehrt worden sein (China.Table berichtete). Das bedeutet, dass der Autobauer die finanziellen Risiken selbst tragen muss.

Erst in der vergangenen Woche drangen neue Beweise für schwere Menschenrechtsverbrechen an den Uiguren an die Öffentlichkeit (China.Table berichtete). Zahlreiche Regierungen und Parlamente demokratischer Staaten sowie Menschenrechtsorganisationen werfen China vor, mindestens eine Million Muslime in Lagern in der westlichen Provinz Xinjiang gegen deren Willen festzuhalten. Die US-Regierung spricht wegen des systematisch gesteuerten Rückgangs der Geburtenzahlen unter Uiguren sowie Gewalt, Folterungen und Mord durch chinesische Behörden von einem Genozid. Die Regierung in Peking weist die Vorwürfe als Lügen kategorisch zurück.

Der chinesische Markt ist für Volkswagen jedoch extrem wichtig. Die Wolfsburger sind dort Branchenprimus. Konzernchef Diess ist trotz der jüngsten Corona-Lockdowns und der Wirtschaftsabkühlung in China zuversichtlich, dass die Volksrepublik Wachstumsmotor bleiben wird: “Obwohl China schon heute der größte Automarkt der Welt ist, werden in Relation zur Bevölkerung immer noch vergleichsweise wenige Fahrzeuge verkauft”, erläuterte Diess. So komme China beim Bestand auf 250 bis 300 Autos pro 1000 Einwohner. In Deutschland liege der Bestand bei etwa 600, in den USA seien es ungefähr 800. “Allein diese Zahlen machen deutlich, dass China mit Abstand der größte Wachstumsmarkt bleiben wird”, sagte Diess. rtr

  • Autoindustrie

Shanghai bereitet Ausstieg aus Lockdown am Mittwoch vor

Zwei Monate nach Beginn des Lockdowns in Shanghai laufen die Vorbereitungen für ein Ende der strengen Corona-Auflagen. Ab Mittwoch, 00.00 Uhr (Ortszeit), würden bestimmte Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit aufgehoben, erklärte die Stadtverwaltung am Montag. So sollen die Menschen wieder ihre Wohngebiete verlassen können, wenn sie nicht in Hochrisiko-Vierteln leben. Anfang des Monats waren die Einschränkungen drastisch verschärft worden (China.Table berichtete).

“Die epidemische Lage in unserer Stadt ist effektiv unter Kontrolle gebracht worden und die Situation verbessert sich weiter”, erklärte die Stadtverwaltung auf ihrem Kanal des Messengerdienstes WeChat. Die Bewohner sollten aber weiter dazu angehalten werden, Masken zu tragen, Menschenansammlungen zu meiden und sich impfen zu lassen. Bereits zuvor war Unternehmen erlaubt worden, ihren Betrieb wieder aufzunehmen.

Shanghai: Lockerungen nur Theorie?

Allerdings beschweren sich viele Einwohner:innen der Stadt darüber, dass versprochene Lockerungen lediglich in der Theorie existierten, von den Nachbarschaftskomitees einzelner Wohnblöcke aber effektiv verhindert würden. Mit entsprechender Skepsis sehen viele Betroffene der vermeintlichen Rückkehr in Richtung Normalität entgegen.

Ab Mittwoch werde auch der öffentliche Nahverkehr weitgehend in den Regelbetrieb zurückkehren, teilte die Verwaltung derweil mit. Zudem dürften Privatfahrzeuge wieder ohne vorherige Genehmigung auf die Straßen. Zuletzt durfte man selbst im eigenen Auto ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht fahren.

Die Stadt habe einen Härtetest unter extremen Bedingungen bestanden, erklärte Shanghais KP-Sekretär Li Qiang. Nun werde man alles tun, um die wirtschaftliche Erholung voranzutreiben.

Peking: Ein Corona-Fall, tausende in Quarantäne

Unterdessen sind in Peking Tausende Menschen unter Corona-Quarantäne gestellt worden, weil sich ein Nachbar nicht an die Anordnung zur Selbstisolierung gehalten hatte und später positiv auf das Virus getestet wurde. Der 42 Jahre alte Mann hatte wiederholt die Anordnung der Behörden verletzt, nachdem er nach dem Besuch eines Einkaufszentrums als Kontaktperson eines positiven Falls eingestuft worden war.

Mehrmals habe er seine Wohnung verlassen und sei in der Nachbarschaft spazieren gegangen, hieß es. Später wurden der Mann und seine Frau positiv getestet. Daraufhin mussten sich 5.000 Nachbarn des Wohnblocks zu Hause isolieren. 250, die mit ihm dasselbe Gebäude bewohnen, wurden in Quarantänezentren verfrachtet.

China setzt auf eine strikte Null-Covid-Strategie. Mit strengen Abriegelungen, Massentests und langen Quarantänezeiten versuchen die Behörden, Ausbrüche sofort zu stoppen. Verstöße gegen die Vorschriften werden hart bestraft. Auch gegen den 42-Jährigen wird jetzt ermittelt. rtr/rad

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  • Gesundheit
  • Peking

Hongkongs neuer Chef genießt volles Vertrauen der Zentrale

Der künftige Hongkonger Regierungschef John Lee geht mit voller Rückendeckung der chinesischen Zentrale in seine erste Amtszeit. Drei Wochen nach seiner Wahl war der 64-Jährige am Samstag zum Antrittsbesuch nach Peking gereist. Dort hatte ihn am Montag Chinas Staatschef Xi Jinping empfangen und ihm sein volles Vertrauen ausgesprochen. Lee war der Wunschkandidat der Kommunistischen Partei für die Nachfolge der noch amtierenden Carrie Lam (China.Table berichtete). Am 1. Juli wird er die Regierungsgeschäfte seiner Vorgängerin übernehmen.

“Ich bin überzeugt davon, dass die Spitze der neuen Regierung definitiv eine neue Atmosphäre schaffen und ein neues Kapitel in Hongkong aufschlagen wird”, sagte Xi. Lee besitze “den Schneid, Verantwortung zu übernehmen” und habe “zur Wahrung der nationalen Sicherheit und des Wohlstands und der Stabilität Hongkongs” beigetragen. “Die Zentralregierung bestätigt und vertraut Ihnen voll und ganz”, sagte Xi.

Lee ist ehemaliger Polizist und Sicherheitsminister Hongkongs. Während der Protestbewegung vor knapp drei Jahren, an der sich Millionen Menschen wegen des Verlusts ihrer Bürgerrechte beteiligt hatten, aber auch in den Jahren danach spielte Lee eine zentrale Rolle bei der politischen Säuberung der Stadt im Sinne Pekings (China.Table berichtete). Oppositionelle Politiker, Publizisten oder Aktivisten sitzen entweder in Haft oder sind ins ausländische Exil geflohen.

Kritiker sehen in Lees Wahl das endgültige Ende jeglicher Rechtsstaatlichkeit in Hongkong und den nominellen Beginn einer autoritären Herrschaft in der ehemaligen britischen Kronkolonie. grz

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China sperrt Luftraum für russische Flugzeuge

China hat seinen Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt, deren rechtlicher Status derzeit nicht geklärt ist. Flugzeugen von Boeing und Airbus werde demnach die Lande- und Überflugerlaubnis entzogen. Damit reagiert China auf die westlichen Sanktionen gegenüber russischen Fluggesellschaften.

Die EU und die USA hatten nach der russischen Invasion in die Ukraine die Lieferung von Zivilflugzeugen und Ersatzteilen nach Russland sowie deren Wartung und Versicherung verboten. Ein Großteil der in Russland betriebenen Luftflotte wird von westlichen Leasingfirmen bereitgestellt. Moskau weigert sich, die Flugzeuge zurückzugeben und hat die Maschinen zur Umgehung der Sanktionen umregistriert.

Seit diesem Monat fordert China von den russischen Airlines einen Registrierungsnachweis, der einwandfrei nachweist, dass die Flugzeuge nicht mehr im Ausland gelistet seien. Entsprechende Dokumente haben jedoch nicht vorgelegt werden können, berichtet die russische Nachrichtenagentur RBK.

Seit Monaten steht China in der Kritik, keine eindeutige Position gegenüber dem russischen Angriffskrieg einzunehmen und die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mittragen zu wollen. Chinas normaler Handel mit Moskau dürfe “nicht beeinträchtigt werden”, hatte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums noch im vergangenen Monat erklärt. fpe

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Airbnb zieht sich aus China zurück

Airbnb will ab dem 30. Juli in China keine Unterkünfte oder “Experiences” mehr anbieten, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Das 2008 in San Francisco gegründete Unternehmen war seit 2015 in China aktiv. Seitdem bediente Airbnb dort um die 25 Millionen Kunden. Buchungen in der Volksrepublik machten zuletzt aber nur ein Prozent der weltweiten Buchungen aus. Als Grund gilt neben der Pandemie auch eine wachsende Zahl heimischer Konkurrenten, allen voran die Anbieter Tujia und Xiaozhu.

Im Mai 2020 hatte AirBnb etwa 25 Prozent seiner Mitarbeiter entlassen müssen, da die weltweite Nachfrage nach Unterkünften drastisch gesunken war. 150.000 gelistete Wohnungsangebote werden nun von AirBnb in China gelöscht. Nutzer aus China sollen jedoch weiterhin über die Plattform Unterkünfte im Ausland buchen können. Der Outbound-Tourismus verspreche durch speziell auf chinesische Kunden zugeschnittene Angebote höhere Umsätze, erklärt das Unternehmen. Ein Büro in Peking soll das Geschäft weiter koordinieren. fpe

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Standpunkt

Staatliche Einflussnahme durch goldene Aktien

von Angela Huyue Zhang
Angela Zhang, Direktorin des Zentrums für chinesisches Recht an der Hongkong Universität
Angela Zhang, Direktorin des Zentrums für chinesisches Recht an der Hongkong Universität

Die Hoffnung wächst, dass Chinas bedrängte Technologie-Giganten endlich eine Atempause von den schweren rechtlichen und regulatorischen Maßnahmen erhalten, die den Wert ihrer Aktien inzwischen um über 1,5 Billionen Dollar verringert haben. Angesichts wachsender Herausforderungen für das Wirtschaftswachstum haben einige chinesische Regierungsvertreter eine mögliche Umstellung auf eine neue Strategie signalisiert: den Erwerb von einem Prozent der Aktien wichtiger Technologie-Unternehmen – die Regierung solle sogenannte “goldene Aktien” ankaufen und sich damit Einfluss sichern. Aber wird dieser Ansatz die Aussichten für Chinas Technologiebranche wirklich verbessern?

Ein neuer Ansatz ist sicherlich nötig. Das Bemühen der Behörden während der letzten 18 Monate, die chinesischen Technologie-Unternehmen zu disziplinieren, war plump und sehr teuer – und umfasste eine Vielzahl undurchsichtiger und unberechenbarer Regeln. Die abrupte Aussetzung des Börsengangs der Ant Group Ende 2020, die gegen Alibaba und Meituan verhängten Kartellstrafen in Rekordhöhe und die überraschenden Ermittlungen zur Cyber-Sicherheit bei Didi Chuxing haben die Anleger verunsichert und die Aktienkurse abstürzen lassen.

Die chinesische Regierung scheint nun zu hoffen, dass goldene Aktien ihr die Informationen und den Einfluss, den sie anstrebt, verschaffen werden – und zugleich die wirtschaftlichen Kosten einer ungeschickten Regulierung vermeiden. Eine Aktienbeteiligung von einem Prozent könnte den staatlichen Investor in die Lage versetzen, ein Vorstandsmitglied zu benennen. Das würde ihm einen Insider-Zugang zu wichtigen Unternehmensentscheidungen verschaffen, sowie die Befugnis, diese mit einem Veto zu belegen. Dies würde viel dazu beitragen, die Ängste der Regierung über eine “ungeordnete Ausweitung des Kapitals” zu zerstreuen.

Mehr Kontrolle für die KP durch “goldenen Aktien”

Zugleich scheint die chinesische Führung zu hoffen, dass eine derartige Regelung den Technologie-Unternehmen helfen würde, ihr Regulierungsrisiko zu steuern, da sie sie in die Lage versetzen würde, ihre Gleichrichtung mit der staatlichen Agenda und Politik sicherzustellen. Eventuelle Unstimmigkeiten würden dabei unternehmensintern beigelegt, was die Notwendigkeit für ein nachträgliches Eingreifen des Staates beseitigen würde und den Anlegern mehr Klarheit und Sicherheit böte.

Dem Beförderungsgiganten Didi Chuxing hätte das womöglich geholfen. Als das Unternehmen entschied, seine Aktien an die New Yorker Börse (NYSE) zu bringen, empfahl Chinas mächtige Regulierungsbehörde für das Internet, die Cyberspace Administration of China (CAC), dem Unternehmen, zunächst eine Überprüfung zur Cyber-Sicherheit durchzuführen. Didi ignorierte die CAC-Empfehlung und erlöste bei seinem Börsengang im Juni 2021 4,4 Milliarden US-Dollar.

Innerhalb weniger Tage kündigte die CAC an, dass sie Ermittlungen gegen Didi eingeleitet habe. Der Regulierungsdruck setzte sich in den folgenden Monaten fort, und Didi sah sich letztlich veranlasst, sich von der NYSE zurückzuziehen. Dies führte zum Absturz seines Aktienkurses und löste einen weltweiten Ausverkauf bei chinesischen Internetaktien aus. Mit einer goldenen Didi-Aktie hätte der betreffende Regierungsvertreter womöglich sein Veto gegen die ursprüngliche Entscheidung über eine NYSE-Notierung eingelegt und die anschließenden Turbulenzen allesamt vermieden.

Die Einführung goldener Aktien scheint daher sowohl der Regierung als auch den Technologie-Unternehmen Vorteile zu bringen. Und es wurden bereits Schritte in diese Richtung ergriffen. Im April 2020 verkaufte Weibo eine einprozentige Beteiligung an ein Unternehmen, das dem 2017 von der CAC und dem Finanzministerium gegründeten China Internet Investment Fund (CIIF) gehört.

Tech-Unternehmen profitieren von staatlichen Beteiligungen

Seitdem hat der CIIF-Fonds in mehr als 40 chinesische Technologie-Unternehmen investiert, darunter ByteDance (den Eigentümer von Douyin und TikTok), die beliebte Video-App Kuaishou, das Podcast-Unternehmen Ximalaya, den KI-Start-up SenseTime und die Frachtversandplattform Full Truck Alliance. Während die meisten dieser Beteiligungen keine goldene Aktie vorzusehen scheinen, haben der CIIF oder seine verbundenen Unternehmen Vorstandssitze in mindestens zwei Unternehmen übernommen: ByteDance und Weibo.

Doch um Unternehmen in die Lage zu versetzen, Regulierungsärger zu vermeiden, ist eine derartige Regelung kein Allheilmittel. Zunächst einmal ermächtigt die goldene Aktie den staatlichen Investor nur, sein Veto gegen Entscheidungen einzulegen, die auf Vorstandsebene behandelt werden; sie hätte wenig bis gar keine Auswirkungen auf das tagtägliche operative Geschäft des Unternehmens. Doch das sind die Aktivitäten, auf die die Regulierung tendenziell zielt. Ansätze in Bezug auf Fragen wie den Wettbewerb mit Konkurrenten, die Behandlung angestellter und freiberuflicher Mitarbeiter, die Verteilung der Wertschöpfung unter den Plattformbeteiligten und die Erfassung, Verarbeitung und Weitergabe von Nutzerdaten dürften vom Unternehmensvorstand kaum überprüft werden. Doch sie alle fallen in den Bereich der Regulierung.

Darüber hinaus verteilen sich die Regulierungsbefugnisse in China auf eine Anzahl staatlicher Abteilungen und Behörden, die häufig in erbittertem Wettbewerb miteinander stehen. Das unmittelbare oder mittelbare Eigentum durch eine Abteilung bietet dem Unternehmen gegebenenfalls wenig Schutz vor Interventionen anderer Abteilungen – insbesondere wenn die Unternehmensbeteiligung von einer untergeordneten staatlichen Behörde gehalten wird.

Kein Schutz vor Regulierung trotz Staatsbeteiligungen

Es ist sogar möglich, dass eine Regulierungsstelle gegen ein Unternehmen vorgeht, an dem sie selbst eine Beteiligung hält. Dafür gibt es Präzedenzfälle. Obwohl eine von der CAC gestützte Stelle seit 2020 einen Vorstandssitz bei Weibo innehatte, verhängte die CAC zwischen Januar und November 2021 gegen die Plattform 44 Geldbußen im Gesamtumfang von etwas über zwei Millionen Dollar. Im Dezember bestellte die CAC Weibo-Führungskräfte zu sich, verhängte gegen diese ein weiteres Bußgeld und rügte sie wegen Versäumnissen bei der Moderation von Inhalten. Dies war anscheinend ein vorsätzlicher Versuch, ihnen einen Reputationsschaden zuzufügen. Am Tag der Verkündung dieser neuen Geldbuße fiel der Aktienkurs um fast zehn Prozent.

In ähnlicher Weise ersparte eine indirekte Beteiligung der CAC an Full Truck Alliance dem Unternehmen nicht die überraschende Untersuchung zur Cyber-Sicherheit vom vergangenen Juli. Der Schritt der CAC hatte einen Absturz des Aktienkurses des Unternehmens zur Folge, und das nur zwei Wochen nach seinem Börsengang in New York.

Goldene Aktien mögen den Interessen der chinesischen Regierung dienen. Aber wer glaubt, dass sie die Technologie-Unternehmen vor den Kosten einer fortgesetzten Regulierung schützen werden, dürfte enttäuscht werden. Und damit sind die Risiken des Staatseigentums wie Korruption und regulatorische Vereinnahmung, die Chinas Bürokratie seit langem heimsuchen, noch gar nicht einbezogen. Statt die Technologie-Unternehmen – Chinas goldene Gans – zu schützen, dürften goldene Aktien ihnen noch mehr von ihrem Glanz nehmen.

Angela Huyue Zhang ist Juraprofessorin, Direktorin des Zentrums für chinesisches Recht der Universität Hongkong und die Verfasserin von Chinese Antitrust Exceptionalism: How the Rise of China Challenges Global Regulation (Oxford University Press, 2021). Übersetzung: Jan Doolan.

Copyright: Project Syndicate, 2022.
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Portrait

Christoph Rehage – Zu Fuß durch China

Christoph Rehage begann seine Wandertour vor 15 Jahren in Peking, China.
Christoph Rehage begann seine Wandertour vor 15 Jahren in Peking

Christoph Rehage ist Wanderer, Reiseblogger und Autor. Seit 15 Jahren läuft er zu Fuß durch Asien und Osteuropa. Und er schreibt seine Erlebnisse auf. Sein erstes Buch “The Longest Way” erzählt vom Mosaik eines vielschichtigen Chinas und dem Fluch, weiterlaufen zu wollen, was immer auch geschieht.

Angefangen hat die Reise am 9. November 2007, seinem 26. Geburtstag. Rehage hatte zuvor zwei Jahre in Peking verbracht und dort studiert. Nach Deutschland wollte er zu Fuß zurückkehren. Es war der Beginn einer Reise zu sich selbst, die noch immer nicht zu Ende ist. Nur wenn es dringende persönliche Anlässe gibt, setzt er sich in den Flieger oder den Zug in Richtung Deutschland – familiäre Dinge, Arztbesuche, Lesetouren. Sind die erledigt, geht es dorthin zurück, wo der Trip unterbrochen wurde.

China habe ihn von Beginn an fasziniert: “Die Esskultur war großartig, die Menschen unglaublich kreativ, gastfreundlich, hilfsbereit.” Und je länger er lief, desto mehr lernte er das Land und all seine Widersprüche kennen.

“Sie wissen immer, wo ich bin”

Überall wurde der Mann mit offenen Armen empfangen. Während sein Bart immer weiter wuchs, kam er bei Familien unter, schlief auf Feldern, in Tempeln oder im Hinterzimmer eines Restaurants. Beim Wandern bekam er die Chance, sich intensiv mit Mönchen, Polizeibeamten oder Sexarbeiterinnen auszutauschen, die seinen Weg kreuzten. Auf ausgetrampelten Touristenpfaden hätte er diese Menschen vielleicht auch getroffen, doch die Gelegenheit zum intensiven Austausch hätte sich wohl kaum ergeben.

Rehage lernte die Weltoffenheit der Chinesen auf der einen, ihre Vorsicht im eigenen Land auf der anderen Seite hautnah kennen. “Ich hatte immer das Gefühl, in China liege etwas Tragisches, dass die Menschen dort einander weniger vertrauten als mir.”

Mit der lokalen und sozialen Überwachung, mit der die Chinesen täglich leben müssen, kam Rehage selbst zum ersten Mal 2010 in Konflikt, als er sich mit der lokalen Polizei in Kuytun und Wusu stritt. “Mir wurde der Pass weggenommen, und ich musste ein paar Tage im Hotel bleiben. Damals habe ich verstanden: Sie wissen immer, wo ich bin.” Kontrolle und Autoritarismus sind aus seiner Sicht seit 2010 kontinuierlich schlimmer geworden. “Als ich das erste Mal 2005 in Peking ankam, haben die Leute noch offen gesprochen. Das ist völlig vorbei.”

Als er 2012 durch seine Bücher in China zu einer öffentlichen Person wurde, spürte er das mehr denn je. “Ich hatte plötzlich Einblicke hinter die Kulissen, die man als Tourist nicht bekommt. Ich bekam das Gefühl, es gibt viele Mitläufer in China, die das System selbst nicht gut finden.” Er habe sich lange an die rote Linie der Zensur gehalten. Mit dem Machtantritt von Xi Jinping wurde diese aber immer restriktiver. “Ich konnte und wollte nicht länger schweigen. Deshalb fing ich an, zu reden.” Über Taiwan, Genozide, “alles, was sie nicht hören wollten.” Was Rehage aber auf dem Herzen lag.

Der Kontakt nach China ist abgerissen

Heute sind Rehages Kanäle aufgrund seiner politischen Meinungen in China gesperrt. Zu den meisten seiner Bekannten dort hat er keinen Kontakt mehr. “Ich will sie nicht in Gefahr bringen.” Drei seiner Freunde, von denen er im Buch erzählt, sind verstorben. Ein anderer war – wie er später erfuhr – zwei Jahre in einem Internierungslager in Xinjiang. “Ich trage China immer in meinem Herzen, aber hinter mir stürzen die Brücken ein.”

So zwiespältig wie sein Verhältnis zu China ist auch das zum Laufen. Er würde gern irgendwo ankommen, sagt er, “aber bisher musste ich immer wieder los”. Nach China durchwanderte er Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Iran, Türkei und Georgien. Weder die Pandemie noch die Diagnose einer Multiplen Sklerose hinderten ihn lange daran, weiterzulaufen. Zurzeit ist Rehage in Serbien. Auf Instagram kann man seinen Trip mitverfolgen.

Inzwischen aber freut er sich darauf, seine Reise bald zu beenden und in Deutschland anzukommen. Gleichzeitig habe er aber auch Angst davor. “Ich habe Angst, dass die Zufriedenheit nicht einsetzt, und ich wieder weiter muss.” Doch vielleicht lässt er sich am Ende auch in Georgien nieder. “Es war das erste Land, wo ich das Gefühl hatte, hier ist Freiheit.” Lisa Marie Jordan

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China.Table Redaktion

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Licenses:
    • Achim Wambach plädiert für Freihandel 
    • China im Desinfektions-Wahn
    • Firmenzentralen drängen China-Töchter zu CO2-Diät 
    • VW verteidigt Investitionsstandort Xinjiang
    • Xi erteilt Hongkongs künftigem Chef den Segen
    • Shanghai vor Lockdown-Ende, neue Quarantäne in Peking
    • China sperrt Luftraum für russische Flugzeuge
    • Airbnb zieht sich zurück
    • Standpunkt: Staatliche Beteiligung an Tech-Firmen kein Allheilmittel
    • Im Portrait: Christoph Rehage hat China laufend erkundet
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    zuerst die Corona-Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine – die globalen Lieferketten stehen dieser Tage gehörig unter Druck. So erstaunt es nicht, dass immer mehr Regierungen über eine Entflechtung der globalen Wirtschaftszweige nachdenken. Auch im Hinblick auf China stellt die deutsche Regierung aktuell eine zu große Abhängigkeit fest. Immer häufiger wird deshalb die Re-Nationalisierung einzelner Lieferkettengefordert.

    Wirtschaftsexperte Achim Wambach kann einer solchen Politik nichtsabgewinnen. Im Gespräch mit Felix Lee erklärt der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW, warum das Gegenteil die Lösung wäre. Wambachs Empfehlung: Mehr Freihandel wagen. Es gäbe noch viele Regionen auf der Welt, die eine Phase hohen Wirtschaftswachstums noch vor sich hätten und wo deutsche Unternehmen sich sehr gut positioniert könnten. Ein weiterer Vorteil gegenüber China: Nicht alle dieser Länder sind Autokratien. 

    Denn wie autokratisch China vorgehen kann, lässt sich nicht zuletzt an der strikten Corona-Politik der Führung in Peking begutachten: Egal ob Straßen, Wohnungen, Pakete, Parks oder Restaurants – alles, was eine Oberfläche hat, wird dieser Tage desinfiziert. Selbst Menschen. Unser Team in Peking ist deshalb der Frage nachgegangen, wie effektiv die beißenden Gemische aus Ethanol, 1-Propanol oder 2-Propanol im Kampf gegen Corona tatsächlich sind: Sind die vermummten Desinfektionstruppen Chinas Wundermittel gegen Covid oder reines Hygienetheater?  

    Bei dem Versuch, ihre Klimaziele einzuhalten, stehen europäische Unternehmen in China unter Druck: Laut einer neuen Studie der Europäischen Handelskammer in China gaben 46 Prozent der befragten Unternehmen an, bereits mit der Dekarbonisierung ihrer lokalen Niederlassungen in der Volksrepublik begonnen zu haben. Doch das Umfeld für eine zügige Durchsetzung bleibe schwierig und undurchsichtig, schreibt Christiane Kühl. Der chinesische Energiemix enthalte noch immer zu wenig erneuerbare Energien. Hinzu kommt ein Mangel an offenen Märkten, gemeinsamen Standards und einem Bewusstsein für die Klimakrise auf Provinzebene.

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    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Interview

    “Von Abhängigkeiten lösen, aber nicht von China an sich”

    ZEW-Präsident Achim Wambach, Copyright Anna Logue Fotografie
    ZEW-Präsident Achim Wambach, Copyright Anna Logue Fotografie

    Herr Wambach, vier Tage sollte Shanghais Lockdown zur Bekämpfung der Pandemie dauern. Jetzt sind es mehr als zwei Monate – während sich das Leben im Rest der Welt wieder normalisiert. Wie groß ist der Schaden für die deutsche Wirtschaft?

    Chinas Lockdowns werden auf die globalen Lieferketten massive Auswirkungen haben. Wir werden in den nächsten Wochen zwar keinen abrupten Schock erleben, aber wir werden mit immer größeren Verzögerungen der Lieferzeiten konfrontiert. Außerdem werden die Preise dadurch wohl weiter steigen. Finanzmarkt-Experten, die wir regelmäßig befragen, erwarten zwar, dass sich die Lage in China in den nächsten sechs Monaten wieder leicht bessern wird. Aber auf einem niedrigen Niveau. Denn mit dem Ende der Corona-Maßnahmen werden die Probleme ja nicht vorbei sein. Es wird Monate dauern, bis der Handel wieder normal läuft.

    Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt uns einmal mehr, wie riskant es ist, sich zu sehr auf ein autoritäres Land einzulassen. Sollte uns Russland nicht auch mit Blick auf China eine Lehre sein?

    Es gibt eine Reihe aktueller Studien, die sich anschauen, was auf uns zukäme, wenn wir aufhören würden, mit China zu handeln. Wir reden von einem Minus von etwa einem bis vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der chinesische und der europäische Wirtschaftsraum sind stark verflochten.

    Das klingt doch gar nicht so schlimm.

    Wäre es aber. Etwa zehn Prozent der deutschen Exporte gehen nach China. Viele Absatz- und Beschaffungswege müssten im Falle scharfer Konflikte umgestellt werden. Der Verlust für die betroffenen Firmen wäre deutlich höher. Hinzu kommen die Investitionen deutscher Unternehmer im Land selbst. Sollte ihre Produktion dort beeinträchtigt werden, würde das zumindest ihren Firmenwert treffen. Ein Stopp des China-Geschäfts ist zwar machbar, würde der deutschen Wirtschaft aber sehr wehtun. Im Moment sehe ich eine solche Entwicklung aber nicht. Große deutsche Unternehmen investieren weiter in China. Es sind eher kleine Unternehmen, die wegen der vielen Sicherheitsauflagen ihre China-Geschäfte überdenken.

    Verständlich, oder?

    Sicherlich sollten wir nach den Erfahrungen der jüngeren Zeit jetzt genau schauen, in welchen Bereichen wir uns von bestimmten Ländern zu abhängig gemacht haben und wo wir neue Lieferketten aufbauen können. Das sind die Lehren aus dem Russland-Konflikt. Und diese Frage stellt sich jetzt auch jedes größere Unternehmen, das in China engagiert ist. Den meisten geht es aber darum, sich von den Abhängigkeiten zu lösen, nicht von China an sich.

    Sind einige Firmen nicht längst von China an die Kandare genommen worden? VW und Daimler erwirtschaften mehr als die Hälfte ihres Umsatzes in der Volksrepublik.

    Es wäre falsch, wenn VW jetzt sagen würde: Wir gehen komplett raus. Der Handel hat vielleicht nicht zu einem Wandel geführt, wie einst erhofft. Eine gewisse Stabilität in den Beziehungen hat der intensive Austausch aber schon gebracht. Ich denke, Volkswagen und andere Unternehmen werden nun genau ermitteln, wie verletzlich sie sind, sollte es irgendwann zu umfassenderen Sanktionen des Westens gegenüber China kommen.

    Wie genau?

    Ich empfehle den Unternehmen die Arbeit mit Belastungsszenarien. Jedes Unternehmen sollte alle möglichen Risiken durchgehen. Russland etwa hatte kaum jemand als Risiko auf dem Schirm. Sonst hätten wir nicht diese Gas-Abhängigkeit. Auch bei anderen Rohstoffen, etwa Seltene Erden oder auch Computerchips, gibt es zu große Abhängigkeiten von einigen wenigen Ländern.

    Nur was folgt aus solchen Erkenntnissen?

    Die deutschen Unternehmen sollten andere geografische Räume wieder stärker ins Auge nehmen: Indien und Südamerika etwa, im Falle von VW auch Nordamerika. Das heißt aber nicht, dass für VW in China alle Maschinen still stehen sollen. Ich plädiere dafür, weiter Handel zu betreiben, aber konsequent Abhängigkeiten zu reduzieren. Es reicht aber nicht aus, dass nur Unternehmen Risiko-Management betreiben. Wie wir zuletzt gesehen haben, gibt es systemische Risiken, die Unternehmen allein nicht angehen können. Und da ist die Politik gefragt, bei der Suche nach neuen Rohstoffquellen etwa, aber eben auch bei der Suche nach neuen Absatzmärkten, etwa durch mehr Handelsverträge.

    Statt Renationalisierung plädieren Sie für mehr Freihandel?

    Zumindest für einen diversifizierteren Handel. Um Abhängigkeiten zu vermeiden, sollte man nicht nur mit einem Partner handeln, sondern mit vielen. Es gibt noch viele Regionen auf der Welt, die eine Phase hohen Wirtschaftswachstums vor sich haben und wo deutsche Unternehmen, die viel Erfahrung mit internationalem Handel haben, sehr gut positioniert wären. Und nicht alle davon sind Autokratien. 

    Stichwort Lieferkettengesetz: Auch wenn China in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte bei der Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards gemacht hat, dürfte es für deutsche Unternehmen schwierig werden, die Einhaltung entlang aller Lieferketten gewährleisten zu können. In China fehlt es an unabhängigen Prüfstellen.

    Die deutschen Unternehmen mussten ja auch schon vorher darlegen, was sie für Standards einhalten. Insofern ist das Thema nicht neu für sie. Ich halte das deutsche Lieferkettengesetz für einen guten Kompromiss. Es ist relativ vorsichtig in Hinblick auf die Anforderungen und die Tiefe, bis zu der man die Lieferkette kontrollieren kann. Aber demnächst kommt ja das europäische Pendant, was deutlich schärfer ausfallen soll. Das stellt manche deutsche Unternehmen schon vor größere Probleme.

    Die USA fordern immer stärker von ihren Verbündeten, sich zu entscheiden: China oder die USA. Deutschland wirkt in der Frage unentschieden.

    Wenn es darauf ankam, hat sich Deutschland immer entschieden. Und zwar für die USA. Das war bei den Sanktionen gegen Iran so, das ist aktuell bei Russland der Fall. Dafür ist der amerikanische Markt zu wichtig, die USA sind als unser wichtigster Nato-Partner auch die relevante Schutzmacht. Für mich stellt sich die Frage, was eine solche Aufforderung der USA am Ende bedeutet? Auch amerikanische Unternehmen sind in China tätig. Und auch sie haben keine Pläne, das Land zu verlassen. Ich denke, den USA geht es vor allem um sicherheitsrelevante Technologien. Und da haben sich die Deutschen längst auf die Seite der USA geschlagen.

    Droht kein Gegenschlag?

    Die Spirale aus Sanktionen und Gegensanktionen ist altbekannt. Wenn wir Telekommunikationsunternehmen in Europa ausschließen, dann ist zu erwarten, dass China ähnlich reagiert. 

    Wird das so bleiben?

    Ich denke schon. Sollte Chinas Führung überreagieren und auch die Lieferung von Maschinen, Autos und Pharma aus Europa verbieten, würde das ja die Versorgung des eigenen Volkes stark beschneiden. Ich gehe davon aus, dass Gegensanktionen dosiert erfolgen.

    Achim Wambach ist seit 2016 Präsident des ZEW, dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Der promovierte Physiker ist zudem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

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    Analyse

    Viel Rauch um nichts: Wie sinnlose Covid-Desinfektionen verpuffen

    Desinfektion der Straßen von Zhengzhou

    Egal ob Straßen, Wohnungen, Pakete und Briefe aus dem Ausland oder einfach Menschen. Chinas Behörden sind zu dem Schluss gekommen, dass so ziemlich alles, was eine Oberfläche hat, das Coronavirus übertragen kann. Deshalb wird gesprüht, was das Zeug hält. Soziale Netzwerke sind voll von Videos und Fotos, auf denen ganze Bataillone von Pandemie-Helfern in weißen Schutzanzügen durch die Straßen marschieren und mit ihren Sprühkanonen Fahrbahnen, Gehwege und jeden Laternenmast, der ihnen in den Weg kommt, einnebeln.

    Doch sorgten Chinas Desinfektionstruppen anfangs noch für Belustigung, hat sich die Stimmung jedoch inzwischen massiv gedreht. Denn immer häufiger ordnen Behörden an, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in Privatwohnungen zwangsweise zu desinfizieren. In Shanghai und anderen Teilen des Landes mehren sich Berichte von wütenden Wohnungsbesitzern, die in Quarantänezentren geschickt wurden. In ihrer Abwesenheit drangen Reinigungskräfte in ihre Häuser ein und hinterließen von Desinfektionsmitteln durchtränkte Möbel und Fußböden.

    Für Entrüstung sorgen auch Bilder von Menschen, die sich in einer Reihe aufstellen müssen und dann mit Desinfektionsmittel beschossen werden. Viele Feuerwehrleute gehen in Shanghai nicht mehr ihrer eigentlichen Aufgabe nach, sondern sind längst fester Bestandteil der Desinfektionstruppen, die von Wohnung zu Wohnung ziehen. An Bahnhöfen und Flughäfen sind Desinfektionsroboter im Einsatz. 

    Im Bahnhof von Huzhou kommt hingegen ein Desinfektionsroboter zum Einsatz

    Experten verweisen darauf, dass all diese Bemühungen vor allem eines sind: Eine große Verschwendung von Ressourcen. Gleich mehrere Studien belegen, dass die Chance einer Übertragung des Virus über kontaminierte Oberflächen außerordentlich gering ist. Dafür könnte das Desinfizieren eine Gefahr für Gesundheit und Umwelt darstellen. 

    Studien belegen geringes Infektionsrisiko über Oberflächen

    Das US-Gesundheitsministerium schätzt, dass es beim Kontakt einer mit Covid-19 kontaminierten Oberfläche nur in einem von 10.000 Fällen zu einer Infektion komme. Eine zweijährige Studie, die im April im Journal of Exposure Science and Environmental Epidemiology veröffentlicht wurde, schätzt die Wahrscheinlichkeit sogar auf lediglich 1 zu 100.000.

    Die meisten Beobachter sind sich vor dem Hintergrund solcher Zahlen einig, dass es den Behörden um andere Motive geht. Die Bilder sollen “das Vertrauen der Öffentlichkeit in staatliche Maßnahmen stärken”, sagte der Hongkonger Professor Nicholas Thomas gegenüber dem amerikanischen Fernsehsender CNN. Viele China-Beobachter sprechen im Zusammenhang mit der Sprüh-Kampagne nur noch von einem “Hygienetheater”, das nichts mehr mit sinnvollen Präventionsmaßnahmen zu tun hat. Dem Volk soll gezeigt werden, dass die Regierung nicht untätig ist. 

    Draußen auf dem Sportplatz kümmern sich aber wieder Menschen um die Desinfektion

    Einige Forscher halten die strikten Maßnahmen dennoch für folgerichtig. Das Desinfizieren von Oberflächen sei zwar für die Strategie der meisten Länder unerheblich, meint etwa Leo Poon, Forscher an der School of Public Health der Hongkong Universität. China, das eine Eliminierungsstrategie verfolge, bliebe jedoch kaum eine andere Wahl. 

    Das Übertragungsrisiko sei zwar extrem gering. Jedoch könne jede einzelne Infektion eine neue Welle auslösen. Chinas Chefepidemiologe Wu Zunyou sagte kürzlich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch kontaminierte Oberflächen zwar gering sei, aber mit wiederholter Exposition möglich bliebe.

    WHO: Groß angelegte Begasung nicht empfohlen

    Eindeutig positioniert sich dagegen die Weltgesundheitsorganisation. In Außenbereichen sei eine groß angelegte Begasung “nicht empfohlen”, heißt es in den offiziellen Richtlinien der WHO. Straßen und Bürgersteige seien keine Infektionswege für das Virus. Das Sprühen von Desinfektionsmitteln könne “schädlich für die Gesundheit” sein und  Augen-, Atemwegs- oder Hautreizungen verursachen.

    Sinnvoll seien Desinfektionsmaßnahmen dagegen an den richtigen Stellen: zu Hause, im Büro, in Schulen oder Fitnessstudios. Hier sei es angebracht, sogenannte High-Touch-Oberflächen regelmäßig zu desinfizieren. Als Beispiel nennt die WHO Tür- und Fenstergriffe, Arbeitsplatten in der Küche, Badezimmeroberflächen sowie Toiletten und Wasserhähne. Jörn Petring/Gregor Koppenburg

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    Befehl aus Europa: China-Standorte sollen CO2 einsparen

    Dekarbonisierung ist das Gebot der Stunde – und das gilt auch für europäische Unternehmen in China. Sie stehen unter dem Druck ihrer Hauptquartiere: Die meisten Großfirmen haben sich konzernweite Emissionsziele gesetzt, und die China-Standorte sollen diese nicht gefährden. Sie müssen daher in einem schwierigeren Umfeld als etwa in der EU ihren Ausstoß an schädlichen Gasen rasch senken. “Die Zeitleiste wird von den Hauptquartieren vorgegeben, nicht von China“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China (EUCCC). Das freue die Kader vor Ort, denn sie können die Erfolge der ausländischen Unternehmen den chinesischen Staatsunternehmen als Vorbild präsentieren.

    Immerhin 46 Prozent der für eine neue Studie der EUCCC und Roland Berger zum Thema befragten Unternehmen in China gaben an, bereits mit der Dekarbonisierung ihrer lokalen Aktivitäten begonnen zu haben. Fünf Prozent operieren nach eigenen Angaben in China sogar schon klimaneutral. Und 16 Prozent sind in der Planungsphase. BASF etwa baut derzeit einen Verbundstandort im südchinesischen Zhanjiang, der mit Ökostrom betrieben werden soll (China.Table berichtete). Auch das Volvo-Werk in Daqing läuft nach Firmenangaben mit erneuerbarer Energie.

    Viele Firmen nehmen Chinas Klimaziele der Studie zufolge als sehr ehrgeizig wahr. 60 Prozent halten sie für “aggressiv”, weitere 22 Prozent für “angemessen” – was auch immer sie selbst darunter verstehen. Drei Viertel der befragten Firmen trauen China laut der am Mittwoch in Peking vorgestellten Studie zu, seine sogenannten 30/60-Ziele zu erreichen. Diese hatte Staatschef Xi Jinping im September 2020 auf der UN-Generalversammlung verkündet: Emissionshöhepunkt bis 2030, Klimaneutralität ab 2060.

    China: Ehrgeizige Klimaziele, wenig Konkretes

    Die befragten Unternehmen vor Ort registrieren durchaus Aktivität der Behörden für den Klimaschutz. “Die chinesische Regierung hat damit begonnen, der Wirtschaft in Form ihres 1+N-Rahmenwerks umfassende Leitlinien zur Erreichung ihrer 30/60-Ziele bereitzustellen”, heißt es. Die 1 steht für die übergreifende Agenda, während die N-Pläne konkrete Maßgaben für einzelne Sektoren enthalten sollen. Doch derzeit sei dieser Rahmen noch “weitgehend theoretisch und enthält nicht viel an konkreten Zielen oder Koordinierungsmechanismen“, so die Studie. Schrittweise sollen in den nächsten Monaten mehr N-Pläne hinzukommen.

    Die Abhängigkeit der Industrie von billiger, meist klimaschädlicher Energieträger wie Kohle zu verringern und gleichzeitig die Energiesicherheit aufrechtzuerhalten, ist nach den Angaben der EU-Firmen die größte Herausforderung für China auf dem Pfad zum Klimaziel. Der Energiemix enthalte noch immer zu wenig erneuerbare Energien. Vor allem im Rostgürtel Nordostchinas verläuft der Ausbau der Erneuerbaren laut Wuttke schleppend. Das Angebot an erneuerbarem Strom sei zudem schlecht in ein unflexibles Netz integriert, schreibt die Studie. Landesweite Strommärkte sind erst im Aufbau; viele Firmen bekommen daher nicht so viel Ökostrom, wie sie gerne hätten (China.Table berichtete).

    Daraus ergäben sich ganz neue Dimensionen für nötige Entscheidungen, sagt Jörg Wuttke. “Wer in Nordostchina eine energieintensive Fabrik gebaut hat und nun die Erneuerbaren nicht bekommt, muss möglicherweise in einen anderen Teil Chinas umziehen.” Das geschieht offenbar bereits. “Chinesische Firmen beeilen sich, Zugang zu Erneuerbaren-Kapazitäten zu bekommen”, sagt Denis Depoux von Roland Berger, Mitautor der Studie. Manche schlossen Standorte im Nordosten und eröffneten neue im Südwesten, wo es viel Wasserkraft gebe – etwa in Guangxi oder Yunnan. “Allerdings ist es damit wohl bald vorbei, denn diese Regionen wollen keine Schwerindustrie-Cluster, sondern lieber neue Industrien anziehen”, so Depoux.

    CO2-Emissionen: Zulieferer fließen in die Rechnung ein

    Ein weiteres Problem entsteht, wenn die Lieferkette eines Unternehmens weiter auf billige Kohle-Energie setzt, wie es in China viele lokale Unternehmen tun. “Lieferanten mit einem großen CO2-Fußabdruck können meinen eigenen Fußabdruck beschädigen”, erklärt Wuttke. Fast zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben außerdem an, dass ihnen fehlende industriellen Richtlinien und Best Practice-Beispiele bei der Dekarbonisierung im Weg stehen könnten. Diese Dinge seien aber wichtig für die nötige Planungssicherheit, um die teuren Investitionen in neue Umwelttechnologie tätigen zu können.

    Für das nötige Wissen seien derzeit Nichtregierungsorganisationen entscheidend, sagt Wuttke und nennt vor allem das Institute of Public & Environmental Affairs des bekannten Wasserexperten und Umweltschützers Ma Jun, das seit vielen Jahre akribisch Daten über Wasser- und Luftverschmutzung durch Unternehmen im gesamten Land sammelt. “Provinz- und Kommunalverwaltungen haben dagegen derzeit nur ein begrenztes Verständnis dafür, wie hochrangige Ziele umgesetzt werden können, und es mangelt an branchenspezifischen Kenntnissen”, so die Studie. “Viele Lokalregierungen haben zum Beispiel keinen Überblick über die Emissionen des Aluminiumsektors”, sagt Wuttke. Es sei daher kein Wunder, dass der Sektor erst einmal nicht in Chinas Emissionshandel aufgenommen werden könne. Dafür bräuchte es eine klare Datenlage.

    Konsultation ist wichtig, das zeigt die Studie ebenfalls – mit der Regierung, der Planungskommission NDRC, den mächtigen Wirtschaftsverbänden. “Es gibt zudem wenig oder gar keinen Dialog auf Branchenebene zwischen Unternehmen, die in denselben Sektoren tätig sind”, stellt die Studie fest. Fast die Hälfte der Befragten gab an, nicht zu wissen, wie sich ihr eigenes Unternehmen bei der Dekarbonisierung im Vergleich zur lokalen Konkurrenz schlägt.

    EU-Kammer fordert offenere Märkte

    Doch die EUCCC wäre keine Handelskammer, wenn sie nicht für die eigenen Firmen werben und besseren Zugang zum Markt fordern würde. “Chinas Erfolg wird von seiner Fähigkeit abhängen, so viel Fachwissen wie möglich zu nutzen. Dazu müsste europäischen Unternehmen ein besserer Marktzugang und gleiche Wettbewerbsbedingungen geboten werden, damit sie größere Beiträge leisten können”, heißt es etwa. Der Mangel an offenen Märkten, gemeinsamen Standards und einem Bewusstsein für die Klimakrise behindere die Einführung kohlenstoffarmer Technologien.

    Chinas Klimagesandter Xie Zhenhua kündigte unterdessen am Dienstag auf dem World Economic Forum in Davos an, dass China die 30/60-Ziele noch schneller erreichen wolle. Bisher hätten 37 Sektoren und Industrien Pläne zur Emissionsreduzierung angekündigt oder umgesetzt, sagte Xie. “Es geht nicht mehr nur um Worte – es geht um Taten. Klimaschutzmaßnahmen sind jetzt entscheidend”, so Xie. Die EU-Firmen in China werden hoffen, dass die Behörden auf ihn hören. Christiane Kühl

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    VW-Chef: “Volkswagen verbessert Situation der Uiguren”

    Volkswagen will trotz der neuen Enthüllungen über Menschenrechtsverletzungen an der muslimischen Minderheit der Uiguren in China sein Werk in der Provinz Xinjiang weiter betreiben. “Ich glaube, dass die Präsenz der SAIC Volkswagen dazu führt, dass sich die Situation für die Menschen verbessert“, sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess der Zeitung “Handelsblatt” (Montagausgabe) mit Blick auf das dortige Gemeinschaftsunternehmen Saic Volkswagen. “Wir reisen dort hin, stellen wie überall auf der Welt sicher, dass unsere Arbeitsstandards durchgesetzt, kulturelle und religiöse Unterschiede respektiert werden.” Gäbe es Ansatzpunkte für Vergehen, würde dagegen vorgegangen, sagte Diess weiter.

    VW steht immer wieder in der Kritik, weil der Autohersteller zusammen mit dem chinesischen Staatskonzern Saic seit 2013 eine Fabrik in der Stadt Urumqi betreibt. Jüngst sollen dem Dax-Konzern dort vom Bund Investitionsgarantien verwehrt worden sein (China.Table berichtete). Das bedeutet, dass der Autobauer die finanziellen Risiken selbst tragen muss.

    Erst in der vergangenen Woche drangen neue Beweise für schwere Menschenrechtsverbrechen an den Uiguren an die Öffentlichkeit (China.Table berichtete). Zahlreiche Regierungen und Parlamente demokratischer Staaten sowie Menschenrechtsorganisationen werfen China vor, mindestens eine Million Muslime in Lagern in der westlichen Provinz Xinjiang gegen deren Willen festzuhalten. Die US-Regierung spricht wegen des systematisch gesteuerten Rückgangs der Geburtenzahlen unter Uiguren sowie Gewalt, Folterungen und Mord durch chinesische Behörden von einem Genozid. Die Regierung in Peking weist die Vorwürfe als Lügen kategorisch zurück.

    Der chinesische Markt ist für Volkswagen jedoch extrem wichtig. Die Wolfsburger sind dort Branchenprimus. Konzernchef Diess ist trotz der jüngsten Corona-Lockdowns und der Wirtschaftsabkühlung in China zuversichtlich, dass die Volksrepublik Wachstumsmotor bleiben wird: “Obwohl China schon heute der größte Automarkt der Welt ist, werden in Relation zur Bevölkerung immer noch vergleichsweise wenige Fahrzeuge verkauft”, erläuterte Diess. So komme China beim Bestand auf 250 bis 300 Autos pro 1000 Einwohner. In Deutschland liege der Bestand bei etwa 600, in den USA seien es ungefähr 800. “Allein diese Zahlen machen deutlich, dass China mit Abstand der größte Wachstumsmarkt bleiben wird”, sagte Diess. rtr

    • Autoindustrie

    Shanghai bereitet Ausstieg aus Lockdown am Mittwoch vor

    Zwei Monate nach Beginn des Lockdowns in Shanghai laufen die Vorbereitungen für ein Ende der strengen Corona-Auflagen. Ab Mittwoch, 00.00 Uhr (Ortszeit), würden bestimmte Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit aufgehoben, erklärte die Stadtverwaltung am Montag. So sollen die Menschen wieder ihre Wohngebiete verlassen können, wenn sie nicht in Hochrisiko-Vierteln leben. Anfang des Monats waren die Einschränkungen drastisch verschärft worden (China.Table berichtete).

    “Die epidemische Lage in unserer Stadt ist effektiv unter Kontrolle gebracht worden und die Situation verbessert sich weiter”, erklärte die Stadtverwaltung auf ihrem Kanal des Messengerdienstes WeChat. Die Bewohner sollten aber weiter dazu angehalten werden, Masken zu tragen, Menschenansammlungen zu meiden und sich impfen zu lassen. Bereits zuvor war Unternehmen erlaubt worden, ihren Betrieb wieder aufzunehmen.

    Shanghai: Lockerungen nur Theorie?

    Allerdings beschweren sich viele Einwohner:innen der Stadt darüber, dass versprochene Lockerungen lediglich in der Theorie existierten, von den Nachbarschaftskomitees einzelner Wohnblöcke aber effektiv verhindert würden. Mit entsprechender Skepsis sehen viele Betroffene der vermeintlichen Rückkehr in Richtung Normalität entgegen.

    Ab Mittwoch werde auch der öffentliche Nahverkehr weitgehend in den Regelbetrieb zurückkehren, teilte die Verwaltung derweil mit. Zudem dürften Privatfahrzeuge wieder ohne vorherige Genehmigung auf die Straßen. Zuletzt durfte man selbst im eigenen Auto ohne ausdrückliche Erlaubnis nicht fahren.

    Die Stadt habe einen Härtetest unter extremen Bedingungen bestanden, erklärte Shanghais KP-Sekretär Li Qiang. Nun werde man alles tun, um die wirtschaftliche Erholung voranzutreiben.

    Peking: Ein Corona-Fall, tausende in Quarantäne

    Unterdessen sind in Peking Tausende Menschen unter Corona-Quarantäne gestellt worden, weil sich ein Nachbar nicht an die Anordnung zur Selbstisolierung gehalten hatte und später positiv auf das Virus getestet wurde. Der 42 Jahre alte Mann hatte wiederholt die Anordnung der Behörden verletzt, nachdem er nach dem Besuch eines Einkaufszentrums als Kontaktperson eines positiven Falls eingestuft worden war.

    Mehrmals habe er seine Wohnung verlassen und sei in der Nachbarschaft spazieren gegangen, hieß es. Später wurden der Mann und seine Frau positiv getestet. Daraufhin mussten sich 5.000 Nachbarn des Wohnblocks zu Hause isolieren. 250, die mit ihm dasselbe Gebäude bewohnen, wurden in Quarantänezentren verfrachtet.

    China setzt auf eine strikte Null-Covid-Strategie. Mit strengen Abriegelungen, Massentests und langen Quarantänezeiten versuchen die Behörden, Ausbrüche sofort zu stoppen. Verstöße gegen die Vorschriften werden hart bestraft. Auch gegen den 42-Jährigen wird jetzt ermittelt. rtr/rad

    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Peking

    Hongkongs neuer Chef genießt volles Vertrauen der Zentrale

    Der künftige Hongkonger Regierungschef John Lee geht mit voller Rückendeckung der chinesischen Zentrale in seine erste Amtszeit. Drei Wochen nach seiner Wahl war der 64-Jährige am Samstag zum Antrittsbesuch nach Peking gereist. Dort hatte ihn am Montag Chinas Staatschef Xi Jinping empfangen und ihm sein volles Vertrauen ausgesprochen. Lee war der Wunschkandidat der Kommunistischen Partei für die Nachfolge der noch amtierenden Carrie Lam (China.Table berichtete). Am 1. Juli wird er die Regierungsgeschäfte seiner Vorgängerin übernehmen.

    “Ich bin überzeugt davon, dass die Spitze der neuen Regierung definitiv eine neue Atmosphäre schaffen und ein neues Kapitel in Hongkong aufschlagen wird”, sagte Xi. Lee besitze “den Schneid, Verantwortung zu übernehmen” und habe “zur Wahrung der nationalen Sicherheit und des Wohlstands und der Stabilität Hongkongs” beigetragen. “Die Zentralregierung bestätigt und vertraut Ihnen voll und ganz”, sagte Xi.

    Lee ist ehemaliger Polizist und Sicherheitsminister Hongkongs. Während der Protestbewegung vor knapp drei Jahren, an der sich Millionen Menschen wegen des Verlusts ihrer Bürgerrechte beteiligt hatten, aber auch in den Jahren danach spielte Lee eine zentrale Rolle bei der politischen Säuberung der Stadt im Sinne Pekings (China.Table berichtete). Oppositionelle Politiker, Publizisten oder Aktivisten sitzen entweder in Haft oder sind ins ausländische Exil geflohen.

    Kritiker sehen in Lees Wahl das endgültige Ende jeglicher Rechtsstaatlichkeit in Hongkong und den nominellen Beginn einer autoritären Herrschaft in der ehemaligen britischen Kronkolonie. grz

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    China sperrt Luftraum für russische Flugzeuge

    China hat seinen Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt, deren rechtlicher Status derzeit nicht geklärt ist. Flugzeugen von Boeing und Airbus werde demnach die Lande- und Überflugerlaubnis entzogen. Damit reagiert China auf die westlichen Sanktionen gegenüber russischen Fluggesellschaften.

    Die EU und die USA hatten nach der russischen Invasion in die Ukraine die Lieferung von Zivilflugzeugen und Ersatzteilen nach Russland sowie deren Wartung und Versicherung verboten. Ein Großteil der in Russland betriebenen Luftflotte wird von westlichen Leasingfirmen bereitgestellt. Moskau weigert sich, die Flugzeuge zurückzugeben und hat die Maschinen zur Umgehung der Sanktionen umregistriert.

    Seit diesem Monat fordert China von den russischen Airlines einen Registrierungsnachweis, der einwandfrei nachweist, dass die Flugzeuge nicht mehr im Ausland gelistet seien. Entsprechende Dokumente haben jedoch nicht vorgelegt werden können, berichtet die russische Nachrichtenagentur RBK.

    Seit Monaten steht China in der Kritik, keine eindeutige Position gegenüber dem russischen Angriffskrieg einzunehmen und die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mittragen zu wollen. Chinas normaler Handel mit Moskau dürfe “nicht beeinträchtigt werden”, hatte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums noch im vergangenen Monat erklärt. fpe

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    Airbnb zieht sich aus China zurück

    Airbnb will ab dem 30. Juli in China keine Unterkünfte oder “Experiences” mehr anbieten, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Das 2008 in San Francisco gegründete Unternehmen war seit 2015 in China aktiv. Seitdem bediente Airbnb dort um die 25 Millionen Kunden. Buchungen in der Volksrepublik machten zuletzt aber nur ein Prozent der weltweiten Buchungen aus. Als Grund gilt neben der Pandemie auch eine wachsende Zahl heimischer Konkurrenten, allen voran die Anbieter Tujia und Xiaozhu.

    Im Mai 2020 hatte AirBnb etwa 25 Prozent seiner Mitarbeiter entlassen müssen, da die weltweite Nachfrage nach Unterkünften drastisch gesunken war. 150.000 gelistete Wohnungsangebote werden nun von AirBnb in China gelöscht. Nutzer aus China sollen jedoch weiterhin über die Plattform Unterkünfte im Ausland buchen können. Der Outbound-Tourismus verspreche durch speziell auf chinesische Kunden zugeschnittene Angebote höhere Umsätze, erklärt das Unternehmen. Ein Büro in Peking soll das Geschäft weiter koordinieren. fpe

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    Standpunkt

    Staatliche Einflussnahme durch goldene Aktien

    von Angela Huyue Zhang
    Angela Zhang, Direktorin des Zentrums für chinesisches Recht an der Hongkong Universität
    Angela Zhang, Direktorin des Zentrums für chinesisches Recht an der Hongkong Universität

    Die Hoffnung wächst, dass Chinas bedrängte Technologie-Giganten endlich eine Atempause von den schweren rechtlichen und regulatorischen Maßnahmen erhalten, die den Wert ihrer Aktien inzwischen um über 1,5 Billionen Dollar verringert haben. Angesichts wachsender Herausforderungen für das Wirtschaftswachstum haben einige chinesische Regierungsvertreter eine mögliche Umstellung auf eine neue Strategie signalisiert: den Erwerb von einem Prozent der Aktien wichtiger Technologie-Unternehmen – die Regierung solle sogenannte “goldene Aktien” ankaufen und sich damit Einfluss sichern. Aber wird dieser Ansatz die Aussichten für Chinas Technologiebranche wirklich verbessern?

    Ein neuer Ansatz ist sicherlich nötig. Das Bemühen der Behörden während der letzten 18 Monate, die chinesischen Technologie-Unternehmen zu disziplinieren, war plump und sehr teuer – und umfasste eine Vielzahl undurchsichtiger und unberechenbarer Regeln. Die abrupte Aussetzung des Börsengangs der Ant Group Ende 2020, die gegen Alibaba und Meituan verhängten Kartellstrafen in Rekordhöhe und die überraschenden Ermittlungen zur Cyber-Sicherheit bei Didi Chuxing haben die Anleger verunsichert und die Aktienkurse abstürzen lassen.

    Die chinesische Regierung scheint nun zu hoffen, dass goldene Aktien ihr die Informationen und den Einfluss, den sie anstrebt, verschaffen werden – und zugleich die wirtschaftlichen Kosten einer ungeschickten Regulierung vermeiden. Eine Aktienbeteiligung von einem Prozent könnte den staatlichen Investor in die Lage versetzen, ein Vorstandsmitglied zu benennen. Das würde ihm einen Insider-Zugang zu wichtigen Unternehmensentscheidungen verschaffen, sowie die Befugnis, diese mit einem Veto zu belegen. Dies würde viel dazu beitragen, die Ängste der Regierung über eine “ungeordnete Ausweitung des Kapitals” zu zerstreuen.

    Mehr Kontrolle für die KP durch “goldenen Aktien”

    Zugleich scheint die chinesische Führung zu hoffen, dass eine derartige Regelung den Technologie-Unternehmen helfen würde, ihr Regulierungsrisiko zu steuern, da sie sie in die Lage versetzen würde, ihre Gleichrichtung mit der staatlichen Agenda und Politik sicherzustellen. Eventuelle Unstimmigkeiten würden dabei unternehmensintern beigelegt, was die Notwendigkeit für ein nachträgliches Eingreifen des Staates beseitigen würde und den Anlegern mehr Klarheit und Sicherheit böte.

    Dem Beförderungsgiganten Didi Chuxing hätte das womöglich geholfen. Als das Unternehmen entschied, seine Aktien an die New Yorker Börse (NYSE) zu bringen, empfahl Chinas mächtige Regulierungsbehörde für das Internet, die Cyberspace Administration of China (CAC), dem Unternehmen, zunächst eine Überprüfung zur Cyber-Sicherheit durchzuführen. Didi ignorierte die CAC-Empfehlung und erlöste bei seinem Börsengang im Juni 2021 4,4 Milliarden US-Dollar.

    Innerhalb weniger Tage kündigte die CAC an, dass sie Ermittlungen gegen Didi eingeleitet habe. Der Regulierungsdruck setzte sich in den folgenden Monaten fort, und Didi sah sich letztlich veranlasst, sich von der NYSE zurückzuziehen. Dies führte zum Absturz seines Aktienkurses und löste einen weltweiten Ausverkauf bei chinesischen Internetaktien aus. Mit einer goldenen Didi-Aktie hätte der betreffende Regierungsvertreter womöglich sein Veto gegen die ursprüngliche Entscheidung über eine NYSE-Notierung eingelegt und die anschließenden Turbulenzen allesamt vermieden.

    Die Einführung goldener Aktien scheint daher sowohl der Regierung als auch den Technologie-Unternehmen Vorteile zu bringen. Und es wurden bereits Schritte in diese Richtung ergriffen. Im April 2020 verkaufte Weibo eine einprozentige Beteiligung an ein Unternehmen, das dem 2017 von der CAC und dem Finanzministerium gegründeten China Internet Investment Fund (CIIF) gehört.

    Tech-Unternehmen profitieren von staatlichen Beteiligungen

    Seitdem hat der CIIF-Fonds in mehr als 40 chinesische Technologie-Unternehmen investiert, darunter ByteDance (den Eigentümer von Douyin und TikTok), die beliebte Video-App Kuaishou, das Podcast-Unternehmen Ximalaya, den KI-Start-up SenseTime und die Frachtversandplattform Full Truck Alliance. Während die meisten dieser Beteiligungen keine goldene Aktie vorzusehen scheinen, haben der CIIF oder seine verbundenen Unternehmen Vorstandssitze in mindestens zwei Unternehmen übernommen: ByteDance und Weibo.

    Doch um Unternehmen in die Lage zu versetzen, Regulierungsärger zu vermeiden, ist eine derartige Regelung kein Allheilmittel. Zunächst einmal ermächtigt die goldene Aktie den staatlichen Investor nur, sein Veto gegen Entscheidungen einzulegen, die auf Vorstandsebene behandelt werden; sie hätte wenig bis gar keine Auswirkungen auf das tagtägliche operative Geschäft des Unternehmens. Doch das sind die Aktivitäten, auf die die Regulierung tendenziell zielt. Ansätze in Bezug auf Fragen wie den Wettbewerb mit Konkurrenten, die Behandlung angestellter und freiberuflicher Mitarbeiter, die Verteilung der Wertschöpfung unter den Plattformbeteiligten und die Erfassung, Verarbeitung und Weitergabe von Nutzerdaten dürften vom Unternehmensvorstand kaum überprüft werden. Doch sie alle fallen in den Bereich der Regulierung.

    Darüber hinaus verteilen sich die Regulierungsbefugnisse in China auf eine Anzahl staatlicher Abteilungen und Behörden, die häufig in erbittertem Wettbewerb miteinander stehen. Das unmittelbare oder mittelbare Eigentum durch eine Abteilung bietet dem Unternehmen gegebenenfalls wenig Schutz vor Interventionen anderer Abteilungen – insbesondere wenn die Unternehmensbeteiligung von einer untergeordneten staatlichen Behörde gehalten wird.

    Kein Schutz vor Regulierung trotz Staatsbeteiligungen

    Es ist sogar möglich, dass eine Regulierungsstelle gegen ein Unternehmen vorgeht, an dem sie selbst eine Beteiligung hält. Dafür gibt es Präzedenzfälle. Obwohl eine von der CAC gestützte Stelle seit 2020 einen Vorstandssitz bei Weibo innehatte, verhängte die CAC zwischen Januar und November 2021 gegen die Plattform 44 Geldbußen im Gesamtumfang von etwas über zwei Millionen Dollar. Im Dezember bestellte die CAC Weibo-Führungskräfte zu sich, verhängte gegen diese ein weiteres Bußgeld und rügte sie wegen Versäumnissen bei der Moderation von Inhalten. Dies war anscheinend ein vorsätzlicher Versuch, ihnen einen Reputationsschaden zuzufügen. Am Tag der Verkündung dieser neuen Geldbuße fiel der Aktienkurs um fast zehn Prozent.

    In ähnlicher Weise ersparte eine indirekte Beteiligung der CAC an Full Truck Alliance dem Unternehmen nicht die überraschende Untersuchung zur Cyber-Sicherheit vom vergangenen Juli. Der Schritt der CAC hatte einen Absturz des Aktienkurses des Unternehmens zur Folge, und das nur zwei Wochen nach seinem Börsengang in New York.

    Goldene Aktien mögen den Interessen der chinesischen Regierung dienen. Aber wer glaubt, dass sie die Technologie-Unternehmen vor den Kosten einer fortgesetzten Regulierung schützen werden, dürfte enttäuscht werden. Und damit sind die Risiken des Staatseigentums wie Korruption und regulatorische Vereinnahmung, die Chinas Bürokratie seit langem heimsuchen, noch gar nicht einbezogen. Statt die Technologie-Unternehmen – Chinas goldene Gans – zu schützen, dürften goldene Aktien ihnen noch mehr von ihrem Glanz nehmen.

    Angela Huyue Zhang ist Juraprofessorin, Direktorin des Zentrums für chinesisches Recht der Universität Hongkong und die Verfasserin von Chinese Antitrust Exceptionalism: How the Rise of China Challenges Global Regulation (Oxford University Press, 2021). Übersetzung: Jan Doolan.

    Copyright: Project Syndicate, 2022.
    www.project-syndicate.org

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    Portrait

    Christoph Rehage – Zu Fuß durch China

    Christoph Rehage begann seine Wandertour vor 15 Jahren in Peking, China.
    Christoph Rehage begann seine Wandertour vor 15 Jahren in Peking

    Christoph Rehage ist Wanderer, Reiseblogger und Autor. Seit 15 Jahren läuft er zu Fuß durch Asien und Osteuropa. Und er schreibt seine Erlebnisse auf. Sein erstes Buch “The Longest Way” erzählt vom Mosaik eines vielschichtigen Chinas und dem Fluch, weiterlaufen zu wollen, was immer auch geschieht.

    Angefangen hat die Reise am 9. November 2007, seinem 26. Geburtstag. Rehage hatte zuvor zwei Jahre in Peking verbracht und dort studiert. Nach Deutschland wollte er zu Fuß zurückkehren. Es war der Beginn einer Reise zu sich selbst, die noch immer nicht zu Ende ist. Nur wenn es dringende persönliche Anlässe gibt, setzt er sich in den Flieger oder den Zug in Richtung Deutschland – familiäre Dinge, Arztbesuche, Lesetouren. Sind die erledigt, geht es dorthin zurück, wo der Trip unterbrochen wurde.

    China habe ihn von Beginn an fasziniert: “Die Esskultur war großartig, die Menschen unglaublich kreativ, gastfreundlich, hilfsbereit.” Und je länger er lief, desto mehr lernte er das Land und all seine Widersprüche kennen.

    “Sie wissen immer, wo ich bin”

    Überall wurde der Mann mit offenen Armen empfangen. Während sein Bart immer weiter wuchs, kam er bei Familien unter, schlief auf Feldern, in Tempeln oder im Hinterzimmer eines Restaurants. Beim Wandern bekam er die Chance, sich intensiv mit Mönchen, Polizeibeamten oder Sexarbeiterinnen auszutauschen, die seinen Weg kreuzten. Auf ausgetrampelten Touristenpfaden hätte er diese Menschen vielleicht auch getroffen, doch die Gelegenheit zum intensiven Austausch hätte sich wohl kaum ergeben.

    Rehage lernte die Weltoffenheit der Chinesen auf der einen, ihre Vorsicht im eigenen Land auf der anderen Seite hautnah kennen. “Ich hatte immer das Gefühl, in China liege etwas Tragisches, dass die Menschen dort einander weniger vertrauten als mir.”

    Mit der lokalen und sozialen Überwachung, mit der die Chinesen täglich leben müssen, kam Rehage selbst zum ersten Mal 2010 in Konflikt, als er sich mit der lokalen Polizei in Kuytun und Wusu stritt. “Mir wurde der Pass weggenommen, und ich musste ein paar Tage im Hotel bleiben. Damals habe ich verstanden: Sie wissen immer, wo ich bin.” Kontrolle und Autoritarismus sind aus seiner Sicht seit 2010 kontinuierlich schlimmer geworden. “Als ich das erste Mal 2005 in Peking ankam, haben die Leute noch offen gesprochen. Das ist völlig vorbei.”

    Als er 2012 durch seine Bücher in China zu einer öffentlichen Person wurde, spürte er das mehr denn je. “Ich hatte plötzlich Einblicke hinter die Kulissen, die man als Tourist nicht bekommt. Ich bekam das Gefühl, es gibt viele Mitläufer in China, die das System selbst nicht gut finden.” Er habe sich lange an die rote Linie der Zensur gehalten. Mit dem Machtantritt von Xi Jinping wurde diese aber immer restriktiver. “Ich konnte und wollte nicht länger schweigen. Deshalb fing ich an, zu reden.” Über Taiwan, Genozide, “alles, was sie nicht hören wollten.” Was Rehage aber auf dem Herzen lag.

    Der Kontakt nach China ist abgerissen

    Heute sind Rehages Kanäle aufgrund seiner politischen Meinungen in China gesperrt. Zu den meisten seiner Bekannten dort hat er keinen Kontakt mehr. “Ich will sie nicht in Gefahr bringen.” Drei seiner Freunde, von denen er im Buch erzählt, sind verstorben. Ein anderer war – wie er später erfuhr – zwei Jahre in einem Internierungslager in Xinjiang. “Ich trage China immer in meinem Herzen, aber hinter mir stürzen die Brücken ein.”

    So zwiespältig wie sein Verhältnis zu China ist auch das zum Laufen. Er würde gern irgendwo ankommen, sagt er, “aber bisher musste ich immer wieder los”. Nach China durchwanderte er Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Iran, Türkei und Georgien. Weder die Pandemie noch die Diagnose einer Multiplen Sklerose hinderten ihn lange daran, weiterzulaufen. Zurzeit ist Rehage in Serbien. Auf Instagram kann man seinen Trip mitverfolgen.

    Inzwischen aber freut er sich darauf, seine Reise bald zu beenden und in Deutschland anzukommen. Gleichzeitig habe er aber auch Angst davor. “Ich habe Angst, dass die Zufriedenheit nicht einsetzt, und ich wieder weiter muss.” Doch vielleicht lässt er sich am Ende auch in Georgien nieder. “Es war das erste Land, wo ich das Gefühl hatte, hier ist Freiheit.” Lisa Marie Jordan

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