wieder und wieder tauchen neue Berichte über die schreckliche Situation in den Lagern in Xinjiang auf. Am Dienstag veröffentlichte ein internationaler Medienverbund neues, brisantes Material. Dazu gehören Tausende Häftlingsfotos und authentische Aufnahmen aus den Gefängnissen, aber auch Details zum Schießbefehl und den Folterwerkzeugen. Das Leak belegt auch: Der Betrieb der Lager ist von Peking aus angeordnet und nicht etwa eine Idee örtlicher Kader.
Es folgte ein Aufschrei besorgter Bundespolitiker: Außenministerin Annalena Baerbock forderte von China eine Aufklärung der “schwersten Menschenrechtsverletzungen”. “Samtpfötigkeit” aufgrund unserer wirtschaftlichen Interessen dürfe es nicht geben, sagte Finanzminister Christian Lindner. Er mahnt dazu, die KP mehr auf die Menschenrechtslage anzusprechen.
Doch reicht das? Während die Merkel-Regierungen sich rühmten, die Probleme hinter den Kulissen ernsthaft “anzusprechen”, wurden die Lager überhaupt erst errichtet. In Xinjiang wird heute nach allem, was wir wissen, eine komplette Bevölkerungsgruppe total überwacht, große Teile werden zur Umerziehung in Lager gesteckt. Die Uiguren dürfen keine Uiguren mehr sein, so die fixe Idee der Verantwortlichen in Peking. Die mahnenden Worte westlicher Politiker haben sie nicht von ihrer Umsetzung abgehalten.
Neben der Diplomatie gibt es andere Anstrengungen, um Menschenrechte durchzusetzen. Doch auch die geplanten Lieferketten-Gesetze werden kaum wirken. Chinesische Solar-Unternehmen verlagern ihre Produktion zunehmend in Regionen außerhalb Xinjiangs. Die Exporte und internationalen Lieferketten wären also scheinbar sauber. Für den Heimatmarkt greifen die Solar-Hersteller Experten zufolge jedoch weiterhin auf Vorprodukte aus Xinjiang zurück, die Berichten zufolge von uigurischen Zwangsarbeitern hergestellt werden.
Die große Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China sei vor dem Hintergrund der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang “besonders bedrückend”, sagt Christian Lindner. Mindestens genauso bedrückend: wie spät die deutsche Politik ihr Umdenken gegenüber China einleitet. Eine frühe Verringerung der Abhängigkeit hätte vielleicht kurzfristig manchen Milliardengewinn eines Dax-Konzerns gedämpft. Dafür hätte sich aber langfristig ein Teil der Abhängigkeit gar nicht herausgebildet, die jetzt unternehmerisch und geopolitisch zur Belastung wird.
Zum Besuch der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet hatten sich die chinesischen Gastgeber ein besonders spitzfindiges Geschenk ausgedacht. Außenminister Wang Yi überreichte der Chilenin eine englischsprachige Fassung von Staatschef Xi Jinpings “Respekt und Schutz der Menschenrechte” – eine Sammlung von Reden und Essays des Parteichefs. Die medial in Szene gesetzte Übergabe, die das Außenamt plakativ über soziale Medien in der Welt verbreitete, bekam nur wenige Stunden später eine hochgradig zynische Fußnote.
Kaum hatte Bachelet die Gelegenheit, in dem Werk zu blättern, da veröffentlichte ein Konsortium von 14 internationalen Medien aus elf Ländern, darunter das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und der Bayerische Rundfunk, das Resultat einer wochenlangen Recherche namens Xinjiang Police Files. Tausende Fotos, vertrauliche Dokumente und umfangreiche Datensätze liefern darin neue Beweise für das brutale Vorgehen chinesischer Behörden gegen muslimische Uiguren in der autonomen Region Xinjiang.
Die Dateien werfen ein Licht auf die Kriminalisierung und Folterungen von Uiguren in Internierungslagern. Sie entlarven die chinesische Darstellung der Camps als Ausbildungszentren, die freiwillig besucht würden, als falsch. Fotos zeigen Gefangene, die in Handschellen und Fußfesseln durch die Gänge eines Lagers laufen. Zudem offenbaren als vertraulich klassifizierte Reden von hochrangigen Politikern aus dem Staatsrat und der Provinz die unmittelbare Verstrickung des engsten chinesischen Führungszirkels in den Aufbau eines Systems der Umerziehung, das mit Waffengewalt und dauerhaften Verletzungen von Menschenrechten durchgesetzt wird.
Die Dokumente, die von Polizeiservern in Xinjiang stammen und dort gehackt wurden, waren zunächst dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz zugespielt worden. Zenz offenbarte bereits in der Vergangenheit mit “innovativer Pionierarbeit” das Ausmaß der vermeintlichen Anti-Terror-Kampagne. Die beteiligten Medien prüften in der Folge in Kleinarbeit die Echtheit der Dokumente.
“Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass die Dokumente authentisch sind. Dass es sich angesichts des Umfangs um einen sogenannten Deep Fake handelt, ist sehr unwahrscheinlich”, sagt der Sinologe Björn Alpermann von der Universität Würzburg, der seinerseits zu den Vorgängen in Xinjiang forscht. Alpermann hält die Dateien für einen wichtigen Baustein, um die Vorgänge in Xinjiang beurteilen zu können. Sie bestärken zahlreiche Augenzeugenberichte von ehemaligen Inhaftierten.
Besondere Relevanz erhalten die Abschriften von Reden des Ministers für Staatssicherheit, Zhao Kezhi, aus dem Jahr 2018, und dem früheren Parteisekretär in Xinjiang, Chen Quanguo, von 2017. Daraus ergibt sich nachweislich die unmittelbare Kenntnis und Verstrickung der Parteispitze um Xi Jinping in den signifikanten Ausbau von Hafteinrichtungen auf eine große Kapazität. Mehrere Millionen Menschen könnten in den Lagern Platz finden.
Es zeigt zudem auf, dass Rechtsstaatlichkeit bei der Inhaftierung keine Rolle spielt. Zhao sagte beispielsweise, dass für Manche fünf Jahre Haft nicht ausreichen würden für die Umerziehung. “Sobald sie wieder rausgelassen werden, tauchen die Probleme wieder auf. Das ist die Realität in Xinjiang.” Chen seinerseits forderte die Wachen in den Lagern dazu auf, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, wenn jemand versuche zu fliehen.
Entsprechend umfangreich fallen die Strafen gegen Uiguren aus, wie die Police Files belegen. Für Verdachtsmomente, die nicht einmal eine Straftat bedeuten, wie das Lesen religiöser Schriften, das Tragen eines Bartes oder das Predigen muslimischer Glaubenssätze, wurden Urteile von weit über zehn Jahren ausgesprochen. Rechtlich verurteilte Uiguren oder Mitglieder anderer muslimischer Minderheiten sind jedoch in regulären Haftanstalten untergebracht, nicht in den Internierungslagern.
Weil die Haftgründe vornehmlich auf dem Misstrauen und der Willkür chinesischer Sicherheitskräfte beruhen (China.Table berichtete), war der Bedarf an Lagerplätzen und Gefängniszellen teilweise deutlich größer als der Bestand. Auch diesen Aspekt brachte Minister Zhao in seiner Rede zur Sprache. Es sei Xi Jinpings “wichtigen Anweisungen” zu verdanken, dass mit entsprechender Finanzierung neue Einrichtungen gebaut oder bestehende ausgebaut werden könnten. “Die Dokumente belegen einen direkten Bezug zum Ständigen Ausschuss des Politbüros und zum Parteichef. Unter diesen Umständen ist ein Abstreiten von chinesischer Seite nicht glaubwürdig”, sagt Sinologe Alpermann.
Außenminister Wang hatte bei seinem Treffen mit UN-Kommissarin Bachelet noch die Hoffnung geäußert, der Besuch der Menschenrechtsbeauftragten könnte helfen, vermeintliche “Falschinformationen” über Xinjiang als solche zu entlarven. Er warf “ausländischen Kräften” eine “Schmierkampagne” gegen seine Regierung vor. Die Veröffentlichung der Xinjiang Police Files dürfte deshalb nicht ganz zufällig pünktlich zum Besuch Bachelets in China geschehen sein. Sie vermindert die Wirkungskraft chinesischer Propaganda, die versuchen wird, die Reise der UN-Kommissarin als Beleg für die vermeintlichen Falschinformationen zu instrumentalisieren.
Dass China stattdessen seine Strategie des Abstreitens wird justieren müssen, lassen erste Reaktionen auf die neuen Beweise erahnen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verlangte Aufklärung von China, ebenso Finanzminister Christian Lindner (FDP), der zudem über Twitter forderte: “Samtpfötigkeit aufgrund unserer wirtschaftlichen Interessen darf es nicht geben.”
Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer brachte ebenso wie die frühere menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Margarete Bause, weitere Sanktionen gegen die Volksrepublik ins Spiel. “Es braucht jetzt weitere EU-Sanktionen gegen die Verantwortlichen dieser Verbrechen und einen grundlegenden Kurswechsel in der deutschen Chinapolitik”, so Bause. Michael Brand, menschenrechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, findet deutliche Worte: “Das Regime in China hat endgültig sein Gesicht verloren. Wenn wir nur zuschauen, werden wir mitschuldig an der langsamen Auslöschung eines Volkes. Es braucht klare Signale, und das sind Sanktionen”.
Auch die Trägerin des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises, Sayragul Sauytbay, wendete sich mit Sanktionsforderungen an die internationale Gemeinschaft. “Neben Augenzeugenberichten ist dieses Material eine zweite wichtige Beweisquelle. Sie reichen aus, um die Verbrechen der KPCh gegen die Menschlichkeit zu beweisen. Wenn die internationale Gemeinschaft diesen Völkermord wirklich stoppen will, ist dies der Auslöser für ihr wirksames Handeln”, sagte sie zu China.Table. Sie sei überzeugt, dass die Xinjiang Police Files die politischen Entscheidungen beeinflussen werden.
Seit Dezember liegen zwei Einschätzungen der Expertenkommission der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) mit großer Tragweite auf dem Tisch. Ihre Kraft entfalten können sie jedoch erst bei der anstehenden IAO-Jahreskonferenz ab 27. Mai in Genf. Die 110. Session der UN-Organisation wird Einzelheiten zur Sprache bringen, die der Volksrepublik China ein dramatisch schlechtes Zeugnis ausstellen.
In ihrem Bericht greifen die Experten zahlreiche Vorwürfe des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) auf. Demnach verletze die Volksrepublik die internationalen Konventionen durch ein “weit verbreitetes und systematisches” Zwangsarbeitsprogramm, von dem in erster Linie Uiguren und andere muslimische Minderheiten betroffen seien.
Der IGB geht davon aus, dass vor allem die Insassen der Internierungslager in Xinjiang unter Zwang arbeiten müssen. Seiner Schätzung nach sind dort bis zu 1,8 Millionen Menschen untergebracht. Indikator für die große Zahl sind die wachsenden Ausmaße der Lager. Der IGB hat 39 davon ausgemacht, deren Flächen sich seit 2017 verdreifacht haben. Ausführlich griff die Kommission in dem Bericht die gesammelten Anschuldigungen auf und formulierte daraus ihre Empfehlungen an die chinesische Regierung.
“Die Länge der Stellungnahmen zu China lassen darauf schließen, dass die Kommission diesen Einschätzungen starke Aufmerksamkeit verleihen will. Sie sind länger als normalerweise üblich”, sagt Tim DeMeyer, Senior Advisor der IAO in Genf.
Einen Vorgeschmack darauf, wie die IAO mit den Vorwürfen gegen China umgehen will, wird die Session geben. Dann treffen Vertreter aller Mitgliedsstaaten und die Geschäftsführung zusammen, um rund zwei Wochen lang über die Entwicklung in einzelnen Staaten zu diskutieren und die Verbesserung globaler Standards für Arbeiter:innen und deren Beschäftigungsverhältnisse zu erarbeiten und bestenfalls zu beschließen.
DeMeyer erkennt in der Stellungnahme der Kommission eine “klare Handlungsanweisung” an die Konferenz, um China zu Gegenmaßnahmen zu bewegen. Doch der Belgier, der früher unter anderem das IAO-Büro in Peking leitete, sagt auch: “Tatsache bleibt, dass wir es trotz der Autorität des IAO-Aufsichtssystems immer mit einem souveränen Staat zu tun haben, der niemals zum Handeln gezwungen werden kann.” Verfügbares Werkzeug bleibt einzig die Diplomatie.
Sprache statt Strafe. Die entscheidende Frage in Genf wird also sein, ob sich die Parteien von ihren unterschiedlichen Positionen aus annähern können. Der Sinologe Björn Alpermann von der Universität Würzburg ist skeptisch. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass Chinas Vertreter nur einen Hauch von der offiziellen Position des Landes abweichen werden. Insofern ist die Konferenz in dieser Hinsicht eher ein zahnloser Tiger.”
Maßgeblichen Anteil an den kritischen Einschätzungen des IGB und der IAO-Expertenkommission hat die Arbeit von Adrian Zenz, dessen akribischen Recherchen das Ausmaß und die Systematik der Zwangsarbeit durch Uiguren in den vergangenen Jahren offenbart hat. Zenz erfuhr von chinesischer Seite Drohungen und Diffamierungen, auch weil er von den USA finanziert würde.
Sinologe Alpermann dagegen spricht von “innovativer Pionierarbeit”. Auch wenn er selbst “auf der Sachebene Kritik an einzelnen Details” übt, “ziehe ich den Hut davor.” Alpermann hält den Vorwurf der US-Finanzierung von Zenz für wenig stichhaltig. “Wenn es darum geht, welcher Wissenschaftler von wem bezahlt wird, dann dürfte ich keiner einzigen chinesischen akademischen Quelle mehr trauen können”, sagt er.
Bislang verteidigt Peking seine Haltung, dass die Vorwürfe einer systematischen Zwangsarbeit frei erfunden seien. Dennoch hatte die IAO-Kommission Ende vergangenen Jahres auf die Anschuldigungen hingewiesen. Im Rahmen ihrer Kompetenzen bat die Kommission die chinesische Regierung, diverse Schritte einzuleiten, um Missstände zu verbessern. Dabei müssen die Experten quasi über Umwege das Problem anvisieren. Denn zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts hatte Peking die Konventionen 29 und 105, die sich explizit gegen Zwangsarbeit richten, noch nicht ratifiziert. Das geschah erst vor wenigen Wochen und ist damit für den IAO-Bericht nicht relevant.
Die erhobenen Vorwürfe werden stattdessen unter der von China im Januar 2006 ratifizierten Konvention 111 diskutiert. Diese richtet sich gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, beispielsweise wenn Arbeitnehmer:innen daran gehindert werden, ihren Arbeitsplatz auszuwählen. Die Kommission fordert China deshalb auf, seine Gesetzgebung gegen Diskriminierung zu präzisieren. “Wenn jemand unter Zwang arbeitet, hat er folglich nicht die Möglichkeit, seinen Arbeitsplatz frei zu wählen”, sagt Senior Advisor DeMeyer. So sei die Hoffnung, Verbesserungen beim Thema Zwangsarbeit über besseren Schutz vor Diskriminierung zu erreichen.
Doch so oder so mahlen die Mühlen der IAO langsam, zumal China mit seinem Sitz in der Geschäftsführung eine rasche Einigung auf einen Aktionsplan verschleppen kann. Mindestens dürften vier oder fünf Jahre ins Land ziehen. Aber unabhängig davon, wann es zu einem Entschluss kommt, wäre der nächste Schritt die Einrichtung eine unabhängige Untersuchungskommission, die den Vorwürfen gründlich nachgehen muss. “Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Unterzeichnung der Zwangsarbeit-Konventionen durch die chinesische Regierung ein Zeichen dafür ist, dass das Land zuversichtlich ist, den Vorwurf der Zwangsarbeit ausräumen zu können”, sagt DeMeyer.
Sollte eine Untersuchungskommission jedoch zu dem Schluss kommen, dass die Vorwürfe stimmen, würde China die Zwangsarbeit rechtlich bindend verhindern müssen. Doch selbst für den Fall, dass dies nicht geschähe, wäre die Möglichkeiten zu Sanktionen durch die IAO begrenzt. Das zeigt das Beispiel Myanmar, das bislang als einziges Land der Geschichte bestraft worden ist. Die Sanktionen begrenzten sich darauf, Myanmar innerhalb der IAO weitgehend zu isolieren und die Mitgliedsstaaten aufzufordern, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Myanmar dahingehend zu überprüfen, ob sie in irgendeiner Form zum Einsatz von Zwangsarbeit beigetragen hatten.
Der Aktivist und ehemalige Hongkonger Rechtsprofessor Benny Tai wurde am Dienstag wegen illegaler Wahlausgaben zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Dem 57-jährigen wird vorgeworfen, im Jahr 2016 mit einem Betrag von 253.000 Hongkong-Dollar (32.200 US-Dollar) mehrere Zeitungsanzeigen in Auftrag gegeben zu haben, die pro-demokratische Wahlkandidaten unterstützten.
Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass die Anzeigen gegen Hongkonger Wahlgesetze verstießen, und die Wahl unangemessen beeinflusst hätten, da Tai selbst kein Kandidat war. Tai erklärte sich schuldig, wodurch die Strafe von 18 auf zehn Monate verkürzt wurde. Bereits im April hatte Tais Anwalt erklärt, dass es sich um eine transparente Wahlstrategie gehandelt habe.
Laut einem neuen Bericht des Hong Kong Democracy Council wurden seit 2019 rund 10.200 Menschen in der Sonderverwaltungszone wegen politischer Verbrechen festgenommen, und fast 3.000 strafrechtlich verfolgt. Mitte Mai befanden sich 1.014 politische Gefangene in Hongkonger Gefängnissen, darunter Demonstranten, Journalisten, Lehrer, Anwälte und Gewerkschaftsführer. Nur noch in Belarus, Burma und Kuba wachse die Zahl politischer Gefangener derart schnell, so der Bericht. fpe
Hongkongs neuer Sicherheitsminister Chris Tang hat die Festnahme des 90 Jahre alten römisch-katholischen Kardinals Joseph Zen Mitte Mai verteidigt. Der Tageszeitung “South China Morning Post” sagte Tang, man habe den Geistlichen aufgrund seiner Taten festgenommen und damit auch nach den Werten der Katholischen Kirche gehandelt. Der Vatikan sei ein Ort der Gerechtigkeit und des Friedens. Nicht im Einklang mit dem Gesetz zu handeln, würde “gegen das Gerechtigkeitsprinzip des Vatikans verstoßen”.
Kardinal Zen wird vorgeworfen, gegen das Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben, indem er sich mit ausländischen Kräften gegen die nationalen Interessen der Stadt verschworen habe. Hintergrund für den Vorwurf ist Zens Rolle als Treuhänder des “612 Humanitarian Relief Fund”, der Geld gesammelt hatte, um angeklagten Mitgliedern der oppositionellen Hongkonger Protestbewegung rechtlichen Beistand zu finanzieren (China.Table berichtete). Der Fond hatte mehr als 30 Millionen US-Dollar eingesammelt und dabei auch aus dem Ausland Geld angenommen. Im Herbst vergangenen Jahres löste sich der Fond aus Angst vor Strafverfolgung jedoch auf.
Kritiker sehen die Festnahme jedoch als einen Schlag gegen die Religionsfreiheit in Hongkong an. Sie sind überzeugt, dass mit dem wachsendem autoritären Einfluss Pekings auf die Sonderverwaltungszone die Kontrolle über unabhängige Glaubensgemeinschaften zunehmen werde. Der emeritierte Bischof und Kardinal Zen ist zudem ein großer Kritiker der Kommunistischen Partei Chinas, die er in der Vergangenheit immer wieder der Lüge bezichtigt hatte. Auch den Vatikan kritisierte Zen für dessen Vereinbarung mit Peking, die Bischöfe in der Volksrepublik von der Partei bestimmen zu lassen. Sicherheitschef Tang tat die Kritik als “Schmierenkampagne” gegen Hongkong ab.
Kardinal Zen befindet sich zurzeit dank einer Kaution auf freiem Fuß. Die Ermittlungen gegen ihn und vier weitere Treuhänder:innen des 612-Fonds gehen jedoch weiter. grz
Tesla will Tausende Arbeiter in stillgelegten Fabriken und einem alten Militärlager in der Nähe der Tesla-Fabrik in Shanghai isolieren. Die Arbeiter werden von der Außenwelt abgeschnitten, um Infektionen mit dem Coronavirus zu verhindern. Die Maßnahme dient dazu, eine zweite Arbeitsschicht in der Fabrik zu etablieren. Aus Platzmangel werden sich die Arbeiter in den behelfsmäßigen Schlafsälen jedoch die Betten teilen müssen, wie Bloomberg berichtet. Während die Tagschicht arbeitet, soll die Nachtschicht schlafen. Nachts soll dann die Tagschicht in den gleichen Betten übernachten, wie Bloomberg aus informierten Kreisen erfahren hat.
Zuvor gab es Berichte, dass Tesla leerstehende staatliche Isolationszentren nutzen wolle, um die Arbeiter unterzubringen. Die stillgelegten Fabriken und das militärische Trainingslager seien aber praktikabler, so eine der Quellen gegenüber Bloomberg.
In China arbeiten derzeit zahlreiche Unternehmen in sogenannten Closed Loop-Systemen. Trotz der Bemühungen, Ansteckungen zu verhindern, kam es innerhalb der isolierten Arbeiterschaft in wiederholten Fällen zu Ansteckungen. Teilweise wurden die infizierten Arbeiter dabei nicht voneinander isoliert. Zudem gab es Berichte, dass Tesla 12-Stunden-Schichten an sechs Tagen die Woche verordnet hatte. Auch in China widersprechen solche Bedingungen dem Arbeitsrecht. Laut Experten der Arbeitsrechtsorganisation China Labour Bulletin haben die Behörden das Arbeitsrecht für die Closed Loop Systeme jedoch ausgesetzt (China.Table berichtete). nib
Es ist gut 27 Jahre her, dass Gedhun Choekyi Nyima zum jüngsten politischen Gefangenen der Welt wurde. Es war der 17. Mai 1995, als chinesische Sicherheitskräfte den damals Sechsjährigen verschleppten. Bis heute gibt es kein überzeugendes Lebenszeichen von Nyima. Auch seine Eltern sind seit diesem Tag verschwunden.
Die von der Kommunistischen Partei offiziell verbreitete Version behauptet, dass der junge Mann ein normales Leben in China führe und nicht an die Öffentlichkeit möchte. Angeblich ließ er kürzlich ausrichten, dass die Welt seinen Wunsch nach Privatsphäre respektieren möge.
Aber warum in aller Welt sollte ein Staat in einem Sechsjährigen eine Gefahr für sein politisches System sehen und ihn deshalb entführen? Die Antwort liegt in der tief verankerten Sorge Pekings, der Buddhismus könnte unter den rund fünf Millionen Tibetern in der Volksrepublik stärker sein als deren Treue zur Partei.
Nyima ist eine Schlüsselfigur für den tibetischen Buddhismus. Vor 27 Jahren und drei Tagen wurde sein Schicksal besiegelt. Damals erkannte der Dalai Lama in dem Kind die Wiedergeburt des 11. Panchen Lama. Als solcher ist Nyima die spirituelle Nummer zwei im Glauben der Tibeter. In dieser Rolle hat er entscheidende Aufgaben für tibetischen Buddhismus zu erfüllen. Er ist verantwortlich dafür, die Reinkarnation des nächsten Dalai Lamas zu suchen. Auch dessen Ausbildung und Erziehung obliegen dem Panchen Lama.
Doch nur drei Tage nach seiner Ernennung verschwand das Kind samt seiner Eltern. Die KP brach ihre eigenen Gesetze, um den inzwischen 33-jährigen Mann von der Öffentlichkeit abzuschirmen. Die Suche nach ihm fällt umso schwieriger, als dass es nur ein einziges Foto von Nyima gibt, das ihn zeigt, als er sechs Jahre alt war. Die International Campaign for Tibet (ICT) hatte 2016 auf Basis dieses Fotos von einem Experten ein Phantombild des Mannes anfertigen lassen. Es zeigt den Panchen Lama so, wie er heute aussehen könnte.
Weil die Entführung im Ausland nicht vergessen wird und Menschenrechtsgruppen Jahr für Jahr an das Schicksal Nyimas erinnern, muss das chinesische Außenamt immer wieder Stellung beziehen. “Der sogenannte spirituelle Junge ist ein ganz normaler chinesischer Staatsbürger, der ein normales Leben führt”, sagte dessen Sprecher Ende April auf Nachfragen zu Nyimas Verbleib.
Das US-Außenministerium hatte dessen 33. Geburtstag zum Anlass genommen, eine abermalige Stellungnahme abzugeben. “Wir fordern die Behörden der Volksrepublik China auf, unverzüglich über den Aufenthaltsort und das Wohlergehen von Gedhun Choekyi Nyima Rechenschaft abzulegen und ihm zu gestatten, seine Menschenrechte und Grundfreiheiten im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Volksrepublik China uneingeschränkt auszuüben”, hieß es darin. Peking sprach dagegen von einer “Schmierenkampagne” gegen China.
Das Regime präsentierte vor Jahren sogar einen eigenen Panchen Lama, der in Übereinstimmung mit der Ideologie der Partei versucht, die Tibeter auf seine Seite zu ziehen. Pekings Hoffnung ist es, die Buddhisten so unter Kontrolle zu bekommen, wie es weitgehend mit den Katholiken gelungen ist. Die Partei bietet einen Kompromiss, indem sie den Menschen den Glauben nicht verbietet, solange die sie unter dem Dach des Kommunismus praktizieren. Doch die allermeisten Tibeter erkennen darin einen faulen Kompromiss, weil die KP ihrer Ansicht nach nur eine Hülse bietet, das Sinnstiftende ihres Glaubens jedoch entkernt sehen. Marcel Grzanna
wieder und wieder tauchen neue Berichte über die schreckliche Situation in den Lagern in Xinjiang auf. Am Dienstag veröffentlichte ein internationaler Medienverbund neues, brisantes Material. Dazu gehören Tausende Häftlingsfotos und authentische Aufnahmen aus den Gefängnissen, aber auch Details zum Schießbefehl und den Folterwerkzeugen. Das Leak belegt auch: Der Betrieb der Lager ist von Peking aus angeordnet und nicht etwa eine Idee örtlicher Kader.
Es folgte ein Aufschrei besorgter Bundespolitiker: Außenministerin Annalena Baerbock forderte von China eine Aufklärung der “schwersten Menschenrechtsverletzungen”. “Samtpfötigkeit” aufgrund unserer wirtschaftlichen Interessen dürfe es nicht geben, sagte Finanzminister Christian Lindner. Er mahnt dazu, die KP mehr auf die Menschenrechtslage anzusprechen.
Doch reicht das? Während die Merkel-Regierungen sich rühmten, die Probleme hinter den Kulissen ernsthaft “anzusprechen”, wurden die Lager überhaupt erst errichtet. In Xinjiang wird heute nach allem, was wir wissen, eine komplette Bevölkerungsgruppe total überwacht, große Teile werden zur Umerziehung in Lager gesteckt. Die Uiguren dürfen keine Uiguren mehr sein, so die fixe Idee der Verantwortlichen in Peking. Die mahnenden Worte westlicher Politiker haben sie nicht von ihrer Umsetzung abgehalten.
Neben der Diplomatie gibt es andere Anstrengungen, um Menschenrechte durchzusetzen. Doch auch die geplanten Lieferketten-Gesetze werden kaum wirken. Chinesische Solar-Unternehmen verlagern ihre Produktion zunehmend in Regionen außerhalb Xinjiangs. Die Exporte und internationalen Lieferketten wären also scheinbar sauber. Für den Heimatmarkt greifen die Solar-Hersteller Experten zufolge jedoch weiterhin auf Vorprodukte aus Xinjiang zurück, die Berichten zufolge von uigurischen Zwangsarbeitern hergestellt werden.
Die große Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China sei vor dem Hintergrund der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang “besonders bedrückend”, sagt Christian Lindner. Mindestens genauso bedrückend: wie spät die deutsche Politik ihr Umdenken gegenüber China einleitet. Eine frühe Verringerung der Abhängigkeit hätte vielleicht kurzfristig manchen Milliardengewinn eines Dax-Konzerns gedämpft. Dafür hätte sich aber langfristig ein Teil der Abhängigkeit gar nicht herausgebildet, die jetzt unternehmerisch und geopolitisch zur Belastung wird.
Zum Besuch der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet hatten sich die chinesischen Gastgeber ein besonders spitzfindiges Geschenk ausgedacht. Außenminister Wang Yi überreichte der Chilenin eine englischsprachige Fassung von Staatschef Xi Jinpings “Respekt und Schutz der Menschenrechte” – eine Sammlung von Reden und Essays des Parteichefs. Die medial in Szene gesetzte Übergabe, die das Außenamt plakativ über soziale Medien in der Welt verbreitete, bekam nur wenige Stunden später eine hochgradig zynische Fußnote.
Kaum hatte Bachelet die Gelegenheit, in dem Werk zu blättern, da veröffentlichte ein Konsortium von 14 internationalen Medien aus elf Ländern, darunter das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und der Bayerische Rundfunk, das Resultat einer wochenlangen Recherche namens Xinjiang Police Files. Tausende Fotos, vertrauliche Dokumente und umfangreiche Datensätze liefern darin neue Beweise für das brutale Vorgehen chinesischer Behörden gegen muslimische Uiguren in der autonomen Region Xinjiang.
Die Dateien werfen ein Licht auf die Kriminalisierung und Folterungen von Uiguren in Internierungslagern. Sie entlarven die chinesische Darstellung der Camps als Ausbildungszentren, die freiwillig besucht würden, als falsch. Fotos zeigen Gefangene, die in Handschellen und Fußfesseln durch die Gänge eines Lagers laufen. Zudem offenbaren als vertraulich klassifizierte Reden von hochrangigen Politikern aus dem Staatsrat und der Provinz die unmittelbare Verstrickung des engsten chinesischen Führungszirkels in den Aufbau eines Systems der Umerziehung, das mit Waffengewalt und dauerhaften Verletzungen von Menschenrechten durchgesetzt wird.
Die Dokumente, die von Polizeiservern in Xinjiang stammen und dort gehackt wurden, waren zunächst dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz zugespielt worden. Zenz offenbarte bereits in der Vergangenheit mit “innovativer Pionierarbeit” das Ausmaß der vermeintlichen Anti-Terror-Kampagne. Die beteiligten Medien prüften in der Folge in Kleinarbeit die Echtheit der Dokumente.
“Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass die Dokumente authentisch sind. Dass es sich angesichts des Umfangs um einen sogenannten Deep Fake handelt, ist sehr unwahrscheinlich”, sagt der Sinologe Björn Alpermann von der Universität Würzburg, der seinerseits zu den Vorgängen in Xinjiang forscht. Alpermann hält die Dateien für einen wichtigen Baustein, um die Vorgänge in Xinjiang beurteilen zu können. Sie bestärken zahlreiche Augenzeugenberichte von ehemaligen Inhaftierten.
Besondere Relevanz erhalten die Abschriften von Reden des Ministers für Staatssicherheit, Zhao Kezhi, aus dem Jahr 2018, und dem früheren Parteisekretär in Xinjiang, Chen Quanguo, von 2017. Daraus ergibt sich nachweislich die unmittelbare Kenntnis und Verstrickung der Parteispitze um Xi Jinping in den signifikanten Ausbau von Hafteinrichtungen auf eine große Kapazität. Mehrere Millionen Menschen könnten in den Lagern Platz finden.
Es zeigt zudem auf, dass Rechtsstaatlichkeit bei der Inhaftierung keine Rolle spielt. Zhao sagte beispielsweise, dass für Manche fünf Jahre Haft nicht ausreichen würden für die Umerziehung. “Sobald sie wieder rausgelassen werden, tauchen die Probleme wieder auf. Das ist die Realität in Xinjiang.” Chen seinerseits forderte die Wachen in den Lagern dazu auf, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, wenn jemand versuche zu fliehen.
Entsprechend umfangreich fallen die Strafen gegen Uiguren aus, wie die Police Files belegen. Für Verdachtsmomente, die nicht einmal eine Straftat bedeuten, wie das Lesen religiöser Schriften, das Tragen eines Bartes oder das Predigen muslimischer Glaubenssätze, wurden Urteile von weit über zehn Jahren ausgesprochen. Rechtlich verurteilte Uiguren oder Mitglieder anderer muslimischer Minderheiten sind jedoch in regulären Haftanstalten untergebracht, nicht in den Internierungslagern.
Weil die Haftgründe vornehmlich auf dem Misstrauen und der Willkür chinesischer Sicherheitskräfte beruhen (China.Table berichtete), war der Bedarf an Lagerplätzen und Gefängniszellen teilweise deutlich größer als der Bestand. Auch diesen Aspekt brachte Minister Zhao in seiner Rede zur Sprache. Es sei Xi Jinpings “wichtigen Anweisungen” zu verdanken, dass mit entsprechender Finanzierung neue Einrichtungen gebaut oder bestehende ausgebaut werden könnten. “Die Dokumente belegen einen direkten Bezug zum Ständigen Ausschuss des Politbüros und zum Parteichef. Unter diesen Umständen ist ein Abstreiten von chinesischer Seite nicht glaubwürdig”, sagt Sinologe Alpermann.
Außenminister Wang hatte bei seinem Treffen mit UN-Kommissarin Bachelet noch die Hoffnung geäußert, der Besuch der Menschenrechtsbeauftragten könnte helfen, vermeintliche “Falschinformationen” über Xinjiang als solche zu entlarven. Er warf “ausländischen Kräften” eine “Schmierkampagne” gegen seine Regierung vor. Die Veröffentlichung der Xinjiang Police Files dürfte deshalb nicht ganz zufällig pünktlich zum Besuch Bachelets in China geschehen sein. Sie vermindert die Wirkungskraft chinesischer Propaganda, die versuchen wird, die Reise der UN-Kommissarin als Beleg für die vermeintlichen Falschinformationen zu instrumentalisieren.
Dass China stattdessen seine Strategie des Abstreitens wird justieren müssen, lassen erste Reaktionen auf die neuen Beweise erahnen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verlangte Aufklärung von China, ebenso Finanzminister Christian Lindner (FDP), der zudem über Twitter forderte: “Samtpfötigkeit aufgrund unserer wirtschaftlichen Interessen darf es nicht geben.”
Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer brachte ebenso wie die frühere menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Margarete Bause, weitere Sanktionen gegen die Volksrepublik ins Spiel. “Es braucht jetzt weitere EU-Sanktionen gegen die Verantwortlichen dieser Verbrechen und einen grundlegenden Kurswechsel in der deutschen Chinapolitik”, so Bause. Michael Brand, menschenrechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, findet deutliche Worte: “Das Regime in China hat endgültig sein Gesicht verloren. Wenn wir nur zuschauen, werden wir mitschuldig an der langsamen Auslöschung eines Volkes. Es braucht klare Signale, und das sind Sanktionen”.
Auch die Trägerin des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises, Sayragul Sauytbay, wendete sich mit Sanktionsforderungen an die internationale Gemeinschaft. “Neben Augenzeugenberichten ist dieses Material eine zweite wichtige Beweisquelle. Sie reichen aus, um die Verbrechen der KPCh gegen die Menschlichkeit zu beweisen. Wenn die internationale Gemeinschaft diesen Völkermord wirklich stoppen will, ist dies der Auslöser für ihr wirksames Handeln”, sagte sie zu China.Table. Sie sei überzeugt, dass die Xinjiang Police Files die politischen Entscheidungen beeinflussen werden.
Seit Dezember liegen zwei Einschätzungen der Expertenkommission der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) mit großer Tragweite auf dem Tisch. Ihre Kraft entfalten können sie jedoch erst bei der anstehenden IAO-Jahreskonferenz ab 27. Mai in Genf. Die 110. Session der UN-Organisation wird Einzelheiten zur Sprache bringen, die der Volksrepublik China ein dramatisch schlechtes Zeugnis ausstellen.
In ihrem Bericht greifen die Experten zahlreiche Vorwürfe des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) auf. Demnach verletze die Volksrepublik die internationalen Konventionen durch ein “weit verbreitetes und systematisches” Zwangsarbeitsprogramm, von dem in erster Linie Uiguren und andere muslimische Minderheiten betroffen seien.
Der IGB geht davon aus, dass vor allem die Insassen der Internierungslager in Xinjiang unter Zwang arbeiten müssen. Seiner Schätzung nach sind dort bis zu 1,8 Millionen Menschen untergebracht. Indikator für die große Zahl sind die wachsenden Ausmaße der Lager. Der IGB hat 39 davon ausgemacht, deren Flächen sich seit 2017 verdreifacht haben. Ausführlich griff die Kommission in dem Bericht die gesammelten Anschuldigungen auf und formulierte daraus ihre Empfehlungen an die chinesische Regierung.
“Die Länge der Stellungnahmen zu China lassen darauf schließen, dass die Kommission diesen Einschätzungen starke Aufmerksamkeit verleihen will. Sie sind länger als normalerweise üblich”, sagt Tim DeMeyer, Senior Advisor der IAO in Genf.
Einen Vorgeschmack darauf, wie die IAO mit den Vorwürfen gegen China umgehen will, wird die Session geben. Dann treffen Vertreter aller Mitgliedsstaaten und die Geschäftsführung zusammen, um rund zwei Wochen lang über die Entwicklung in einzelnen Staaten zu diskutieren und die Verbesserung globaler Standards für Arbeiter:innen und deren Beschäftigungsverhältnisse zu erarbeiten und bestenfalls zu beschließen.
DeMeyer erkennt in der Stellungnahme der Kommission eine “klare Handlungsanweisung” an die Konferenz, um China zu Gegenmaßnahmen zu bewegen. Doch der Belgier, der früher unter anderem das IAO-Büro in Peking leitete, sagt auch: “Tatsache bleibt, dass wir es trotz der Autorität des IAO-Aufsichtssystems immer mit einem souveränen Staat zu tun haben, der niemals zum Handeln gezwungen werden kann.” Verfügbares Werkzeug bleibt einzig die Diplomatie.
Sprache statt Strafe. Die entscheidende Frage in Genf wird also sein, ob sich die Parteien von ihren unterschiedlichen Positionen aus annähern können. Der Sinologe Björn Alpermann von der Universität Würzburg ist skeptisch. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass Chinas Vertreter nur einen Hauch von der offiziellen Position des Landes abweichen werden. Insofern ist die Konferenz in dieser Hinsicht eher ein zahnloser Tiger.”
Maßgeblichen Anteil an den kritischen Einschätzungen des IGB und der IAO-Expertenkommission hat die Arbeit von Adrian Zenz, dessen akribischen Recherchen das Ausmaß und die Systematik der Zwangsarbeit durch Uiguren in den vergangenen Jahren offenbart hat. Zenz erfuhr von chinesischer Seite Drohungen und Diffamierungen, auch weil er von den USA finanziert würde.
Sinologe Alpermann dagegen spricht von “innovativer Pionierarbeit”. Auch wenn er selbst “auf der Sachebene Kritik an einzelnen Details” übt, “ziehe ich den Hut davor.” Alpermann hält den Vorwurf der US-Finanzierung von Zenz für wenig stichhaltig. “Wenn es darum geht, welcher Wissenschaftler von wem bezahlt wird, dann dürfte ich keiner einzigen chinesischen akademischen Quelle mehr trauen können”, sagt er.
Bislang verteidigt Peking seine Haltung, dass die Vorwürfe einer systematischen Zwangsarbeit frei erfunden seien. Dennoch hatte die IAO-Kommission Ende vergangenen Jahres auf die Anschuldigungen hingewiesen. Im Rahmen ihrer Kompetenzen bat die Kommission die chinesische Regierung, diverse Schritte einzuleiten, um Missstände zu verbessern. Dabei müssen die Experten quasi über Umwege das Problem anvisieren. Denn zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts hatte Peking die Konventionen 29 und 105, die sich explizit gegen Zwangsarbeit richten, noch nicht ratifiziert. Das geschah erst vor wenigen Wochen und ist damit für den IAO-Bericht nicht relevant.
Die erhobenen Vorwürfe werden stattdessen unter der von China im Januar 2006 ratifizierten Konvention 111 diskutiert. Diese richtet sich gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, beispielsweise wenn Arbeitnehmer:innen daran gehindert werden, ihren Arbeitsplatz auszuwählen. Die Kommission fordert China deshalb auf, seine Gesetzgebung gegen Diskriminierung zu präzisieren. “Wenn jemand unter Zwang arbeitet, hat er folglich nicht die Möglichkeit, seinen Arbeitsplatz frei zu wählen”, sagt Senior Advisor DeMeyer. So sei die Hoffnung, Verbesserungen beim Thema Zwangsarbeit über besseren Schutz vor Diskriminierung zu erreichen.
Doch so oder so mahlen die Mühlen der IAO langsam, zumal China mit seinem Sitz in der Geschäftsführung eine rasche Einigung auf einen Aktionsplan verschleppen kann. Mindestens dürften vier oder fünf Jahre ins Land ziehen. Aber unabhängig davon, wann es zu einem Entschluss kommt, wäre der nächste Schritt die Einrichtung eine unabhängige Untersuchungskommission, die den Vorwürfen gründlich nachgehen muss. “Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Unterzeichnung der Zwangsarbeit-Konventionen durch die chinesische Regierung ein Zeichen dafür ist, dass das Land zuversichtlich ist, den Vorwurf der Zwangsarbeit ausräumen zu können”, sagt DeMeyer.
Sollte eine Untersuchungskommission jedoch zu dem Schluss kommen, dass die Vorwürfe stimmen, würde China die Zwangsarbeit rechtlich bindend verhindern müssen. Doch selbst für den Fall, dass dies nicht geschähe, wäre die Möglichkeiten zu Sanktionen durch die IAO begrenzt. Das zeigt das Beispiel Myanmar, das bislang als einziges Land der Geschichte bestraft worden ist. Die Sanktionen begrenzten sich darauf, Myanmar innerhalb der IAO weitgehend zu isolieren und die Mitgliedsstaaten aufzufordern, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Myanmar dahingehend zu überprüfen, ob sie in irgendeiner Form zum Einsatz von Zwangsarbeit beigetragen hatten.
Der Aktivist und ehemalige Hongkonger Rechtsprofessor Benny Tai wurde am Dienstag wegen illegaler Wahlausgaben zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Dem 57-jährigen wird vorgeworfen, im Jahr 2016 mit einem Betrag von 253.000 Hongkong-Dollar (32.200 US-Dollar) mehrere Zeitungsanzeigen in Auftrag gegeben zu haben, die pro-demokratische Wahlkandidaten unterstützten.
Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass die Anzeigen gegen Hongkonger Wahlgesetze verstießen, und die Wahl unangemessen beeinflusst hätten, da Tai selbst kein Kandidat war. Tai erklärte sich schuldig, wodurch die Strafe von 18 auf zehn Monate verkürzt wurde. Bereits im April hatte Tais Anwalt erklärt, dass es sich um eine transparente Wahlstrategie gehandelt habe.
Laut einem neuen Bericht des Hong Kong Democracy Council wurden seit 2019 rund 10.200 Menschen in der Sonderverwaltungszone wegen politischer Verbrechen festgenommen, und fast 3.000 strafrechtlich verfolgt. Mitte Mai befanden sich 1.014 politische Gefangene in Hongkonger Gefängnissen, darunter Demonstranten, Journalisten, Lehrer, Anwälte und Gewerkschaftsführer. Nur noch in Belarus, Burma und Kuba wachse die Zahl politischer Gefangener derart schnell, so der Bericht. fpe
Hongkongs neuer Sicherheitsminister Chris Tang hat die Festnahme des 90 Jahre alten römisch-katholischen Kardinals Joseph Zen Mitte Mai verteidigt. Der Tageszeitung “South China Morning Post” sagte Tang, man habe den Geistlichen aufgrund seiner Taten festgenommen und damit auch nach den Werten der Katholischen Kirche gehandelt. Der Vatikan sei ein Ort der Gerechtigkeit und des Friedens. Nicht im Einklang mit dem Gesetz zu handeln, würde “gegen das Gerechtigkeitsprinzip des Vatikans verstoßen”.
Kardinal Zen wird vorgeworfen, gegen das Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben, indem er sich mit ausländischen Kräften gegen die nationalen Interessen der Stadt verschworen habe. Hintergrund für den Vorwurf ist Zens Rolle als Treuhänder des “612 Humanitarian Relief Fund”, der Geld gesammelt hatte, um angeklagten Mitgliedern der oppositionellen Hongkonger Protestbewegung rechtlichen Beistand zu finanzieren (China.Table berichtete). Der Fond hatte mehr als 30 Millionen US-Dollar eingesammelt und dabei auch aus dem Ausland Geld angenommen. Im Herbst vergangenen Jahres löste sich der Fond aus Angst vor Strafverfolgung jedoch auf.
Kritiker sehen die Festnahme jedoch als einen Schlag gegen die Religionsfreiheit in Hongkong an. Sie sind überzeugt, dass mit dem wachsendem autoritären Einfluss Pekings auf die Sonderverwaltungszone die Kontrolle über unabhängige Glaubensgemeinschaften zunehmen werde. Der emeritierte Bischof und Kardinal Zen ist zudem ein großer Kritiker der Kommunistischen Partei Chinas, die er in der Vergangenheit immer wieder der Lüge bezichtigt hatte. Auch den Vatikan kritisierte Zen für dessen Vereinbarung mit Peking, die Bischöfe in der Volksrepublik von der Partei bestimmen zu lassen. Sicherheitschef Tang tat die Kritik als “Schmierenkampagne” gegen Hongkong ab.
Kardinal Zen befindet sich zurzeit dank einer Kaution auf freiem Fuß. Die Ermittlungen gegen ihn und vier weitere Treuhänder:innen des 612-Fonds gehen jedoch weiter. grz
Tesla will Tausende Arbeiter in stillgelegten Fabriken und einem alten Militärlager in der Nähe der Tesla-Fabrik in Shanghai isolieren. Die Arbeiter werden von der Außenwelt abgeschnitten, um Infektionen mit dem Coronavirus zu verhindern. Die Maßnahme dient dazu, eine zweite Arbeitsschicht in der Fabrik zu etablieren. Aus Platzmangel werden sich die Arbeiter in den behelfsmäßigen Schlafsälen jedoch die Betten teilen müssen, wie Bloomberg berichtet. Während die Tagschicht arbeitet, soll die Nachtschicht schlafen. Nachts soll dann die Tagschicht in den gleichen Betten übernachten, wie Bloomberg aus informierten Kreisen erfahren hat.
Zuvor gab es Berichte, dass Tesla leerstehende staatliche Isolationszentren nutzen wolle, um die Arbeiter unterzubringen. Die stillgelegten Fabriken und das militärische Trainingslager seien aber praktikabler, so eine der Quellen gegenüber Bloomberg.
In China arbeiten derzeit zahlreiche Unternehmen in sogenannten Closed Loop-Systemen. Trotz der Bemühungen, Ansteckungen zu verhindern, kam es innerhalb der isolierten Arbeiterschaft in wiederholten Fällen zu Ansteckungen. Teilweise wurden die infizierten Arbeiter dabei nicht voneinander isoliert. Zudem gab es Berichte, dass Tesla 12-Stunden-Schichten an sechs Tagen die Woche verordnet hatte. Auch in China widersprechen solche Bedingungen dem Arbeitsrecht. Laut Experten der Arbeitsrechtsorganisation China Labour Bulletin haben die Behörden das Arbeitsrecht für die Closed Loop Systeme jedoch ausgesetzt (China.Table berichtete). nib
Es ist gut 27 Jahre her, dass Gedhun Choekyi Nyima zum jüngsten politischen Gefangenen der Welt wurde. Es war der 17. Mai 1995, als chinesische Sicherheitskräfte den damals Sechsjährigen verschleppten. Bis heute gibt es kein überzeugendes Lebenszeichen von Nyima. Auch seine Eltern sind seit diesem Tag verschwunden.
Die von der Kommunistischen Partei offiziell verbreitete Version behauptet, dass der junge Mann ein normales Leben in China führe und nicht an die Öffentlichkeit möchte. Angeblich ließ er kürzlich ausrichten, dass die Welt seinen Wunsch nach Privatsphäre respektieren möge.
Aber warum in aller Welt sollte ein Staat in einem Sechsjährigen eine Gefahr für sein politisches System sehen und ihn deshalb entführen? Die Antwort liegt in der tief verankerten Sorge Pekings, der Buddhismus könnte unter den rund fünf Millionen Tibetern in der Volksrepublik stärker sein als deren Treue zur Partei.
Nyima ist eine Schlüsselfigur für den tibetischen Buddhismus. Vor 27 Jahren und drei Tagen wurde sein Schicksal besiegelt. Damals erkannte der Dalai Lama in dem Kind die Wiedergeburt des 11. Panchen Lama. Als solcher ist Nyima die spirituelle Nummer zwei im Glauben der Tibeter. In dieser Rolle hat er entscheidende Aufgaben für tibetischen Buddhismus zu erfüllen. Er ist verantwortlich dafür, die Reinkarnation des nächsten Dalai Lamas zu suchen. Auch dessen Ausbildung und Erziehung obliegen dem Panchen Lama.
Doch nur drei Tage nach seiner Ernennung verschwand das Kind samt seiner Eltern. Die KP brach ihre eigenen Gesetze, um den inzwischen 33-jährigen Mann von der Öffentlichkeit abzuschirmen. Die Suche nach ihm fällt umso schwieriger, als dass es nur ein einziges Foto von Nyima gibt, das ihn zeigt, als er sechs Jahre alt war. Die International Campaign for Tibet (ICT) hatte 2016 auf Basis dieses Fotos von einem Experten ein Phantombild des Mannes anfertigen lassen. Es zeigt den Panchen Lama so, wie er heute aussehen könnte.
Weil die Entführung im Ausland nicht vergessen wird und Menschenrechtsgruppen Jahr für Jahr an das Schicksal Nyimas erinnern, muss das chinesische Außenamt immer wieder Stellung beziehen. “Der sogenannte spirituelle Junge ist ein ganz normaler chinesischer Staatsbürger, der ein normales Leben führt”, sagte dessen Sprecher Ende April auf Nachfragen zu Nyimas Verbleib.
Das US-Außenministerium hatte dessen 33. Geburtstag zum Anlass genommen, eine abermalige Stellungnahme abzugeben. “Wir fordern die Behörden der Volksrepublik China auf, unverzüglich über den Aufenthaltsort und das Wohlergehen von Gedhun Choekyi Nyima Rechenschaft abzulegen und ihm zu gestatten, seine Menschenrechte und Grundfreiheiten im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Volksrepublik China uneingeschränkt auszuüben”, hieß es darin. Peking sprach dagegen von einer “Schmierenkampagne” gegen China.
Das Regime präsentierte vor Jahren sogar einen eigenen Panchen Lama, der in Übereinstimmung mit der Ideologie der Partei versucht, die Tibeter auf seine Seite zu ziehen. Pekings Hoffnung ist es, die Buddhisten so unter Kontrolle zu bekommen, wie es weitgehend mit den Katholiken gelungen ist. Die Partei bietet einen Kompromiss, indem sie den Menschen den Glauben nicht verbietet, solange die sie unter dem Dach des Kommunismus praktizieren. Doch die allermeisten Tibeter erkennen darin einen faulen Kompromiss, weil die KP ihrer Ansicht nach nur eine Hülse bietet, das Sinnstiftende ihres Glaubens jedoch entkernt sehen. Marcel Grzanna