Table.Briefing: China

VW-Software Cariad + Ulrich Reichert von Wirtgen

  • Volkswagen digitalisiert im China-Tempo
  • Interview: Ulrich Reichert von Wirtgen zur Bauwirtschaft
  • Tesla baut zweites Werk in Shanghai
  • Tesla muss erneut Autos zurückrufen
  • Grünes Licht für selbstfahrende Taxis
  • Chip-Mangel lähmt Herstellung von E-Bikes
  • Standpunkt: Rechts-Tipps zum Lockdown
  • Personalien: Matthias Lüttich wird neuer Produktionschef bei BMW Brilliance in Shenyang
Liebe Leserin, lieber Leser,

“Willst Du Wohlstand, dann baue zuerst die Straßen aus!” (要想富先修路). So lautet tatsächlich ein chinesisches Sprichwort. Die Wirtschaftsplaner des Landes haben sich diesen Spruch zu Herzen genommen. Im vergangenen Jahrzehnt haben sie im Schnitt rund zehntausend Kilometer Autobahnen im Jahr bauen lassen. Das ganze Riesenreich wird durchzogen von modernen Autobahnen.

Doch derzeit stockt die Nachfrage im Straßenbau – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der das Wachstum von vielen Seiten bedroht ist, wundert sich Ulrich Reichert im Interview mit Frank Sieren. Reichert arbeitet für die Wirtgen-Gruppe, einen großen Hersteller von Baumaschinen. “Omikron ist im Moment der größte Bremser”, sagt Reichert. Sein Pekinger Werk ist seit März geschlossen. Seinen Kunden, also den Baufirmen, geht bereits das Geld aus.

Normalerweise würde jetzt die Regierung mit Aufträgen einspringen – doch bislang ist nichts Konkretes passiert, sie ist erstaunlich untätig. Reichert hofft, dass die Führung bei der Konjunkturförderung doch noch den Hebel umlegt. Manchmal passiert das in China über Nacht.

So schnell ist VW mit der Entwicklung seiner Software nicht. Dabei ist die Zeit knapp. Denn Chinas Technik-affine Kunden haben inzwischen hohe Ansprüche und verlangen Hightech im Auto, und das vor allem bei den elektrischen Fahrzeugen. Die deutschen Autobauer hinken den chinesischen Konkurrenten technologisch um Jahre hinterher, analysiert Christian Domke Seidel. Er erklärt, wie Volkswagen mithilfe seiner Software-Tochter Cariad Abhilfe auf dem größten Einzelmarkt des Konzerns schaffen will.

Viel Spaß beim Lesen!

Ihr
Felix Lee
Bild von Felix  Lee

Analyse

Cariad China entscheidet über die Zukunft von VW

Cariad soll sich um die Entwicklung VWs in China kümmern.
CEO Chang Qing von Cariad China

Anfang April sagten die Organisatoren die Auto-Messe in Peking ab. Die Pandemie und die Zero-Covid-Politik stehen dem Branchen-Treffen im Wege. Die Hersteller ließen es sich dennoch nicht nehmen, ihre Ideen von den Autos der Zukunft zu präsentieren. Audi zeigte das Urban Sphere Concept (China.Table berichtete), BMW den i7 und Mercedes den EQS. Alle drei erhielten Ohrfeigen von den Kritikern. Zwar sei erfreulich, dass die Deutschen aufgehört hätten, klassische Verbrenner einfach nur auf Elektroantrieb umzubauen. Von modernen Elektroautos würden sie dennoch nichts verstehen, urteilten die Fachmagazine. Die Modelle seien zu konservativ, die Technik hinke im Vergleich zu chinesischen Fahrzeugen um Jahre hinterher. Große Bildschirme verwechseln die Deutschen mit Intelligenz, wird Autoanalyst Lin Xiao in Shentu Car deutlich.

Deutsche wirken chancenlos auf dem Elektroautomarkt

Die Verkaufszahlen bestätigen die harsche Einschätzung (China.Table berichtete). Im März 2022 verkaufte allein Nio rund 10.000 rein elektrische Fahrzeuge in der Premiumklasse (über 300.000 Yuan, rund 43.000 Euro) laut dem China Automotive Technology and Research Center (CATARC). Das sind mehr als doppelt so viele wie Audi (120 Stück), BMW (3.100) und Mercedes (1.200) zusammen.

Längst ist dem Volkswagen-Konzern das Problem bewusst (China.Table berichtete). Die Software-Tochter Cariad soll nun die Erlösung bringen. Als Basis dienen 30 Milliarden Euro, die bis zum Jahr 2026 investiert werden sollen. Cariad hat unter anderem Diconium übernommen, eine Softwarefirma aus Stuttgart, sowie Hella Aglaia, einen Spezialisten für Kamerasoftware. Etwa 5.000 Mitarbeiter arbeiten derzeit bei der VW-Tochter – davon 600 seit Ende April 2022 in der Niederlassung in China. Bis Ende 2023 sollen es 1.200 Angestellte sein. Immerhin 90 Prozent von ihnen sollen aus der Volksrepublik direkt kommen. China ist der größte Einzelmarkt für Volkswagen und weltweit führend in Sachen Digitalisierung im Mobilitätssektor.

VW leidet unter Verzögerungen bei Cariad

Das große Ziel ist es, im Jahr 2026 ein Technikpaket zu haben, dass autonomes Fahren auf Level vier erlaubt. Dabei übernimmt das System dauerhaft die Kontrolle über das Fahrzeug. Lediglich in einzelnen Situationen soll der Fahrer kurzfristig das Steuer übernehmen. In China beherrscht der Nio ET7 dieses Level bereits. Doch der Zeitplan von Volkswagen dafür scheint schon jetzt zu wackeln. Der Marktstart diverser Projekte, die auf der neuen Software basieren, wurde nach hinten verschoben. Jan Becker, Chef des Software-Unternehmens Apex.AI, erklärt im Handelsblatt, dass kein deutscher Hersteller ein fertiges Betriebssystem habe. Ohne dieses könnten aber weder Tests durchgeführt, noch zusätzliche Anwendungen programmiert werden.

Cariad soll aus VW einen “softwareorientierten Mobilitätskonzern” machen, wie es Vorstandschef Herbert Diess nennt. Zwei Wege führen dorthin. Entweder entwickelt und programmiert VW alles selbst – oder aber die Lösungen kommen von Zulieferern und Partnerschaften. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile.

Digitalisierung: Zukaufen oder selber machen

Ned Curic, Chief Technology Officer bei Stellantis, vertritt die Meinung, Autofirmen sollten Autos bauen und keine Software programmieren. Denn auch bei intelligenten Elektroautos sei das Fahrerlebnis wichtig. Diesen Vorsprung dürften die Hersteller nicht verspielen. Und lange Zeit sah es so aus, als beschreite auch Volkswagen diesen Weg.

Doch die Zwischenbilanz bei Software-Kooperationen sieht für VW nicht gut aus. Eine Partnerschaft mit Daimler ist ausgelaufen. Bei der gemeinsamen Entwicklung mit Bosch kriselt es. Und Beteiligungen an Waymo von Google oder ein Einstieg von Continental scheiterten. Aktuell verhandelt Volkswagen mit Huawei (China.Table berichtete) über die Übernahme einer Abteilung, die sich mit autonomem Fahren beschäftigt. Kostenpunkt: bis zu zehn Milliarden Euro. Ohne die Garantie, dass die dort angestellten Entwickler den Sprung zu Volkswagen überhaupt mitmachen.

Entwicklung in China-Geschwindigkeit

Derweil muss Cariad also alleine an der Digitalisierung arbeiten. Das ist zwar teuer und langsam, doch hat auch Vorteile. Einerseits wäre VW unabhängiger von Handelskriegen oder politischen Entscheidungen. Entwickelt und baut Volkswagen ausschließlich in China, bedrohen Embargos und Zölle nicht gleich das gesamte Geschäftsmodell. Andererseits muss Volkswagen auch kein Stück vom Kuchen abgeben.

In China steht Cariad deswegen unter Druck. Ergebnisse müssen her. Der größte Elektroautomarkt der Welt mit den digitalsten Kunden gilt als wichtiger Maßstab. Chang Qing, der CEO von Cariad China, weiß um die Bedeutung und hat eine Kampfansage parat: “Wir werden unsere Produkte basierend auf den lokalen Kundenerwartungen mit China-Geschwindigkeit entwickeln, aktualisieren und kontinuierlich verbessern.” Zu hoffen bleibt, dass Wolfsburg bei der China-Geschwindigkeit mitkommt.

  • Autoindustrie

“Ich hoffe, dass die Regierung einen Einbruch in großem Ausmaß nicht zulässt”

Ulrich Reichert, China-CEO der Wirtgen Group im Interview.
Ulrich Reichert, China-CEO der Wirtgen Group

Der Kölner Ulrich Reichert, 66, verbrachte seit Ende der 80er Jahre sein Arbeitsleben mit dem Aufbau des Chinageschäftes von Wirtgen. Die Wirtgen Group ist einer der wichtigsten Hersteller von Straßenbaumaschinen. Sie macht rund drei Milliarden Euro Umsatz. Das Unternehmen produziert in Deutschland, Brasilien, China und Indien. 2017 übernahm der US-amerikanische Landmaschinenhersteller John Deere die Wirtgen Group für 4,4 Milliarden Euro. Im Mai gibt Reichert den Posten des China CEO ab, um noch zwei Jahre in der deutschen Zentrale als Berater zu arbeiten.

Herr Reichert, Sie waren 1988 zum ersten Mal in China, haben über 30 Jahre in Hongkong und Mainland China gelebt. Im Straßenbaumaschinengeschäft den großen Aufschwung erlebt, aber auch Krisen. Wie tiefgreifend ist die gegenwärtige Krise?

Die erste große Krise in den Neunziger Jahren war die Asienkrise 1997 nach der Übergabe der britischen Kronkolonie Hongkong an China. Sie hat China nur am Rand getroffen. SARS 2002 war vor allem in Honkong ohne allzu große Auswirkungen auf China und unser Geschäft. Als 2008 die Weltfinanzkrise ausgebrochen ist, hat Peking sofort ein Konjunkturpaket von rund 400 Milliarden US-Dollar aufgelegt. Kein Einbruch für unser Geschäft. Doch als dieses Paket 2012 auslief, hatten wir von 2011 auf 2012 einen deutlichen Rückgang zu verzeichnen. Zum ersten Mal in der Zeit, in der ich in China gelebt habe. Nun kommt auf meiner Zielgerade der zweite Einbruch auf mich zu.

Wird es genauso schlimm wie 2012?

Das kann ich natürlich jetzt noch nicht sagen, weil das Jahr ja noch nicht rum ist. Klar ist allerdings: Es wird einen deutlichen Umsatzrückgang geben. Aber ich hoffe, dass die chinesische Regierung einen wirtschaftlichen Einbruch in großem Ausmaß nicht zulässt. Erst recht nicht in 2022 vor dem so wichtigen 20sten Parteitag im Herbst dieses Jahres.

Was passiert gerade?

Besser wäre zu fragen, was passiert nicht. Es wird viel weniger Infrastruktur gebaut. In einem normalen Jahr würden im März, April und Mai zahlreiche Jahresauslieferungen abgewickelt. Doch die vergangenen Monate von November bis März waren die schwächsten Auslieferungsmonate der letzten sechs Jahre. Deswegen wird 2022 ein umsatzschwächeres Jahr. Es sei denn die Regierung legt wie 2012 plötzlich den Hebel um und gibt so richtig Gas. 2012 ging das über Nacht. Doch derzeit sind die Anzeichen, dass sich kurzfristig etwas ändert eher verhalten. Doch eigentlich wäre viel zu tun, folgt man dem 14.  5-Jahresplan. Es gibt bereits erhebliche Verzögerungen und meine Erfahrung in der Vergangenheit war immer so, dass der 5-Jahresplan bis auf geringe Abweichungen eingehalten wurde.

Wird das diesmal anders?

Das habe ich wiederum in den vergangenen 30 Jahren noch nicht erlebt. Es gab Pläne, da war man in den ersten beiden Jahren 30 Prozent in Rückstand. Das wurde dann jedoch stets mit viel Anstrengung wieder aufgeholt.

Welches sind die Gründe für den Stillstand?

Nun ja, Stillstand haben wir immerhin noch nicht. Aber Omikron ist im Moment der größte Bremser. Dazu kommt die global instabile Lage, das schwierige Handelsverhältnis zwischen China und den USA, die Krise im Wohnungsmarkt und so weiter. Gründe kann man genug aufzählen. Das alles lähmt die Entscheidungsfreudigkeit unserer Kunden im Moment und hinzu kommt, dass in den letzten Jahren sehr viele Baumaschinen in den chinesischen Markt geliefert wurden, vielleicht mehr als eigentlich notwendig waren. Mit denen können die Kunden auch noch ein Jahr länger über die Runden kommen, wenn sie es wollen.  

Wie wirkt sich Omikron aus?

Unsere Fabrik in Langfang bei Peking ist seit dem 10. März zu. Immerhin durften wir vor einigen Tagen zum ersten Mal Personal in die Fabrik bringen, um wenigstens fertige Maschinen auszuliefern. Diese Mitarbeiter müssen nun in der Fabrik übernachten. Das ist kein Dauerzustand. Aber Langfang scheint die Entwicklung jetzt unter Kontrolle zu haben und wir hoffen, dass bald die ersten Schritte zu einer Normalisierung stattfinden.

Also mindestens einen Monat Produktionsrückstand.

Ja. Das wäre in normalen Jahren schwierig. Das kann man im Rest des Jahres nur schwer aufholen. Da wir allerdings im letzten Winter wegen der Olympiade vorproduziert hatten und gleichzeitig die Nachfrage für neue Maschinen wegen der vorher erwähnten Unsicherheiten rückläufig war, ist es nicht ganz so schlimm. Wir sind auf den Ansturm der Kunden vorbereitet.

Ist dieses Überangebot nicht auch ein Zeichen dafür, dass sich die guten Zeiten der deutschen Baumaschinen Industrie zu Ende neigen, weil die Chinesen das selbst genauso gut können?

Das glaube ich nicht. Wir verkaufen in China nur wenige aus Deutschland importierte Baumaschinen, sondern Baumaschinen, die hier von uns, Wirtgen China, mit deutschem Engineering und Know-how gebaut werden. Das ist ein großer Unterschied. Inzwischen haben wir einen sehr, sehr hohen lokalen Zulieferanteil. Eigentlich sind wir hier ein chinesisches Unternehmen, was sich auch in unserer Belegschaft widerspiegelt, 99% der Mitarbeiter sind Chinesen. Die Standardstraßenbaumaschinen wären zu teuer, wenn man sie importieren würde. Das geht nur noch bei unseren Spezialmaschinen, zum Beispiel den Asphalt-Recyclern.

Aber sind die lokalen Wettbewerber nicht inzwischen genauso gut?

Es gibt schon noch Unterschiede. Und da vor allem die Autobahnen in europäischem Qualitätsniveau und nach europäischem Standard gebaut werden sollen, werden noch viele europäische Maschinen gekauft. Allerdings sind die lokalen chinesischen Hersteller in den vergangenen Jahren viel besser geworden. Die Luft wird dünner. Es gibt Typen von Maschinen, die findet man hier wie Sand am Meer. Da ist der Preis das Wichtigste. In diesem Bereich haben wir den größten Nachteil als internationaler Hersteller. Bei unseren Spezial-Maschinen in kleinerer Stückzahl ist die Qualität wichtiger und das Interesse der großen lokalen Hersteller wegen der geringeren Stückzahlen nicht so groß. Da haben internationale Hersteller bessere Chancen zu verkaufen.

Wie hat sich die gegenwärtige Krise angebahnt?

Zum Bespiel hatten wir vergangenen Oktober eine Großveranstaltung geplant, bei der wir 2000 unserer Kunden eingeladen hatten. Da hat die Verwaltung der Wirtschaftszone in Langfang uns gebeten, das noch einmal zu überdenken. Eine klare Aussage in China. Und das betrifft natürlich nicht nur uns. Hier sind viele Zulieferer für Daimler und andere namhafte Hersteller. Über 1000 Firmen. Bei Großveranstaltungen wie zum Beispiel der Bauma in Schanghai oder unseren hausinternen Technologietagen machen wir hohe Umsätze. Das ist im Moment leider nicht durchführbar.

Wie haben Sie sich darauf neu eingestellt?   

Wir haben eine kleine Ausstellung bei uns im Fabrikhof installiert. Und laden die Kunden nun in kleinen Gruppen ein, um ihnen unsere neue Fabrikerweiterung zu zeigen. Das ist jeweils ein Bus voll, läuft also gewissermaßen unter dem Radar – ist aber keine Dauerlösung.

Wie ist die Stimmung bei den Kunden?

Die Kunden, in der Regel Privatunternehmen, haben uns offen gesagt, sie wissen nicht, wie das neue Jahr wird. Sie hätten keinerlei Sicherheit über die Auftragslage. Und sie hätten noch viele Forderungen bei ihren Auftraggebern – überwiegend Staatsunternehmen. Das schlägt dann irgendwann auf uns durch. Normalweise ist kurz vor dem chinesischen Neujahr, dieses Jahr war das Anfang Februar, die beste Zeit, Geld einzutreiben. Das hat mit einer Mischung aus Ehre und Aberglauben zu tun. Die Chinesen wollen nicht mit Schulden ins neue Jahr. Doch dieses Jahr konnten unsere Kunden gerade mal knapp 50 Prozent ihrer Forderungen eintreiben. In einigen Unternehmen ist der Cashflow fast versiegt. Da kann man sich leicht ausmalen, wie die Stimmung im Land derzeit ist. Im 2. Halbjahr 2021 schon ist der Staat voll auf die Bremse getreten. Bei kleinen Bauunternehmen geht es inzwischen um deren Existenz. In diesem Bereich sind keine Ausländer betroffen. Das sind praktisch ausschließlich chinesische Unternehmen. Das vergessen die Ausländer eben leicht, wenn sie jammern, dass alles schlimmer wird. Es trifft nicht nur sie, sondern vor allem unsere chinesischen Kunden, ohne die wir hier gar nicht existieren würden. 

Und die Politik ignoriert das?

Premierminister Li Keqiang hat zwar in den vergangenen Monaten immer wieder betont, die kleinen Unternehmen müssen schneller für ihre geleistete Arbeit bezahlt werden. Da haben wir gedacht: Endlich kommt jetzt die Anordnung an die Staatsfirmen. Doch seltsamerweise passiert nichts. Dabei gab es auch schon Zeiten, in denen Staatsfirmen Geldstrafen belegt wurden, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlt haben. Wir in der Branche fragen uns schon: Was ist da los in Peking? Es scheint, die Entscheidungsprozesse sind vor dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei besonders komplex. Inzwischen glaube ich den Ankündigungen erst, wenn sie auf der Straße, bei unseren Kunden und letztendlich auch bei uns angekommen sind.

Kann man von einem Vertrauensverlust in die politische Steuerung sprechen?

Die Politik sollte jedenfalls darauf achten, glaubwürdig zu bleiben. Schwierig ist auch, dass die Provinzen nicht immer das tun, was Peking will. Das war 2008 noch anders. Da kam das Helikoptergeld über Nacht, als die Weltfinanzkrise ausbrach. Daran wird die Regierung heute natürlich gemessen. Und die Erwartungen sind hoch: Seit 2012 ging es trotz vieler Unkenrufe in den westlichen Medien immer bergauf. In den Jahren 2013 bis 2017 sind wir jedes Jahr durchschnittlich im zweistelligen Prozentbereich gewachsen. 2018 bis 2021 war das Wachstum dann auf hohem Niveau nur noch einstellig.

Woran lag das?

Die chinesischen Wettbewerber sind qualitativ besser, aber auch aggressiver bei der Vermarktung ihrer Produkte geworden. Wichtig für uns ist, unsere Marktanteile in den einzelnen Produktsparten zu halten und zu verbessern. Wir können die Maschinen bei ähnlichen Margen günstiger anbieten, wenn wir noch mehr lokalisieren. Das bedeutet nicht unbedingt Umsatzsteigerung aber Marktanteilsteigerung was zu erhöhten Maschinenauslieferungen führt. Bei den Wirtgen Fräsen, unser Brot und Butter Geschäft, haben wir in China einen sehr hohen Marktanteil, trotz der starken lokalen Konkurrenz. Die Fräsen tragen den alten Straßenbelag ab. In anderen Bereichen zum Beispiel bei den Straßenfertigern ist der Marktanteil auch gut. Hier ist allerdings das Konkurrenzumfeld wesentlich schwieriger. Wir sind aber bestens gerüstet, um solche Krisen, wie jetzt durchzustehen.

Wie unterscheiden Sie sich noch von den chinesischen Herstellern?

Wir müssen immer etwas besser bleiben. Dafür braucht man ein gutes Management mit Teams, die lange dabeibleiben, weil sie zufrieden sind. So hält man sein Know-how zusammen in einem Markt mit großer personeller Fluktuation. Das gilt auch für das Händlernetz. Wir haben zum Beispiel ein Händlernetz in China, das fast ausschließlich nur Wirtgen Group Maschinen verkauft. Sehr fokussiert, gut trainiert, lange dabei. So schafft man Vertrauen bei den Kunden. Das können übrigens nur lokale Mitarbeiter. Wir waren immer nur 4 bis 6 Ausländer von insgesamt über 650 Mitarbeitern, also rund 1 Prozent. Auch ein Erfolgsgeheimnis.

Dreht sich die Stimmung gegen Ausländer gerade?

Das ist schwierig zu sagen. Ich bin mit einer Chinesin verheiratet und über 30 Jahre in China. Ich habe eine andere Sicht auf solche Trends wie jemand, der nur für drei vier Jahre kommt. Was für die ein großer Ausschlag ist, ist für uns nur eine kleine Delle. Aber was wohl offensichtlich richtig ist, dass die Situation für Ausländer derzeit etwas schwieriger geworden ist und es vor allem für deutsche Firmen nicht einfacher geworden ist, Mitarbeiter zu motivieren, nach China zu gehen. Das liegt an den strengen Coronavirus-Maßnahmen bei der Einreise. Aber auch an der Berichterstattung in Europa über China, die meiner Ansicht nach nicht ausgewogen ist.

Wird es für Ausländer dauerhaft schwieriger?

Das würde ich pauschal nicht so sehen. Wenn man lange hier ist, nimmt man viele Entwicklungen nicht so ernst, weil man erlebt hat, dass sich das auch wieder ändert. Wichtig dabei: Wir sollten nie vergessen, dass wir – auch ich nach 30 Jahren – Gäste in diesem Land sind. Wenn man sich dessen bewusst ist, kommt man ganz gut über die Runden. Dann ist man ein dankbarer Gast wie ich. Ich war und bin gerne in China.

Sie hören im Sommer nach 32 Jahren als CEO von Wirtgen China auf, um aus Deutschland als Berater für die Wirtgen Group zu arbeiten. Unter diesen schwierigen Umständen sind sie nun froh, dass Sie gehen können?

Ganz und gar nicht. Ich mache auch keinen Hehl daraus. Ich gehe mit zwei weinenden Augen. Ich bin immer noch gerne hier. Aber es war meine eigene Entscheidung. Ich bin 66. Da muss einem klar sein, dass es langsam Zeit wird, sich mit dem nächsten Lebensabschnitt zu beschäftigen. Und was mir bei dieser Entscheidung enorm hilfreich war, ist die Gewissheit, dass die Wirtgen China in zuverlässige und erfahrene Hände gelegt wird, die das Geschäft weiter nach vorne bringen werden. Das waren schon verrückte 30 Jahre – mit einer unvorstellbaren Dynamik. Mein Leben halt.

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Handel
  • Industrie
  • John Deere
  • Maschinenbau

News

Tesla baut zweite Fabrik in Shanghai

Tesla hat den Standort für den geplanten Bau einer zweiten Produktionslinie in Shanghai nahe seiner bestehenden Gigafactory 3 ausgewählt. Das berichtete die South China Morning Post am Mittwoch unter Berufung auf einen Brief des US-amerikanischen Elektroautobauers an die lokalen Behörden. Darin sprach Tesla nach dem Bericht von einer Jahreskapazität der neuen Montagelinie von 450.000 Autos im Jahr. Nach Abschluss der ersten Bauphase sollen dort Fahrzeuge vom Typ Model 3 und Model Y vom Band laufen.

Der Brief bestätige einen Bericht der Zeitung vom 25. Februar, wonach Tesla den Bau einer zweiten Produktionslinie in Shanghai beabsichtige, um seine Kapazität in China mehr als zu verdoppeln, hieß es. Tesla wolle damit die Rolle des Standorts Shanghai als weltweit “größtes Exportzentrum” festigen. 2019 liefen in der Gigafactory 3 die ersten Model 3-Fahrzeuge vom Band. 2021 produzierte Tesla in Shanghai fast 485.00 Model 3 und Model Y. 321.000 davon wurden in China verkauft, 117 Prozent mehr als 2020. Die restlichen über 160.000 Autos gingen in die wichtigsten Märkte von Tesla wie Deutschland und Japan.

Derzeit leidet die Tesla-Gigafactory ebenso wie andere Autofabriken unter dem Lockdown in Shanghai. Doch die Fabrik gehörte zu den ersten 666 Standorten, die unter Auflagen ihre Produktion bereits im April wieder hochfahren durften. Tesla litt zunächst ebenso wie viele an Störungen der Lieferkette. Nach Angaben des Fachmagazins InsideEVs produziert Tesla aber inzwischen wieder mit etwa 80 Prozent seiner Kapazität. Reuters berichtete diese Woche über Hilfe der Behörden für Tesla. Die Behörden organisierten im April den Transfer von rund 6.000 Arbeitern für die Closed-Loop-Produktion an den Standort und unterstützten Tesla bei der notwendigen Desinfektion der Fabrik. ck

  • Autoindustrie

Tesla muss Model-3 zurückrufen

Der weltgrößte Elektroautobauer Tesla muss erneut Tausende Fahrzeuge seines “Model-3” in China zurückrufen. Insgesamt handele es sich um 14.684 Wagen, die zwischen Januar 2019 und März 2022 produziert worden seien, teilte die chinesische Aufsichtsbehörde mit. Es gehe um Softwareprobleme, die unter Extrembedingungen zu Kollisionen führen könnten. Für Tesla ist es bereits der zweite Rückruf im April. Der US-Konzern musste zuvor bereits rund 128.0000 Model-3-Autos wegen potenzieller Fehler bei Halbleiterteilen in die Werkstätten ordern. rtr/nib

  • Autoindustrie

Peking vergibt Lizenzen für selbstfahrende Taxis

Pony.ai und Baidu dürfen in Peking seit Donnerstag weitere selbstfahrende Taxis betreiben. Die zuständigen Behörden haben dafür grünes Licht gegeben, wie die Financial Times berichtet. Allerdings muss demnach ein Fahrer mit im Wagen sitzen, der im Notfall eingreifen kann. Die 14 neu zugelassenen Autos dürfen in einer 60 Quadratkilometer großen Zone im Yizhuang-Bezirk fahren. Zuvor hatten die beiden Unternehmen ein fünfmonatiges Pilotprogramm durchgeführt, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Peking folgt kleineren chinesischen Städten bei der Zulassung der sogenannten Robo-Taxis.

Das von Toyota unterstützte Pony.ai hatte in der vergangenen Woche schon in Guangzhou eine Lizenz zum Betreiben selbstfahrender Taxis erhalten. Ab Mai sollen 100 Autos auf die Straßen kommen – auch in Guangzhou allerdings mit einem Fahrer hinter dem Steuer. In Kalifornien hatte Pony.ai die Lizenz für Tests ohne menschliche Fahrer nach sechs Monaten wieder verloren. Ein selbstfahrendes Auto war bei einem Spurwechsel gegen ein Verkehrsschild gerast.

Laut einem Analysten liegt die erfolgreiche Kommerzialisierung selbstfahrender Taxis noch in weiter Ferne. Die Beförderung von Fahrgästen durch fahrerlose Unternehmen koste derzeit mehr Geld als durch normale Taxis und Ride-Hailing-Dienste. nib

  • Autoindustrie

Chipmangel plagt Hersteller von Autos und Fahrrädern

Chipmangel und weitere Probleme mit der Teileversorgung belasten nun nicht mehr nur die deutschen Auto-, sondern auch die Fahrradhersteller. “Bei E-Bikes haben wir ein ähnliches Chipproblem wie die Autoindustrie”, zitiert die Nachrichtenagentur dpa Burkhard Stork, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands. “Es fehlen nicht die Akkus, sondern die Chips für die Steuerung der Batterieladung und für die Displays.”

“In Ländern mit strikten Corona-Beschränkungen wie China, Malaysia, Singapur oder Vietnam standen in den vergangenen zwei Jahren viele Werke zeitweise still, sodass Komponenten und Teile fehlten”, erläuterte Stork. “Die derzeitigen Lockdowns in China führen wieder zu Lieferverzögerungen. Deswegen müssen Produktionspläne kurzfristig geändert werden. Das geht an die Substanz auf beiden Seiten”, sagte der ZIV-Geschäftsführer zur Lage bei Fahrradherstellern und -händlern. 

Dramatisch bleibt die Lage für die deutschen Autobauer. Der Branchenzeitung “Automobilwoche” zufolge werden sie wegen Problemen mit der Teileversorgung rund 700.000 Autos weniger fertigen können als zu Jahresanfang geplant. Das Medium beruft sich auf Daten des Dienstleisters IHS Markit. Besonders betroffen sei Volkswagen. Die Marke VW verliere in diesem Jahr über eine halbe Million Einheiten. Bei Mercedes fehlten am Ende des Jahres 80.000 geplante Fahrzeuge, bei BMW sogar 100.000. Diese Prognosen stehen unter dem Vorbehalt weiterer Einschränkungen in der Lieferkette durch den Krieg in der Ukraine und den Corona-Lockdown in China, heißt es. rtr/flee

  • Autoindustrie

Standpunkt

Produktionsstopp und Lieferkettenstau – Was bedeutet der Lockdown aus rechtlicher Sicht?

Sebastian Wiendieck und Felix Engelhardt von Rödl & Partner, Shanghai.
Sebastian Wiendieck und Felix Engelhardt von Rödl & Partner, Shanghai.

Produktionsstopp und Lieferkettenproblem – was bedeutet der Lockdown in Shanghai aus rechtlicher Sicht?

Die 26-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai erlebt seit Ende März Lockdown-Maßnahmen, die sich extrem auf die Menschen der Stadt wie auch tausende Unternehmen im Großraum Shanghai auswirken. Für die Wirtschaft bedeutet der Lockdown Stillstand oder ein stark eingeschränktes operatives Geschäft, gestörte Lieferketten, Ausfall von Personal und sonstige Hindernisse. Zur Schadensminimierung versuchen die chinesische Zentral- und Lokalregierungen, der Wirtschaft mithilfe verschiedener Notfallmaßnahmen unter die Arme zu greifen. Trotz dieser Hilfe stellen sich für Unternehmen zahlreiche Fragen, die sich allein mit direkter staatlicher Unterstützung nicht beantworten lassen.

Wie soll mit dem Produktionsstopp in Shanghai umgegangen werden? Wie sieht die aktuelle Gesetzeslage hierzu aus?

Die Maßnahmen zur Pandemiekontrolle beruhen vor allem auf Chinas Emergency Response Law, Law on Prevention and Treatment on Infectious Diseases sowie lokalen Durchführungsvorschriften wie den Regulations of Shanghai Municipality on Public Health Emergency Management. In der Theorie können Unternehmen und Einzelpersonen nach diesen Vorschriften gegen rechtswidrige behördliche Maßnahmen vorgehen. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, Rechtsmittel erfolgreich durchzusetzen, wegen der herausragenden Bedeutung des “Kampfes” gegen Covid-19 sehr gering. Allenfalls bei besonders krassen Rechtsverletzungen (wie etwa die Versiegelung von Gebäuden unter evidenter Verletzung brandschutzrechtlicher Vorschriften) kann ein Vorgehen gegen solche Maßnahmen erfolgreich sein. Im Regelfall ist jedoch – auch aus strategischer Sicht – der Weg der Schadensminderung im Rahmen der geltenden Gesetze vorzugswürdig. Unternehmen konzentrieren sich dabei darauf, Umsatzrückgänge durch vorübergehende Kostensenkungen auszugleichen sowie von staatlicher Unterstützung zu profitieren.

Sowohl auf nationaler als auch lokaler Ebene sind zwischenzeitlich zahlreiche Notfallmaßnahmen erlassen worden, die sich vor allem an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) richten. In Shanghai wurde zum Beispiel ein Paket aus 17 finanziellen Unterstützungsmaßnahmen erlassen. Diese sehen unter anderem Erleichterungen bei der Kreditfinanzierung von KMU vor. Fraglich ist hier allerdings, ob auch ausländische Unternehmen insbesondere bei der Neuvergabe von Krediten zum Zuge kommen.

Auf Ausgabenseite spielt vor allem die Senkung von Personalkosten, Mieten und Steuern eine große Rolle.

  • Können Angestellte während eines Lockdowns nicht arbeiten, muss trotzdem das vertraglich geschuldete Gehalt fortgezahlt und der Arbeitsvertrag darf während dieser Zeit grundsätzlich nicht gekündigt werden. Viele Unternehmen können die Folgen durch Home-Office etwas abfedern. Sollte dies im konkreten Fall nicht möglich sein, ist es den Unternehmen – nach Konsultation mit den Angestellten – gestattet, Arbeitszeit zu reduzieren oder von Mitarbeitern zu verlangen, bezahlten Urlaub zu nehmen. Zudem kann das Gehalt von Mitarbeitern, die nicht arbeiten können, nach einem Zahlungszyklus (meist ein Monat) auf das lokal gültige Minimalgehalt reduziert werden.
    Derartige Maßnahmen sollten aber stets mit der lokalen Arbeitsbehörde abgestimmt werden. Im produzierenden Gewerbe, wo Home-Office naturgemäß nicht möglich ist, folgen viele Unternehmen seit Wochen einem staatlich verordneten System geschlossener Produktionsabläufe (Closed Loop). Hier ist aus rechtlicher Sicht besonders auf die Vorschriften zum Arbeitsschutz zu achten. Die zuständigen Stellen haben eine Reihe von Maßnahmen verkündigt, die von Unternehmen bei Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs erfüllt werden müssen, um Neuinfektionen zu vermeiden. Die praktische Umsetzung wird viele Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen.       
  • Für Mietzahlungen gilt, dass KMU sowie Einzelunternehmer, die ihre Produktions- und Büroflächen von staatlichen Stellen anmieten, bis zu sechs Monate von der Miete befreit werden können. Laut der Shanghai Municipal State-Owned Assets Supervision and Administration Commission ist für den Mieterlass kein Nachweis erforderlich, dass der Geschäftsbetrieb von den Lockdown-Maßnahmen betroffen ist.

Welche Möglichkeiten zur Risikobegrenzung bestehen bezüglich anhaltender Lieferkettenprobleme?

Trotz “Closed Loop” bleibt eines der größten Probleme, dass Unternehmen nicht an dringend benötigte Materialien und Rohstoffe gelangen beziehungsweise ihre eigenen Waren nicht oder nur sehr schlecht aus der eigenen Fabrik bekommen. Shanghai hat mittlerweile eine sogenannte “White List” erlassen, auf der 666 Unternehmen aufgeführt sind und die auf 1.188 Unternehmen ausgeweitet werden soll, die ihren Betrieb wieder aufnehmen dürfen. Zudem besteht die Möglichkeit der Beantragung sogenannter Transportpässe für lebensnotwendige Güter, Arzneimittel, Lebensmittel und strategische Reserven, Stromversorgung, Schlüsselinformationstechnologie und Außenhandel. Davon profitieren aber aktuell nur sehr wenige Unternehmen.

Ein großes Folgeproblem besteht in der möglichen Verletzung vertraglicher Pflichten in der Lieferkette. Ob sich die Lage im Wege der Rechtfertigung mit “höherer Gewalt” entschärfen lässt, hängt ganz von den konkreten Umständen und dem jeweiligen Vertragsinhalt ab. Bestehen keine vertraglichen Regelungen und unterliegt der jeweilige Vertrag chinesischem Recht, liegt höhere Gewalt nach dem chinesischen Civil Code vor, wenn es sich bei der Epidemie beziehungsweise den daraus folgenden Maßnahmen um ein aus objektiver Sicht unvorhersehbares, unvermeidbares und nicht zu bewältigendes Ereignis handelt.

Grundsätzlich wurde die COVID-19-Pandemie Anfang 2020 durch das Komitee für legislative Angelegenheiten des Nationalen Volkskongresses als höhere Gewalt eingestuft. Allerdings betonte das Oberste Volksgericht von Shanghai in einer Mitteilung vom 10. April 2022, dass im Einzelfall vor allem die Ursächlichkeit und der Anteil der Pandemie für die vollständige oder teilweise Unmöglichkeit der Vertragserfüllung zu berücksichtigen und eine gerechte Interessenverteilung anzustreben ist. Daher ist auch hier vor einseitigen Aktionen dazu zu raten, zunächst das Gespräch mit dem Vertragspartner zu suchen, da dieser letztlich mit einiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls von den gravierenden Auswirkungen der staatlichen Maßnahmen betroffen ist. Gegenwärtig bleibt für Unternehmen nur, sich bis auf Weiteres sowohl operativ als auch strategisch auf eine Fortsetzung der Maßnahmen einzustellen, was vertragliche Risikoverteilung einschließt.

Sebastian Wiendieck ist Rechtsanwalt und Partner bei Rödl & Partner in China und betreut in Shanghai mit seinem Team vorwiegend deutsche und europäische Unternehmen, die in China durch Tochtergesellschaften und Niederlassungen vertreten sind oder sich anderweitig im chinesischen Markt engagieren wollen. 

Felix Engelhardt ist deutscher Rechtsanwalt und als Senior Associate bei Rödl & Partner in Shanghai tätig. Seit 2018 berät er ausländische Unternehmen in unterschiedlichen Bereichen ihres Chinageschäfts, insbesondere zu investitions-, handels- und gesellschaftsrechtlichen Fragen, zum Schutz geistigen Eigentums sowie zu den Themen Cybersicherheit und Datenschutz.

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Handel
  • Lieferketten

Personalien

Matthias Lüttich ist neuer Head of Production System, Operational Excellence and Digitalization bei dem Joint Venture BMW Brilliance Automotive in Shenyang. Es ist bereits sein zweiter Posten bei BMW Brilliance. Von 2016 bis 2020 war Lüttich dort Head of Strategy & Business Control. In der Zwischenzeit arbeitete er bei der BMW Group in München als Leiter Programmplanung und Produktionssteuerung.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Volkswagen digitalisiert im China-Tempo
    • Interview: Ulrich Reichert von Wirtgen zur Bauwirtschaft
    • Tesla baut zweites Werk in Shanghai
    • Tesla muss erneut Autos zurückrufen
    • Grünes Licht für selbstfahrende Taxis
    • Chip-Mangel lähmt Herstellung von E-Bikes
    • Standpunkt: Rechts-Tipps zum Lockdown
    • Personalien: Matthias Lüttich wird neuer Produktionschef bei BMW Brilliance in Shenyang
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    “Willst Du Wohlstand, dann baue zuerst die Straßen aus!” (要想富先修路). So lautet tatsächlich ein chinesisches Sprichwort. Die Wirtschaftsplaner des Landes haben sich diesen Spruch zu Herzen genommen. Im vergangenen Jahrzehnt haben sie im Schnitt rund zehntausend Kilometer Autobahnen im Jahr bauen lassen. Das ganze Riesenreich wird durchzogen von modernen Autobahnen.

    Doch derzeit stockt die Nachfrage im Straßenbau – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der das Wachstum von vielen Seiten bedroht ist, wundert sich Ulrich Reichert im Interview mit Frank Sieren. Reichert arbeitet für die Wirtgen-Gruppe, einen großen Hersteller von Baumaschinen. “Omikron ist im Moment der größte Bremser”, sagt Reichert. Sein Pekinger Werk ist seit März geschlossen. Seinen Kunden, also den Baufirmen, geht bereits das Geld aus.

    Normalerweise würde jetzt die Regierung mit Aufträgen einspringen – doch bislang ist nichts Konkretes passiert, sie ist erstaunlich untätig. Reichert hofft, dass die Führung bei der Konjunkturförderung doch noch den Hebel umlegt. Manchmal passiert das in China über Nacht.

    So schnell ist VW mit der Entwicklung seiner Software nicht. Dabei ist die Zeit knapp. Denn Chinas Technik-affine Kunden haben inzwischen hohe Ansprüche und verlangen Hightech im Auto, und das vor allem bei den elektrischen Fahrzeugen. Die deutschen Autobauer hinken den chinesischen Konkurrenten technologisch um Jahre hinterher, analysiert Christian Domke Seidel. Er erklärt, wie Volkswagen mithilfe seiner Software-Tochter Cariad Abhilfe auf dem größten Einzelmarkt des Konzerns schaffen will.

    Viel Spaß beim Lesen!

    Ihr
    Felix Lee
    Bild von Felix  Lee

    Analyse

    Cariad China entscheidet über die Zukunft von VW

    Cariad soll sich um die Entwicklung VWs in China kümmern.
    CEO Chang Qing von Cariad China

    Anfang April sagten die Organisatoren die Auto-Messe in Peking ab. Die Pandemie und die Zero-Covid-Politik stehen dem Branchen-Treffen im Wege. Die Hersteller ließen es sich dennoch nicht nehmen, ihre Ideen von den Autos der Zukunft zu präsentieren. Audi zeigte das Urban Sphere Concept (China.Table berichtete), BMW den i7 und Mercedes den EQS. Alle drei erhielten Ohrfeigen von den Kritikern. Zwar sei erfreulich, dass die Deutschen aufgehört hätten, klassische Verbrenner einfach nur auf Elektroantrieb umzubauen. Von modernen Elektroautos würden sie dennoch nichts verstehen, urteilten die Fachmagazine. Die Modelle seien zu konservativ, die Technik hinke im Vergleich zu chinesischen Fahrzeugen um Jahre hinterher. Große Bildschirme verwechseln die Deutschen mit Intelligenz, wird Autoanalyst Lin Xiao in Shentu Car deutlich.

    Deutsche wirken chancenlos auf dem Elektroautomarkt

    Die Verkaufszahlen bestätigen die harsche Einschätzung (China.Table berichtete). Im März 2022 verkaufte allein Nio rund 10.000 rein elektrische Fahrzeuge in der Premiumklasse (über 300.000 Yuan, rund 43.000 Euro) laut dem China Automotive Technology and Research Center (CATARC). Das sind mehr als doppelt so viele wie Audi (120 Stück), BMW (3.100) und Mercedes (1.200) zusammen.

    Längst ist dem Volkswagen-Konzern das Problem bewusst (China.Table berichtete). Die Software-Tochter Cariad soll nun die Erlösung bringen. Als Basis dienen 30 Milliarden Euro, die bis zum Jahr 2026 investiert werden sollen. Cariad hat unter anderem Diconium übernommen, eine Softwarefirma aus Stuttgart, sowie Hella Aglaia, einen Spezialisten für Kamerasoftware. Etwa 5.000 Mitarbeiter arbeiten derzeit bei der VW-Tochter – davon 600 seit Ende April 2022 in der Niederlassung in China. Bis Ende 2023 sollen es 1.200 Angestellte sein. Immerhin 90 Prozent von ihnen sollen aus der Volksrepublik direkt kommen. China ist der größte Einzelmarkt für Volkswagen und weltweit führend in Sachen Digitalisierung im Mobilitätssektor.

    VW leidet unter Verzögerungen bei Cariad

    Das große Ziel ist es, im Jahr 2026 ein Technikpaket zu haben, dass autonomes Fahren auf Level vier erlaubt. Dabei übernimmt das System dauerhaft die Kontrolle über das Fahrzeug. Lediglich in einzelnen Situationen soll der Fahrer kurzfristig das Steuer übernehmen. In China beherrscht der Nio ET7 dieses Level bereits. Doch der Zeitplan von Volkswagen dafür scheint schon jetzt zu wackeln. Der Marktstart diverser Projekte, die auf der neuen Software basieren, wurde nach hinten verschoben. Jan Becker, Chef des Software-Unternehmens Apex.AI, erklärt im Handelsblatt, dass kein deutscher Hersteller ein fertiges Betriebssystem habe. Ohne dieses könnten aber weder Tests durchgeführt, noch zusätzliche Anwendungen programmiert werden.

    Cariad soll aus VW einen “softwareorientierten Mobilitätskonzern” machen, wie es Vorstandschef Herbert Diess nennt. Zwei Wege führen dorthin. Entweder entwickelt und programmiert VW alles selbst – oder aber die Lösungen kommen von Zulieferern und Partnerschaften. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile.

    Digitalisierung: Zukaufen oder selber machen

    Ned Curic, Chief Technology Officer bei Stellantis, vertritt die Meinung, Autofirmen sollten Autos bauen und keine Software programmieren. Denn auch bei intelligenten Elektroautos sei das Fahrerlebnis wichtig. Diesen Vorsprung dürften die Hersteller nicht verspielen. Und lange Zeit sah es so aus, als beschreite auch Volkswagen diesen Weg.

    Doch die Zwischenbilanz bei Software-Kooperationen sieht für VW nicht gut aus. Eine Partnerschaft mit Daimler ist ausgelaufen. Bei der gemeinsamen Entwicklung mit Bosch kriselt es. Und Beteiligungen an Waymo von Google oder ein Einstieg von Continental scheiterten. Aktuell verhandelt Volkswagen mit Huawei (China.Table berichtete) über die Übernahme einer Abteilung, die sich mit autonomem Fahren beschäftigt. Kostenpunkt: bis zu zehn Milliarden Euro. Ohne die Garantie, dass die dort angestellten Entwickler den Sprung zu Volkswagen überhaupt mitmachen.

    Entwicklung in China-Geschwindigkeit

    Derweil muss Cariad also alleine an der Digitalisierung arbeiten. Das ist zwar teuer und langsam, doch hat auch Vorteile. Einerseits wäre VW unabhängiger von Handelskriegen oder politischen Entscheidungen. Entwickelt und baut Volkswagen ausschließlich in China, bedrohen Embargos und Zölle nicht gleich das gesamte Geschäftsmodell. Andererseits muss Volkswagen auch kein Stück vom Kuchen abgeben.

    In China steht Cariad deswegen unter Druck. Ergebnisse müssen her. Der größte Elektroautomarkt der Welt mit den digitalsten Kunden gilt als wichtiger Maßstab. Chang Qing, der CEO von Cariad China, weiß um die Bedeutung und hat eine Kampfansage parat: “Wir werden unsere Produkte basierend auf den lokalen Kundenerwartungen mit China-Geschwindigkeit entwickeln, aktualisieren und kontinuierlich verbessern.” Zu hoffen bleibt, dass Wolfsburg bei der China-Geschwindigkeit mitkommt.

    • Autoindustrie

    “Ich hoffe, dass die Regierung einen Einbruch in großem Ausmaß nicht zulässt”

    Ulrich Reichert, China-CEO der Wirtgen Group im Interview.
    Ulrich Reichert, China-CEO der Wirtgen Group

    Der Kölner Ulrich Reichert, 66, verbrachte seit Ende der 80er Jahre sein Arbeitsleben mit dem Aufbau des Chinageschäftes von Wirtgen. Die Wirtgen Group ist einer der wichtigsten Hersteller von Straßenbaumaschinen. Sie macht rund drei Milliarden Euro Umsatz. Das Unternehmen produziert in Deutschland, Brasilien, China und Indien. 2017 übernahm der US-amerikanische Landmaschinenhersteller John Deere die Wirtgen Group für 4,4 Milliarden Euro. Im Mai gibt Reichert den Posten des China CEO ab, um noch zwei Jahre in der deutschen Zentrale als Berater zu arbeiten.

    Herr Reichert, Sie waren 1988 zum ersten Mal in China, haben über 30 Jahre in Hongkong und Mainland China gelebt. Im Straßenbaumaschinengeschäft den großen Aufschwung erlebt, aber auch Krisen. Wie tiefgreifend ist die gegenwärtige Krise?

    Die erste große Krise in den Neunziger Jahren war die Asienkrise 1997 nach der Übergabe der britischen Kronkolonie Hongkong an China. Sie hat China nur am Rand getroffen. SARS 2002 war vor allem in Honkong ohne allzu große Auswirkungen auf China und unser Geschäft. Als 2008 die Weltfinanzkrise ausgebrochen ist, hat Peking sofort ein Konjunkturpaket von rund 400 Milliarden US-Dollar aufgelegt. Kein Einbruch für unser Geschäft. Doch als dieses Paket 2012 auslief, hatten wir von 2011 auf 2012 einen deutlichen Rückgang zu verzeichnen. Zum ersten Mal in der Zeit, in der ich in China gelebt habe. Nun kommt auf meiner Zielgerade der zweite Einbruch auf mich zu.

    Wird es genauso schlimm wie 2012?

    Das kann ich natürlich jetzt noch nicht sagen, weil das Jahr ja noch nicht rum ist. Klar ist allerdings: Es wird einen deutlichen Umsatzrückgang geben. Aber ich hoffe, dass die chinesische Regierung einen wirtschaftlichen Einbruch in großem Ausmaß nicht zulässt. Erst recht nicht in 2022 vor dem so wichtigen 20sten Parteitag im Herbst dieses Jahres.

    Was passiert gerade?

    Besser wäre zu fragen, was passiert nicht. Es wird viel weniger Infrastruktur gebaut. In einem normalen Jahr würden im März, April und Mai zahlreiche Jahresauslieferungen abgewickelt. Doch die vergangenen Monate von November bis März waren die schwächsten Auslieferungsmonate der letzten sechs Jahre. Deswegen wird 2022 ein umsatzschwächeres Jahr. Es sei denn die Regierung legt wie 2012 plötzlich den Hebel um und gibt so richtig Gas. 2012 ging das über Nacht. Doch derzeit sind die Anzeichen, dass sich kurzfristig etwas ändert eher verhalten. Doch eigentlich wäre viel zu tun, folgt man dem 14.  5-Jahresplan. Es gibt bereits erhebliche Verzögerungen und meine Erfahrung in der Vergangenheit war immer so, dass der 5-Jahresplan bis auf geringe Abweichungen eingehalten wurde.

    Wird das diesmal anders?

    Das habe ich wiederum in den vergangenen 30 Jahren noch nicht erlebt. Es gab Pläne, da war man in den ersten beiden Jahren 30 Prozent in Rückstand. Das wurde dann jedoch stets mit viel Anstrengung wieder aufgeholt.

    Welches sind die Gründe für den Stillstand?

    Nun ja, Stillstand haben wir immerhin noch nicht. Aber Omikron ist im Moment der größte Bremser. Dazu kommt die global instabile Lage, das schwierige Handelsverhältnis zwischen China und den USA, die Krise im Wohnungsmarkt und so weiter. Gründe kann man genug aufzählen. Das alles lähmt die Entscheidungsfreudigkeit unserer Kunden im Moment und hinzu kommt, dass in den letzten Jahren sehr viele Baumaschinen in den chinesischen Markt geliefert wurden, vielleicht mehr als eigentlich notwendig waren. Mit denen können die Kunden auch noch ein Jahr länger über die Runden kommen, wenn sie es wollen.  

    Wie wirkt sich Omikron aus?

    Unsere Fabrik in Langfang bei Peking ist seit dem 10. März zu. Immerhin durften wir vor einigen Tagen zum ersten Mal Personal in die Fabrik bringen, um wenigstens fertige Maschinen auszuliefern. Diese Mitarbeiter müssen nun in der Fabrik übernachten. Das ist kein Dauerzustand. Aber Langfang scheint die Entwicklung jetzt unter Kontrolle zu haben und wir hoffen, dass bald die ersten Schritte zu einer Normalisierung stattfinden.

    Also mindestens einen Monat Produktionsrückstand.

    Ja. Das wäre in normalen Jahren schwierig. Das kann man im Rest des Jahres nur schwer aufholen. Da wir allerdings im letzten Winter wegen der Olympiade vorproduziert hatten und gleichzeitig die Nachfrage für neue Maschinen wegen der vorher erwähnten Unsicherheiten rückläufig war, ist es nicht ganz so schlimm. Wir sind auf den Ansturm der Kunden vorbereitet.

    Ist dieses Überangebot nicht auch ein Zeichen dafür, dass sich die guten Zeiten der deutschen Baumaschinen Industrie zu Ende neigen, weil die Chinesen das selbst genauso gut können?

    Das glaube ich nicht. Wir verkaufen in China nur wenige aus Deutschland importierte Baumaschinen, sondern Baumaschinen, die hier von uns, Wirtgen China, mit deutschem Engineering und Know-how gebaut werden. Das ist ein großer Unterschied. Inzwischen haben wir einen sehr, sehr hohen lokalen Zulieferanteil. Eigentlich sind wir hier ein chinesisches Unternehmen, was sich auch in unserer Belegschaft widerspiegelt, 99% der Mitarbeiter sind Chinesen. Die Standardstraßenbaumaschinen wären zu teuer, wenn man sie importieren würde. Das geht nur noch bei unseren Spezialmaschinen, zum Beispiel den Asphalt-Recyclern.

    Aber sind die lokalen Wettbewerber nicht inzwischen genauso gut?

    Es gibt schon noch Unterschiede. Und da vor allem die Autobahnen in europäischem Qualitätsniveau und nach europäischem Standard gebaut werden sollen, werden noch viele europäische Maschinen gekauft. Allerdings sind die lokalen chinesischen Hersteller in den vergangenen Jahren viel besser geworden. Die Luft wird dünner. Es gibt Typen von Maschinen, die findet man hier wie Sand am Meer. Da ist der Preis das Wichtigste. In diesem Bereich haben wir den größten Nachteil als internationaler Hersteller. Bei unseren Spezial-Maschinen in kleinerer Stückzahl ist die Qualität wichtiger und das Interesse der großen lokalen Hersteller wegen der geringeren Stückzahlen nicht so groß. Da haben internationale Hersteller bessere Chancen zu verkaufen.

    Wie hat sich die gegenwärtige Krise angebahnt?

    Zum Bespiel hatten wir vergangenen Oktober eine Großveranstaltung geplant, bei der wir 2000 unserer Kunden eingeladen hatten. Da hat die Verwaltung der Wirtschaftszone in Langfang uns gebeten, das noch einmal zu überdenken. Eine klare Aussage in China. Und das betrifft natürlich nicht nur uns. Hier sind viele Zulieferer für Daimler und andere namhafte Hersteller. Über 1000 Firmen. Bei Großveranstaltungen wie zum Beispiel der Bauma in Schanghai oder unseren hausinternen Technologietagen machen wir hohe Umsätze. Das ist im Moment leider nicht durchführbar.

    Wie haben Sie sich darauf neu eingestellt?   

    Wir haben eine kleine Ausstellung bei uns im Fabrikhof installiert. Und laden die Kunden nun in kleinen Gruppen ein, um ihnen unsere neue Fabrikerweiterung zu zeigen. Das ist jeweils ein Bus voll, läuft also gewissermaßen unter dem Radar – ist aber keine Dauerlösung.

    Wie ist die Stimmung bei den Kunden?

    Die Kunden, in der Regel Privatunternehmen, haben uns offen gesagt, sie wissen nicht, wie das neue Jahr wird. Sie hätten keinerlei Sicherheit über die Auftragslage. Und sie hätten noch viele Forderungen bei ihren Auftraggebern – überwiegend Staatsunternehmen. Das schlägt dann irgendwann auf uns durch. Normalweise ist kurz vor dem chinesischen Neujahr, dieses Jahr war das Anfang Februar, die beste Zeit, Geld einzutreiben. Das hat mit einer Mischung aus Ehre und Aberglauben zu tun. Die Chinesen wollen nicht mit Schulden ins neue Jahr. Doch dieses Jahr konnten unsere Kunden gerade mal knapp 50 Prozent ihrer Forderungen eintreiben. In einigen Unternehmen ist der Cashflow fast versiegt. Da kann man sich leicht ausmalen, wie die Stimmung im Land derzeit ist. Im 2. Halbjahr 2021 schon ist der Staat voll auf die Bremse getreten. Bei kleinen Bauunternehmen geht es inzwischen um deren Existenz. In diesem Bereich sind keine Ausländer betroffen. Das sind praktisch ausschließlich chinesische Unternehmen. Das vergessen die Ausländer eben leicht, wenn sie jammern, dass alles schlimmer wird. Es trifft nicht nur sie, sondern vor allem unsere chinesischen Kunden, ohne die wir hier gar nicht existieren würden. 

    Und die Politik ignoriert das?

    Premierminister Li Keqiang hat zwar in den vergangenen Monaten immer wieder betont, die kleinen Unternehmen müssen schneller für ihre geleistete Arbeit bezahlt werden. Da haben wir gedacht: Endlich kommt jetzt die Anordnung an die Staatsfirmen. Doch seltsamerweise passiert nichts. Dabei gab es auch schon Zeiten, in denen Staatsfirmen Geldstrafen belegt wurden, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlt haben. Wir in der Branche fragen uns schon: Was ist da los in Peking? Es scheint, die Entscheidungsprozesse sind vor dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei besonders komplex. Inzwischen glaube ich den Ankündigungen erst, wenn sie auf der Straße, bei unseren Kunden und letztendlich auch bei uns angekommen sind.

    Kann man von einem Vertrauensverlust in die politische Steuerung sprechen?

    Die Politik sollte jedenfalls darauf achten, glaubwürdig zu bleiben. Schwierig ist auch, dass die Provinzen nicht immer das tun, was Peking will. Das war 2008 noch anders. Da kam das Helikoptergeld über Nacht, als die Weltfinanzkrise ausbrach. Daran wird die Regierung heute natürlich gemessen. Und die Erwartungen sind hoch: Seit 2012 ging es trotz vieler Unkenrufe in den westlichen Medien immer bergauf. In den Jahren 2013 bis 2017 sind wir jedes Jahr durchschnittlich im zweistelligen Prozentbereich gewachsen. 2018 bis 2021 war das Wachstum dann auf hohem Niveau nur noch einstellig.

    Woran lag das?

    Die chinesischen Wettbewerber sind qualitativ besser, aber auch aggressiver bei der Vermarktung ihrer Produkte geworden. Wichtig für uns ist, unsere Marktanteile in den einzelnen Produktsparten zu halten und zu verbessern. Wir können die Maschinen bei ähnlichen Margen günstiger anbieten, wenn wir noch mehr lokalisieren. Das bedeutet nicht unbedingt Umsatzsteigerung aber Marktanteilsteigerung was zu erhöhten Maschinenauslieferungen führt. Bei den Wirtgen Fräsen, unser Brot und Butter Geschäft, haben wir in China einen sehr hohen Marktanteil, trotz der starken lokalen Konkurrenz. Die Fräsen tragen den alten Straßenbelag ab. In anderen Bereichen zum Beispiel bei den Straßenfertigern ist der Marktanteil auch gut. Hier ist allerdings das Konkurrenzumfeld wesentlich schwieriger. Wir sind aber bestens gerüstet, um solche Krisen, wie jetzt durchzustehen.

    Wie unterscheiden Sie sich noch von den chinesischen Herstellern?

    Wir müssen immer etwas besser bleiben. Dafür braucht man ein gutes Management mit Teams, die lange dabeibleiben, weil sie zufrieden sind. So hält man sein Know-how zusammen in einem Markt mit großer personeller Fluktuation. Das gilt auch für das Händlernetz. Wir haben zum Beispiel ein Händlernetz in China, das fast ausschließlich nur Wirtgen Group Maschinen verkauft. Sehr fokussiert, gut trainiert, lange dabei. So schafft man Vertrauen bei den Kunden. Das können übrigens nur lokale Mitarbeiter. Wir waren immer nur 4 bis 6 Ausländer von insgesamt über 650 Mitarbeitern, also rund 1 Prozent. Auch ein Erfolgsgeheimnis.

    Dreht sich die Stimmung gegen Ausländer gerade?

    Das ist schwierig zu sagen. Ich bin mit einer Chinesin verheiratet und über 30 Jahre in China. Ich habe eine andere Sicht auf solche Trends wie jemand, der nur für drei vier Jahre kommt. Was für die ein großer Ausschlag ist, ist für uns nur eine kleine Delle. Aber was wohl offensichtlich richtig ist, dass die Situation für Ausländer derzeit etwas schwieriger geworden ist und es vor allem für deutsche Firmen nicht einfacher geworden ist, Mitarbeiter zu motivieren, nach China zu gehen. Das liegt an den strengen Coronavirus-Maßnahmen bei der Einreise. Aber auch an der Berichterstattung in Europa über China, die meiner Ansicht nach nicht ausgewogen ist.

    Wird es für Ausländer dauerhaft schwieriger?

    Das würde ich pauschal nicht so sehen. Wenn man lange hier ist, nimmt man viele Entwicklungen nicht so ernst, weil man erlebt hat, dass sich das auch wieder ändert. Wichtig dabei: Wir sollten nie vergessen, dass wir – auch ich nach 30 Jahren – Gäste in diesem Land sind. Wenn man sich dessen bewusst ist, kommt man ganz gut über die Runden. Dann ist man ein dankbarer Gast wie ich. Ich war und bin gerne in China.

    Sie hören im Sommer nach 32 Jahren als CEO von Wirtgen China auf, um aus Deutschland als Berater für die Wirtgen Group zu arbeiten. Unter diesen schwierigen Umständen sind sie nun froh, dass Sie gehen können?

    Ganz und gar nicht. Ich mache auch keinen Hehl daraus. Ich gehe mit zwei weinenden Augen. Ich bin immer noch gerne hier. Aber es war meine eigene Entscheidung. Ich bin 66. Da muss einem klar sein, dass es langsam Zeit wird, sich mit dem nächsten Lebensabschnitt zu beschäftigen. Und was mir bei dieser Entscheidung enorm hilfreich war, ist die Gewissheit, dass die Wirtgen China in zuverlässige und erfahrene Hände gelegt wird, die das Geschäft weiter nach vorne bringen werden. Das waren schon verrückte 30 Jahre – mit einer unvorstellbaren Dynamik. Mein Leben halt.

    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Handel
    • Industrie
    • John Deere
    • Maschinenbau

    News

    Tesla baut zweite Fabrik in Shanghai

    Tesla hat den Standort für den geplanten Bau einer zweiten Produktionslinie in Shanghai nahe seiner bestehenden Gigafactory 3 ausgewählt. Das berichtete die South China Morning Post am Mittwoch unter Berufung auf einen Brief des US-amerikanischen Elektroautobauers an die lokalen Behörden. Darin sprach Tesla nach dem Bericht von einer Jahreskapazität der neuen Montagelinie von 450.000 Autos im Jahr. Nach Abschluss der ersten Bauphase sollen dort Fahrzeuge vom Typ Model 3 und Model Y vom Band laufen.

    Der Brief bestätige einen Bericht der Zeitung vom 25. Februar, wonach Tesla den Bau einer zweiten Produktionslinie in Shanghai beabsichtige, um seine Kapazität in China mehr als zu verdoppeln, hieß es. Tesla wolle damit die Rolle des Standorts Shanghai als weltweit “größtes Exportzentrum” festigen. 2019 liefen in der Gigafactory 3 die ersten Model 3-Fahrzeuge vom Band. 2021 produzierte Tesla in Shanghai fast 485.00 Model 3 und Model Y. 321.000 davon wurden in China verkauft, 117 Prozent mehr als 2020. Die restlichen über 160.000 Autos gingen in die wichtigsten Märkte von Tesla wie Deutschland und Japan.

    Derzeit leidet die Tesla-Gigafactory ebenso wie andere Autofabriken unter dem Lockdown in Shanghai. Doch die Fabrik gehörte zu den ersten 666 Standorten, die unter Auflagen ihre Produktion bereits im April wieder hochfahren durften. Tesla litt zunächst ebenso wie viele an Störungen der Lieferkette. Nach Angaben des Fachmagazins InsideEVs produziert Tesla aber inzwischen wieder mit etwa 80 Prozent seiner Kapazität. Reuters berichtete diese Woche über Hilfe der Behörden für Tesla. Die Behörden organisierten im April den Transfer von rund 6.000 Arbeitern für die Closed-Loop-Produktion an den Standort und unterstützten Tesla bei der notwendigen Desinfektion der Fabrik. ck

    • Autoindustrie

    Tesla muss Model-3 zurückrufen

    Der weltgrößte Elektroautobauer Tesla muss erneut Tausende Fahrzeuge seines “Model-3” in China zurückrufen. Insgesamt handele es sich um 14.684 Wagen, die zwischen Januar 2019 und März 2022 produziert worden seien, teilte die chinesische Aufsichtsbehörde mit. Es gehe um Softwareprobleme, die unter Extrembedingungen zu Kollisionen führen könnten. Für Tesla ist es bereits der zweite Rückruf im April. Der US-Konzern musste zuvor bereits rund 128.0000 Model-3-Autos wegen potenzieller Fehler bei Halbleiterteilen in die Werkstätten ordern. rtr/nib

    • Autoindustrie

    Peking vergibt Lizenzen für selbstfahrende Taxis

    Pony.ai und Baidu dürfen in Peking seit Donnerstag weitere selbstfahrende Taxis betreiben. Die zuständigen Behörden haben dafür grünes Licht gegeben, wie die Financial Times berichtet. Allerdings muss demnach ein Fahrer mit im Wagen sitzen, der im Notfall eingreifen kann. Die 14 neu zugelassenen Autos dürfen in einer 60 Quadratkilometer großen Zone im Yizhuang-Bezirk fahren. Zuvor hatten die beiden Unternehmen ein fünfmonatiges Pilotprogramm durchgeführt, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Peking folgt kleineren chinesischen Städten bei der Zulassung der sogenannten Robo-Taxis.

    Das von Toyota unterstützte Pony.ai hatte in der vergangenen Woche schon in Guangzhou eine Lizenz zum Betreiben selbstfahrender Taxis erhalten. Ab Mai sollen 100 Autos auf die Straßen kommen – auch in Guangzhou allerdings mit einem Fahrer hinter dem Steuer. In Kalifornien hatte Pony.ai die Lizenz für Tests ohne menschliche Fahrer nach sechs Monaten wieder verloren. Ein selbstfahrendes Auto war bei einem Spurwechsel gegen ein Verkehrsschild gerast.

    Laut einem Analysten liegt die erfolgreiche Kommerzialisierung selbstfahrender Taxis noch in weiter Ferne. Die Beförderung von Fahrgästen durch fahrerlose Unternehmen koste derzeit mehr Geld als durch normale Taxis und Ride-Hailing-Dienste. nib

    • Autoindustrie

    Chipmangel plagt Hersteller von Autos und Fahrrädern

    Chipmangel und weitere Probleme mit der Teileversorgung belasten nun nicht mehr nur die deutschen Auto-, sondern auch die Fahrradhersteller. “Bei E-Bikes haben wir ein ähnliches Chipproblem wie die Autoindustrie”, zitiert die Nachrichtenagentur dpa Burkhard Stork, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands. “Es fehlen nicht die Akkus, sondern die Chips für die Steuerung der Batterieladung und für die Displays.”

    “In Ländern mit strikten Corona-Beschränkungen wie China, Malaysia, Singapur oder Vietnam standen in den vergangenen zwei Jahren viele Werke zeitweise still, sodass Komponenten und Teile fehlten”, erläuterte Stork. “Die derzeitigen Lockdowns in China führen wieder zu Lieferverzögerungen. Deswegen müssen Produktionspläne kurzfristig geändert werden. Das geht an die Substanz auf beiden Seiten”, sagte der ZIV-Geschäftsführer zur Lage bei Fahrradherstellern und -händlern. 

    Dramatisch bleibt die Lage für die deutschen Autobauer. Der Branchenzeitung “Automobilwoche” zufolge werden sie wegen Problemen mit der Teileversorgung rund 700.000 Autos weniger fertigen können als zu Jahresanfang geplant. Das Medium beruft sich auf Daten des Dienstleisters IHS Markit. Besonders betroffen sei Volkswagen. Die Marke VW verliere in diesem Jahr über eine halbe Million Einheiten. Bei Mercedes fehlten am Ende des Jahres 80.000 geplante Fahrzeuge, bei BMW sogar 100.000. Diese Prognosen stehen unter dem Vorbehalt weiterer Einschränkungen in der Lieferkette durch den Krieg in der Ukraine und den Corona-Lockdown in China, heißt es. rtr/flee

    • Autoindustrie

    Standpunkt

    Produktionsstopp und Lieferkettenstau – Was bedeutet der Lockdown aus rechtlicher Sicht?

    Sebastian Wiendieck und Felix Engelhardt von Rödl & Partner, Shanghai.
    Sebastian Wiendieck und Felix Engelhardt von Rödl & Partner, Shanghai.

    Produktionsstopp und Lieferkettenproblem – was bedeutet der Lockdown in Shanghai aus rechtlicher Sicht?

    Die 26-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai erlebt seit Ende März Lockdown-Maßnahmen, die sich extrem auf die Menschen der Stadt wie auch tausende Unternehmen im Großraum Shanghai auswirken. Für die Wirtschaft bedeutet der Lockdown Stillstand oder ein stark eingeschränktes operatives Geschäft, gestörte Lieferketten, Ausfall von Personal und sonstige Hindernisse. Zur Schadensminimierung versuchen die chinesische Zentral- und Lokalregierungen, der Wirtschaft mithilfe verschiedener Notfallmaßnahmen unter die Arme zu greifen. Trotz dieser Hilfe stellen sich für Unternehmen zahlreiche Fragen, die sich allein mit direkter staatlicher Unterstützung nicht beantworten lassen.

    Wie soll mit dem Produktionsstopp in Shanghai umgegangen werden? Wie sieht die aktuelle Gesetzeslage hierzu aus?

    Die Maßnahmen zur Pandemiekontrolle beruhen vor allem auf Chinas Emergency Response Law, Law on Prevention and Treatment on Infectious Diseases sowie lokalen Durchführungsvorschriften wie den Regulations of Shanghai Municipality on Public Health Emergency Management. In der Theorie können Unternehmen und Einzelpersonen nach diesen Vorschriften gegen rechtswidrige behördliche Maßnahmen vorgehen. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, Rechtsmittel erfolgreich durchzusetzen, wegen der herausragenden Bedeutung des “Kampfes” gegen Covid-19 sehr gering. Allenfalls bei besonders krassen Rechtsverletzungen (wie etwa die Versiegelung von Gebäuden unter evidenter Verletzung brandschutzrechtlicher Vorschriften) kann ein Vorgehen gegen solche Maßnahmen erfolgreich sein. Im Regelfall ist jedoch – auch aus strategischer Sicht – der Weg der Schadensminderung im Rahmen der geltenden Gesetze vorzugswürdig. Unternehmen konzentrieren sich dabei darauf, Umsatzrückgänge durch vorübergehende Kostensenkungen auszugleichen sowie von staatlicher Unterstützung zu profitieren.

    Sowohl auf nationaler als auch lokaler Ebene sind zwischenzeitlich zahlreiche Notfallmaßnahmen erlassen worden, die sich vor allem an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) richten. In Shanghai wurde zum Beispiel ein Paket aus 17 finanziellen Unterstützungsmaßnahmen erlassen. Diese sehen unter anderem Erleichterungen bei der Kreditfinanzierung von KMU vor. Fraglich ist hier allerdings, ob auch ausländische Unternehmen insbesondere bei der Neuvergabe von Krediten zum Zuge kommen.

    Auf Ausgabenseite spielt vor allem die Senkung von Personalkosten, Mieten und Steuern eine große Rolle.

    • Können Angestellte während eines Lockdowns nicht arbeiten, muss trotzdem das vertraglich geschuldete Gehalt fortgezahlt und der Arbeitsvertrag darf während dieser Zeit grundsätzlich nicht gekündigt werden. Viele Unternehmen können die Folgen durch Home-Office etwas abfedern. Sollte dies im konkreten Fall nicht möglich sein, ist es den Unternehmen – nach Konsultation mit den Angestellten – gestattet, Arbeitszeit zu reduzieren oder von Mitarbeitern zu verlangen, bezahlten Urlaub zu nehmen. Zudem kann das Gehalt von Mitarbeitern, die nicht arbeiten können, nach einem Zahlungszyklus (meist ein Monat) auf das lokal gültige Minimalgehalt reduziert werden.
      Derartige Maßnahmen sollten aber stets mit der lokalen Arbeitsbehörde abgestimmt werden. Im produzierenden Gewerbe, wo Home-Office naturgemäß nicht möglich ist, folgen viele Unternehmen seit Wochen einem staatlich verordneten System geschlossener Produktionsabläufe (Closed Loop). Hier ist aus rechtlicher Sicht besonders auf die Vorschriften zum Arbeitsschutz zu achten. Die zuständigen Stellen haben eine Reihe von Maßnahmen verkündigt, die von Unternehmen bei Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs erfüllt werden müssen, um Neuinfektionen zu vermeiden. Die praktische Umsetzung wird viele Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen.       
    • Für Mietzahlungen gilt, dass KMU sowie Einzelunternehmer, die ihre Produktions- und Büroflächen von staatlichen Stellen anmieten, bis zu sechs Monate von der Miete befreit werden können. Laut der Shanghai Municipal State-Owned Assets Supervision and Administration Commission ist für den Mieterlass kein Nachweis erforderlich, dass der Geschäftsbetrieb von den Lockdown-Maßnahmen betroffen ist.

    Welche Möglichkeiten zur Risikobegrenzung bestehen bezüglich anhaltender Lieferkettenprobleme?

    Trotz “Closed Loop” bleibt eines der größten Probleme, dass Unternehmen nicht an dringend benötigte Materialien und Rohstoffe gelangen beziehungsweise ihre eigenen Waren nicht oder nur sehr schlecht aus der eigenen Fabrik bekommen. Shanghai hat mittlerweile eine sogenannte “White List” erlassen, auf der 666 Unternehmen aufgeführt sind und die auf 1.188 Unternehmen ausgeweitet werden soll, die ihren Betrieb wieder aufnehmen dürfen. Zudem besteht die Möglichkeit der Beantragung sogenannter Transportpässe für lebensnotwendige Güter, Arzneimittel, Lebensmittel und strategische Reserven, Stromversorgung, Schlüsselinformationstechnologie und Außenhandel. Davon profitieren aber aktuell nur sehr wenige Unternehmen.

    Ein großes Folgeproblem besteht in der möglichen Verletzung vertraglicher Pflichten in der Lieferkette. Ob sich die Lage im Wege der Rechtfertigung mit “höherer Gewalt” entschärfen lässt, hängt ganz von den konkreten Umständen und dem jeweiligen Vertragsinhalt ab. Bestehen keine vertraglichen Regelungen und unterliegt der jeweilige Vertrag chinesischem Recht, liegt höhere Gewalt nach dem chinesischen Civil Code vor, wenn es sich bei der Epidemie beziehungsweise den daraus folgenden Maßnahmen um ein aus objektiver Sicht unvorhersehbares, unvermeidbares und nicht zu bewältigendes Ereignis handelt.

    Grundsätzlich wurde die COVID-19-Pandemie Anfang 2020 durch das Komitee für legislative Angelegenheiten des Nationalen Volkskongresses als höhere Gewalt eingestuft. Allerdings betonte das Oberste Volksgericht von Shanghai in einer Mitteilung vom 10. April 2022, dass im Einzelfall vor allem die Ursächlichkeit und der Anteil der Pandemie für die vollständige oder teilweise Unmöglichkeit der Vertragserfüllung zu berücksichtigen und eine gerechte Interessenverteilung anzustreben ist. Daher ist auch hier vor einseitigen Aktionen dazu zu raten, zunächst das Gespräch mit dem Vertragspartner zu suchen, da dieser letztlich mit einiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls von den gravierenden Auswirkungen der staatlichen Maßnahmen betroffen ist. Gegenwärtig bleibt für Unternehmen nur, sich bis auf Weiteres sowohl operativ als auch strategisch auf eine Fortsetzung der Maßnahmen einzustellen, was vertragliche Risikoverteilung einschließt.

    Sebastian Wiendieck ist Rechtsanwalt und Partner bei Rödl & Partner in China und betreut in Shanghai mit seinem Team vorwiegend deutsche und europäische Unternehmen, die in China durch Tochtergesellschaften und Niederlassungen vertreten sind oder sich anderweitig im chinesischen Markt engagieren wollen. 

    Felix Engelhardt ist deutscher Rechtsanwalt und als Senior Associate bei Rödl & Partner in Shanghai tätig. Seit 2018 berät er ausländische Unternehmen in unterschiedlichen Bereichen ihres Chinageschäfts, insbesondere zu investitions-, handels- und gesellschaftsrechtlichen Fragen, zum Schutz geistigen Eigentums sowie zu den Themen Cybersicherheit und Datenschutz.

    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Handel
    • Lieferketten

    Personalien

    Matthias Lüttich ist neuer Head of Production System, Operational Excellence and Digitalization bei dem Joint Venture BMW Brilliance Automotive in Shenyang. Es ist bereits sein zweiter Posten bei BMW Brilliance. Von 2016 bis 2020 war Lüttich dort Head of Strategy & Business Control. In der Zwischenzeit arbeitete er bei der BMW Group in München als Leiter Programmplanung und Produktionssteuerung.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen