Table.Briefing: China

Unterschiede im Emissionshandel + Zulieferer Weichai auf der Überholspur

  • Können Brüssel und Peking ihren CO2-Handel verbinden?
  • Zulieferer Weichai profitiert von Zukäufen in Europa
  • Mehr chinesische Studierende in Großbritannien
  • Kuaishou beendet Zynn in den USA
  • Kontroverse um Mao-Pins bleibt folgenlos
  • Standpunkt: Stephen Roach zu Chinas Defizit bei der Privatinitiative
Liebe Leserin, lieber Leser,

der weltgrößte Emissionshandel ist gestartet. Und zwar in China. Und so wie die EU will auch die chinesische Führung mit diesem Instrument im Kampf gegen den Klimawandel die Menge des CO2-Ausstoßes deutlich drosseln. Obwohl die EU als auch China beide vom “Emissionshandel” sprechen, unterscheiden sich ihre Systeme aber erheblich. Der chinesische Emissionshandel ist viel weniger ambitioniert, eine Obergrenze für die thermische Stromerzeugung zum Beispiel fehlt völlig. Bereits vor der offiziellen Einführung des Emissionshandels in China war klar, dass das System in den ersten Jahren kaum Auswirkungen auf die ausgestoßene CO2-Menge in der Volksrepublik haben wird. Wie es dennoch gelingen soll, beide Systeme in naher Zukunft miteinander kompatibel zu machen, analysieren Amelie Richter und Nico Becker.

Sehr viel ambitionierter zeigt sich der chinesische Automobilzulieferer Weichai Power. Durch Zukäufe nicht zuletzt in Deutschland hat sich das Unternehmen aus der Provinz Shandong unter die weltweiten Top 10 katapultiert. Für die schwäbische Konkurrenz stellt das vor neue Herausforderungen, beschreibt Frank Sieren. 

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Felix Lee
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Analyse

Emissionshandel: Brüssel und Peking vor neuen Konflikten

Nach knapp zehn Jahren Vorbereitung hat China einen eigenen Emissionshandel gestartet. Seit gut drei Wochen können Unternehmen für fast 2.200 Kohle- und Gas-Kraftwerke erstmals CO2-Zertifikate kaufen und verkaufen. Das chinesische ETS ist gemessen an den umfassten CO2-Emissionen das größte der Welt. Doch Expert:innen bezweifeln seine Wirkung für den Klimaschutz. Peking drohen in Zukunft sogar Klimaabgaben, weil der chinesische Emissionshandel zu wenig ambitioniert ist und nicht den Anforderungen des europäischen CO2-Grenzausgleichs entspricht.

Zum Handelsstart in China hatte EU-Kommissionsvize und Kommissar für Klimaschutz Frans Timmermans noch Glückwünsche an die Volksrepublik gerichtet. Doch die schönen Worte könnten bald der Vergangenheit angehören. Denn nur zwei Tage vor dem Handelsstart hatte die EU-Kommission selbst zwölf Gesetzesvorschläge im Rahmen ihres Klimapakets für die Europäischen Union vorgelegt. Darin enthalten: Eine mögliche Erweiterung des ETS auf den Schiffsverkehr, ein eigenes ETS für Gebäude und Straßenverkehr – und ein CO2-Grenzausgleich (China.Table berichtete). Dieser sieht vor, dass andere Länder Abgaben auf Produkte zahlen müssen, wenn diese außerhalb der EU unter höherer CO2-Emission produziert wurden. Drittstaaten, die über ein ETS nach europäischem Vorbild verfügen, das zudem mit dem Emissionshandel in der EU verknüpfbar ist, haben Chancen, von der Grenzabgabe ausgenommen zu werden.

Dass die Volksrepublik mit ihrem ETS zeitnah auf der Liste der ausgenommenen Staaten landet, ist aber äußerst unwahrscheinlich. Ein Blick auf die Details: Am Ende des ersten Handelstages kostete eine Tonne CO2 in der Volksrepublik umgerechnet 6,90 Euro. Diese Daten zeigen bereits einen großen Unterschied zum europäischen Emissionshandel – denn in der EU kostet eine Tonne CO2 mittlerweile regelmäßig über 50 Euro. Zudem sind vom EU-Emissionshandel rund 10.000 Anlagen im Energiesektor, aber auch energieintensiven Industriebranchen sowie innereuropäische Flüge erfasst. China liegt hier derzeit noch weit zurück.

Emissionshandel EU und China im Vergleich

Doch nicht nur beim Preis und der Reichweite unterscheiden sich die Systeme maßgeblich. Im chinesischen Handelssystem werden die Emissionszertifikate flexibel zugeteilt. Es gibt keine feste Obergrenze wie viele Treibhausgase die teilnehmenden Unternehmen insgesamt ausstoßen dürfen. Auch ist derzeit nicht geplant, in den kommenden Jahren Zertifikate aus dem Markt zu nehmen und über die Verknappung den Preis für die Verschmutzung der Atmosphäre zu erhöhen. Ebenso müssen chinesische Firmen die Zertifikate nicht ersteigern, sondern bekommen sie kostenlos zugeteilt. Lediglich wenn sie mehr CO2 ausstoßen als ihnen vorher zugestanden wird, müssen sie Verschmutzungsrechte am Markt kaufen.

Chinas ETS derzeit nicht mit EU-Grenzausgleich kompatibel

Expert:innen sehen im derzeitigen System eine geringe Lenkungswirkung hinsichtlich einer Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen (China.Table berichtete). Zum Vergleich: In der EU gibt es eine abnehmende Obergrenze der gehandelten CO2-Zertifikate. Der Emissionshandel ist dadurch kompatibel mit den Klimazielen für 2030. Zudem wird in der EU mittlerweile ein größerer Teil an Emissionsrechten versteigert statt kostenlos zugeteilt. Derzeit ist das Ambitionsniveau des chinesischen Emissionshandels noch zu gering, um in naher Zukunft vom CO2-Grenzausgleich der EU (EU-CBAM) ausgenommen zu werden.

Allerdings ist die Umsetzung erst ab 2026 geplant. Die chinesische Seite hat also noch einige Jahre Zeit, ihren Emissionshandel CBAM-kompatibel zu machen. Analyst:innen gehen auch davon aus, dass der Emissionshandel regelmäßig nachgeschärft wird: Yan Qin, Klimaanalystin von Refinitiv, einem Anbieter von Finanzmarktdaten, sagt im Gespräch mit China.Table, die Behörden seien dabei, “weitere Industriesektoren in das Emissionshandelssystem einzubeziehen, wie beispielsweise die Zement- und Aluminium-Branche im nächsten Jahr” (China.Table berichtete). Das Umweltministerium Chinas verfolge das deutliche Ziel, weitere Industriesektoren bis 2025 in den Emissionshandel zu integrieren. Bei einem bedeuteten Industriesektor könnte es aber noch Probleme geben: Aufgrund der komplexen Berechnung von CO2-Emissionen, sagt Qin, sei “es nicht so einfach, den Stahlsektor in den Emissionshandel zu integrieren”.

Doch selbst wenn es gelänge, alle vom europäischen ETS erfassten Branchen auch in den chinesischen Handel zu integrieren, könnten dennoch Klimazölle durch den CBAM drohen. Die CO2-Preise im chinesischen Emissionshandel würden laut Analystin Qin kaum kurzfristig das europäische Preisniveau erreichen. Qin geht davon aus, dass die CO2-Preise in China bis 2030 auf umgerechnet etwa 21 Euro steigen werden. Für die EU hingegen wird ein Preis von 90 Euro für 2030 erwartet. Es bestehe immer noch die Frage, ob chinesische Industriebetriebe dann die Preisdifferenz zum europäischen Emissionshandel im Rahmen des CBAM zahlen müssten, so Qin.

Die Expert:innen der Beratungsfirma Trivium China erklären, das erste Jahr des Handelssystems ziele vor allem auf die Etablierung des CO2-Marktes in der Volksrepublik: Unternehmen sollen zur Teilnahme ermutigt werden und werden zunächst genug damit zu tun haben, ihre Emissionen überhaupt zu erfassen. Laut Cory Combs, Klima- und Energiespezialist von Trivium China, wird der Aufbau des chinesischen Emissionshandels zwei bis fünf Jahre dauern. Bis dahin werde ein Preismechanismus etabliert sein, der zur Minderung der CO2-Emissionen beitragen könne.

China beklagt “Klimazölle”

Es sei zudem noch viel politische Arbeit zwischen der EU und China nötig, um schwellende Verstimmungen was den CBAM angeht, zu glätten, wie ein in Peking ansässiger ETS-Experte China.Table sagte. Denn die Volksrepublik sieht die geplante Grenzabgabe als von der EU gewollte Handelsbarriere in Form einer CO2-Steuer oder “Klimazoll”. Brüssel müsste es schaffe, seinen Handelspartnern die Klima-Vorschläge nachvollziehbar zu erklären, so der Analyst. Es sei noch ein langer Weg bis beide ETS miteinander verknüpfbar sein könnten.

Und auch Fragen darüber hinaus seien noch offen: Was geschieht, wenn die Preise für eine Tonne CO2 außerhalb der EU höher sind als im europäischen Emissionshandel? Muss die EU dann für die Einfuhr einen Ausgleich zahlen? Quasi ein umgekehrter CBAM? Details wie diese seien noch nicht ausreichend besprochen, so der Analyst. Auch die Einführung eines chinesischen CO2-Grenzausgleichs ist seiner Meinung nach in der Zukunft nicht völlig ausgeschlossen. Amelie Richter/Nico Beckert

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Autozulieferer auf dem Vormarsch

Neunmal so viele chinesische Automobilzulieferer haben es im vergangenen Jahr in die Top 100 geschafft als noch zehn Jahre zuvor. Das haben die Marktanalysten von Berylls Strategy Advisors herausgefunden, die seit 2011 jährlich ein Ranking der 100 umsatzstärksten Zulieferer der Welt zusammenstellen. Mit einem Umsatz von 71 Milliarden Euro führte zum sechsten Mal in Folge Bosch die Liste an. Allerdings lag der Umsatz 2018 noch bei 78 Milliarden. Bis Platz 9 blieb die Liste unverändert. Mit Weichai Power auf dem 10. Platz befindet sich nun erstmals ein chinesisches Unternehmen unter den Top Ten.

Ende 2020 war das Unternehmen aus der Provinz Shandong der größte Motorenhersteller der Welt und größter Maschinenbauer Chinas mit einem Umsatz von umgerechnet knapp 40 Milliarden Euro. Weichai möchte eigenen Angaben zufolge bis 2025 die 100 Milliarden US-Dollar-Marke knacken. Die in Hongkong gelisteten Aktien von Weichai sind seit August 2015 um fast 500 Prozent gestiegen. Weichai Power wurde 1946 in Weifang als Dieselmotorenfabrik gegründet und hat seitdem seine Hauptgeschäftsfelder auf den Zusammenbau von Motoren, Getriebe, Achsen und Kfz-Elektronik ausgeweitet.

Weichai auf weltweiter Shopping-Tour

Vor allem durch internationale Übernahmen konnte der Staatskonzern auf den 10. Platz aufsteigen, dazu gehörten auch deutsche Unternehmen. Zuletzt übernahm Weichai das schwäbische Unternehmen Aradex aus Lorch bei Stuttgart. Das Unternehmen ist mit 80 Mitarbeitern seit mehr als 30 Jahren im Bereich der Antriebstechnik aktiv. Die Wurzeln des Unternehmens liegen in der industriellen Steuerungs- und Antriebstechnik für Produktionsmaschinen.

Aradex hat sich zuletzt allerdings auch auf die Elektrifizierung und Hybridisierung von Nutzfahrzeugen, Baumaschinen und speziellen Schiffen spezialisiert. Neben alternativen Antrieben für Nutzfahrzeuge und Elektromotoren bringt Aradex auch viel Wissen bei DC/DC-Wandlern für Brennstoffzellen mit. Ende 2019 ist Aradex Teil der Weichai Gruppe geworden. Der Vorstand ist seitdem unverändert geblieben, der Aufsichtsrat wurde allerdings neu besetzt. Weichai-Chef Wang Zhixin hat den Vorsitz übernommen, Wu Guogang, ebenfalls von Weichai, agiert als sein Stellvertreter. Weichai hält 80 Prozent der Anteile.

Zudem hält Weichai inzwischen 45 Prozent an dem Wiesbadender Gabelstabler Hersteller Kion. Bereits 2012 war Weichai mit 738 Millionen Euro eingestiegen und hielt auf einen Schlag 25 Prozent des hessischen Unternehmens. Es war damals die größte Investition eines chinesischen Unternehmens in Deutschland. In Deutschland wurde das Unternehmen erstmals 2012 durch die Übernahme von Linde Hydraulics bekannt, einem Hersteller aus Aschaffenburg, der sich auf hydraulische Antriebssysteme für Gabelstapler, Landmaschinen und Lkw spezialisiert hat.

Ebenfalls die Mehrheit (51 Prozent) hält Weichai an VDS Holding GmbH, einem global agierenden Hightech- Unternehmen aus Wolfern in Oberösterreich. VDS ist auf die Entwicklung und Fertigung von innovativen Antriebssystemen für Arbeitsmaschinen, Kommunalanwendungen, Baumaschinen und hoch-geländegängigen Fahrzeugen spezialisiert. Es wurde 2020 verkauft. Zudem hält Weichai seit 2019 mit 51 Prozent auch die Mehrheit an Power Solutions International, Inc. (PSI) aus Chicago, einem führenden Hersteller von umweltfreundlichen Antrieben wie etwa Gasmotoren. Die politischen Querelen zwischen Peking und der US-Regierung unter Donald Trump konnte diesem Deal nichts anhaben.

Bereits 2018 schloss Weichai mit dem kanadischen Brennstoffzellenhersteller Ballard Power Systems eine strategische Partnerschaft. Weichai erwarb damals für 163 Millionen Dollar einen Anteil von 19,9 Prozent an Ballard. Zudem hat das Unternehmen den südfranzösische Bootmotoren Hersteller Baudouin und den italienischen Yachtbauer Ferretti Group übernommen, einem der weltweit größten Hersteller von Yachten. Der Anteil von 27 Prozent kostete Weichai 2012 rund 178 Millionen Euro. Weichai selbst zählt heute weltweit rund 95.000 Mitarbeiter.

Chinas lokale Expertise wächst

Neben Weichai konnten acht weitere chinesische Autozulieferer Plätze in den Top 100 ergattern. Sie profitierten zum einen davon, dass sich die Wirtschaft schneller von den Auswirkungen des Coronavirus erholte als im Westen. Zum anderen wächst mit dem chinesischen Automobilmarkt die lokale Expertise und die Nachfrage nach Produkten heimischer Unternehmen stetig, wobei nun auch immer mehr Tech-Konzerne wie Huawei mitmischen.

Das Auto wird in China immer mehr zum voll vernetzten High-Tech-Produkt. Auch deutsche Zulieferer wie ZF reagieren auf die Entwicklung und bieten immer mehr Software an. Auf der Automesse in diesem Frühjahr in Shanghai stellte das Unternehmen vom Bodensee die nächste Generation seines Hochleistungsrechners vor, den ZF Pro AI. “Er ist der derzeit flexibelste, skalierbarste und leistungsstärkste Supercomputer der Welt für die Automobilindustrie”, sagte Holger Klein, ZF-Vorstand für die Region Asien-Pazifik während der Präsentation. Auch die wachsende Bedeutung von Batterien und Halbleitern spielt bei der Hinwendung zu Asien eine Rolle. Unternehmen wie CATL, TSMC, Panasonic, BYD oder LG Chem haben sich zu den wichtigsten globalen Lieferanten entwickelt. 

Langsame Erholung für global aufgestellte Zulieferer

Mit den vielen Produktionsunterbrechungen hat die Corona-Pandemie allerdings auch bei den global agierenden Automobilzulieferern deutliche Spuren hinterlassen. Die 100 größten Konzerne 2020 lagen bei ihren Umsätzen um 12,7 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. 2019 hatten sie noch eine Umsatzsteigerung von 4,3 Prozent erreicht. Weichai hat hingegen nur Einbußen von zwei Prozent hinnehmen müssen. Weniger als zehn Zulieferer konnten 2020 ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigern. Bei den deutschen Zulieferern gelang das lediglich Infineon.

Der Autozulieferer ZF hatte 2020 ein Minus von 177 Millionen Euro zu verzeichnen. Im ersten Halbjahr 2021 konnte das Unternehmen vom Bodensee seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum jedoch wieder um 43 Prozent auf 19,3 Milliarden Euro steigern.

  • Autoindustrie
  • Wachstum

News

China toppt EU an britischen Universitäten

Nach dem Brexit gibt es in Großbritannien erstmals mehr Studieninteressierte aus China als aus der EU. Die Zahl der Bewerber aus der EU ging nach Angaben des britischen Hochschulzulassungsdienstes UCAS um 43 Prozent auf 28.400 zurück. Dem stehen 28.490 Bewerbungen aus China gegenüber. Die Zahl der Bewerber:innen aus der Volksrepublik habe sich seit 2017 mehr als verdoppelt. Der starke Rückgang der Bewerberzahlen aus der EU sei “enttäuschend”, aber zu erwarten gewesen, zitierte die Nachrichtenagentur Bloomberg die Leiterin der Lobbygruppe Universities U.K., Stephanie Harris. Seit dem Brexit müssen EU-Studenten an den meisten britischen Universitäten höhere Gebühren zahlen.

Die Verschiebung bei der Herkunft der Studierenden fällt in ein Umfeld der Spannungen zwischen London und Peking wegen mehrerer Streitpunkte. Britische Geheimdienste hatten dem Bloomberg-Bericht zufolge Bedenken hinsichtlich der Verbindungen zwischen Universitäten und der chinesischen Regierung geäußert.

Die britischen Bildungseinrichtungen bräuchten die Studierenden aus dem Ausland jedoch, erklärt Nick Hillman vom Think-tank Higher Education Policy Institute (HEPI). Denn internationale Studierende trugen einer HEPI-Studie zufolge allein in den Jahren 2015/16 schätzungsweise 22,6 Milliarden Pfund (rund 26 Milliarden Euro) zur britischen Wirtschaft bei. Britische Universitäten würden nun “einen sehr kalten Wind spüren”, wenn chinesische Student:innen nicht mehr kommen würden, sagte Hillman.

  • Bildung
  • Gesellschaft
  • Großbritannien

Kuaishou beendet Zynn-App in den USA

Bytedance-Rivale Kuaishou Technology hat seiner Video-Sharing-App Zynn in den USA den Stecker gezogen. Das chinesische Social-Media-Unternehmen haben den Benutzer:innen am Mittwoch in einer Nachricht mitgeteilt, dass Zynn zum 20. August eingestellt werde, berichtet Bloomberg. Die App, ein Tiktok-Lookalike, der erst im vergangenen Jahr für nordamerikanische Märkte eingeführt wurde, wird demnach alle Benutzerdaten 45 Tage nach der Abschaltung entfernen. Andere Produkte von Kuaishou in Übersee seien von der jüngsten Maßnahme aber nicht betroffen, zitiert der Bericht das chinesische Internetunternehmen, das auch die Apps Kwai und SnackVideo für Märkte wie Brasilien und Indonesien betreibt. Nähere Angaben zu den Hintergründen des Zynn-Endes machte Kuaishou nicht.

Die App hatte Probleme, Nutzer:innen in den USA anzuziehen. Die Smartphone-Anwendung hatte im Juni dieses Jahres nur 200.000 aktive Nutzer:innen monatlich, im Vergleich zu noch etwa drei Millionen im August vergangenen Jahres, wie das Technologie-Nachrichtenportal Techcrunch berichtete. Eine Überprüfung im vergangenen Jahr hatte demnach ergeben, dass Zynn Benutzer:innen dafür bezahlte, Videos anzusehen, um sein Ranking im US-amerikanischen iOS App Store zu verbessern. Die App war außerdem aus dem Play Store geblockt worden, nachdem Berichten zufolge die Plattform mit aus anderen Apps gestohlenen Videos übersät war. ari

  • Kuaishou
  • Technologie
  • USA

Olympia: Mao-Pin bleibt folgenlos

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verzichtet auf eine Bestrafung für das chinesische Bahnrad-Duo Bao Shanju und Zhong Tianshi. Die Olympia-Goldmedaillengewinnerinnen im Teamsprint hatten am Montag bei der Siegerehrung jeweils einen Ansteck-Pin mit dem Kopf des chinesischen Staatsgründers Mao Zedong an ihrem Trainingsanzug getragen (China.Table berichtete). Laut Artikel 50 der olympischen Charta sind politische Symbole im Rahmen der Wettkämpfe jedoch verboten. Besonders bei Siegerehrungen fordert das IOC strikte Neutralität. Die chinesische Mannschaftsleitung habe versichert, “dass das nicht noch einmal passieren wird”, sagte ein IOC-Sprecher am Mittwoch. grz

  • Mao Zedong
  • Olympia
  • Sport

Presseschau

With the Delta variant spreading is China’s ‘zero tolerance’ Covid approach over? THE GUARDIAN
Hong Kong museum commemorating 1989 Tiananmen victims reopens online INDEPENDENT
Boeing 737 Max Heads to China for Key Test to End Flight Ban BLOOMBERG (PAY)
Short sellers double bets against China Evergrande’s bonds FT (PAY)
Wang Yi calls for economic integration in East Asia GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
Buch über Chinas Geschichte: Das Land der vielen goldenen Zeitalter FAZ
Aktien Asien/Pazifik: Meist Gewinne – Sportartikelaktien in China gefragt HANDELSBLATT
Die HSG und China als Lehrstück – wo die Angst regiert, stirbt die Freiheit NZZ (PAY)
Daimler: China-Absatz geht im Juli in die Knie – was macht die Aktie daraus? DER AKTIONÄR
Peking zieht Daumenschrauben an: Chinas Tech-Tycoone verlieren Milliarden N-TV

Standpunkt

Chinas Defizit bei der Privatinitiative

Von Stephen S. Roach
Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management

Was die chinesische Wirtschaft betrifft, war ich 25 Jahre lang optimistisch. Aber nun habe ich ernsthafte Zweifel. Bei ihrem Umgang mit dem dynamischen chinesischen Technologiesektor, dem Antriebsmotor der chinesischen “New Economy”, steckt die Regierung des Landes in einer Sackgasse. Ihre jüngsten Aktionen sind symptomatisch für ein tieferes Problem: die staatlichen Bemühungen, die Energie der Privatinitiativen und die irrationalen Handlungsbedürfnisse (“animal spirits”) zu kontrollieren. So könnte nun der chinesische Traum gefährdet sein – Präsident Xi Jinpings Vision eines “großen, modernen sozialistischen Landes” bis 2049.

Als die Behörden den ungehorsamen Jack Ma maßregelten, dem Gründer der weltgrößten Internethandelsplattform Alibaba, schien es zunächst so, als ob sie mit ihm ein einmaliges persönliches Problem hätten. Mit seinen Kommentaren bei einem Shanghaier Finanzforum Ende Oktober 2020 über die “Pfandleih”-Mentalität des auf Banken ausgerichteten chinesischen Finanzsystems hatte Ma bei der chinesischen Führung eine rote Linie überschritten. Zu Beginn des Folgemonats wurde dann der Börsengang der Ant Group, des gigantischen Fintech-Ablegers von Alibaba, der ein rekordverdächtiges Volumen von 34 Milliarden Dollar hatte, weniger als 48 Stunden vor der geplanten Durchführung abgesagt. Fünf Monate später musste dann Alibaba selbst eine Strafe in Rekordhöhe von 2,8 Milliarden Dollar für angebliche Monopolverletzungen zahlen.

Jetzt ist Didi Chuxing an der Reihe. Didi, der Uber-ähnliche chinesische Mitfahrdienst, hatte offensichtlich gehofft, sich – trotz Gerüchten über die Bedenken chinesischer Politiker – an den US-Kapitalmärkten 4,4 Milliarden Dollar beschaffen zu können. Nachdem über 25 der Didi-Apps auf chinesischen Internetplattformen gesperrt wurden, ist nun von einer vielleicht noch höheren Strafe als für Alibaba die Rede – oder gar von einem möglichen De-Listing.

Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass auch gegen viele andere führende chinesische Technologiekonzerne durchgegriffen wird – darunter Tencent (Internet-Konglomerat), Meituan (Lebensmittellieferdienst), Pinduoduo (E-Commerce), Full Truck Alliance (die Apps Huochebang und Yunmanman zur LKW-Ladungsvermittlung), Kanzhun’s Boss Zhipin (Beschäftigung) und Online-Unternehmen für Privatunterricht wie TAL Education Group oder Gaotu Techedu. Und all dem gingen bereits die harten chinesischen Maßnahmen gegen Kryptowährungen voran.

Gute Gründe, aber zweifelhafte Motive

Es ist nicht so, dass es für Chinas Anti-Tech-Aktionen keine Gründe gibt – besonders in einigen Fällen wie bei den Kryptowährungen. Die am häufigsten geäußerte Rechtfertigung ist die Datensicherheit. Dies ist einerseits verständlich, weil die chinesische Führung so großen Wert auf ihre Eigentumsrechte über “Big Data” legt, die ihren geplanten Durchbruch bei der künstlichen Intelligenz befeuern sollen. Aber da ein Großteil der Daten durch die heimliche Beobachtung im Rahmen des Überwachungsstaats gewonnen wurde, schmeckt die ganze Sache auch nach Heuchelei.

Rechtfertigung ist jedenfalls nicht das Thema. Rückblickend können Handlungen immer erklärt oder rationalisiert werden. Der Punkt ist, dass die chinesischen Behörden – aus welchem Grund auch immer – die ganze Macht ihrer Regulierungsmöglichkeiten einsetzen, um die Geschäftsmodelle und Finanzierungsmöglichkeiten des dynamischsten Sektors im Land abzuwürgen.

Außerdem ist der Angriff auf die Technologieunternehmen nicht das einzige Beispiel für Maßnahmen zur Einschränkung der Privatwirtschaft. Auch die chinesischen Verbraucher leiden. Die schnelle Alterung der Bevölkerung und mangelnde soziale Sicherheitsnetze für Renten und Gesundheitsfürsorge tragen dazu bei, dass die Haushalte immer noch nicht bereit sind, ihre Sicherheitsersparnisse für Dinge wie Autos, Möbel, Geräte, Freizeit, Unterhaltung, Reisen oder andere Statussymbole fortgeschrittenerer Konsumgesellschaften auszugeben.

Der absolute Umfang dieser Aktivitäten ist natürlich gigantisch – wie alles in China. Aber als Anteil an der Gesamtwirtschaft betrachtet liegt der Haushaltskonsum immer noch unter 40% des BIP – was der geringste Wert aller großen Volkswirtschaften ist.

Dies liegt daran, dass China noch keine Vertrauenskultur geschaffen hat, innerhalb derer die riesige Bevölkerung des Landes bereit wäre, ihre Spar- und Konsummuster zu ändern. Nur wenn sich die Haushalte trotz einer unsicheren Zukunft sicherer fühlen, werden sie ihren Horizont erweitern und zu einem expansiveren Lebensstil übergehen. Und um dies zu erreichen, ist nicht weniger als eine verbrauchergestützte Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft erforderlich.

Mangelndes gegenseitiges Vertrauen als Achillesferse

Das Vertrauen der Unternehmen und Verbraucher ist eine entscheidende Grundlage aller Volkswirtschaften. George Akerlof und Robert Shiller, die Nobelpreisträger für Ökonomie, betrachten Vertrauen als Eckpfeiler einer umfassenderen Theorie der “Animal Spirits“. Dieser Begriff, der in den 1930ern von John Maynard Keynes bekannt gemacht wurde, wird am besten als “spontanes Handlungsbedürfnis” definiert, das die Gesamtnachfrage weit über die Grundlage des persönlichen Einkommens oder der Unternehmensgewinne hinaus beeinflusst.

Keynes betrachtete dieses private Handlungsbedürfnis als Essenz des Kapitalismus. Für China mit seinem gemischten Modell eines marktorientierten Sozialismus hat dieses Phänomen aber einen anderen Stellenwert. Der Staat spielt dort eine viel aktivere Rolle bei der Lenkung von Märkten, Unternehmen und Verbrauchern als in anderen großen Volkswirtschaften. Trotzdem benötigt die chinesische Wirtschaft, um sich zu entwickeln, ebenso wie alle anderen eine Grundlage des Vertrauens – Vertrauen in die Konsistenz der Führungsprioritäten, in transparente Verwaltung und in kluge Regulierung.

Diese Grundlage des Vertrauens, die dem Handlungsbedürfnis zugrunde liegt, ist im modernen China allerdings nicht vorhanden. Bereits seit langem behindert diese Tatsache den chinesischen Konsum. Jetzt greift das Misstrauen auch auf den Unternehmenssektor über. Dass die Regierung die Technologieunternehmen angreift, läuft der Kreativität, Energie und puren harten Arbeit, die dieser Sektor benötigt, um in einem Umfeld intensiver Konkurrenz wachsen und gedeihen zu können, diametral entgegen.

Ich habe mich häufig skeptisch über das Ausmaß angstbedingten Sparverhaltens geäußert, das die konsumorientierte chinesische Neuausrichtung enorm behindert. Aber die jüngsten Aktionen der Behörden gegen den Technologiesektor könnten ein Wendepunkt sein. Ohne unternehmerische Energie wird die Kreativität der chinesischen New Economy ins Stocken geraten – ebenso wie die Hoffnungen auf die lang versprochene Steigerung einheimischer Innovationen.

Chinas zunehmender Mangel an “animal spirits” könnte auch meiner eigenen, traditionell optimistischen Prognose für das “Next China” – dem Titel eines Seminars, das ich seit elf Jahren in Yale gebe – einen schweren, möglicherweise tödlichen Schlag versetzen. Nun warne ich meine Studenten des ersten Semesters, dass sich der Lehrplan schnell ändern könnte. Übersetzung: Harald Eckhoff

Stephen S. Roach ist Fakultätsmitglied der Yale University, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia und Verfasser von Unbalanced: The Codependency of America and China.

Copyright: Project Syndicate, 2021.
www.project-syndicate.org

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  • Didi
  • Meituan
  • Pinduoduo
  • Technologie
  • Tencent

Personalien

Bastian Grund ist von der Position als Head of BioLab bei Evonik in Shanghai zurück nach Deutschland gewechselt. Er arbeitet nun als Referent für Group Controlling in Hanau, ebenfalls bei Evonik.

Tobias Hofemeier ist seit Anfang Juni Air Logistics Director für Hongkong, Macau und South China beim Logistik- und Gütertransportunternehmen Kühne + Nagel. Er war zuvor als European Gateway and Procurement Manager Air Logistics tätig.

Dessert

Viele chinesische Großstädte schalten wieder auf Lockdown-Modus, nachdem das Land gleich in mehreren Provinzen den größten Corona-Ausbruch seit mehr als einem Jahr erlebt. Das Tragen eines Mundschutzes ist wieder Pflicht. So auch für diesen Fahrer in der Nähe des Shanghaier Flughafens Pudong. Dort hat es ebenfalls mehrere Infektionsfälle gegeben.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Zulieferer Weichai profitiert von Zukäufen in Europa
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    • Kuaishou beendet Zynn in den USA
    • Kontroverse um Mao-Pins bleibt folgenlos
    • Standpunkt: Stephen Roach zu Chinas Defizit bei der Privatinitiative
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der weltgrößte Emissionshandel ist gestartet. Und zwar in China. Und so wie die EU will auch die chinesische Führung mit diesem Instrument im Kampf gegen den Klimawandel die Menge des CO2-Ausstoßes deutlich drosseln. Obwohl die EU als auch China beide vom “Emissionshandel” sprechen, unterscheiden sich ihre Systeme aber erheblich. Der chinesische Emissionshandel ist viel weniger ambitioniert, eine Obergrenze für die thermische Stromerzeugung zum Beispiel fehlt völlig. Bereits vor der offiziellen Einführung des Emissionshandels in China war klar, dass das System in den ersten Jahren kaum Auswirkungen auf die ausgestoßene CO2-Menge in der Volksrepublik haben wird. Wie es dennoch gelingen soll, beide Systeme in naher Zukunft miteinander kompatibel zu machen, analysieren Amelie Richter und Nico Becker.

    Sehr viel ambitionierter zeigt sich der chinesische Automobilzulieferer Weichai Power. Durch Zukäufe nicht zuletzt in Deutschland hat sich das Unternehmen aus der Provinz Shandong unter die weltweiten Top 10 katapultiert. Für die schwäbische Konkurrenz stellt das vor neue Herausforderungen, beschreibt Frank Sieren. 

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    Emissionshandel: Brüssel und Peking vor neuen Konflikten

    Nach knapp zehn Jahren Vorbereitung hat China einen eigenen Emissionshandel gestartet. Seit gut drei Wochen können Unternehmen für fast 2.200 Kohle- und Gas-Kraftwerke erstmals CO2-Zertifikate kaufen und verkaufen. Das chinesische ETS ist gemessen an den umfassten CO2-Emissionen das größte der Welt. Doch Expert:innen bezweifeln seine Wirkung für den Klimaschutz. Peking drohen in Zukunft sogar Klimaabgaben, weil der chinesische Emissionshandel zu wenig ambitioniert ist und nicht den Anforderungen des europäischen CO2-Grenzausgleichs entspricht.

    Zum Handelsstart in China hatte EU-Kommissionsvize und Kommissar für Klimaschutz Frans Timmermans noch Glückwünsche an die Volksrepublik gerichtet. Doch die schönen Worte könnten bald der Vergangenheit angehören. Denn nur zwei Tage vor dem Handelsstart hatte die EU-Kommission selbst zwölf Gesetzesvorschläge im Rahmen ihres Klimapakets für die Europäischen Union vorgelegt. Darin enthalten: Eine mögliche Erweiterung des ETS auf den Schiffsverkehr, ein eigenes ETS für Gebäude und Straßenverkehr – und ein CO2-Grenzausgleich (China.Table berichtete). Dieser sieht vor, dass andere Länder Abgaben auf Produkte zahlen müssen, wenn diese außerhalb der EU unter höherer CO2-Emission produziert wurden. Drittstaaten, die über ein ETS nach europäischem Vorbild verfügen, das zudem mit dem Emissionshandel in der EU verknüpfbar ist, haben Chancen, von der Grenzabgabe ausgenommen zu werden.

    Dass die Volksrepublik mit ihrem ETS zeitnah auf der Liste der ausgenommenen Staaten landet, ist aber äußerst unwahrscheinlich. Ein Blick auf die Details: Am Ende des ersten Handelstages kostete eine Tonne CO2 in der Volksrepublik umgerechnet 6,90 Euro. Diese Daten zeigen bereits einen großen Unterschied zum europäischen Emissionshandel – denn in der EU kostet eine Tonne CO2 mittlerweile regelmäßig über 50 Euro. Zudem sind vom EU-Emissionshandel rund 10.000 Anlagen im Energiesektor, aber auch energieintensiven Industriebranchen sowie innereuropäische Flüge erfasst. China liegt hier derzeit noch weit zurück.

    Emissionshandel EU und China im Vergleich

    Doch nicht nur beim Preis und der Reichweite unterscheiden sich die Systeme maßgeblich. Im chinesischen Handelssystem werden die Emissionszertifikate flexibel zugeteilt. Es gibt keine feste Obergrenze wie viele Treibhausgase die teilnehmenden Unternehmen insgesamt ausstoßen dürfen. Auch ist derzeit nicht geplant, in den kommenden Jahren Zertifikate aus dem Markt zu nehmen und über die Verknappung den Preis für die Verschmutzung der Atmosphäre zu erhöhen. Ebenso müssen chinesische Firmen die Zertifikate nicht ersteigern, sondern bekommen sie kostenlos zugeteilt. Lediglich wenn sie mehr CO2 ausstoßen als ihnen vorher zugestanden wird, müssen sie Verschmutzungsrechte am Markt kaufen.

    Chinas ETS derzeit nicht mit EU-Grenzausgleich kompatibel

    Expert:innen sehen im derzeitigen System eine geringe Lenkungswirkung hinsichtlich einer Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen (China.Table berichtete). Zum Vergleich: In der EU gibt es eine abnehmende Obergrenze der gehandelten CO2-Zertifikate. Der Emissionshandel ist dadurch kompatibel mit den Klimazielen für 2030. Zudem wird in der EU mittlerweile ein größerer Teil an Emissionsrechten versteigert statt kostenlos zugeteilt. Derzeit ist das Ambitionsniveau des chinesischen Emissionshandels noch zu gering, um in naher Zukunft vom CO2-Grenzausgleich der EU (EU-CBAM) ausgenommen zu werden.

    Allerdings ist die Umsetzung erst ab 2026 geplant. Die chinesische Seite hat also noch einige Jahre Zeit, ihren Emissionshandel CBAM-kompatibel zu machen. Analyst:innen gehen auch davon aus, dass der Emissionshandel regelmäßig nachgeschärft wird: Yan Qin, Klimaanalystin von Refinitiv, einem Anbieter von Finanzmarktdaten, sagt im Gespräch mit China.Table, die Behörden seien dabei, “weitere Industriesektoren in das Emissionshandelssystem einzubeziehen, wie beispielsweise die Zement- und Aluminium-Branche im nächsten Jahr” (China.Table berichtete). Das Umweltministerium Chinas verfolge das deutliche Ziel, weitere Industriesektoren bis 2025 in den Emissionshandel zu integrieren. Bei einem bedeuteten Industriesektor könnte es aber noch Probleme geben: Aufgrund der komplexen Berechnung von CO2-Emissionen, sagt Qin, sei “es nicht so einfach, den Stahlsektor in den Emissionshandel zu integrieren”.

    Doch selbst wenn es gelänge, alle vom europäischen ETS erfassten Branchen auch in den chinesischen Handel zu integrieren, könnten dennoch Klimazölle durch den CBAM drohen. Die CO2-Preise im chinesischen Emissionshandel würden laut Analystin Qin kaum kurzfristig das europäische Preisniveau erreichen. Qin geht davon aus, dass die CO2-Preise in China bis 2030 auf umgerechnet etwa 21 Euro steigen werden. Für die EU hingegen wird ein Preis von 90 Euro für 2030 erwartet. Es bestehe immer noch die Frage, ob chinesische Industriebetriebe dann die Preisdifferenz zum europäischen Emissionshandel im Rahmen des CBAM zahlen müssten, so Qin.

    Die Expert:innen der Beratungsfirma Trivium China erklären, das erste Jahr des Handelssystems ziele vor allem auf die Etablierung des CO2-Marktes in der Volksrepublik: Unternehmen sollen zur Teilnahme ermutigt werden und werden zunächst genug damit zu tun haben, ihre Emissionen überhaupt zu erfassen. Laut Cory Combs, Klima- und Energiespezialist von Trivium China, wird der Aufbau des chinesischen Emissionshandels zwei bis fünf Jahre dauern. Bis dahin werde ein Preismechanismus etabliert sein, der zur Minderung der CO2-Emissionen beitragen könne.

    China beklagt “Klimazölle”

    Es sei zudem noch viel politische Arbeit zwischen der EU und China nötig, um schwellende Verstimmungen was den CBAM angeht, zu glätten, wie ein in Peking ansässiger ETS-Experte China.Table sagte. Denn die Volksrepublik sieht die geplante Grenzabgabe als von der EU gewollte Handelsbarriere in Form einer CO2-Steuer oder “Klimazoll”. Brüssel müsste es schaffe, seinen Handelspartnern die Klima-Vorschläge nachvollziehbar zu erklären, so der Analyst. Es sei noch ein langer Weg bis beide ETS miteinander verknüpfbar sein könnten.

    Und auch Fragen darüber hinaus seien noch offen: Was geschieht, wenn die Preise für eine Tonne CO2 außerhalb der EU höher sind als im europäischen Emissionshandel? Muss die EU dann für die Einfuhr einen Ausgleich zahlen? Quasi ein umgekehrter CBAM? Details wie diese seien noch nicht ausreichend besprochen, so der Analyst. Auch die Einführung eines chinesischen CO2-Grenzausgleichs ist seiner Meinung nach in der Zukunft nicht völlig ausgeschlossen. Amelie Richter/Nico Beckert

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    Autozulieferer auf dem Vormarsch

    Neunmal so viele chinesische Automobilzulieferer haben es im vergangenen Jahr in die Top 100 geschafft als noch zehn Jahre zuvor. Das haben die Marktanalysten von Berylls Strategy Advisors herausgefunden, die seit 2011 jährlich ein Ranking der 100 umsatzstärksten Zulieferer der Welt zusammenstellen. Mit einem Umsatz von 71 Milliarden Euro führte zum sechsten Mal in Folge Bosch die Liste an. Allerdings lag der Umsatz 2018 noch bei 78 Milliarden. Bis Platz 9 blieb die Liste unverändert. Mit Weichai Power auf dem 10. Platz befindet sich nun erstmals ein chinesisches Unternehmen unter den Top Ten.

    Ende 2020 war das Unternehmen aus der Provinz Shandong der größte Motorenhersteller der Welt und größter Maschinenbauer Chinas mit einem Umsatz von umgerechnet knapp 40 Milliarden Euro. Weichai möchte eigenen Angaben zufolge bis 2025 die 100 Milliarden US-Dollar-Marke knacken. Die in Hongkong gelisteten Aktien von Weichai sind seit August 2015 um fast 500 Prozent gestiegen. Weichai Power wurde 1946 in Weifang als Dieselmotorenfabrik gegründet und hat seitdem seine Hauptgeschäftsfelder auf den Zusammenbau von Motoren, Getriebe, Achsen und Kfz-Elektronik ausgeweitet.

    Weichai auf weltweiter Shopping-Tour

    Vor allem durch internationale Übernahmen konnte der Staatskonzern auf den 10. Platz aufsteigen, dazu gehörten auch deutsche Unternehmen. Zuletzt übernahm Weichai das schwäbische Unternehmen Aradex aus Lorch bei Stuttgart. Das Unternehmen ist mit 80 Mitarbeitern seit mehr als 30 Jahren im Bereich der Antriebstechnik aktiv. Die Wurzeln des Unternehmens liegen in der industriellen Steuerungs- und Antriebstechnik für Produktionsmaschinen.

    Aradex hat sich zuletzt allerdings auch auf die Elektrifizierung und Hybridisierung von Nutzfahrzeugen, Baumaschinen und speziellen Schiffen spezialisiert. Neben alternativen Antrieben für Nutzfahrzeuge und Elektromotoren bringt Aradex auch viel Wissen bei DC/DC-Wandlern für Brennstoffzellen mit. Ende 2019 ist Aradex Teil der Weichai Gruppe geworden. Der Vorstand ist seitdem unverändert geblieben, der Aufsichtsrat wurde allerdings neu besetzt. Weichai-Chef Wang Zhixin hat den Vorsitz übernommen, Wu Guogang, ebenfalls von Weichai, agiert als sein Stellvertreter. Weichai hält 80 Prozent der Anteile.

    Zudem hält Weichai inzwischen 45 Prozent an dem Wiesbadender Gabelstabler Hersteller Kion. Bereits 2012 war Weichai mit 738 Millionen Euro eingestiegen und hielt auf einen Schlag 25 Prozent des hessischen Unternehmens. Es war damals die größte Investition eines chinesischen Unternehmens in Deutschland. In Deutschland wurde das Unternehmen erstmals 2012 durch die Übernahme von Linde Hydraulics bekannt, einem Hersteller aus Aschaffenburg, der sich auf hydraulische Antriebssysteme für Gabelstapler, Landmaschinen und Lkw spezialisiert hat.

    Ebenfalls die Mehrheit (51 Prozent) hält Weichai an VDS Holding GmbH, einem global agierenden Hightech- Unternehmen aus Wolfern in Oberösterreich. VDS ist auf die Entwicklung und Fertigung von innovativen Antriebssystemen für Arbeitsmaschinen, Kommunalanwendungen, Baumaschinen und hoch-geländegängigen Fahrzeugen spezialisiert. Es wurde 2020 verkauft. Zudem hält Weichai seit 2019 mit 51 Prozent auch die Mehrheit an Power Solutions International, Inc. (PSI) aus Chicago, einem führenden Hersteller von umweltfreundlichen Antrieben wie etwa Gasmotoren. Die politischen Querelen zwischen Peking und der US-Regierung unter Donald Trump konnte diesem Deal nichts anhaben.

    Bereits 2018 schloss Weichai mit dem kanadischen Brennstoffzellenhersteller Ballard Power Systems eine strategische Partnerschaft. Weichai erwarb damals für 163 Millionen Dollar einen Anteil von 19,9 Prozent an Ballard. Zudem hat das Unternehmen den südfranzösische Bootmotoren Hersteller Baudouin und den italienischen Yachtbauer Ferretti Group übernommen, einem der weltweit größten Hersteller von Yachten. Der Anteil von 27 Prozent kostete Weichai 2012 rund 178 Millionen Euro. Weichai selbst zählt heute weltweit rund 95.000 Mitarbeiter.

    Chinas lokale Expertise wächst

    Neben Weichai konnten acht weitere chinesische Autozulieferer Plätze in den Top 100 ergattern. Sie profitierten zum einen davon, dass sich die Wirtschaft schneller von den Auswirkungen des Coronavirus erholte als im Westen. Zum anderen wächst mit dem chinesischen Automobilmarkt die lokale Expertise und die Nachfrage nach Produkten heimischer Unternehmen stetig, wobei nun auch immer mehr Tech-Konzerne wie Huawei mitmischen.

    Das Auto wird in China immer mehr zum voll vernetzten High-Tech-Produkt. Auch deutsche Zulieferer wie ZF reagieren auf die Entwicklung und bieten immer mehr Software an. Auf der Automesse in diesem Frühjahr in Shanghai stellte das Unternehmen vom Bodensee die nächste Generation seines Hochleistungsrechners vor, den ZF Pro AI. “Er ist der derzeit flexibelste, skalierbarste und leistungsstärkste Supercomputer der Welt für die Automobilindustrie”, sagte Holger Klein, ZF-Vorstand für die Region Asien-Pazifik während der Präsentation. Auch die wachsende Bedeutung von Batterien und Halbleitern spielt bei der Hinwendung zu Asien eine Rolle. Unternehmen wie CATL, TSMC, Panasonic, BYD oder LG Chem haben sich zu den wichtigsten globalen Lieferanten entwickelt. 

    Langsame Erholung für global aufgestellte Zulieferer

    Mit den vielen Produktionsunterbrechungen hat die Corona-Pandemie allerdings auch bei den global agierenden Automobilzulieferern deutliche Spuren hinterlassen. Die 100 größten Konzerne 2020 lagen bei ihren Umsätzen um 12,7 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. 2019 hatten sie noch eine Umsatzsteigerung von 4,3 Prozent erreicht. Weichai hat hingegen nur Einbußen von zwei Prozent hinnehmen müssen. Weniger als zehn Zulieferer konnten 2020 ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigern. Bei den deutschen Zulieferern gelang das lediglich Infineon.

    Der Autozulieferer ZF hatte 2020 ein Minus von 177 Millionen Euro zu verzeichnen. Im ersten Halbjahr 2021 konnte das Unternehmen vom Bodensee seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum jedoch wieder um 43 Prozent auf 19,3 Milliarden Euro steigern.

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    News

    China toppt EU an britischen Universitäten

    Nach dem Brexit gibt es in Großbritannien erstmals mehr Studieninteressierte aus China als aus der EU. Die Zahl der Bewerber aus der EU ging nach Angaben des britischen Hochschulzulassungsdienstes UCAS um 43 Prozent auf 28.400 zurück. Dem stehen 28.490 Bewerbungen aus China gegenüber. Die Zahl der Bewerber:innen aus der Volksrepublik habe sich seit 2017 mehr als verdoppelt. Der starke Rückgang der Bewerberzahlen aus der EU sei “enttäuschend”, aber zu erwarten gewesen, zitierte die Nachrichtenagentur Bloomberg die Leiterin der Lobbygruppe Universities U.K., Stephanie Harris. Seit dem Brexit müssen EU-Studenten an den meisten britischen Universitäten höhere Gebühren zahlen.

    Die Verschiebung bei der Herkunft der Studierenden fällt in ein Umfeld der Spannungen zwischen London und Peking wegen mehrerer Streitpunkte. Britische Geheimdienste hatten dem Bloomberg-Bericht zufolge Bedenken hinsichtlich der Verbindungen zwischen Universitäten und der chinesischen Regierung geäußert.

    Die britischen Bildungseinrichtungen bräuchten die Studierenden aus dem Ausland jedoch, erklärt Nick Hillman vom Think-tank Higher Education Policy Institute (HEPI). Denn internationale Studierende trugen einer HEPI-Studie zufolge allein in den Jahren 2015/16 schätzungsweise 22,6 Milliarden Pfund (rund 26 Milliarden Euro) zur britischen Wirtschaft bei. Britische Universitäten würden nun “einen sehr kalten Wind spüren”, wenn chinesische Student:innen nicht mehr kommen würden, sagte Hillman.

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    Kuaishou beendet Zynn-App in den USA

    Bytedance-Rivale Kuaishou Technology hat seiner Video-Sharing-App Zynn in den USA den Stecker gezogen. Das chinesische Social-Media-Unternehmen haben den Benutzer:innen am Mittwoch in einer Nachricht mitgeteilt, dass Zynn zum 20. August eingestellt werde, berichtet Bloomberg. Die App, ein Tiktok-Lookalike, der erst im vergangenen Jahr für nordamerikanische Märkte eingeführt wurde, wird demnach alle Benutzerdaten 45 Tage nach der Abschaltung entfernen. Andere Produkte von Kuaishou in Übersee seien von der jüngsten Maßnahme aber nicht betroffen, zitiert der Bericht das chinesische Internetunternehmen, das auch die Apps Kwai und SnackVideo für Märkte wie Brasilien und Indonesien betreibt. Nähere Angaben zu den Hintergründen des Zynn-Endes machte Kuaishou nicht.

    Die App hatte Probleme, Nutzer:innen in den USA anzuziehen. Die Smartphone-Anwendung hatte im Juni dieses Jahres nur 200.000 aktive Nutzer:innen monatlich, im Vergleich zu noch etwa drei Millionen im August vergangenen Jahres, wie das Technologie-Nachrichtenportal Techcrunch berichtete. Eine Überprüfung im vergangenen Jahr hatte demnach ergeben, dass Zynn Benutzer:innen dafür bezahlte, Videos anzusehen, um sein Ranking im US-amerikanischen iOS App Store zu verbessern. Die App war außerdem aus dem Play Store geblockt worden, nachdem Berichten zufolge die Plattform mit aus anderen Apps gestohlenen Videos übersät war. ari

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    Olympia: Mao-Pin bleibt folgenlos

    Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verzichtet auf eine Bestrafung für das chinesische Bahnrad-Duo Bao Shanju und Zhong Tianshi. Die Olympia-Goldmedaillengewinnerinnen im Teamsprint hatten am Montag bei der Siegerehrung jeweils einen Ansteck-Pin mit dem Kopf des chinesischen Staatsgründers Mao Zedong an ihrem Trainingsanzug getragen (China.Table berichtete). Laut Artikel 50 der olympischen Charta sind politische Symbole im Rahmen der Wettkämpfe jedoch verboten. Besonders bei Siegerehrungen fordert das IOC strikte Neutralität. Die chinesische Mannschaftsleitung habe versichert, “dass das nicht noch einmal passieren wird”, sagte ein IOC-Sprecher am Mittwoch. grz

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    Presseschau

    With the Delta variant spreading is China’s ‘zero tolerance’ Covid approach over? THE GUARDIAN
    Hong Kong museum commemorating 1989 Tiananmen victims reopens online INDEPENDENT
    Boeing 737 Max Heads to China for Key Test to End Flight Ban BLOOMBERG (PAY)
    Short sellers double bets against China Evergrande’s bonds FT (PAY)
    Wang Yi calls for economic integration in East Asia GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
    Buch über Chinas Geschichte: Das Land der vielen goldenen Zeitalter FAZ
    Aktien Asien/Pazifik: Meist Gewinne – Sportartikelaktien in China gefragt HANDELSBLATT
    Die HSG und China als Lehrstück – wo die Angst regiert, stirbt die Freiheit NZZ (PAY)
    Daimler: China-Absatz geht im Juli in die Knie – was macht die Aktie daraus? DER AKTIONÄR
    Peking zieht Daumenschrauben an: Chinas Tech-Tycoone verlieren Milliarden N-TV

    Standpunkt

    Chinas Defizit bei der Privatinitiative

    Von Stephen S. Roach
    Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management

    Was die chinesische Wirtschaft betrifft, war ich 25 Jahre lang optimistisch. Aber nun habe ich ernsthafte Zweifel. Bei ihrem Umgang mit dem dynamischen chinesischen Technologiesektor, dem Antriebsmotor der chinesischen “New Economy”, steckt die Regierung des Landes in einer Sackgasse. Ihre jüngsten Aktionen sind symptomatisch für ein tieferes Problem: die staatlichen Bemühungen, die Energie der Privatinitiativen und die irrationalen Handlungsbedürfnisse (“animal spirits”) zu kontrollieren. So könnte nun der chinesische Traum gefährdet sein – Präsident Xi Jinpings Vision eines “großen, modernen sozialistischen Landes” bis 2049.

    Als die Behörden den ungehorsamen Jack Ma maßregelten, dem Gründer der weltgrößten Internethandelsplattform Alibaba, schien es zunächst so, als ob sie mit ihm ein einmaliges persönliches Problem hätten. Mit seinen Kommentaren bei einem Shanghaier Finanzforum Ende Oktober 2020 über die “Pfandleih”-Mentalität des auf Banken ausgerichteten chinesischen Finanzsystems hatte Ma bei der chinesischen Führung eine rote Linie überschritten. Zu Beginn des Folgemonats wurde dann der Börsengang der Ant Group, des gigantischen Fintech-Ablegers von Alibaba, der ein rekordverdächtiges Volumen von 34 Milliarden Dollar hatte, weniger als 48 Stunden vor der geplanten Durchführung abgesagt. Fünf Monate später musste dann Alibaba selbst eine Strafe in Rekordhöhe von 2,8 Milliarden Dollar für angebliche Monopolverletzungen zahlen.

    Jetzt ist Didi Chuxing an der Reihe. Didi, der Uber-ähnliche chinesische Mitfahrdienst, hatte offensichtlich gehofft, sich – trotz Gerüchten über die Bedenken chinesischer Politiker – an den US-Kapitalmärkten 4,4 Milliarden Dollar beschaffen zu können. Nachdem über 25 der Didi-Apps auf chinesischen Internetplattformen gesperrt wurden, ist nun von einer vielleicht noch höheren Strafe als für Alibaba die Rede – oder gar von einem möglichen De-Listing.

    Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass auch gegen viele andere führende chinesische Technologiekonzerne durchgegriffen wird – darunter Tencent (Internet-Konglomerat), Meituan (Lebensmittellieferdienst), Pinduoduo (E-Commerce), Full Truck Alliance (die Apps Huochebang und Yunmanman zur LKW-Ladungsvermittlung), Kanzhun’s Boss Zhipin (Beschäftigung) und Online-Unternehmen für Privatunterricht wie TAL Education Group oder Gaotu Techedu. Und all dem gingen bereits die harten chinesischen Maßnahmen gegen Kryptowährungen voran.

    Gute Gründe, aber zweifelhafte Motive

    Es ist nicht so, dass es für Chinas Anti-Tech-Aktionen keine Gründe gibt – besonders in einigen Fällen wie bei den Kryptowährungen. Die am häufigsten geäußerte Rechtfertigung ist die Datensicherheit. Dies ist einerseits verständlich, weil die chinesische Führung so großen Wert auf ihre Eigentumsrechte über “Big Data” legt, die ihren geplanten Durchbruch bei der künstlichen Intelligenz befeuern sollen. Aber da ein Großteil der Daten durch die heimliche Beobachtung im Rahmen des Überwachungsstaats gewonnen wurde, schmeckt die ganze Sache auch nach Heuchelei.

    Rechtfertigung ist jedenfalls nicht das Thema. Rückblickend können Handlungen immer erklärt oder rationalisiert werden. Der Punkt ist, dass die chinesischen Behörden – aus welchem Grund auch immer – die ganze Macht ihrer Regulierungsmöglichkeiten einsetzen, um die Geschäftsmodelle und Finanzierungsmöglichkeiten des dynamischsten Sektors im Land abzuwürgen.

    Außerdem ist der Angriff auf die Technologieunternehmen nicht das einzige Beispiel für Maßnahmen zur Einschränkung der Privatwirtschaft. Auch die chinesischen Verbraucher leiden. Die schnelle Alterung der Bevölkerung und mangelnde soziale Sicherheitsnetze für Renten und Gesundheitsfürsorge tragen dazu bei, dass die Haushalte immer noch nicht bereit sind, ihre Sicherheitsersparnisse für Dinge wie Autos, Möbel, Geräte, Freizeit, Unterhaltung, Reisen oder andere Statussymbole fortgeschrittenerer Konsumgesellschaften auszugeben.

    Der absolute Umfang dieser Aktivitäten ist natürlich gigantisch – wie alles in China. Aber als Anteil an der Gesamtwirtschaft betrachtet liegt der Haushaltskonsum immer noch unter 40% des BIP – was der geringste Wert aller großen Volkswirtschaften ist.

    Dies liegt daran, dass China noch keine Vertrauenskultur geschaffen hat, innerhalb derer die riesige Bevölkerung des Landes bereit wäre, ihre Spar- und Konsummuster zu ändern. Nur wenn sich die Haushalte trotz einer unsicheren Zukunft sicherer fühlen, werden sie ihren Horizont erweitern und zu einem expansiveren Lebensstil übergehen. Und um dies zu erreichen, ist nicht weniger als eine verbrauchergestützte Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft erforderlich.

    Mangelndes gegenseitiges Vertrauen als Achillesferse

    Das Vertrauen der Unternehmen und Verbraucher ist eine entscheidende Grundlage aller Volkswirtschaften. George Akerlof und Robert Shiller, die Nobelpreisträger für Ökonomie, betrachten Vertrauen als Eckpfeiler einer umfassenderen Theorie der “Animal Spirits“. Dieser Begriff, der in den 1930ern von John Maynard Keynes bekannt gemacht wurde, wird am besten als “spontanes Handlungsbedürfnis” definiert, das die Gesamtnachfrage weit über die Grundlage des persönlichen Einkommens oder der Unternehmensgewinne hinaus beeinflusst.

    Keynes betrachtete dieses private Handlungsbedürfnis als Essenz des Kapitalismus. Für China mit seinem gemischten Modell eines marktorientierten Sozialismus hat dieses Phänomen aber einen anderen Stellenwert. Der Staat spielt dort eine viel aktivere Rolle bei der Lenkung von Märkten, Unternehmen und Verbrauchern als in anderen großen Volkswirtschaften. Trotzdem benötigt die chinesische Wirtschaft, um sich zu entwickeln, ebenso wie alle anderen eine Grundlage des Vertrauens – Vertrauen in die Konsistenz der Führungsprioritäten, in transparente Verwaltung und in kluge Regulierung.

    Diese Grundlage des Vertrauens, die dem Handlungsbedürfnis zugrunde liegt, ist im modernen China allerdings nicht vorhanden. Bereits seit langem behindert diese Tatsache den chinesischen Konsum. Jetzt greift das Misstrauen auch auf den Unternehmenssektor über. Dass die Regierung die Technologieunternehmen angreift, läuft der Kreativität, Energie und puren harten Arbeit, die dieser Sektor benötigt, um in einem Umfeld intensiver Konkurrenz wachsen und gedeihen zu können, diametral entgegen.

    Ich habe mich häufig skeptisch über das Ausmaß angstbedingten Sparverhaltens geäußert, das die konsumorientierte chinesische Neuausrichtung enorm behindert. Aber die jüngsten Aktionen der Behörden gegen den Technologiesektor könnten ein Wendepunkt sein. Ohne unternehmerische Energie wird die Kreativität der chinesischen New Economy ins Stocken geraten – ebenso wie die Hoffnungen auf die lang versprochene Steigerung einheimischer Innovationen.

    Chinas zunehmender Mangel an “animal spirits” könnte auch meiner eigenen, traditionell optimistischen Prognose für das “Next China” – dem Titel eines Seminars, das ich seit elf Jahren in Yale gebe – einen schweren, möglicherweise tödlichen Schlag versetzen. Nun warne ich meine Studenten des ersten Semesters, dass sich der Lehrplan schnell ändern könnte. Übersetzung: Harald Eckhoff

    Stephen S. Roach ist Fakultätsmitglied der Yale University, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia und Verfasser von Unbalanced: The Codependency of America and China.

    Copyright: Project Syndicate, 2021.
    www.project-syndicate.org

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    Personalien

    Bastian Grund ist von der Position als Head of BioLab bei Evonik in Shanghai zurück nach Deutschland gewechselt. Er arbeitet nun als Referent für Group Controlling in Hanau, ebenfalls bei Evonik.

    Tobias Hofemeier ist seit Anfang Juni Air Logistics Director für Hongkong, Macau und South China beim Logistik- und Gütertransportunternehmen Kühne + Nagel. Er war zuvor als European Gateway and Procurement Manager Air Logistics tätig.

    Dessert

    Viele chinesische Großstädte schalten wieder auf Lockdown-Modus, nachdem das Land gleich in mehreren Provinzen den größten Corona-Ausbruch seit mehr als einem Jahr erlebt. Das Tragen eines Mundschutzes ist wieder Pflicht. So auch für diesen Fahrer in der Nähe des Shanghaier Flughafens Pudong. Dort hat es ebenfalls mehrere Infektionsfälle gegeben.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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