mit zunehmender Sorge blickt der Westen auf Chinas militärische Aufrüstung. Die Landstreitkräfte werden modernisiert, die Marine ausgebaut und zudem neue Silos für Chinas Atomwaffen gebaut. Das Ziel hinter all dem ist für Zhao Tong klar: China will gegenüber den USA eine militärische Überlegenheit erzielen. Der Militärexperte mahnt, der Westen sollte Pekings militärisches Streben sehr ernst nehmen. In Hongkong könne man die Konsequenzen längst sehen – und auch die Lage rund um Taiwan werde sich deshalb verändern. Warum die USA an dieser Entwicklung nicht unschuldig sind, erklärt der chinesische Militärexperte bei uns im Interview.
Dass eine Zusammenarbeit zwischen den USA und China nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich sein kann, zeigt Frank Sieren. Er erklärt in seiner heutigen Analyse, wie Forscher beider Länder, Künstliche Intelligenz und Chinas antike Klassiker zusammenfinden – und gemeinsam längst vergessene Schriftzeichen neu entschlüsseln. “Handian Chongguang” ist ein beeindruckendes Projekt, das die USA und China, die Song-Dynastie und das 21. Jahrhundert, antike Schriftzeichen und digitale Software zusammenführt – um Chinas Klassiker wieder ans Licht zu bringen.
Unterdessen hat Peking nach den neuerlichen Corona-Ausbrüchen dutzende Beamte zur Rechenschaft gezogen. Die Delta-Variante breitet sich rasant aus – und führt den Verantwortlichen die Grenzen ihrer “Null-Covid”-Strategie vor Augen. Doch daran will die Regierung nicht rütteln – mit Folgen auch für deutsche Unternehmen.
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Im Westen blickt man mit Angst und Sorge auf Chinas militärische Aufrüstung. Was steckt dahinter? Wie würden Sie die übergeordnete Strategie der Volksrepublik beschreiben?
Es gibt zwei Hauptkategorien: Das erste Ziel Chinas besteht darin, seine – laut Eigenwahrnehmung – nationalen Interessen verteidigen zu können. Dazu gehört die nationale Vereinigung mit Taiwan sowie die Sicherung von Territorialansprüchen, einschließlich der Landgrenzen zu Indien und den maritimen Ansprüchen im Südchinesischen Meer.
Daneben besteht für die Volksrepublik auch ein neues Bedürfnis, nämlich seine wachsenden Auslandsinteressen schützen zu können: etwa wirtschaftliche Investitionen oder die wachsende Anzahl an Staatsbürgern, die im Ausland Geschäfte machen oder studieren.
Haben sich die militärischen Ambitionen verändert, seit Xi Jinping die Macht übernommen hat?
In Bezug auf die gerade erwähnte erste Kategorie ist die Denkweise mehr oder weniger gleichgeblieben. China sieht die größte Herausforderung für seine Sicherheitsinteressen durch andere Großmächte, die sich einmischen könnten. Aber was sich geändert hat, ist das Tempo der militärischen Modernisierung. In den letzten Jahren konnte China aufgrund des schnellen Wirtschaftswachstums mehr in den Militärsektor investieren. Nachdem Xi Jinping an die Macht gekommen war, rief er dazu auf, den “Traum von einem starken Militär” zu verwirklichen.
Die Militärausgaben der Volksrepublik steigen jährlich um rund sieben Prozent, liegen weltweit an zweiter Stelle – aber deutlich hinter den USA. Kritiker sagen allerdings, dass die offiziellen Zahlen Chinas militärische Macht nicht adäquat widerspiegeln.
Als chinesischer Analyst bin ich nicht in der Lage, Chinas offiziell erklärten Militärhaushalte kritisch zu bewerten. Aber ich stimme Ihrer Beschreibung zu, dass ausländische Analysten unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie glaubwürdig der offiziell angekündigte Haushalt tatsächlich das Niveau der Militärinvestitionen widerspiegelt. Sie haben darauf hingewiesen, dass es schwer zu sagen ist, was genau im Verteidigungshaushalt enthalten ist, zum Beispiel bestimmte Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Und natürlich muss man auch die Kaufkraft eines Landes berücksichtigen. Das würde die Höhe des chinesischen Budgets im Verhältnis zu den Ausgaben anderer Länder erheblich verändern.
Inwiefern beschleunigt der Westen – insbesondere die USA – mit einer deutlich aggressiveren Chinapolitik die Militarisierung Pekings?
Wenn China eine größere Bedrohung durch die USA wahrnimmt, dann wächst die Dringlichkeit Pekings, seine militärische Macht weiter aufzubauen, um dieser wahrgenommenen Bedrohung entgegenzuwirken. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: China hatte bislang eine eher zurückhaltende Nuklearstrategie beibehalten. Das Nukleararsenal war jahrzehntelang viel kleiner als das der Vereinigten Staaten, weil Chinas allgemeine Sicherheitsbeziehung zu den USA während dieser Zeit zwar nicht gut, aber relativ stabil war. Die Volksrepublik sah keine unmittelbare nukleare Bedrohung durch die USA.
Doch jetzt baut China seine Nuklearstreitkräfte schneller aus als je zuvor.
Chinas Führer Xi Jinping selbst hat dem chinesischen Militär befohlen, die Entwicklung strategischer Abschreckungsfähigkeiten zu beschleunigen. Das ist ein deutliches Signal von oberster Ebene. Und dahinter stehen mehrere treibende Kräfte.
Ursprünglich war Chinas Ziel immer, eine überlebensfähige und sichere Zweitschlagfähigkeit aufzubauen, damit die USA es nicht in Betracht ziehen würden, China zuerst mit Atomwaffen anzugreifen. Es braucht also nur ausreichend Atomwaffen, um einen amerikanischen Erstschlag zu überleben, und dann noch genügend Atomwaffen zu haben, um eine Vergeltung gegen das US-Festland zu starten.
Mittlerweile argumentieren viele chinesische Strategen jedoch, dass China seine Nuklearmacht ausbauen muss, weil die USA eine viel stärkere Feindseligkeit gegenüber China demonstrieren. Wenn man es analytisch betrachtet, ergibt das keinen Sinn. Denn egal wie feindselig Ihr Gegner ist: Solange Sie über eine sichere Zweitschlagfähigkeit verfügen, können Sie ihn davon abhalten, zuerst Atomwaffen einzusetzen.
Inwieweit sollte das die USA beunruhigen?
Die Vereinigten Staaten machen sich nicht unbedingt Sorgen, dass China Atomwaffen in einem militärischen Konflikt zuerst einsetzen wird. Aber sie sorgen sich um die Ungewissheit dahinter, warum Chinas Militär seine Nuklearstreitkräfte ausbaut: Einige Kritiker argumentieren, dass die Volksrepublik in Zukunft seine traditionell bescheidene Nuklearhaltung ändern und sein Arsenal zunehmend zur Druckausübung statt Abschreckung einsetzen könnte.
Um die Perspektive zu wahren: Die USA haben nach wie vor etwa zwölfmal so viele Atomsprengköpfe wie China. In anderen Bereichen hingegen, zum Beispiel bei den Seestreitkräften, holt China rasant auf.
Schaut man sich die Zahl der Militärschiffe an, hat China bereits eine größere Zahl als die US-Marine. Aber rein qualitativ besitzen die USA noch immer die deutlich fortschrittlichsten Marinetechnologien. China holt allerdings sehr, sehr schnell auf.
Und die künftigen Entwicklungen sind aus US-Sicht wirklich besorgniserregend. Der derzeitige US-Militärhaushalt wird wohl auf absehbare Zeit stagnieren, nicht zuletzt gebremst durch die vielen Checks und Balances. Die Volksrepublik hingegen ist bereit, mehr Ressourcen zu investieren, auch weil die chinesische Öffentlichkeit die Rüstungsindustrie als Kerninteresse der Nation wahrnimmt. Sie ist vor öffentlicher Kontrolle weitgehend sicher.
Welche Rolle spielen Zukunftstechnologien beim Wettrüsten? China investiert massiv in Künstliche Intelligenz und Big Data.
Es ist schwer vorherzusagen, da beide Militärs ihre spezifischen KI-Programme sehr geheim halten. Zudem lässt sich nicht leicht prognostizieren, welches Regierungssystem Künstliche Intelligenz effizienter für die militärische Modernisierung nutzen kann.
Wie meinen Sie das?
Chinas System ist eher zentralisiert und von oben herab. Zudem gibt es weniger Sorge um Privatsphäre oder rechtliche Einschränkungen. Und natürlich hat China auch die sogenannte zivil-militärische Fusionsstrategie implementiert, die es der Regierung ermöglichen wird, zivile Technologien für nationale Verteidigungszwecke zu nutzen.
In den USA herrscht ein anderes System vor: Programmierer müssen sich wirklich sorgen, ob sie gegen das Gesetz verstoßen oder in die Privatsphäre der Bevölkerung eindringen. In anderen Bereichen hingegen sind sie jedoch weniger eingeschränkt: Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass sie die roten Grenzen der Regierung überschreiten. Sie können offener sein.
Anders als das chinesische Militär, das Zeit für Parteiversammlungen aufbringen muss, jede wichtige Rede der Führer studieren und alle möglichen Arbeiten für die Umsetzung der Parteipolitik erledigen muss. Nicht zuletzt haben US-Privatunternehmen manchmal stärkere Anreize, mit dem Militär zusammenzuarbeiten – ohne befürchten zu müssen, dass ihre Patente von der Regierung willkürlich übernommen werden, ohne davon finanziell davon profitieren.
Wie lautet ihr Fazit: Ist es nur eine Frage der Zeit, bis das chinesische Militär die USA als Nummer eins überholt?
Ich kann mein Verständnis darüber darlegen, wie die Chinesen denken: Letztlich entscheidet die wirtschaftliche Macht über die militärische Macht. Wenn Chinas Wirtschaft also die US-Wirtschaft in Zukunft überholen kann, wird das chinesische Militär früher oder später ebenfalls dominieren. Und nach Einschätzung westlicher Wissenschaftler wird die chinesische Wirtschaft bereits 2028 an den USA vorbeiziehen. Das stimmt die Regierung zuversichtlich, dass die Zeit auf ihrer Seite ist. Deshalb setzt die chinesische Führung auch so stark auf wirtschaftliche Entwicklung: Denn die bestimmt alles andere.
In Europa argumentiert insbesondere die Linke, dass die Volksrepublik ja nur einen einzigen Militärstützpunkt im Ausland habe und nicht als Bedrohung dämonisiert werden dürfe. Ist das naiv?
Kein Land entwickelt militärische Macht mit dem ausdrücklichen Ziel, andere Länder zu erobern. Alle Staaten, auch die Volksrepublik, wollen nur ihre vermeintlichen nationalen Interessen verteidigen. Aber die Frage ist doch: Ist es wirklich legitim, jene Interessen mit militärischen Mitteln zu verteidigen? Etwa wenn ein Land einen Territorialstreit hat: Ist es dann in Ordnung, wenn es einfach seine militärische Macht nutzt? Oder sollte nicht das Völkerrecht eine Rolle spielen?
Kommen wir zu China zurück: Peking sieht eine mögliche US-Militärintervention als größte Bedrohung an. Aus diesem Grund glaubt die Regierung auch, eine Militärmacht aufbauen zu müssen, die ausreichend stark ist im Vergleich zu Washington und all seinen Verbündeten in der Region. Das Ziel ist zwar Selbstverteidigung. Dennoch kann der Ansatz der Volksrepublik von anderen Ländern als ehrgeizig angesehen werden kann, da Peking eine Art militärische Überlegenheit in der Region aufbauen muss, um dieses defensive Ziel zu erreichen.
Und was passiert, wenn China dieses Ziel erreicht hat?
Dann wird Chinas militärische Überlegenheit die USA und ihre Verbündeten de facto davon abhalten, einzugreifen, wenn China seine nationalen Interessen durchsetzt. Nehmen wir das Beispiel Taiwan: Die Forderung nach nationaler Vereinigung mit Taiwan ist ein wichtiges Ziel der aktuellen politischen Führung. Ich glaube jedoch nicht, dass man einen verfrühten Konflikt anzetteln möchte. Solange nach wie vor Zweifel bestehen, ob die USA intervenieren können, ist Chinas Militär noch nicht stark genug.
Wenn China jedoch eine offensichtliche militärische Überlegenheit erlangt hat, werden die USA wissen, dass sie diesen Konflikt nicht gewinnen können. Zu diesem Zeitpunkt kann die Volksrepublik ihr Ziel erreichen, ohne einen Schuss abzufeuern. Und die jüngsten Entwicklungen haben Chinas Denken bestätigt: Da es bereits eine gewisse militärische Macht gesichert hat, brauchte es sich keine Sorgen vor einem gewaltsamen Eingriff aus dem Ausland zu machen, als es Maßnahmen zur Bewältigung der Situation in Hongkong ergriff.
Halten Sie einen militärischen Konflikt zwischen den USA und China für ein realistisches Szenario?
Ich glaube nicht, dass die Volksrepublik die Absicht hat, einen Konflikt zu provozieren. Die Priorität der Staatsführung ist klar: Es braucht Zeit, um eine umfassende nationale Macht aufzubauen. Und wenn Chinas Macht stark genug ist, kann es seine vermeintlichen Interessen verteidigen, ohne weiter kämpfen zu müssen.
Könnten bilaterale Abrüstungsverhandlungen dabei helfen, das Wettrüsten zwischen den zwei Weltmächten einzudämmen?
Ich bin da sehr pessimistisch. Beide Seiten können nicht einmal mehr in grundlegenden Sachfragen eine Einigung erzielen, zum Beispiel über Xinjiang. Der Westen glaubt aufrichtig, dass sich dort eine schreckliche humanitäre Krise ereignet. In China hingegen glauben die meisten Experten, dass diese vollständig von westlichen Medien erfunden wird, und dass die Regierungsmaßnahmen in der Region gegen keine rechtlichen oder moralischen Standards verstoßen.
Stattdessen glauben sie, dass der Westen China absichtlich dämonisiert – etwa in Bezug auf Hongkong, Xinjiang oder Taiwan – und zwar nicht, weil man sich um Demokratie oder Menschenrechte schert, sondern aus Sorge, dass China den Westen im internationalen System als dominierende Macht ablösen könnte. Wenn sich die beiden Seiten in solchen Sachfragen nicht mal mehr einigen können: Wie können sie dann eine gemeinsame Lösung zur Abrüstung entwickeln?
Welchen Weg wird China stattdessen im Umgang mit dem Westen wählen?
Der Trend ist besorgniserregend: China hält es für nutzlos, mit dem Westen zu reden und im Dialog zu überzeugen. Vielmehr ist die Staatsführung davon überzeugt, dass sie die Meinung der westlichen Länder nur dadurch ändern kann, indem sie ihre Macht aufbaut. Denn Macht ist das Einzige, was der Westen respektiert. Dies bedeutet auch, dass es keinen innerchinesischen Konsens über Abrüstungskontrollen gibt, die Chinas militärische Entwicklung beschränken würden.
Tong Zhao wurde in der zentralchinesischen Provinz Henan geboren. Sein Masterstudium der internationalen Beziehungen absolvierte er an der renommierten Tsinghua-Universität, bevor er für seinen Doktor ans Georgia Institute of Technology ging. Derzeit forscht der Militärexperte am Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy zu Abrüstung und Atomwaffenpolitik.
Künstliche Intelligenz (KI) macht uralte chinesische Literatur und Schriften wieder lesbar. In einem Projekt namens Handian Chongguang, was so viel bedeutet wie “chinesische Klassiker wieder ans Licht bringen”, arbeiten chinesische und us-amerikanische Forscher gemeinsam daran, klassische Texte zu entschlüsseln. Die Krux dabei: Die Bedeutung von Zehntausenden Schriftzeichen, die seit langer Zeit aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind, muss die Software identifizieren und lesen lernen.
Innerhalb von zwei Jahren wurden im Rahmen des Projekts rund 200.000 Seiten von antiken Büchern und Schriften erfasst. Darin sind rund 30.000 Zeichen enthalten, die heute nicht mehr benutzt werden, aber von KI mit Schlagworten zur Online-Suche verknüpft werden müssen. Dazu gehörten Texte wie das auf die Jahre 1060-1080 datierte Jinsushan Tripitaka, eines der ersten chinesischen Werke, das mit einem Impressum versehen wurde. Hinzukommen etliche Manuskripte aus der Song-Dynastie (960 bis 1279) sowie aus der Yuan-Dynastie (1279 bis 1368). Das Vorbild des Projekts sind die offenen Forschungsbibliotheken in den USA, wo historische Dokumente, einschließlich seltener Bücher und nicht urheberrechtlich geschützter Manuskripte, online zugänglich sind.
Die Technik, die dabei zum Einsatz kommt, wird optische Zeichenerkennung (OCR) genannt. Dabei generiert der Computer aus gescannten Papier-Dokumenten oder aus Fotos einen Text, der dann bearbeitet werden kann. Bislang war es äußerst schwierig, antike chinesische Schriftzeichen derart zu digitalisieren, eben weil sie heute nicht mehr vorkommen. Alte chinesische Zeichen, die ihren Ursprung in Hieroglyphen haben, entwickelten sich erst langsam und stetig im Laufe der Jahrhunderte.
Manchmal war das, was die KI als unterschiedliche Charaktere erkannte, tatsächlich das gleiche Zeichen, das zu unterschiedlichen Zeiten in verschiedenen Stilen geschrieben wurde. Es musste also erst eine völlig neue Datenbank als Referenz geschaffen werden. Um den Arbeitsaufwand zu reduzieren, gruppierten die Forscher ähnlich aussehende Zeichen mithilfe einer weiteren KI-Software. Als nächstes überprüften Sprachhistoriker, welche Wörter tatsächlich übereinstimmten und welche nicht. Das neue Modell kann jetzt 30.000 alte chinesische Schriftzeichen effizient erkennen und übertrifft dabei die Geschwindigkeit eines menschlichen Experten um das Dreißigfache. Die Genauigkeitsquote beim Erkennen der Zeichen wird mit 97,5 Prozent beziffert. Wenn man sich auf der Internetseite von Handian Chongguang einloggt, findet man alle fotografierten Seiten am unteren Rand aufgereiht. Oben befindet sich ein Suchfeld für Schlüsselwörter.
Um die alten Texte Experten und anderen Lesern in China zugänglich zu machen, gab es immer wieder Anstrengungen, vorhandene Schriften zu digitalisieren. So rief der chinesische Staatsrat im Jahr 2007 eine Datenbank mit mehr als drei Millionen Büchern ins Leben. 2016 folgte ein digitales Archiv der Chinesischen Nationalbibliothek mit mehr als 33.000 Büchern.
Für das Projekt “Handian Chongguang”, das 2018 gegründete wurde, bündelten diesmal die Universität von Sichuan, die Chinesische Nationalbibliothek, die Bibliothek der ostchinesischen Provinz Zhejiang, die DAMO Academy, ein Forschungsinstitut des E-Commerce-Unternehmens Alibaba, und die University of California in Berkeley ihre Kräfte. Anfang dieses Jahres überreichte die Universität Berkeley, eine der größten wissenschaftlichen Bibliotheken mit reichen Beständen an alten chinesischen Büchern, eine Festplatte mit 200.000 gescannten Seiten antiker chinesischer Schriften an das Team in China, dessen Aufgabe es dann war, einer künstlichen Intelligenz das Lesen dieser Seiten beizubringen.
Die Uni Berkeley konnte einen derart großen Bestand liefern, weil während Chinas wechselhafter Geschichte viele wertvolle klassische Texte der vergangenen 200 Jahre ihren Weg in Forschungsbibliotheken und Museen auf der ganzen Welt fanden. Nach Schätzungen gibt es mehr als 400.000 chinesische antike Schriften, die sich außerhalb des Landes befinden. Das Ganze hat auch einen patriotischen Aspekt, da hier Chinas technologische Ambitionen auf die klassische chinesische Kultur trifft. “Wir glauben, dass Technologie eine entscheidende Rolle bei der Bewahrung unseres wertvollen kulturellen Erbes spielen kann”, erklärt Jeff Zhang, Leiter der Alibaba DAMO Academy.
Auch anderswo auf der Welt wurde bereits KI eingesetzt, um innerhalb der Epigrafik – der Entzifferung antiker Quellen – alte Texte zu restaurieren. So wurden Googles Deepmind-Algorithmen benutzt, um altgriechische Texte zu vervollständigen, bei denen einzelne Buchstaben oder ganze Wörter fehlten. Die nach dem Orakel von Delphi “Pythia” getaufte KI wurde mit einem umfassenden digitalen Kompendium antiker Inschriften trainiert, ähnlich jener neu erstellten Datenbank aus China, die in Zukunft eine wichtige Basis für die Entschlüsselung komplexer chinesischer Texte liefern soll. Der nächste Schritt ist dann, die Texte auch in anderen Sprachen der Welt zugängig zu machen.
Nur wenige Monate nach dem Verlust ihrer Börsenzulassung in New York plant die China Telecom die weltweit größte Neuemission des Jahres in Shanghai. Das Unternehmen ist der größte Festnetzbetreiber des Landes und peilt mit einem Preis von 4,53 Yuan pro Aktie, umgerechnet knapp 70 US-Cent, Einnahmen von mehr als 47 Milliarden Yuan an. Sollte eine mögliche Mehrzuteilungsoption gezogen werden, könnte der Börsengang sogar mehr als 54 Milliarden Yuan einbringen, etwas mehr als 8,3 Milliarden US-Dollar.
Mit dem Listing würde China Telecom noch einmal deutlich mehr Kapital aufnehmen als der Videodienst Kuaishou Technology, dem im Februar in Hongkong beim bislang größten Börsengang im Jahr 2021 rund 5,4 Milliarden Dollar in die Kasse gespült worden waren. Das Geld soll vornehmlich zum Ausbau von 5G- und Cloud-Infrastrukturen verwendet werden.
China Telecom gehört zusammen mit China Mobile und China Unicom zu den drei größten Telekommunikationsanbietern der Volksrepublik. Das Trio war im Januar auf Anordnung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump, neben zahlreichen anderen chinesischen Technologiefirmen, vom Handel in den Vereinigten Staaten dekotiert, also ausgeschlossen worden. Hintergrund für den Erlass ist die Sorge der US-Regierung, dass Kapital US-amerikanischer Investoren in chinesische Firmen fließt, die aufgrund der Gesetzeslage zur Kooperation mit chinesischen Sicherheitsdiensten oder dem Militär gezwungen sind.
Peking ermutigt seine Tech-Firmen derweil zu Börsengängen auf chinesischem Parkett oder am Handelsplatz in Hongkong. Der Fahrdienstleister Didi Chuxing wurde kürzlich sogar aktiv daran gehindert, neue Anteilsscheine in New York herauszugeben. grz
Der Ton ranghoher deutscher Politiker gegenüber der Volksrepublik China verschärft sich. “Peking will keine faire Verflechtung von Lieferketten, es will Kontrolle über Märkte und über das politische Handeln anderer Staaten gewinnen, auch über Europa, auch über uns in Deutschland”, warnt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in einem Essay zum 40-jährigen Jubiläum des Amtes des “Koordinators für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit” der Bundesregierung. China habe mit seinem geopolitischen Ehrgeiz und machtvollem Dominanzanspruch “mit offener Gesellschaft, Menschenrechten und gelebter Demokratie nicht viel im Sinn”, schreibt die deutsche Verteidigungsministerin weiter. Das Handelsblatt hatte zuerst aus dem Text zitiert.
Kramp-Karrenbauer erklärt in ihrem Beitrag für die Festschrift “Den neuen Westen schmieden” das transatlantische Verhältnis zu den USA zur “Schicksalsfrage”. Europa könne im Hinblick auf Pekings Streben ohne die US-Amerikaner “nicht frei und sicher bleiben”. Auch den Vereinigten Staaten legt sie eine enge Kooperation mit dem “großen und einflussreichen Wirtschaftsblock der Europäischen Union” nahe, um im Wettbewerb mit der Volksrepublik bestehen zu können.
Auch Kanzlerkandidat Armin Laschet wirbt eindringlich für eine enge Zusammenarbeit mit den USA, um gemeinsam technologische Standards zu entwickeln. “Nicht zuletzt wäre damit ein deutliches – und vielleicht das wichtigste – Signal gegenüber der Volksrepublik China verbunden. Denn transatlantisch teilen wir die Auffassung, dass China nicht nur Verhandlungspartner und Wettbewerber, sondern auch Systemrivale ist”, so Laschet. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sieht in einem handlungsfähigen Europa die Basis für eine gemeinsame, erfolgreiche Strategie mit Washington.
Herausgeber der Festschrift ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Beyer, der seit 2018 das Amt des Deutsch-Amerikanischen Koordinators innehat, welches 1981 eingeführt wurde. Man habe die chinesische Diktatur zu lange unterschätzt, schreibt Beyer in seinem Beitrag. Die Neutralität gegenüber der chinesischen Regierung bezeichnet er als “naiv und gefährlich”, das chinesische Infrastrukturprojekt “Belt and Road”-Initiative (BRI) als “besorgniserregend”. Eine Entkopplung sei aus Sicht Beyers allerdings unrealistisch. grz
In China sind mehr als 30 Funktionäre wegen der jüngsten Corona-Ausbrüche bestraft worden. Beamte in vier betroffenen Provinzen seien wegen “schleppender Reaktion und unzureichendem Management” zur Verantwortung gezogen worden, berichtete die staatliche Zeitung “Global Times”. Um welche Strafen es sich genau handelt, wurde nicht näher genannt. Betroffen seien Vizebürgermeister, Bezirksvorstände, Leiter von lokalen Gesundheitskommissionen, Krankenhausmanager und Beamte aus der Flughafen- und Tourismusbranche.
In Nanjing seien mindestens 15 Beamte bestraft worden, hieß es weiter in dem Bericht. Darunter waren demnach auch ein Vizebürgermeister der Stadt, Hu Wanjin, der Parteichef der Nanjing Health Commission, Fang Zhongyou, sowie der Kommandant der Anti-Epidemie-Kontrollarbeiten am Flughafen von Nanjing, Wang Chao. Auch in der Touristenstadt Zhangjiajie in der Provinz Hunan wurden 20 Beamte und öffentliche Posteninhaber bestraft.
Durch die stark ansteckende Delta-Variante des Coronavirus wurden zuletzt den Behörden die Schwierigkeiten der “Null-Covid”-Strategie offenbar. Nach einem Ausbruch am Flughafen von Nanjing vor drei Wochen breitet sich das Virus rasant aus. Bislang wurden landesweit mehr als 900 Infektionen mit der Variante gemeldet.
Nachdem sich mehrere Experten gegen den “Null-Covid”-Ansatz ausgesprochen hatten (China.Table berichtete), zitierten mehrere staatliche Medien nun den ehemaligen Gesundheitsminister Gao Qiang, der in einem Essay gegen Staaten wetterte, die ihre Corona-Beschränkungen lockerten. Das Streben nach der sogenannten “Koexistenz mit dem Virus” habe in vielen Ländern zum Wiederaufleben der Epidemie geführt, zitiert die “Global Times” Gao. Er forderte stattdessen eine “totale Eliminierung” des Virus durch eine Kombination aus Massenimpfungen und strengen Kontrollmaßnahmen, insbesondere an den Grenzen des Landes – was Beobachter nun als Zeichen dafür werten, dass Peking die Landesgrenzen weiter geschlossen halten wird. ari
Der französisch geführte Autokonzern Renault SA wird mit dem chinesischen Automobil- und Motorradhersteller Geely in Asien enger zusammenarbeiten. Beide Konzerne einigten sich am Montag auf eine entsprechende Absichtserklärung. Im Fokus der Zusammenarbeit sollen zunächst die Märkte in China und Südkorea stehen.
Geely zufolge wolle man durch die geplante Kooperation den “Renaulution Plan” – die aktuelle Strategie der Franzosen – in Asien schneller umsetzen. Geely ist der größte private Autobauer der Volksrepublik (China.Table berichtete). Das Unternehmen mit Hauptsitz in Hangzhou soll helfen, die Präsenz des französischen Autoherstellers in Asien zu verbessern.
Konkret bedeutet das: In der Volksrepublik sollen Hybrid-Fahrzeuge unter der Marke Renault vertrieben werden, während in Südkorea die Fahrzeuge unter der Geely-Marke Lynk & Co firmieren. Dort arbeitete Geely seit zwei Jahrzehnten vor allem mit Samsung zusammen.
Die noch nicht näher spezifizierten Hybrid-Fahrzeuge für die Volskrepublik sollen “auf den bestehenden Technologien und der ausgereiften industriellen Präsenz der Geely Holding” basieren – also auf der Technik der Chinesen. Das französsiche Unternehmen übernehme in diesem Fall vor allem den Vertrieb. “Renault wird zur Markenstrategie, Kanal- und Serviceentwicklung beitragen und eine angemessene Customer Journey definieren”, heißt es dazu in der Geely-Mitteilung.
“Eine globale Marke wie Renault, ohne eine Präsenz in China, ist ein nicht akzeptables Konzept”, sagte der französische Geschäftsführer Luca de Meo gegenüber dem Nachrichtendienst Bloomberg. In den ersten sechs Monate verkaufte der französische Autohersteller in Asien rund 100.000 Fahrzeuge – das sind gerade einmal sieben Prozent seines weltweiten Geschäfts. Im selben Zeitraum sind die Autoverkäufe in der Region allerdings um 27 Prozent angestiegen.
Am Ende der Geely-Mitteilung wird explizit erwähnt, dass Kooperationen über die aktuelle Absichtserklärung hinaus durchaus möglich seien. “Beide Partner werden weiterhin nach einer vertieften potenziellen Partnerschaft im Sinne eines offenen und innovativen Partnermodus suchen.” rad
In der südwestchinesischen Provinz Sichuan sind mehr als 80.000 Menschen wegen starker Regenfälle und Überschwemmungen infolge schwerer Unwetter in Sicherheit gebracht worden. Die Wasserstände der großen Flüsse in der Provinz lagen nach Regenfällen von Freitag bis Sonntag über den Warnwerten, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf staatliche Medien berichtete. Ein Stausee in der Stadt Dazhou überschritt demnach seine Hochwassergrenze um 2,2 Meter. In sechs Städten der Provinz seien inzwischen mehr als 440.000 Menschen von Überschwemmungen betroffen. Nach Angaben des staatlichen Fernsehsenders CCTV ist in Sichuan bereits ein wirtschaftlicher Schaden von rund 250 Millionen Yuan, knapp 33 Millionen Euro, entstanden. 45 Häuser wurden zerstört, weitere 118 schwer beschädigt.
Chinesische Wetterbehörden erklärten dem Bericht zufolge, dass steigende Temperaturen die Wahrscheinlichkeit schwerer Regenfälle auf der ganzen Welt erhöht hätten und die Auswirkungen in China in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch schlimmer würden. “Extreme hohe Temperaturen und starke Regenfälle haben zugenommen, und das Klimarisiko in China nimmt zu”, sagte Chao Qingchen, stellvertretende Direktor des staatlichen Thinktank National Climate Centre.
Im Juli war die Provinz Henan von schweren Regenfällen und Überschwemmungen heimgesucht worden. Die dortige Provinzregierung beziffert die Zahl der Opfer bislang auf mehr als 300 Menschen, Dutzende weitere werden noch vermisst. Die meisten Toten werden in der Millionenmetropole Zhengzhou beklagt, wo unter anderem U-Bahnschächte mit Flutwasser nach heftigen Regenfällen vollgelaufen waren (China.Table berichtete). ari
Historisch betrachtet haben die mächtigsten Länder der Welt meist eine Sache gemeinsam: ihre Größe. Auch wenn ein großer Markt noch keine Dominanz in anderen Bereichen garantiert, ist er doch sicherlich hilfreich – vielleicht mehr als jeder andere einzelne Faktor. Dies galt für die Vereinigten Staaten, und jetzt gilt es auch für China. Über seinen Status als führende Wirtschafts- und Handelsmacht hinaus wird das Land zunehmend – und unaufhaltsam – zu einer globalen Finanzmacht.
Irgendwie haben das viele Ökonomen im Westen nicht kommen sehen. Noch vor zehn Jahren haben nur wenige das Wachstum der externen finanziellen Stärke Chinas optimistisch eingeschätzt. Skeptiker haben eher die Schwächen des Landes betont. Eine seltene Ausnahme ist Arvind Subramanian von der Brown University. In seinem Buch Eclipse: Living in the Shadow of China’s Economic Dominance von 2011 argumentierte er, Chinas Dominanz werde sich nicht nur schneller entwickeln, sondern auch umfassender sein, als fast alle erwarten – und das Land werde in den Bereichen, die von ihm umgestaltet werden, enormen finanziellen Einfluss gewinnen. Angesichts dieser Vorausschau wäre der Titel der chinesischen Übersetzung seines Buches – Die große Vorhersage – vielleicht passender gewesen.
Warum hat Subramanian so klar erkannt, was andere Ökonomen nicht sehen konnten? Sein Modell hat im Gegensatz zum üblichen analytischen Rahmen der Ökonomie die Variable der Größe mit einbezogen.
Ein Jahrzehnt später kann Chinas finanzieller Einfluss nicht mehr ignoriert werden. In den zwanzig Monaten nach dem 1. April 2019 wurden 364 in Renminbi notierte chinesische Anleihen, die von den politischen Staatsbanken Chinas herausgegeben wurden, zum Bloomberg Barclays Global Aggregate Index hinzugefügt.
Als chinesische Staatsanleihen zum ersten Mal in einem großen globalen Index vertreten waren, war dies ein Meilenstein für die Öffnung der Finanzmärkte des Landes. Ein weiterer Fortschritt war, dass JP Morgan chinesische Staatsanleihen im ersten Quartal 2020 in seinen Hauptindex aufnahm. Und Ende dieses Jahres wird auch FTSE Russell folgen.
Bald sind chinesische Anleihen also in allen drei der großen Anleihenindizes gelistet, die von den weltweiten Investoren verfolgt werden. Deshalb überrascht es nicht, dass der RMB Globalization Index, der die ausländische Verwendung des Renminbi abbildet, drei Jahre lang jährlich um 40 Prozent gestiegen ist und in diesem Jahr neue Höchststände erreicht hat.
Durch die schnelle Internationalisierung des chinesischen Anleihenmarkts wurde auch die Internationalisierung des Renminbi beschleunigt – ein Prozess, den die Regierung schon seit langem zu fördern versucht. 2010 hat China ausländischen Zentralbanken, Renminbi-Clearingbanken und Teilnehmerbanken die Möglichkeit gegeben, in den chinesischen Interbanken-Anleihenmarkt zu investieren.
2014 hat das Land dann den Investitionskanal Shanghai-Hongkong Stock Connect und zwei Jahre später den Shenzhen-Hongkong Stock Connect ins Leben gerufen. Beide verwenden ein wechselseitiges Renminbi-Abrechnungssystem. Außerdem hat es die chinesische Zentralbank ausgewählten institutionellen Investoren aus dem Ausland ermöglicht, ohne Quoten oder Restriktionen direkt auf den chinesischen Interbanken-Anleihenmarkt zuzugreifen und damit über die Handelsinfrastruktur in Hongkong Zugang zu den Märkten für festverzinsliche chinesische Wertpapiere zu bekommen.
Diese Bemühungen tragen Früchte. Laut der Financial Times haben die Investoren aus Übersee über die Shanghai- und Shenzhen-Hongkong Stock Connects dieses Jahr chinesische Aktien im Nettowert von 35,3 Milliarden Dollar gekauft – eine jährliche Steigerung von etwa 49 Prozent. Im Juli hielten sie – über diese Kanäle – in Renminbi notierte Klasse-A-Aktien chinesischer Firmen im Wert von mehr als 228 Milliarden Dollar.
Darüber hinaus haben Investoren aus Übersee in diesem Jahr nicht nur chinesische Staatsanleihen für über 75 Milliarden Dollar gekauft, was einer jährlichen Steigerung von 50 Prozent entspricht, sondern auch für etwa 578 Milliarden Dollar chinesische Anleihen über den China Bond Connect-Investitionskanal. Momentan halten ausländische Investoren insgesamt chinesische Aktien und Anleihen im Wert von 806 Milliarden Dollar – 40 Prozent mehr als im Vorjahr.
Zu diesem enormen Anstieg der Käufe chinesischer Wertpapiere hat zweifellos auch die ultralockere Geldpolitik in den USA und der Europäischen Union während der Covid-19-Pandemie beigetragen. Aus den USA und der EU fließt eine enorme Menge Geld heraus, und China ist dafür ein sichererer Hafen als andere Schwellenländer.
Aber das bedeutet nicht, dass dieser Trend nur kurzfristig ist: Die jährliche Umfrage von Global Public Investor Survey, die vom Official Monetary and Financial Institutions Forum veröffentlicht wurde, zeigt, dass 30 Prozent der Zentralbanken planen, ihre Renminbi-Bestände in den nächsten 12 bis 24 Monaten zu erhöhen – verglichen mit zehn Prozent im letzten Jahr. In Afrika will sogar fast die Hälfte der Zentralbanken ihre Renminbi-Reserven aufstocken.
So wird der Renminbi seinen Anteil an den weltweiten Auslandswährungsreserven in den nächsten fünf Jahren wohl jährlich um etwa einen Prozentpunkt steigern. Laut Untersuchungen von Goldman Sachs und Citi soll er innerhalb eines Jahrzehnts zu den drei weltweit führenden Währungen gehören.
Während China seine Kapitalmärkte öffnet, treibt es im Stillen auch die Entwicklung seiner digitalen Zentralbankwährung (CBDC, central bank digital currency) namens e-CNY voran. Bei dieser Art von Währung, die dort momentan in zehn wichtigen, repräsentativen Städten getestet wird, hat China gegenüber der überwiegenden Mehrheit anderer Zentralbanken einen großen Vorsprung: 80 Prozent von ihnen haben mit der Entwicklung eines Digitalwährungssystems begonnen, aber nur 16 Prozent bereits die Pilotphase erreicht.
Außerdem hat China ein digitales grenzüberschreitendes Zahlungssystem entwickelt. Dazu hat sich die PBOC mit der geldpolitischen Behörde von Hongkong sowie den Zentralbanken Thailands und der Vereinigten Arabischen Emirate zusammengeschlossen, um ein multilaterales Forschungsprojekt namens Multiple CBDC Bridge zu starten, das Möglichkeiten untersuchen soll, um Digitalwährungen in grenzüberschreitende Zahlungssysteme zu integrieren.
Zwar wird der e-CNY momentan als Gutschein zur Barzahlung verbreitet, aber sein Potenzial ist gewaltig. Angesichts zunehmender Handels- und Investitionsströme im Rahmen der chinesischen Neuen Seidenstraße wird der e-CNY die Verwendung des Renminbi für grenzüberschreitende Transaktionen steigern, die Abhängigkeit vom US-geführten SWIFT-Netzwerk verringern und die Grundlage für die Einführung eines bequemeren regionalen Digitalwährungs-Zahlungsnetzwerks unter chinesischer Leitung schaffen. Wichtiger noch ist, dass der e-CNY China sicherlich dabei helfen wird, seine Inlandsschulden in Höhe von mehreren Billionen Dollar zu internationalisieren. So kann das Land einen enormen Markt schaffen und den Renminbi in eine internationale Währung verwandeln.
Vor welchen Herausforderungen China auch stehen mag, sein finanzieller Aufstieg kann nicht länger ignoriert werden. Und Subramanians Jahrzehnte alte Vorhersage bleibt gültig. Sie wird sogar schneller und umfassender eintreffen, als die meisten Beobachter erwarten.
Zhang Jun ist Dekan der Schule für Ökonomie an der Fudan-Universität und Direktor des China-Zentrums für Ökonomische Studien, einem Think-tank aus Shanghai. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.
Copyright: Project Syndicate, 2021.
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Clemens Uhlig ist seit Beginn des Monats Senior Director Market Research & Intelligence and New Business Development bei SAIC Volkswagen in Shanghai. Zuvor war Uhlig als Director Platform- & Function-Strategy, Requirement- & Innovation-Management bei Volkswagen in Peking tätig.
Uwe Reifke hat Anfang August die Position als Engineering Director JV SHBRT, Services Technical Solutions Director bei Alstom in Shanghai übernommen. Reifke hat zuvor rund zwölf Jahre für Bombardier gearbeitet.
Nach gut 17 Monaten scheint eine Herde asiatischer Elefanten, die wegen ihrer ungewöhnlichen Wanderschaft inzwischen internationale Bekanntheit erlangt hat, in Yunnan wieder auf dem Heimweg zu sein. Die 14 Tiere wurden über den Yuanjiang-Fluss geführt. Ein Pfad soll sie von dort wieder in das Naturschutzgebiet in Xishuangbanna Dai leiten, nahe der Grenze zu Myanmar. Doch dorthin ist es noch ein weiter Weg: Zu Beginn der Woche befand sich die Herde noch rund 200 Kilometer von ihrem Reservat entfernt. Die wilden Tiere machten weltweit Schlagzeilen, da sie scheinbar planlos durch Yunnan gezogen und dabei hohe Sachschäden verursacht hatten. Luftaufnahmen, die die Tiere bei einem Nickerchen zeigten, gingen um die Welt. Expert:innen rätseln weiterhin, was die Elefanten dazu bewegte, das Naturschutzgebiet zu verlassen.
mit zunehmender Sorge blickt der Westen auf Chinas militärische Aufrüstung. Die Landstreitkräfte werden modernisiert, die Marine ausgebaut und zudem neue Silos für Chinas Atomwaffen gebaut. Das Ziel hinter all dem ist für Zhao Tong klar: China will gegenüber den USA eine militärische Überlegenheit erzielen. Der Militärexperte mahnt, der Westen sollte Pekings militärisches Streben sehr ernst nehmen. In Hongkong könne man die Konsequenzen längst sehen – und auch die Lage rund um Taiwan werde sich deshalb verändern. Warum die USA an dieser Entwicklung nicht unschuldig sind, erklärt der chinesische Militärexperte bei uns im Interview.
Dass eine Zusammenarbeit zwischen den USA und China nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich sein kann, zeigt Frank Sieren. Er erklärt in seiner heutigen Analyse, wie Forscher beider Länder, Künstliche Intelligenz und Chinas antike Klassiker zusammenfinden – und gemeinsam längst vergessene Schriftzeichen neu entschlüsseln. “Handian Chongguang” ist ein beeindruckendes Projekt, das die USA und China, die Song-Dynastie und das 21. Jahrhundert, antike Schriftzeichen und digitale Software zusammenführt – um Chinas Klassiker wieder ans Licht zu bringen.
Unterdessen hat Peking nach den neuerlichen Corona-Ausbrüchen dutzende Beamte zur Rechenschaft gezogen. Die Delta-Variante breitet sich rasant aus – und führt den Verantwortlichen die Grenzen ihrer “Null-Covid”-Strategie vor Augen. Doch daran will die Regierung nicht rütteln – mit Folgen auch für deutsche Unternehmen.
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Im Westen blickt man mit Angst und Sorge auf Chinas militärische Aufrüstung. Was steckt dahinter? Wie würden Sie die übergeordnete Strategie der Volksrepublik beschreiben?
Es gibt zwei Hauptkategorien: Das erste Ziel Chinas besteht darin, seine – laut Eigenwahrnehmung – nationalen Interessen verteidigen zu können. Dazu gehört die nationale Vereinigung mit Taiwan sowie die Sicherung von Territorialansprüchen, einschließlich der Landgrenzen zu Indien und den maritimen Ansprüchen im Südchinesischen Meer.
Daneben besteht für die Volksrepublik auch ein neues Bedürfnis, nämlich seine wachsenden Auslandsinteressen schützen zu können: etwa wirtschaftliche Investitionen oder die wachsende Anzahl an Staatsbürgern, die im Ausland Geschäfte machen oder studieren.
Haben sich die militärischen Ambitionen verändert, seit Xi Jinping die Macht übernommen hat?
In Bezug auf die gerade erwähnte erste Kategorie ist die Denkweise mehr oder weniger gleichgeblieben. China sieht die größte Herausforderung für seine Sicherheitsinteressen durch andere Großmächte, die sich einmischen könnten. Aber was sich geändert hat, ist das Tempo der militärischen Modernisierung. In den letzten Jahren konnte China aufgrund des schnellen Wirtschaftswachstums mehr in den Militärsektor investieren. Nachdem Xi Jinping an die Macht gekommen war, rief er dazu auf, den “Traum von einem starken Militär” zu verwirklichen.
Die Militärausgaben der Volksrepublik steigen jährlich um rund sieben Prozent, liegen weltweit an zweiter Stelle – aber deutlich hinter den USA. Kritiker sagen allerdings, dass die offiziellen Zahlen Chinas militärische Macht nicht adäquat widerspiegeln.
Als chinesischer Analyst bin ich nicht in der Lage, Chinas offiziell erklärten Militärhaushalte kritisch zu bewerten. Aber ich stimme Ihrer Beschreibung zu, dass ausländische Analysten unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie glaubwürdig der offiziell angekündigte Haushalt tatsächlich das Niveau der Militärinvestitionen widerspiegelt. Sie haben darauf hingewiesen, dass es schwer zu sagen ist, was genau im Verteidigungshaushalt enthalten ist, zum Beispiel bestimmte Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Und natürlich muss man auch die Kaufkraft eines Landes berücksichtigen. Das würde die Höhe des chinesischen Budgets im Verhältnis zu den Ausgaben anderer Länder erheblich verändern.
Inwiefern beschleunigt der Westen – insbesondere die USA – mit einer deutlich aggressiveren Chinapolitik die Militarisierung Pekings?
Wenn China eine größere Bedrohung durch die USA wahrnimmt, dann wächst die Dringlichkeit Pekings, seine militärische Macht weiter aufzubauen, um dieser wahrgenommenen Bedrohung entgegenzuwirken. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: China hatte bislang eine eher zurückhaltende Nuklearstrategie beibehalten. Das Nukleararsenal war jahrzehntelang viel kleiner als das der Vereinigten Staaten, weil Chinas allgemeine Sicherheitsbeziehung zu den USA während dieser Zeit zwar nicht gut, aber relativ stabil war. Die Volksrepublik sah keine unmittelbare nukleare Bedrohung durch die USA.
Doch jetzt baut China seine Nuklearstreitkräfte schneller aus als je zuvor.
Chinas Führer Xi Jinping selbst hat dem chinesischen Militär befohlen, die Entwicklung strategischer Abschreckungsfähigkeiten zu beschleunigen. Das ist ein deutliches Signal von oberster Ebene. Und dahinter stehen mehrere treibende Kräfte.
Ursprünglich war Chinas Ziel immer, eine überlebensfähige und sichere Zweitschlagfähigkeit aufzubauen, damit die USA es nicht in Betracht ziehen würden, China zuerst mit Atomwaffen anzugreifen. Es braucht also nur ausreichend Atomwaffen, um einen amerikanischen Erstschlag zu überleben, und dann noch genügend Atomwaffen zu haben, um eine Vergeltung gegen das US-Festland zu starten.
Mittlerweile argumentieren viele chinesische Strategen jedoch, dass China seine Nuklearmacht ausbauen muss, weil die USA eine viel stärkere Feindseligkeit gegenüber China demonstrieren. Wenn man es analytisch betrachtet, ergibt das keinen Sinn. Denn egal wie feindselig Ihr Gegner ist: Solange Sie über eine sichere Zweitschlagfähigkeit verfügen, können Sie ihn davon abhalten, zuerst Atomwaffen einzusetzen.
Inwieweit sollte das die USA beunruhigen?
Die Vereinigten Staaten machen sich nicht unbedingt Sorgen, dass China Atomwaffen in einem militärischen Konflikt zuerst einsetzen wird. Aber sie sorgen sich um die Ungewissheit dahinter, warum Chinas Militär seine Nuklearstreitkräfte ausbaut: Einige Kritiker argumentieren, dass die Volksrepublik in Zukunft seine traditionell bescheidene Nuklearhaltung ändern und sein Arsenal zunehmend zur Druckausübung statt Abschreckung einsetzen könnte.
Um die Perspektive zu wahren: Die USA haben nach wie vor etwa zwölfmal so viele Atomsprengköpfe wie China. In anderen Bereichen hingegen, zum Beispiel bei den Seestreitkräften, holt China rasant auf.
Schaut man sich die Zahl der Militärschiffe an, hat China bereits eine größere Zahl als die US-Marine. Aber rein qualitativ besitzen die USA noch immer die deutlich fortschrittlichsten Marinetechnologien. China holt allerdings sehr, sehr schnell auf.
Und die künftigen Entwicklungen sind aus US-Sicht wirklich besorgniserregend. Der derzeitige US-Militärhaushalt wird wohl auf absehbare Zeit stagnieren, nicht zuletzt gebremst durch die vielen Checks und Balances. Die Volksrepublik hingegen ist bereit, mehr Ressourcen zu investieren, auch weil die chinesische Öffentlichkeit die Rüstungsindustrie als Kerninteresse der Nation wahrnimmt. Sie ist vor öffentlicher Kontrolle weitgehend sicher.
Welche Rolle spielen Zukunftstechnologien beim Wettrüsten? China investiert massiv in Künstliche Intelligenz und Big Data.
Es ist schwer vorherzusagen, da beide Militärs ihre spezifischen KI-Programme sehr geheim halten. Zudem lässt sich nicht leicht prognostizieren, welches Regierungssystem Künstliche Intelligenz effizienter für die militärische Modernisierung nutzen kann.
Wie meinen Sie das?
Chinas System ist eher zentralisiert und von oben herab. Zudem gibt es weniger Sorge um Privatsphäre oder rechtliche Einschränkungen. Und natürlich hat China auch die sogenannte zivil-militärische Fusionsstrategie implementiert, die es der Regierung ermöglichen wird, zivile Technologien für nationale Verteidigungszwecke zu nutzen.
In den USA herrscht ein anderes System vor: Programmierer müssen sich wirklich sorgen, ob sie gegen das Gesetz verstoßen oder in die Privatsphäre der Bevölkerung eindringen. In anderen Bereichen hingegen sind sie jedoch weniger eingeschränkt: Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass sie die roten Grenzen der Regierung überschreiten. Sie können offener sein.
Anders als das chinesische Militär, das Zeit für Parteiversammlungen aufbringen muss, jede wichtige Rede der Führer studieren und alle möglichen Arbeiten für die Umsetzung der Parteipolitik erledigen muss. Nicht zuletzt haben US-Privatunternehmen manchmal stärkere Anreize, mit dem Militär zusammenzuarbeiten – ohne befürchten zu müssen, dass ihre Patente von der Regierung willkürlich übernommen werden, ohne davon finanziell davon profitieren.
Wie lautet ihr Fazit: Ist es nur eine Frage der Zeit, bis das chinesische Militär die USA als Nummer eins überholt?
Ich kann mein Verständnis darüber darlegen, wie die Chinesen denken: Letztlich entscheidet die wirtschaftliche Macht über die militärische Macht. Wenn Chinas Wirtschaft also die US-Wirtschaft in Zukunft überholen kann, wird das chinesische Militär früher oder später ebenfalls dominieren. Und nach Einschätzung westlicher Wissenschaftler wird die chinesische Wirtschaft bereits 2028 an den USA vorbeiziehen. Das stimmt die Regierung zuversichtlich, dass die Zeit auf ihrer Seite ist. Deshalb setzt die chinesische Führung auch so stark auf wirtschaftliche Entwicklung: Denn die bestimmt alles andere.
In Europa argumentiert insbesondere die Linke, dass die Volksrepublik ja nur einen einzigen Militärstützpunkt im Ausland habe und nicht als Bedrohung dämonisiert werden dürfe. Ist das naiv?
Kein Land entwickelt militärische Macht mit dem ausdrücklichen Ziel, andere Länder zu erobern. Alle Staaten, auch die Volksrepublik, wollen nur ihre vermeintlichen nationalen Interessen verteidigen. Aber die Frage ist doch: Ist es wirklich legitim, jene Interessen mit militärischen Mitteln zu verteidigen? Etwa wenn ein Land einen Territorialstreit hat: Ist es dann in Ordnung, wenn es einfach seine militärische Macht nutzt? Oder sollte nicht das Völkerrecht eine Rolle spielen?
Kommen wir zu China zurück: Peking sieht eine mögliche US-Militärintervention als größte Bedrohung an. Aus diesem Grund glaubt die Regierung auch, eine Militärmacht aufbauen zu müssen, die ausreichend stark ist im Vergleich zu Washington und all seinen Verbündeten in der Region. Das Ziel ist zwar Selbstverteidigung. Dennoch kann der Ansatz der Volksrepublik von anderen Ländern als ehrgeizig angesehen werden kann, da Peking eine Art militärische Überlegenheit in der Region aufbauen muss, um dieses defensive Ziel zu erreichen.
Und was passiert, wenn China dieses Ziel erreicht hat?
Dann wird Chinas militärische Überlegenheit die USA und ihre Verbündeten de facto davon abhalten, einzugreifen, wenn China seine nationalen Interessen durchsetzt. Nehmen wir das Beispiel Taiwan: Die Forderung nach nationaler Vereinigung mit Taiwan ist ein wichtiges Ziel der aktuellen politischen Führung. Ich glaube jedoch nicht, dass man einen verfrühten Konflikt anzetteln möchte. Solange nach wie vor Zweifel bestehen, ob die USA intervenieren können, ist Chinas Militär noch nicht stark genug.
Wenn China jedoch eine offensichtliche militärische Überlegenheit erlangt hat, werden die USA wissen, dass sie diesen Konflikt nicht gewinnen können. Zu diesem Zeitpunkt kann die Volksrepublik ihr Ziel erreichen, ohne einen Schuss abzufeuern. Und die jüngsten Entwicklungen haben Chinas Denken bestätigt: Da es bereits eine gewisse militärische Macht gesichert hat, brauchte es sich keine Sorgen vor einem gewaltsamen Eingriff aus dem Ausland zu machen, als es Maßnahmen zur Bewältigung der Situation in Hongkong ergriff.
Halten Sie einen militärischen Konflikt zwischen den USA und China für ein realistisches Szenario?
Ich glaube nicht, dass die Volksrepublik die Absicht hat, einen Konflikt zu provozieren. Die Priorität der Staatsführung ist klar: Es braucht Zeit, um eine umfassende nationale Macht aufzubauen. Und wenn Chinas Macht stark genug ist, kann es seine vermeintlichen Interessen verteidigen, ohne weiter kämpfen zu müssen.
Könnten bilaterale Abrüstungsverhandlungen dabei helfen, das Wettrüsten zwischen den zwei Weltmächten einzudämmen?
Ich bin da sehr pessimistisch. Beide Seiten können nicht einmal mehr in grundlegenden Sachfragen eine Einigung erzielen, zum Beispiel über Xinjiang. Der Westen glaubt aufrichtig, dass sich dort eine schreckliche humanitäre Krise ereignet. In China hingegen glauben die meisten Experten, dass diese vollständig von westlichen Medien erfunden wird, und dass die Regierungsmaßnahmen in der Region gegen keine rechtlichen oder moralischen Standards verstoßen.
Stattdessen glauben sie, dass der Westen China absichtlich dämonisiert – etwa in Bezug auf Hongkong, Xinjiang oder Taiwan – und zwar nicht, weil man sich um Demokratie oder Menschenrechte schert, sondern aus Sorge, dass China den Westen im internationalen System als dominierende Macht ablösen könnte. Wenn sich die beiden Seiten in solchen Sachfragen nicht mal mehr einigen können: Wie können sie dann eine gemeinsame Lösung zur Abrüstung entwickeln?
Welchen Weg wird China stattdessen im Umgang mit dem Westen wählen?
Der Trend ist besorgniserregend: China hält es für nutzlos, mit dem Westen zu reden und im Dialog zu überzeugen. Vielmehr ist die Staatsführung davon überzeugt, dass sie die Meinung der westlichen Länder nur dadurch ändern kann, indem sie ihre Macht aufbaut. Denn Macht ist das Einzige, was der Westen respektiert. Dies bedeutet auch, dass es keinen innerchinesischen Konsens über Abrüstungskontrollen gibt, die Chinas militärische Entwicklung beschränken würden.
Tong Zhao wurde in der zentralchinesischen Provinz Henan geboren. Sein Masterstudium der internationalen Beziehungen absolvierte er an der renommierten Tsinghua-Universität, bevor er für seinen Doktor ans Georgia Institute of Technology ging. Derzeit forscht der Militärexperte am Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy zu Abrüstung und Atomwaffenpolitik.
Künstliche Intelligenz (KI) macht uralte chinesische Literatur und Schriften wieder lesbar. In einem Projekt namens Handian Chongguang, was so viel bedeutet wie “chinesische Klassiker wieder ans Licht bringen”, arbeiten chinesische und us-amerikanische Forscher gemeinsam daran, klassische Texte zu entschlüsseln. Die Krux dabei: Die Bedeutung von Zehntausenden Schriftzeichen, die seit langer Zeit aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind, muss die Software identifizieren und lesen lernen.
Innerhalb von zwei Jahren wurden im Rahmen des Projekts rund 200.000 Seiten von antiken Büchern und Schriften erfasst. Darin sind rund 30.000 Zeichen enthalten, die heute nicht mehr benutzt werden, aber von KI mit Schlagworten zur Online-Suche verknüpft werden müssen. Dazu gehörten Texte wie das auf die Jahre 1060-1080 datierte Jinsushan Tripitaka, eines der ersten chinesischen Werke, das mit einem Impressum versehen wurde. Hinzukommen etliche Manuskripte aus der Song-Dynastie (960 bis 1279) sowie aus der Yuan-Dynastie (1279 bis 1368). Das Vorbild des Projekts sind die offenen Forschungsbibliotheken in den USA, wo historische Dokumente, einschließlich seltener Bücher und nicht urheberrechtlich geschützter Manuskripte, online zugänglich sind.
Die Technik, die dabei zum Einsatz kommt, wird optische Zeichenerkennung (OCR) genannt. Dabei generiert der Computer aus gescannten Papier-Dokumenten oder aus Fotos einen Text, der dann bearbeitet werden kann. Bislang war es äußerst schwierig, antike chinesische Schriftzeichen derart zu digitalisieren, eben weil sie heute nicht mehr vorkommen. Alte chinesische Zeichen, die ihren Ursprung in Hieroglyphen haben, entwickelten sich erst langsam und stetig im Laufe der Jahrhunderte.
Manchmal war das, was die KI als unterschiedliche Charaktere erkannte, tatsächlich das gleiche Zeichen, das zu unterschiedlichen Zeiten in verschiedenen Stilen geschrieben wurde. Es musste also erst eine völlig neue Datenbank als Referenz geschaffen werden. Um den Arbeitsaufwand zu reduzieren, gruppierten die Forscher ähnlich aussehende Zeichen mithilfe einer weiteren KI-Software. Als nächstes überprüften Sprachhistoriker, welche Wörter tatsächlich übereinstimmten und welche nicht. Das neue Modell kann jetzt 30.000 alte chinesische Schriftzeichen effizient erkennen und übertrifft dabei die Geschwindigkeit eines menschlichen Experten um das Dreißigfache. Die Genauigkeitsquote beim Erkennen der Zeichen wird mit 97,5 Prozent beziffert. Wenn man sich auf der Internetseite von Handian Chongguang einloggt, findet man alle fotografierten Seiten am unteren Rand aufgereiht. Oben befindet sich ein Suchfeld für Schlüsselwörter.
Um die alten Texte Experten und anderen Lesern in China zugänglich zu machen, gab es immer wieder Anstrengungen, vorhandene Schriften zu digitalisieren. So rief der chinesische Staatsrat im Jahr 2007 eine Datenbank mit mehr als drei Millionen Büchern ins Leben. 2016 folgte ein digitales Archiv der Chinesischen Nationalbibliothek mit mehr als 33.000 Büchern.
Für das Projekt “Handian Chongguang”, das 2018 gegründete wurde, bündelten diesmal die Universität von Sichuan, die Chinesische Nationalbibliothek, die Bibliothek der ostchinesischen Provinz Zhejiang, die DAMO Academy, ein Forschungsinstitut des E-Commerce-Unternehmens Alibaba, und die University of California in Berkeley ihre Kräfte. Anfang dieses Jahres überreichte die Universität Berkeley, eine der größten wissenschaftlichen Bibliotheken mit reichen Beständen an alten chinesischen Büchern, eine Festplatte mit 200.000 gescannten Seiten antiker chinesischer Schriften an das Team in China, dessen Aufgabe es dann war, einer künstlichen Intelligenz das Lesen dieser Seiten beizubringen.
Die Uni Berkeley konnte einen derart großen Bestand liefern, weil während Chinas wechselhafter Geschichte viele wertvolle klassische Texte der vergangenen 200 Jahre ihren Weg in Forschungsbibliotheken und Museen auf der ganzen Welt fanden. Nach Schätzungen gibt es mehr als 400.000 chinesische antike Schriften, die sich außerhalb des Landes befinden. Das Ganze hat auch einen patriotischen Aspekt, da hier Chinas technologische Ambitionen auf die klassische chinesische Kultur trifft. “Wir glauben, dass Technologie eine entscheidende Rolle bei der Bewahrung unseres wertvollen kulturellen Erbes spielen kann”, erklärt Jeff Zhang, Leiter der Alibaba DAMO Academy.
Auch anderswo auf der Welt wurde bereits KI eingesetzt, um innerhalb der Epigrafik – der Entzifferung antiker Quellen – alte Texte zu restaurieren. So wurden Googles Deepmind-Algorithmen benutzt, um altgriechische Texte zu vervollständigen, bei denen einzelne Buchstaben oder ganze Wörter fehlten. Die nach dem Orakel von Delphi “Pythia” getaufte KI wurde mit einem umfassenden digitalen Kompendium antiker Inschriften trainiert, ähnlich jener neu erstellten Datenbank aus China, die in Zukunft eine wichtige Basis für die Entschlüsselung komplexer chinesischer Texte liefern soll. Der nächste Schritt ist dann, die Texte auch in anderen Sprachen der Welt zugängig zu machen.
Nur wenige Monate nach dem Verlust ihrer Börsenzulassung in New York plant die China Telecom die weltweit größte Neuemission des Jahres in Shanghai. Das Unternehmen ist der größte Festnetzbetreiber des Landes und peilt mit einem Preis von 4,53 Yuan pro Aktie, umgerechnet knapp 70 US-Cent, Einnahmen von mehr als 47 Milliarden Yuan an. Sollte eine mögliche Mehrzuteilungsoption gezogen werden, könnte der Börsengang sogar mehr als 54 Milliarden Yuan einbringen, etwas mehr als 8,3 Milliarden US-Dollar.
Mit dem Listing würde China Telecom noch einmal deutlich mehr Kapital aufnehmen als der Videodienst Kuaishou Technology, dem im Februar in Hongkong beim bislang größten Börsengang im Jahr 2021 rund 5,4 Milliarden Dollar in die Kasse gespült worden waren. Das Geld soll vornehmlich zum Ausbau von 5G- und Cloud-Infrastrukturen verwendet werden.
China Telecom gehört zusammen mit China Mobile und China Unicom zu den drei größten Telekommunikationsanbietern der Volksrepublik. Das Trio war im Januar auf Anordnung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump, neben zahlreichen anderen chinesischen Technologiefirmen, vom Handel in den Vereinigten Staaten dekotiert, also ausgeschlossen worden. Hintergrund für den Erlass ist die Sorge der US-Regierung, dass Kapital US-amerikanischer Investoren in chinesische Firmen fließt, die aufgrund der Gesetzeslage zur Kooperation mit chinesischen Sicherheitsdiensten oder dem Militär gezwungen sind.
Peking ermutigt seine Tech-Firmen derweil zu Börsengängen auf chinesischem Parkett oder am Handelsplatz in Hongkong. Der Fahrdienstleister Didi Chuxing wurde kürzlich sogar aktiv daran gehindert, neue Anteilsscheine in New York herauszugeben. grz
Der Ton ranghoher deutscher Politiker gegenüber der Volksrepublik China verschärft sich. “Peking will keine faire Verflechtung von Lieferketten, es will Kontrolle über Märkte und über das politische Handeln anderer Staaten gewinnen, auch über Europa, auch über uns in Deutschland”, warnt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in einem Essay zum 40-jährigen Jubiläum des Amtes des “Koordinators für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit” der Bundesregierung. China habe mit seinem geopolitischen Ehrgeiz und machtvollem Dominanzanspruch “mit offener Gesellschaft, Menschenrechten und gelebter Demokratie nicht viel im Sinn”, schreibt die deutsche Verteidigungsministerin weiter. Das Handelsblatt hatte zuerst aus dem Text zitiert.
Kramp-Karrenbauer erklärt in ihrem Beitrag für die Festschrift “Den neuen Westen schmieden” das transatlantische Verhältnis zu den USA zur “Schicksalsfrage”. Europa könne im Hinblick auf Pekings Streben ohne die US-Amerikaner “nicht frei und sicher bleiben”. Auch den Vereinigten Staaten legt sie eine enge Kooperation mit dem “großen und einflussreichen Wirtschaftsblock der Europäischen Union” nahe, um im Wettbewerb mit der Volksrepublik bestehen zu können.
Auch Kanzlerkandidat Armin Laschet wirbt eindringlich für eine enge Zusammenarbeit mit den USA, um gemeinsam technologische Standards zu entwickeln. “Nicht zuletzt wäre damit ein deutliches – und vielleicht das wichtigste – Signal gegenüber der Volksrepublik China verbunden. Denn transatlantisch teilen wir die Auffassung, dass China nicht nur Verhandlungspartner und Wettbewerber, sondern auch Systemrivale ist”, so Laschet. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sieht in einem handlungsfähigen Europa die Basis für eine gemeinsame, erfolgreiche Strategie mit Washington.
Herausgeber der Festschrift ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Beyer, der seit 2018 das Amt des Deutsch-Amerikanischen Koordinators innehat, welches 1981 eingeführt wurde. Man habe die chinesische Diktatur zu lange unterschätzt, schreibt Beyer in seinem Beitrag. Die Neutralität gegenüber der chinesischen Regierung bezeichnet er als “naiv und gefährlich”, das chinesische Infrastrukturprojekt “Belt and Road”-Initiative (BRI) als “besorgniserregend”. Eine Entkopplung sei aus Sicht Beyers allerdings unrealistisch. grz
In China sind mehr als 30 Funktionäre wegen der jüngsten Corona-Ausbrüche bestraft worden. Beamte in vier betroffenen Provinzen seien wegen “schleppender Reaktion und unzureichendem Management” zur Verantwortung gezogen worden, berichtete die staatliche Zeitung “Global Times”. Um welche Strafen es sich genau handelt, wurde nicht näher genannt. Betroffen seien Vizebürgermeister, Bezirksvorstände, Leiter von lokalen Gesundheitskommissionen, Krankenhausmanager und Beamte aus der Flughafen- und Tourismusbranche.
In Nanjing seien mindestens 15 Beamte bestraft worden, hieß es weiter in dem Bericht. Darunter waren demnach auch ein Vizebürgermeister der Stadt, Hu Wanjin, der Parteichef der Nanjing Health Commission, Fang Zhongyou, sowie der Kommandant der Anti-Epidemie-Kontrollarbeiten am Flughafen von Nanjing, Wang Chao. Auch in der Touristenstadt Zhangjiajie in der Provinz Hunan wurden 20 Beamte und öffentliche Posteninhaber bestraft.
Durch die stark ansteckende Delta-Variante des Coronavirus wurden zuletzt den Behörden die Schwierigkeiten der “Null-Covid”-Strategie offenbar. Nach einem Ausbruch am Flughafen von Nanjing vor drei Wochen breitet sich das Virus rasant aus. Bislang wurden landesweit mehr als 900 Infektionen mit der Variante gemeldet.
Nachdem sich mehrere Experten gegen den “Null-Covid”-Ansatz ausgesprochen hatten (China.Table berichtete), zitierten mehrere staatliche Medien nun den ehemaligen Gesundheitsminister Gao Qiang, der in einem Essay gegen Staaten wetterte, die ihre Corona-Beschränkungen lockerten. Das Streben nach der sogenannten “Koexistenz mit dem Virus” habe in vielen Ländern zum Wiederaufleben der Epidemie geführt, zitiert die “Global Times” Gao. Er forderte stattdessen eine “totale Eliminierung” des Virus durch eine Kombination aus Massenimpfungen und strengen Kontrollmaßnahmen, insbesondere an den Grenzen des Landes – was Beobachter nun als Zeichen dafür werten, dass Peking die Landesgrenzen weiter geschlossen halten wird. ari
Der französisch geführte Autokonzern Renault SA wird mit dem chinesischen Automobil- und Motorradhersteller Geely in Asien enger zusammenarbeiten. Beide Konzerne einigten sich am Montag auf eine entsprechende Absichtserklärung. Im Fokus der Zusammenarbeit sollen zunächst die Märkte in China und Südkorea stehen.
Geely zufolge wolle man durch die geplante Kooperation den “Renaulution Plan” – die aktuelle Strategie der Franzosen – in Asien schneller umsetzen. Geely ist der größte private Autobauer der Volksrepublik (China.Table berichtete). Das Unternehmen mit Hauptsitz in Hangzhou soll helfen, die Präsenz des französischen Autoherstellers in Asien zu verbessern.
Konkret bedeutet das: In der Volksrepublik sollen Hybrid-Fahrzeuge unter der Marke Renault vertrieben werden, während in Südkorea die Fahrzeuge unter der Geely-Marke Lynk & Co firmieren. Dort arbeitete Geely seit zwei Jahrzehnten vor allem mit Samsung zusammen.
Die noch nicht näher spezifizierten Hybrid-Fahrzeuge für die Volskrepublik sollen “auf den bestehenden Technologien und der ausgereiften industriellen Präsenz der Geely Holding” basieren – also auf der Technik der Chinesen. Das französsiche Unternehmen übernehme in diesem Fall vor allem den Vertrieb. “Renault wird zur Markenstrategie, Kanal- und Serviceentwicklung beitragen und eine angemessene Customer Journey definieren”, heißt es dazu in der Geely-Mitteilung.
“Eine globale Marke wie Renault, ohne eine Präsenz in China, ist ein nicht akzeptables Konzept”, sagte der französische Geschäftsführer Luca de Meo gegenüber dem Nachrichtendienst Bloomberg. In den ersten sechs Monate verkaufte der französische Autohersteller in Asien rund 100.000 Fahrzeuge – das sind gerade einmal sieben Prozent seines weltweiten Geschäfts. Im selben Zeitraum sind die Autoverkäufe in der Region allerdings um 27 Prozent angestiegen.
Am Ende der Geely-Mitteilung wird explizit erwähnt, dass Kooperationen über die aktuelle Absichtserklärung hinaus durchaus möglich seien. “Beide Partner werden weiterhin nach einer vertieften potenziellen Partnerschaft im Sinne eines offenen und innovativen Partnermodus suchen.” rad
In der südwestchinesischen Provinz Sichuan sind mehr als 80.000 Menschen wegen starker Regenfälle und Überschwemmungen infolge schwerer Unwetter in Sicherheit gebracht worden. Die Wasserstände der großen Flüsse in der Provinz lagen nach Regenfällen von Freitag bis Sonntag über den Warnwerten, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf staatliche Medien berichtete. Ein Stausee in der Stadt Dazhou überschritt demnach seine Hochwassergrenze um 2,2 Meter. In sechs Städten der Provinz seien inzwischen mehr als 440.000 Menschen von Überschwemmungen betroffen. Nach Angaben des staatlichen Fernsehsenders CCTV ist in Sichuan bereits ein wirtschaftlicher Schaden von rund 250 Millionen Yuan, knapp 33 Millionen Euro, entstanden. 45 Häuser wurden zerstört, weitere 118 schwer beschädigt.
Chinesische Wetterbehörden erklärten dem Bericht zufolge, dass steigende Temperaturen die Wahrscheinlichkeit schwerer Regenfälle auf der ganzen Welt erhöht hätten und die Auswirkungen in China in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch schlimmer würden. “Extreme hohe Temperaturen und starke Regenfälle haben zugenommen, und das Klimarisiko in China nimmt zu”, sagte Chao Qingchen, stellvertretende Direktor des staatlichen Thinktank National Climate Centre.
Im Juli war die Provinz Henan von schweren Regenfällen und Überschwemmungen heimgesucht worden. Die dortige Provinzregierung beziffert die Zahl der Opfer bislang auf mehr als 300 Menschen, Dutzende weitere werden noch vermisst. Die meisten Toten werden in der Millionenmetropole Zhengzhou beklagt, wo unter anderem U-Bahnschächte mit Flutwasser nach heftigen Regenfällen vollgelaufen waren (China.Table berichtete). ari
Historisch betrachtet haben die mächtigsten Länder der Welt meist eine Sache gemeinsam: ihre Größe. Auch wenn ein großer Markt noch keine Dominanz in anderen Bereichen garantiert, ist er doch sicherlich hilfreich – vielleicht mehr als jeder andere einzelne Faktor. Dies galt für die Vereinigten Staaten, und jetzt gilt es auch für China. Über seinen Status als führende Wirtschafts- und Handelsmacht hinaus wird das Land zunehmend – und unaufhaltsam – zu einer globalen Finanzmacht.
Irgendwie haben das viele Ökonomen im Westen nicht kommen sehen. Noch vor zehn Jahren haben nur wenige das Wachstum der externen finanziellen Stärke Chinas optimistisch eingeschätzt. Skeptiker haben eher die Schwächen des Landes betont. Eine seltene Ausnahme ist Arvind Subramanian von der Brown University. In seinem Buch Eclipse: Living in the Shadow of China’s Economic Dominance von 2011 argumentierte er, Chinas Dominanz werde sich nicht nur schneller entwickeln, sondern auch umfassender sein, als fast alle erwarten – und das Land werde in den Bereichen, die von ihm umgestaltet werden, enormen finanziellen Einfluss gewinnen. Angesichts dieser Vorausschau wäre der Titel der chinesischen Übersetzung seines Buches – Die große Vorhersage – vielleicht passender gewesen.
Warum hat Subramanian so klar erkannt, was andere Ökonomen nicht sehen konnten? Sein Modell hat im Gegensatz zum üblichen analytischen Rahmen der Ökonomie die Variable der Größe mit einbezogen.
Ein Jahrzehnt später kann Chinas finanzieller Einfluss nicht mehr ignoriert werden. In den zwanzig Monaten nach dem 1. April 2019 wurden 364 in Renminbi notierte chinesische Anleihen, die von den politischen Staatsbanken Chinas herausgegeben wurden, zum Bloomberg Barclays Global Aggregate Index hinzugefügt.
Als chinesische Staatsanleihen zum ersten Mal in einem großen globalen Index vertreten waren, war dies ein Meilenstein für die Öffnung der Finanzmärkte des Landes. Ein weiterer Fortschritt war, dass JP Morgan chinesische Staatsanleihen im ersten Quartal 2020 in seinen Hauptindex aufnahm. Und Ende dieses Jahres wird auch FTSE Russell folgen.
Bald sind chinesische Anleihen also in allen drei der großen Anleihenindizes gelistet, die von den weltweiten Investoren verfolgt werden. Deshalb überrascht es nicht, dass der RMB Globalization Index, der die ausländische Verwendung des Renminbi abbildet, drei Jahre lang jährlich um 40 Prozent gestiegen ist und in diesem Jahr neue Höchststände erreicht hat.
Durch die schnelle Internationalisierung des chinesischen Anleihenmarkts wurde auch die Internationalisierung des Renminbi beschleunigt – ein Prozess, den die Regierung schon seit langem zu fördern versucht. 2010 hat China ausländischen Zentralbanken, Renminbi-Clearingbanken und Teilnehmerbanken die Möglichkeit gegeben, in den chinesischen Interbanken-Anleihenmarkt zu investieren.
2014 hat das Land dann den Investitionskanal Shanghai-Hongkong Stock Connect und zwei Jahre später den Shenzhen-Hongkong Stock Connect ins Leben gerufen. Beide verwenden ein wechselseitiges Renminbi-Abrechnungssystem. Außerdem hat es die chinesische Zentralbank ausgewählten institutionellen Investoren aus dem Ausland ermöglicht, ohne Quoten oder Restriktionen direkt auf den chinesischen Interbanken-Anleihenmarkt zuzugreifen und damit über die Handelsinfrastruktur in Hongkong Zugang zu den Märkten für festverzinsliche chinesische Wertpapiere zu bekommen.
Diese Bemühungen tragen Früchte. Laut der Financial Times haben die Investoren aus Übersee über die Shanghai- und Shenzhen-Hongkong Stock Connects dieses Jahr chinesische Aktien im Nettowert von 35,3 Milliarden Dollar gekauft – eine jährliche Steigerung von etwa 49 Prozent. Im Juli hielten sie – über diese Kanäle – in Renminbi notierte Klasse-A-Aktien chinesischer Firmen im Wert von mehr als 228 Milliarden Dollar.
Darüber hinaus haben Investoren aus Übersee in diesem Jahr nicht nur chinesische Staatsanleihen für über 75 Milliarden Dollar gekauft, was einer jährlichen Steigerung von 50 Prozent entspricht, sondern auch für etwa 578 Milliarden Dollar chinesische Anleihen über den China Bond Connect-Investitionskanal. Momentan halten ausländische Investoren insgesamt chinesische Aktien und Anleihen im Wert von 806 Milliarden Dollar – 40 Prozent mehr als im Vorjahr.
Zu diesem enormen Anstieg der Käufe chinesischer Wertpapiere hat zweifellos auch die ultralockere Geldpolitik in den USA und der Europäischen Union während der Covid-19-Pandemie beigetragen. Aus den USA und der EU fließt eine enorme Menge Geld heraus, und China ist dafür ein sichererer Hafen als andere Schwellenländer.
Aber das bedeutet nicht, dass dieser Trend nur kurzfristig ist: Die jährliche Umfrage von Global Public Investor Survey, die vom Official Monetary and Financial Institutions Forum veröffentlicht wurde, zeigt, dass 30 Prozent der Zentralbanken planen, ihre Renminbi-Bestände in den nächsten 12 bis 24 Monaten zu erhöhen – verglichen mit zehn Prozent im letzten Jahr. In Afrika will sogar fast die Hälfte der Zentralbanken ihre Renminbi-Reserven aufstocken.
So wird der Renminbi seinen Anteil an den weltweiten Auslandswährungsreserven in den nächsten fünf Jahren wohl jährlich um etwa einen Prozentpunkt steigern. Laut Untersuchungen von Goldman Sachs und Citi soll er innerhalb eines Jahrzehnts zu den drei weltweit führenden Währungen gehören.
Während China seine Kapitalmärkte öffnet, treibt es im Stillen auch die Entwicklung seiner digitalen Zentralbankwährung (CBDC, central bank digital currency) namens e-CNY voran. Bei dieser Art von Währung, die dort momentan in zehn wichtigen, repräsentativen Städten getestet wird, hat China gegenüber der überwiegenden Mehrheit anderer Zentralbanken einen großen Vorsprung: 80 Prozent von ihnen haben mit der Entwicklung eines Digitalwährungssystems begonnen, aber nur 16 Prozent bereits die Pilotphase erreicht.
Außerdem hat China ein digitales grenzüberschreitendes Zahlungssystem entwickelt. Dazu hat sich die PBOC mit der geldpolitischen Behörde von Hongkong sowie den Zentralbanken Thailands und der Vereinigten Arabischen Emirate zusammengeschlossen, um ein multilaterales Forschungsprojekt namens Multiple CBDC Bridge zu starten, das Möglichkeiten untersuchen soll, um Digitalwährungen in grenzüberschreitende Zahlungssysteme zu integrieren.
Zwar wird der e-CNY momentan als Gutschein zur Barzahlung verbreitet, aber sein Potenzial ist gewaltig. Angesichts zunehmender Handels- und Investitionsströme im Rahmen der chinesischen Neuen Seidenstraße wird der e-CNY die Verwendung des Renminbi für grenzüberschreitende Transaktionen steigern, die Abhängigkeit vom US-geführten SWIFT-Netzwerk verringern und die Grundlage für die Einführung eines bequemeren regionalen Digitalwährungs-Zahlungsnetzwerks unter chinesischer Leitung schaffen. Wichtiger noch ist, dass der e-CNY China sicherlich dabei helfen wird, seine Inlandsschulden in Höhe von mehreren Billionen Dollar zu internationalisieren. So kann das Land einen enormen Markt schaffen und den Renminbi in eine internationale Währung verwandeln.
Vor welchen Herausforderungen China auch stehen mag, sein finanzieller Aufstieg kann nicht länger ignoriert werden. Und Subramanians Jahrzehnte alte Vorhersage bleibt gültig. Sie wird sogar schneller und umfassender eintreffen, als die meisten Beobachter erwarten.
Zhang Jun ist Dekan der Schule für Ökonomie an der Fudan-Universität und Direktor des China-Zentrums für Ökonomische Studien, einem Think-tank aus Shanghai. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.
Copyright: Project Syndicate, 2021.
www.project-syndicate.org
Clemens Uhlig ist seit Beginn des Monats Senior Director Market Research & Intelligence and New Business Development bei SAIC Volkswagen in Shanghai. Zuvor war Uhlig als Director Platform- & Function-Strategy, Requirement- & Innovation-Management bei Volkswagen in Peking tätig.
Uwe Reifke hat Anfang August die Position als Engineering Director JV SHBRT, Services Technical Solutions Director bei Alstom in Shanghai übernommen. Reifke hat zuvor rund zwölf Jahre für Bombardier gearbeitet.
Nach gut 17 Monaten scheint eine Herde asiatischer Elefanten, die wegen ihrer ungewöhnlichen Wanderschaft inzwischen internationale Bekanntheit erlangt hat, in Yunnan wieder auf dem Heimweg zu sein. Die 14 Tiere wurden über den Yuanjiang-Fluss geführt. Ein Pfad soll sie von dort wieder in das Naturschutzgebiet in Xishuangbanna Dai leiten, nahe der Grenze zu Myanmar. Doch dorthin ist es noch ein weiter Weg: Zu Beginn der Woche befand sich die Herde noch rund 200 Kilometer von ihrem Reservat entfernt. Die wilden Tiere machten weltweit Schlagzeilen, da sie scheinbar planlos durch Yunnan gezogen und dabei hohe Sachschäden verursacht hatten. Luftaufnahmen, die die Tiere bei einem Nickerchen zeigten, gingen um die Welt. Expert:innen rätseln weiterhin, was die Elefanten dazu bewegte, das Naturschutzgebiet zu verlassen.