der Tod ist wohl weltweit eines der Themen, die wir alle gern meiden. Wie wir aus dem Leben scheiden – ob sanft entschlafend oder nach langer Krankheit – können wir kaum selbst bestimmen. Größte Schmerzen und ein Leiden bis zum Schluss kann man in einigen Ländern dank Sterbehilfe vermeiden. Als erste Stadt Chinas hat Shenzhen jetzt Patientenverfügungen gesetzlich verankert. Damit wird die Debatte um Sterbehilfe neu entfacht, wie Ning Wang berichtet. Shenzhen könnte ein Testlauf werden, mit dem die Behörden analysieren können, wie das Thema von den Menschen angenommen wird und wie das Gesundheitssystem damit umgehen kann. Das neue Gesetz gibt den Bürgern jedenfalls ein klein wenig Kontrolle über die letzte Entscheidung im Leben.
Den Eindruck absoluter Kontrolle hatte der Staat in jüngster Zeit in der heimischen Privatwirtschaft an den Tag gelegt. Tech-Unternehmen wurden gemaßregelt und mit Strafen belegt, Börsengänge kurzfristig ausgehebelt. Der Fahrdienstleister Didi sieht sich laut Insidern mit einer Milliardenstrafe konfrontiert. Viele Beobachter werteten die Maßnahmen als Teil einer neuen Tendenz zu mehr Staatsmacht in der Wirtschaft. Eine Studie des Peterson Institute for International Economics (PIIE) zeichnet jedoch ein anderes Bild. Dass der Privatsektor klein gehalten wird, sei angesichts der dort angeführten Zahlen nicht haltbar, schreibt Frank Sieren, der sich die Studie genauer angesehen hat. Der Gesamtumsatz der Privatunternehmen ist demnach in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen, der Anteil an Unternehmen, die vom Staat kontrolliert werden, signifikant zurückgegangen. Dass die Freiheit der Privaten jedoch eng gesteckte Grenzen hat, beweisen die Parteizellen, die unter Xi Jinping in jedem Unternehmen eingerichtet werden mussten. Privatwirtschaft bedeutet in China eben doch etwas anderes als bei uns.
Es ist ein Meilenstein: Shenzhen erlaubt künftig schwerkranken Patienten per Gesetz, sich gegen lebensrettende Behandlungen zu entscheiden, um ihr Recht auf einen würdevollen Tod zu wahren. Die Stadt hat ein neues Gesetz erlassen, das Anfang 2023 in Kraft treten soll. “Wenn sich Patienten im Endstadium einer unheilbaren Krankheit oder am Ende ihres Lebens befinden, sollten medizinische Stellen die Angaben in ihren Patientenverfügungen respektieren”, heißt es in der überarbeiteten medizinischen Verordnung, die Ende Juni veröffentlicht wurde.
Führende Staatsmedien wie Global Times berichteten auch in ihren englischen Ausgaben durchweg positiv über dieses Gesetzesvorhaben. Es wird als “zukunftsweisend” bezeichnet und würde “traditionelle Auffassungen” durchbrechen. Es sei “eine wichtige Chance für öffentliche Aufklärung über Leben und Tod”.
Die Reaktionen in den sozialen Medien auf das Gesetz waren hingegen sehr unterschiedlich. Befürworter wollen in den Plänen mehr Achtung der Menschenrechte erkennen. Während Gegner die Gefahr sehen, dass künftig todkranke Patienten von ihren Familien gezwungen werden könnten, aus Angst vor hohen medizinischen Kosten, auf eine Weiterbehandlung zu verzichten. Auf Weibo begrüßte ein Arzt die Ankündigung als “absolut notwendig”, um das Leid von Patienten zu verringern. Der Arzt bringt auch das Thema Sterbehilfe ins Spiel.
Eine öffentliche Debatte zur Sterbehilfe gibt es in China seit den 80er-Jahren. Damals wurde im Zentral- und Volksrundfunk eine Sendung zu dem Thema ausgestrahlt. Es entstand sogar der Begriff 安乐死 – AnLeSi (Frieden, Freude und Sterben) für Sterbehilfe. Eine zunächst in wissenschaftlichen Kreisen geführte Diskussion fand ihren Weg in die breite Öffentlichkeit, nachdem 1987 Deng Yingchao, die Frau des verstorbenen Ministerpräsidenten Zhou Enlai in einem öffentlichen Brief bekundete: “Ich sehe Sterbehilfe als ein materialistisches Problem”. Sie habe in einem Testament festgelegt, dass sie auf medizinische Eingriffe verzichte, wenn sie nur noch dadurch am Leben erhalten werden kann. Ihr Mann Zhou Enlai war 1976 an den Folgen von Blasenkrebs gestorben. Angeblich soll Mao Zedong Ärzten 1972 befohlen haben, die Krankheit Zhous dem Ehepaar gegenüber zunächst geheim zu halten. Zhou hatte wohl eine hohe Chance auf Heilung, wenn der Krebs sofort behandelt worden wäre.
Im Jahr 1998 wurde das Thema von chinesischen Experten aus Medizin, Recht und Ethik erneut heftig diskutiert. Man war sich einig, dass neben den rechtlichen und medizinischen Fragen auch die damit verbundenen soziologischen Probleme gelöst werden müssten. Unbeantwortet blieben dabei die Fragen: Ist Sterbehilfe ethisch vertretbar? Welcher gesellschaftlicher Wert kommt ihr zu? Sind gesetzliche Regelungen notwendig? Seitdem zeigen Meinungsumfragen, dass eine Vielzahl der Befragten dafür plädiert, Sterbehilfe per Gesetz anzuerkennen.
Die zuständigen Stellen in der Kommunistischen Partei stehen am Scheideweg. Das Thema birgt viele unbekannte Risiken. Die Entscheidung der Stadt Shenzhen respektiert das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen darüber, welche medizinische Behandlungen er oder sie am Ende des Lebens erhalten will. Damit reiht sich die Stadt in eine Praxis ein, wie sie in den meisten Industrieländern bereits vollzogen ist.
Das Gesetz in Shenzhen kann auch als Testlauf gesehen werden. Die Zentralregierung wird sich die Umsetzung genau anschauen. Welche Probleme zeigen sich dadurch im Gesundheitswesen? Wo liegen rechtliche Fallstricke?
Dass die Idee einer Patientenverfügung in das Bewusstsein der Bevölkerung vordringt, darin sehen viele Gesundheits-Experten allerdings wenig Chancen. Laut der Organisation “Beijing Living Will Promotion Association” haben seit 2011 nur etwa 50.000 Menschen eine Patientenverfügung unterschrieben. Die Organisation setzt sich dafür ein, dass Gesetze zu Patientenverfügungen erlassen werden. “Zusätzlich zu einem begrenzten Bewusstsein hindert die traditionelle Denkweise, das Leben zu schätzen und den Tod zu vernachlässigen, Menschen daran, eine ‘progressive’ Lebensentscheidung zu akzeptieren”, so der Verband.
Zudem ist unklar, inwieweit Ärzte und Angestellten in den Krankenhäusern den Patientenverfügungen folgen müssen. “Es ist nicht verpflichtend, den Verfügungen zu folgen”, sagt Chen Wenchang, Senior Partner der Anwaltskanzlei Jiachuan in Peking, gegenüber Sixth Tone. Aber die neue Shenzhener Regulierung könnte dazu beitragen, das “Konzept eines würdevollen Todes landesweit zu fördern”.
Die Regelung in Shenzhen könnte auch das medizinische Personal entlasten. “Ärzte stehen in der Regel unter enormem ethischen und emotionalen Druck, lebensrettende Maßnahmen durchzuführen, obwohl sie häufig wenig Erfolgsaussichten haben”, sagte er. Eine Patientenverfügung schützt Mediziner vor Rechtsstreitigkeiten mit der Familie des Patienten. Mitarbeit: Renxiu Zhao.
Chinas Privatunternehmen haben 2021 eine Vielzahl regulatorischer Beschränkungen hinnehmen müssen. Tech-Giganten wie Alipay und Didi wurden in ihre Schranken gewiesen. Meist waren die neuen Regeln sinnvoll, ging es doch darum, Monopole und Kartelle zu verhindern. Im Immobilienbereich sollten sie dafür sorgen, dass sich die Firmen nicht maßlos verschulden und auch bezahlbaren Wohnraum schaffen. Die Methoden der Umsetzung jedoch waren hart. Und ohne große zivilgesellschaftliche Debatte wurden die Firmen quasi über Nacht mit den neuen Spielregeln konfrontiert. Börsengänge mussten abgesagt werden, der Rechtsweg war erst einmal ausgeschlossen. Viele Beobachter werteten die Maßnahmen als Teil einer neuen Tendenz hin zu mehr Staatsmacht in der Wirtschaft, wie überhaupt die Ära Xi Jinpings mit einer stärkeren Dominanz des Staates gleichgesetzt wird.
Der Eindruck, dass der Privatsektor in China mehr denn je unterdrückt wird, täuscht jedoch. Eine vom Peterson Institute for International Economics (PIIE) durchgeführte Studie zeigt sogar das Gegenteil: Chinas größte Privatunternehmen expandieren schneller als die Staatsunternehmen.
In absoluten Zahlen, sowie gemessen an den Einnahmen oder – bei börsennotierten Unternehmen – am Marktwert sind die Unternehmen im Privatbesitz seit Xi Jinpings Amtsantritt 2011 erheblich gewachsen – auch wenn der staatliche Sektor immer noch dominiert.
Das Peterson Institute hat die Umsätze chinesischer Unternehmen aus der Fortune-Global-500-Rangliste sowie die nach Marktkapitalisierung größten Unternehmen analysiert. Der Umsatz privatwirtschaftlicher chinesischer Unternehmen lag demnach im Jahr 2011 bei 104 Milliarden US-Dollar. Das sind nicht einmal vier Prozent des Umsatzes aller Unternehmen aus der Volksrepublik – die Staatsunternehmen machen also den größten Anteil aus. Zehn Jahre später war der Umsatz der Privaten am Gesamtumsatz schon auf 19 Prozent gestiegen.
Was den Marktwert der größten börsennotierten Unternehmen anbelangt, so lag der Anteil des Privatsektors an den 100 größten börsennotierten chinesischen Unternehmen Ende 2010 bei nur acht Prozent, überschritt jedoch 2020 die 50-Prozent-Schwelle. 2021 ging der Wert aufgrund der staatlichen Regulierungen nur leicht auf 48 Prozent zurück. Das Argument, dass der Privatsektor an einer Expansion gehindert werden sollte, ist also angesichts der Zahlen kaum haltbar.
Auch ist der relative Anteil an Unternehmen, die vom Staat durch Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligungen kontrolliert werden, während des letzten Jahrzehnts signifikant zurückgegangen. Was in China häufig als Staatsunternehmen bezeichnet wird, befindet sich nicht unbedingt vollständig oder gar mehrheitlich im Besitz des chinesischen Staates, wie die Autoren der Peterson-Studie betonen. Viele staatliche Unternehmen sind Joint Ventures aus staatlichen und privaten Eigentümern. Sie liegen irgendwo zwischen staatlich und privat und es ist sehr schwierig zu entscheiden, ob sie nun privatwirtschaftlich oder staatswirtschaftlich geführt werden. In der Autoindustrie zum Beispiel hatten die großen Hersteller lange Gemeinschaftsunternehmen, wo sie nur einen 49 Prozent Anteil hatten, dennoch wurden diese Unternehmen überwiegend marktwirtschaftlich geführt. Ein anderer Sonderfall: Staatliche Unternehmen haben börsennotierte Tochtergesellschaften, die im Alltag den Ton angeben.
Seit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in den späten 1970er Jahren ist Chinas Wirtschaft spektakulär gewachsen, wobei der Löwenanteil der Expansion auf die Dynamik des Privatsektors zurückzuführen ist. Während 2005 nur 15 chinesische Unternehmen in der Fortune-Rangliste aufgeführt waren, gab es im Jahr 2021 schon 130.
Der Vormarsch des Privatsektors in Chinas größten Unternehmen scheint nicht auf eine langfristige Planung oder Entscheidungen von oben nach unten zurückzuführen zu sein, sondern eher auf eine Dynamik von unten nach oben. Die größten Unternehmen Chinas wurden praktisch nicht privatisiert, und der Staat hat auch keine Anstrengungen unternommen, um dem Privatsektor einen komparativen Vorteil zu verschaffen. Im Gegenteil: Präsident Xi Jinping erklärte 2016, dass die staatlichen Unternehmen “stärker, besser und größer” werden müssen, während gleichzeitig die Privatwirtschaft gefördert wird.
Xis Forderung: Chinas Staatsunternehmen müssen sich in einem privatwirtschaftlichen Umfeld bewähren und im internationalen Geschäft bestehen: Ein solches Beispiel ist der staatliche Hafenbetreiber China Merchants Ports. Es betreibt 30 Prozent der Häfen in China und 68 Häfen in 27 Ländern. Dazu gehört der größte Hafen Brasiliens, und der größte Hafen Afrikas, gerade in Tansania im Bau. China Merchant Ports hat aber auch Anteile an amerikanischen Häfen in Houston und Miami oder an Häfen im französischen Le Havre und Marseille.
Generell sind die privaten Unternehmen dynamischer und profitabler als die des staatlichen Sektors. Die Ausnahmen unter den Staatsunternehmen sollte man aber auch nicht unterschätzen. Der große Trend ist das, was der Chinawissenschaftler Nicholas R. Lardy als “Verdrängung staatlicher durch private Unternehmen” bezeichnete, und in dem Buch “Markets over Mao” schon vor über zehn Jahren treffend zusammengefasst hat.
Ungewöhnlich in China ist allerdings, dass die Gründung von Zellen der KP China in Privatunternehmen eingeführt wurde. Auch hier sind die Folgen ambivalent. Ein Parteisekretär kann mit seinen Kontakten dafür sorgen, dass ein Privatunternehmen besser vorankommt, indem er Lobbying beim Staat betreibt. Er kann aber auch die Geschäftsführung gängeln und ihr Steine in den Weg legen. Die Zahlen deuten darauf hin, dass dies eher die Ausnahme ist. Ärgerlich ist, dass Parteifunktionäre überhaupt die rechtliche Möglichkeit haben, in Privatunternehmen zu agieren.
Der Motor des großen Privatisierungstrends ist einfach. China möchte eine wirtschaftliche Weltmacht werden und das geht nur mit Unternehmen, die international wettbewerbsfähig sind. Das gilt besonders bei Internet- und E-Commerce, bei Elektronik, Elektroautos, Batterien, Stahl, Konsumgütern und Dienstleistungen, Pharmazeutika und Life-Science-Unternehmen. Einige der größten chinesischen Baufirmen sind ebenfalls privat, auch wenn der Immobiliensektor zuletzt durch die Finanzprobleme von Evergrande und anderen Playern angeschlagen ist. Im Gegensatz dazu werden Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, Energie und Transport weiterhin von staatlichen Unternehmen dominiert.
Das Wachstum der großen Unternehmen in staatlich dominierten Branchen ist jedoch vergleichsweise weniger schnell verlaufen. Gemessen am Marktwert haben einige große Unternehmen in den Bereichen Telekommunikation und Energie in absoluten Zahlen sogar an Wert verloren. Sie wurden von Privatunternehmen überholt.
China will einem Medienbericht zufolge die Veröffentlichung eines UN-Berichts zur Menschenrechtslage in Xinjiang verhindern. In einem Brief an Diplomaten in Genf sei gegen die Veröffentlichung des Berichts der UN-Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, geworben worden, berichtete Reuters unter Berufung auf Einblick in das Schreiben. Das Vorgehen wurde demnach von Diplomaten aus drei Ländern bestätigt, die den Brief erhalten haben.
Laut Reuters-Informationen versucht China seit Ende Juni, Unterstützung für das Zurückhalten des Berichts zu sammeln. Mit dem Brief habe China um Zustimmung unter den diplomatischen Vertretungen in Genf geworben. Eine Veröffentlichung des Xinjiang-Berichts würde “die Politisierung und Blockkonfrontation im Bereich der Menschenrechte verstärken und die Glaubwürdigkeit des OHCHR (Amt der Hohen Kommissarin für Menschenrechte) untergraben”, argumentiert der Brief.
Unklar war zunächst, ob das Büro von Bachelet den Brief auch erhalten hat. Ein OHCHR-Sprecher lehnte es ab, sich zu der Angelegenheit zu äußern. Es sei ihm zufolge jedoch gängige Praxis, vor Veröffentlichung eine Kopie des Berichtes mit der zuständigen Regierung, in diesem Fall also China, für Kommentare zu teilen. Menschenrechtsgruppen werfen Peking Misshandlungen der uigurischen Einwohner von Xinjiang vor, darunter den massenhaften Einsatz von Zwangsarbeit in Internierungslagern. China weist die Vorwürfe zurück (China.Table berichtete). niw
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wirbt für engere Beziehungen zu Taiwan, Südkorea und Japan. Das würde die Abhängigkeiten Deutschlands von China reduzieren, so Baerbock in einem Interview mit dem Portal The Pioneer. In dem Gespräch kritisierte sie zudem die Menschenrechtslage in China und schlechte Bedingungen für einige deutsche Unternehmen, wie die erzwungene Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen. Ein komplettes Reshoring nach Europa sah sie jedoch als kaum machbar. Taiwan, Südkorea und Japan könnten Ausweichmöglichkeiten für die Produktion sein.
Deutschland und die EU-Staaten sind in vielen Bereichen von Rohstoffen und Vorgütern aus China abhängig. Bei Seltenen Erden und Magnesium machen die Importe aus China jeweils gut 50 Prozent der deutschen Importe aus (China.Table berichtete). Auch bei Solarzellen, Leiterplatten und medizinischen Gütern besteht eine kritische Abhängigkeit. Zuletzt hatten Bundespräsident Frank Steinmeier und Kanzleramts-Staatssekretär Jörg Kukies vor einer zu großen Abhängigkeit bei Seltenen Erden aus China gewarnt. nib
Das US-Außenministerium hat in seinem Jahresbericht über Menschenhandel Zwangsarbeit in Chinas “Neuer Seidenstraße” angeprangert. Zwangsarbeit sei der “versteckte Preis” der “Belt and Road”- Initiative (BRI), so das Ministerium. In einigen Projekten der Neuen Seidenstraße komme es zu Vergehen wie:
Die zuständigen Behörden in China hätten demnach keine ausreichende Aufsicht über die Arbeitsbedingungen und würden Missbrauch nicht ausreichend verhindern. Die Auslandsbotschaften hätten es versäumt, ausgebeuteten Arbeitern zu helfen, so das Außenministerium. Das Ministerium sieht dabei auch die Regierungen der Gastländer, in denen BRI-Projekte durchgeführt werden, in der Pflicht. Sie sollten die BRI-Baustellen häufiger inspizieren und ausgebeutete Arbeiter besser schützen.
Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Neuen Seidenstraße sind nicht neu. Im vergangenen Jahr hatte das Business and Human Rights Resource Centre in einer Studie 679 Vorwürfe gegen China und seine Unternehmen zusammengetragen (China.Table berichtete). nib
Russland war auch im Juni der größte Erdöl-Lieferant der Volksrepublik. Chinesische Importeure nutzen den Preisvorteil, der aufgrund von westlichen Sanktionen mit russischen Lieferungen einhergeht und reduzierten teurere Lieferungen aus Saudi-Arabien, wie Reuters berichtet. Im Juni importierte China demnach durchschnittlich 1,77 Millionen Barrel pro Tag aus Russland. Das ist etwas weniger als noch im Mai, aber übertrifft die Lieferungen aus Saudi-Arabien (1,23 Millionen Barrel pro Tag) deutlich. Bei den Lieferungen seit Jahresanfang liegt Saudi-Arabien noch knapp vor Russland. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs hat Russland jedoch aufgeholt. China ist dementsprechend ein Profiteur des Krieges.
Auch die LNG-Importe aus Russland stiegen stark an. Im ersten Halbjahr lagen sie bei 2,36 Millionen Tonnen – ein Anstieg um 30 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Dem steht ein Rückgang der gesamten LNG-Importe Russlands um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gegenüber. Die Analysefirma Wood Mackenzie prognostiziert, dass Chinas LNG-Importe in diesem Jahr um 14 Prozent auf 69 Millionen Tonnen zurückgehen. Japan würde den Prognosen zufolge wieder zum weltweit größten Importeur aufsteigen.
Insgesamt sanken Chinas Erdölimporte im Juni auf ein Vierjahrestief. Die Corona-Lockdowns und das geringe Wirtschaftswachstum sind Ursachen für den Import-Rückgang. Während China auch weiterhin Öl aus dem Iran bezieht, meidet die Volksrepublik Importe aus Venezuela. Beide Staaten stehen unter US-Sanktionen. nib
Der Chemiekonzern BASF hat die abschließende Genehmigung für den Bau des geplanten Verbundstandorts Zhanjiang in der südchinesischen Provinz Guangdong erteilt. Das Unternehmen teilte zudem mit, dass die Bauarbeiten sich nun auf das Kernstück konzentrieren, die einen Steamcracker und Anlagen zur Herstellung von Petrochemikalien und Zwischenprodukten umfassen.
Für den Bau des neuen Verbundstandorts wird BASF bis 2030 bis zu zehn Milliarden Euro investieren. BASF hatte im Jahr 2020 mit dem Bau begonnen und plant, die Arbeiten bis Ende 2022 abzuschließen. “Der Verbundstandort wird eine solide Grundlage für den Aufbau eines erstklassigen Industrieclusters in Zhanjiang bilden”, kündigte Dr. Stephan Kothrade, President Asia Pacific Functions, President und Chairman Greater China, BASF damals beim Spatenstich an. Nach der Fertigstellung wird Zhanjiang nach Ludwigshafen und Antwerpen der weltweit drittgrößte Verbundstandort von BASF sein. niw/rtr
Es ist neun Uhr morgens, aber Michael Clauß verzichtet dankend auf einen Kaffee. Er habe schon zwei Frühstückstermine hinter sich, sagt der deutsche EU-Botschafter, sein Koffeinbedarf ist daher gedeckt. Der nächste Termin steht bereits an, er führt Clauß in den sogenannten Beichtstuhl. Das Kabinett von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lotet einmal mehr in kleinen Gruppen aus, welche Befindlichkeiten die Mitgliedstaaten in Bezug auf die neuen Sanktionen gegen Russland haben.
Der Brüsseler Politikbetrieb geht im August in die obligatorische Sommerpause, Krieg und Krisen zum Trotz. Krise türmt sich inzwischen auf Krise, und Clauß ist mittendrin in den politischen Bemühungen der EU, diese einzuhegen. Er kennt den EU-Betrieb wie kaum ein anderer. Der 60-Jährige hat die vergangenen beiden Ratspräsidentschaften Deutschlands gemanagt, 2020 als Botschafter, 2007 als stellvertretender Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt. Den Prozess zur Erarbeitung einer europäischen Verfassung hat er als Leiter des deutschen Konventsekretariats begleitet, vom Start 2002 weg bis zu dessen bitteren Ende – den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden.
Vorgestellt hatte sich Clauß das allerdings ganz anders. Er sollte nach seinen ersten Jahren im Außenamt eigentlich Botschafter in Sierra Leone werden, “meine Frau und ich fanden das Abenteuer sehr reizvoll”, sagt er. Wenige Stunden vor Abflug aber wurde in dem westafrikanischen Land geputscht, die deutsche Vertretung in der Hauptstadt Freetown musste evakuiert werden. Also musste eine andere Verwendung für Clauß gefunden werden – als Botschaftsrat an der EU-Vertretung. “Dass ich stattdessen nach Brüssel entsandt wurde, war reiner Zufall”, sagt er.
Begeistert war Clauß davon zunächst nicht. Er kannte Belgien aus der Schulzeit, sein Vater war als Bundeswehr-Offizier zeitweise beim Nato-Oberkommando in Mons stationiert. Clauß aber wollte ferne Länder kennenlernen. Auch deshalb hatte er sich, nach zweijährigem Dienst als Zeitsoldat, für den diplomatischen Dienst entschieden – und gegen die Truppe, in der es sein Vater bis zum Vier-Sterne General brachte.
So aber wurde es Brüssel statt Freetown. Anschließend folgten 14 Jahre in der Zentrale am Werderschen Markt, zuletzt als Leiter der Europaabteilung. 2013 sei es dann Zeit für einen Tapetenwechsel gewesen, sagt Clauß: Er wurde Botschafter in China. “Es ist heilsam und hilfreich, die Dinge auch mal von außen zu betrachten”, sagt er. “Von Peking aus betrachtet ist Brüssel nicht der Nabel der Welt.” Verglichen mit der enormen Dynamik in China seien die Prozesse in Europa oft mühsam und bürokratisch.
Für Ausländer ist es schwierig, in Peking hinter die Kulissen des chinesischen Systems zu blicken. Kontakt zu westlichen Diplomaten ist für KP-Kader unerwünscht. Seine Frau aber verschaffte Clauß Einblicke, die er sonst nicht bekommen hätte. Über sie bekam er Zugang zur chinesischen Elite, Mitgliedern der sogenannten Revolutionary Families: Söhne, Töchter und Enkel der einstigen Weggefährten von Mao, ohne offizielle Parteiposition, aber dennoch einflussreich und gut informiert. Viele von ihnen wurden an US-Eliteuniversitäten ausgebildet und sprechen daher sehr gut Englisch.
“Die Frauen haben sich am Wochenende hin und wieder verabredet und wir Männer sind einfach mitgekommen”, erzählt Clauß. In diesem Rahmen sei es möglich gewesen, teils recht offen miteinander zu sprechen. “Das hat mir die Tür aufgestoßen zu einer abgeschirmten Welt. Und es half dabei, die offiziellen Informationen einzuordnen.”
Illusionen über Funktionsweise und Machtanspruch des Systems macht er sich seither keine mehr. “China leitet aus seiner Entwicklung ein großes Selbstbewusstsein ab und stellt unser politisches und gesellschaftliches System infrage”, sagt er. Die KP werde zunehmend repressiv und versuche, die internationale Ordnung in ihrem Sinne umzukrempeln. So diene die “Belt and Road”-Initiative dazu, ein hierarchisches Verhältnis zu anderen Staaten zu etablieren, mit Peking an der Spitze. “In Europa wurde lange nicht gesehen, dass China ein systemischer Rivale ist. Mir war wichtig, hier in Brüssel zu vermitteln, dass wir diese Naivität ablegen müssen.”
Inzwischen ist diese Botschaft angekommen. Clauß hat nach der Versetzung nach Brüssel 2018 dazu beigetragen, Hand in Hand mit anderen China-Kennern wie dem Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer. Inzwischen hat die EU ein 300 Milliarden Euro schweres Gegenstück zur Neuen Seidenstraße aufgelegt. “Global Gateway hat das Potenzial, eine echte Alternative zu sein”, sagt Clauß. “Jetzt aber müssen wir voranschreiten, und zwar wertebasiert, aber auch realistisch vorgehen, um möglichst viele Länder einzubinden.”
In Berlin wird der Diplomat für seine Kompetenz und seine Sachlichkeit parteiübergreifend geschätzt, auch die Ampel-Regierung hält an ihm fest. Clauß selbst hat kein Parteibuch, das verträgt sich nicht mit seinem Beamtenethos. Er versucht, die Brüsseler Einblicke in die europapolitischen Abstimmungsprozesse in der Bundesregierung einzuspeisen, etwa was die Mehrheitsverhältnisse im Rat und Europaparlament betrifft.
Um den Stress abzuschütteln, geht Clauß jedes Wochenende viele, viele Kilometer laufen, bisweilen steigt er auch aufs Rennrad. Unter der Woche versucht er, sich einen weiteren Termin im Kalender dafür freizuhalten. “Ich bin Langstreckenläufer, das ist eine echte Leidenschaft”, sagt er. Er brauche den sportlichen Ausgleich für die physische Gesundheit, aber auch für die geistige Hygiene.
Dass ihn seine Karriere statt in den afrikanischen Regenwald in den EU-Paragrafendschungel geführt hat, damit hat Clauß längst seinen Frieden gemacht. “Brüssel ist zwar nicht so exotisch”, sagt er, “abenteuerlich geht es hier aber bisweilen auch zu”. Till Hoppe
Fan Xinhe ist der neue Pressekontakt der EU-Handelskammer in China. Sie ist im Pekinger Büro der Kammer tätig.
Li Jian wurde zum neuen chinesischen Botschafter in Algerien ernannt und löst Li Lianhe ab.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Brücken, Straßen, Flughäfen – um das Wachstum anzukurbeln, setzt China wieder auf ein altes Rezept: den Infrastrukturausbau. Diese neue Eisenbahnbrücke über den Lancang bindet nun die Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt Baoshan an das Schienennetz an.
der Tod ist wohl weltweit eines der Themen, die wir alle gern meiden. Wie wir aus dem Leben scheiden – ob sanft entschlafend oder nach langer Krankheit – können wir kaum selbst bestimmen. Größte Schmerzen und ein Leiden bis zum Schluss kann man in einigen Ländern dank Sterbehilfe vermeiden. Als erste Stadt Chinas hat Shenzhen jetzt Patientenverfügungen gesetzlich verankert. Damit wird die Debatte um Sterbehilfe neu entfacht, wie Ning Wang berichtet. Shenzhen könnte ein Testlauf werden, mit dem die Behörden analysieren können, wie das Thema von den Menschen angenommen wird und wie das Gesundheitssystem damit umgehen kann. Das neue Gesetz gibt den Bürgern jedenfalls ein klein wenig Kontrolle über die letzte Entscheidung im Leben.
Den Eindruck absoluter Kontrolle hatte der Staat in jüngster Zeit in der heimischen Privatwirtschaft an den Tag gelegt. Tech-Unternehmen wurden gemaßregelt und mit Strafen belegt, Börsengänge kurzfristig ausgehebelt. Der Fahrdienstleister Didi sieht sich laut Insidern mit einer Milliardenstrafe konfrontiert. Viele Beobachter werteten die Maßnahmen als Teil einer neuen Tendenz zu mehr Staatsmacht in der Wirtschaft. Eine Studie des Peterson Institute for International Economics (PIIE) zeichnet jedoch ein anderes Bild. Dass der Privatsektor klein gehalten wird, sei angesichts der dort angeführten Zahlen nicht haltbar, schreibt Frank Sieren, der sich die Studie genauer angesehen hat. Der Gesamtumsatz der Privatunternehmen ist demnach in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen, der Anteil an Unternehmen, die vom Staat kontrolliert werden, signifikant zurückgegangen. Dass die Freiheit der Privaten jedoch eng gesteckte Grenzen hat, beweisen die Parteizellen, die unter Xi Jinping in jedem Unternehmen eingerichtet werden mussten. Privatwirtschaft bedeutet in China eben doch etwas anderes als bei uns.
Es ist ein Meilenstein: Shenzhen erlaubt künftig schwerkranken Patienten per Gesetz, sich gegen lebensrettende Behandlungen zu entscheiden, um ihr Recht auf einen würdevollen Tod zu wahren. Die Stadt hat ein neues Gesetz erlassen, das Anfang 2023 in Kraft treten soll. “Wenn sich Patienten im Endstadium einer unheilbaren Krankheit oder am Ende ihres Lebens befinden, sollten medizinische Stellen die Angaben in ihren Patientenverfügungen respektieren”, heißt es in der überarbeiteten medizinischen Verordnung, die Ende Juni veröffentlicht wurde.
Führende Staatsmedien wie Global Times berichteten auch in ihren englischen Ausgaben durchweg positiv über dieses Gesetzesvorhaben. Es wird als “zukunftsweisend” bezeichnet und würde “traditionelle Auffassungen” durchbrechen. Es sei “eine wichtige Chance für öffentliche Aufklärung über Leben und Tod”.
Die Reaktionen in den sozialen Medien auf das Gesetz waren hingegen sehr unterschiedlich. Befürworter wollen in den Plänen mehr Achtung der Menschenrechte erkennen. Während Gegner die Gefahr sehen, dass künftig todkranke Patienten von ihren Familien gezwungen werden könnten, aus Angst vor hohen medizinischen Kosten, auf eine Weiterbehandlung zu verzichten. Auf Weibo begrüßte ein Arzt die Ankündigung als “absolut notwendig”, um das Leid von Patienten zu verringern. Der Arzt bringt auch das Thema Sterbehilfe ins Spiel.
Eine öffentliche Debatte zur Sterbehilfe gibt es in China seit den 80er-Jahren. Damals wurde im Zentral- und Volksrundfunk eine Sendung zu dem Thema ausgestrahlt. Es entstand sogar der Begriff 安乐死 – AnLeSi (Frieden, Freude und Sterben) für Sterbehilfe. Eine zunächst in wissenschaftlichen Kreisen geführte Diskussion fand ihren Weg in die breite Öffentlichkeit, nachdem 1987 Deng Yingchao, die Frau des verstorbenen Ministerpräsidenten Zhou Enlai in einem öffentlichen Brief bekundete: “Ich sehe Sterbehilfe als ein materialistisches Problem”. Sie habe in einem Testament festgelegt, dass sie auf medizinische Eingriffe verzichte, wenn sie nur noch dadurch am Leben erhalten werden kann. Ihr Mann Zhou Enlai war 1976 an den Folgen von Blasenkrebs gestorben. Angeblich soll Mao Zedong Ärzten 1972 befohlen haben, die Krankheit Zhous dem Ehepaar gegenüber zunächst geheim zu halten. Zhou hatte wohl eine hohe Chance auf Heilung, wenn der Krebs sofort behandelt worden wäre.
Im Jahr 1998 wurde das Thema von chinesischen Experten aus Medizin, Recht und Ethik erneut heftig diskutiert. Man war sich einig, dass neben den rechtlichen und medizinischen Fragen auch die damit verbundenen soziologischen Probleme gelöst werden müssten. Unbeantwortet blieben dabei die Fragen: Ist Sterbehilfe ethisch vertretbar? Welcher gesellschaftlicher Wert kommt ihr zu? Sind gesetzliche Regelungen notwendig? Seitdem zeigen Meinungsumfragen, dass eine Vielzahl der Befragten dafür plädiert, Sterbehilfe per Gesetz anzuerkennen.
Die zuständigen Stellen in der Kommunistischen Partei stehen am Scheideweg. Das Thema birgt viele unbekannte Risiken. Die Entscheidung der Stadt Shenzhen respektiert das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen darüber, welche medizinische Behandlungen er oder sie am Ende des Lebens erhalten will. Damit reiht sich die Stadt in eine Praxis ein, wie sie in den meisten Industrieländern bereits vollzogen ist.
Das Gesetz in Shenzhen kann auch als Testlauf gesehen werden. Die Zentralregierung wird sich die Umsetzung genau anschauen. Welche Probleme zeigen sich dadurch im Gesundheitswesen? Wo liegen rechtliche Fallstricke?
Dass die Idee einer Patientenverfügung in das Bewusstsein der Bevölkerung vordringt, darin sehen viele Gesundheits-Experten allerdings wenig Chancen. Laut der Organisation “Beijing Living Will Promotion Association” haben seit 2011 nur etwa 50.000 Menschen eine Patientenverfügung unterschrieben. Die Organisation setzt sich dafür ein, dass Gesetze zu Patientenverfügungen erlassen werden. “Zusätzlich zu einem begrenzten Bewusstsein hindert die traditionelle Denkweise, das Leben zu schätzen und den Tod zu vernachlässigen, Menschen daran, eine ‘progressive’ Lebensentscheidung zu akzeptieren”, so der Verband.
Zudem ist unklar, inwieweit Ärzte und Angestellten in den Krankenhäusern den Patientenverfügungen folgen müssen. “Es ist nicht verpflichtend, den Verfügungen zu folgen”, sagt Chen Wenchang, Senior Partner der Anwaltskanzlei Jiachuan in Peking, gegenüber Sixth Tone. Aber die neue Shenzhener Regulierung könnte dazu beitragen, das “Konzept eines würdevollen Todes landesweit zu fördern”.
Die Regelung in Shenzhen könnte auch das medizinische Personal entlasten. “Ärzte stehen in der Regel unter enormem ethischen und emotionalen Druck, lebensrettende Maßnahmen durchzuführen, obwohl sie häufig wenig Erfolgsaussichten haben”, sagte er. Eine Patientenverfügung schützt Mediziner vor Rechtsstreitigkeiten mit der Familie des Patienten. Mitarbeit: Renxiu Zhao.
Chinas Privatunternehmen haben 2021 eine Vielzahl regulatorischer Beschränkungen hinnehmen müssen. Tech-Giganten wie Alipay und Didi wurden in ihre Schranken gewiesen. Meist waren die neuen Regeln sinnvoll, ging es doch darum, Monopole und Kartelle zu verhindern. Im Immobilienbereich sollten sie dafür sorgen, dass sich die Firmen nicht maßlos verschulden und auch bezahlbaren Wohnraum schaffen. Die Methoden der Umsetzung jedoch waren hart. Und ohne große zivilgesellschaftliche Debatte wurden die Firmen quasi über Nacht mit den neuen Spielregeln konfrontiert. Börsengänge mussten abgesagt werden, der Rechtsweg war erst einmal ausgeschlossen. Viele Beobachter werteten die Maßnahmen als Teil einer neuen Tendenz hin zu mehr Staatsmacht in der Wirtschaft, wie überhaupt die Ära Xi Jinpings mit einer stärkeren Dominanz des Staates gleichgesetzt wird.
Der Eindruck, dass der Privatsektor in China mehr denn je unterdrückt wird, täuscht jedoch. Eine vom Peterson Institute for International Economics (PIIE) durchgeführte Studie zeigt sogar das Gegenteil: Chinas größte Privatunternehmen expandieren schneller als die Staatsunternehmen.
In absoluten Zahlen, sowie gemessen an den Einnahmen oder – bei börsennotierten Unternehmen – am Marktwert sind die Unternehmen im Privatbesitz seit Xi Jinpings Amtsantritt 2011 erheblich gewachsen – auch wenn der staatliche Sektor immer noch dominiert.
Das Peterson Institute hat die Umsätze chinesischer Unternehmen aus der Fortune-Global-500-Rangliste sowie die nach Marktkapitalisierung größten Unternehmen analysiert. Der Umsatz privatwirtschaftlicher chinesischer Unternehmen lag demnach im Jahr 2011 bei 104 Milliarden US-Dollar. Das sind nicht einmal vier Prozent des Umsatzes aller Unternehmen aus der Volksrepublik – die Staatsunternehmen machen also den größten Anteil aus. Zehn Jahre später war der Umsatz der Privaten am Gesamtumsatz schon auf 19 Prozent gestiegen.
Was den Marktwert der größten börsennotierten Unternehmen anbelangt, so lag der Anteil des Privatsektors an den 100 größten börsennotierten chinesischen Unternehmen Ende 2010 bei nur acht Prozent, überschritt jedoch 2020 die 50-Prozent-Schwelle. 2021 ging der Wert aufgrund der staatlichen Regulierungen nur leicht auf 48 Prozent zurück. Das Argument, dass der Privatsektor an einer Expansion gehindert werden sollte, ist also angesichts der Zahlen kaum haltbar.
Auch ist der relative Anteil an Unternehmen, die vom Staat durch Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligungen kontrolliert werden, während des letzten Jahrzehnts signifikant zurückgegangen. Was in China häufig als Staatsunternehmen bezeichnet wird, befindet sich nicht unbedingt vollständig oder gar mehrheitlich im Besitz des chinesischen Staates, wie die Autoren der Peterson-Studie betonen. Viele staatliche Unternehmen sind Joint Ventures aus staatlichen und privaten Eigentümern. Sie liegen irgendwo zwischen staatlich und privat und es ist sehr schwierig zu entscheiden, ob sie nun privatwirtschaftlich oder staatswirtschaftlich geführt werden. In der Autoindustrie zum Beispiel hatten die großen Hersteller lange Gemeinschaftsunternehmen, wo sie nur einen 49 Prozent Anteil hatten, dennoch wurden diese Unternehmen überwiegend marktwirtschaftlich geführt. Ein anderer Sonderfall: Staatliche Unternehmen haben börsennotierte Tochtergesellschaften, die im Alltag den Ton angeben.
Seit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in den späten 1970er Jahren ist Chinas Wirtschaft spektakulär gewachsen, wobei der Löwenanteil der Expansion auf die Dynamik des Privatsektors zurückzuführen ist. Während 2005 nur 15 chinesische Unternehmen in der Fortune-Rangliste aufgeführt waren, gab es im Jahr 2021 schon 130.
Der Vormarsch des Privatsektors in Chinas größten Unternehmen scheint nicht auf eine langfristige Planung oder Entscheidungen von oben nach unten zurückzuführen zu sein, sondern eher auf eine Dynamik von unten nach oben. Die größten Unternehmen Chinas wurden praktisch nicht privatisiert, und der Staat hat auch keine Anstrengungen unternommen, um dem Privatsektor einen komparativen Vorteil zu verschaffen. Im Gegenteil: Präsident Xi Jinping erklärte 2016, dass die staatlichen Unternehmen “stärker, besser und größer” werden müssen, während gleichzeitig die Privatwirtschaft gefördert wird.
Xis Forderung: Chinas Staatsunternehmen müssen sich in einem privatwirtschaftlichen Umfeld bewähren und im internationalen Geschäft bestehen: Ein solches Beispiel ist der staatliche Hafenbetreiber China Merchants Ports. Es betreibt 30 Prozent der Häfen in China und 68 Häfen in 27 Ländern. Dazu gehört der größte Hafen Brasiliens, und der größte Hafen Afrikas, gerade in Tansania im Bau. China Merchant Ports hat aber auch Anteile an amerikanischen Häfen in Houston und Miami oder an Häfen im französischen Le Havre und Marseille.
Generell sind die privaten Unternehmen dynamischer und profitabler als die des staatlichen Sektors. Die Ausnahmen unter den Staatsunternehmen sollte man aber auch nicht unterschätzen. Der große Trend ist das, was der Chinawissenschaftler Nicholas R. Lardy als “Verdrängung staatlicher durch private Unternehmen” bezeichnete, und in dem Buch “Markets over Mao” schon vor über zehn Jahren treffend zusammengefasst hat.
Ungewöhnlich in China ist allerdings, dass die Gründung von Zellen der KP China in Privatunternehmen eingeführt wurde. Auch hier sind die Folgen ambivalent. Ein Parteisekretär kann mit seinen Kontakten dafür sorgen, dass ein Privatunternehmen besser vorankommt, indem er Lobbying beim Staat betreibt. Er kann aber auch die Geschäftsführung gängeln und ihr Steine in den Weg legen. Die Zahlen deuten darauf hin, dass dies eher die Ausnahme ist. Ärgerlich ist, dass Parteifunktionäre überhaupt die rechtliche Möglichkeit haben, in Privatunternehmen zu agieren.
Der Motor des großen Privatisierungstrends ist einfach. China möchte eine wirtschaftliche Weltmacht werden und das geht nur mit Unternehmen, die international wettbewerbsfähig sind. Das gilt besonders bei Internet- und E-Commerce, bei Elektronik, Elektroautos, Batterien, Stahl, Konsumgütern und Dienstleistungen, Pharmazeutika und Life-Science-Unternehmen. Einige der größten chinesischen Baufirmen sind ebenfalls privat, auch wenn der Immobiliensektor zuletzt durch die Finanzprobleme von Evergrande und anderen Playern angeschlagen ist. Im Gegensatz dazu werden Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, Energie und Transport weiterhin von staatlichen Unternehmen dominiert.
Das Wachstum der großen Unternehmen in staatlich dominierten Branchen ist jedoch vergleichsweise weniger schnell verlaufen. Gemessen am Marktwert haben einige große Unternehmen in den Bereichen Telekommunikation und Energie in absoluten Zahlen sogar an Wert verloren. Sie wurden von Privatunternehmen überholt.
China will einem Medienbericht zufolge die Veröffentlichung eines UN-Berichts zur Menschenrechtslage in Xinjiang verhindern. In einem Brief an Diplomaten in Genf sei gegen die Veröffentlichung des Berichts der UN-Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, geworben worden, berichtete Reuters unter Berufung auf Einblick in das Schreiben. Das Vorgehen wurde demnach von Diplomaten aus drei Ländern bestätigt, die den Brief erhalten haben.
Laut Reuters-Informationen versucht China seit Ende Juni, Unterstützung für das Zurückhalten des Berichts zu sammeln. Mit dem Brief habe China um Zustimmung unter den diplomatischen Vertretungen in Genf geworben. Eine Veröffentlichung des Xinjiang-Berichts würde “die Politisierung und Blockkonfrontation im Bereich der Menschenrechte verstärken und die Glaubwürdigkeit des OHCHR (Amt der Hohen Kommissarin für Menschenrechte) untergraben”, argumentiert der Brief.
Unklar war zunächst, ob das Büro von Bachelet den Brief auch erhalten hat. Ein OHCHR-Sprecher lehnte es ab, sich zu der Angelegenheit zu äußern. Es sei ihm zufolge jedoch gängige Praxis, vor Veröffentlichung eine Kopie des Berichtes mit der zuständigen Regierung, in diesem Fall also China, für Kommentare zu teilen. Menschenrechtsgruppen werfen Peking Misshandlungen der uigurischen Einwohner von Xinjiang vor, darunter den massenhaften Einsatz von Zwangsarbeit in Internierungslagern. China weist die Vorwürfe zurück (China.Table berichtete). niw
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wirbt für engere Beziehungen zu Taiwan, Südkorea und Japan. Das würde die Abhängigkeiten Deutschlands von China reduzieren, so Baerbock in einem Interview mit dem Portal The Pioneer. In dem Gespräch kritisierte sie zudem die Menschenrechtslage in China und schlechte Bedingungen für einige deutsche Unternehmen, wie die erzwungene Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen. Ein komplettes Reshoring nach Europa sah sie jedoch als kaum machbar. Taiwan, Südkorea und Japan könnten Ausweichmöglichkeiten für die Produktion sein.
Deutschland und die EU-Staaten sind in vielen Bereichen von Rohstoffen und Vorgütern aus China abhängig. Bei Seltenen Erden und Magnesium machen die Importe aus China jeweils gut 50 Prozent der deutschen Importe aus (China.Table berichtete). Auch bei Solarzellen, Leiterplatten und medizinischen Gütern besteht eine kritische Abhängigkeit. Zuletzt hatten Bundespräsident Frank Steinmeier und Kanzleramts-Staatssekretär Jörg Kukies vor einer zu großen Abhängigkeit bei Seltenen Erden aus China gewarnt. nib
Das US-Außenministerium hat in seinem Jahresbericht über Menschenhandel Zwangsarbeit in Chinas “Neuer Seidenstraße” angeprangert. Zwangsarbeit sei der “versteckte Preis” der “Belt and Road”- Initiative (BRI), so das Ministerium. In einigen Projekten der Neuen Seidenstraße komme es zu Vergehen wie:
Die zuständigen Behörden in China hätten demnach keine ausreichende Aufsicht über die Arbeitsbedingungen und würden Missbrauch nicht ausreichend verhindern. Die Auslandsbotschaften hätten es versäumt, ausgebeuteten Arbeitern zu helfen, so das Außenministerium. Das Ministerium sieht dabei auch die Regierungen der Gastländer, in denen BRI-Projekte durchgeführt werden, in der Pflicht. Sie sollten die BRI-Baustellen häufiger inspizieren und ausgebeutete Arbeiter besser schützen.
Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Neuen Seidenstraße sind nicht neu. Im vergangenen Jahr hatte das Business and Human Rights Resource Centre in einer Studie 679 Vorwürfe gegen China und seine Unternehmen zusammengetragen (China.Table berichtete). nib
Russland war auch im Juni der größte Erdöl-Lieferant der Volksrepublik. Chinesische Importeure nutzen den Preisvorteil, der aufgrund von westlichen Sanktionen mit russischen Lieferungen einhergeht und reduzierten teurere Lieferungen aus Saudi-Arabien, wie Reuters berichtet. Im Juni importierte China demnach durchschnittlich 1,77 Millionen Barrel pro Tag aus Russland. Das ist etwas weniger als noch im Mai, aber übertrifft die Lieferungen aus Saudi-Arabien (1,23 Millionen Barrel pro Tag) deutlich. Bei den Lieferungen seit Jahresanfang liegt Saudi-Arabien noch knapp vor Russland. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs hat Russland jedoch aufgeholt. China ist dementsprechend ein Profiteur des Krieges.
Auch die LNG-Importe aus Russland stiegen stark an. Im ersten Halbjahr lagen sie bei 2,36 Millionen Tonnen – ein Anstieg um 30 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Dem steht ein Rückgang der gesamten LNG-Importe Russlands um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gegenüber. Die Analysefirma Wood Mackenzie prognostiziert, dass Chinas LNG-Importe in diesem Jahr um 14 Prozent auf 69 Millionen Tonnen zurückgehen. Japan würde den Prognosen zufolge wieder zum weltweit größten Importeur aufsteigen.
Insgesamt sanken Chinas Erdölimporte im Juni auf ein Vierjahrestief. Die Corona-Lockdowns und das geringe Wirtschaftswachstum sind Ursachen für den Import-Rückgang. Während China auch weiterhin Öl aus dem Iran bezieht, meidet die Volksrepublik Importe aus Venezuela. Beide Staaten stehen unter US-Sanktionen. nib
Der Chemiekonzern BASF hat die abschließende Genehmigung für den Bau des geplanten Verbundstandorts Zhanjiang in der südchinesischen Provinz Guangdong erteilt. Das Unternehmen teilte zudem mit, dass die Bauarbeiten sich nun auf das Kernstück konzentrieren, die einen Steamcracker und Anlagen zur Herstellung von Petrochemikalien und Zwischenprodukten umfassen.
Für den Bau des neuen Verbundstandorts wird BASF bis 2030 bis zu zehn Milliarden Euro investieren. BASF hatte im Jahr 2020 mit dem Bau begonnen und plant, die Arbeiten bis Ende 2022 abzuschließen. “Der Verbundstandort wird eine solide Grundlage für den Aufbau eines erstklassigen Industrieclusters in Zhanjiang bilden”, kündigte Dr. Stephan Kothrade, President Asia Pacific Functions, President und Chairman Greater China, BASF damals beim Spatenstich an. Nach der Fertigstellung wird Zhanjiang nach Ludwigshafen und Antwerpen der weltweit drittgrößte Verbundstandort von BASF sein. niw/rtr
Es ist neun Uhr morgens, aber Michael Clauß verzichtet dankend auf einen Kaffee. Er habe schon zwei Frühstückstermine hinter sich, sagt der deutsche EU-Botschafter, sein Koffeinbedarf ist daher gedeckt. Der nächste Termin steht bereits an, er führt Clauß in den sogenannten Beichtstuhl. Das Kabinett von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lotet einmal mehr in kleinen Gruppen aus, welche Befindlichkeiten die Mitgliedstaaten in Bezug auf die neuen Sanktionen gegen Russland haben.
Der Brüsseler Politikbetrieb geht im August in die obligatorische Sommerpause, Krieg und Krisen zum Trotz. Krise türmt sich inzwischen auf Krise, und Clauß ist mittendrin in den politischen Bemühungen der EU, diese einzuhegen. Er kennt den EU-Betrieb wie kaum ein anderer. Der 60-Jährige hat die vergangenen beiden Ratspräsidentschaften Deutschlands gemanagt, 2020 als Botschafter, 2007 als stellvertretender Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt. Den Prozess zur Erarbeitung einer europäischen Verfassung hat er als Leiter des deutschen Konventsekretariats begleitet, vom Start 2002 weg bis zu dessen bitteren Ende – den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden.
Vorgestellt hatte sich Clauß das allerdings ganz anders. Er sollte nach seinen ersten Jahren im Außenamt eigentlich Botschafter in Sierra Leone werden, “meine Frau und ich fanden das Abenteuer sehr reizvoll”, sagt er. Wenige Stunden vor Abflug aber wurde in dem westafrikanischen Land geputscht, die deutsche Vertretung in der Hauptstadt Freetown musste evakuiert werden. Also musste eine andere Verwendung für Clauß gefunden werden – als Botschaftsrat an der EU-Vertretung. “Dass ich stattdessen nach Brüssel entsandt wurde, war reiner Zufall”, sagt er.
Begeistert war Clauß davon zunächst nicht. Er kannte Belgien aus der Schulzeit, sein Vater war als Bundeswehr-Offizier zeitweise beim Nato-Oberkommando in Mons stationiert. Clauß aber wollte ferne Länder kennenlernen. Auch deshalb hatte er sich, nach zweijährigem Dienst als Zeitsoldat, für den diplomatischen Dienst entschieden – und gegen die Truppe, in der es sein Vater bis zum Vier-Sterne General brachte.
So aber wurde es Brüssel statt Freetown. Anschließend folgten 14 Jahre in der Zentrale am Werderschen Markt, zuletzt als Leiter der Europaabteilung. 2013 sei es dann Zeit für einen Tapetenwechsel gewesen, sagt Clauß: Er wurde Botschafter in China. “Es ist heilsam und hilfreich, die Dinge auch mal von außen zu betrachten”, sagt er. “Von Peking aus betrachtet ist Brüssel nicht der Nabel der Welt.” Verglichen mit der enormen Dynamik in China seien die Prozesse in Europa oft mühsam und bürokratisch.
Für Ausländer ist es schwierig, in Peking hinter die Kulissen des chinesischen Systems zu blicken. Kontakt zu westlichen Diplomaten ist für KP-Kader unerwünscht. Seine Frau aber verschaffte Clauß Einblicke, die er sonst nicht bekommen hätte. Über sie bekam er Zugang zur chinesischen Elite, Mitgliedern der sogenannten Revolutionary Families: Söhne, Töchter und Enkel der einstigen Weggefährten von Mao, ohne offizielle Parteiposition, aber dennoch einflussreich und gut informiert. Viele von ihnen wurden an US-Eliteuniversitäten ausgebildet und sprechen daher sehr gut Englisch.
“Die Frauen haben sich am Wochenende hin und wieder verabredet und wir Männer sind einfach mitgekommen”, erzählt Clauß. In diesem Rahmen sei es möglich gewesen, teils recht offen miteinander zu sprechen. “Das hat mir die Tür aufgestoßen zu einer abgeschirmten Welt. Und es half dabei, die offiziellen Informationen einzuordnen.”
Illusionen über Funktionsweise und Machtanspruch des Systems macht er sich seither keine mehr. “China leitet aus seiner Entwicklung ein großes Selbstbewusstsein ab und stellt unser politisches und gesellschaftliches System infrage”, sagt er. Die KP werde zunehmend repressiv und versuche, die internationale Ordnung in ihrem Sinne umzukrempeln. So diene die “Belt and Road”-Initiative dazu, ein hierarchisches Verhältnis zu anderen Staaten zu etablieren, mit Peking an der Spitze. “In Europa wurde lange nicht gesehen, dass China ein systemischer Rivale ist. Mir war wichtig, hier in Brüssel zu vermitteln, dass wir diese Naivität ablegen müssen.”
Inzwischen ist diese Botschaft angekommen. Clauß hat nach der Versetzung nach Brüssel 2018 dazu beigetragen, Hand in Hand mit anderen China-Kennern wie dem Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer. Inzwischen hat die EU ein 300 Milliarden Euro schweres Gegenstück zur Neuen Seidenstraße aufgelegt. “Global Gateway hat das Potenzial, eine echte Alternative zu sein”, sagt Clauß. “Jetzt aber müssen wir voranschreiten, und zwar wertebasiert, aber auch realistisch vorgehen, um möglichst viele Länder einzubinden.”
In Berlin wird der Diplomat für seine Kompetenz und seine Sachlichkeit parteiübergreifend geschätzt, auch die Ampel-Regierung hält an ihm fest. Clauß selbst hat kein Parteibuch, das verträgt sich nicht mit seinem Beamtenethos. Er versucht, die Brüsseler Einblicke in die europapolitischen Abstimmungsprozesse in der Bundesregierung einzuspeisen, etwa was die Mehrheitsverhältnisse im Rat und Europaparlament betrifft.
Um den Stress abzuschütteln, geht Clauß jedes Wochenende viele, viele Kilometer laufen, bisweilen steigt er auch aufs Rennrad. Unter der Woche versucht er, sich einen weiteren Termin im Kalender dafür freizuhalten. “Ich bin Langstreckenläufer, das ist eine echte Leidenschaft”, sagt er. Er brauche den sportlichen Ausgleich für die physische Gesundheit, aber auch für die geistige Hygiene.
Dass ihn seine Karriere statt in den afrikanischen Regenwald in den EU-Paragrafendschungel geführt hat, damit hat Clauß längst seinen Frieden gemacht. “Brüssel ist zwar nicht so exotisch”, sagt er, “abenteuerlich geht es hier aber bisweilen auch zu”. Till Hoppe
Fan Xinhe ist der neue Pressekontakt der EU-Handelskammer in China. Sie ist im Pekinger Büro der Kammer tätig.
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