Table.Briefing: China

Rekord-Tunnel für Wasser + Konjunkturprogramm 2.0

  • Neue Umlenkung von Milliarden Litern Wasser
  • Konjunktur: 5G und Fotovoltaik statt Straßen und Schienen
  • Mangel an Wasserkraft wegen niedriger Pegel
  • Solarzellen stauen sich an US-Grenze
  • Bericht: Xi Jinping will Saudi-Arabien besuchen
  • Standpunkt: Chinas Abkehr von fossilen Brennstoffen stockt
Liebe Leserin, lieber Leser,

die chinesische Regierung ist unvergleichlich gut darin, die physische Realität der Welt ihren Plänen entsprechend umzugestalten. Während es in Deutschland schon schwierig ist, einen Radweg anzulegen, Platz für eine Bahntrasse zu schaffen oder ein Windrad zu errichten, versetzt China buchstäblich Berge. Oder Flüsse. Durch einen Tunnel soll künftig noch mehr Wasser aus dem Jangtse in den trockenen Norden geleitet werden. Das Projekt ist so gewaltig, dass selbst der bislang längste Tunnel der Welt gerade einmal halb so lang wäre. Die Einzelheiten und Hintergründe analysiert Christiane Kühl.

Große Infrastrukturprojekte gehören seit Jahren auch zur Konjunkturpolitik Chinas. Das gilt auch derzeit. Um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wieder in Schwung zu bringen, setzt die Regierung derzeit auf große Investitionen. Doch dieses Mal steckt sie ihre Milliarden nicht mehr nur in den Bau von noch mehr Autobahnen, Schienen und Hochhäusern, sondern in Erneuerbare Energien, das 5G-Netzwerk und in Cloud-Computing. Das ist richtig und sinnvoll, wie aus der Analyse unseres Autorenteams aus Peking hervorgeht.

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

Nur für Wasser: Ein Tunnel so lang wie Thüringen

China: Luftaufnahme des Drei-Schluchten-Damms in der Dämmerung - Der Drei Schluchten-Damm am Jangtse: Aus dem Stausee im Hintergrund soll Wasser in zehn Jahren durch einen gigantischen Tunnel Richtung Norden fließen.
Der Drei Schluchten-Damm am Jangtse: Aus dem Stausee im Hintergrund soll Wasser in zehn Jahren durch einen gigantischen Tunnel Richtung Norden fließen.

Dicht bewachsene Berge prägen das Grenzgebiet zwischen den chinesischen Provinzen Hubei und Henan. Genau dort – zwischen dem Jangtse und seinem Zufluss Han – soll das gigantische System zum Süd-Nord-Wassertransfer erweitert werden, das seit Jahren den Trinkwasserbedarf des Nordens abdeckt. Doch der Durst im Norden wächst weiter, während es dort parallel immer trockener wird. Also muss das Jangtse-Becken noch mehr Wasser abgeben als bisher – und zwar künftig schon direkt aus dem Mittellauf.

Über die Berge aber kann das Wasser nicht gepumpt werden. Statt Kanäle zu bauen, wollen Chinas Ingenieure daher den künftig mit Abstand längsten Wassertunnel der Welt namens Yinjiangbuhan durch die Bergmassive bohren. Er wird laut Plan rund 250 Kilometer lang sein – und damit fast so lang wie die Autobahn von Hamburg nach Berlin. Die bisherige Nummer Eins der Welt, der immerhin 130 Kilometer lange Päijenne-Tunnel in Finnland, bohrt sich bis zu 130 Meter tief durchs Erdreich. Doch der geplante Yinjiangbuhan-Tunnel toppt auch das. Bis zu 1000 Meter unterhalb der Berghänge soll er durchs Erdreich führen.

Riesige Wassermengen sollen aus dem Stausee hinter dem leistungsstärksten Wasserkraftwerk der Welt am Drei-Schluchten-Damm bei Yichang dann durch die Röhre in Richtung Danjiangkou-Talsperre fließen. Dort beginnt die 2014 in Betrieb genommene Mittlere Route des Transfersystems. Doch der Pegel des Danjiangkou-Stausees sinkt wegen langer Trockenperioden seit 2014 stetig. Und so kann der Stausee allein den Bedarf offenbar nicht mehr allein decken.

Routen des Süd-Nord-Wassertransfers auf einer China-Landkarte
Wasser für Nordchina: Die drei Routen und der geplante Tunnel (in blau).

Zehn Jahre wird der Bau der Wasserverbindung laut Xinhua dauern und laut Plan rund 60 Milliarden Yuan verschlingen, umgerechnet etwa 8,7 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bau des sechsmal so langen Kanals von Danjiangkou nach Peking verschlang satte 66 Milliarden Euro.

Gigantische Pumpe: Wasser für 140 Millionen Menschen

Das Süd-Nord-Kanalsystem ist schon jetzt eines der größten Megaprojekte der Welt. Seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 2014 hat es rund 54 Milliarden Kubikmeter Wasser vom regenfeuchten Süden in den ausgedörrten Norden gepumpt – zur Versorgung von über 140 Millionen Menschen. Das entspricht nach Angaben der South China Morning Post fast der durchschnittlichen Wassermenge, die sich im Schnitt im gesamten Gelben Fluss befindet, dem zweitgrößten Strom Chinas nach dem Jangtse.

  • Die Ostroute des Transfer-Systems folgt dem jahrhundertealten Kaiserkanal, der in früheren Zeiten eine wichtige Schifffahrtsroute vom Jangtse in den Norden war. Für sie mussten hauptsächlich Pumpen gebaut werden, kaum neue Wasserwege.
  • Die erwähnte Mittlere Route leitet Wasser aus dem Danjiangkou-Stausee in eigens gebaute Kanäle, und dann über 1400 Kilometer gen Norden.
  • Die Westroute durchs Hochgebirge ist bislang nicht gebaut worden – unter anderem aufgrund von sozialen und ökologischen Bedenken. Auch die Jangtse-Provinzen Sichuan und Hubei wehrten sich. In Sichuan unterstützte die Regierung damals sogar Wissenschaftler, die sich gegen die Machbarkeit der Westroute aussprachen.

Generell war das gigantische Transferprogramm von Beginn an umstritten. Vor allem international gab es Warnungen vor den ökologischen Folgen. In der Sowjetunion hatte die Umleitung großer Flüsse zum Austrocknen ganzer Regionen geführt; der einst gewaltige Aralsee ist über die Jahrzehnte praktisch verschwunden, da er keinen größeren Zufluss mehr besitzt.

China: Keine Bedenken gegen Wassertransfer

Doch die Kommunistische Partei liebt große Ingenieurskunst. Aufgrund der immer drastischeren Trockenheit im Norden setzte sie darauf, die Wassermenge durch einen Transfer zu erhöhen, vor allem für Peking und die Hafenstadt Tianjin. Im August 2002 hatte der Staatsrat das Projekt genehmigt. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 2003. Hunderttausende Menschen wurden entlang der Mittleren Route umgesiedelt.

Auch wurden die Hydrologie und Ökologie der Flusssysteme des Gelben Flusses und des Jangtse grundlegend verändert. Die langfristigen Folgen des Projekts sind noch gar nicht absehbar. Immer wieder gibt es heute schon Berichte über Wasserverschmutzung im Umfeld der Transfer-Kanäle.

Trotzdem kündigte Staatschef Xi Jinping im Mai 2021 an, das Projekt weiter voranzutreiben – sprich eine zusätzliche Route in Angriff nehmen zu wollen. Das hat sich nun konkretisiert. “Der Yinjiangbuhan-Tunnel wird eine physische Verbindung zwischen dem Drei-Schluchten-Damm und dem Süd-Nord-Wassertransferprojekt herstellen – den beiden kritischen Infrastrukturen Chinas”, sagte Niu Xinqiang, Präsident des Changjiang-Instituts für Vermessung, Planung, Design und Forschung, während der Grundsteinlegung am 7. Juli.

Möglicherweise fußt dieser Plan auf der Einsicht, dass die ursprünglich geplante Westroute nicht realisierbar ist. Sie würde bedeuten, am Oberlauf des Jangtse Kanäle und Tunnel in unzugänglichen Hochgebirgsregionen des Tibetischen Plateaus bauen zu müssen. Auch könnte das Projekt jene Gedankenspiele ausbremsen, die Wasser aus grenzüberschreitenden Flüssen wie dem aus Tibet nach Indien strömenden Brahmaputra abzuzweigen. Diese Idee hat Peking zwar nie offiziell unterstützt. Trotzdem sorgt sie seit Jahren in Indien für Unruhe.

China geht zu verschwenderisch mit Wasser um

China hat deutlich weniger als den Weltdurchschnitt an Wasser zur Verfügung. Rund sieben Prozent des globalen Süßwasser-Vorkommens müssen rund 20 Prozent der Weltbevölkerung speisen. Und dieses Wasser ist auch noch ausgesprochen ungleich verteilt. Während der wasserreiche subtropische Süden Nassreisfelder anlegen kann und immer wieder von Fluten heimgesucht wird, kämpfen viele Regionen des Nordens gegen die Versteppung. Tausende von Flüssen sind verschwunden, und Industrie und Landwirtschaft verdrecken große Teile des Restes. Der Anbau etwa von Getreide ist dort nur mithilfe künstlicher Bewässerung möglich, die vielerorts ineffizient ist und somit Wasser verschwendet. Schätzungen zufolge taugen nur 14 Prozent der chinesischen Landmasse überhaupt für die Landwirtschaft.

Durch den Klimawandel wird es im Norden immer trockener. Die Zahl der Dürren steigt, der Grundwasserspiegel sinkt. Trotzdem ist Nordchina zunehmend dicht bevölkert. Auch Industrie und Landwirtschaft wachsen – folglich werden die Wasserresourcen der Region immer knapper. Trotz des Transfersystems kommt China daher nicht um das Thema Wassersparen herum. Der Kampf gegen die Verschwendung ist schwierig, da der Preis für Leitungswasser aus politischen Gründen noch immer niedrig ist.

Das Ministerium für Wasserressourcen reagierte nun und plant nach einer Notiz vom Februar, die Wassernutzung regional zu deckeln und Systeme für den Handel mit Wasserrechten aufzubauen. Solche Systeme gibt es zum Beispiel in Australien, den USA oder Südafrika. Von 2000 bis 2020 sparten Chinas Städte nach Angaben des Bauministeriums insgesamt 97,2 Milliarden Kubikmeter Wasser – unter anderem durch den Aufbau von Schwammstädten (China.Table berichtete). Das ist etwa das Neunfache der jährlich durch die zentrale Route des Wassertransferprojekts gepumpte Menge.

  • Agrar
  • Industrie
  • Klima
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  • Unwetter
  • Xi Jinping

Statt Straßen und Schienen: 5G-Netzwerke und Big Data 

So wie hier in Gonghe, Provinz Qinghai, entstehen landesweit Hunderte neue Fotovoltaikanlagen. Sie sind Teil des Programms zur Stützung der angeschlagenen Konjunktur. Zur Stützung der Wirtschaft setzt China nun auch mehr auf 5G-Ausbau und Big-Data-Infrastruktur.
So wie hier in Gonghe, Provinz Qinghai, entstehen landesweit Hunderte neue Fotovoltaikanlagen. Sie sind Teil des Programms zur Stützung der angeschlagenen Konjunktur.

“Wer reich werden will, muss zuerst eine Straße bauen.” Das alte chinesische Sprichwort scheint ausgedient zu haben, wenn man sich die neuen Infrastruktur-Pläne Pekings vor Augen führt. Die Regierung will in der zweiten Jahreshälfte die durch die harten Corona-Maßnahmen ausgebremste Konjunktur ankurbeln. Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal gerade mal noch um 0,4 Prozent. Damit will sich die Führung nicht noch einmal zufriedengeben. Mehr als eine Billion Yuan (etwa 145 Milliarden Euro) werden deshalb an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt. 

Anders als bei früheren Infrastruktur-Offensiven werden es dieses Mal allerdings weniger Straßen, Schienen und Flughäfen sein, die der Wirtschaft Schwung verleihen sollen. Peking will das Geld vor allem für den Ausbau der “neuen Infrastruktur” nutzen. “Projekte für erneuerbare Energien, im Technologie-Bereich und der Wasserwirtschaft werden zu den größten Nutznießern von Chinas neuem  Infrastrukturinvestitionsboom gehören”, schreibt das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin, das gleichzeitig vom größten Konjunkturpaket seit der Finanzkrise 2008 spricht. Damals mobilisierte Peking rund vier Billionen Yuan, die einen gewaltigen Bauboom auslösten. Gleichzeitig schoss die Verschuldung von Staatsfirmen und Lokalregierungen in die Höhe. 

Erneuerbare Energie boomt

Vierzehn Jahre später sollen andere Sektoren von den Konjunktur-Milliarden profitieren. “Das Land hat bereits ein angemessenes Netzwerk von Eisenbahnen, Autobahnen und Flughäfen”, so der Pekinger Makroökonom Zhu Changzheng. Mit Zuflüssen könnten nun Bereiche rechnen, die vom der zuständigen Pekinger Entwicklungs- und Reformkommission als “neue Infrastruktur” eingestuft werden. Die Förderung von Künstlicher Intelligenz, Blockchain-Anwendungen, Cloud-Computing, Big Data und 5G gehören hierzu. Auch erneuerbare Energiequellen dürften einen weiteren Schub erfahren. 

Dass die Geldströme dieses Mal ganz anders fließen, lässt sich bereits seit einigen Monaten beobachtenLaut Caixin gingen in der ersten Jahreshälfte die Ausgaben für neue Schienen- und Straßen im Vorjahresvergleich um 4,4 Prozent beziehungsweise 0,2 Prozent zurückEinen Boom erlebt dagegen der Ausbau neuer Energiequellen. Allein die Ausgaben für neue Fotovoltaik-Anlagen stiegen in der ersten Jahreshälfte um 173 Prozent auf umgerechnet 41 Milliarden Dollar an. 58 Milliarden Dollar oder 107 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2021 flossen derweil in neue Windprojekte, wie die Analysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) errechnet haben. 

Begrenzte Wirkung auf das Wachstum

“Die grüne Infrastruktur ist das derzeit wichtigste Investment, auf das China setzt, um die schwächelnde Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder anzukurbeln”, sagt Bloomberg-Analyst Nannan Kou. Doch auch in anderen Feldern treibt China Investitionen voran. So soll laut Caixin ebenfalls viel Geld für den Hochwasserschutz in die Hand genommen werden. Auch die Modernisierung des maroden Gas-Netzes steht auf Pekings To-do-Liste.

Zwar sind sich Ökonomen einig, dass das Infrastruktur-Paket der Wirtschaft gewissen Rückenwind verleihen wird. Jedoch dürfte es schwierig werden, das angestrebte Wachstumsziel von rund fünf Prozent noch zu erreichen. Laut der Staatszeitung Global Times machten Chinas Infrastruktur-Ausgaben allein im Juli zwar einen Sprung um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das gesamte Infrastruktur-Paket werde bis zum Jahresende jedoch wohl nur etwa einen Prozentpunkt zusätzliches Wachstum generieren können. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

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News

Geringe Pegelstände sorgen für Stromausfälle

Aufgrund hoher Temperaturen und ausbleibender Regenfälle ist der Wasserstand an Chinas längstem Fluss, dem Jangtse, auf den niedrigsten Stand seit es Aufzeichnungen gibt gefallen. In Wuhan wurde ein Pegelstand von 17,54 Metern gemessen – sechs Meter unter dem Durchschnitt der letzten Jahre und der tiefste Stand seit 1865, wie die South China Morning Post berichtet. Am Jangtse lebt gut ein Drittel der chinesischen Bevölkerung.

Die beiden größten Frischwasserseen der Volksrepublik verzeichnen die niedrigsten Pegelstände seit Beginn der Aufzeichnung 1951. Der Poyang und der Dongting sind mit dem Jangtse verbunden. Auch kleinere Flüsse trocknen zunehmend aus. Das südliche China erlebt seit Juli Höchsttemperaturen. Das Nationale Meteorologische Zentrum hat jetzt erstmals die höchste Alarmstufe für die gesamte Region ausgesprochen, so die SCMP. Das Jahr 2022 könnte demnach zum heißesten Jahr seit 1961 werden.

Während niedrige Pegelstände in Deutschland bisher vor allem die Binnenschiffer in Bedrängnis bringen, bedrohen sie in China eher die Strom-Erzeugung. In der Provinz Sichuan ist der Wasserdurchfluss in die Stauseen von Wasserkraftwerken um 50 Prozent gegenüber dem historischen Durchschnitt gesunken, wie Bloomberg berichtet. Die Behörden riefen Unternehmen zum Stromsparen und zum Stopp der Produktion auf, so Reuters. Toyota hat daraufhin die Bänder in seinem Werk in der Provinz bis Samstag angehalten. Laut Volkswagen kommt es im örtlichen Werk nur zu geringen Verzögerungen bei den Auslieferungen. Auch das Foxconn-Werk in Chengdu bleibt bis Samstag geschlossen. Produzenten von Lithium, Polysilizium, Düngemitteln und anderen Gütern haben ihre Produktion eingeschränkt.

In einigen Dörfern um die Metropole Chongqing kam es zu einer Knappheit von Trinkwasser. Die Feuerwehr belieferte die Bewohner mit Frischwasser zur Bewässerung und zum Trinken. nib

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Wegen Zwangsarbeits-Gesetz: Solar-Stau beim US-Zoll

Nach Einführung des Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) stauen sich Solar-Produkte aus Xinjiang am US-Zoll. Module mit einer Kapazität von mehr als drei Gigawatt werden seit Ende Juni von der Behörde an den Grenzen festgehalten, weil die Importeure die notwendigen Dokumente noch nicht vorlegen können. Laut UFLPA sind die Importeure gezwungen, nachzuweisen, dass Produkte aus Xinjiang ohne Zwangsarbeit in der Wertschöpfungskette hergestellt worden sind.

Bis Ende des Jahres könnten sich Module mit einer Leistung von insgesamt neun bis zwölf Gigawatt ohne Einfuhr-Genehmigung an den Grenzen stauen, schätzen Analysten. Das neue Gesetz, das Ende Juni wirksam wurde, ist eine Reaktion der USA auf die Zwangsarbeits-Vorwürfe gegen chinesische Produzenten aus der autonomen Region im Nordwesten der Volksrepublik. Nachweislich werden dort uigurische Muslime und Mitglieder anderer ethnischer Minderheiten zu Arbeiten in der Solar-Industrie, aber auch in der Landwirtschaft und der Textilproduktion eingesetzt.

Importeure aller Produkte aus der Region müssen aufgrund des neuen Gesetzes beweisen, dass die Waren sauber sind. Chinas Regierung weist Vorwürfe gegen Zwangsarbeit kategorisch zurück. grz

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Bericht: Xi vor Staatsbesuch in Saudi-Arabien

Xi Jinping wird angeblich in der kommenden Woche nach Saudi-Arabien reisen. Das geht aus einem Bericht der Zeitung The Guardian hervor. Demnach soll Chinas Präsident mit einem Gala-Empfang begrüßt werden. Es wäre der erste Staatsbesuch Xis im Ausland seit Beginn der Corona-Pandemie im Januar 2020. Der große Empfang soll die guten Beziehungen zwischen beiden Länder widerspiegeln. US-Präsident Biden wurde im Juni bei seinem letzten Besuch in Saudi-Arabien sehr zurückhaltend empfangen, nachdem sich die Beziehungen der beiden Länder auch aufgrund des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi und der größeren Energieunabhängigkeit der USA abgekühlt hatten.

Der Handel zwischen China und Saudi-Arabien hat in den letzten Jahren zugenommen, während der Wirtschaftsaustausch mit den USA abnahm. China ist der größte Käufer saudischen Erdöls. Erst Anfang August haben die beiden Staatsunternehmen Sinopec und Saudi-Aramco eine Absichtserklärung unterschrieben, die Zusammenarbeit in Energiefragen zu erweitern.

Riad hat die Unterdrückung der muslimischen Uiguren nicht kritisiert. Das Sicherheitsgesetz in Hongkong wurde demnach durch Saudi-Arabien ebenfalls verteidigt. Das chinesische Außenministerium gab am Donnerstag keine Informationen zu dem Besuch preis. nib

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Standpunkt

Chinas Dekarbonisierung – Peking geht (noch) nicht “all in”

Von Michael Settelen, Director China Macro Group
Michael Settelen ist China-Experte bei dem  Beratungsunternehmen China Macro Group aus Zürich.
Michael Settelen ist China-Experte bei dem Beratungsunternehmen China Macro Group aus Zürich.

Keine Verpflichtung zu “netto null” sei so wichtig wie diejenige Pekings, schreibt die Internationale Energieagentur (IEA) in einem aktuellen Bericht zu Chinas Ziel, den Höchststand der jährlichen CO2-Emissionen bis spätestens 2030 und die Klimaneutralität bis 2060 erreicht zu haben – oder wie es in China heisst: “30/60”.

Soll die Welt das Ziel der maximalen Erderwärmung um zwei Grad erreichen, bestenfalls gar um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius, führt tatsächlich kein Weg an Peking vorbei. Nach vier Jahrzehnten des Turbowachstums ist China heute Dreh- und Angelpunkt von globalen Wertschöpfungsketten und seit 2009 der größte Energieverbraucher weltweit – Tendenz weiter steigend. Im vergangenen Jahr etwa hat der Verbrauch gegenüber dem Vorjahr um weitere 10,3 Prozent zugenommen.

Das Problem: China setzt weiterhin vorwiegend auf fossile Energieträger. Diese “schmutzigen” Energiequellen decken knapp 85 Prozent des Primärenergieverbrauchs Chinas ab – Kohle spielt mit einem Anteil von 67 Prozent zur heimischen Stromgewinnung noch immer eine dominante Rolle. Zwar beträgt der CO2-Fußabdruck in China pro Kopf weniger als die Hälfte desjenigen von US-Bürgerinnen und -Bürgern, doch das Reich der Mitte ist heute als weltweit größter Emittent von Treibhausgasen für nicht weniger als ein Drittel des jährlichen globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich.

China denkt um – aber nicht sehr ambitioniert

Dies – so hat es Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im September 2020 gegenüber der Uno-Generalversammlung erklärt – soll sich ändern. Hat sich Peking mit Blick auf das eigene Entwicklungsniveau lange gesträubt, Klima-Fragen resoluter anzupacken und sich international zu ambitionierten Zielen zu bekennen, findet gerade ein vorsichtiges Umdenken statt.

Peking will die Dekarbonisierung neu mit zwei zentralen Plänen koordinieren und vorantreiben: der Working Guidance for Carbon Dioxide Peaking and Carbon Neutrality in Full and Faithful Implementation of the New Development Philosophy und dem Action Plan for Reaching Carbon Dioxide Peak Before 2030. Der ‘Action Plan’ setzt dabei als ein erster von mehreren konkreten Umsetzungsplänen spezifische Ziele in zehn Bereichen fest, etwa zum Aufbau von erneuerbaren Energieträgern, zur Speicherung von Energie, zu sektorspezifischen Zielen oder zum Carbon Peak. Für sechs dieser zehn Bereiche wurden weiter spezifische 14. Fünfjahres- oder Umsetzungspläne verabschiedet.

Peking ist es also ernst. Doch trotz dieser positiven Zeichen bleibt Chinas Ambitionslevel bescheiden. Denn obschon der 14. Fünfjahresplan erstmals den absoluten Treibhausgas-Ausstoß ins Visier nimmt, ein eigentlich stärkerer Hebel als der bisherige Fokus auf den relativen Ausstoßes pro BIP-Einheit, fehlen in den jüngeren Plänen entsprechende Ziele. So enthält der Umsetzungsplan für die verarbeitende Industrie etwa gerade einmal ein quantitatives Ziel zur Reduktion der Energieintensität, ohne jedoch einen totalen CO2-Ausstoß für Industriebetriebe festzulegen.

China will derzeit also für die heimische Industrie den absoluten Ausstoß weder deckeln noch ein Ziel für die Energieintensität vorschreiben. Das Wirtschaftswachstum soll nicht gefährdet werden. Entsprechend wurden zuletzt auch die Ziele für den gesamten Energieverbrauch fallen gelassen.

Erneuter Rückfall zur Kohle?

Und nun droht ein erneuter Rückfall zur Kohle. Die schmerzhaften Engpässe vom letzten Herbst haben einmal mehr gezeigt, wie fragil die Energieversorgung in China nach wie vor ist, und welche Risiken eine zu schnelle Abkehr von der Kohle für die Wirtschaft bergen kann. Hinzu kommt, dass China noch über kein effektives und flächendeckendes Stromnetz verfügt, wo Engpässe mit Überschüssen woanders ausgeglichen werden könnten.

Um die Energieversorgung zu garantieren, hat Peking die ökologisch motivierten Einschränkungen bei der Produktion heimischer Kohle kurzerhand rückgängig gemacht. Der diesjährige 14. Fünfjahresplan für Energie hat zudem die Limiten beim Kohleverbrauch wieder aufgehoben.

Die Verwerfungen und Preiserhöhungen auf den internationalen Energiemärkten im Zuge des russischen Einmarsches in der Ukraine haben die Dringlichkeit für Peking noch weiter erhöht, auf heimische Energie zu setzen. So wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres elf Prozent mehr Kohle im Vergleich zur Vorjahresperiode gefördert. Der Import des Energieträgers ist dagegen um 17,5 Prozent eingebrochen.

Die meisten Fortschritte bei Erneuerbaren

Doch Peking setzt auch weiterhin auf erneuerbare Energieträger. Kein anderes Land hat die Kapazität in der Fotovoltaik zuletzt so schnell ausgebaut wie China. Zwischen Januar und Juni 2022 hat China zudem die Kapazitäten von Wind- und Solarkraft im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um weitere 17,2 Prozent beziehungsweise 25,8 Prozent ausgebaut.

Der im März von der NDRC und der National Energy Administration (NEA) – Chinas Energiebehörde – ausgearbeitete sektorielle 14. Fünfjahresplan für Energie will den Anteil der nicht fossilen Energieträger bis 2025 auf 39 Prozent der Stromgewinnung und 20 Prozent des Energieverbrauchs erhöhen. Neben Solar- und Wind- ist das im Moment insbesondere auch die Wasserkraft. Daneben baut Peking auch seine Nuklearkapazität mit Hochdruck aus.

Erneuerbare Technologien sind für Peking neben der Bekämpfung von Luftverschmutzung und der Energiesicherheit auch für die Dominanz in Zukunftstechnologien zentral. Hier gehen Industrie- und Umweltpolitik oft Hand in Hand. So will China die Wirtschaft weg von der Abhängigkeit von Infrastruktur und Exporten hin zu einem “qualitativ hochwertigen” Wachstum mit verstärktem heimischem Konsum umgestalten, mit mehr Rücksicht auf Umwelt und die Gesundheit. Stark verschmutzende Industrien sollen zunehmend Hightech-Industrien weichen, die weitaus energieeffizienter und somit umweltschonender sind.

Das heißt: Will Peking bis 2035 die “sozialistische Modernisierung” erreichen, die heimische Wirtschaft auf gesündere Beine stellen und zu den Marktführern bei Zukunftstechnologien gehören, wird es trotz des derzeitigen Rückfalls zur Kohle nicht von seinen mittel- und langfristigen Zielen abrücken (können). So kann die auf Legitimität bedachte Regierung die weniger ambitionierten Ziele auch eher übererfüllen, statt zu ambitionierte Ziele zu verpassen.

Michael Settelen ist Direktor des Schweizer Consulting-Unternehmens China Macro Group und Projektleiter China an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Dieser Beitrag steht im Rahmen der Veranstaltungsreihe Global China Conversations des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag, 18. August 2022 (11.00 Uhr, MESZ), diskutieren Sebastian Eckardt, Praxismanager für Makroökonomie, Handel und Investitionen der Weltbank, und Prof. Dr. Xiliang Zhang, Professor für Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurwesen und Direktor des Instituts für Energie, Umwelt und Wirtschaft an der Tsinghua-Universität, über das Thema: “Grünes Wachstum: Was können wir von China Erwarten?”. China.Table ist der Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.

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Dessert

Arbeitsplatz mit Ausblick auf den Jangtse: Die Versorgungstechniker warten auf eines der letzten Teile für einen Stromübertragungsturm der 800-Kilovolt-UHV-Direktleitung Baihetan-Zhejiang. Die Arbeit an mehreren Übertragungstürmen wurde in dieser Woche abgeschlossen. Mit einer Gesamtlänge von rund 2.140 Kilometern ist das Projekt ein wichtiger Teil der West-Ost-Stromversorgung Chinas.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Bericht: Xi Jinping will Saudi-Arabien besuchen
    • Standpunkt: Chinas Abkehr von fossilen Brennstoffen stockt
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die chinesische Regierung ist unvergleichlich gut darin, die physische Realität der Welt ihren Plänen entsprechend umzugestalten. Während es in Deutschland schon schwierig ist, einen Radweg anzulegen, Platz für eine Bahntrasse zu schaffen oder ein Windrad zu errichten, versetzt China buchstäblich Berge. Oder Flüsse. Durch einen Tunnel soll künftig noch mehr Wasser aus dem Jangtse in den trockenen Norden geleitet werden. Das Projekt ist so gewaltig, dass selbst der bislang längste Tunnel der Welt gerade einmal halb so lang wäre. Die Einzelheiten und Hintergründe analysiert Christiane Kühl.

    Große Infrastrukturprojekte gehören seit Jahren auch zur Konjunkturpolitik Chinas. Das gilt auch derzeit. Um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wieder in Schwung zu bringen, setzt die Regierung derzeit auf große Investitionen. Doch dieses Mal steckt sie ihre Milliarden nicht mehr nur in den Bau von noch mehr Autobahnen, Schienen und Hochhäusern, sondern in Erneuerbare Energien, das 5G-Netzwerk und in Cloud-Computing. Das ist richtig und sinnvoll, wie aus der Analyse unseres Autorenteams aus Peking hervorgeht.

    Ihr
    Nico Beckert
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    Analyse

    Nur für Wasser: Ein Tunnel so lang wie Thüringen

    China: Luftaufnahme des Drei-Schluchten-Damms in der Dämmerung - Der Drei Schluchten-Damm am Jangtse: Aus dem Stausee im Hintergrund soll Wasser in zehn Jahren durch einen gigantischen Tunnel Richtung Norden fließen.
    Der Drei Schluchten-Damm am Jangtse: Aus dem Stausee im Hintergrund soll Wasser in zehn Jahren durch einen gigantischen Tunnel Richtung Norden fließen.

    Dicht bewachsene Berge prägen das Grenzgebiet zwischen den chinesischen Provinzen Hubei und Henan. Genau dort – zwischen dem Jangtse und seinem Zufluss Han – soll das gigantische System zum Süd-Nord-Wassertransfer erweitert werden, das seit Jahren den Trinkwasserbedarf des Nordens abdeckt. Doch der Durst im Norden wächst weiter, während es dort parallel immer trockener wird. Also muss das Jangtse-Becken noch mehr Wasser abgeben als bisher – und zwar künftig schon direkt aus dem Mittellauf.

    Über die Berge aber kann das Wasser nicht gepumpt werden. Statt Kanäle zu bauen, wollen Chinas Ingenieure daher den künftig mit Abstand längsten Wassertunnel der Welt namens Yinjiangbuhan durch die Bergmassive bohren. Er wird laut Plan rund 250 Kilometer lang sein – und damit fast so lang wie die Autobahn von Hamburg nach Berlin. Die bisherige Nummer Eins der Welt, der immerhin 130 Kilometer lange Päijenne-Tunnel in Finnland, bohrt sich bis zu 130 Meter tief durchs Erdreich. Doch der geplante Yinjiangbuhan-Tunnel toppt auch das. Bis zu 1000 Meter unterhalb der Berghänge soll er durchs Erdreich führen.

    Riesige Wassermengen sollen aus dem Stausee hinter dem leistungsstärksten Wasserkraftwerk der Welt am Drei-Schluchten-Damm bei Yichang dann durch die Röhre in Richtung Danjiangkou-Talsperre fließen. Dort beginnt die 2014 in Betrieb genommene Mittlere Route des Transfersystems. Doch der Pegel des Danjiangkou-Stausees sinkt wegen langer Trockenperioden seit 2014 stetig. Und so kann der Stausee allein den Bedarf offenbar nicht mehr allein decken.

    Routen des Süd-Nord-Wassertransfers auf einer China-Landkarte
    Wasser für Nordchina: Die drei Routen und der geplante Tunnel (in blau).

    Zehn Jahre wird der Bau der Wasserverbindung laut Xinhua dauern und laut Plan rund 60 Milliarden Yuan verschlingen, umgerechnet etwa 8,7 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bau des sechsmal so langen Kanals von Danjiangkou nach Peking verschlang satte 66 Milliarden Euro.

    Gigantische Pumpe: Wasser für 140 Millionen Menschen

    Das Süd-Nord-Kanalsystem ist schon jetzt eines der größten Megaprojekte der Welt. Seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 2014 hat es rund 54 Milliarden Kubikmeter Wasser vom regenfeuchten Süden in den ausgedörrten Norden gepumpt – zur Versorgung von über 140 Millionen Menschen. Das entspricht nach Angaben der South China Morning Post fast der durchschnittlichen Wassermenge, die sich im Schnitt im gesamten Gelben Fluss befindet, dem zweitgrößten Strom Chinas nach dem Jangtse.

    • Die Ostroute des Transfer-Systems folgt dem jahrhundertealten Kaiserkanal, der in früheren Zeiten eine wichtige Schifffahrtsroute vom Jangtse in den Norden war. Für sie mussten hauptsächlich Pumpen gebaut werden, kaum neue Wasserwege.
    • Die erwähnte Mittlere Route leitet Wasser aus dem Danjiangkou-Stausee in eigens gebaute Kanäle, und dann über 1400 Kilometer gen Norden.
    • Die Westroute durchs Hochgebirge ist bislang nicht gebaut worden – unter anderem aufgrund von sozialen und ökologischen Bedenken. Auch die Jangtse-Provinzen Sichuan und Hubei wehrten sich. In Sichuan unterstützte die Regierung damals sogar Wissenschaftler, die sich gegen die Machbarkeit der Westroute aussprachen.

    Generell war das gigantische Transferprogramm von Beginn an umstritten. Vor allem international gab es Warnungen vor den ökologischen Folgen. In der Sowjetunion hatte die Umleitung großer Flüsse zum Austrocknen ganzer Regionen geführt; der einst gewaltige Aralsee ist über die Jahrzehnte praktisch verschwunden, da er keinen größeren Zufluss mehr besitzt.

    China: Keine Bedenken gegen Wassertransfer

    Doch die Kommunistische Partei liebt große Ingenieurskunst. Aufgrund der immer drastischeren Trockenheit im Norden setzte sie darauf, die Wassermenge durch einen Transfer zu erhöhen, vor allem für Peking und die Hafenstadt Tianjin. Im August 2002 hatte der Staatsrat das Projekt genehmigt. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 2003. Hunderttausende Menschen wurden entlang der Mittleren Route umgesiedelt.

    Auch wurden die Hydrologie und Ökologie der Flusssysteme des Gelben Flusses und des Jangtse grundlegend verändert. Die langfristigen Folgen des Projekts sind noch gar nicht absehbar. Immer wieder gibt es heute schon Berichte über Wasserverschmutzung im Umfeld der Transfer-Kanäle.

    Trotzdem kündigte Staatschef Xi Jinping im Mai 2021 an, das Projekt weiter voranzutreiben – sprich eine zusätzliche Route in Angriff nehmen zu wollen. Das hat sich nun konkretisiert. “Der Yinjiangbuhan-Tunnel wird eine physische Verbindung zwischen dem Drei-Schluchten-Damm und dem Süd-Nord-Wassertransferprojekt herstellen – den beiden kritischen Infrastrukturen Chinas”, sagte Niu Xinqiang, Präsident des Changjiang-Instituts für Vermessung, Planung, Design und Forschung, während der Grundsteinlegung am 7. Juli.

    Möglicherweise fußt dieser Plan auf der Einsicht, dass die ursprünglich geplante Westroute nicht realisierbar ist. Sie würde bedeuten, am Oberlauf des Jangtse Kanäle und Tunnel in unzugänglichen Hochgebirgsregionen des Tibetischen Plateaus bauen zu müssen. Auch könnte das Projekt jene Gedankenspiele ausbremsen, die Wasser aus grenzüberschreitenden Flüssen wie dem aus Tibet nach Indien strömenden Brahmaputra abzuzweigen. Diese Idee hat Peking zwar nie offiziell unterstützt. Trotzdem sorgt sie seit Jahren in Indien für Unruhe.

    China geht zu verschwenderisch mit Wasser um

    China hat deutlich weniger als den Weltdurchschnitt an Wasser zur Verfügung. Rund sieben Prozent des globalen Süßwasser-Vorkommens müssen rund 20 Prozent der Weltbevölkerung speisen. Und dieses Wasser ist auch noch ausgesprochen ungleich verteilt. Während der wasserreiche subtropische Süden Nassreisfelder anlegen kann und immer wieder von Fluten heimgesucht wird, kämpfen viele Regionen des Nordens gegen die Versteppung. Tausende von Flüssen sind verschwunden, und Industrie und Landwirtschaft verdrecken große Teile des Restes. Der Anbau etwa von Getreide ist dort nur mithilfe künstlicher Bewässerung möglich, die vielerorts ineffizient ist und somit Wasser verschwendet. Schätzungen zufolge taugen nur 14 Prozent der chinesischen Landmasse überhaupt für die Landwirtschaft.

    Durch den Klimawandel wird es im Norden immer trockener. Die Zahl der Dürren steigt, der Grundwasserspiegel sinkt. Trotzdem ist Nordchina zunehmend dicht bevölkert. Auch Industrie und Landwirtschaft wachsen – folglich werden die Wasserresourcen der Region immer knapper. Trotz des Transfersystems kommt China daher nicht um das Thema Wassersparen herum. Der Kampf gegen die Verschwendung ist schwierig, da der Preis für Leitungswasser aus politischen Gründen noch immer niedrig ist.

    Das Ministerium für Wasserressourcen reagierte nun und plant nach einer Notiz vom Februar, die Wassernutzung regional zu deckeln und Systeme für den Handel mit Wasserrechten aufzubauen. Solche Systeme gibt es zum Beispiel in Australien, den USA oder Südafrika. Von 2000 bis 2020 sparten Chinas Städte nach Angaben des Bauministeriums insgesamt 97,2 Milliarden Kubikmeter Wasser – unter anderem durch den Aufbau von Schwammstädten (China.Table berichtete). Das ist etwa das Neunfache der jährlich durch die zentrale Route des Wassertransferprojekts gepumpte Menge.

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    Statt Straßen und Schienen: 5G-Netzwerke und Big Data 

    So wie hier in Gonghe, Provinz Qinghai, entstehen landesweit Hunderte neue Fotovoltaikanlagen. Sie sind Teil des Programms zur Stützung der angeschlagenen Konjunktur. Zur Stützung der Wirtschaft setzt China nun auch mehr auf 5G-Ausbau und Big-Data-Infrastruktur.
    So wie hier in Gonghe, Provinz Qinghai, entstehen landesweit Hunderte neue Fotovoltaikanlagen. Sie sind Teil des Programms zur Stützung der angeschlagenen Konjunktur.

    “Wer reich werden will, muss zuerst eine Straße bauen.” Das alte chinesische Sprichwort scheint ausgedient zu haben, wenn man sich die neuen Infrastruktur-Pläne Pekings vor Augen führt. Die Regierung will in der zweiten Jahreshälfte die durch die harten Corona-Maßnahmen ausgebremste Konjunktur ankurbeln. Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal gerade mal noch um 0,4 Prozent. Damit will sich die Führung nicht noch einmal zufriedengeben. Mehr als eine Billion Yuan (etwa 145 Milliarden Euro) werden deshalb an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt. 

    Anders als bei früheren Infrastruktur-Offensiven werden es dieses Mal allerdings weniger Straßen, Schienen und Flughäfen sein, die der Wirtschaft Schwung verleihen sollen. Peking will das Geld vor allem für den Ausbau der “neuen Infrastruktur” nutzen. “Projekte für erneuerbare Energien, im Technologie-Bereich und der Wasserwirtschaft werden zu den größten Nutznießern von Chinas neuem  Infrastrukturinvestitionsboom gehören”, schreibt das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin, das gleichzeitig vom größten Konjunkturpaket seit der Finanzkrise 2008 spricht. Damals mobilisierte Peking rund vier Billionen Yuan, die einen gewaltigen Bauboom auslösten. Gleichzeitig schoss die Verschuldung von Staatsfirmen und Lokalregierungen in die Höhe. 

    Erneuerbare Energie boomt

    Vierzehn Jahre später sollen andere Sektoren von den Konjunktur-Milliarden profitieren. “Das Land hat bereits ein angemessenes Netzwerk von Eisenbahnen, Autobahnen und Flughäfen”, so der Pekinger Makroökonom Zhu Changzheng. Mit Zuflüssen könnten nun Bereiche rechnen, die vom der zuständigen Pekinger Entwicklungs- und Reformkommission als “neue Infrastruktur” eingestuft werden. Die Förderung von Künstlicher Intelligenz, Blockchain-Anwendungen, Cloud-Computing, Big Data und 5G gehören hierzu. Auch erneuerbare Energiequellen dürften einen weiteren Schub erfahren. 

    Dass die Geldströme dieses Mal ganz anders fließen, lässt sich bereits seit einigen Monaten beobachtenLaut Caixin gingen in der ersten Jahreshälfte die Ausgaben für neue Schienen- und Straßen im Vorjahresvergleich um 4,4 Prozent beziehungsweise 0,2 Prozent zurückEinen Boom erlebt dagegen der Ausbau neuer Energiequellen. Allein die Ausgaben für neue Fotovoltaik-Anlagen stiegen in der ersten Jahreshälfte um 173 Prozent auf umgerechnet 41 Milliarden Dollar an. 58 Milliarden Dollar oder 107 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2021 flossen derweil in neue Windprojekte, wie die Analysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) errechnet haben. 

    Begrenzte Wirkung auf das Wachstum

    “Die grüne Infrastruktur ist das derzeit wichtigste Investment, auf das China setzt, um die schwächelnde Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder anzukurbeln”, sagt Bloomberg-Analyst Nannan Kou. Doch auch in anderen Feldern treibt China Investitionen voran. So soll laut Caixin ebenfalls viel Geld für den Hochwasserschutz in die Hand genommen werden. Auch die Modernisierung des maroden Gas-Netzes steht auf Pekings To-do-Liste.

    Zwar sind sich Ökonomen einig, dass das Infrastruktur-Paket der Wirtschaft gewissen Rückenwind verleihen wird. Jedoch dürfte es schwierig werden, das angestrebte Wachstumsziel von rund fünf Prozent noch zu erreichen. Laut der Staatszeitung Global Times machten Chinas Infrastruktur-Ausgaben allein im Juli zwar einen Sprung um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das gesamte Infrastruktur-Paket werde bis zum Jahresende jedoch wohl nur etwa einen Prozentpunkt zusätzliches Wachstum generieren können. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

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    Geringe Pegelstände sorgen für Stromausfälle

    Aufgrund hoher Temperaturen und ausbleibender Regenfälle ist der Wasserstand an Chinas längstem Fluss, dem Jangtse, auf den niedrigsten Stand seit es Aufzeichnungen gibt gefallen. In Wuhan wurde ein Pegelstand von 17,54 Metern gemessen – sechs Meter unter dem Durchschnitt der letzten Jahre und der tiefste Stand seit 1865, wie die South China Morning Post berichtet. Am Jangtse lebt gut ein Drittel der chinesischen Bevölkerung.

    Die beiden größten Frischwasserseen der Volksrepublik verzeichnen die niedrigsten Pegelstände seit Beginn der Aufzeichnung 1951. Der Poyang und der Dongting sind mit dem Jangtse verbunden. Auch kleinere Flüsse trocknen zunehmend aus. Das südliche China erlebt seit Juli Höchsttemperaturen. Das Nationale Meteorologische Zentrum hat jetzt erstmals die höchste Alarmstufe für die gesamte Region ausgesprochen, so die SCMP. Das Jahr 2022 könnte demnach zum heißesten Jahr seit 1961 werden.

    Während niedrige Pegelstände in Deutschland bisher vor allem die Binnenschiffer in Bedrängnis bringen, bedrohen sie in China eher die Strom-Erzeugung. In der Provinz Sichuan ist der Wasserdurchfluss in die Stauseen von Wasserkraftwerken um 50 Prozent gegenüber dem historischen Durchschnitt gesunken, wie Bloomberg berichtet. Die Behörden riefen Unternehmen zum Stromsparen und zum Stopp der Produktion auf, so Reuters. Toyota hat daraufhin die Bänder in seinem Werk in der Provinz bis Samstag angehalten. Laut Volkswagen kommt es im örtlichen Werk nur zu geringen Verzögerungen bei den Auslieferungen. Auch das Foxconn-Werk in Chengdu bleibt bis Samstag geschlossen. Produzenten von Lithium, Polysilizium, Düngemitteln und anderen Gütern haben ihre Produktion eingeschränkt.

    In einigen Dörfern um die Metropole Chongqing kam es zu einer Knappheit von Trinkwasser. Die Feuerwehr belieferte die Bewohner mit Frischwasser zur Bewässerung und zum Trinken. nib

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    Wegen Zwangsarbeits-Gesetz: Solar-Stau beim US-Zoll

    Nach Einführung des Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) stauen sich Solar-Produkte aus Xinjiang am US-Zoll. Module mit einer Kapazität von mehr als drei Gigawatt werden seit Ende Juni von der Behörde an den Grenzen festgehalten, weil die Importeure die notwendigen Dokumente noch nicht vorlegen können. Laut UFLPA sind die Importeure gezwungen, nachzuweisen, dass Produkte aus Xinjiang ohne Zwangsarbeit in der Wertschöpfungskette hergestellt worden sind.

    Bis Ende des Jahres könnten sich Module mit einer Leistung von insgesamt neun bis zwölf Gigawatt ohne Einfuhr-Genehmigung an den Grenzen stauen, schätzen Analysten. Das neue Gesetz, das Ende Juni wirksam wurde, ist eine Reaktion der USA auf die Zwangsarbeits-Vorwürfe gegen chinesische Produzenten aus der autonomen Region im Nordwesten der Volksrepublik. Nachweislich werden dort uigurische Muslime und Mitglieder anderer ethnischer Minderheiten zu Arbeiten in der Solar-Industrie, aber auch in der Landwirtschaft und der Textilproduktion eingesetzt.

    Importeure aller Produkte aus der Region müssen aufgrund des neuen Gesetzes beweisen, dass die Waren sauber sind. Chinas Regierung weist Vorwürfe gegen Zwangsarbeit kategorisch zurück. grz

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    Bericht: Xi vor Staatsbesuch in Saudi-Arabien

    Xi Jinping wird angeblich in der kommenden Woche nach Saudi-Arabien reisen. Das geht aus einem Bericht der Zeitung The Guardian hervor. Demnach soll Chinas Präsident mit einem Gala-Empfang begrüßt werden. Es wäre der erste Staatsbesuch Xis im Ausland seit Beginn der Corona-Pandemie im Januar 2020. Der große Empfang soll die guten Beziehungen zwischen beiden Länder widerspiegeln. US-Präsident Biden wurde im Juni bei seinem letzten Besuch in Saudi-Arabien sehr zurückhaltend empfangen, nachdem sich die Beziehungen der beiden Länder auch aufgrund des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi und der größeren Energieunabhängigkeit der USA abgekühlt hatten.

    Der Handel zwischen China und Saudi-Arabien hat in den letzten Jahren zugenommen, während der Wirtschaftsaustausch mit den USA abnahm. China ist der größte Käufer saudischen Erdöls. Erst Anfang August haben die beiden Staatsunternehmen Sinopec und Saudi-Aramco eine Absichtserklärung unterschrieben, die Zusammenarbeit in Energiefragen zu erweitern.

    Riad hat die Unterdrückung der muslimischen Uiguren nicht kritisiert. Das Sicherheitsgesetz in Hongkong wurde demnach durch Saudi-Arabien ebenfalls verteidigt. Das chinesische Außenministerium gab am Donnerstag keine Informationen zu dem Besuch preis. nib

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    Standpunkt

    Chinas Dekarbonisierung – Peking geht (noch) nicht “all in”

    Von Michael Settelen, Director China Macro Group
    Michael Settelen ist China-Experte bei dem  Beratungsunternehmen China Macro Group aus Zürich.
    Michael Settelen ist China-Experte bei dem Beratungsunternehmen China Macro Group aus Zürich.

    Keine Verpflichtung zu “netto null” sei so wichtig wie diejenige Pekings, schreibt die Internationale Energieagentur (IEA) in einem aktuellen Bericht zu Chinas Ziel, den Höchststand der jährlichen CO2-Emissionen bis spätestens 2030 und die Klimaneutralität bis 2060 erreicht zu haben – oder wie es in China heisst: “30/60”.

    Soll die Welt das Ziel der maximalen Erderwärmung um zwei Grad erreichen, bestenfalls gar um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius, führt tatsächlich kein Weg an Peking vorbei. Nach vier Jahrzehnten des Turbowachstums ist China heute Dreh- und Angelpunkt von globalen Wertschöpfungsketten und seit 2009 der größte Energieverbraucher weltweit – Tendenz weiter steigend. Im vergangenen Jahr etwa hat der Verbrauch gegenüber dem Vorjahr um weitere 10,3 Prozent zugenommen.

    Das Problem: China setzt weiterhin vorwiegend auf fossile Energieträger. Diese “schmutzigen” Energiequellen decken knapp 85 Prozent des Primärenergieverbrauchs Chinas ab – Kohle spielt mit einem Anteil von 67 Prozent zur heimischen Stromgewinnung noch immer eine dominante Rolle. Zwar beträgt der CO2-Fußabdruck in China pro Kopf weniger als die Hälfte desjenigen von US-Bürgerinnen und -Bürgern, doch das Reich der Mitte ist heute als weltweit größter Emittent von Treibhausgasen für nicht weniger als ein Drittel des jährlichen globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich.

    China denkt um – aber nicht sehr ambitioniert

    Dies – so hat es Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im September 2020 gegenüber der Uno-Generalversammlung erklärt – soll sich ändern. Hat sich Peking mit Blick auf das eigene Entwicklungsniveau lange gesträubt, Klima-Fragen resoluter anzupacken und sich international zu ambitionierten Zielen zu bekennen, findet gerade ein vorsichtiges Umdenken statt.

    Peking will die Dekarbonisierung neu mit zwei zentralen Plänen koordinieren und vorantreiben: der Working Guidance for Carbon Dioxide Peaking and Carbon Neutrality in Full and Faithful Implementation of the New Development Philosophy und dem Action Plan for Reaching Carbon Dioxide Peak Before 2030. Der ‘Action Plan’ setzt dabei als ein erster von mehreren konkreten Umsetzungsplänen spezifische Ziele in zehn Bereichen fest, etwa zum Aufbau von erneuerbaren Energieträgern, zur Speicherung von Energie, zu sektorspezifischen Zielen oder zum Carbon Peak. Für sechs dieser zehn Bereiche wurden weiter spezifische 14. Fünfjahres- oder Umsetzungspläne verabschiedet.

    Peking ist es also ernst. Doch trotz dieser positiven Zeichen bleibt Chinas Ambitionslevel bescheiden. Denn obschon der 14. Fünfjahresplan erstmals den absoluten Treibhausgas-Ausstoß ins Visier nimmt, ein eigentlich stärkerer Hebel als der bisherige Fokus auf den relativen Ausstoßes pro BIP-Einheit, fehlen in den jüngeren Plänen entsprechende Ziele. So enthält der Umsetzungsplan für die verarbeitende Industrie etwa gerade einmal ein quantitatives Ziel zur Reduktion der Energieintensität, ohne jedoch einen totalen CO2-Ausstoß für Industriebetriebe festzulegen.

    China will derzeit also für die heimische Industrie den absoluten Ausstoß weder deckeln noch ein Ziel für die Energieintensität vorschreiben. Das Wirtschaftswachstum soll nicht gefährdet werden. Entsprechend wurden zuletzt auch die Ziele für den gesamten Energieverbrauch fallen gelassen.

    Erneuter Rückfall zur Kohle?

    Und nun droht ein erneuter Rückfall zur Kohle. Die schmerzhaften Engpässe vom letzten Herbst haben einmal mehr gezeigt, wie fragil die Energieversorgung in China nach wie vor ist, und welche Risiken eine zu schnelle Abkehr von der Kohle für die Wirtschaft bergen kann. Hinzu kommt, dass China noch über kein effektives und flächendeckendes Stromnetz verfügt, wo Engpässe mit Überschüssen woanders ausgeglichen werden könnten.

    Um die Energieversorgung zu garantieren, hat Peking die ökologisch motivierten Einschränkungen bei der Produktion heimischer Kohle kurzerhand rückgängig gemacht. Der diesjährige 14. Fünfjahresplan für Energie hat zudem die Limiten beim Kohleverbrauch wieder aufgehoben.

    Die Verwerfungen und Preiserhöhungen auf den internationalen Energiemärkten im Zuge des russischen Einmarsches in der Ukraine haben die Dringlichkeit für Peking noch weiter erhöht, auf heimische Energie zu setzen. So wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres elf Prozent mehr Kohle im Vergleich zur Vorjahresperiode gefördert. Der Import des Energieträgers ist dagegen um 17,5 Prozent eingebrochen.

    Die meisten Fortschritte bei Erneuerbaren

    Doch Peking setzt auch weiterhin auf erneuerbare Energieträger. Kein anderes Land hat die Kapazität in der Fotovoltaik zuletzt so schnell ausgebaut wie China. Zwischen Januar und Juni 2022 hat China zudem die Kapazitäten von Wind- und Solarkraft im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um weitere 17,2 Prozent beziehungsweise 25,8 Prozent ausgebaut.

    Der im März von der NDRC und der National Energy Administration (NEA) – Chinas Energiebehörde – ausgearbeitete sektorielle 14. Fünfjahresplan für Energie will den Anteil der nicht fossilen Energieträger bis 2025 auf 39 Prozent der Stromgewinnung und 20 Prozent des Energieverbrauchs erhöhen. Neben Solar- und Wind- ist das im Moment insbesondere auch die Wasserkraft. Daneben baut Peking auch seine Nuklearkapazität mit Hochdruck aus.

    Erneuerbare Technologien sind für Peking neben der Bekämpfung von Luftverschmutzung und der Energiesicherheit auch für die Dominanz in Zukunftstechnologien zentral. Hier gehen Industrie- und Umweltpolitik oft Hand in Hand. So will China die Wirtschaft weg von der Abhängigkeit von Infrastruktur und Exporten hin zu einem “qualitativ hochwertigen” Wachstum mit verstärktem heimischem Konsum umgestalten, mit mehr Rücksicht auf Umwelt und die Gesundheit. Stark verschmutzende Industrien sollen zunehmend Hightech-Industrien weichen, die weitaus energieeffizienter und somit umweltschonender sind.

    Das heißt: Will Peking bis 2035 die “sozialistische Modernisierung” erreichen, die heimische Wirtschaft auf gesündere Beine stellen und zu den Marktführern bei Zukunftstechnologien gehören, wird es trotz des derzeitigen Rückfalls zur Kohle nicht von seinen mittel- und langfristigen Zielen abrücken (können). So kann die auf Legitimität bedachte Regierung die weniger ambitionierten Ziele auch eher übererfüllen, statt zu ambitionierte Ziele zu verpassen.

    Michael Settelen ist Direktor des Schweizer Consulting-Unternehmens China Macro Group und Projektleiter China an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

    Dieser Beitrag steht im Rahmen der Veranstaltungsreihe Global China Conversations des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag, 18. August 2022 (11.00 Uhr, MESZ), diskutieren Sebastian Eckardt, Praxismanager für Makroökonomie, Handel und Investitionen der Weltbank, und Prof. Dr. Xiliang Zhang, Professor für Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurwesen und Direktor des Instituts für Energie, Umwelt und Wirtschaft an der Tsinghua-Universität, über das Thema: “Grünes Wachstum: Was können wir von China Erwarten?”. China.Table ist der Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.

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    Dessert

    Arbeitsplatz mit Ausblick auf den Jangtse: Die Versorgungstechniker warten auf eines der letzten Teile für einen Stromübertragungsturm der 800-Kilovolt-UHV-Direktleitung Baihetan-Zhejiang. Die Arbeit an mehreren Übertragungstürmen wurde in dieser Woche abgeschlossen. Mit einer Gesamtlänge von rund 2.140 Kilometern ist das Projekt ein wichtiger Teil der West-Ost-Stromversorgung Chinas.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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