Table.Briefing: China

Reaktionen Xinjiang-Bericht + Median-Linie + Drogen-Dialog

  • Xinjiang-Bericht: Gräben in UN könnten sich vertiefen
  • China stellt Median-Linie in Frage
  • Mehr Drogentote durch Taiwan-Spannungen
  • Termine der kommenden Woche
  • CO2-Ausstoß sinkt seit einem Jahr
  • USA begrenzen Chip-Exporte
  • Chengdu im Lockdown
  • Taiwan und Indo-Pazifik auf EU-Agenda
  • Johnny Erling: Über das Doppelleben in einer Diktatur
Liebe Leserin, lieber Leser,

jetzt, wo der Bachelet-Bericht zur Menschenrechtslage in Xinjiang in der Öffentlichkeit ist, entfaltet er bereits erste Wirkung. Die Vereinten Nationen haben zwar keine konkrete Macht über China, und auch für viele Mitgliedsländer ist der Report nur Papier. Aber wenn die Dinge beim Namen genannt werden, ändert sich vielerorts ihre Wahrnehmung; in diesem Fall betrifft das die schweren Menschenrechtsverletzungen im Westen Chinas.

Die Reaktionen blieben am Folgetag nicht aus, wie Marcel Grzanna berichtet. Das Auswärtige Amt fordert die Freilassung aller in Xinjiang Inhaftierten. Andere Stimmen richten sich an Volkswagen. Der Konzern solle sein Engagement in der Region beenden. Das war zwar bereits zu hören, hat nun aber die Rückendeckung der Uno.

Einige Staaten haben die Menschenrechtsverletzungen bereits in Xinjiang als Genozid bezeichnet. Die USA haben sogar ein Gesetz gegen fragwürdige Importe aus der Region erlassen. Der UN-Bericht könnte nun weiteren solcher Gesetze Rückenwind geben.

Nancy Pelosis Taiwan-Visite beschäftigt weiterhin Militär- und Handelsexperten. Denn auch nach Ende der offiziellen chinesischen Militärmanöver um Taiwan herum überschreiten Kriegsschiffe und Kampfjets die sogenannte Medianlinie in der Mitte der Taiwanstraße in großer Regelmäßigkeit. Vieles deutet darauf hin, dass Chinas Militär diese inoffizielle Grenze verschieben will, wie Christiane Kühl berichtet. Die Gefahr einer versehentlichen Eskalation wächst, da sich chinesische und taiwanische Kriegsschiffe gefährlich nahekommen.

Über kaum sichtbare Opfer der Taiwan-Eskalation berichtet unser Team in Peking. Infolge des Besuches hatte China einige Kooperationsformate mit den USA einseitig aufgekündigt. Darunter auch die Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung. Die Volksrepublik ist der wichtigste Lieferant von illegalem Fentanyl. Das Opioid wird Drogen wie Kokain und Heroin beigemischt, um deren Wirksamkeit zu erhöhen. Durch das Ende der Zusammenarbeit könnte die Zahl der Drogentoten in den USA steigen. Chinas Behörden nehmen das bewusst in Kauf, um den USA zu schaden.

Ihr
Nico Beckert
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Analyse

Xinjiang-Bericht löst scharfe Reaktionen aus

Der Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte zur Situation in der autonomen chinesischen Region Xinjiang schlägt in Deutschland hohe Wellen. Das Auswärtige Amt forderte die chinesische Regierung auf, die inhaftierten Uiguren und Mitglieder anderer ethnischer Minderheiten sofort freizulassen und “allen Menschen in Xinjiang umgehend in vollem Umfang ihre Menschenrechte zu gewähren.” Das AA kündigte an, sowohl mit den USA als auch mit seinen europäischen Partnern über mögliche Konsequenzen des “sorgfältig recherchierten” Berichts sprechen zu wollen.

Derweil forderte der menschenrechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Peter Heidt, das Engagement deutscher Firmen in Xinjiang genau unter die Lupe zu nehmen. Besondere Verantwortung sieht Heidt beim Wolfsburger Autobauer Volkswagen, der zusammen mit dem chinesischen Staatskonzern SAIC seit knapp zehn Jahren eine Fabrik in der Regionalhauptstadt Urumqi betreibt. “Wir müssen über das VW-Engagement in Xinjiang diskutieren”, sagte Heidt zu China.Table.

Menschenrechtsrat könnte Untersuchung einleiten

Er selber habe festgestellt, dass sich in jüngster Zeit im Mittelstand bereits eine deutlich kritischere Haltung gegenüber dem Standort China entwickelt habe. Er kenne viele mittelständische Unternehmen, die mit ihrer Produktion bereits in die Europäische Union zurückgekehrt seien. “Wir befinden uns in einem Systemwettbewerb mit China und müssen daher auch den wirtschaftlichen Einfluss auf unsere Demokratie sehr genau im Auge behalten”, so Heidt.

Der Bericht der ausgeschiedenen Hochkommissarin Michelle Bachelet bringt klar zum Ausdruck, dass die UN den Opfern chinesischer Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang Glauben schenkt und nicht der Darstellung der chinesischen Regierung. “Das wird die Gräben innerhalb der UN-Institutionen in den kommenden Jahren weiter vertiefen”, prophezeit ein Mitarbeiter einer UN-Organisation in Genf im Gespräch mit China.Table. Da er nicht befugt ist, öffentlich für die Organisation zu sprechen, erbittet er sich Anonymität.

Erstmals spürbar dürfte das Mitte September bei der 51. Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf werden, wo der Xinjiang-Bericht für intensive Diskussionen sorgen dürfte. Der Rat, der sich aus Vertretern aus 47 Staaten zusammensetzt, könnte eine formelle Untersuchung durch eine Kommission einleiten. China ist ebenfalls Mitglied des Rates, genießt aber im Gegensatz zum Weltsicherheitsrat kein Vetorecht.

Chinas Antwort dreimal so lang wie der Bericht selbst

Die Volksrepublik hatte ihrerseits den Xinjiang-Bericht bereits als Farce und Verschwörung sogenannter anti-chinesischer Kräfte abgetan. Auf 131 Seiten war Chinas Antwort im Anhang des UN-Berichts zu lesen. Die Antwort war damit dreimal so lang wie die Darstellung des Hochkommissariats (China.Table berichtete).

Zweifellos war Peking von der Deutlichkeit der Vorwürfe in dem Dokument überrascht. Bachelet habe nach ihrer Reise in die Region Ende Mai aus erster Hand volles Verständnis für die Situation in Xinjiang erhalten und im Anschluss gegenüber Journalisten eine formelle Stellungnahme abgegeben, argumentiert die chinesische Vertretung in Genf. “Bedauerlicherweise sind der Inhalt und die Schlussfolgerungen der sogenannten Beurteilung durch Madame Hochkommissarin völlig widersprüchlich zu ihrer formellen Stellungnahme.”

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Wie wichtig ist die Medianlinie in der Taiwanstraße?

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen posiert mit Marineoffizieren vor einem Marineschiff: China überschreitet immer öfter die Medianlinie zu Taiwan.
Sorge um die Medianlinie: Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen posiert Ende August mit Marineoffizieren.

Chinas Militär überschreitet immer häufiger die unsichtbare Mittellinie zwischen dem Festland und Taiwan. Allein am Donnerstag beobachtete Taiwans Militär 23 chinesische Kampfjets auf seiner Seite der inoffiziellen Grenze. In den Vortagen flogen Kampfjets Manöver über die Linie. Außerdem waren in der vergangenen Woche Dutzende von Flugzeugen und mehrere Kriegsschiffe in Gewässern nahe Taiwan unterwegs. Auch zivile Drohnen fliegen immer wieder vom Festland hinüber zu den kleinen taiwanischen Inseln, die nur wenige Kilometer vor der Küste liegen. Eine davon schoss Taiwan nach eigenen Angaben am Donnerstag über Kinmen nahe Xiamen ab.

Seit dem Taiwan-Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Taipeh kommen sich die Fregatten und Zerstörer beider Seiten in der Taiwanstraße sehr nahe. Chinas Schiffe versuchen, taiwanischen Patrouillen auszuweichen, um die symbolisch wichtige Medianlinie überfahren zu können.

Ein US-General hatte sie 1954 in der Mitte der Taiwanstraße gezogen – auf dem Höhepunkt einer ersten Krise zwischen der Volksrepublik und dem damals noch von Washington anerkannten Taiwan. Diese Medianlinie hat keinen rechtlichen Status. China hat die Linie nie offiziell anerkannt, aber bis jetzt trotzdem respektiert.

China: Medianlinie existiert nicht

Doch damit könnte es nun vorbei sein. Schon 2020 erklärte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking, die Linie “existiere nicht”. Das Verteidigungsministerium und der Rat für Taiwan-Angelegenheiten schlossen sich dem sogleich an. Jetzt könnte das auch Folgen haben. “Es ist schon möglich, dass China seine Militärpräsenz nahe der Mittellinie der Taiwanstraße fortsetzen will”, sagt Amanda Hsiao, China-Analystin der Denkfabrik Crisis Group zu China.Table. Peking wolle eine Präsenz östlich der Linie – und damit dichter an Taiwan als am Festland – zum Regelfall machen.

Auch der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, betonte am Mittwoch, durch das Überschreiten der bislang meist respektierten Mittellinie versuche China, “eine Art neue Normalität für ihre Aktivitäten und ihr Verhalten festzulegen. Wir haben öffentlich sehr deutlich gemacht, dass eine Änderung des Status quo inakzeptabel ist – und dass wir ihn nicht anerkennen werden.”

Überschreitung der Medianlinie durch chinesische Flugzeuge und Schiffe

Für dieses Vorgehen gibt es sogar einen Präzedenzfall. 2012 schickte China im Streit mit Japan um eine Gruppe unbewohnter Inseln zum allerersten Mal Schiffe in die angrenzende Zone des Archipels. Tokio hatte die umstrittenen Inseln – Senkaku auf Japanisch, Diaoyu auf Chinesisch – kurz zuvor unter seine faktische Verwaltung gestellt. Peking habe damals strategisch klug Fakten geschaffen, schrieb Zhou Bo vom Zentrum für internationale Sicherheit und Strategie an der Pekinger Tsinghua-Universität und Oberst a.D, kürzlich in der South China Morning Post: “Heute fahren Schiffe der chinesischen Küstenwache trotz der Proteste Japans regelmäßig dorthin, um Pekings Hoheitsanspruch zu demonstrieren.” Peking nutzte also den Streit von damals als Vorwand für eine Ausweitung der Machtsphäre, die andernfalls eine weitaus heftigere Reaktion des Auslands ausgelöst hätte.

Taiwanstraße: Pelosi-Besuch als Vorwand für Eskalation

Nun passiert möglicherweise gerade das Gleiche in der Taiwanstraße. Der Vorwand ist diesmal die Pelosi-Reise. Chinas Armee hielt direkt nach dem Abflug Pelosis seine bisher größten Militärmanöver in den Gewässern rund um Taiwan ab, schoss Raketen über die Insel – und schickte mehrere Kriegsschiffe über die Medianlinie. Taiwan verurteilte die Manöver und Raketentests und droht seither immer wieder mit einer robusten Antwort. Erst am Mittwoch kündigte das Militär für den Fall eines Eindringens chinesischer Kampfjets und Kriegsschiffe in Taiwans Hoheitsgebiet mit einem nicht näher definierten “Gegenangriff”.

“Sie wollen den Druck auf uns erhöhen, mit dem Ziel, dass wir die Mittellinie aufgeben“, zitierte Reuters einen ungenannten taiwanesischen Beamten, der mit der Sicherheitsplanung in der Region vertraut ist. Außenminister Joseph Wu sagte im August, dass Taiwan eine Änderung des Status quo nicht tolerieren könne.

Medianlinie wichtiger Puffer für Taiwan

Denn für Taiwan ist die unsichtbare Linie ein wichtiger Puffer. Die Taiwanstraße ist etwa 180 Kilometer breit. An der schmalsten Stelle des Seewegs ist die Medianlinie nur etwa 40 Kilometer von Taiwans Gewässern entfernt. Eine mehr oder weniger permanente chinesische Marinepräsenz in der Nähe seiner Hoheitsgewässer würde Taiwans Militär stark fordern und eine chinesische Blockade oder Invasion wesentlich erleichtern. Es wäre zugleich aber schwierig, die Linie zu verteidigen, ohne das Risiko einer gefährlichen Eskalation zu erhöhen.

Schon jetzt wächst daher die Gefahr einer versehentlichen Eskalation. Chieh Chung, Sicherheitsanalyst der Denkfabrik National Policy Foundation in Taipeh, sagte Reuters, dass Taiwan seine Einsatzregeln für Küstenwache und Militär überarbeiten müsse, um ihnen mehr Befugnisse bei der nötigen Reaktion auf immer komplexere Herausforderungen durch chinesische Streitkräfte zu geben.

Taiwan wird sich voraussichtlich allein um die Sicherung der Medianlinie kümmern müssen. Drei US-Beamte erklärten gegenüber Reuters, dass das Überschreiten der Mittellinie durch die Chinesen wenig taktische Bedeutung habe.

USA schenken der Medianlinie kaum Bedeutung

Es geht Washington vielmehr um die Sicherung der Taiwanstraße als internationaler Seeweg. Ende August fuhren die beiden US-Kreuzer USS Antietam und USS Chancellorsville durch die Taiwanstraße, um “das Engagement der Vereinigten Staaten für einen freien und offenen Indopazifik” zu demonstrieren. Von der Medianlinie kein Wort. Dabei würde das faktische Aus der Mittellinie durchaus eine Herausforderung für die Vorherrschaft der USA über Chinas nahe gelegene Meere – die sogenannte erste Inselkette – bedeuten. Eine Vorherrschaft, die China seit langem ein Dorn im Auge ist.

Es geht letztlich um mehr als einen Strich auf der Seekarte. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen verglich kürzlich Chinas Aggressionen gegen ihr Land mit Russlands Angriff auf die Ukraine. Beide Entwicklungen seien ein Beleg dafür, “wie autoritäre Länder die Weltordnung stören und bedrohen.” Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hatte schon Wochen vor seiner Invasion der Ukraine Armeeverbände in das gesamte Grenzgebiet zur Ukraine geschickt – zu angeblichen Übungen. Amanda Hsiao hält es für durchaus möglich, dass in den kommenden Monaten immer wieder Manöver stattfinden, die Taiwan einkreisen. Auch das könnte zum Normalfall werden.

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Die neue Opium-Krise

Die Pekinger Regierung hat den USA nach dem Besuch Nancy Pelosis in Taiwan auf verschiedene Weise ihre Ablehnung gezeigt (China.Table berichtete). Neben den Militäroperationen wurde beispielsweise die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Drogenhandels aufgekündigt. Speziell die Droge Fentanyl ist ein großes Problem in den USA. Durch das Ende der Zusammenarbeit könnte es in den USA zu noch mehr Drogentoten kommen.

Diese Gefahr ist der chinesischen Regierung bewusst, wie der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin bei seiner Erklärung zum Ausstieg zu verstehen gab: “Die Konsequenzen für die Untergrabung der bilateralen Beziehungen und die Beschädigung der China-US-Zusammenarbeit im Bereich der Rauschgiftbekämpfung sollen in vollem Umfang von der US-Seite getragen werden.”

China größter Lieferant von illegalem Fentanyl

Denn China ist laut einer Studie der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA der größte Lieferant von illegal hergestelltem Fentanyl oder verwandten Stoffen. Der Vorwurf lautet, China flute den US-Markt mit der Droge und Peking schaue dabei weg. Das synthetische Opioid, das ursprünglich zur Schmerzbekämpfung speziell von Krebspatienten entwickelt wurde, fand in den 2000er-Jahren seinen Weg in den Schwarzmarkt und treibt die Opferzahlen in die Höhe. Eine Überdosis Fentanyl ist in den USA eine häufige Todesursache.

Fentanyl hat eine 50 bis 100 Mal stärkere Wirkung als Morphium. Der Stoff ist deswegen bei Drogenkartellen beliebt. Sie mischen es anderen Substanzen wie Heroin oder Kokain bei, um deren Wirkung zu erhöhen. Da die Konsumenten oft nichts von der Beimischung wissen, kommt es immer häufiger zu unabsichtlichen Überdosierungen. Weitere Konsumenten sterben durch gefälschte, mit Fentanyl versetzte Medikamente, die ahnungslosen Kunden verkauft werden.

China sieht den Kern des Problems in den USA

Allein im letzten Jahr hat Fentanyl laut des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zu mehr als 100.000 Drogentoten geführt. Rahul Gupta, Direktor des Office of National Drug Control Policy sagte als Reaktion auf Chinas Beendigung der Kooperation, China müsse in der Bekämpfung eine Schlüsselrolle spielen: “Zu einer Zeit, in der eine Epidemie der Überdosen alle fünf Minuten ein Leben fordert, ist es inakzeptabel, dass die Volksrepublik China ihre Zusammenarbeit zurückzieht, die helfen würde, die Individuen, die diese illegalen Drogen verbreiten, zur Rechenschaft zu ziehen.”

Doch die Zusammenarbeit war auch vorher schon von Konflikten und Schuldzuweisungen geprägt. Einen vermeintlichen Durchbruch in der Kooperation hatte es 2019 gegeben. China hatte nach Zusagen von Präsident Xi Jinping beim G-20 Gipfel Fentanyl stärker kontrolliert. Webseiten, die den Verkauf von Fentanyl offen betrieben, wurden geschlossen, Postsendungen strenger kontrolliert und einige chinesische Staatsbürger wurden hart bestraft. Doch die Zahl der Drogentoten in den USA ging weiter in die Höhe.

Kooperation seit längerer Zeit schon problematisch

Die chinesische Seite deutet das als klares Zeichen, dass sie mit dem Problem nichts zu tun habe. Dass es trotzdem einen Anstieg an Drogentoten gegeben hätte, zeige, dass die USA “die Crux des Problems nicht angegangen” hätten, so der chinesische Botschafter in den USA. Auch der Sprecher des Außenministeriums bekräftigte dies noch einmal bei seinem Statement zum Ausstieg: “Was den Fentanyl-Missbrauch in den USA betrifft, möchte ich betonen, dass die Wurzel dieser Krise in den Vereinigten Staaten liegt”, so Wang. Die Drogenbekämpfung in den USA sei einfach weniger effektiv als die in China. Diese Aussage wirkt vor dem Hintergrund des in China staatlich propagierten Narrativs, dass die massenhafte Einfuhr von Opium durch die westlichen Kolonialmächte im 19. Jahrhundert der Hauptgrund für Chinas Opium-Krise war, fast zynisch.

Auch zeichnen US-Quellen ein anderes Bild der Effizienz des chinesischen Durchgreifens von 2019. Die internationalen Kartelle seien schlicht dazu übergegangen, statt Fentanyl als fertigem Wirkstoff einfach die Grundstoffe aus China zu beziehen. Das Endprodukt würde dann in den USA oder in Nachbarstaaten wie Mexiko hergestellt. Das chinesische Durchgreifen habe dazu geführt, “dass Lieferungen aus China in die USA auf nahezu Null fielen. Aber seit die Maßnahmen in Kraft sind, wurden die USA von Grundstoffen aus China überflutet und haben die internationalen Bemühungen damit erstickt”, sagt Gupta in einem Kommentar im Wall Street Journal.

Weiter wirft Gupta den Chinesen vor, den Besuch Pelosis nur als Vorwand genommen zu haben, um aus der Zusammenarbeit auszusteigen. Er sagte einen weiteren Anstieg von Fentanyl-Opfern weltweit voraus. Mittel und langfristig verstärkt Chinas Ausstieg damit die Eskalation zwischen den beiden Ländern. Denn auch die Todesopfer können in Zukunft als Vorwand für politische Maßnahmen seitens der USA herangezogen werden. Gregor Koppenburg/Jörn Petring

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Termine

01. – 03.09.2022
Tagung 22. Tagung Fachverband Chinesisch e. V. Mehr

06. – 08.09.2022, 8:30 Uhr (14:30 Uhr Beijing time)
Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation / Konferenz mit Livestream 9. Deutsch-Chinesische Wirtschaftskonferenz 2022 Mehr

07.09.2022, 10:00 Uhr (16:00 Uhr Beijing time)
China-Team / Event mit Livestream From lead market to leading supplier – production in China for e-mobility suppliers Mehr

07.09.2022, 18:00 Uhr
Konfuzius-Institut Nürnberg-Erlangen / Vortrag Im “Dazwischen” mit China: von Orten der Begegnung und Themen des Konflikts Mehr

08.09.2022, 11:00 Uhr (17 Uhr Beijing time)
Kiel Institut für Weltwirtschaft / Vortrag Global China Conversations #13 – Krieg in der Ukraine: Ein Gewinn für China? Mehr

09.09.2022, 9:00 Uhr (15:00 Uhr Beijing time)
Stars – for Leaders of the Next Generation / Webinar Looking at ASEAN as Part of China’s External Circulation Mehr

09.09.2022, 19:30 Uhr
Konfuzius-Institut München / Vortrag Hat China das Problem der Armut gelöst? Rückschau auf vier Dekaden ländlicher Reformen und Armutsbekämpfung Mehr

10.09.2022, 19:00 Uhr
Konfuzius-Institut Nürnberg-Erlangen / Performance Performance zum Mondfest in Bild, Klang und Wort Mehr

News

CO2-Emissionen sinken viertes Quartal in Folge

Die CO2-Emissionen in der Volksrepublik sind das vierte Quartal in Folge gesunken. Das geht aus einer Erhebung des Analysten Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air hervor. Im zweiten Quartal des Jahres 2022 ist der CO2-Ausstoß sogar um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken. Der größte Quartals-Rückgang in mehr als einem Jahrzehnt. Als Ursachen gelten die Krise im Immobiliensektor, die Null-Covid-Maßnahmen und eine geringe Stromnachfrage. In den zwölf Monaten zwischen Juli 2021 und Juni 2022 sind die Emissionen demnach um drei Prozent gesunken.

China: CO2-Emissionen sinken 4. Quartal in Folge

Die Zementproduktion fiel im zweiten Quartal um 18 Prozent. Die Anzahl fertiggestellter Projekte im Immobiliensektor sank im zweiten Quartal um 33 Prozent. 44 Prozent weniger Projekte wurden gestartet. Die Kohleverstromung ging im ersten Halbjahr 2022 um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück. Im Juli und August stieg sie jedoch wieder leicht an. Insgesamt wurden auch fünf Prozent weniger Erdgas verbraucht

Laut Myllyvirta wird die mittelfristige Antwort der Regierung auf die Wirtschaftskrise entscheidend dafür sein, ob China den Emissionshöchststand schon erreicht hat oder erst später erreichen wird. Kürzlich hatte die Regierung ein Konjunkturprogramm mit Ausgaben zum Ausbau der Infrastruktur und zur Stützung des Immobiliensektors, aber auch Ausgaben für Erneuerbare Energien beschlossen. nib

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USA verschärfen Regeln für Chip-Exporte

US-Chiphersteller dürfen wegen neuer Anweisungen der US-Behörden keine Hochleistungschips mehr nach China liefern. Die Einschränkungen betreffen Halbleiter, die vor allem bei Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) benutzt werden, wie die US-Chipkonzerne Nvidia und Advanced Micro Devices (AMD) mitteilten. Das US-Handelsministerium erklärte, man wolle “verhindern, dass fortschrittliche Technologien in die falschen Hände geraten” und “die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Interessen der USA schützen” Zu den spezifischen Kriterien für das Verbot äußerte es sich nicht.

Der Schritt signalisiert eine neue Eskalation im US-chinesischen Streit über das Schicksal von Taiwan, wo Nvidia und viele andere Hersteller Chips fertigen lassen. Ohne amerikanische Chips verlieren chinesische Unternehmen etwa die Möglichkeit, Daten in der Bild- und Spracherkennung kostengünstig und schnell zu verarbeiten. Dabei sind die Technologien nicht nur in Verbraucheranwendungen weit verbreitet. Sie werden auch im militärischen Bereich eingesetzt – zum Beispiel bei der Durchsuchung von Satellitenbildern nach Waffen oder Stützpunkten und beim Filtern digitaler Kommunikation zur Nachrichtenbeschaffung. nib/rtr

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Megacity Chengdu im Lockdown

Nachdem 157 der 21 Millionen Bewohner Chengdus positiv auf Corona getestet wurden, müssen die Einwohner von Sichuans Hauptstadt seit Donnerstagabend in ihren Wohnungen bleiben. Nur eine Person je Haushalt dürfe zum Einkaufen geschickt werden, so die Behörden. Aktuell ist noch unklar, ob die Beschränkungen nach geplanten Coronavirus-Massentests am Wochenende aufgehoben werden.

Mit Chengdu trifft es die größte Stadt seit den zweimonatigen Beschränkungen in Shanghai in der ersten Jahreshälfte. Und zudem eine sehr wirtschaftsstarke: Dort werden 1,6 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Aktuell sind noch weitere Städte von Lockdowns betroffen – das Technologiezentrum Shenzhen, die Wirtschaftsmetropole Guangzhou und die Hafenstadt Dalian.

In Chengdu wurden Angestellte nicht lebensnotwendiger Branchen aufgefordert, von zu Hause aus zu arbeiten. Industriebetriebe, die in wichtigen Produktionsbereichen tätig und in der Lage sind, auf einem geschlossenen Gelände zu arbeiten, wurden davon ausgenommen. rtr/jul

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Taiwan und Indo-Pazifik auf EU-Agenda

Die Situation um Taiwan und das eigene Verhältnis zu China und der Indo-Pazifik-Region beschäftigt Brüssel in den ersten Tagen nach der Sommerpause. Die EU spreche in dieser Woche noch mit thailändischen Vertretern über ein Abkommen, um Lieferketten in Asien diverser gestalten zu können, teilte Gunnar Wiegand vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) am Donnerstag bei einer Sitzung des Handelsausschusses des EU-Parlaments mit. Ähnliche Gespräche und die Unterzeichnung eines Abkommens sind demnach auch mit Malaysia am Rande des Asean-Gipfels im November geplant. Nähere Details dazu nannte Wiegand zunächst nicht.

Taiwan sei ein Schlüssel-Partner für die EU im Indo-Pazifik-Raum, sagte Dominic Porter, der innerhalb des EEAS für China, Hongkong und Taiwan zuständig ist, vor dem Ausschuss für Außenpolitik des Europaparlaments, ebenfalls am Donnerstag. Porter machte klar: “Die Ein-China-Politik wird bleiben.” Diese sei die Grundlage für das Verhältnis zwischen Brüssel und Peking. Spannungen oder ein zugespitzter Konflikt in der Taiwan-Straße sei in niemandes Interesse, so Porter. Bedenken über Chinas Verhalten seien chinesischen Vertretern direkt mitgeteilt worden.

Spannend für das EU-China-Verhältnis wird in diesem Monat auch die Gesetzesvorlage der EU-Kommission für ein Einfuhrverbot von Produkten aus Zwangsarbeit. Sie soll am 13. September vorgestellt werden. Das Importverbot wird wahrscheinlich auf einem Vermarktungsverbot innerhalb der EU basieren. Zudem wird EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am 14. September ihre Rede zur Lage der Europäischen Union in Straßburg halten. Im vergangenen Jahr hatte sie das Einfuhrverbot für Waren aus Zwangsarbeit angekündigt. ari

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Presseschau

Folter und sexuelle Gewalt gegen Uiguren – “Schwere Menschenrechtsverbrechen”: Offizieller Uiguren-Bericht der UN klagt China an RND
Umerziehungslager in Xinjiang: Endlich Klartext von der Uno SPIEGEL
Menschenrechtsverletzungen: Weniger Abhängigkeit von China gefordert TAGESSCHAU
UN-Menschenrechtskommissar: “Russland und China werden keinen Weltpolizisten akzeptieren”: WIENERZEITUNG
Chinas Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang: Westen reagiert auf Bericht – Deutschland fordert Konsequenzen FR
Russland: Großmanöver mit China und Indien SUEDDEUTSCHE
Experte bewertet Militärübung: “Peking zeigt Moskau: China ist verlässlicher Partner” N-TV
Zwischenfall direkt vor dem Festland: Taiwan schießt erstmals chinesische Drohne ab MERKUR
Taiwan tycoon donates $47m to train 3 million ‘civilian warriors’ for defence against Chinese invasion ABC
Taiwan-Streit wird zum Chipkonflikt ORF
Großauftrag: Stadler baut erstmals Metro-Züge für Taiwan TAGBLATT
Technologiediebstahl: Taiwan klagt Chefin von Apple-Vertragsfertiger an WINFUTURE
China revealing its plan for Taiwan invasion, island’s foreign minister says DW
How the Biden Administration Moved to Soft-Pedal the China Threat NATIONALREVIEW
Termin für Xis Krönung als ewiger Diktator beweist seine Macht FOCUS
China will Wirtschaft nicht mit übermäßigen Stimulierungsmaßnahmen überschwemmen CASH-ONLINE
Nachfrage wächst nur in China: Hersteller verkaufen wohl weniger Autos als angenommen N-TV
China testet Hyperschall-Kugeln an lebenden Schweinen FUTUREZONE
Nach 157 Neuinfektion: Größter Lockdown in China seit dem in Schanghai FAZ
Hallen-WM der Leichtathleten im chinesischen Nanjing ist wegen Coronavirus-Pandemie bereits zum dritten Mal verschoben worden EUROSPORT
Deutsche Studierende können nach China zurück – theoretisch SUEDDEUTSCHE

Kolumne

Chinas Gefühlsstau

Von Johnny Erling
Johnny Erling schreibt die Kolumne für die China.Table Professional Briefings

Für Chinesen ist es ein Unglück, “das Gesicht zu verlieren”. Warum? Ein deutscher Psychotherapeut weiß die Antwort: Jeder besitze ein “wahres Gesicht”. Es sei aber in einer Diktatur viel “zu gefährlich”, dieses zu zeigen. Unter “der zur Schau getragenen Maske schmort ein gestautes Gefühlspotenzial von existenziellen Ängsten, mörderischer Wut, Hass, tiefem Schmerz und oft bitterer Traurigkeit”.

Das Zitat stammt von Hans-Joachim Maaz, der viele Jahre Chefarzt an der psychotherapeutischen Klinik in Halle war. Er bezieht sich aber nicht auf China. Nach dem Fall der Mauer schrieb er ein “Psychogramm der DDR”, das 1990 unter dem Titel “Gefühlsstau” (Argon-Verlag) erschien. Der innerdeutsche Bestseller wurde 2013 auch unter dem Titel “Gefühlsstau” (情感堵塞) ins Chinesische übersetzt und erregte Aufsehen unter Psychologen, Sozial- und Erziehungswissenschaftlern. Seit sich Parteichef Xi Jinping in absoluter Macht eingerichtet hat und die Re-Ideologisierung seines Landes betreibt, passen solche kritischen Reflexionen über das Verhalten von Menschen und ihre gespaltene Persönlichkeit in autoritären Staaten nicht zu der von Xi propagierten neuen Ära des sozialistischen China und zur Verwirklichung seines Traums von der Erneuerung der Nation.

Umschlag des 2013 erschienenen "Gefühlsstau" (情感堵塞) von Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz. Obwohl es ein "Psychogramm der DDR" ist, können Chinesen ihren autoritären Charakter dank eigener Diktatur wiedererkennen. Das Buch passt nicht mehr in die neue Xi-Jinping-Landschaft, ist heute in China nur noch antiquarisch und zum Fünffachen des einstigen Preises zu finden. Auch in China führen viele ein Doppelleben.
Umschlag des 2013 erschienenen “Gefühlsstau” (情感堵塞) von Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz. Obwohl es ein “Psychogramm der DDR” ist, können Chinesen ihren autoritären Charakter dank eigener Diktatur wiedererkennen. Das Buch passt nicht mehr in die neue Xi Jinping-Landschaft, ist heute in China nur noch antiquarisch und zum Fünffachen des einstigen Preises zu finden.

Das Leben der Menschen in der DDR, so Maaz, sei “im Wesentlichen durch soziale Fassaden gekennzeichnet gewesen, das zwangsläufige Ergebnis repressiver Erziehung.” Psychotherapeuten durchschauten die Mechanismen, “mit deren Hilfe es Menschen möglich wird, die neue ‘Identität’ als ihre ‘wahre’ Natur zu empfinden – die Abspaltung von den Gefühlen macht dies möglich.” So wurde “das aufgenötigte zweite Gesicht allmählich zur Gewohnheit und schließlich zur selbstverständlichen Normalität. Doch kein Mensch kann auf Dauer mit Verstellung gut leben”.

Politik-fluchende Taxifahrer sind auch mal KP-Mitglied

Treffen solche Diagnosen auch auf das Verhalten der heutigen Chinesen zu, die in einer globalisierten und freizügigen Konsumgesellschaft aufwachsen? Im Reformchina nach Mao Zedongs Tod wirkt alles in grotesker Weise zweigeteilt und hat auch eigene Begriffe dafür, vom Mischmasch aus Plan-, Staats- und Marktwirtschaft bis hinein in die Familie, wo der eine Ehepartner für eine Staatsbehörde oder ein Staatsunternehmen arbeitet und der andere für ein Privatunternehmen (体制内体制外); für die Bauern, die in den Städten ohne Hukou-Bürgerstatus nur Zugewanderte zweiter Klasse sind, bis hin zu “ein Land zwei Systeme” (一国两制), das Peking gerade für Hongkong beendete.

Scheinbar andere Erfahrungen, wonach sich Chinesen pragmatisch und flexibel der jeweiligen Lage anpassten, erlebten (noch bis kurz vor dem Lockdown) ausländische Reisende schon nach ihrer Ankunft im Land. Auf dem Weg in die Stadt konnten sie (sofern sie die Sprache verstanden) hören, wie unbekümmert ihr Taxifahrer lauthals über Chinas Führung schimpfte. Als ich einen über seine Regierung oft fluchenden Fahrer näher kennenlernte, erwies er sich als Parteimitglied. Er stünde morgens extra früh auf, um freiwillig vor Arbeitsbeginn Quizfragen in einer Schulungs-App der KP China (学习强国) zu lösen. Das Lob für seine perfekt linientreuen Antworten ging in seinen Beurteilungsbogen ein. Er verstand nicht, was an seinem Verhalten widersprüchlich sein sollte: “Das machen doch alle so.”

Auch das Ehepaar, das am Wochenende ihrer Tochter zu Hause erlaubte, aufreizende südkoreanische und japanische Musikvideos auf raubkopierten DVDs zu gucken, fand nichts Verlogenes daran. Sie belohnten doch nur ihre Tochter, die in der Schule nicht nur gute Noten erhielt, sondern wegen vorbildlicher sozialistischer Moral das rote Halstuch für Jungpioniere tragen durfte. Auch die Eltern schauten sich zu Hause illegale Kopien ausländischer TV-Serien an. Am nächsten Morgen sangen sie in der organisierten Betriebspause im Kollegenchor kraftvoll mit: “Ohne kommunistische Partei gibt es kein neues China.”

Neusprech und Doppeldenk weit verbreitet

“China ist zum Land mit den schwerwiegendsten Fällen geteilter Persönlichkeiten geworden” (中国是双重人格最严重的国家), warnt der Essayist Wang Xiao (王霄). Die in der Reformzeit übersetzten Bücher und Schriften von Hannah Arendt zum autoritären Charakter und über die “Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft” haben ihn in seinem Urteil stark beeinflusst.

Die Folgen finden unter Chinesen auch deshalb besonders fruchtbaren Boden, weil sie durch den Einfluss tradierter konfuzianischer Erziehung verstärkt werden, die das Individuum von klein auf zur Ein- und Unterordnung vorbereiteten. In Schulen, wo heute in den Fächern Chinesisch, Geschichts- oder Gesellschaftskunde “hanebüchener Unsinn” eingepaukt werden muss, sei das von George Orwell in 1984 beschrieben “Neusprech” und “Doppeldenk” verbreitet, schreibt der bekannte Kulturkritiker und Hochschullehrer Xu Ben (徐贲). 

China: Karrikatur über Doppelleben in China
“Sich von Herzen Aussprechen” nannte der Pekinger Altmeister chinesischer Satire, Feng Cheng, seine Erinnerung an die Zeit der Kulturrevolution und deformierte Persönlichkeiten, als sich auch beste Freunde anschwiegen. Nur der Dunst über den Tee formiert sich zu Fragezeichen. Die staatliche Propaganda (links) verkündet auf dem Maulkorb. “Allseitige Diktatur- die Lage ist ausgezeichnet”. Auch heute schweigen Intellektuelle wieder.

Er lebt heute in den USA. China sieht er in eine “neue Form des Totalitarismus” abdriften. Es habe sich vom ursprünglichen Totalitarismus (unter Stalin und Hitler) über den Post-Totalitarismus (einst etwa in Osteuropa) in diese dritte Form entwickelt (从极权主义、后极权主义到”新极权主义). Sie sei eine Variante des Post-Totalitarismus und verurteile dessen liberale Züge als politische “Schwäche”. Doch der neue Totalitarismus produziere nur “Flickwerk”, keine Terror verbreitende, systematische Repression, sondern partielle, wenn auch massive Formen der Unterdrückung. Etwa, um Medien und das Internet zum Schweigen zu bringen oder Massenproteste gewaltsam zu beenden. Aber er besitze nicht mehr die Überzeugungskraft und “Fähigkeit zur ideologischen Mobilisierung“.

Rituale als eine Form der Politik

Chinaexperte Minxin Pei, Professor für Regierungsmanagement am Claremont McKenna College in den USA, sieht die Volksrepublik in eine zweigeteilte Welt abdriften (bifurcated world). Im Podcast mit der Financial Times sagt er: “Die Menschen wissen, dass das Ritual zu einer Seite der Politik geworden ist und müssen folgen. Dabei ist es gleich, ob sie daran glauben oder nicht.” Es funktioniere, solange auf der anderen Seite der Politik noch “Substanz, Realität und Pragmatismus” vorhanden seien. Derselbe Beamte, der “stolz sein Smartphone vorzeigt, auf dem er allmorgendlich seine Lernpensum zum Denken Xi Jinpings absolviert hat, dreht sich danach um und spricht in sehr pragmatischer Weise über die aktuellen Herausforderungen in seiner Arbeit.” Minxin Pei ist “unter Maos Herrschaft aufgewachsen. Damals glaubten alle an das politische Ritual. Heute müssen wir einen großen Teil Abstriche machen, ob das Xi Jinping-Denken von Parteimitgliedern, Beamten und normalem Volk wirklich angenommen wird.”

Pei beklagt, dass der Freiraum für kritisch liberale Vorstellungen in den Universitäten “vollständig geschlossen” wurde. Seine Akademikerfreunde meldeten sich nicht mehr öffentlich zu Wort. “Alle, die smart sind, halten ganz einfach ihren Mund”.

Am Ende müsse als Kitt der Patriotismus die innerliche Kluft überbrücken, über die sich viele gar nicht bewusst sind. Der oppositionelle Autor Huang Yukai, Mitglied des unabhängigen chinesischen Pen, bezeichnet die Zweiteilung der Persönlichkeit als “Schizophrenie”, aber nicht im medizinischen Sinne, sondern als Diagnose einer vom System induzierten Persönlichkeitsstörung.

In den Reform-Jahrzehnten nach Maos Tod wurden Chinas Erfahrungen mit der Diktatur ausgearbeitet, wurden Bücher von Hannah Arendt bis George Orwell übersetzt. 2011 erschien noch ein großes Magazin als Themen-Sonderheft unter dem Titel: Warum lügen Chinesen gerne? Heute dürfte es nicht mehr erscheinen. Unter Diktaturen führen Menschen häufig Doppelleben - so auch in China.
In den Reform-Jahrzehnten nach Maos Tod wurden Chinas Erfahrungen mi der Diktatur ausgearbeitet, wurden Bücher von Hanna Ahrendt bis George Orwell übersetzt. 2011 erschien noch ein großes Magazin als Themen-Sonderheft unter dem Titel: Warum lügen Chinesen gerne?. ´Heute dürfte es nicht mehr erscheinen.

Dabei gab es auch in China nach dem Tod Maos öffentliche Debatten darüber, wie sich unterscheiden lässt, was wahr und echt, falsch und verlogen ist. Übersetzungen, etwa von mehr als zwei Dutzend Schriften und Büchern von Hannah Arendt trugen ebenso dazu bei, wie der Roman “1984” von George Orwell, oder “Farm der Tiere”.

2009 wurde etwa eine Debatte initiiert, ob und ab wann sich Chinesen daran erinnern könnten, Lügen erlernt zu haben. Viele antworteten, das sei in der Grundschule gewesen, als das System mit seiner politischen Indoktrination begann. 2011 erschien das Magazin “Die Neue Woche” (新周刊) mit einer Sonderausgabe: “Warum lieben es die Chinesen, Lügen zu erzählen?” Der kritische Autor Wu Si (吴思) überschrieb damals seinen Beitrag: “Wenn die Herrschenden Lügen verbreiten, geben wir vor, sie zu glauben.”

Heute wirkt sich der Gefühlsstau aus. Viele glauben die Lügen.

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Personalie

Helen-Ann Smith wird Asien-Korrespondentin von Sky News. Die Wirtschaftskorrespondentin mit besonderem Interesse für den Klimawandel wird in Peking stationiert sein.

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Dessert

Walhaie zählen zum Einschlafen? Diese Kinder in Zhuhai, Provinz Guangdong, werden ihre Augen wohl nicht so bald schließen, denn neben mehreren Hai-Arten kreisen auch Mantarochen über ihren Köpfen. Das Chimelong Ocean Kingdom in der südchinesischen Stadt bietet Camping unter der Glaskuppel seines Hai-Aquariums an. Mit 22,7 Millionen Litern Wasser ist es das größte Aquarium der Welt.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Xinjiang-Bericht: Gräben in UN könnten sich vertiefen
    • China stellt Median-Linie in Frage
    • Mehr Drogentote durch Taiwan-Spannungen
    • Termine der kommenden Woche
    • CO2-Ausstoß sinkt seit einem Jahr
    • USA begrenzen Chip-Exporte
    • Chengdu im Lockdown
    • Taiwan und Indo-Pazifik auf EU-Agenda
    • Johnny Erling: Über das Doppelleben in einer Diktatur
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    jetzt, wo der Bachelet-Bericht zur Menschenrechtslage in Xinjiang in der Öffentlichkeit ist, entfaltet er bereits erste Wirkung. Die Vereinten Nationen haben zwar keine konkrete Macht über China, und auch für viele Mitgliedsländer ist der Report nur Papier. Aber wenn die Dinge beim Namen genannt werden, ändert sich vielerorts ihre Wahrnehmung; in diesem Fall betrifft das die schweren Menschenrechtsverletzungen im Westen Chinas.

    Die Reaktionen blieben am Folgetag nicht aus, wie Marcel Grzanna berichtet. Das Auswärtige Amt fordert die Freilassung aller in Xinjiang Inhaftierten. Andere Stimmen richten sich an Volkswagen. Der Konzern solle sein Engagement in der Region beenden. Das war zwar bereits zu hören, hat nun aber die Rückendeckung der Uno.

    Einige Staaten haben die Menschenrechtsverletzungen bereits in Xinjiang als Genozid bezeichnet. Die USA haben sogar ein Gesetz gegen fragwürdige Importe aus der Region erlassen. Der UN-Bericht könnte nun weiteren solcher Gesetze Rückenwind geben.

    Nancy Pelosis Taiwan-Visite beschäftigt weiterhin Militär- und Handelsexperten. Denn auch nach Ende der offiziellen chinesischen Militärmanöver um Taiwan herum überschreiten Kriegsschiffe und Kampfjets die sogenannte Medianlinie in der Mitte der Taiwanstraße in großer Regelmäßigkeit. Vieles deutet darauf hin, dass Chinas Militär diese inoffizielle Grenze verschieben will, wie Christiane Kühl berichtet. Die Gefahr einer versehentlichen Eskalation wächst, da sich chinesische und taiwanische Kriegsschiffe gefährlich nahekommen.

    Über kaum sichtbare Opfer der Taiwan-Eskalation berichtet unser Team in Peking. Infolge des Besuches hatte China einige Kooperationsformate mit den USA einseitig aufgekündigt. Darunter auch die Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung. Die Volksrepublik ist der wichtigste Lieferant von illegalem Fentanyl. Das Opioid wird Drogen wie Kokain und Heroin beigemischt, um deren Wirksamkeit zu erhöhen. Durch das Ende der Zusammenarbeit könnte die Zahl der Drogentoten in den USA steigen. Chinas Behörden nehmen das bewusst in Kauf, um den USA zu schaden.

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    Xinjiang-Bericht löst scharfe Reaktionen aus

    Der Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte zur Situation in der autonomen chinesischen Region Xinjiang schlägt in Deutschland hohe Wellen. Das Auswärtige Amt forderte die chinesische Regierung auf, die inhaftierten Uiguren und Mitglieder anderer ethnischer Minderheiten sofort freizulassen und “allen Menschen in Xinjiang umgehend in vollem Umfang ihre Menschenrechte zu gewähren.” Das AA kündigte an, sowohl mit den USA als auch mit seinen europäischen Partnern über mögliche Konsequenzen des “sorgfältig recherchierten” Berichts sprechen zu wollen.

    Derweil forderte der menschenrechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Peter Heidt, das Engagement deutscher Firmen in Xinjiang genau unter die Lupe zu nehmen. Besondere Verantwortung sieht Heidt beim Wolfsburger Autobauer Volkswagen, der zusammen mit dem chinesischen Staatskonzern SAIC seit knapp zehn Jahren eine Fabrik in der Regionalhauptstadt Urumqi betreibt. “Wir müssen über das VW-Engagement in Xinjiang diskutieren”, sagte Heidt zu China.Table.

    Menschenrechtsrat könnte Untersuchung einleiten

    Er selber habe festgestellt, dass sich in jüngster Zeit im Mittelstand bereits eine deutlich kritischere Haltung gegenüber dem Standort China entwickelt habe. Er kenne viele mittelständische Unternehmen, die mit ihrer Produktion bereits in die Europäische Union zurückgekehrt seien. “Wir befinden uns in einem Systemwettbewerb mit China und müssen daher auch den wirtschaftlichen Einfluss auf unsere Demokratie sehr genau im Auge behalten”, so Heidt.

    Der Bericht der ausgeschiedenen Hochkommissarin Michelle Bachelet bringt klar zum Ausdruck, dass die UN den Opfern chinesischer Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang Glauben schenkt und nicht der Darstellung der chinesischen Regierung. “Das wird die Gräben innerhalb der UN-Institutionen in den kommenden Jahren weiter vertiefen”, prophezeit ein Mitarbeiter einer UN-Organisation in Genf im Gespräch mit China.Table. Da er nicht befugt ist, öffentlich für die Organisation zu sprechen, erbittet er sich Anonymität.

    Erstmals spürbar dürfte das Mitte September bei der 51. Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf werden, wo der Xinjiang-Bericht für intensive Diskussionen sorgen dürfte. Der Rat, der sich aus Vertretern aus 47 Staaten zusammensetzt, könnte eine formelle Untersuchung durch eine Kommission einleiten. China ist ebenfalls Mitglied des Rates, genießt aber im Gegensatz zum Weltsicherheitsrat kein Vetorecht.

    Chinas Antwort dreimal so lang wie der Bericht selbst

    Die Volksrepublik hatte ihrerseits den Xinjiang-Bericht bereits als Farce und Verschwörung sogenannter anti-chinesischer Kräfte abgetan. Auf 131 Seiten war Chinas Antwort im Anhang des UN-Berichts zu lesen. Die Antwort war damit dreimal so lang wie die Darstellung des Hochkommissariats (China.Table berichtete).

    Zweifellos war Peking von der Deutlichkeit der Vorwürfe in dem Dokument überrascht. Bachelet habe nach ihrer Reise in die Region Ende Mai aus erster Hand volles Verständnis für die Situation in Xinjiang erhalten und im Anschluss gegenüber Journalisten eine formelle Stellungnahme abgegeben, argumentiert die chinesische Vertretung in Genf. “Bedauerlicherweise sind der Inhalt und die Schlussfolgerungen der sogenannten Beurteilung durch Madame Hochkommissarin völlig widersprüchlich zu ihrer formellen Stellungnahme.”

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    Wie wichtig ist die Medianlinie in der Taiwanstraße?

    Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen posiert mit Marineoffizieren vor einem Marineschiff: China überschreitet immer öfter die Medianlinie zu Taiwan.
    Sorge um die Medianlinie: Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen posiert Ende August mit Marineoffizieren.

    Chinas Militär überschreitet immer häufiger die unsichtbare Mittellinie zwischen dem Festland und Taiwan. Allein am Donnerstag beobachtete Taiwans Militär 23 chinesische Kampfjets auf seiner Seite der inoffiziellen Grenze. In den Vortagen flogen Kampfjets Manöver über die Linie. Außerdem waren in der vergangenen Woche Dutzende von Flugzeugen und mehrere Kriegsschiffe in Gewässern nahe Taiwan unterwegs. Auch zivile Drohnen fliegen immer wieder vom Festland hinüber zu den kleinen taiwanischen Inseln, die nur wenige Kilometer vor der Küste liegen. Eine davon schoss Taiwan nach eigenen Angaben am Donnerstag über Kinmen nahe Xiamen ab.

    Seit dem Taiwan-Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Taipeh kommen sich die Fregatten und Zerstörer beider Seiten in der Taiwanstraße sehr nahe. Chinas Schiffe versuchen, taiwanischen Patrouillen auszuweichen, um die symbolisch wichtige Medianlinie überfahren zu können.

    Ein US-General hatte sie 1954 in der Mitte der Taiwanstraße gezogen – auf dem Höhepunkt einer ersten Krise zwischen der Volksrepublik und dem damals noch von Washington anerkannten Taiwan. Diese Medianlinie hat keinen rechtlichen Status. China hat die Linie nie offiziell anerkannt, aber bis jetzt trotzdem respektiert.

    China: Medianlinie existiert nicht

    Doch damit könnte es nun vorbei sein. Schon 2020 erklärte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking, die Linie “existiere nicht”. Das Verteidigungsministerium und der Rat für Taiwan-Angelegenheiten schlossen sich dem sogleich an. Jetzt könnte das auch Folgen haben. “Es ist schon möglich, dass China seine Militärpräsenz nahe der Mittellinie der Taiwanstraße fortsetzen will”, sagt Amanda Hsiao, China-Analystin der Denkfabrik Crisis Group zu China.Table. Peking wolle eine Präsenz östlich der Linie – und damit dichter an Taiwan als am Festland – zum Regelfall machen.

    Auch der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, betonte am Mittwoch, durch das Überschreiten der bislang meist respektierten Mittellinie versuche China, “eine Art neue Normalität für ihre Aktivitäten und ihr Verhalten festzulegen. Wir haben öffentlich sehr deutlich gemacht, dass eine Änderung des Status quo inakzeptabel ist – und dass wir ihn nicht anerkennen werden.”

    Überschreitung der Medianlinie durch chinesische Flugzeuge und Schiffe

    Für dieses Vorgehen gibt es sogar einen Präzedenzfall. 2012 schickte China im Streit mit Japan um eine Gruppe unbewohnter Inseln zum allerersten Mal Schiffe in die angrenzende Zone des Archipels. Tokio hatte die umstrittenen Inseln – Senkaku auf Japanisch, Diaoyu auf Chinesisch – kurz zuvor unter seine faktische Verwaltung gestellt. Peking habe damals strategisch klug Fakten geschaffen, schrieb Zhou Bo vom Zentrum für internationale Sicherheit und Strategie an der Pekinger Tsinghua-Universität und Oberst a.D, kürzlich in der South China Morning Post: “Heute fahren Schiffe der chinesischen Küstenwache trotz der Proteste Japans regelmäßig dorthin, um Pekings Hoheitsanspruch zu demonstrieren.” Peking nutzte also den Streit von damals als Vorwand für eine Ausweitung der Machtsphäre, die andernfalls eine weitaus heftigere Reaktion des Auslands ausgelöst hätte.

    Taiwanstraße: Pelosi-Besuch als Vorwand für Eskalation

    Nun passiert möglicherweise gerade das Gleiche in der Taiwanstraße. Der Vorwand ist diesmal die Pelosi-Reise. Chinas Armee hielt direkt nach dem Abflug Pelosis seine bisher größten Militärmanöver in den Gewässern rund um Taiwan ab, schoss Raketen über die Insel – und schickte mehrere Kriegsschiffe über die Medianlinie. Taiwan verurteilte die Manöver und Raketentests und droht seither immer wieder mit einer robusten Antwort. Erst am Mittwoch kündigte das Militär für den Fall eines Eindringens chinesischer Kampfjets und Kriegsschiffe in Taiwans Hoheitsgebiet mit einem nicht näher definierten “Gegenangriff”.

    “Sie wollen den Druck auf uns erhöhen, mit dem Ziel, dass wir die Mittellinie aufgeben“, zitierte Reuters einen ungenannten taiwanesischen Beamten, der mit der Sicherheitsplanung in der Region vertraut ist. Außenminister Joseph Wu sagte im August, dass Taiwan eine Änderung des Status quo nicht tolerieren könne.

    Medianlinie wichtiger Puffer für Taiwan

    Denn für Taiwan ist die unsichtbare Linie ein wichtiger Puffer. Die Taiwanstraße ist etwa 180 Kilometer breit. An der schmalsten Stelle des Seewegs ist die Medianlinie nur etwa 40 Kilometer von Taiwans Gewässern entfernt. Eine mehr oder weniger permanente chinesische Marinepräsenz in der Nähe seiner Hoheitsgewässer würde Taiwans Militär stark fordern und eine chinesische Blockade oder Invasion wesentlich erleichtern. Es wäre zugleich aber schwierig, die Linie zu verteidigen, ohne das Risiko einer gefährlichen Eskalation zu erhöhen.

    Schon jetzt wächst daher die Gefahr einer versehentlichen Eskalation. Chieh Chung, Sicherheitsanalyst der Denkfabrik National Policy Foundation in Taipeh, sagte Reuters, dass Taiwan seine Einsatzregeln für Küstenwache und Militär überarbeiten müsse, um ihnen mehr Befugnisse bei der nötigen Reaktion auf immer komplexere Herausforderungen durch chinesische Streitkräfte zu geben.

    Taiwan wird sich voraussichtlich allein um die Sicherung der Medianlinie kümmern müssen. Drei US-Beamte erklärten gegenüber Reuters, dass das Überschreiten der Mittellinie durch die Chinesen wenig taktische Bedeutung habe.

    USA schenken der Medianlinie kaum Bedeutung

    Es geht Washington vielmehr um die Sicherung der Taiwanstraße als internationaler Seeweg. Ende August fuhren die beiden US-Kreuzer USS Antietam und USS Chancellorsville durch die Taiwanstraße, um “das Engagement der Vereinigten Staaten für einen freien und offenen Indopazifik” zu demonstrieren. Von der Medianlinie kein Wort. Dabei würde das faktische Aus der Mittellinie durchaus eine Herausforderung für die Vorherrschaft der USA über Chinas nahe gelegene Meere – die sogenannte erste Inselkette – bedeuten. Eine Vorherrschaft, die China seit langem ein Dorn im Auge ist.

    Es geht letztlich um mehr als einen Strich auf der Seekarte. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen verglich kürzlich Chinas Aggressionen gegen ihr Land mit Russlands Angriff auf die Ukraine. Beide Entwicklungen seien ein Beleg dafür, “wie autoritäre Länder die Weltordnung stören und bedrohen.” Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hatte schon Wochen vor seiner Invasion der Ukraine Armeeverbände in das gesamte Grenzgebiet zur Ukraine geschickt – zu angeblichen Übungen. Amanda Hsiao hält es für durchaus möglich, dass in den kommenden Monaten immer wieder Manöver stattfinden, die Taiwan einkreisen. Auch das könnte zum Normalfall werden.

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    Die neue Opium-Krise

    Die Pekinger Regierung hat den USA nach dem Besuch Nancy Pelosis in Taiwan auf verschiedene Weise ihre Ablehnung gezeigt (China.Table berichtete). Neben den Militäroperationen wurde beispielsweise die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Drogenhandels aufgekündigt. Speziell die Droge Fentanyl ist ein großes Problem in den USA. Durch das Ende der Zusammenarbeit könnte es in den USA zu noch mehr Drogentoten kommen.

    Diese Gefahr ist der chinesischen Regierung bewusst, wie der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin bei seiner Erklärung zum Ausstieg zu verstehen gab: “Die Konsequenzen für die Untergrabung der bilateralen Beziehungen und die Beschädigung der China-US-Zusammenarbeit im Bereich der Rauschgiftbekämpfung sollen in vollem Umfang von der US-Seite getragen werden.”

    China größter Lieferant von illegalem Fentanyl

    Denn China ist laut einer Studie der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA der größte Lieferant von illegal hergestelltem Fentanyl oder verwandten Stoffen. Der Vorwurf lautet, China flute den US-Markt mit der Droge und Peking schaue dabei weg. Das synthetische Opioid, das ursprünglich zur Schmerzbekämpfung speziell von Krebspatienten entwickelt wurde, fand in den 2000er-Jahren seinen Weg in den Schwarzmarkt und treibt die Opferzahlen in die Höhe. Eine Überdosis Fentanyl ist in den USA eine häufige Todesursache.

    Fentanyl hat eine 50 bis 100 Mal stärkere Wirkung als Morphium. Der Stoff ist deswegen bei Drogenkartellen beliebt. Sie mischen es anderen Substanzen wie Heroin oder Kokain bei, um deren Wirkung zu erhöhen. Da die Konsumenten oft nichts von der Beimischung wissen, kommt es immer häufiger zu unabsichtlichen Überdosierungen. Weitere Konsumenten sterben durch gefälschte, mit Fentanyl versetzte Medikamente, die ahnungslosen Kunden verkauft werden.

    China sieht den Kern des Problems in den USA

    Allein im letzten Jahr hat Fentanyl laut des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zu mehr als 100.000 Drogentoten geführt. Rahul Gupta, Direktor des Office of National Drug Control Policy sagte als Reaktion auf Chinas Beendigung der Kooperation, China müsse in der Bekämpfung eine Schlüsselrolle spielen: “Zu einer Zeit, in der eine Epidemie der Überdosen alle fünf Minuten ein Leben fordert, ist es inakzeptabel, dass die Volksrepublik China ihre Zusammenarbeit zurückzieht, die helfen würde, die Individuen, die diese illegalen Drogen verbreiten, zur Rechenschaft zu ziehen.”

    Doch die Zusammenarbeit war auch vorher schon von Konflikten und Schuldzuweisungen geprägt. Einen vermeintlichen Durchbruch in der Kooperation hatte es 2019 gegeben. China hatte nach Zusagen von Präsident Xi Jinping beim G-20 Gipfel Fentanyl stärker kontrolliert. Webseiten, die den Verkauf von Fentanyl offen betrieben, wurden geschlossen, Postsendungen strenger kontrolliert und einige chinesische Staatsbürger wurden hart bestraft. Doch die Zahl der Drogentoten in den USA ging weiter in die Höhe.

    Kooperation seit längerer Zeit schon problematisch

    Die chinesische Seite deutet das als klares Zeichen, dass sie mit dem Problem nichts zu tun habe. Dass es trotzdem einen Anstieg an Drogentoten gegeben hätte, zeige, dass die USA “die Crux des Problems nicht angegangen” hätten, so der chinesische Botschafter in den USA. Auch der Sprecher des Außenministeriums bekräftigte dies noch einmal bei seinem Statement zum Ausstieg: “Was den Fentanyl-Missbrauch in den USA betrifft, möchte ich betonen, dass die Wurzel dieser Krise in den Vereinigten Staaten liegt”, so Wang. Die Drogenbekämpfung in den USA sei einfach weniger effektiv als die in China. Diese Aussage wirkt vor dem Hintergrund des in China staatlich propagierten Narrativs, dass die massenhafte Einfuhr von Opium durch die westlichen Kolonialmächte im 19. Jahrhundert der Hauptgrund für Chinas Opium-Krise war, fast zynisch.

    Auch zeichnen US-Quellen ein anderes Bild der Effizienz des chinesischen Durchgreifens von 2019. Die internationalen Kartelle seien schlicht dazu übergegangen, statt Fentanyl als fertigem Wirkstoff einfach die Grundstoffe aus China zu beziehen. Das Endprodukt würde dann in den USA oder in Nachbarstaaten wie Mexiko hergestellt. Das chinesische Durchgreifen habe dazu geführt, “dass Lieferungen aus China in die USA auf nahezu Null fielen. Aber seit die Maßnahmen in Kraft sind, wurden die USA von Grundstoffen aus China überflutet und haben die internationalen Bemühungen damit erstickt”, sagt Gupta in einem Kommentar im Wall Street Journal.

    Weiter wirft Gupta den Chinesen vor, den Besuch Pelosis nur als Vorwand genommen zu haben, um aus der Zusammenarbeit auszusteigen. Er sagte einen weiteren Anstieg von Fentanyl-Opfern weltweit voraus. Mittel und langfristig verstärkt Chinas Ausstieg damit die Eskalation zwischen den beiden Ländern. Denn auch die Todesopfer können in Zukunft als Vorwand für politische Maßnahmen seitens der USA herangezogen werden. Gregor Koppenburg/Jörn Petring

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    Termine

    01. – 03.09.2022
    Tagung 22. Tagung Fachverband Chinesisch e. V. Mehr

    06. – 08.09.2022, 8:30 Uhr (14:30 Uhr Beijing time)
    Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation / Konferenz mit Livestream 9. Deutsch-Chinesische Wirtschaftskonferenz 2022 Mehr

    07.09.2022, 10:00 Uhr (16:00 Uhr Beijing time)
    China-Team / Event mit Livestream From lead market to leading supplier – production in China for e-mobility suppliers Mehr

    07.09.2022, 18:00 Uhr
    Konfuzius-Institut Nürnberg-Erlangen / Vortrag Im “Dazwischen” mit China: von Orten der Begegnung und Themen des Konflikts Mehr

    08.09.2022, 11:00 Uhr (17 Uhr Beijing time)
    Kiel Institut für Weltwirtschaft / Vortrag Global China Conversations #13 – Krieg in der Ukraine: Ein Gewinn für China? Mehr

    09.09.2022, 9:00 Uhr (15:00 Uhr Beijing time)
    Stars – for Leaders of the Next Generation / Webinar Looking at ASEAN as Part of China’s External Circulation Mehr

    09.09.2022, 19:30 Uhr
    Konfuzius-Institut München / Vortrag Hat China das Problem der Armut gelöst? Rückschau auf vier Dekaden ländlicher Reformen und Armutsbekämpfung Mehr

    10.09.2022, 19:00 Uhr
    Konfuzius-Institut Nürnberg-Erlangen / Performance Performance zum Mondfest in Bild, Klang und Wort Mehr

    News

    CO2-Emissionen sinken viertes Quartal in Folge

    Die CO2-Emissionen in der Volksrepublik sind das vierte Quartal in Folge gesunken. Das geht aus einer Erhebung des Analysten Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air hervor. Im zweiten Quartal des Jahres 2022 ist der CO2-Ausstoß sogar um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken. Der größte Quartals-Rückgang in mehr als einem Jahrzehnt. Als Ursachen gelten die Krise im Immobiliensektor, die Null-Covid-Maßnahmen und eine geringe Stromnachfrage. In den zwölf Monaten zwischen Juli 2021 und Juni 2022 sind die Emissionen demnach um drei Prozent gesunken.

    China: CO2-Emissionen sinken 4. Quartal in Folge

    Die Zementproduktion fiel im zweiten Quartal um 18 Prozent. Die Anzahl fertiggestellter Projekte im Immobiliensektor sank im zweiten Quartal um 33 Prozent. 44 Prozent weniger Projekte wurden gestartet. Die Kohleverstromung ging im ersten Halbjahr 2022 um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück. Im Juli und August stieg sie jedoch wieder leicht an. Insgesamt wurden auch fünf Prozent weniger Erdgas verbraucht

    Laut Myllyvirta wird die mittelfristige Antwort der Regierung auf die Wirtschaftskrise entscheidend dafür sein, ob China den Emissionshöchststand schon erreicht hat oder erst später erreichen wird. Kürzlich hatte die Regierung ein Konjunkturprogramm mit Ausgaben zum Ausbau der Infrastruktur und zur Stützung des Immobiliensektors, aber auch Ausgaben für Erneuerbare Energien beschlossen. nib

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    USA verschärfen Regeln für Chip-Exporte

    US-Chiphersteller dürfen wegen neuer Anweisungen der US-Behörden keine Hochleistungschips mehr nach China liefern. Die Einschränkungen betreffen Halbleiter, die vor allem bei Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) benutzt werden, wie die US-Chipkonzerne Nvidia und Advanced Micro Devices (AMD) mitteilten. Das US-Handelsministerium erklärte, man wolle “verhindern, dass fortschrittliche Technologien in die falschen Hände geraten” und “die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Interessen der USA schützen” Zu den spezifischen Kriterien für das Verbot äußerte es sich nicht.

    Der Schritt signalisiert eine neue Eskalation im US-chinesischen Streit über das Schicksal von Taiwan, wo Nvidia und viele andere Hersteller Chips fertigen lassen. Ohne amerikanische Chips verlieren chinesische Unternehmen etwa die Möglichkeit, Daten in der Bild- und Spracherkennung kostengünstig und schnell zu verarbeiten. Dabei sind die Technologien nicht nur in Verbraucheranwendungen weit verbreitet. Sie werden auch im militärischen Bereich eingesetzt – zum Beispiel bei der Durchsuchung von Satellitenbildern nach Waffen oder Stützpunkten und beim Filtern digitaler Kommunikation zur Nachrichtenbeschaffung. nib/rtr

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    Megacity Chengdu im Lockdown

    Nachdem 157 der 21 Millionen Bewohner Chengdus positiv auf Corona getestet wurden, müssen die Einwohner von Sichuans Hauptstadt seit Donnerstagabend in ihren Wohnungen bleiben. Nur eine Person je Haushalt dürfe zum Einkaufen geschickt werden, so die Behörden. Aktuell ist noch unklar, ob die Beschränkungen nach geplanten Coronavirus-Massentests am Wochenende aufgehoben werden.

    Mit Chengdu trifft es die größte Stadt seit den zweimonatigen Beschränkungen in Shanghai in der ersten Jahreshälfte. Und zudem eine sehr wirtschaftsstarke: Dort werden 1,6 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Aktuell sind noch weitere Städte von Lockdowns betroffen – das Technologiezentrum Shenzhen, die Wirtschaftsmetropole Guangzhou und die Hafenstadt Dalian.

    In Chengdu wurden Angestellte nicht lebensnotwendiger Branchen aufgefordert, von zu Hause aus zu arbeiten. Industriebetriebe, die in wichtigen Produktionsbereichen tätig und in der Lage sind, auf einem geschlossenen Gelände zu arbeiten, wurden davon ausgenommen. rtr/jul

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    Taiwan und Indo-Pazifik auf EU-Agenda

    Die Situation um Taiwan und das eigene Verhältnis zu China und der Indo-Pazifik-Region beschäftigt Brüssel in den ersten Tagen nach der Sommerpause. Die EU spreche in dieser Woche noch mit thailändischen Vertretern über ein Abkommen, um Lieferketten in Asien diverser gestalten zu können, teilte Gunnar Wiegand vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) am Donnerstag bei einer Sitzung des Handelsausschusses des EU-Parlaments mit. Ähnliche Gespräche und die Unterzeichnung eines Abkommens sind demnach auch mit Malaysia am Rande des Asean-Gipfels im November geplant. Nähere Details dazu nannte Wiegand zunächst nicht.

    Taiwan sei ein Schlüssel-Partner für die EU im Indo-Pazifik-Raum, sagte Dominic Porter, der innerhalb des EEAS für China, Hongkong und Taiwan zuständig ist, vor dem Ausschuss für Außenpolitik des Europaparlaments, ebenfalls am Donnerstag. Porter machte klar: “Die Ein-China-Politik wird bleiben.” Diese sei die Grundlage für das Verhältnis zwischen Brüssel und Peking. Spannungen oder ein zugespitzter Konflikt in der Taiwan-Straße sei in niemandes Interesse, so Porter. Bedenken über Chinas Verhalten seien chinesischen Vertretern direkt mitgeteilt worden.

    Spannend für das EU-China-Verhältnis wird in diesem Monat auch die Gesetzesvorlage der EU-Kommission für ein Einfuhrverbot von Produkten aus Zwangsarbeit. Sie soll am 13. September vorgestellt werden. Das Importverbot wird wahrscheinlich auf einem Vermarktungsverbot innerhalb der EU basieren. Zudem wird EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am 14. September ihre Rede zur Lage der Europäischen Union in Straßburg halten. Im vergangenen Jahr hatte sie das Einfuhrverbot für Waren aus Zwangsarbeit angekündigt. ari

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    Presseschau

    Folter und sexuelle Gewalt gegen Uiguren – “Schwere Menschenrechtsverbrechen”: Offizieller Uiguren-Bericht der UN klagt China an RND
    Umerziehungslager in Xinjiang: Endlich Klartext von der Uno SPIEGEL
    Menschenrechtsverletzungen: Weniger Abhängigkeit von China gefordert TAGESSCHAU
    UN-Menschenrechtskommissar: “Russland und China werden keinen Weltpolizisten akzeptieren”: WIENERZEITUNG
    Chinas Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang: Westen reagiert auf Bericht – Deutschland fordert Konsequenzen FR
    Russland: Großmanöver mit China und Indien SUEDDEUTSCHE
    Experte bewertet Militärübung: “Peking zeigt Moskau: China ist verlässlicher Partner” N-TV
    Zwischenfall direkt vor dem Festland: Taiwan schießt erstmals chinesische Drohne ab MERKUR
    Taiwan tycoon donates $47m to train 3 million ‘civilian warriors’ for defence against Chinese invasion ABC
    Taiwan-Streit wird zum Chipkonflikt ORF
    Großauftrag: Stadler baut erstmals Metro-Züge für Taiwan TAGBLATT
    Technologiediebstahl: Taiwan klagt Chefin von Apple-Vertragsfertiger an WINFUTURE
    China revealing its plan for Taiwan invasion, island’s foreign minister says DW
    How the Biden Administration Moved to Soft-Pedal the China Threat NATIONALREVIEW
    Termin für Xis Krönung als ewiger Diktator beweist seine Macht FOCUS
    China will Wirtschaft nicht mit übermäßigen Stimulierungsmaßnahmen überschwemmen CASH-ONLINE
    Nachfrage wächst nur in China: Hersteller verkaufen wohl weniger Autos als angenommen N-TV
    China testet Hyperschall-Kugeln an lebenden Schweinen FUTUREZONE
    Nach 157 Neuinfektion: Größter Lockdown in China seit dem in Schanghai FAZ
    Hallen-WM der Leichtathleten im chinesischen Nanjing ist wegen Coronavirus-Pandemie bereits zum dritten Mal verschoben worden EUROSPORT
    Deutsche Studierende können nach China zurück – theoretisch SUEDDEUTSCHE

    Kolumne

    Chinas Gefühlsstau

    Von Johnny Erling
    Johnny Erling schreibt die Kolumne für die China.Table Professional Briefings

    Für Chinesen ist es ein Unglück, “das Gesicht zu verlieren”. Warum? Ein deutscher Psychotherapeut weiß die Antwort: Jeder besitze ein “wahres Gesicht”. Es sei aber in einer Diktatur viel “zu gefährlich”, dieses zu zeigen. Unter “der zur Schau getragenen Maske schmort ein gestautes Gefühlspotenzial von existenziellen Ängsten, mörderischer Wut, Hass, tiefem Schmerz und oft bitterer Traurigkeit”.

    Das Zitat stammt von Hans-Joachim Maaz, der viele Jahre Chefarzt an der psychotherapeutischen Klinik in Halle war. Er bezieht sich aber nicht auf China. Nach dem Fall der Mauer schrieb er ein “Psychogramm der DDR”, das 1990 unter dem Titel “Gefühlsstau” (Argon-Verlag) erschien. Der innerdeutsche Bestseller wurde 2013 auch unter dem Titel “Gefühlsstau” (情感堵塞) ins Chinesische übersetzt und erregte Aufsehen unter Psychologen, Sozial- und Erziehungswissenschaftlern. Seit sich Parteichef Xi Jinping in absoluter Macht eingerichtet hat und die Re-Ideologisierung seines Landes betreibt, passen solche kritischen Reflexionen über das Verhalten von Menschen und ihre gespaltene Persönlichkeit in autoritären Staaten nicht zu der von Xi propagierten neuen Ära des sozialistischen China und zur Verwirklichung seines Traums von der Erneuerung der Nation.

    Umschlag des 2013 erschienenen "Gefühlsstau" (情感堵塞) von Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz. Obwohl es ein "Psychogramm der DDR" ist, können Chinesen ihren autoritären Charakter dank eigener Diktatur wiedererkennen. Das Buch passt nicht mehr in die neue Xi-Jinping-Landschaft, ist heute in China nur noch antiquarisch und zum Fünffachen des einstigen Preises zu finden. Auch in China führen viele ein Doppelleben.
    Umschlag des 2013 erschienenen “Gefühlsstau” (情感堵塞) von Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz. Obwohl es ein “Psychogramm der DDR” ist, können Chinesen ihren autoritären Charakter dank eigener Diktatur wiedererkennen. Das Buch passt nicht mehr in die neue Xi Jinping-Landschaft, ist heute in China nur noch antiquarisch und zum Fünffachen des einstigen Preises zu finden.

    Das Leben der Menschen in der DDR, so Maaz, sei “im Wesentlichen durch soziale Fassaden gekennzeichnet gewesen, das zwangsläufige Ergebnis repressiver Erziehung.” Psychotherapeuten durchschauten die Mechanismen, “mit deren Hilfe es Menschen möglich wird, die neue ‘Identität’ als ihre ‘wahre’ Natur zu empfinden – die Abspaltung von den Gefühlen macht dies möglich.” So wurde “das aufgenötigte zweite Gesicht allmählich zur Gewohnheit und schließlich zur selbstverständlichen Normalität. Doch kein Mensch kann auf Dauer mit Verstellung gut leben”.

    Politik-fluchende Taxifahrer sind auch mal KP-Mitglied

    Treffen solche Diagnosen auch auf das Verhalten der heutigen Chinesen zu, die in einer globalisierten und freizügigen Konsumgesellschaft aufwachsen? Im Reformchina nach Mao Zedongs Tod wirkt alles in grotesker Weise zweigeteilt und hat auch eigene Begriffe dafür, vom Mischmasch aus Plan-, Staats- und Marktwirtschaft bis hinein in die Familie, wo der eine Ehepartner für eine Staatsbehörde oder ein Staatsunternehmen arbeitet und der andere für ein Privatunternehmen (体制内体制外); für die Bauern, die in den Städten ohne Hukou-Bürgerstatus nur Zugewanderte zweiter Klasse sind, bis hin zu “ein Land zwei Systeme” (一国两制), das Peking gerade für Hongkong beendete.

    Scheinbar andere Erfahrungen, wonach sich Chinesen pragmatisch und flexibel der jeweiligen Lage anpassten, erlebten (noch bis kurz vor dem Lockdown) ausländische Reisende schon nach ihrer Ankunft im Land. Auf dem Weg in die Stadt konnten sie (sofern sie die Sprache verstanden) hören, wie unbekümmert ihr Taxifahrer lauthals über Chinas Führung schimpfte. Als ich einen über seine Regierung oft fluchenden Fahrer näher kennenlernte, erwies er sich als Parteimitglied. Er stünde morgens extra früh auf, um freiwillig vor Arbeitsbeginn Quizfragen in einer Schulungs-App der KP China (学习强国) zu lösen. Das Lob für seine perfekt linientreuen Antworten ging in seinen Beurteilungsbogen ein. Er verstand nicht, was an seinem Verhalten widersprüchlich sein sollte: “Das machen doch alle so.”

    Auch das Ehepaar, das am Wochenende ihrer Tochter zu Hause erlaubte, aufreizende südkoreanische und japanische Musikvideos auf raubkopierten DVDs zu gucken, fand nichts Verlogenes daran. Sie belohnten doch nur ihre Tochter, die in der Schule nicht nur gute Noten erhielt, sondern wegen vorbildlicher sozialistischer Moral das rote Halstuch für Jungpioniere tragen durfte. Auch die Eltern schauten sich zu Hause illegale Kopien ausländischer TV-Serien an. Am nächsten Morgen sangen sie in der organisierten Betriebspause im Kollegenchor kraftvoll mit: “Ohne kommunistische Partei gibt es kein neues China.”

    Neusprech und Doppeldenk weit verbreitet

    “China ist zum Land mit den schwerwiegendsten Fällen geteilter Persönlichkeiten geworden” (中国是双重人格最严重的国家), warnt der Essayist Wang Xiao (王霄). Die in der Reformzeit übersetzten Bücher und Schriften von Hannah Arendt zum autoritären Charakter und über die “Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft” haben ihn in seinem Urteil stark beeinflusst.

    Die Folgen finden unter Chinesen auch deshalb besonders fruchtbaren Boden, weil sie durch den Einfluss tradierter konfuzianischer Erziehung verstärkt werden, die das Individuum von klein auf zur Ein- und Unterordnung vorbereiteten. In Schulen, wo heute in den Fächern Chinesisch, Geschichts- oder Gesellschaftskunde “hanebüchener Unsinn” eingepaukt werden muss, sei das von George Orwell in 1984 beschrieben “Neusprech” und “Doppeldenk” verbreitet, schreibt der bekannte Kulturkritiker und Hochschullehrer Xu Ben (徐贲). 

    China: Karrikatur über Doppelleben in China
    “Sich von Herzen Aussprechen” nannte der Pekinger Altmeister chinesischer Satire, Feng Cheng, seine Erinnerung an die Zeit der Kulturrevolution und deformierte Persönlichkeiten, als sich auch beste Freunde anschwiegen. Nur der Dunst über den Tee formiert sich zu Fragezeichen. Die staatliche Propaganda (links) verkündet auf dem Maulkorb. “Allseitige Diktatur- die Lage ist ausgezeichnet”. Auch heute schweigen Intellektuelle wieder.

    Er lebt heute in den USA. China sieht er in eine “neue Form des Totalitarismus” abdriften. Es habe sich vom ursprünglichen Totalitarismus (unter Stalin und Hitler) über den Post-Totalitarismus (einst etwa in Osteuropa) in diese dritte Form entwickelt (从极权主义、后极权主义到”新极权主义). Sie sei eine Variante des Post-Totalitarismus und verurteile dessen liberale Züge als politische “Schwäche”. Doch der neue Totalitarismus produziere nur “Flickwerk”, keine Terror verbreitende, systematische Repression, sondern partielle, wenn auch massive Formen der Unterdrückung. Etwa, um Medien und das Internet zum Schweigen zu bringen oder Massenproteste gewaltsam zu beenden. Aber er besitze nicht mehr die Überzeugungskraft und “Fähigkeit zur ideologischen Mobilisierung“.

    Rituale als eine Form der Politik

    Chinaexperte Minxin Pei, Professor für Regierungsmanagement am Claremont McKenna College in den USA, sieht die Volksrepublik in eine zweigeteilte Welt abdriften (bifurcated world). Im Podcast mit der Financial Times sagt er: “Die Menschen wissen, dass das Ritual zu einer Seite der Politik geworden ist und müssen folgen. Dabei ist es gleich, ob sie daran glauben oder nicht.” Es funktioniere, solange auf der anderen Seite der Politik noch “Substanz, Realität und Pragmatismus” vorhanden seien. Derselbe Beamte, der “stolz sein Smartphone vorzeigt, auf dem er allmorgendlich seine Lernpensum zum Denken Xi Jinpings absolviert hat, dreht sich danach um und spricht in sehr pragmatischer Weise über die aktuellen Herausforderungen in seiner Arbeit.” Minxin Pei ist “unter Maos Herrschaft aufgewachsen. Damals glaubten alle an das politische Ritual. Heute müssen wir einen großen Teil Abstriche machen, ob das Xi Jinping-Denken von Parteimitgliedern, Beamten und normalem Volk wirklich angenommen wird.”

    Pei beklagt, dass der Freiraum für kritisch liberale Vorstellungen in den Universitäten “vollständig geschlossen” wurde. Seine Akademikerfreunde meldeten sich nicht mehr öffentlich zu Wort. “Alle, die smart sind, halten ganz einfach ihren Mund”.

    Am Ende müsse als Kitt der Patriotismus die innerliche Kluft überbrücken, über die sich viele gar nicht bewusst sind. Der oppositionelle Autor Huang Yukai, Mitglied des unabhängigen chinesischen Pen, bezeichnet die Zweiteilung der Persönlichkeit als “Schizophrenie”, aber nicht im medizinischen Sinne, sondern als Diagnose einer vom System induzierten Persönlichkeitsstörung.

    In den Reform-Jahrzehnten nach Maos Tod wurden Chinas Erfahrungen mit der Diktatur ausgearbeitet, wurden Bücher von Hannah Arendt bis George Orwell übersetzt. 2011 erschien noch ein großes Magazin als Themen-Sonderheft unter dem Titel: Warum lügen Chinesen gerne? Heute dürfte es nicht mehr erscheinen. Unter Diktaturen führen Menschen häufig Doppelleben - so auch in China.
    In den Reform-Jahrzehnten nach Maos Tod wurden Chinas Erfahrungen mi der Diktatur ausgearbeitet, wurden Bücher von Hanna Ahrendt bis George Orwell übersetzt. 2011 erschien noch ein großes Magazin als Themen-Sonderheft unter dem Titel: Warum lügen Chinesen gerne?. ´Heute dürfte es nicht mehr erscheinen.

    Dabei gab es auch in China nach dem Tod Maos öffentliche Debatten darüber, wie sich unterscheiden lässt, was wahr und echt, falsch und verlogen ist. Übersetzungen, etwa von mehr als zwei Dutzend Schriften und Büchern von Hannah Arendt trugen ebenso dazu bei, wie der Roman “1984” von George Orwell, oder “Farm der Tiere”.

    2009 wurde etwa eine Debatte initiiert, ob und ab wann sich Chinesen daran erinnern könnten, Lügen erlernt zu haben. Viele antworteten, das sei in der Grundschule gewesen, als das System mit seiner politischen Indoktrination begann. 2011 erschien das Magazin “Die Neue Woche” (新周刊) mit einer Sonderausgabe: “Warum lieben es die Chinesen, Lügen zu erzählen?” Der kritische Autor Wu Si (吴思) überschrieb damals seinen Beitrag: “Wenn die Herrschenden Lügen verbreiten, geben wir vor, sie zu glauben.”

    Heute wirkt sich der Gefühlsstau aus. Viele glauben die Lügen.

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    Personalie

    Helen-Ann Smith wird Asien-Korrespondentin von Sky News. Die Wirtschaftskorrespondentin mit besonderem Interesse für den Klimawandel wird in Peking stationiert sein.

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    Dessert

    Walhaie zählen zum Einschlafen? Diese Kinder in Zhuhai, Provinz Guangdong, werden ihre Augen wohl nicht so bald schließen, denn neben mehreren Hai-Arten kreisen auch Mantarochen über ihren Köpfen. Das Chimelong Ocean Kingdom in der südchinesischen Stadt bietet Camping unter der Glaskuppel seines Hai-Aquariums an. Mit 22,7 Millionen Litern Wasser ist es das größte Aquarium der Welt.

    China.Table Redaktion

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