beim informellen Abendessen der EU-Staats- und Regierungschefs im slowenischen Schloss Brdo stand auch – als kleiner Punkt am Ende der Agenda – das Verhältnis zu China auf der Tagesordnung. Aufmerksamkeit gibt es nun für ein Detail in der Mitteilung von EU-Ratschef Charles Michel zu dem Treffen. China werde als “Wettbewerber, Partner und systemischer Rivale” gesehen, so der Belgier. Wer den EU-Dreiklang zur Positionierung gegenüber der Volksrepublik kennt, dem wird auffallen: Bisher hieß dieser “Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale” (“partner, competitior, systemic rival”). Nun scheint “Wettbewerber” an die erste Stelle gerückt zu sein.
In unserer ersten Analyse blicken wir heute erneut auf das Drama um den verschuldeten Immobilienriesen Evergrande. Wie wird Peking reagieren? Bei anderen in die tiefroten Zahlen geratenen Konzernen fiel die Handhabe bisher unterschiedlich aus, erklärt Finn Mayer-Kuckuk. Huachen Automotive musste in die Insolvenz. Die Bank Huarong wurde dagegen gerettet. Doch dabei geht es um mehr als eine reine Entscheidung über Rettung oder Restrukturierung. Im Umgang mit Evergrande lässt sich ablesen, welche Strategie Peking gegenüber Risiken am Finanzmarkt einschlägt.
Der Umgang mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Hongkong ist indes leider schmerzlich absehbar: Gewerkschafter, Aktivisten und Medienvertreter in der Stadt müssen eine Strafverfolgung durch die Behörden fürchten – der Widerstand verlagert sich deshalb zunehmend in das Ausland, schreibt Marcel Grzanna. Er hat mit Ex-Parlamentarier Ted Hui gesprochen.
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Keiner kann sagen, dass China in der Krise zu weitreichende Sicherheitsnetze spannt. Allein im ersten Halbjahr sind Dutzende große Firmen in die Insolvenz gegangen, was zusammen 15 Milliarden Euro an Schulden hinterlassen hat. Die Finanzaufsicht und die Zentralbank zeigen also durchaus Mut zur Pleite. In einer Staatswirtschaft könnte die Regierung im Prinzip alles retten, das in Schieflage gerät. Doch sie hält sich mit Eingriffen zurück.
Zugleich lässt der langsame Untergang des Immobilienentwicklers Evergrande Beobachter und Marktteilnehmer jedoch rätseln. Wie viel echtes Risiko traut sich Peking? Einerseits hat die KP Chinas mehrfach angekündigt, im Finanzwesen immer mehr auf Marktkräfte zu setzen. “Wir beschleunigen die Entwicklung eines vielschichtigen Kapitalmarkts”, sagte Premier Li Keqiang 2014. “Wir entwickeln einen gut funktionierenden Anleihemarkt.”
Für einen gut funktionierenden Anleihemarkt sind einerseits auch reale Ausfallrisiken nötig. Doch von dem Schicksal der Evergrande-Gruppe hängt andererseits zu viel ab. Vom einfachen Wohnungskäufer bis zur Großbank hängen ganz unterschiedliche Akteure mit drin. Zudem drohen Systemrisiken in Chinas überschuldeten Immobiliensektor. Schon jetzt tun sich auch andere Firmen der Branche schwer, ihre Anleihen umzuwälzen.
Peking befindet sich also in einem Dilemma zwischen der Wahrung der Stabilität, auf die sie so stolz ist, und der Schaffung eines funktionierenden Anleihemarktes. In einem selbsttragenden Kapitalmarkt müssen die Anleger jedoch auch die Risiken großer Institutionen mittragen. Das weiß die Führung, und daher will sie durchaus auch die Marktkräfte walten und Investoren im Zweifelsfall leer ausgehen lassen, wenn sie die falsche Wette abgeschlossen haben.
Doch zu groß dürfen diese nun offenbar auch nicht sein, wie zuletzt wieder eine Reihe von Rettungsaktionen gezeigt hat. Huarong Asset Management ist im Frühjahr für sechseinhalb Milliarden Euro gerettet worden. Das Vorgehen war hier ganz konventionell. Staatsbanken haben die Schulden von Huarong übernommen. Das ebenfalls überschuldete HNA-Konglomerat geht derweil durch eine Restrukturierung, die den verbleibenden Wert der Gruppe anerkennt (China.Table berichtete).
Peking versucht hier ganz offensichtlich, einen Mittelweg zu steuern, der immer näher an die Nutzung von Marktkräften heranführt. Dabei ist klar, dass keines der Extreme auf der Bandbreite der Finanzmarktsysteme für China infrage kommt. Diese zwei Extreme wären eine perfekte Marktwirtschaft auf der einen Seite und reiner Sozialismus ohne Kapitalmarkt auf der anderen Seite.
In einer perfekten Marktwirtschaft gibt es keine Rettungen. Wer scheitert, kann eben seine Schulden nicht zurückzahlen. Die Marktteilnehmer müssen dann den Verlust ihrer Investition hinnehmen. Dementsprechend vorsichtig und klug werden sie ihr Kapital einsetzen. Sie werden es nur guten Firmen anvertrauen. Im reinen Sozialismus gibt es dagegen keine geschäftlichen Risiken. Dafür werden die vorhandenen Ressourcen schlecht genutzt. Ineffizienz, Erfolglosigkeit, Faulheit, Fehlentscheidungen – all das ist für einen zünftigen Staatsbetrieb ziemlich gleichgültig. Es geht nach einem Tadel für die Nichterfüllung des Plans immer weiter.
China kommt nun vom zweiten Modell her und hat nach Jahrzehnten der Reformen einen Punkt erreicht, an dem sich die positiven Effekten des ersten Modells zeigen. Diese positiven Effekte hängen jedoch davon ab, dass der Staat dann doch nicht immer eingreift, wenn es hart auf hart kommt. Das erfordert viel Disziplin. Auch demokratische Politiker in einer sozialen Marktwirtschaft lassen sich gerne für Rettungen feiern, auch wenn sie wirtschaftlich keinen Sinn ergeben. Wenn die Folgeschäden eines Kreditausfalls katastrophal sind, erhalten die Maßnahmen generell viel Zustimmung. Vor allem wenn ein Dominoeffekt quer durch Finanz- und Realwirtschaft droht.
Im Fall Evergrande ist es nun interessant zu beobachten, wie sich die chinesische Regierung verhält. Sie hat den Immobiliensektor selbst ins Rutschen gebracht, indem sie mit den “drei roten Linien” neue Kapitalanforderungen gestellt hat. Es gilt andererseits als sicher, dass sie keine katastrophale Pleite zulassen wird.
Stattdessen wird sie den Immobilienmarkt und das Finanzsystem von einer möglichen Implosion von Evergrande isolieren. Denn eine unkontrollierte Insolvenz würde gleich drei Politikziele in Gefahr bringen: die Zufriedenheit der chinesischen Immobilienkäufer, den Bau neuer Wohnungen und nicht zuletzt das internationale Image der chinesischen Wirtschaft.
Als die US-Bank Lehman Brothers vor 13 Jahren ihren Insolvenzantrag stellte, zeigte sich China fast etwas schadenfroh. Die eigene Finanzbranche brachte solche verdeckten Systemrisiken nicht hervor, weil sie simpler war. Vor allem gelang es Peking mit staatlichen Eingriffen, das Wachstum ausgerechnet im Krisenjahr nach absoluten Werten auf einen Rekord zu hieven. Das sollte die Überlegenheit des eigenen Wirtschaftsmodells zeigen. Eine Evergrande-Pleite mit weitreichenden Systemfolgen wird Staatschef Xi Jinping daher verhindern lassen – egal, was es kostet. Statt einer Rettung des Unternehmens in seiner bestehenden Form wäre beispielsweise eine Übernahme des Immobilienbestands samt Schulden durch staatliche Banken möglich.
Die Kosten wären dabei jedoch höher als der reine Preis für die Lösung. Denn auch wenn zuletzt ab und zu eine Bankeninsolvenz möglich war, verlassen sich die Anleger weiterhin auf die staatliche Rettung. Ein glaubwürdiger Anleihe-Markt braucht jedoch Risiken. Wenn der Staat letztlich für alles haftet, dann erhalten Anleger immer nur Minimalzins, wenn sie Firmen Geld leihen. Denn der Zins ist auch eine Entschädigung für das Risiko. Ohne Risiken gibt es keine sonderlich hohen Zinschancen.
Außerdem geben sich Anleger in einem Vollkasko-Finanzwesen keine Mühe, ihr Geld nur an vertrauenswürdige Unternehmen zu vergeben. Die Mühe zur Erkennung guter und schlechter Geschäftsmodelle lohnt sich für sie nicht. Ohne Ausfallrisiko schwindet also auch die Überwachungsfunktion des Marktes.
Die Vorteile eines funktionierenden Finanzmarktes möchte die kommunistische Regierung jedoch stärken, um nicht weiterhin alles per Hand überwachen zu müssen. Die Zentralbank und die Aufsichtsbehörden überwachen das Finanzwesen immer noch viel zu kleinteilig. In einer zur Hälfte privatisierten Volkswirtschaft mit einem Volumen von zehn Billionen Euro ist dieses Mikromanagement aber eigentlich unmöglich geworden. China hätte also ein Interesse daran, Marktkräfte walten zu lassen. Doch es gelingt der Führung bisher nicht, wirklich loszulassen.
Tatsächlich haben Europa und die USA heute ähnliche Probleme, und Japan schlägt sich schon seit den 1990er-Jahren damit herum. Ökonomen sehen hier generell eine Krise des Kreditwesens. Der unabhängige Ökonom Richard Duncan diagnostiziert hier sogar eine Grundkrise des kapitalistischen Systems. Dieses sollte zumindest eins können: Kapital in die wirtschaftlich aussichtsreichsten Kanäle leiten. Die Zinsen sind jedoch schon seit über einem Jahrzehnt ultraniedrig.
Duncan stellt fest, dass der Kapitalismus, in dem Geld im Regelfall knapp und kostbar sein sollte, durch einen “Kreditismus” ersetzt wurde, indem Wachstum durch immer höhere Kreditvergabe geschaffen wird. Es ist hier zu einem guten Teil egal, wo das Kapital hingeht. Am Anleihemarkt bringt es ohnehin kaum Zinsen. Der Aktienmarkt- und der Immobilienmarkt wiederum wird vom vielen Kapital derweil fast naturnotwendig aufgeschwemmt.
Von letzterem Effekt hat auch Evergrande profitiert. Der chinesische Kapitalismus ist eben auch eher ein Kreditismus mit chinesischen Charakteristiken. Geld gab es immer reichlich. Üppige Finanzierung ist die Grundlage des Wachstumsmodells. Die Regierung hat zwar versucht, die Mittel in sinnvolle Kanäle zu lenken und Dämme durch die Wirtschaft zu ziehen. Am Ende landet das Kapital in China aber eigentlich immer am Immobilienmarkt. Die Gewinne in diesem Segment waren traumhaft und erschienen sicher. Dementsprechend hat sich auch Evergrande präsentiert. Gespräche mit Anlegern bestätigen heute die ursprüngliche Erwartung, dass Peking so ein Unternehmen keinesfalls untergehen lassen werde (China.Table berichtete).
Es war nun wichtig, das finanzielle Kartenhaus Evergrande zunächst einmal einstürzen zu lassen. Sonst hat der chinesische Anleihemarkt keine Chance, jemals glaubwürdig Risiken abzubilden. Zudem passt ein Zusammenbruch von Evergrande zum derzeitigen Kurs, schwerreiche Privatunternehmer in ihre Schranken zu verweisen.
Die chinesischen Wirtschaftsplaner haben sich nun aber eine durchaus sinnvolle Strategie ausgedacht, um die Auswirkungen der Mega-Pleite einzugrenzen. Evergrande selbst darf demnach durchaus kollabieren. Doch um den Kern der Probleme herum will sie Mauern ziehen. Indem sie an den entscheidenden Punkten Kapital zuschießt, verhindert sie ein Übergreifen auf andere Unternehmen. Um einen Pandemie-Vergleich zu bemühen: Sie will den infizierten Evergrande-Konzern isolieren, um weitere Ansteckungen zu verhindern. Eine Reihe von großen Investoren wird Verluste tragen müssen, während die Wohnungskäufer vor den Folgeschäden geschützt sein sollen.
Erste Effekte der Insolvenzen, die China erlaubt und sogar herbeiführt, zeigen sich bereits am Anleihemarkt. Mit der Rückkehr des Risikos steigen sowohl die Rendite und die Verzinsung. Die Rendite steigt, während die Kurse am Markt sinken – diese beiden Kennzahlen verhalten sich bei Anleihen gegenläufig. Die Zinsen steigen, weil sich Anleger die ganz offensichtlich größeren Risiken künftig mit höheren Aufschlägen bezahlen lassen. Das bedeutet aber auch, dass sich Geldanlagen in Anleihen künftig wieder mehr lohnen und sie als Option für Anleger zurückkehren. Auch wenn eine unkontrollierte Pleite von Evergrande katastrophal wäre und verhindert werden wird: Die Zulassung von moderaten Risiken könnte sich für Peking weiter auszahlen.
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam lobte am Mittwoch das Nationale Sicherheitsgesetz über den grünen Klee. Das Chaos in der Stadt sei eingedämmt, und es sei sichergestellt, dass künftig ausschließlich “Patrioten” die Metropole verwalten würden, sagte Lam in ihrer Grundsatzrede vor dem Hongkonger Legislativrat. Der chinesischen Zentralregierung sei es gelungen, ihrem Anspruch bei der Umsetzung des Konzeptes “ein Land, zwei Systeme” treu zu bleiben.
Bis vor einigen Jahren hätte ihre Rede wohl heftigen politischen Widerstand in der Stadt erzeugt. Doch all jene, die Lams Darstellung bestenfalls für die halbe Wahrheit halten, hat das Nationale Sicherheitsgesetz zum Schweigen gebracht. Politische Opposition findet in Hongkong nicht mehr öffentlich statt. Der zivile Widerstand gegen Pekings autoritäre Übernahme der Metropole verlagert sich zunehmend ins Ausland.
Während sich örtliche zivile Organisationen und unabhängige Medienunternehmen reihenweise auflösen, weil sie eine strafrechtliche Verfolgung unter dem Sicherheitsgesetz fürchten müssen, stärken Hongkonger im Exil ihre Lobbyarbeit in Nordamerika, Europa und Australien. Wachsenden Einfluss versuchen ehemalige Politiker der Stadt und Aktivisten vor allem in der US-Hauptstadt Washington zu nehmen.
Mitglieder des Hongkong Democratic Council (HKDC) hatten dort schon 2020 vor dem US-Kongress ausgesagt und die Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechten angeprangert. Inzwischen hat sich das Council personell neu formiert. Die früheren Hongkonger Politiker Nathan Law, Ted Hui und Sunny Cheung verstärken das HKDC als neue Mitglieder im Beirat. In London bekommt die Menschenrechtsorganisation Hongkong Watch neuen Wind durch das Engagement der Exilanten. In Norwegen, Österreich und der Schweiz haben sich pro-demokratische Interessengruppen gebildet, auch in Australien und Kanada bauen die Aktivisten Kommunikationskanäle in die Politik auf.
Über den halben Erdball verteilt streben die Aktivisten dennoch ein gemeinsames Ziel an: Ausländische Unterstützung für die Zivilgesellschaft in Hongkong zu formieren und sich gleichzeitig mit tibetischen und uigurischen Organisationen zu verknüpfen, um zusammen mehr Einfluss auf demokratische Regierungen auszuüben. Sie möchten nicht nur aufmerksam machen auf die Situation in Hongkong, sondern auch für die zunehmende “Infiltration von liberalen Gesellschaften durch die Kommunistische Partei Chinas” sensibilisieren, wie der Ex-Parlamentarier Ted Hui im Gespräch mit China.Table betont.
Hui lebt mit Frau und zwei Kindern im australischen Adelaide. Mit seinen Mitstreitern vor Ort hat er ein Bildungsangebot geschaffen, das in seiner Muttersprache Kantonesisch außerschulische Weiterbildung bietet. Das Ziel: Zumindest aus der Entfernung einer weiteren politischen Sinisierung Hongkongs etwas entgegenzusetzen und demokratische Werte zu fördern. Auch in Melbourne gibt es nun solch ein Angebot. “Weltweit verbreitet die KP ihre Propaganda über Bildungseinrichtungen im Ausland. Wir bieten ein ideologisches Gegengewicht, damit Hongkongs Kultur und Sprache nicht exklusiv durch chinesische Regierungskanäle kuratiert wird“, sagt Hui.
Zumal der Strom der Auswanderungswilligen nicht abreiße. Täglich würden 1.000 bis 2.000 Menschen Hongkong mit der Absicht verlassen, nicht mehr zurückzukehren. Die fortschreitend erzwungene Auflösung der Zivilgesellschaft in der Stadt versetzt die Menschen in große Sorge. Zahlreiche Organisationen befinden sich in Auflösung oder sind bereits abgewickelt:
Führende Köpfe befinden sich teilweise in Haft oder erwarten Strafverfolgung, weil sie von den Behörden unter Regierungschefin Carrie Lam als “feindlich” eingestuft und der Kollaboration mit ausländischen Kräften beschuldigt werden, was seit dem Sicherheitsgesetz mit langen Haftstrafen geahndet werden kann. Die Lehrervereinigung mit ihren 95.000 Mitgliedern, die seit Mitte der 1970er-Jahre das Bildungswesen der Stadt demokratisch geprägt hatte, geriet ins Kreuzfeuer chinesischer Staatsmedien, die sie als “Tumor” bezeichneten (China.Table berichtete). Zahlreiche unliebsame Lehrer an Schulen und Universitäten sind bereits aus dem Staatsdienst entlassen worden.
Die chinesische Zentralregierung sieht zwischen der Wucht der politischen Säuberung und der Flucht Zehntausender Familien aus der Stadt offiziell jedoch keinen Zusammenhang. Im Gegenteil befinde sich die Stadt “auf dem richtigen Weg”, wie der Sonderbeauftragte für Hongkong und Macau, Huang Liuquan, kürzlich bei einem Besuch betonte. Jungen Menschen aus Hongkong empfahl er, in der Volksrepublik nach guten Jobs Ausschau zu halten.
Unabhängige, chinesischsprachige Medien, die Pekings Position kritisch kommentieren könnten, gibt es kaum mehr in Stadt. Nach der Einstellung der pro-demokratischen Tageszeitung Apple Daily Ende Juni, hat sich auch deren Muttergesellschaft Next Digital aufgelöst. Deren Verantwortliche inklusive ihres Gründers und Verlegers Jimmy Lai sitzen in Haft.
Die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt RTHK setzt ihre Arbeit derweil zwar fort, hat aber neue Richtlinien erhalten, die sie beauftragen, zum Erhalt der “konstitutionellen Ordnung” zu sorgen. Im Klartext bedeutet das: Propaganda im Sinne Pekings. Teile des RTHK-Programms wurden deshalb schon gestrichen. Auf dem Sendeplatz des traditionellen City-Forums am Sonntagabend, das jahrzehntelang in Live-Diskussionen diverse Meinungen zu Wort kommen ließ, zeigt RTHK jetzt historische Bürgerkriegsdramen, die von den Erfolgen der Kommunistischen Partei erzählen.
Auch die Zensur des Internets nimmt zu. Die Polizei genießt inzwischen erweiterte Befugnisse, um digitalen Dissens im Keim zu ersticken. Mit der exterritorialen Reichweite des Sicherheitsgesetzes im Rücken versuchen die Behörden außerdem, auch ausländische Serverbetreiber auf Linie zu bringen und ungewünschte Inhalte nicht zuzulassen.
“Die Niederschlagung der gesamten demokratischen Infrastruktur und der Rechtsstaatlichkeit in Hongkong geht nicht nur in einer Geschwindigkeit vor sich, die jeden überrascht. Sie zeigt auch das wahre Gesicht der Kommunistischen Partei Chinas, die nicht einen Funken politischen Dissens akzeptiert“, sagt der frühere dänische Kulturminister Uffe Elbaek zu China.Table.
Das Sicherheitsbüro in Hongkong hatte zu Jahresbeginn ein Ermittlungsverfahren gegen Elbaek eingleitet – eben auf Basis jener exterritorialen Reichweite des Sicherheitsgesetzes. Der Politiker hatte mit einem Täuschungsmanöver gegenüber der Behörden Hongkongs seinem Amtskollegen Ted Hui zur Flucht aus der Stadt verholfen.
“Das ist ein Weckruf für die Europäische Union. Die Europäer müssen begreifen, mit wem sie es zu tun haben”, sagt Elbaek. Der Grünen-Politiker fürchtet, dass Hongkong nur das Vorspiel sein könnte für eine Eroberung des Inselstaats Taiwan. “Die Parole ‘Heute Hongkong, morgen Taiwan’ sollten wir, die demokratischen Staaten dieser Welt, sehr, sehr ernst nehmen.” Die Volksrepublik betrachtet die Republik China, wie Taiwan offiziell heißt, als untrennbaren Teil ihres Territoriums.
US-Präsident Joe Biden und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping planen ein virtuelles Aufeinandertreffen. Dieses solle noch vor Ende des Jahres stattfinden, berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf das Weiße Haus am Mittwoch. Die Ankündigung ließ vermuten, dass kein persönliches Aufeinandertreffen von Biden und Xi beim G20-Gipfel in Rom Ende Oktober stattfinden wird. Chinas Staats- und Parteiführung lässt bisher offen, ob Xi zum Gipfel nach Italien reist. Er hat die Volksrepublik seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 nicht verlassen.
Persönlich trafen sich am Mittwoch bereits der US-amerikanische Sicherheitsberater Jake Sullivan und der chinesische Chefdiplomat Yang Jiechi. Sullivan drückte dabei in Zürich seine Bedenken über Pekings Vorgehen in verschiedenen Bereichen aus. Wie das Weiße Haus in einer Erklärung mitteilte, habe Sullivan unter anderem die Menschenrechtslage in der Provinz Xinjiang und Hongkong sowie die Konflikte mit Taiwan und im Südchinesischen Meer angesprochen. Sullivan machte demnach auch deutlich, dass die USA weiterhin auf höchster Ebene mit der Volksrepublik zusammenarbeiten werden, “um einen verantwortungsvollen Wettbewerb zu gewährleisten”, wie es in der Erklärung weiter hieß.
Biden und Xi hatte derweil bereits am Dienstag über die Situation um Taiwan gesprochen. Dabei hatten sie sich Biden zufolge über die Einhaltung der “One-China-Policy” verständigt: “Ich habe mit Xi über Taiwan gesprochen. Wir sind uns einig, (…) wir werden uns an das Taiwan-Abkommen halten”, sagte Biden laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Äußerung sorgte für Verwunderung darüber, welche Signale Biden damit in Richtung Taipeh senden wollte. Das taiwanische Außenministerium betonte nach Bidens Aussage, dass Washington versichert habe, dass das Engagement für Taiwan “grundsolide” sei und die USA die Insel weiterhin bei der Aufrechterhaltung der Verteidigung unterstützen werde, wie Reuters berichtete. Das Außenministerium erklärte jedoch, es habe die Vereinigten Staaten um Klärung von Bidens Kommentar gebeten.
Taiwans Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng warnte zuvor, die Spannungen mit China seien “am schlimmsten Punkt seit 40 Jahren”. China werde spätestens 2025 zu einer Invasion der Insel in der Lage sein, sagte Chiu. Er räumte ein, dass China bereits die militärische Fähigkeit für eine Invasion jetzt schon habe. Ein solcher Schritt würde jedoch in den kommenden Jahren einfacher werden, sagte Chiu ohne weitere Angaben zu seiner Prognose zu machen. China hatte zuletzt eine Rekordzahl an Kampfjets in den taiwanischen Luftraum geschickt (China.Table berichtete). ari
Hongkong plant eine umfangreiche Urbanisierung im Norden seiner New Territories. In den kommenden Jahrzehnten will die Stadt am Perlfluss am nördlichen Rand ihres Verwaltungsgebiets mehr als eine halbe Million neuer Wohnungen bauen. Das Gebiet an der Grenze zur südchinesischen Tech-Metropole Shenzhen soll bei seiner Fertigstellung rund 2,5 Millionen Menschen beherbergen. Das kündigte Regierungschefin Carrie Lam am Mittwoch im Rahmen ihrer fünften Grundsatzrede vor dem Hongkonger Parlament an.
Etwa 400.000 Wohnungen existieren bereits in den nördlichen New Territories. Mit den Neubauten sollen insgesamt knapp eine Million Apartments zur Verfügung stehen und damit die angespannte Wohnungssituation in der Sonderverwaltungszone entlasten. Im Zuge der Urbanisierung sollen zudem mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze entstehen. Ein großer Teil davon in Technologie-Branchen. “Das alles wird uns helfen, die neuen Möglichkeiten aufzugreifen, die sich durch die vertiefte Zusammenarbeit zwischen Hongkong und Shenzhen ergeben”, sagte Lam, deren Amtszeit im kommenden Jahr endet, sollte sie nicht wiedergewählt werden.
Der von Lam erwähnten tieferen Zusammenarbeit zollt Hongkong mit einer Umstrukturierung seiner Verwaltung Tribut: Die Sektoren Innovation, Technologie und Industrie erhalten ein eigenes Büro, das als Äquivalent zu einem Ministerium gilt. Die Ressorts Transport und Wohnungsbau werden künftig voneinander getrennt verwaltet, und auch Kultur, Sport und Tourismus erfahren eine Aufwertung. Hongkong prüft zudem einen möglichen Handel von Festlandaktien aus Shenzhen an der Hongkonger Börse.
Gleichzeitig kündigte Lam an, dass die Stadt in den kommenden 15 bis 20 Jahren Ausgaben in Höhe von knapp 31 Milliarden US-Dollar plant, um einer weiteren Erderwärmung durch den Klimawandel vorzubeugen. Bis zum Jahr 2035 soll der alltägliche Stromverbrauch in der Stadt ohne Kohlekraft abgedeckt werden. Was zu dem alltäglichen Bedarf gezählt wird, spezifizierte Lam zunächst nicht. grz
Das Reiseaufkommen während der Golden Week ist im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten um ein Drittel zurückgegangen. Nach Angaben des Transportministeriums lag die am Dienstag gemessene Anzahl der Fahrten auf Chinas Straßen, Schienen und anderen Verkehrswegen 33,8 Prozent unter dem Niveau von 2019, wie Bloomberg berichtet. Ähnlich sah es demnach auch an den ersten fünf Tage der Urlaubswoche aus: Während dieser Zeit sei das Reiseaufkommen durchschnittlich ein Drittel geringer gewesen als vor der Corona-Pandemie.
Auch im Vergleich zum vergangenen Jahr blieben mehr Chinesinnen und Chinesen zu Hause: Dem Bericht zufolge sank die Zahl täglicher Fahrten noch einmal um rund fünf Prozent . Das geringere Reiseaufkommen legt nahe, dass die staatliche “Null-Corona-Strategie” sich auch bei den Ausgaben während der Feierwoche niederschlagen wird. Das eingesparte Geld dürfte die Konsumbereitschaft in anderen Bereichen erhöhen. ari
Die Taliban haben nach eigenen Angaben “uigurische Kämpfer” aus einem Gebiet nahe der afghanischen Grenze zu China entfernt. Das berichtete eine nicht näher genannte Quelle dem US finanzierten Radiosender RFE/RL. Das Vorgehen ließe auf eine zunehmende Koordinierung zwischen Peking und den Machthabern in Afghanistan schließen, erklärten Analysten dem Radiosender. Dem Bericht zufolge soll es sich um Mitglieder der Turkestan Islamic Party (TIP) gehandelt haben. Peking macht die uigurische Extremistengruppe für Unruhen in der westlichen Provinz Xinjiang verantwortlich.
Dem Bericht zufolge befanden sich die TIP-Mitglieder in Badakhshan im Nordosten Afghanistans. Sie seien in andere Provinzen des Landes umgesiedelt worden, die weiter von der Grenze zu China entfernt liegen. “Das ist es, was China will und was die Taliban bieten müssen, um eine engere Zusammenarbeit mit Peking zu fördern”, sagte Bradley Jardine des US-amerikanischen Think Tank Wilson Center’s Kissinger Institute on China gegenüber RFE/RL. Offen sei jedoch, ob die Taliban dieser Forderung vollständig nachkommen könnten, so Jardine.
Die Taliban gaben RFE/RL zufolge uigurischen Extremistengruppen während ihrer Herrschaft in den 1990er-Jahren in Afghanistan Unterschlupf. Es wird demnach angenommen, dass sie immer noch Verbindungen zu ihnen haben. China fordert von den Taliban, alle Verbindungen zu solchen Gruppen abzubrechen (China.Table berichtete). ari
Die Menschenrechtsorganisation International Campaign for Tibet (ITC) hat eine Neuausrichtung der deutschen China-Politik gefordert. “Peking bedroht mittlerweile die Grundlagen der internationalen Ordnung und versucht, auf vielfältige Weise Einfluss zu nehmen auf den demokratischen Prozess und die Meinungsbildung in westlichen Ländern, und gerade auch in Deutschland”, so Kai Müller, Geschäftsführer des deutschen ITC-Ablegers. Die Kommunistische Partei arbeite mit großer Energie daran, internationale Rechtsprinzipien umzudefinieren und “die letzten unabhängigen Menschenrechtsinstitutionen der Vereinten Nationen kaltzustellen”.
Die ITC hat dazu Leitlinien für eine deutsche China-Politik erarbeitet. Dazu zählt, dass die kommende Bundesregierung international dafür eintreten solle, dass Menschenrechtsverletzungen in China Sanktionen gegen verantwortliche Funktionäre zur Folge haben. Deutschland solle sich zudem stärker als bisher mit Tibetern, Uiguren, der Demokratiebewegung Hongkongs und chinesischen Menschenrechtsverteidigern solidarisieren, fordert die Organisation. Auch dem EU-Staat Litauen, der sich im offenen Streit mit China befindet, sollte demnach mehr Solidarität zukommen, so ITC.
Die ITC schlägt weiter vor, die Kooperation mit China beim Klimawandel nicht stillschweigend gegen Menschenrechtsverletzungen aufzurechnen. Ebenso strikt sollte die neue Bundesregierung Bedingungen zur Ratifizierung des Investitionsabkommens zwischen der EU und China (CAI) stellen. Vornehmlich geht es dabei um verpflichtende chinesische Maßnahmen gegen Zwangsarbeit.
Die Organisation fordert, dass Pekings Einflussoperationen in Politik, Medien, Wissenschaft, Bildung oder Sport in Deutschland ernst genommen werden müssen. “Opportunismus und Selbstzensur deformieren schon jetzt den offenen Diskurs in der Gesellschaft”, sagt Müller. ITC warnt zudem vor dem Zugang für chinesische Unternehmen zu technischer Infrastruktur, etwa in der Telekommunikation, “da die Gefahr der Überwachung, Ausspähung, Zensur” durch die chinesischen Behörden bestehe. Die Organisation fordert außerdem einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking 2022. grz
4. – 10. Oktober
Organisiert vom Berliner Senat & Asia Berlin Forum e.V.
Der AsiaBerlin Summit 2021 findet hybrid statt – in Berlin und im Netz. Vom 4. bis zum 10. Oktober tauschen sich Experten und Interessierte über die Start-up-Ökosysteme Asiens und Europas aus. Zum Investors Day kamen am Mittwoch Investor:innen und Gründer:innen aus beiden Regionen zusammen. Table.Media war dabei:
Interessante Einblicke in die Startup-Szene Südostasiens gaben Gründer und Gründerinnen aus Malaysia und Indonesien. In der Diskussion kam immer wieder die China-Frage auf: Während Jurist und Autor Karl Pilny klar dazu riet, eine solide Basis in Südostasien aufzubauen und nicht primär auf den chinesischen Markt zu setzen, betonte Bo Ji, Gründer von ChinaStart, die Wirtschaftschancen Europas im US-chinesischen Handelskrieg.
Min-Sung Sean Kim, Managing Partner bei Digital Health Ventures (DHV) aus Berlin, beobachtet, dass in Europa das Wissen von Start-ups nur langsam wächst. In China hingegen, ähnlich wie zum Gründerboom in Südkorea und Japan in den 1990er- und 2000er-Jahren, könnten kleine Unternehmen deutlich besser mit Wachstum umgehen.
Anbei finden Sie eine Auswahl des Programms für Donnerstag, hier können sich für einzelne Veranstaltungen registrieren. Der Veranstaltungsort ist, wenn nicht anders angegeben, das Spielfeld digitalHub, Skalitzer Str. 85/86, 10997 Berlin. Der hybride Summit nutzt die Brella App. Unter diesem Link können sie dort nach der Registrierung teilnehmen.
EINE AUSWAHL AUS DEM PROGRAMM HEUTE
SATELLITE EVENT | Trends and Best Practices in urban tech, green tech, mobility, advanced materials, and design cooperation between Berlin & China:
09:00 AM Welcome and Opening: Jonas Schorr (Urban Impact), Rainer Seider (AsiaBerlin) SPIELFELD Stage 2
09:10 AM Keynote: Digitalisation and Innovators in China, Speaker: Zheng Han (Tongji University) SPIELFELD Stage 2
10:15 AM Breakout Sessions: Understanding China – The New Normal CN-BC, Speaker: Patrick & Jane Gottelier (DeTao Masters Academy Shanghai), Stephan Spenling (Archimedes Exhibitions) SPIELFELD Stage 2
10:15 AM Breakout Sessions: Opportunities for urban tech startups in the Greater Bay Area – The Assembly, Speaker: Wilson Chan (Hong Kong Science and Technology Parks Corporation (HKSTP), Alex Kovbasko (Urban Impact), Tony Verb (Carbonless Asia) SPIELFELD Stage 3
SATELLITE EVENT | Germany Singapore Business Forum Connect x AsiaBerlin Summit
10:00 AM: Speaker: Laurence Bay (Singapore Ambassador to Germany), Moderator: Claus Karthe (German Entrepreneurship Asia/German Accelerator) hier zum Event.
SATELLITE EVENT: Startup Ecosystem in Hong Kong: Unlocking the Potentials,
10:00 AM: Speaker: Edward Yau (HKSAR Government), Bjoern Lindner (President of the German Chamber of Commerce in Hong Kong), Moderator: Bill Li (Director HKETO Berlin), hier zum Event.
Reparatur nach Havarie: Das Containerschiff Ever Given wird in einer Werft in Qingdao in der ostchinesischen Provinz Shandong wieder instand gesetzt. Der hauptsächlich am Bug beschädigte Frachter wird laut Medienangaben mehr als 20 Tage lang in der Werft bleiben. Die Ever Given, die einem japanischen Unternehmen gehört und von der Evergreen Marine Corp. mit Sitz in Taiwan betrieben wird, war am 23. März im Suezkanal auf Grund gelaufen und hatte damit den weltweiten Schiffsverkehr lahmgelegt. Mithilfe von zehn Schleppern wurde das Schiff dann wieder befreit.
beim informellen Abendessen der EU-Staats- und Regierungschefs im slowenischen Schloss Brdo stand auch – als kleiner Punkt am Ende der Agenda – das Verhältnis zu China auf der Tagesordnung. Aufmerksamkeit gibt es nun für ein Detail in der Mitteilung von EU-Ratschef Charles Michel zu dem Treffen. China werde als “Wettbewerber, Partner und systemischer Rivale” gesehen, so der Belgier. Wer den EU-Dreiklang zur Positionierung gegenüber der Volksrepublik kennt, dem wird auffallen: Bisher hieß dieser “Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale” (“partner, competitior, systemic rival”). Nun scheint “Wettbewerber” an die erste Stelle gerückt zu sein.
In unserer ersten Analyse blicken wir heute erneut auf das Drama um den verschuldeten Immobilienriesen Evergrande. Wie wird Peking reagieren? Bei anderen in die tiefroten Zahlen geratenen Konzernen fiel die Handhabe bisher unterschiedlich aus, erklärt Finn Mayer-Kuckuk. Huachen Automotive musste in die Insolvenz. Die Bank Huarong wurde dagegen gerettet. Doch dabei geht es um mehr als eine reine Entscheidung über Rettung oder Restrukturierung. Im Umgang mit Evergrande lässt sich ablesen, welche Strategie Peking gegenüber Risiken am Finanzmarkt einschlägt.
Der Umgang mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Hongkong ist indes leider schmerzlich absehbar: Gewerkschafter, Aktivisten und Medienvertreter in der Stadt müssen eine Strafverfolgung durch die Behörden fürchten – der Widerstand verlagert sich deshalb zunehmend in das Ausland, schreibt Marcel Grzanna. Er hat mit Ex-Parlamentarier Ted Hui gesprochen.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!
Keiner kann sagen, dass China in der Krise zu weitreichende Sicherheitsnetze spannt. Allein im ersten Halbjahr sind Dutzende große Firmen in die Insolvenz gegangen, was zusammen 15 Milliarden Euro an Schulden hinterlassen hat. Die Finanzaufsicht und die Zentralbank zeigen also durchaus Mut zur Pleite. In einer Staatswirtschaft könnte die Regierung im Prinzip alles retten, das in Schieflage gerät. Doch sie hält sich mit Eingriffen zurück.
Zugleich lässt der langsame Untergang des Immobilienentwicklers Evergrande Beobachter und Marktteilnehmer jedoch rätseln. Wie viel echtes Risiko traut sich Peking? Einerseits hat die KP Chinas mehrfach angekündigt, im Finanzwesen immer mehr auf Marktkräfte zu setzen. “Wir beschleunigen die Entwicklung eines vielschichtigen Kapitalmarkts”, sagte Premier Li Keqiang 2014. “Wir entwickeln einen gut funktionierenden Anleihemarkt.”
Für einen gut funktionierenden Anleihemarkt sind einerseits auch reale Ausfallrisiken nötig. Doch von dem Schicksal der Evergrande-Gruppe hängt andererseits zu viel ab. Vom einfachen Wohnungskäufer bis zur Großbank hängen ganz unterschiedliche Akteure mit drin. Zudem drohen Systemrisiken in Chinas überschuldeten Immobiliensektor. Schon jetzt tun sich auch andere Firmen der Branche schwer, ihre Anleihen umzuwälzen.
Peking befindet sich also in einem Dilemma zwischen der Wahrung der Stabilität, auf die sie so stolz ist, und der Schaffung eines funktionierenden Anleihemarktes. In einem selbsttragenden Kapitalmarkt müssen die Anleger jedoch auch die Risiken großer Institutionen mittragen. Das weiß die Führung, und daher will sie durchaus auch die Marktkräfte walten und Investoren im Zweifelsfall leer ausgehen lassen, wenn sie die falsche Wette abgeschlossen haben.
Doch zu groß dürfen diese nun offenbar auch nicht sein, wie zuletzt wieder eine Reihe von Rettungsaktionen gezeigt hat. Huarong Asset Management ist im Frühjahr für sechseinhalb Milliarden Euro gerettet worden. Das Vorgehen war hier ganz konventionell. Staatsbanken haben die Schulden von Huarong übernommen. Das ebenfalls überschuldete HNA-Konglomerat geht derweil durch eine Restrukturierung, die den verbleibenden Wert der Gruppe anerkennt (China.Table berichtete).
Peking versucht hier ganz offensichtlich, einen Mittelweg zu steuern, der immer näher an die Nutzung von Marktkräften heranführt. Dabei ist klar, dass keines der Extreme auf der Bandbreite der Finanzmarktsysteme für China infrage kommt. Diese zwei Extreme wären eine perfekte Marktwirtschaft auf der einen Seite und reiner Sozialismus ohne Kapitalmarkt auf der anderen Seite.
In einer perfekten Marktwirtschaft gibt es keine Rettungen. Wer scheitert, kann eben seine Schulden nicht zurückzahlen. Die Marktteilnehmer müssen dann den Verlust ihrer Investition hinnehmen. Dementsprechend vorsichtig und klug werden sie ihr Kapital einsetzen. Sie werden es nur guten Firmen anvertrauen. Im reinen Sozialismus gibt es dagegen keine geschäftlichen Risiken. Dafür werden die vorhandenen Ressourcen schlecht genutzt. Ineffizienz, Erfolglosigkeit, Faulheit, Fehlentscheidungen – all das ist für einen zünftigen Staatsbetrieb ziemlich gleichgültig. Es geht nach einem Tadel für die Nichterfüllung des Plans immer weiter.
China kommt nun vom zweiten Modell her und hat nach Jahrzehnten der Reformen einen Punkt erreicht, an dem sich die positiven Effekten des ersten Modells zeigen. Diese positiven Effekte hängen jedoch davon ab, dass der Staat dann doch nicht immer eingreift, wenn es hart auf hart kommt. Das erfordert viel Disziplin. Auch demokratische Politiker in einer sozialen Marktwirtschaft lassen sich gerne für Rettungen feiern, auch wenn sie wirtschaftlich keinen Sinn ergeben. Wenn die Folgeschäden eines Kreditausfalls katastrophal sind, erhalten die Maßnahmen generell viel Zustimmung. Vor allem wenn ein Dominoeffekt quer durch Finanz- und Realwirtschaft droht.
Im Fall Evergrande ist es nun interessant zu beobachten, wie sich die chinesische Regierung verhält. Sie hat den Immobiliensektor selbst ins Rutschen gebracht, indem sie mit den “drei roten Linien” neue Kapitalanforderungen gestellt hat. Es gilt andererseits als sicher, dass sie keine katastrophale Pleite zulassen wird.
Stattdessen wird sie den Immobilienmarkt und das Finanzsystem von einer möglichen Implosion von Evergrande isolieren. Denn eine unkontrollierte Insolvenz würde gleich drei Politikziele in Gefahr bringen: die Zufriedenheit der chinesischen Immobilienkäufer, den Bau neuer Wohnungen und nicht zuletzt das internationale Image der chinesischen Wirtschaft.
Als die US-Bank Lehman Brothers vor 13 Jahren ihren Insolvenzantrag stellte, zeigte sich China fast etwas schadenfroh. Die eigene Finanzbranche brachte solche verdeckten Systemrisiken nicht hervor, weil sie simpler war. Vor allem gelang es Peking mit staatlichen Eingriffen, das Wachstum ausgerechnet im Krisenjahr nach absoluten Werten auf einen Rekord zu hieven. Das sollte die Überlegenheit des eigenen Wirtschaftsmodells zeigen. Eine Evergrande-Pleite mit weitreichenden Systemfolgen wird Staatschef Xi Jinping daher verhindern lassen – egal, was es kostet. Statt einer Rettung des Unternehmens in seiner bestehenden Form wäre beispielsweise eine Übernahme des Immobilienbestands samt Schulden durch staatliche Banken möglich.
Die Kosten wären dabei jedoch höher als der reine Preis für die Lösung. Denn auch wenn zuletzt ab und zu eine Bankeninsolvenz möglich war, verlassen sich die Anleger weiterhin auf die staatliche Rettung. Ein glaubwürdiger Anleihe-Markt braucht jedoch Risiken. Wenn der Staat letztlich für alles haftet, dann erhalten Anleger immer nur Minimalzins, wenn sie Firmen Geld leihen. Denn der Zins ist auch eine Entschädigung für das Risiko. Ohne Risiken gibt es keine sonderlich hohen Zinschancen.
Außerdem geben sich Anleger in einem Vollkasko-Finanzwesen keine Mühe, ihr Geld nur an vertrauenswürdige Unternehmen zu vergeben. Die Mühe zur Erkennung guter und schlechter Geschäftsmodelle lohnt sich für sie nicht. Ohne Ausfallrisiko schwindet also auch die Überwachungsfunktion des Marktes.
Die Vorteile eines funktionierenden Finanzmarktes möchte die kommunistische Regierung jedoch stärken, um nicht weiterhin alles per Hand überwachen zu müssen. Die Zentralbank und die Aufsichtsbehörden überwachen das Finanzwesen immer noch viel zu kleinteilig. In einer zur Hälfte privatisierten Volkswirtschaft mit einem Volumen von zehn Billionen Euro ist dieses Mikromanagement aber eigentlich unmöglich geworden. China hätte also ein Interesse daran, Marktkräfte walten zu lassen. Doch es gelingt der Führung bisher nicht, wirklich loszulassen.
Tatsächlich haben Europa und die USA heute ähnliche Probleme, und Japan schlägt sich schon seit den 1990er-Jahren damit herum. Ökonomen sehen hier generell eine Krise des Kreditwesens. Der unabhängige Ökonom Richard Duncan diagnostiziert hier sogar eine Grundkrise des kapitalistischen Systems. Dieses sollte zumindest eins können: Kapital in die wirtschaftlich aussichtsreichsten Kanäle leiten. Die Zinsen sind jedoch schon seit über einem Jahrzehnt ultraniedrig.
Duncan stellt fest, dass der Kapitalismus, in dem Geld im Regelfall knapp und kostbar sein sollte, durch einen “Kreditismus” ersetzt wurde, indem Wachstum durch immer höhere Kreditvergabe geschaffen wird. Es ist hier zu einem guten Teil egal, wo das Kapital hingeht. Am Anleihemarkt bringt es ohnehin kaum Zinsen. Der Aktienmarkt- und der Immobilienmarkt wiederum wird vom vielen Kapital derweil fast naturnotwendig aufgeschwemmt.
Von letzterem Effekt hat auch Evergrande profitiert. Der chinesische Kapitalismus ist eben auch eher ein Kreditismus mit chinesischen Charakteristiken. Geld gab es immer reichlich. Üppige Finanzierung ist die Grundlage des Wachstumsmodells. Die Regierung hat zwar versucht, die Mittel in sinnvolle Kanäle zu lenken und Dämme durch die Wirtschaft zu ziehen. Am Ende landet das Kapital in China aber eigentlich immer am Immobilienmarkt. Die Gewinne in diesem Segment waren traumhaft und erschienen sicher. Dementsprechend hat sich auch Evergrande präsentiert. Gespräche mit Anlegern bestätigen heute die ursprüngliche Erwartung, dass Peking so ein Unternehmen keinesfalls untergehen lassen werde (China.Table berichtete).
Es war nun wichtig, das finanzielle Kartenhaus Evergrande zunächst einmal einstürzen zu lassen. Sonst hat der chinesische Anleihemarkt keine Chance, jemals glaubwürdig Risiken abzubilden. Zudem passt ein Zusammenbruch von Evergrande zum derzeitigen Kurs, schwerreiche Privatunternehmer in ihre Schranken zu verweisen.
Die chinesischen Wirtschaftsplaner haben sich nun aber eine durchaus sinnvolle Strategie ausgedacht, um die Auswirkungen der Mega-Pleite einzugrenzen. Evergrande selbst darf demnach durchaus kollabieren. Doch um den Kern der Probleme herum will sie Mauern ziehen. Indem sie an den entscheidenden Punkten Kapital zuschießt, verhindert sie ein Übergreifen auf andere Unternehmen. Um einen Pandemie-Vergleich zu bemühen: Sie will den infizierten Evergrande-Konzern isolieren, um weitere Ansteckungen zu verhindern. Eine Reihe von großen Investoren wird Verluste tragen müssen, während die Wohnungskäufer vor den Folgeschäden geschützt sein sollen.
Erste Effekte der Insolvenzen, die China erlaubt und sogar herbeiführt, zeigen sich bereits am Anleihemarkt. Mit der Rückkehr des Risikos steigen sowohl die Rendite und die Verzinsung. Die Rendite steigt, während die Kurse am Markt sinken – diese beiden Kennzahlen verhalten sich bei Anleihen gegenläufig. Die Zinsen steigen, weil sich Anleger die ganz offensichtlich größeren Risiken künftig mit höheren Aufschlägen bezahlen lassen. Das bedeutet aber auch, dass sich Geldanlagen in Anleihen künftig wieder mehr lohnen und sie als Option für Anleger zurückkehren. Auch wenn eine unkontrollierte Pleite von Evergrande katastrophal wäre und verhindert werden wird: Die Zulassung von moderaten Risiken könnte sich für Peking weiter auszahlen.
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam lobte am Mittwoch das Nationale Sicherheitsgesetz über den grünen Klee. Das Chaos in der Stadt sei eingedämmt, und es sei sichergestellt, dass künftig ausschließlich “Patrioten” die Metropole verwalten würden, sagte Lam in ihrer Grundsatzrede vor dem Hongkonger Legislativrat. Der chinesischen Zentralregierung sei es gelungen, ihrem Anspruch bei der Umsetzung des Konzeptes “ein Land, zwei Systeme” treu zu bleiben.
Bis vor einigen Jahren hätte ihre Rede wohl heftigen politischen Widerstand in der Stadt erzeugt. Doch all jene, die Lams Darstellung bestenfalls für die halbe Wahrheit halten, hat das Nationale Sicherheitsgesetz zum Schweigen gebracht. Politische Opposition findet in Hongkong nicht mehr öffentlich statt. Der zivile Widerstand gegen Pekings autoritäre Übernahme der Metropole verlagert sich zunehmend ins Ausland.
Während sich örtliche zivile Organisationen und unabhängige Medienunternehmen reihenweise auflösen, weil sie eine strafrechtliche Verfolgung unter dem Sicherheitsgesetz fürchten müssen, stärken Hongkonger im Exil ihre Lobbyarbeit in Nordamerika, Europa und Australien. Wachsenden Einfluss versuchen ehemalige Politiker der Stadt und Aktivisten vor allem in der US-Hauptstadt Washington zu nehmen.
Mitglieder des Hongkong Democratic Council (HKDC) hatten dort schon 2020 vor dem US-Kongress ausgesagt und die Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechten angeprangert. Inzwischen hat sich das Council personell neu formiert. Die früheren Hongkonger Politiker Nathan Law, Ted Hui und Sunny Cheung verstärken das HKDC als neue Mitglieder im Beirat. In London bekommt die Menschenrechtsorganisation Hongkong Watch neuen Wind durch das Engagement der Exilanten. In Norwegen, Österreich und der Schweiz haben sich pro-demokratische Interessengruppen gebildet, auch in Australien und Kanada bauen die Aktivisten Kommunikationskanäle in die Politik auf.
Über den halben Erdball verteilt streben die Aktivisten dennoch ein gemeinsames Ziel an: Ausländische Unterstützung für die Zivilgesellschaft in Hongkong zu formieren und sich gleichzeitig mit tibetischen und uigurischen Organisationen zu verknüpfen, um zusammen mehr Einfluss auf demokratische Regierungen auszuüben. Sie möchten nicht nur aufmerksam machen auf die Situation in Hongkong, sondern auch für die zunehmende “Infiltration von liberalen Gesellschaften durch die Kommunistische Partei Chinas” sensibilisieren, wie der Ex-Parlamentarier Ted Hui im Gespräch mit China.Table betont.
Hui lebt mit Frau und zwei Kindern im australischen Adelaide. Mit seinen Mitstreitern vor Ort hat er ein Bildungsangebot geschaffen, das in seiner Muttersprache Kantonesisch außerschulische Weiterbildung bietet. Das Ziel: Zumindest aus der Entfernung einer weiteren politischen Sinisierung Hongkongs etwas entgegenzusetzen und demokratische Werte zu fördern. Auch in Melbourne gibt es nun solch ein Angebot. “Weltweit verbreitet die KP ihre Propaganda über Bildungseinrichtungen im Ausland. Wir bieten ein ideologisches Gegengewicht, damit Hongkongs Kultur und Sprache nicht exklusiv durch chinesische Regierungskanäle kuratiert wird“, sagt Hui.
Zumal der Strom der Auswanderungswilligen nicht abreiße. Täglich würden 1.000 bis 2.000 Menschen Hongkong mit der Absicht verlassen, nicht mehr zurückzukehren. Die fortschreitend erzwungene Auflösung der Zivilgesellschaft in der Stadt versetzt die Menschen in große Sorge. Zahlreiche Organisationen befinden sich in Auflösung oder sind bereits abgewickelt:
Führende Köpfe befinden sich teilweise in Haft oder erwarten Strafverfolgung, weil sie von den Behörden unter Regierungschefin Carrie Lam als “feindlich” eingestuft und der Kollaboration mit ausländischen Kräften beschuldigt werden, was seit dem Sicherheitsgesetz mit langen Haftstrafen geahndet werden kann. Die Lehrervereinigung mit ihren 95.000 Mitgliedern, die seit Mitte der 1970er-Jahre das Bildungswesen der Stadt demokratisch geprägt hatte, geriet ins Kreuzfeuer chinesischer Staatsmedien, die sie als “Tumor” bezeichneten (China.Table berichtete). Zahlreiche unliebsame Lehrer an Schulen und Universitäten sind bereits aus dem Staatsdienst entlassen worden.
Die chinesische Zentralregierung sieht zwischen der Wucht der politischen Säuberung und der Flucht Zehntausender Familien aus der Stadt offiziell jedoch keinen Zusammenhang. Im Gegenteil befinde sich die Stadt “auf dem richtigen Weg”, wie der Sonderbeauftragte für Hongkong und Macau, Huang Liuquan, kürzlich bei einem Besuch betonte. Jungen Menschen aus Hongkong empfahl er, in der Volksrepublik nach guten Jobs Ausschau zu halten.
Unabhängige, chinesischsprachige Medien, die Pekings Position kritisch kommentieren könnten, gibt es kaum mehr in Stadt. Nach der Einstellung der pro-demokratischen Tageszeitung Apple Daily Ende Juni, hat sich auch deren Muttergesellschaft Next Digital aufgelöst. Deren Verantwortliche inklusive ihres Gründers und Verlegers Jimmy Lai sitzen in Haft.
Die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt RTHK setzt ihre Arbeit derweil zwar fort, hat aber neue Richtlinien erhalten, die sie beauftragen, zum Erhalt der “konstitutionellen Ordnung” zu sorgen. Im Klartext bedeutet das: Propaganda im Sinne Pekings. Teile des RTHK-Programms wurden deshalb schon gestrichen. Auf dem Sendeplatz des traditionellen City-Forums am Sonntagabend, das jahrzehntelang in Live-Diskussionen diverse Meinungen zu Wort kommen ließ, zeigt RTHK jetzt historische Bürgerkriegsdramen, die von den Erfolgen der Kommunistischen Partei erzählen.
Auch die Zensur des Internets nimmt zu. Die Polizei genießt inzwischen erweiterte Befugnisse, um digitalen Dissens im Keim zu ersticken. Mit der exterritorialen Reichweite des Sicherheitsgesetzes im Rücken versuchen die Behörden außerdem, auch ausländische Serverbetreiber auf Linie zu bringen und ungewünschte Inhalte nicht zuzulassen.
“Die Niederschlagung der gesamten demokratischen Infrastruktur und der Rechtsstaatlichkeit in Hongkong geht nicht nur in einer Geschwindigkeit vor sich, die jeden überrascht. Sie zeigt auch das wahre Gesicht der Kommunistischen Partei Chinas, die nicht einen Funken politischen Dissens akzeptiert“, sagt der frühere dänische Kulturminister Uffe Elbaek zu China.Table.
Das Sicherheitsbüro in Hongkong hatte zu Jahresbeginn ein Ermittlungsverfahren gegen Elbaek eingleitet – eben auf Basis jener exterritorialen Reichweite des Sicherheitsgesetzes. Der Politiker hatte mit einem Täuschungsmanöver gegenüber der Behörden Hongkongs seinem Amtskollegen Ted Hui zur Flucht aus der Stadt verholfen.
“Das ist ein Weckruf für die Europäische Union. Die Europäer müssen begreifen, mit wem sie es zu tun haben”, sagt Elbaek. Der Grünen-Politiker fürchtet, dass Hongkong nur das Vorspiel sein könnte für eine Eroberung des Inselstaats Taiwan. “Die Parole ‘Heute Hongkong, morgen Taiwan’ sollten wir, die demokratischen Staaten dieser Welt, sehr, sehr ernst nehmen.” Die Volksrepublik betrachtet die Republik China, wie Taiwan offiziell heißt, als untrennbaren Teil ihres Territoriums.
US-Präsident Joe Biden und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping planen ein virtuelles Aufeinandertreffen. Dieses solle noch vor Ende des Jahres stattfinden, berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf das Weiße Haus am Mittwoch. Die Ankündigung ließ vermuten, dass kein persönliches Aufeinandertreffen von Biden und Xi beim G20-Gipfel in Rom Ende Oktober stattfinden wird. Chinas Staats- und Parteiführung lässt bisher offen, ob Xi zum Gipfel nach Italien reist. Er hat die Volksrepublik seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 nicht verlassen.
Persönlich trafen sich am Mittwoch bereits der US-amerikanische Sicherheitsberater Jake Sullivan und der chinesische Chefdiplomat Yang Jiechi. Sullivan drückte dabei in Zürich seine Bedenken über Pekings Vorgehen in verschiedenen Bereichen aus. Wie das Weiße Haus in einer Erklärung mitteilte, habe Sullivan unter anderem die Menschenrechtslage in der Provinz Xinjiang und Hongkong sowie die Konflikte mit Taiwan und im Südchinesischen Meer angesprochen. Sullivan machte demnach auch deutlich, dass die USA weiterhin auf höchster Ebene mit der Volksrepublik zusammenarbeiten werden, “um einen verantwortungsvollen Wettbewerb zu gewährleisten”, wie es in der Erklärung weiter hieß.
Biden und Xi hatte derweil bereits am Dienstag über die Situation um Taiwan gesprochen. Dabei hatten sie sich Biden zufolge über die Einhaltung der “One-China-Policy” verständigt: “Ich habe mit Xi über Taiwan gesprochen. Wir sind uns einig, (…) wir werden uns an das Taiwan-Abkommen halten”, sagte Biden laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Äußerung sorgte für Verwunderung darüber, welche Signale Biden damit in Richtung Taipeh senden wollte. Das taiwanische Außenministerium betonte nach Bidens Aussage, dass Washington versichert habe, dass das Engagement für Taiwan “grundsolide” sei und die USA die Insel weiterhin bei der Aufrechterhaltung der Verteidigung unterstützen werde, wie Reuters berichtete. Das Außenministerium erklärte jedoch, es habe die Vereinigten Staaten um Klärung von Bidens Kommentar gebeten.
Taiwans Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng warnte zuvor, die Spannungen mit China seien “am schlimmsten Punkt seit 40 Jahren”. China werde spätestens 2025 zu einer Invasion der Insel in der Lage sein, sagte Chiu. Er räumte ein, dass China bereits die militärische Fähigkeit für eine Invasion jetzt schon habe. Ein solcher Schritt würde jedoch in den kommenden Jahren einfacher werden, sagte Chiu ohne weitere Angaben zu seiner Prognose zu machen. China hatte zuletzt eine Rekordzahl an Kampfjets in den taiwanischen Luftraum geschickt (China.Table berichtete). ari
Hongkong plant eine umfangreiche Urbanisierung im Norden seiner New Territories. In den kommenden Jahrzehnten will die Stadt am Perlfluss am nördlichen Rand ihres Verwaltungsgebiets mehr als eine halbe Million neuer Wohnungen bauen. Das Gebiet an der Grenze zur südchinesischen Tech-Metropole Shenzhen soll bei seiner Fertigstellung rund 2,5 Millionen Menschen beherbergen. Das kündigte Regierungschefin Carrie Lam am Mittwoch im Rahmen ihrer fünften Grundsatzrede vor dem Hongkonger Parlament an.
Etwa 400.000 Wohnungen existieren bereits in den nördlichen New Territories. Mit den Neubauten sollen insgesamt knapp eine Million Apartments zur Verfügung stehen und damit die angespannte Wohnungssituation in der Sonderverwaltungszone entlasten. Im Zuge der Urbanisierung sollen zudem mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze entstehen. Ein großer Teil davon in Technologie-Branchen. “Das alles wird uns helfen, die neuen Möglichkeiten aufzugreifen, die sich durch die vertiefte Zusammenarbeit zwischen Hongkong und Shenzhen ergeben”, sagte Lam, deren Amtszeit im kommenden Jahr endet, sollte sie nicht wiedergewählt werden.
Der von Lam erwähnten tieferen Zusammenarbeit zollt Hongkong mit einer Umstrukturierung seiner Verwaltung Tribut: Die Sektoren Innovation, Technologie und Industrie erhalten ein eigenes Büro, das als Äquivalent zu einem Ministerium gilt. Die Ressorts Transport und Wohnungsbau werden künftig voneinander getrennt verwaltet, und auch Kultur, Sport und Tourismus erfahren eine Aufwertung. Hongkong prüft zudem einen möglichen Handel von Festlandaktien aus Shenzhen an der Hongkonger Börse.
Gleichzeitig kündigte Lam an, dass die Stadt in den kommenden 15 bis 20 Jahren Ausgaben in Höhe von knapp 31 Milliarden US-Dollar plant, um einer weiteren Erderwärmung durch den Klimawandel vorzubeugen. Bis zum Jahr 2035 soll der alltägliche Stromverbrauch in der Stadt ohne Kohlekraft abgedeckt werden. Was zu dem alltäglichen Bedarf gezählt wird, spezifizierte Lam zunächst nicht. grz
Das Reiseaufkommen während der Golden Week ist im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten um ein Drittel zurückgegangen. Nach Angaben des Transportministeriums lag die am Dienstag gemessene Anzahl der Fahrten auf Chinas Straßen, Schienen und anderen Verkehrswegen 33,8 Prozent unter dem Niveau von 2019, wie Bloomberg berichtet. Ähnlich sah es demnach auch an den ersten fünf Tage der Urlaubswoche aus: Während dieser Zeit sei das Reiseaufkommen durchschnittlich ein Drittel geringer gewesen als vor der Corona-Pandemie.
Auch im Vergleich zum vergangenen Jahr blieben mehr Chinesinnen und Chinesen zu Hause: Dem Bericht zufolge sank die Zahl täglicher Fahrten noch einmal um rund fünf Prozent . Das geringere Reiseaufkommen legt nahe, dass die staatliche “Null-Corona-Strategie” sich auch bei den Ausgaben während der Feierwoche niederschlagen wird. Das eingesparte Geld dürfte die Konsumbereitschaft in anderen Bereichen erhöhen. ari
Die Taliban haben nach eigenen Angaben “uigurische Kämpfer” aus einem Gebiet nahe der afghanischen Grenze zu China entfernt. Das berichtete eine nicht näher genannte Quelle dem US finanzierten Radiosender RFE/RL. Das Vorgehen ließe auf eine zunehmende Koordinierung zwischen Peking und den Machthabern in Afghanistan schließen, erklärten Analysten dem Radiosender. Dem Bericht zufolge soll es sich um Mitglieder der Turkestan Islamic Party (TIP) gehandelt haben. Peking macht die uigurische Extremistengruppe für Unruhen in der westlichen Provinz Xinjiang verantwortlich.
Dem Bericht zufolge befanden sich die TIP-Mitglieder in Badakhshan im Nordosten Afghanistans. Sie seien in andere Provinzen des Landes umgesiedelt worden, die weiter von der Grenze zu China entfernt liegen. “Das ist es, was China will und was die Taliban bieten müssen, um eine engere Zusammenarbeit mit Peking zu fördern”, sagte Bradley Jardine des US-amerikanischen Think Tank Wilson Center’s Kissinger Institute on China gegenüber RFE/RL. Offen sei jedoch, ob die Taliban dieser Forderung vollständig nachkommen könnten, so Jardine.
Die Taliban gaben RFE/RL zufolge uigurischen Extremistengruppen während ihrer Herrschaft in den 1990er-Jahren in Afghanistan Unterschlupf. Es wird demnach angenommen, dass sie immer noch Verbindungen zu ihnen haben. China fordert von den Taliban, alle Verbindungen zu solchen Gruppen abzubrechen (China.Table berichtete). ari
Die Menschenrechtsorganisation International Campaign for Tibet (ITC) hat eine Neuausrichtung der deutschen China-Politik gefordert. “Peking bedroht mittlerweile die Grundlagen der internationalen Ordnung und versucht, auf vielfältige Weise Einfluss zu nehmen auf den demokratischen Prozess und die Meinungsbildung in westlichen Ländern, und gerade auch in Deutschland”, so Kai Müller, Geschäftsführer des deutschen ITC-Ablegers. Die Kommunistische Partei arbeite mit großer Energie daran, internationale Rechtsprinzipien umzudefinieren und “die letzten unabhängigen Menschenrechtsinstitutionen der Vereinten Nationen kaltzustellen”.
Die ITC hat dazu Leitlinien für eine deutsche China-Politik erarbeitet. Dazu zählt, dass die kommende Bundesregierung international dafür eintreten solle, dass Menschenrechtsverletzungen in China Sanktionen gegen verantwortliche Funktionäre zur Folge haben. Deutschland solle sich zudem stärker als bisher mit Tibetern, Uiguren, der Demokratiebewegung Hongkongs und chinesischen Menschenrechtsverteidigern solidarisieren, fordert die Organisation. Auch dem EU-Staat Litauen, der sich im offenen Streit mit China befindet, sollte demnach mehr Solidarität zukommen, so ITC.
Die ITC schlägt weiter vor, die Kooperation mit China beim Klimawandel nicht stillschweigend gegen Menschenrechtsverletzungen aufzurechnen. Ebenso strikt sollte die neue Bundesregierung Bedingungen zur Ratifizierung des Investitionsabkommens zwischen der EU und China (CAI) stellen. Vornehmlich geht es dabei um verpflichtende chinesische Maßnahmen gegen Zwangsarbeit.
Die Organisation fordert, dass Pekings Einflussoperationen in Politik, Medien, Wissenschaft, Bildung oder Sport in Deutschland ernst genommen werden müssen. “Opportunismus und Selbstzensur deformieren schon jetzt den offenen Diskurs in der Gesellschaft”, sagt Müller. ITC warnt zudem vor dem Zugang für chinesische Unternehmen zu technischer Infrastruktur, etwa in der Telekommunikation, “da die Gefahr der Überwachung, Ausspähung, Zensur” durch die chinesischen Behörden bestehe. Die Organisation fordert außerdem einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking 2022. grz
4. – 10. Oktober
Organisiert vom Berliner Senat & Asia Berlin Forum e.V.
Der AsiaBerlin Summit 2021 findet hybrid statt – in Berlin und im Netz. Vom 4. bis zum 10. Oktober tauschen sich Experten und Interessierte über die Start-up-Ökosysteme Asiens und Europas aus. Zum Investors Day kamen am Mittwoch Investor:innen und Gründer:innen aus beiden Regionen zusammen. Table.Media war dabei:
Interessante Einblicke in die Startup-Szene Südostasiens gaben Gründer und Gründerinnen aus Malaysia und Indonesien. In der Diskussion kam immer wieder die China-Frage auf: Während Jurist und Autor Karl Pilny klar dazu riet, eine solide Basis in Südostasien aufzubauen und nicht primär auf den chinesischen Markt zu setzen, betonte Bo Ji, Gründer von ChinaStart, die Wirtschaftschancen Europas im US-chinesischen Handelskrieg.
Min-Sung Sean Kim, Managing Partner bei Digital Health Ventures (DHV) aus Berlin, beobachtet, dass in Europa das Wissen von Start-ups nur langsam wächst. In China hingegen, ähnlich wie zum Gründerboom in Südkorea und Japan in den 1990er- und 2000er-Jahren, könnten kleine Unternehmen deutlich besser mit Wachstum umgehen.
Anbei finden Sie eine Auswahl des Programms für Donnerstag, hier können sich für einzelne Veranstaltungen registrieren. Der Veranstaltungsort ist, wenn nicht anders angegeben, das Spielfeld digitalHub, Skalitzer Str. 85/86, 10997 Berlin. Der hybride Summit nutzt die Brella App. Unter diesem Link können sie dort nach der Registrierung teilnehmen.
EINE AUSWAHL AUS DEM PROGRAMM HEUTE
SATELLITE EVENT | Trends and Best Practices in urban tech, green tech, mobility, advanced materials, and design cooperation between Berlin & China:
09:00 AM Welcome and Opening: Jonas Schorr (Urban Impact), Rainer Seider (AsiaBerlin) SPIELFELD Stage 2
09:10 AM Keynote: Digitalisation and Innovators in China, Speaker: Zheng Han (Tongji University) SPIELFELD Stage 2
10:15 AM Breakout Sessions: Understanding China – The New Normal CN-BC, Speaker: Patrick & Jane Gottelier (DeTao Masters Academy Shanghai), Stephan Spenling (Archimedes Exhibitions) SPIELFELD Stage 2
10:15 AM Breakout Sessions: Opportunities for urban tech startups in the Greater Bay Area – The Assembly, Speaker: Wilson Chan (Hong Kong Science and Technology Parks Corporation (HKSTP), Alex Kovbasko (Urban Impact), Tony Verb (Carbonless Asia) SPIELFELD Stage 3
SATELLITE EVENT | Germany Singapore Business Forum Connect x AsiaBerlin Summit
10:00 AM: Speaker: Laurence Bay (Singapore Ambassador to Germany), Moderator: Claus Karthe (German Entrepreneurship Asia/German Accelerator) hier zum Event.
SATELLITE EVENT: Startup Ecosystem in Hong Kong: Unlocking the Potentials,
10:00 AM: Speaker: Edward Yau (HKSAR Government), Bjoern Lindner (President of the German Chamber of Commerce in Hong Kong), Moderator: Bill Li (Director HKETO Berlin), hier zum Event.
Reparatur nach Havarie: Das Containerschiff Ever Given wird in einer Werft in Qingdao in der ostchinesischen Provinz Shandong wieder instand gesetzt. Der hauptsächlich am Bug beschädigte Frachter wird laut Medienangaben mehr als 20 Tage lang in der Werft bleiben. Die Ever Given, die einem japanischen Unternehmen gehört und von der Evergreen Marine Corp. mit Sitz in Taiwan betrieben wird, war am 23. März im Suezkanal auf Grund gelaufen und hatte damit den weltweiten Schiffsverkehr lahmgelegt. Mithilfe von zehn Schleppern wurde das Schiff dann wieder befreit.