die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, überraschte am Dienstag mit einer Ankündigung: Sie strebe keine zweite Amtszeit an, teilte die Chilenin mit. Sie ist nicht die erste Hochkommissarin, die nach einer Amtszeit hinschmeißt. Aber der Zeitpunkt, den Bachelet für ihre Ankündigung wählte, wirft Fragen auf. Gibt es einen Zusammenhang zu dem international stark kritisierten China-Besuch der UN-Vertreterin?
Der lang erwartete Bericht zur Bewertung chinesischer Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang steht jedenfalls immer noch aus. Kritiker sehen sich deshalb bestätigt, dass die frühere chilenische Staatspräsidentin nie Interesse daran hatte, China wirklich zu prüfen – und lieber möglichen Ärger mit einem wichtigen Handelspartner ihres Heimatlandes vermeiden will.
Zahlreiche Mitgliedsstaaten der UN schätzen die Lage in Xinjiang dagegen dramatischer ein, als Bachelet das offensichtlich tut. 47 Länder hatten sich zu einer gemeinsamen Stellungnahme zusammengetan, um Chinas Menschenrechtsverletzungen in der Region scharf zu verurteilen. Darunter auch die Bundesrepublik, zahlreiche demokratische Staaten des politischen Westens, aber auch afrikanische Vertreter wie Liberia.
Doch zu Wahrheit gehört leider auch, dass die kubanische Vertretung im Namen von 79 anderen Staaten die Einmischung in innere Angelegenheiten kategorisch ablehnte und damit signalisierte, nicht genau hinschauen zu wollen, was in Xinjiang vor sich geht. Die Kräfteverhältnisse innerhalb des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen sind also keineswegs zugunsten demokratischer Grundprinzipien ausgerichtet.
Doch vielleicht hat sich Michelle Bachelet bei der Verharmlosung der Lage in Xinjiang einfach dem Mehrheitswillen angeschlossen. Zynisch gesagt, wäre das ja dann auch schon wieder demokratisch.
Mit dem Ende ihrer Amtszeit im Blick versicherte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte die zeitnahe Veröffentlichung eines China-Berichts. Bis Ende August will Michelle Bachelet vorlegen, worauf viele Regierungen der Welt seit Jahren warten. Das Papier soll Einschätzungen des Menschenrechtsrats zu systematischen chinesischen Verbrechen an den Uiguren in Xinjiang liefern. Auf dieser Grundlage könnten andere Staaten mögliche politische Konsequenzen im Umgang mit der Volksrepublik formulieren.
Doch in ihrer knapp vier Jahre währenden Amtszeit hat Bachelet es bislang nicht geschafft, die Lage in Xinjiang öffentlich nachlesbar zu bewerten. Jetzt soll es spätestens am 31. August so weit sein. Das ist ihr letzter Tag als UN-Hochkommissarin. Ihren Rückzug hatte sie am Montag angekündigt. Es sei Zeit, in ihre Heimat zurückzukehren, sagte die frühere chilenische Staatspräsidentin.
Zahlreiche Kritiker ihrer Arbeit werfen Bachelet eine bewusste Verschleppung vor. Sie habe nie ein Interesse daran gehabt, frühzeitig einen Bericht zu China zu veröffentlichen, lautet der Vorwurf. Zu diesen Kritikern zählt Emma Reilly, eine irische Anwältin, die ein knappes Jahrzehnt für den Menschenrechtsrat in Genf gearbeitet hatte, ehe sie im Herbst vergangenen Jahres wegen ihrer öffentlichen Forderung nach einem Kurswechsel des Rates entlassen wurde. “Frau Bachelet spricht der chinesischen Regierung von Tag eins ihrer Amtszeit nach dem Mund. Und nichts liegt ihr ferner, als Peking für seine dramatisch schlechte Menschenrechtsbilanz öffentlich zu kritisieren”, sagt Reilly im Gespräch mit China.Table.
Tatsächlich bestätigte Bachelet zum Auftakt der 50. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats zu Wochenbeginn in Genf, dass sie nicht dazu bereit ist, den internationalen Konsens von anerkannten Xinjiang-Forschern zu akzeptieren. Die sind sich aufgrund der Quellenlage sicher, dass eine siebenstellige Zahl an Uiguren und anderen muslimischen Minderheiten gegen ihren Willen in Internierungslagern festgehalten werden, in denen “Folter, Vergewaltigung und andere Misshandlungen weit verbreitet” seien.
Stattdessen bemühte Bachelet auch am Dienstag die Rhetorik der chinesischen Regierung, indem sie abermals von Ausbildungszentren sprach statt von Internierungslagern. Die neuerliche Verzögerung bei der Veröffentlichung des Berichts rechtfertigte sie damit, dass die Erkenntnisse aus ihrer China-Reise Ende Mai noch in das Dokument eingearbeitet werden müssten. Was vordergründig nachvollziehbar klingt, enthält dennoch einen eklatanten Widerspruch. Denn Bachelet hatte ihre Reise in die Volksrepublik explizit nicht als Untersuchung bezeichnet. Welche Inhalte sollen den UN-Bericht bereichern, wenn es die Hochkommissarin zu einem diplomatischen Austausch in die Volksrepublik gezogen hatte?
Die jetzt final angekündigte Veröffentlichung dürfte die Erwartungen all jener enttäuschen, die sich eine kritische Bewertung durch den UN-Menschenrechtsrat erhoffen. Zumal Bachelet angekündigt hat, das Dokument vor seiner Veröffentlichung der chinesischen Regierung “für eine sachliche Kommentierung” vorlegen zu wollen. Mit anderen Worten: Peking kann auf unliebsame Stellen einwirken und den UN-Bericht über seine eigenen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang nach eigenen Vorstellungen mitgestalten.
Die Kritik ist daher laut und deutlich. “Viele Mitarbeiter innerhalb des Rates, mit denen ich zuletzt gesprochen habe, sind regelrecht angewidert von Bachelets Amtsführung. Aber sie sind machtlos, das zu ändern, und niemand traut sich, öffentlich aufzubegehren”, sagt Anwältin Reilly. Sie dagegen begehrte auf und zahlte die Quittung mit jahrelanger Ächtung innerhalb der Organisation.
2013 hatte die Juristin die Weitergabe von Namen chinesischer Dissidenten an chinesische Behörden durch Mitarbeiter des Menschenrechtsrates angeprangert. Es handelte sich um Namen derjenigen, die vom Rat gehört werden sollten. Reilly sagt, dadurch hätten chinesische Behörden die Zeit bekommen, Familienmitglieder der Dissidenten in der Volksrepublik vorab zu bedrohen. Als sich die Praxis nicht änderte und Reilly zunehmend isoliert wurde, ging sie 2017 erstmals an die Öffentlichkeit. Als Bachelet im September 2018 das Amt der Hochkommissarin übernahm, startete die Irin mehrere Anläufe, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. “Bis heute hat Frau Bachelet meinen Fall ignoriert”, sagt sie.
Einer, dessen Name an die chinesischen Behörden weitergeben wurde, ist Dolkun Isa, heute Präsident des Weltkongresses der Uiguren (WuC) mit Sitz in München. Er erfuhr im Jahr 2013 erst durch Emma Reilly, dass sein Name den Chinesen übermittelt wurde. Ihm war zuvor vom Menschenrechtsrat versichert worden, dass man alles tun werde, um ihn zu schützen. Weil sein Fall bereits viele Jahre zurückliegt, hegt er keinen persönlichen Groll gegen Michelle Bachelet, sagt er.
Allerdings sagt Isa auch: “Die UN-Hochkommissarin hat eine historische Chance vertan, die Verbrechen gegen die Uiguren in Xinjiang auf höchster politischer Ebene zu verurteilen. Wir sind sehr enttäuscht”, sagt Isa. Zumal die Veröffentlichung der Xinjiang Police Files kurze Zeit zuvor noch einmal deutliche Beweise zutage gebracht hatte, die zahlreiche Augenzeugenberichte bestätigten.
Über Bachelets Beweggründe können auch ihre Kritiker nur spekulieren. Mit ihren politischen Wurzeln bei den chilenischen Sozialisten gilt sie als US-kritisch. Ihr Vater war Luftwaffen-General unter dem demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende. Dessen Amtszeit beendete ein Militärputsch, den die Amerikaner 1973 massiv unterstützten. Ihre Familie und sie selbst wurden Opfer von Folter unter Diktator Augusto Pinochet. Später floh Bachelet mit ihrer Mutter in die ehemalige DDR.
Als zweimalige Präsidentin ihres Heimatlandes pflegte sie beste Beziehungen nach Peking. 2017 rührte sie in ganz Südamerika die Werbetrommel für Chinas Belt and Road Initiative (BRI). “Chile schätzt die großen Anstrengungen Chinas bei der Suche nach neuen Ansatzmechanismen, Konnektivität, Innovation und nachhaltiger Entwicklung”, sagte sie damals mit Verweis auf zunehmenden Protektionismus in den USA und Europa. Ihr Land, so Bachelet damals, sei bereit, die Brücke zu bilden zwischen Asien und Lateinamerika.
Im vergangenen Jahr war Chile Ziel von chinesischen Investitionen im Wert von rund 13 Milliarden US-Dollar – Platz vier in der Welt. Chile war das erste Land des Kontinents, das 2005 mit China einen Freihandelsvertrag abschloss. Seitdem kletterte das Handelsvolumen kontinuierlich auf rund 55 Milliarden Dollar im Vorjahr. Das entspricht einem Sechstel des gesamten Volumens Südamerikas. Fast 40 Prozent aller chilenischer Exporte finden ihren Weg in die Volksrepublik. Die USA als zweitgrößter Abnehmer chilenischer Produkte zeichnen für gerade einmal 16 Prozent verantwortlich.
Der brutale Übergriff in einem Restaurant in Tangshan wirft erneut ein Schlaglicht auf sexuell motivierte Gewalt gegenüber Frauen in China – und das weit über die Landesgrenzen hinaus. Was haben Sie empfunden, als Sie die Bilder sahen?
Um ehrlich zu sein, habe ich mir das Video nicht angesehen, weil ich schon weiß, was mich erwartet. Solche Ereignisse sind nichts Neues in China. Gewalttätige Übergriffe finden hier jeden Tag massenhaft statt. Die Dinge ändern sich nicht. Deshalb muss ich nicht auf das Video klicken und mir einen weiteren Vorfall ansehen. Ich sitze gerade in Shanghai im Lockdown und versuche, zusätzliche negative Gefühle zu vermeiden. Und ich weiß, dass diese Bilder mich belasten würden. Ich muss in dieser harten Zeit an meine eigene Gesundheit denken.
Könnte die massive Empörung, die der Fall nun erregt, etwas an den Verhältnissen ändern?
Die Menschen haben leider ein schlechtes Gedächtnis, was solche Vorfälle angeht. Zuerst reagieren sie wütend und schockiert. Aber die Wahrheit ist: Diese Nachrichten reißen nicht ab. Man denke an den Fall der angeketteten Frau in Xuzhou im vergangenen Jahr, den Fall von häuslicher Gewalt in Xi’an im Januar und all die Meldungen über Männer, die ihre Frauen auf der Straße attackiert und sogar umgebracht haben. Ein Grund für die Vergesslichkeit könnte darin liegen, dass die Menschen von diesen Nachrichten einerseits traumatisiert sind, sich gleichzeitig aber ohnmächtig fühlen, weil sie an den Verhältnissen nichts ändern können. Deshalb entscheiden sie sich dazu, diese Dinge schnell wieder zu verdrängen. Und dann wirkt es so, als sei nie etwas geschehen. Bis es zum nächsten gewaltsamen Übergriff kommt.
Würden Sie sagen, dass es sich um ein gesellschaftliches oder auch ein politisches Problem handelt?
Ich denke, dieser Vorfall beleuchtet nicht in erster Linie das Problem fehlender Frauenrechte. Es beleuchtet eher die Privilegierung chinesischer Männer. Die meisten von ihnen haben nie gelernt, Frauen zu respektieren oder das Leben an sich zu respektieren. Männer, die sich so verhalten, wurden ihr Leben lang bevorteilt. Sie müssen bestraft werden, um endlich so etwas wie Angst zu empfinden. Sexuelle Belästigung und geschlechterspezifische Diskriminierung sind in China weit verbreitet. Wenn ich sehe, wie ein Mann auf der Straße eine Frau schlägt, würde ich immer einschreiten. Aber ich bin groß und stark, deshalb kann ich dafür eher Mut aufbringen als andere Frauen. In den meisten Situationen schreitet in China niemand in solchen Situationen ein. Die Menschen gehen davon aus, dass es sich um Privatangelegenheiten, Beziehungsprobleme oder Familienstreitigkeiten handelt. Da wollen sie sich nicht einmischen.
Kann die Politik oder eine Bewegung wie “Metoo” für mehr Sicherheit sorgen?
Es gibt eine Metoo-Bewegung in China, aber auch sie kann nichts an den Verhältnissen ändern. Es gab beispielsweise eine Aktivistin, die damals nach Xuzhou gefahren ist, um sich für die angekettete Frau einzusetzen. Seit drei Monaten ist der Kontakt zu ihr abgebrochen. Das ist der Elefant im Raum. Deshalb ist es unmöglich, wirkliche Veränderungen zu erreichen. Ich werde nicht so tun, als lebte ich an einem Ort, wo es einen Spielraum für diese Dinge gibt. Auch, weil ich in Shanghai dieses Jahr eine Menge erleben musste. Wenn eine Regierung ihre Bürger mit Gewalt traktiert und mit ihnen tut, was immer sie will, wird das auf jeden Fall kleine und größere Mobber ermutigen, sich ebenso aufzuführen. Das ist die Wurzel des Problems: Dieses Land ist voll von toxischer Männlichkeit.
Eloise Fan arbeitet seit acht Jahren als Creative Director in der Werbeindustrie in Shanghai. Nebenher betreibt die 29-Jährige das Musiklabel Scandal, das feministischen chinesischen Künstlerinnen eine Plattform bieten will.
Gewalt gegen Frauen ist auch in China allgegenwärtig, häufig aber mit starker Tabuisierung verbunden. Das scheint sich nun zu ändern. Ein brutaler Angriff auf eine Gruppe von Frauen in einem Restaurant in der Stadt Tangshan nordöstlich von Peking sorgt landesweit für Entsetzen und Empörung.
Videoaufnahmen des Vorfalls zeigen, wie ein Mann in dem Restaurant seine Hand auf den Rücken einer Frau legt, die von zwei Freundinnen begleitet wird. Als die Frau den Mann versucht wegzustoßen, schlägt er sie. Weitere Männer zerren die Frau gewaltsam aus dem Restaurant und schlagen auf sie ein, während sie auf dem Boden liegt. Die Männer prügeln auch auf die Freundinnen ein.
Zwei der drei Frauen wurden bei der Attacke schwer verletzt. Sie müssen im Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei hat nach eigenen Angaben neun Menschen im Zusammenhang mit dem Vorfall festgenommen. Ihnen wird Körperverletzung und die “Provokation von Unruhe” vorgeworfen, berichten Nachrichtenagenturen.
Die Videoaufnahmen gingen am Wochenende im chinesischen Internet viral und lösten eine Debatte über sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen aus. “All dies ist Alltag in China und kann uns jederzeit allen passieren”, schrieb eine Nutzerin, dem mehrere Hunderttausend beipflichteten. Von “Barbarei in einer völlig verrohten Gesellschaft“, schrieb eine zweite. Ihr Beitrag wurde nach einigen Stunden von den Zensurbehörden aber wieder gelöscht. flee
Die Internationale Arbeitsorganisation IAO will eine Mission in die Autonome Region Xinjiang entsenden. Das berichtet der Spiegel. Eine Vollversammlung der ILO-Mitgliedsstaaten nahm mit Mehrheit einen entsprechenden Antrag an. Als Begründung nennt er ausdrücklich “die Anwendung repressiver Maßnahmen gegen die Uiguren“. Vom 27. Mai bis Ende vergangener Woche tagte der Internationale Arbeitskongress mit 4.000 Delegierten.
Die IAO gilt gemeinhin als “zahnlose Tigerin“, die ihre Prinzipien nicht durchsetzen kann (China.Table berichtete). Am Freitag hat die IAO auch beschlossen, dass alle ihre 187 Mitgliedstaaten “das Grundrecht auf ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld” gewährleisten. Doch auch darunter versteht jedes Land etwas anderes. So hat auch China ein IAO-Abkommen gegen Zwangsarbeit unterzeichnet (China.Table berichtete) – sieht darin aber keine Widersprüche zur eigenen Praxis, weil es Zwangsarbeit auch in Xinjiang offiziell nicht gibt. fin
Chinas Behörden haben neue Regeln für mobile Apps erlassen. Die Anbieter von Messaging- und Informations-Apps dürfen ab dem 1. August nur noch Nutzer bedienen, die sich mit ihrem echten Namen authentifiziert haben, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Laut den neuen Vorschriften sind die App-Anbieter auch für die in der App präsentierten Inhalte verantwortlich. Sie dürfen dem Bericht zufolge keine “illegalen Informationen” produzieren oder weiterverbreiten und sollen “unerwünschten Informationen” vorbeugen. Die App-Anbieter sollen zudem “sozialistische Grundwerte” fördern, so die Vorschrift.
Den App-Stores wird eine größere Aufsichtspflicht zugeschrieben. Sie sollen die Identifikationsdaten der App-Entwickler strenger überprüfen, bevor sie Apps in ihren Stores anbieten oder verkaufen. Die neuen Vorschriften verbieten es App-Anbietern demnach auch, Minderjährigen Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die sie dazu verleiten könnten, mehr Zeit online zu verbringen oder mehr Geld auszugeben. Auch dürfen keine Informationen verbreitet werden, die die “körperliche und geistige Gesundheit” von Minderjährigen gefährden könnten.
Derzeit ist noch unklar, was genau mit “illegalen” und “unerwünschten Informationen” genau gemeint ist oder welche Inhalte die “geistige Gesundheit” von Minderjährigen gefährden sollen. Es gilt jedoch als sicher, dass diese neue Maßnahme die Kontrolle der Behörden über das Internet weiter ausweiten wird. Indem App-Anbieter in die Pflicht genommen werden, erhöht Peking den Druck, damit die Anbieter schon in vorauseilendem Gehorsam Inhalte zensieren. nib
Die investigative Nachrichtenseite Factwire aus Hongkong hat am Freitag ihre sofortige Auflösung angekündigt. “In den letzten Jahren hatten die Medien mit großen Veränderungen zu kämpfen. Obwohl wir viele Male mit der schwierigen Entscheidung gerungen haben, ob wir unsere journalistische Arbeit fortsetzen, sind wir immer zu dem gleichen bejahenden Schluss gekommen: fest zu unseren Grundwerten und Überzeugungen zu stehen und immer über die Fakten zu berichten”, teilte Factwire mit.
Zu den Gründen für das Aus nannte das Team zunächst keine weiteren Details. Es ist die vierte große unabhängige Nachrichten-Plattform, die sich in weniger als einem Jahr in Hongkong auflöst. Apple Daily, Stand News und Citizen News wurden unter massivem Druck der Hongkonger Regierung geschlossen (China.Table berichtete). ari
Eine Reihe neuer Schulbücher im Fach Staatsbürgerkunde sollen Hongkonger Schülern das Bild vermitteln, dass China Hongkong nie offiziell als Kolonie Großbritanniens anerkannt hat. Die Bücher, die sich laut lokalen Berichten an Schüler der vierten Klasse richten, erläutern demnach, dass die Briten das Kolonialrecht nach den Opiumkriegen eigenmächtig und unter Zwang ausgeübt hätten. China habe seine Souveränität nie aufgegeben. Die Bücher vertreten auch Pekings Narrativ, dass die Protestbewegung von 2019 von “ausländischen Kräften” angetrieben wurde.
Das neue Lehrmaterial ist Teil einer umfassenderen Überarbeitung der Lehrpläne in der Sonderverwaltungszone, die in Zukunft einen besonderen Fokus auf “nationale Sicherheit und Patriotismus” legen sollen. Peking macht die Bildung an Schulen und Universitäten für die pro-demokratischen Proteste der vergangenen Jahre mitverantwortlich. Die noch bis zum Monatsende amtierende Regierungschefin von Hongkong, Carrie Lam, erklärte, die Schüler bräuchten Schutz davor, “vergiftet” und mit “falschen und voreingenommenen Informationen” versorgt zu werden.
Anfang des Monats hatte das Bildungsministerium der Stadt zudem einen Erlass veröffentlicht, nachdem Englischlehrer aus dem Ausland in Hongkong künftig einen Treue-Eid leisten müssen, um lehren zu dürfen. Bis zum 21. Juni müssen alle muttersprachlichen Englischlehrerinnen und -lehrer eine Erklärung unterzeichnen, in der steht, dass sie Hongkong die Treue halten, das Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungszone respektieren und der Regierung gegenüber verantwortlich sind. Sollten sie sich weigern oder nicht daran halten, werde ihr Vertrag gekündigt. fpe
Es sind dreißig Jahre vergangen, seit Malin Oud als 18-Jährige zum ersten Mal mit dem Rucksack nach China gereist ist. Die meisten anderen ihrer Freude gingen damals nach Indien. “Ich musste die Dinge aber immer anders angehen als die anderen”, sagt Oud lächelnd.
Mit der Transsibirischen Eisenbahn startet die Schwedin eine siebenmonatige Abenteuerreise in ein Land, das trotz der langsamen Öffnung seit den 1980er-Jahren noch weit davon entfernt ist, sich für westlichen Massentourismus zu öffnen. “Es gab große Landesteile, die man als Touristin nicht besuchen durfte, man schlief in den entsprechenden Hotels, die für Touristen vorgesehen waren und zahlte mit der Touristenwährung”, erzählt Oud.
Über die Geschichte Chinas weiß sie damals jedoch kaum etwas – nur, dass nur drei Jahre zuvor in Pekings Zentrum auf dem Tiananmen-Platz die junge chinesische Demokratiebewegung gewaltsam niedergeschlagen wurde. Erst nach und nach lernt sie durch ihr Studium unter anderem an der Yunnan-Universität in Kunming die wechselhafte Entwicklung Chinas in den vergangenen hundert Jahren kennen. Es sind die persönlichen Geschichten, die ihre chinesischen Dozenten zum Beispiel über die Zeit der Kulturrevolution erzählen, die Ouds Interesse am schwierigen Thema der Menschenrechte in China wecken.
Mittlerweile leitet die Schwedin das Stockholmer Büro des Raoul Wallenberg Instituts für Menschenrechte (RWI) und ist Direktorin des China-Programms des Instituts. Anfang der 2000er Jahre hat Oud außerdem eine Dependance in Peking aufgebaut und etabliert. Neun Jahre lebte sie in Peking. “Diese Periode war besonders interessant. Zu Beginn trat China der Welthandelsorganisation bei und am Ende trug es die Olympischen Sommerspiele aus”, sagt Oud.
Es ist auch eine gute Zeit für Institutionen wie das RWI, das über Partnerprogramme mit chinesischen Universitäten versuchen will, Brücken zwischen China und dem Westen zu bauen. “Es herrschte damals eine relative Offenheit und ein Interesse der Chinesen daran, mehr über andere Länder zu erfahren und auch über internationale Menschenrechte”, sagt Oud. Sensibel war das Thema jedoch auch in dieser Periode.
In den vergangenen Jahren ist der Raum für diese Art der Zusammenarbeit in China allerdings immer weiter geschrumpft, sagt Oud. Den Beginn markierte das “Dokument Nr. 9”, das noch vor Xi Jinpings Amtsantritt parteiintern ausgegeben wurde. Diskussionen über alternative Regierungssysteme oder unabhängigen Journalismus sind seither verboten.
Der Westen habe daraufhin eine Strategie entwickelt, die Politik und Wirtschaft voneinander trennt. Keine gute Idee, so Oud. “Wir können nicht am Montag mit China über Menschenrechte diskutieren und am Dienstag heißt es Business as usual.” Oud ist es wichtig, dass der Konflikt zwischen dem Westen und China kein Zusammenstoß zwischen den Gesellschaften ist, sondern ein Wettkampf der politischen Systeme.
In China habe sie viele Menschen kennengelernt, die sich auch nach mehr Freiheiten sehnen. “Der Wandel muss aber von innen heraus kommen. Wir können uns nicht auf Sanktionen verlassen oder China den Respekt für Menschenrechte aufzwingen”, sagt Oud. Ein entscheidender Baustein dürfte die persönliche Zusammenarbeit zwischen chinesischen und westlichen Kollegen sein, ist sich Oud sicher. David Renke
die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, überraschte am Dienstag mit einer Ankündigung: Sie strebe keine zweite Amtszeit an, teilte die Chilenin mit. Sie ist nicht die erste Hochkommissarin, die nach einer Amtszeit hinschmeißt. Aber der Zeitpunkt, den Bachelet für ihre Ankündigung wählte, wirft Fragen auf. Gibt es einen Zusammenhang zu dem international stark kritisierten China-Besuch der UN-Vertreterin?
Der lang erwartete Bericht zur Bewertung chinesischer Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang steht jedenfalls immer noch aus. Kritiker sehen sich deshalb bestätigt, dass die frühere chilenische Staatspräsidentin nie Interesse daran hatte, China wirklich zu prüfen – und lieber möglichen Ärger mit einem wichtigen Handelspartner ihres Heimatlandes vermeiden will.
Zahlreiche Mitgliedsstaaten der UN schätzen die Lage in Xinjiang dagegen dramatischer ein, als Bachelet das offensichtlich tut. 47 Länder hatten sich zu einer gemeinsamen Stellungnahme zusammengetan, um Chinas Menschenrechtsverletzungen in der Region scharf zu verurteilen. Darunter auch die Bundesrepublik, zahlreiche demokratische Staaten des politischen Westens, aber auch afrikanische Vertreter wie Liberia.
Doch zu Wahrheit gehört leider auch, dass die kubanische Vertretung im Namen von 79 anderen Staaten die Einmischung in innere Angelegenheiten kategorisch ablehnte und damit signalisierte, nicht genau hinschauen zu wollen, was in Xinjiang vor sich geht. Die Kräfteverhältnisse innerhalb des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen sind also keineswegs zugunsten demokratischer Grundprinzipien ausgerichtet.
Doch vielleicht hat sich Michelle Bachelet bei der Verharmlosung der Lage in Xinjiang einfach dem Mehrheitswillen angeschlossen. Zynisch gesagt, wäre das ja dann auch schon wieder demokratisch.
Mit dem Ende ihrer Amtszeit im Blick versicherte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte die zeitnahe Veröffentlichung eines China-Berichts. Bis Ende August will Michelle Bachelet vorlegen, worauf viele Regierungen der Welt seit Jahren warten. Das Papier soll Einschätzungen des Menschenrechtsrats zu systematischen chinesischen Verbrechen an den Uiguren in Xinjiang liefern. Auf dieser Grundlage könnten andere Staaten mögliche politische Konsequenzen im Umgang mit der Volksrepublik formulieren.
Doch in ihrer knapp vier Jahre währenden Amtszeit hat Bachelet es bislang nicht geschafft, die Lage in Xinjiang öffentlich nachlesbar zu bewerten. Jetzt soll es spätestens am 31. August so weit sein. Das ist ihr letzter Tag als UN-Hochkommissarin. Ihren Rückzug hatte sie am Montag angekündigt. Es sei Zeit, in ihre Heimat zurückzukehren, sagte die frühere chilenische Staatspräsidentin.
Zahlreiche Kritiker ihrer Arbeit werfen Bachelet eine bewusste Verschleppung vor. Sie habe nie ein Interesse daran gehabt, frühzeitig einen Bericht zu China zu veröffentlichen, lautet der Vorwurf. Zu diesen Kritikern zählt Emma Reilly, eine irische Anwältin, die ein knappes Jahrzehnt für den Menschenrechtsrat in Genf gearbeitet hatte, ehe sie im Herbst vergangenen Jahres wegen ihrer öffentlichen Forderung nach einem Kurswechsel des Rates entlassen wurde. “Frau Bachelet spricht der chinesischen Regierung von Tag eins ihrer Amtszeit nach dem Mund. Und nichts liegt ihr ferner, als Peking für seine dramatisch schlechte Menschenrechtsbilanz öffentlich zu kritisieren”, sagt Reilly im Gespräch mit China.Table.
Tatsächlich bestätigte Bachelet zum Auftakt der 50. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats zu Wochenbeginn in Genf, dass sie nicht dazu bereit ist, den internationalen Konsens von anerkannten Xinjiang-Forschern zu akzeptieren. Die sind sich aufgrund der Quellenlage sicher, dass eine siebenstellige Zahl an Uiguren und anderen muslimischen Minderheiten gegen ihren Willen in Internierungslagern festgehalten werden, in denen “Folter, Vergewaltigung und andere Misshandlungen weit verbreitet” seien.
Stattdessen bemühte Bachelet auch am Dienstag die Rhetorik der chinesischen Regierung, indem sie abermals von Ausbildungszentren sprach statt von Internierungslagern. Die neuerliche Verzögerung bei der Veröffentlichung des Berichts rechtfertigte sie damit, dass die Erkenntnisse aus ihrer China-Reise Ende Mai noch in das Dokument eingearbeitet werden müssten. Was vordergründig nachvollziehbar klingt, enthält dennoch einen eklatanten Widerspruch. Denn Bachelet hatte ihre Reise in die Volksrepublik explizit nicht als Untersuchung bezeichnet. Welche Inhalte sollen den UN-Bericht bereichern, wenn es die Hochkommissarin zu einem diplomatischen Austausch in die Volksrepublik gezogen hatte?
Die jetzt final angekündigte Veröffentlichung dürfte die Erwartungen all jener enttäuschen, die sich eine kritische Bewertung durch den UN-Menschenrechtsrat erhoffen. Zumal Bachelet angekündigt hat, das Dokument vor seiner Veröffentlichung der chinesischen Regierung “für eine sachliche Kommentierung” vorlegen zu wollen. Mit anderen Worten: Peking kann auf unliebsame Stellen einwirken und den UN-Bericht über seine eigenen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang nach eigenen Vorstellungen mitgestalten.
Die Kritik ist daher laut und deutlich. “Viele Mitarbeiter innerhalb des Rates, mit denen ich zuletzt gesprochen habe, sind regelrecht angewidert von Bachelets Amtsführung. Aber sie sind machtlos, das zu ändern, und niemand traut sich, öffentlich aufzubegehren”, sagt Anwältin Reilly. Sie dagegen begehrte auf und zahlte die Quittung mit jahrelanger Ächtung innerhalb der Organisation.
2013 hatte die Juristin die Weitergabe von Namen chinesischer Dissidenten an chinesische Behörden durch Mitarbeiter des Menschenrechtsrates angeprangert. Es handelte sich um Namen derjenigen, die vom Rat gehört werden sollten. Reilly sagt, dadurch hätten chinesische Behörden die Zeit bekommen, Familienmitglieder der Dissidenten in der Volksrepublik vorab zu bedrohen. Als sich die Praxis nicht änderte und Reilly zunehmend isoliert wurde, ging sie 2017 erstmals an die Öffentlichkeit. Als Bachelet im September 2018 das Amt der Hochkommissarin übernahm, startete die Irin mehrere Anläufe, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. “Bis heute hat Frau Bachelet meinen Fall ignoriert”, sagt sie.
Einer, dessen Name an die chinesischen Behörden weitergeben wurde, ist Dolkun Isa, heute Präsident des Weltkongresses der Uiguren (WuC) mit Sitz in München. Er erfuhr im Jahr 2013 erst durch Emma Reilly, dass sein Name den Chinesen übermittelt wurde. Ihm war zuvor vom Menschenrechtsrat versichert worden, dass man alles tun werde, um ihn zu schützen. Weil sein Fall bereits viele Jahre zurückliegt, hegt er keinen persönlichen Groll gegen Michelle Bachelet, sagt er.
Allerdings sagt Isa auch: “Die UN-Hochkommissarin hat eine historische Chance vertan, die Verbrechen gegen die Uiguren in Xinjiang auf höchster politischer Ebene zu verurteilen. Wir sind sehr enttäuscht”, sagt Isa. Zumal die Veröffentlichung der Xinjiang Police Files kurze Zeit zuvor noch einmal deutliche Beweise zutage gebracht hatte, die zahlreiche Augenzeugenberichte bestätigten.
Über Bachelets Beweggründe können auch ihre Kritiker nur spekulieren. Mit ihren politischen Wurzeln bei den chilenischen Sozialisten gilt sie als US-kritisch. Ihr Vater war Luftwaffen-General unter dem demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende. Dessen Amtszeit beendete ein Militärputsch, den die Amerikaner 1973 massiv unterstützten. Ihre Familie und sie selbst wurden Opfer von Folter unter Diktator Augusto Pinochet. Später floh Bachelet mit ihrer Mutter in die ehemalige DDR.
Als zweimalige Präsidentin ihres Heimatlandes pflegte sie beste Beziehungen nach Peking. 2017 rührte sie in ganz Südamerika die Werbetrommel für Chinas Belt and Road Initiative (BRI). “Chile schätzt die großen Anstrengungen Chinas bei der Suche nach neuen Ansatzmechanismen, Konnektivität, Innovation und nachhaltiger Entwicklung”, sagte sie damals mit Verweis auf zunehmenden Protektionismus in den USA und Europa. Ihr Land, so Bachelet damals, sei bereit, die Brücke zu bilden zwischen Asien und Lateinamerika.
Im vergangenen Jahr war Chile Ziel von chinesischen Investitionen im Wert von rund 13 Milliarden US-Dollar – Platz vier in der Welt. Chile war das erste Land des Kontinents, das 2005 mit China einen Freihandelsvertrag abschloss. Seitdem kletterte das Handelsvolumen kontinuierlich auf rund 55 Milliarden Dollar im Vorjahr. Das entspricht einem Sechstel des gesamten Volumens Südamerikas. Fast 40 Prozent aller chilenischer Exporte finden ihren Weg in die Volksrepublik. Die USA als zweitgrößter Abnehmer chilenischer Produkte zeichnen für gerade einmal 16 Prozent verantwortlich.
Der brutale Übergriff in einem Restaurant in Tangshan wirft erneut ein Schlaglicht auf sexuell motivierte Gewalt gegenüber Frauen in China – und das weit über die Landesgrenzen hinaus. Was haben Sie empfunden, als Sie die Bilder sahen?
Um ehrlich zu sein, habe ich mir das Video nicht angesehen, weil ich schon weiß, was mich erwartet. Solche Ereignisse sind nichts Neues in China. Gewalttätige Übergriffe finden hier jeden Tag massenhaft statt. Die Dinge ändern sich nicht. Deshalb muss ich nicht auf das Video klicken und mir einen weiteren Vorfall ansehen. Ich sitze gerade in Shanghai im Lockdown und versuche, zusätzliche negative Gefühle zu vermeiden. Und ich weiß, dass diese Bilder mich belasten würden. Ich muss in dieser harten Zeit an meine eigene Gesundheit denken.
Könnte die massive Empörung, die der Fall nun erregt, etwas an den Verhältnissen ändern?
Die Menschen haben leider ein schlechtes Gedächtnis, was solche Vorfälle angeht. Zuerst reagieren sie wütend und schockiert. Aber die Wahrheit ist: Diese Nachrichten reißen nicht ab. Man denke an den Fall der angeketteten Frau in Xuzhou im vergangenen Jahr, den Fall von häuslicher Gewalt in Xi’an im Januar und all die Meldungen über Männer, die ihre Frauen auf der Straße attackiert und sogar umgebracht haben. Ein Grund für die Vergesslichkeit könnte darin liegen, dass die Menschen von diesen Nachrichten einerseits traumatisiert sind, sich gleichzeitig aber ohnmächtig fühlen, weil sie an den Verhältnissen nichts ändern können. Deshalb entscheiden sie sich dazu, diese Dinge schnell wieder zu verdrängen. Und dann wirkt es so, als sei nie etwas geschehen. Bis es zum nächsten gewaltsamen Übergriff kommt.
Würden Sie sagen, dass es sich um ein gesellschaftliches oder auch ein politisches Problem handelt?
Ich denke, dieser Vorfall beleuchtet nicht in erster Linie das Problem fehlender Frauenrechte. Es beleuchtet eher die Privilegierung chinesischer Männer. Die meisten von ihnen haben nie gelernt, Frauen zu respektieren oder das Leben an sich zu respektieren. Männer, die sich so verhalten, wurden ihr Leben lang bevorteilt. Sie müssen bestraft werden, um endlich so etwas wie Angst zu empfinden. Sexuelle Belästigung und geschlechterspezifische Diskriminierung sind in China weit verbreitet. Wenn ich sehe, wie ein Mann auf der Straße eine Frau schlägt, würde ich immer einschreiten. Aber ich bin groß und stark, deshalb kann ich dafür eher Mut aufbringen als andere Frauen. In den meisten Situationen schreitet in China niemand in solchen Situationen ein. Die Menschen gehen davon aus, dass es sich um Privatangelegenheiten, Beziehungsprobleme oder Familienstreitigkeiten handelt. Da wollen sie sich nicht einmischen.
Kann die Politik oder eine Bewegung wie “Metoo” für mehr Sicherheit sorgen?
Es gibt eine Metoo-Bewegung in China, aber auch sie kann nichts an den Verhältnissen ändern. Es gab beispielsweise eine Aktivistin, die damals nach Xuzhou gefahren ist, um sich für die angekettete Frau einzusetzen. Seit drei Monaten ist der Kontakt zu ihr abgebrochen. Das ist der Elefant im Raum. Deshalb ist es unmöglich, wirkliche Veränderungen zu erreichen. Ich werde nicht so tun, als lebte ich an einem Ort, wo es einen Spielraum für diese Dinge gibt. Auch, weil ich in Shanghai dieses Jahr eine Menge erleben musste. Wenn eine Regierung ihre Bürger mit Gewalt traktiert und mit ihnen tut, was immer sie will, wird das auf jeden Fall kleine und größere Mobber ermutigen, sich ebenso aufzuführen. Das ist die Wurzel des Problems: Dieses Land ist voll von toxischer Männlichkeit.
Eloise Fan arbeitet seit acht Jahren als Creative Director in der Werbeindustrie in Shanghai. Nebenher betreibt die 29-Jährige das Musiklabel Scandal, das feministischen chinesischen Künstlerinnen eine Plattform bieten will.
Gewalt gegen Frauen ist auch in China allgegenwärtig, häufig aber mit starker Tabuisierung verbunden. Das scheint sich nun zu ändern. Ein brutaler Angriff auf eine Gruppe von Frauen in einem Restaurant in der Stadt Tangshan nordöstlich von Peking sorgt landesweit für Entsetzen und Empörung.
Videoaufnahmen des Vorfalls zeigen, wie ein Mann in dem Restaurant seine Hand auf den Rücken einer Frau legt, die von zwei Freundinnen begleitet wird. Als die Frau den Mann versucht wegzustoßen, schlägt er sie. Weitere Männer zerren die Frau gewaltsam aus dem Restaurant und schlagen auf sie ein, während sie auf dem Boden liegt. Die Männer prügeln auch auf die Freundinnen ein.
Zwei der drei Frauen wurden bei der Attacke schwer verletzt. Sie müssen im Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei hat nach eigenen Angaben neun Menschen im Zusammenhang mit dem Vorfall festgenommen. Ihnen wird Körperverletzung und die “Provokation von Unruhe” vorgeworfen, berichten Nachrichtenagenturen.
Die Videoaufnahmen gingen am Wochenende im chinesischen Internet viral und lösten eine Debatte über sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen aus. “All dies ist Alltag in China und kann uns jederzeit allen passieren”, schrieb eine Nutzerin, dem mehrere Hunderttausend beipflichteten. Von “Barbarei in einer völlig verrohten Gesellschaft“, schrieb eine zweite. Ihr Beitrag wurde nach einigen Stunden von den Zensurbehörden aber wieder gelöscht. flee
Die Internationale Arbeitsorganisation IAO will eine Mission in die Autonome Region Xinjiang entsenden. Das berichtet der Spiegel. Eine Vollversammlung der ILO-Mitgliedsstaaten nahm mit Mehrheit einen entsprechenden Antrag an. Als Begründung nennt er ausdrücklich “die Anwendung repressiver Maßnahmen gegen die Uiguren“. Vom 27. Mai bis Ende vergangener Woche tagte der Internationale Arbeitskongress mit 4.000 Delegierten.
Die IAO gilt gemeinhin als “zahnlose Tigerin“, die ihre Prinzipien nicht durchsetzen kann (China.Table berichtete). Am Freitag hat die IAO auch beschlossen, dass alle ihre 187 Mitgliedstaaten “das Grundrecht auf ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld” gewährleisten. Doch auch darunter versteht jedes Land etwas anderes. So hat auch China ein IAO-Abkommen gegen Zwangsarbeit unterzeichnet (China.Table berichtete) – sieht darin aber keine Widersprüche zur eigenen Praxis, weil es Zwangsarbeit auch in Xinjiang offiziell nicht gibt. fin
Chinas Behörden haben neue Regeln für mobile Apps erlassen. Die Anbieter von Messaging- und Informations-Apps dürfen ab dem 1. August nur noch Nutzer bedienen, die sich mit ihrem echten Namen authentifiziert haben, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Laut den neuen Vorschriften sind die App-Anbieter auch für die in der App präsentierten Inhalte verantwortlich. Sie dürfen dem Bericht zufolge keine “illegalen Informationen” produzieren oder weiterverbreiten und sollen “unerwünschten Informationen” vorbeugen. Die App-Anbieter sollen zudem “sozialistische Grundwerte” fördern, so die Vorschrift.
Den App-Stores wird eine größere Aufsichtspflicht zugeschrieben. Sie sollen die Identifikationsdaten der App-Entwickler strenger überprüfen, bevor sie Apps in ihren Stores anbieten oder verkaufen. Die neuen Vorschriften verbieten es App-Anbietern demnach auch, Minderjährigen Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die sie dazu verleiten könnten, mehr Zeit online zu verbringen oder mehr Geld auszugeben. Auch dürfen keine Informationen verbreitet werden, die die “körperliche und geistige Gesundheit” von Minderjährigen gefährden könnten.
Derzeit ist noch unklar, was genau mit “illegalen” und “unerwünschten Informationen” genau gemeint ist oder welche Inhalte die “geistige Gesundheit” von Minderjährigen gefährden sollen. Es gilt jedoch als sicher, dass diese neue Maßnahme die Kontrolle der Behörden über das Internet weiter ausweiten wird. Indem App-Anbieter in die Pflicht genommen werden, erhöht Peking den Druck, damit die Anbieter schon in vorauseilendem Gehorsam Inhalte zensieren. nib
Die investigative Nachrichtenseite Factwire aus Hongkong hat am Freitag ihre sofortige Auflösung angekündigt. “In den letzten Jahren hatten die Medien mit großen Veränderungen zu kämpfen. Obwohl wir viele Male mit der schwierigen Entscheidung gerungen haben, ob wir unsere journalistische Arbeit fortsetzen, sind wir immer zu dem gleichen bejahenden Schluss gekommen: fest zu unseren Grundwerten und Überzeugungen zu stehen und immer über die Fakten zu berichten”, teilte Factwire mit.
Zu den Gründen für das Aus nannte das Team zunächst keine weiteren Details. Es ist die vierte große unabhängige Nachrichten-Plattform, die sich in weniger als einem Jahr in Hongkong auflöst. Apple Daily, Stand News und Citizen News wurden unter massivem Druck der Hongkonger Regierung geschlossen (China.Table berichtete). ari
Eine Reihe neuer Schulbücher im Fach Staatsbürgerkunde sollen Hongkonger Schülern das Bild vermitteln, dass China Hongkong nie offiziell als Kolonie Großbritanniens anerkannt hat. Die Bücher, die sich laut lokalen Berichten an Schüler der vierten Klasse richten, erläutern demnach, dass die Briten das Kolonialrecht nach den Opiumkriegen eigenmächtig und unter Zwang ausgeübt hätten. China habe seine Souveränität nie aufgegeben. Die Bücher vertreten auch Pekings Narrativ, dass die Protestbewegung von 2019 von “ausländischen Kräften” angetrieben wurde.
Das neue Lehrmaterial ist Teil einer umfassenderen Überarbeitung der Lehrpläne in der Sonderverwaltungszone, die in Zukunft einen besonderen Fokus auf “nationale Sicherheit und Patriotismus” legen sollen. Peking macht die Bildung an Schulen und Universitäten für die pro-demokratischen Proteste der vergangenen Jahre mitverantwortlich. Die noch bis zum Monatsende amtierende Regierungschefin von Hongkong, Carrie Lam, erklärte, die Schüler bräuchten Schutz davor, “vergiftet” und mit “falschen und voreingenommenen Informationen” versorgt zu werden.
Anfang des Monats hatte das Bildungsministerium der Stadt zudem einen Erlass veröffentlicht, nachdem Englischlehrer aus dem Ausland in Hongkong künftig einen Treue-Eid leisten müssen, um lehren zu dürfen. Bis zum 21. Juni müssen alle muttersprachlichen Englischlehrerinnen und -lehrer eine Erklärung unterzeichnen, in der steht, dass sie Hongkong die Treue halten, das Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungszone respektieren und der Regierung gegenüber verantwortlich sind. Sollten sie sich weigern oder nicht daran halten, werde ihr Vertrag gekündigt. fpe
Es sind dreißig Jahre vergangen, seit Malin Oud als 18-Jährige zum ersten Mal mit dem Rucksack nach China gereist ist. Die meisten anderen ihrer Freude gingen damals nach Indien. “Ich musste die Dinge aber immer anders angehen als die anderen”, sagt Oud lächelnd.
Mit der Transsibirischen Eisenbahn startet die Schwedin eine siebenmonatige Abenteuerreise in ein Land, das trotz der langsamen Öffnung seit den 1980er-Jahren noch weit davon entfernt ist, sich für westlichen Massentourismus zu öffnen. “Es gab große Landesteile, die man als Touristin nicht besuchen durfte, man schlief in den entsprechenden Hotels, die für Touristen vorgesehen waren und zahlte mit der Touristenwährung”, erzählt Oud.
Über die Geschichte Chinas weiß sie damals jedoch kaum etwas – nur, dass nur drei Jahre zuvor in Pekings Zentrum auf dem Tiananmen-Platz die junge chinesische Demokratiebewegung gewaltsam niedergeschlagen wurde. Erst nach und nach lernt sie durch ihr Studium unter anderem an der Yunnan-Universität in Kunming die wechselhafte Entwicklung Chinas in den vergangenen hundert Jahren kennen. Es sind die persönlichen Geschichten, die ihre chinesischen Dozenten zum Beispiel über die Zeit der Kulturrevolution erzählen, die Ouds Interesse am schwierigen Thema der Menschenrechte in China wecken.
Mittlerweile leitet die Schwedin das Stockholmer Büro des Raoul Wallenberg Instituts für Menschenrechte (RWI) und ist Direktorin des China-Programms des Instituts. Anfang der 2000er Jahre hat Oud außerdem eine Dependance in Peking aufgebaut und etabliert. Neun Jahre lebte sie in Peking. “Diese Periode war besonders interessant. Zu Beginn trat China der Welthandelsorganisation bei und am Ende trug es die Olympischen Sommerspiele aus”, sagt Oud.
Es ist auch eine gute Zeit für Institutionen wie das RWI, das über Partnerprogramme mit chinesischen Universitäten versuchen will, Brücken zwischen China und dem Westen zu bauen. “Es herrschte damals eine relative Offenheit und ein Interesse der Chinesen daran, mehr über andere Länder zu erfahren und auch über internationale Menschenrechte”, sagt Oud. Sensibel war das Thema jedoch auch in dieser Periode.
In den vergangenen Jahren ist der Raum für diese Art der Zusammenarbeit in China allerdings immer weiter geschrumpft, sagt Oud. Den Beginn markierte das “Dokument Nr. 9”, das noch vor Xi Jinpings Amtsantritt parteiintern ausgegeben wurde. Diskussionen über alternative Regierungssysteme oder unabhängigen Journalismus sind seither verboten.
Der Westen habe daraufhin eine Strategie entwickelt, die Politik und Wirtschaft voneinander trennt. Keine gute Idee, so Oud. “Wir können nicht am Montag mit China über Menschenrechte diskutieren und am Dienstag heißt es Business as usual.” Oud ist es wichtig, dass der Konflikt zwischen dem Westen und China kein Zusammenstoß zwischen den Gesellschaften ist, sondern ein Wettkampf der politischen Systeme.
In China habe sie viele Menschen kennengelernt, die sich auch nach mehr Freiheiten sehnen. “Der Wandel muss aber von innen heraus kommen. Wir können uns nicht auf Sanktionen verlassen oder China den Respekt für Menschenrechte aufzwingen”, sagt Oud. Ein entscheidender Baustein dürfte die persönliche Zusammenarbeit zwischen chinesischen und westlichen Kollegen sein, ist sich Oud sicher. David Renke