Table.Briefing: China

Leben in der Fabrik + Kardinal Zen verhaftet + Impfstoff-Diplomatie am Ende

  • Situation der Arbeiter im Closed Loop
  • Hongkonger Polizei verhaftet Kardinal Joseph Zen
  • Table.Live-Briefing: Ende der Impfstoff-Diplomatie
  • Studie: Immunität zu gering für Lockerungen
  • Mehr Handel mit Afrika
  • Kritischer WHO-Chef auf Social Media zensiert
  • Bachelet-Reise Ende des Monats erwartet
  • Im Portrait: Mark Leonard – Thinktanker mit Blick auf China
Liebe Leserin, lieber Leser,

seit mehreren Wochen arbeiten etliche Unternehmen in China im sogenannten Closed Loop. Das heißt für die Arbeitnehmer: Gegessen, geschlafen und gewohnt wird am Arbeitsplatz – meist in oder an den Fabriken. Ein Zustand, der mit europäischen Arbeitsrechten im Hinterkopf unvorstellbar scheint. Doch auch in der Volksrepublik ist eine Sechs-Tage-Woche mit jeweils Zwölf-Stunden-Tagen, wie sie Tesla im Closed-Loop-System anstrebt, eigentlich nicht erlaubt, schreibt Nico Beckert. Doch es gibt Ausnahmeregelungen. Er hat sich den vermeintlichen Nebenschauplatz der chinesischen Null-Covid-Politik näher angesehen und eine riesige Grauzone gefunden.

Die chinesische Corona-Strategie stand in dieser Woche nicht nur bei der Weltgesundheitsorganisation in der Kritik – auch die positiven Außenwirkungen der Impfstoff-Diplomatie auf Chinas Image schwinden zusehends. Die Lieferungen mit Vakzinen aus der Volksrepublik sind 2022 fast zum Erliegen gekommen, berichteten Stefan Schmalz, Experte für politische Ökonomie, und der Volkswirt Philipp Köncke beim Table.Live-Briefing. Die Stimmung sei unter anderem gekippt, weil sich Peking für seine Lieferungen Geld teuer bezahlen ließ – die Impfstoffe dann aber nicht die gewünschte Wirkung zeigten.

Brisante Nachrichten erreichten die Welt am Mittwochabend aus Hongkong: Kardinal Joseph Zen wurde verhaftet. Dem prominenten Kritiker der chinesischen Regierung und ihrer Religionspolitik wird Verschwörung mit ausländischen Kräften vorgeworfen. Zen war sowohl dem Vatikan und der Kommunistischen Partei ein Dorn im Auge, wie Marcel Grzanna zusammenfasst. Für die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Peking bedeutet die Festnahme aber keinesfalls Entspannung.

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Analyse

Leben in der Fabrik – das harte Covid-Los der Arbeiter

Bei Tesla in Shanghai wurden Arbeiter in der Fabrik isoliert, um Covid-Ansteckungen zu verhindern. Sie sollten zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche arbeiten.
Bei Tesla in Shanghai wurden Arbeiter in der Fabrik isoliert, um Covid-Ansteckungen zu verhindern. Sie sollen zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche arbeiten.

Viele Unternehmen greifen zu einer drastischen Maßnahme, um die Produktion während der Corona-Lockdowns in China aufrechtzuerhalten: Ihre Mitarbeiter übernachten, essen, wohnen in den Fabriken oder angeschlossenen Schlafräumen. Ob Bosch, Tesla, Foxconn, deutsche Mittelständler wie Wirtgen oder chinesische Unternehmenzahlreiche Firmen isolieren ihre Arbeiter in den Fabriken. Sie dürfen das Gelände nicht mehr verlassen. So sollen Ansteckungen verhindert werden. Statt “Home Office” also “Closed Loop” – ein geschlossener Kreislauf.

Bei Tesla in Shanghai erhielten die Arbeiter einen Schlafsack und eine Matratze, wie ein internes Firmen-Memo zeigt. Es gibt allerdings keine Schlafsäle. Die Menschen müssen auf dem Boden der Fabrik schlafen. Laut Memo sollten Duschen und ein “Entertainment-Bereich” aufgebaut werden, wie Bloomberg berichtet. Was klingt wie ein unfreiwilliges Feriencamp auf dem Betriebsgelände, ist allerdings frei von Erholung: Die Arbeiter sollten zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche arbeiten, so das Firmen-Memo. Die Duschen und der Entertainment-Bereich waren noch nicht fertiggestellt, als die Mitarbeiter von dem Closed-Loop-System erfuhren. Doch damit nicht genug: Tesla will nun Tausende Arbeiter in stillgelegten Fabriken und einem alten Militärlager in der Nähe der Tesla-Fabrik in Shanghai isolieren. Aus Platzmangel werden sich die Arbeiter in den behelfsmäßigen Schlafsälen jedoch die Betten teilen müssen. Während die Tagschicht arbeitet, soll die Nachtschicht schlafen. Nachts soll dann die Tagschicht in den gleichen Betten übernachten, wie Bloomberg aus informierten Kreisen erfahren hat.

In Deutschland wären solche Zustände arbeitsrechtlich nicht vorstellbar. Und auch in China widersprechen sie dem Arbeitsrecht. “12 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche sind eindeutig gesetzeswidrig, denn das Arbeitsgesetz erlaubt nur 36 Überstunden pro Monat”, sagt Aidan Chau von China Labour Bulletin (CLB). Doch die chinesische Regierung habe Tesla und andere Unternehmen vom Arbeitsrecht ausgenommen. Sie stehen auf einer “Whitelist” von Unternehmen, die während der Pandemie weiter produzieren dürfen. “Die Regierung steht stark auf der Seite der Unternehmen. Das Wohlergehen der Arbeitnehmer wird vernachlässigt”, beklagt Chau.

Viele Ansteckungen ausgerechnet im Closed Loop

Auch in zwei Bosch-Werken in Taicang wurden die Arbeiter von der Außenwelt isoliert. Sie schlafen, leben und arbeiten isoliert vom Rest der Gesellschaft, wie der Auto-Zulieferer Reuters mitteilte. In Shanghai haben die Behörden Unternehmen dazu aufgerufen, solche Closed-Loop-Systeme aufzubauen. Chau von CLB geht davon aus, dass hunderte Firmen im Closed Loop arbeiten. Dementsprechend schlafen zig Tausende Arbeiter in China übergangsweise in und an den Fabriken und sind von der Außenwelt abgeschottet. Auch andere Städte im Lockdown greifen zu dieser Maßnahme. Einige Firmen in Changchun arbeiteten vier Wochen und länger im Closed-Loop-System, wie Harald Kumpfert, EU-Kammervorsitzenden für Nordostchina sagt (China.Table berichtete).

Teilweise werden dabei Hygiene- und Gesundheitsstandards unterlaufen. Beim Apple-Zulieferer Quanta kam es zuletzt zu Protesten. Mehr als hundert Arbeiter überrannten die Sicherheitskräfte, die die Isolation der Arbeiter an den Werktoren sicherstellen sollten. Vorher war es in der Fabrik an mehreren Tagen zu Corona-Ansteckungen gekommen. Infizierte Arbeiter wurden tagelang nicht von den Kollegen getrennt oder angemessen behandelt. Da in den Schlafräumen bis zu zwölf Arbeiter übernachten, kam es zu weiteren Ansteckungen. Quanta ist einer der größten Auftragsfertiger für Apple und produziert drei Viertel aller Macbooks. Das taiwanische Unternehmen fertigt auch für Tesla. Das Closed-Loop-System wurde ab dem 18. April aufgebaut. Zunächst waren 2.000 Arbeiter auf dem Quanta-Campus. Die Zahl sollte danach weiter erhöht werden.

Quanta ist kein Einzelfall. Auch beim Tesla- und GM-Zulieferer Aptiv kam es innerhalb des Closed Loops zu Covid-Infektionen. Mehr als 1.000 Arbeiter wurden in der Shanghaier Fabrik des Kabelbaum-Herstellers eingepfercht. Doch die Maßnahme hatte keinen Erfolg: Einige Arbeiter steckten sich trotzdem mit dem Coronavirus an.

So erschreckend das Closed-Loop-System und die Isolation der Arbeiter in den Fabriken für westliche Beobachter erscheint, die Arbeiter waren schon vor der Pandemie sehr nah an die Fabriken angebunden, wie Chau sagt. “Sie leben und essen in der Kantine und den Schlafsälen, die von den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Nur an den Wochenenden haben die Arbeitnehmer einen Ruhetag und können den Ort verlassen.”

Wohlergehen der Mitarbeiter: zweitrangig

Shanghai und die Zentralregierung drängen Unternehmen, den Betrieb wieder aufzunehmen. Nur eine geringe Zahl deutscher Unternehmen hat das bisher getan, so Wirtschaftsvertreter. Es fehlt schlicht an der notwendigen Infrastruktur. “Die meisten deutschen Unternehmen in China verfügen nicht über ausreichende Einrichtungen, wie Wohnheime, um den Fabrikarbeitern ein sicheres und angemessenes Umfeld zum Schlafen und Wohnen in den Fabriken zu bieten, und sie können auch keine ausreichende medizinische Versorgung bei Unfällen oder Notfällen gewährleisten”, sagt Maximilian Butek, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Handelskammer in China, Shanghai.

Viele westliche Unternehmer beklagen Chinas Zero-Covid-Politik und ihre negativen Auswirkungen (China.Table berichtete). Doch für die Arbeiter sind die Folgen meist noch gravierender. Viele Millionen von ihnen können übergangsweise gar nicht weiterarbeiten. Baustellen stehen oft still, Dienstleister sparen Personal ein. Doch die Mitarbeiter sind Monat für Monat auf ihr Einkommen angewiesen. “Ich habe drei Kinder, an der Universität, der Mittel- und Grundschule. Der Druck ist enorm”, sagt ein vom Lockdown betroffener Arbeitnehmer gegenüber der New York Times.

Chinas Wanderarbeiter sind besonders hart von den Lockdowns betroffen. Zwar sind ihre Löhne in den vergangenen Jahren gestiegen, doch auch die Lebenskosten in den Städten ziehen rapide an. Die gut 280 Millionen Wanderarbeiter haben kaum Arbeitsrechte. Sie sind von vielen Sozialleistungen wie beispielsweise der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen. Ihre Ersparnisse halten mitunter nur wenige Tage vor. Während der wochenlangen Lockdowns gerieten sie nicht selten in Geldnot. Chinas Premier hat zwar kürzlich angekündigt, den Wanderarbeitern helfen zu wollen. Unklar ist jedoch, in welcher Höhe sie Hilfen erhalten sollen und zu welchen Bedingungen.

Arbeiter werden Covid-Wächter in weißer Schutzkleidung

Nur ein Teil der arbeitslosen Wanderarbeiter findet schnell wieder einen Job – und dann nicht selten im gefährlichen Bereich der “Covid-Kontrolle”. Sie führen die Massentests durch, bei denen Millionen Einwohner zahlreicher Städte auf das Virus getestet werden. Zudem arbeiten sie in den staatlichen Quarantäne-Einrichtungen oder setzen die Abriegelung der Städte oder Stadtteile auf den Straßen durch.

Diese Arbeit ist mitunter gesundheitsgefährdend. “Wir wurden von anderen Freiwilligen geschult, aber sie sind weder medizinische Fachkräfte noch mit den Verfahren vertraut”, sagt ein Wanderarbeiter gegenüber NPR. Sie sind den schlechten Bedingungen in den Quarantäne-Einrichtungen ausgesetzt und stecken sich bei ihrer Arbeit mitunter selbst mit dem Coronavirus an. Einige von NPR befragte Wanderarbeiter hätten nach einer Infektion keinerlei Behandlung erhalten. Zum Ende der Lockdowns und ihres Arbeitseinsatzes müssen sie sich demnach selbst zwei- bis drei Wochen in Quarantäne begeben. Diese Zeit wird einigen Berichten zufolge nicht bezahlt.

Chinas Premier Li hat jüngst vor einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit gewarnt. “Die Stabilisierung der Beschäftigung ist wichtig für den Lebensunterhalt der Menschen”, so Li. Er forderte Unternehmen dazu auf, die Produktion wieder aufzunehmen. Zu den Vorfällen bei Quanta oder der drohenden Überlastung der Arbeiter Teslas äußerste er sich nicht.

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Kardinal Zen in Hongkong festgenommen

Kardinal Joseph Zen, 90, wurde am Mittwoch von den Hongkonger Behörden festgenommen.
Kardinal Joseph Zen, 90, wurde am Mittwoch von den Hongkonger Behörden verhaftet

Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes hatte der Hongkonger Kardinal Joseph Zen Ze-kiun vor zwei Jahren mit einer trotzigen Stellungnahme per Video in sozialen Medien kommentiert. “Wenn richtige und angemessene Worte als Gesetzesverstoß gelten, dann werde ich alle Klagen, Prozesse und Verhaftungen ertragen”, sagte der heute 90-jährige Würdenträger der römisch-katholischen Kirche damals.

Anklage und Prozess gegen Zen stehen zwar noch aus. Die Festnahme ist seit Mittwoch jedoch Realität. Laut South China Morning Post sei der Kardinal ebenso wie die frühere oppositionelle Abgeordnete Margaret Ng und die pro-demokratische Aktivistin und Künstlerin Denise Ho von der Sicherheitspolizei verhaftet und verhört worden. Der Vorwurf gegen das Trio lautet demnach: Verschwörung mit ausländischen Kräften.

Zen, Ng und Ho wurde offenbar ihre Rolle im Zusammenhang mit dem 612 Humanitarian Relief Fund zum Verhängnis, für den sie als Treuhänder tätig waren. Der Fond sammelte zwischen 2019 und 2021 mehr als 30 Millionen US-Dollar ein, auch aus dem Ausland. Das Geld kam unter anderem Demonstranten zugute, die im Rahmen der Massenproteste in der Stadt 2019 festgenommen worden waren und nicht die finanziellen Mittel hatten, um sich vor Gericht verteidigen zu können. Ein weiterer Treuhänder war bereits am Dienstag festgenommen worden. Der fünfte befindet sich bereits seit einer Weile in Haft.

Im Herbst vergangenen Jahres hatten die Verantwortlichen die Auflösung des Fonds verkündet, um einer möglichen Strafverfolgung auf Basis des Sicherheitsgesetzes zu entgehen. Die Behörden hatten damals allerdings schon Ermittlungen eingeleitet, weil sie die Geldströme aus dem Ausland als Verschwörung werteten. Exil-Hongkonger und Parlamentarier beklagten zu diesem Zeitpunkt die systematische Kriminalisierung der Zivilgesellschaft der Stadt (China.Table berichtete).

Zen beklagt den “Ausverkauf der Katholiken” an die KP

Die Festnahme von Kardinal Zen bekommt wegen seines Ranges in der Katholischen Kirche eine besondere Dimension. Jahrelang lagen die Volksrepublik China und der Vatikan im Clinch darüber, wer die Bischöfe des Landes ernennen dürfe. Religion ist der allein regierenden Kommunistischen Partei in marxistischer Tradition grundsätzlich ein Dorn im Auge. Seit Jahrzehnten existieren deswegen in China eine offizielle und eine inoffizielle katholische Kirche. Die offizielle Katholische Patriotische Vereinigung wird von der Partei kontrolliert, die inoffizielle Kirche agiert im Untergrund.

Im Jahr 2018 hatten sich der Vatikan und die Partei schließlich darauf geeinigt, dass die KP die Bischöfe aussuchen dürfe, aber der Papst das letzte Wort über deren Ernennung haben soll. Kardinal Zen kritisierte die Abmachung mit den Worten: “Keine Vereinbarung ist besser als eine schlechte Vereinbarung.” Er beklagte einen Ausverkauf der Gläubigen im Land an die Kommunistische Partei. Die chinesische Regierung “sagt, dass das letzte Wort dem Heiligen Vater gehöre. Das klingt gut, aber es ist eine Täuschung.” Für seine kontroverse Haltung wurde er innerhalb der Kirche scharf kritisiert.

Der Vatikan äußerte sich am Mittwoch in einer kurzen Stellungnahme zu der Festnahme. Ein Sprecher teilte mit, dass man “mit sehr großer Aufmerksamkeit” nach Hongkong schaue, um die dortige Entwicklung im Fall Zen zu verfolgen. Wesentlich schärfer reagierte die slowakische EU-Abgeordnete Miriam Lexmann, Mitglied der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC): “Ich bin schockiert und angewidert von der Verhaftung des mutigen und friedliebenden 90-jährigen Kardinal Zen und der Treuhänder des 612 Humanitarian Relief Fund. Es ist an der Zeit, dass die Staats- und Regierungschefs der EU handeln”, forderte sie auf Twitter.

Auch der Zeitpunkt der Festnahmen war bemerkenswert. Erst am Sonntag war der frühere Sicherheitschef der Stadt, John Lee, zum kommenden Chief Executive der Metropole gewählt worden. Lee war der Wunschkandidat der Pekinger Zentralregierung. (China.Table berichtete.) Wegen seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Polizeidienst gilt er als Idealbesetzung, um politischen Dissens in der Stadt im Keim zu ersticken. Der Gründer der Menschenrechtsorganisation Hongkong Watch, Benedict Rogers, erkannte in den Festnahmen deshalb “zweifellos ein Zeichen dafür, dass Peking beabsichtigt, sein hartes Durchgreifen gegen Grundrechte und Freiheit in Hongkong zu intensivieren.”

Neuer Bischof will zwischen Regierung und Kirche vermitteln

Der Koordinator für den Indopazifik des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Kurt Campbell, äußerte sich derweil besorgt über die Schritte, die in Hongkong unternommen werden, um die Zivilgesellschaft unter Druck zu setzen und auszuschalten. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Lee und andere Hongkonger Funktionäre sowie der KP müssten “für ihren Terror gegen die Menschen” die Konsequenzen zu spüren bekommen, kommentierte EU-Parlamentarierin Lexmann, ohne selbst mögliche Konsequenzen zu formulieren.

Die Festnahme des emeritierten Bischofs Zen dürfte auch in der katholischen Gemeinde in Hongkong mit großer Sorge wahrgenommen werden. Gut zwölf Prozent der Bürger der Stadt bekennen sich zum Christentum. Schulen, Universitäten und soziale Einrichtungen haben oft einen christlichen Hintergrund. Erst vor wenigen Monaten hat der neue Bischof Stephen Chow seinen Posten angetreten. Nach monatelangem Zögern überzeugte ihn erst ein persönliches Schreiben von Papst Franziskus, die Ernennung zu akzeptieren (China.Table berichtete).

Der in Hongkong geborene und in den USA zum Psychologen ausgebildete Kleriker habe die schwierige Aufgabe, “zwischen der Regierung und der Kirche in Hongkong sowie zwischen Katholiken und Christen anderer Konfessionen und Religionen” zu vermitteln, sagte er in seiner Antrittsrede im Dezember.

Zens Festnahme zeigt: Sicherheitskräfte und Staatsanwaltschaft wenden das neue Sicherheitsgesetz konsequent an. 175 pro-demokratische Aktivisten wurden nach offiziellen Angaben seit seiner Einführung verhaftet, 110 wurden angeklagt. Auch andere Kirchenanhänger neben Kardinal Zen hatten diese Entwicklung vorhergesehen. Beispielsweise warnte die Internationale Christliche Gesellschaft ICC davor, dass die chinesische Zentralregierung jede Form des Protests als terroristischen Akt und der Ruf nach Hongkongs Unabhängigkeit von der Volksrepublik als Staatsgefährdung gedeutet würde.

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Pekings Impfstoff-Diplomatie erreicht ihre Grenzen

China hat durch seine Impfstoffexporte im vergangenen Jahr zwar diplomatisches Kapital aufgebaut. Doch die Lieferungen sind 2022 fast völlig zum Erliegen gekommen. Das Land konnte sich mit seinen Exportanstrengungen anfangs als verantwortungsvolle, fortschrittliche Großmacht profilieren. Doch zum bleibenden Erfolg fehlte noch die technische Finesse der Technologieführer aus der EU und USA. Das ist das Fazit einer Veranstaltung von China.Table mit Gästen von der Universität Erfurt. Bei dem Table.Live-Briefing sprachen Stefan Schmalz, Experte für politische Ökonomie, und der Volkswirt Philipp Köncke.

EU überholt China bei globalen Impfstofflieferungen - Chinas Impfstoff-Diplomatie steht vor dem Aus.

Die ersten Lieferungen chinesischer Impfstoffe gingen bereits früh in die Empfängerländer: im Dezember 2020 landete die erste Charge in Indonesien. Während des kompletten Jahres 2021 konnte sich China als hilfsbereiter Partner der Seidenstraßen-Länder und des globalen Südens profilieren. “Dieses Bild bröckelt nun”, sagt Köncke. Zum einen habe die EU bei Impfstofflieferungen massiv aufgeholt: Sie hat inzwischen 2,3 Milliarden Dosen ausgeführt. Das übertrifft deutlich den chinesischen Wert von 1,9 Milliarden Dosen. Grund ist nicht nur die Verfügbarkeit, sondern auch das Image der Impfstoffe. Präparate auf Basis von mRNA gelten heute als wirkungsvoller. Der Strom von Impfstoffen aus China ist daher inzwischen weitgehend versiegt (China.Table berichtete).

China ließ sich die Impfstoff-Lieferungen teuer bezahlen

Chinas “staatsgeleitete Impfstoff-Internationalisierung” war jedoch unterm Strich durchaus erfolgreich. Schließlich war von der EU anfangs nichts zu bekommen – und das ist den weniger privilegierten Ländern im Gedächtnis geblieben. Viele von ihnen waren auf die Lieferungen aus China angewiesen und zeigten sich entsprechend dankbar. Das chinesische Vorgehen hat so ein wenig dazu beigetragen, die globale Schieflage auszugleichen. “China war erfolgreich bei seinem Bestreben, als verantwortungsvolle Großmacht wahrgenommen zu werden”, so Köncke.

Dass die Wahrnehmung nun kippt, liegt allerdings nicht nur an der Wirksamkeit der Produkte von Sinovac und Sinopharm. Die Verschiebung des Machtverhältnisses zugunsten des Westens hänge mit dem chinesischen Vorgehen zusammen, so Köncke. Viele Impfstofflieferungen aus China waren keine Spenden, sondern Verkäufe zu Marktpreisen, also durchaus nicht billig. Der Preis lag in der Größenordnung der Produkte von Biontech und Moderna. Dafür gab es dann aber einen Wirkstoff, der sich gegenüber den Varianten Gamma, Delta und Omikron als weniger wirksam erwies.

Rivalität in Impfstoff-Diplomatie ungünstig

Die beiden Erfurter Experten halten es rückblickend für ungünstig, dass von Anfang an so viel Rivalität herrschte. “Die Impfstoffwelten haben sich zu Schauplätzen geopolitischer Konflikte um Impfstoffproduktion und -verteilung entwickelt”, sagt Köncke. Politologe Schmalz sieht hier unterm Strich massiv schädliche Folgen für die Gesundheit der Weltbevölkerung: “Wenn eine Pandemie mehrere Jahre anhält und es zwischen zentralen Playern nicht zu einer Kooperation kommt, dann bleiben die Ergebnisse hinter dem Möglichen zurück.”

Kanzlerin Angela Merkel habe seinerzeit ausdrücklich darauf gepocht, den deutschen Technologie-Vorsprung zu verteidigen und die Patente zu schützen. Wenn Europa und China ihre gewaltigen Ressourcen transparent zusammengelegt hätten, hätten viel mehr Menschen mit viel mehr unterschiedlichen Wirkstoffklassen beliefert werden können. Stattdessen haben sich seitdem die Gegensätze eher noch vertieft. Die EU und China haben bis heute ihre Impfstoffe nicht gegenseitig anerkannt. Das führt nicht nur zu Problemen für Reisende und Geschäftsleute. Es behindert auch den Weg aus der Pandemie ganz wesentlich.

Die Forschung am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt zu Impfstoffwelten und der Rolle Chinas erfolgt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs “Strukturwandel des Eigentums” der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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News

Studie: Ohne Lockdowns drohen Millionen Covid-Fälle

Sollte Chinas Regierung die Null-Covid-Strategie aufgeben, drohen dem Land 1,6 Millionen Covid-Tote. Das geht aus einer neuen Studie der Fudan-Universität in Shanghai hervor. Die von Experten begutachtete Studie (peer-reviewed) zeigt, dass die durch die bisherigen Impfkampagnen hervorgerufene Immunität in der chinesischen Bevölkerung nicht ausreicht, um ohne strikte Beschränkungen eine Omikron-Welle zu verhindern. Die Kapazitäten der Intensivpflege werden dann überfordert, berichtet Bloomberg.

Ohne die teils harschen Covid-Gegenmaßnahmen wie Massentests und Lockdowns könnte die Ausbreitung von Omikron demnach zu 112 Millionen symptomatischen Fällen, fünf Millionen Krankenhauseinweisungen und 1,6 Millionen Todesfällen führen, so die Studie. Drei Viertel der Todesfälle würde dem Computer-Modell der Studie zufolge unter den über 60-jährigen Bürgerinnen und Bürgern auftreten. In dieser Altersgruppe ist der Impfstatus besonders prekär.

Laut Studie könnte ein Ausweg in antiviralen Medikamenten liegen. Sobald diese leicht verfügbar seien und zur Behandlung einer Großzahl von Coronavirus-Patienten eingesetzt werden können, drohten keine hohen Todeszahlen mehr, selbst wenn die Beschränkungen aufgehoben werden. Am Dienstag meldete Shanghai knapp 1.500 Neuinfektionen. Eine Halbierung zum Montag. Peking meldete 37 neue Fälle, gegenüber 74 am Montag. nib

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Handel zwischen China und Afrika wächst

Chinas bilateraler Handel mit dem afrikanischen Kontinent ist im ersten Quartal 2022 um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum angestiegen. Eine Ursache dafür waren steigende Rohstoffpreise. Die chinesischen Importe aus Afrika stiegen um 29 Prozent auf fast 30 Milliarden US-Dollar. Die Exporte nahmen um 18 Prozent auf 35 Milliarden US-Dollar zu, wie die South China Morning Post berichtet. Die Logistik-Probleme in chinesischen Häfen könnten den Handel in den kommenden Quartalen jedoch beeinträchtigen. Hinzu kommt die Schließung des Hafens von Durban nach einem Unwetter. Über den südafrikanischen Hafen wird demnach fast ein Fünftel des chinesisch-afrikanischen Handels abgewickelt – vor allem Rohstoffe aus der Demokratischen Republik Kongo und Sambia.

Im Jahr 2021 nahm der Handel zwischen China und Afrika auf über 250 Milliarden US-Dollar zu. Ein Anstieg von 35 Prozent gegenüber 2020. Afrikas Exporte nach China machten davon 105 Milliarden aus. Die Zahlen übertreffen laut SCMP die Werte aus dem Zeitraum vor der Pandemie. nib

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Peking zensiert WHO-Chef

Die großen sozialen Netzwerke Chinas haben kritische Beiträge der Vereinten Nationen zur Null-Covid-Politik der Volksrepublik zensiert. In den Weibo- und Wechat-Beiträgen ging es um eine Aussage des Vorsitzenden der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesu. Er hatte gesagt, Chinas Null-Toleranz-Politik zu Covid-19 sei nicht nachhaltig. WeChat hat die Teilen-Funktion bei einem ähnlichen Beitrag der Vereinten Nationen deaktiviert. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums forderte Ghebreyesus auf, “unverantwortliche” Äußerungen zu vermeiden.

“Wir glauben nicht, dass das nachhaltig ist, wenn man sich überlegt, wie sich das Virus verhält und was wir für die Zukunft erwarten können”, hatte WHO-Chef Ghebreyesus am Dienstag gesagt. Er sagte auch, dass eine Verschiebung der Strategie “sehr wichtig” sei. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Peking verteidigte Zhao Lijian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Er sagte, China hoffe, dass der Generaldirektor der WHO Chinas Covid-Politik objektiv betrachten könne.

Ghebreyesus wurde zu Beginn der Corona-Pandemie in den westlichen Medien stark dafür kritisiert, dass die WHO mit Pekings Vorgehen zur Aufdeckung des Ursprungs des Coronavirus zu milde verfahren sei. So wurden monatelang keine Wissenschaftler ins Land gelassen, um in Wuhan nach den Ursprüngen der Pandemie zu forschen. niw/rtr

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Reise von Bachelet Ende Mai erwartet

Der Besuch der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China ist gegen Ende des Monats geplant. Michelle Bachelet werde die seit längerem geplante Reise voraussichtlich Ende Mai antreten, teilte eine Sprecherin der Vereinten Nationen der Nachrichtenagentur Reuters mit. Bachelets Besuch in China wird demnach auch die Region Xinjiang umfassen (China.Table berichtete). Das genaue Reisedatum war bisher nicht bekannt. Bachelets Vorbereitungsteam befindet sich Medienberichten zufolge bereits in der Volksrepublik. rtr

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Presseschau

Portrait

Mark Leonard – blickt bei ECFR auf Geopolitik

Mark Leonard - Mitbegründer des Think-Tanks European Council on Foreign Relations
Mark Leonard – Mitbegründer des Think-Tanks European Council on Foreign Relations

Als einer der Mit-Initiatoren des European Council on Foreign Relations (ECFR) gehört Mark Leonard zum Spitzenpersonal der transatlantischen Think-Tanker. Der Brite ist ein gefragter Mann als politischer Berater und Mitglied wichtiger internationaler Gremien – so fungierte Leonard etwa als Chairman des “Global Agenda Council on Geoeconomics” im Weltwirtschaftsforum. Angesprochen auf die wichtigsten Meilensteine seiner Karriere, nennt er wenig überraschend die Gründung des European Council on Foreign Relations im Jahr 2007 unter Förderung des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair. Aber das ist nicht alles. 

“Der zweite große Meilenstein war mein Buch ‘What does China think?’, das 2008 erschien”, so Leonard. Sein Ziel dabei: “Ich wollte viele der großen Debatten in China, die ich im Jahrzehnt davor beobachtet hatte, mit Leben füllen.” Für sein Buch reiste er mehrfach in die Volksrepublik und verfolgte über mehrere Jahre hinweg die Debatten dort. “Diese haben nicht nur China verändert, sondern hatten auch das Potenzial, die Welt außerhalb zu beeinflussen, aber der Westen war schlicht nicht mit ihnen vertraut”, erklärt Leonard. 

Neugier ist wichtige Voraussetzung

Leonard kritisiert dieses Desinteresse: “Leider war ein Resultat nach dem Ende des Kalten Kriegs, dass viele westliche Think-Tanks wirklich glaubten, wir befänden uns nicht nur am Ende der Geschichte, sondern auch am Ende der Geografie, und dass jeder mehr oder weniger auf der gleichen intellektuellen Reise hin zur liberalen Demokratie und freien Marktwirtschaft wäre.” Viele europäische und US-amerikanische Institutionen hätten auf die Welt gesehen und sich vor allem darauf konzentriert, inwieweit andere Länder den selbst angesetzten Idealen nicht gerecht wurden. “Somit verloren Sie ein Stück weit jene Neugier, die es noch während des Kalten Kriegs gab,” sagt Leonard. 

Leonard ist diese Neugier jedoch nie abhandengekommen, weshalb er auch das European Council on Foreign Relations mit ins Leben rief. “Ich denke, Neugier ist sehr wichtig. Ein Grund, weshalb wir oft Probleme haben, liegt darin begründet, dass wir glauben, andere Menschen würden genauso denken wie wir.” Das habe sich zuletzt auch beim Einmarsch Russlands in der Ukraine gezeigt. Der russische Präsident sei von vielen falsch eingeschätzt worden, sagt Leonard.

Komplizierter als der Kalte Krieg

Leonard ist ein Geopolitik-Allrounder. In den vergangenen sechs Jahren hat er sich verstärkt mit der Globalisierung auseinandergesetzt – dabei behält er die Volksrepublik stets im Blick. “Eines der zentralen Themen der Globalisierung dreht sich um die Beziehung zwischen China und den Vereinigten Staaten”, so der Brite. Dabei untersucht er genauer, wie diese Beziehung seiner Ansicht nach “ein strukturierendes Element unserer Welt ist”. Die Gegenüberstellung der Volksrepublik und der USA wirke dabei extrem kompliziert – und viel komplexer als das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den USA. Denn China und die USA sind sehr tief miteinander verknüpft, so Leonard. Die Konkurrenz zwischen Peking und Washington könnte deshalb viel destabilisierender für die Welt sein als der Kalte Krieg, analysiert Leonard. Constantin Eckner

  • ECFR
  • Geopolitik
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  • USA

Personalie

E.G. Morse wurde von der US-Investmentbank Goldman Sachs zum Co-Präsidenten für China ernannt. Morse war zuvor CEO für Singapur. Er wird künftig von Shanghai aus gemeinsam mit Cai Wei und Fan Xiang die Geschäfte von Goldman Sachs in der Volksrepublik leiten.

  • Goldman Sachs

Dessert

Alles im Lot? Oder eher: Alles waagerecht? Zwei Arbeiter setzen einen Abschnitt der Datong-Qinhuangdao-Eisenbahn in der nordchinesischen Provinz Shanxi instand. Die Strecke ist eine Hauptschlagader des chinesischen Kohletransports.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Bachelet-Reise Ende des Monats erwartet
    • Im Portrait: Mark Leonard – Thinktanker mit Blick auf China
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    seit mehreren Wochen arbeiten etliche Unternehmen in China im sogenannten Closed Loop. Das heißt für die Arbeitnehmer: Gegessen, geschlafen und gewohnt wird am Arbeitsplatz – meist in oder an den Fabriken. Ein Zustand, der mit europäischen Arbeitsrechten im Hinterkopf unvorstellbar scheint. Doch auch in der Volksrepublik ist eine Sechs-Tage-Woche mit jeweils Zwölf-Stunden-Tagen, wie sie Tesla im Closed-Loop-System anstrebt, eigentlich nicht erlaubt, schreibt Nico Beckert. Doch es gibt Ausnahmeregelungen. Er hat sich den vermeintlichen Nebenschauplatz der chinesischen Null-Covid-Politik näher angesehen und eine riesige Grauzone gefunden.

    Die chinesische Corona-Strategie stand in dieser Woche nicht nur bei der Weltgesundheitsorganisation in der Kritik – auch die positiven Außenwirkungen der Impfstoff-Diplomatie auf Chinas Image schwinden zusehends. Die Lieferungen mit Vakzinen aus der Volksrepublik sind 2022 fast zum Erliegen gekommen, berichteten Stefan Schmalz, Experte für politische Ökonomie, und der Volkswirt Philipp Köncke beim Table.Live-Briefing. Die Stimmung sei unter anderem gekippt, weil sich Peking für seine Lieferungen Geld teuer bezahlen ließ – die Impfstoffe dann aber nicht die gewünschte Wirkung zeigten.

    Brisante Nachrichten erreichten die Welt am Mittwochabend aus Hongkong: Kardinal Joseph Zen wurde verhaftet. Dem prominenten Kritiker der chinesischen Regierung und ihrer Religionspolitik wird Verschwörung mit ausländischen Kräften vorgeworfen. Zen war sowohl dem Vatikan und der Kommunistischen Partei ein Dorn im Auge, wie Marcel Grzanna zusammenfasst. Für die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Peking bedeutet die Festnahme aber keinesfalls Entspannung.

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Analyse

    Leben in der Fabrik – das harte Covid-Los der Arbeiter

    Bei Tesla in Shanghai wurden Arbeiter in der Fabrik isoliert, um Covid-Ansteckungen zu verhindern. Sie sollten zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche arbeiten.
    Bei Tesla in Shanghai wurden Arbeiter in der Fabrik isoliert, um Covid-Ansteckungen zu verhindern. Sie sollen zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche arbeiten.

    Viele Unternehmen greifen zu einer drastischen Maßnahme, um die Produktion während der Corona-Lockdowns in China aufrechtzuerhalten: Ihre Mitarbeiter übernachten, essen, wohnen in den Fabriken oder angeschlossenen Schlafräumen. Ob Bosch, Tesla, Foxconn, deutsche Mittelständler wie Wirtgen oder chinesische Unternehmenzahlreiche Firmen isolieren ihre Arbeiter in den Fabriken. Sie dürfen das Gelände nicht mehr verlassen. So sollen Ansteckungen verhindert werden. Statt “Home Office” also “Closed Loop” – ein geschlossener Kreislauf.

    Bei Tesla in Shanghai erhielten die Arbeiter einen Schlafsack und eine Matratze, wie ein internes Firmen-Memo zeigt. Es gibt allerdings keine Schlafsäle. Die Menschen müssen auf dem Boden der Fabrik schlafen. Laut Memo sollten Duschen und ein “Entertainment-Bereich” aufgebaut werden, wie Bloomberg berichtet. Was klingt wie ein unfreiwilliges Feriencamp auf dem Betriebsgelände, ist allerdings frei von Erholung: Die Arbeiter sollten zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche arbeiten, so das Firmen-Memo. Die Duschen und der Entertainment-Bereich waren noch nicht fertiggestellt, als die Mitarbeiter von dem Closed-Loop-System erfuhren. Doch damit nicht genug: Tesla will nun Tausende Arbeiter in stillgelegten Fabriken und einem alten Militärlager in der Nähe der Tesla-Fabrik in Shanghai isolieren. Aus Platzmangel werden sich die Arbeiter in den behelfsmäßigen Schlafsälen jedoch die Betten teilen müssen. Während die Tagschicht arbeitet, soll die Nachtschicht schlafen. Nachts soll dann die Tagschicht in den gleichen Betten übernachten, wie Bloomberg aus informierten Kreisen erfahren hat.

    In Deutschland wären solche Zustände arbeitsrechtlich nicht vorstellbar. Und auch in China widersprechen sie dem Arbeitsrecht. “12 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche sind eindeutig gesetzeswidrig, denn das Arbeitsgesetz erlaubt nur 36 Überstunden pro Monat”, sagt Aidan Chau von China Labour Bulletin (CLB). Doch die chinesische Regierung habe Tesla und andere Unternehmen vom Arbeitsrecht ausgenommen. Sie stehen auf einer “Whitelist” von Unternehmen, die während der Pandemie weiter produzieren dürfen. “Die Regierung steht stark auf der Seite der Unternehmen. Das Wohlergehen der Arbeitnehmer wird vernachlässigt”, beklagt Chau.

    Viele Ansteckungen ausgerechnet im Closed Loop

    Auch in zwei Bosch-Werken in Taicang wurden die Arbeiter von der Außenwelt isoliert. Sie schlafen, leben und arbeiten isoliert vom Rest der Gesellschaft, wie der Auto-Zulieferer Reuters mitteilte. In Shanghai haben die Behörden Unternehmen dazu aufgerufen, solche Closed-Loop-Systeme aufzubauen. Chau von CLB geht davon aus, dass hunderte Firmen im Closed Loop arbeiten. Dementsprechend schlafen zig Tausende Arbeiter in China übergangsweise in und an den Fabriken und sind von der Außenwelt abgeschottet. Auch andere Städte im Lockdown greifen zu dieser Maßnahme. Einige Firmen in Changchun arbeiteten vier Wochen und länger im Closed-Loop-System, wie Harald Kumpfert, EU-Kammervorsitzenden für Nordostchina sagt (China.Table berichtete).

    Teilweise werden dabei Hygiene- und Gesundheitsstandards unterlaufen. Beim Apple-Zulieferer Quanta kam es zuletzt zu Protesten. Mehr als hundert Arbeiter überrannten die Sicherheitskräfte, die die Isolation der Arbeiter an den Werktoren sicherstellen sollten. Vorher war es in der Fabrik an mehreren Tagen zu Corona-Ansteckungen gekommen. Infizierte Arbeiter wurden tagelang nicht von den Kollegen getrennt oder angemessen behandelt. Da in den Schlafräumen bis zu zwölf Arbeiter übernachten, kam es zu weiteren Ansteckungen. Quanta ist einer der größten Auftragsfertiger für Apple und produziert drei Viertel aller Macbooks. Das taiwanische Unternehmen fertigt auch für Tesla. Das Closed-Loop-System wurde ab dem 18. April aufgebaut. Zunächst waren 2.000 Arbeiter auf dem Quanta-Campus. Die Zahl sollte danach weiter erhöht werden.

    Quanta ist kein Einzelfall. Auch beim Tesla- und GM-Zulieferer Aptiv kam es innerhalb des Closed Loops zu Covid-Infektionen. Mehr als 1.000 Arbeiter wurden in der Shanghaier Fabrik des Kabelbaum-Herstellers eingepfercht. Doch die Maßnahme hatte keinen Erfolg: Einige Arbeiter steckten sich trotzdem mit dem Coronavirus an.

    So erschreckend das Closed-Loop-System und die Isolation der Arbeiter in den Fabriken für westliche Beobachter erscheint, die Arbeiter waren schon vor der Pandemie sehr nah an die Fabriken angebunden, wie Chau sagt. “Sie leben und essen in der Kantine und den Schlafsälen, die von den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Nur an den Wochenenden haben die Arbeitnehmer einen Ruhetag und können den Ort verlassen.”

    Wohlergehen der Mitarbeiter: zweitrangig

    Shanghai und die Zentralregierung drängen Unternehmen, den Betrieb wieder aufzunehmen. Nur eine geringe Zahl deutscher Unternehmen hat das bisher getan, so Wirtschaftsvertreter. Es fehlt schlicht an der notwendigen Infrastruktur. “Die meisten deutschen Unternehmen in China verfügen nicht über ausreichende Einrichtungen, wie Wohnheime, um den Fabrikarbeitern ein sicheres und angemessenes Umfeld zum Schlafen und Wohnen in den Fabriken zu bieten, und sie können auch keine ausreichende medizinische Versorgung bei Unfällen oder Notfällen gewährleisten”, sagt Maximilian Butek, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Handelskammer in China, Shanghai.

    Viele westliche Unternehmer beklagen Chinas Zero-Covid-Politik und ihre negativen Auswirkungen (China.Table berichtete). Doch für die Arbeiter sind die Folgen meist noch gravierender. Viele Millionen von ihnen können übergangsweise gar nicht weiterarbeiten. Baustellen stehen oft still, Dienstleister sparen Personal ein. Doch die Mitarbeiter sind Monat für Monat auf ihr Einkommen angewiesen. “Ich habe drei Kinder, an der Universität, der Mittel- und Grundschule. Der Druck ist enorm”, sagt ein vom Lockdown betroffener Arbeitnehmer gegenüber der New York Times.

    Chinas Wanderarbeiter sind besonders hart von den Lockdowns betroffen. Zwar sind ihre Löhne in den vergangenen Jahren gestiegen, doch auch die Lebenskosten in den Städten ziehen rapide an. Die gut 280 Millionen Wanderarbeiter haben kaum Arbeitsrechte. Sie sind von vielen Sozialleistungen wie beispielsweise der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen. Ihre Ersparnisse halten mitunter nur wenige Tage vor. Während der wochenlangen Lockdowns gerieten sie nicht selten in Geldnot. Chinas Premier hat zwar kürzlich angekündigt, den Wanderarbeitern helfen zu wollen. Unklar ist jedoch, in welcher Höhe sie Hilfen erhalten sollen und zu welchen Bedingungen.

    Arbeiter werden Covid-Wächter in weißer Schutzkleidung

    Nur ein Teil der arbeitslosen Wanderarbeiter findet schnell wieder einen Job – und dann nicht selten im gefährlichen Bereich der “Covid-Kontrolle”. Sie führen die Massentests durch, bei denen Millionen Einwohner zahlreicher Städte auf das Virus getestet werden. Zudem arbeiten sie in den staatlichen Quarantäne-Einrichtungen oder setzen die Abriegelung der Städte oder Stadtteile auf den Straßen durch.

    Diese Arbeit ist mitunter gesundheitsgefährdend. “Wir wurden von anderen Freiwilligen geschult, aber sie sind weder medizinische Fachkräfte noch mit den Verfahren vertraut”, sagt ein Wanderarbeiter gegenüber NPR. Sie sind den schlechten Bedingungen in den Quarantäne-Einrichtungen ausgesetzt und stecken sich bei ihrer Arbeit mitunter selbst mit dem Coronavirus an. Einige von NPR befragte Wanderarbeiter hätten nach einer Infektion keinerlei Behandlung erhalten. Zum Ende der Lockdowns und ihres Arbeitseinsatzes müssen sie sich demnach selbst zwei- bis drei Wochen in Quarantäne begeben. Diese Zeit wird einigen Berichten zufolge nicht bezahlt.

    Chinas Premier Li hat jüngst vor einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit gewarnt. “Die Stabilisierung der Beschäftigung ist wichtig für den Lebensunterhalt der Menschen”, so Li. Er forderte Unternehmen dazu auf, die Produktion wieder aufzunehmen. Zu den Vorfällen bei Quanta oder der drohenden Überlastung der Arbeiter Teslas äußerste er sich nicht.

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    Kardinal Zen in Hongkong festgenommen

    Kardinal Joseph Zen, 90, wurde am Mittwoch von den Hongkonger Behörden festgenommen.
    Kardinal Joseph Zen, 90, wurde am Mittwoch von den Hongkonger Behörden verhaftet

    Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes hatte der Hongkonger Kardinal Joseph Zen Ze-kiun vor zwei Jahren mit einer trotzigen Stellungnahme per Video in sozialen Medien kommentiert. “Wenn richtige und angemessene Worte als Gesetzesverstoß gelten, dann werde ich alle Klagen, Prozesse und Verhaftungen ertragen”, sagte der heute 90-jährige Würdenträger der römisch-katholischen Kirche damals.

    Anklage und Prozess gegen Zen stehen zwar noch aus. Die Festnahme ist seit Mittwoch jedoch Realität. Laut South China Morning Post sei der Kardinal ebenso wie die frühere oppositionelle Abgeordnete Margaret Ng und die pro-demokratische Aktivistin und Künstlerin Denise Ho von der Sicherheitspolizei verhaftet und verhört worden. Der Vorwurf gegen das Trio lautet demnach: Verschwörung mit ausländischen Kräften.

    Zen, Ng und Ho wurde offenbar ihre Rolle im Zusammenhang mit dem 612 Humanitarian Relief Fund zum Verhängnis, für den sie als Treuhänder tätig waren. Der Fond sammelte zwischen 2019 und 2021 mehr als 30 Millionen US-Dollar ein, auch aus dem Ausland. Das Geld kam unter anderem Demonstranten zugute, die im Rahmen der Massenproteste in der Stadt 2019 festgenommen worden waren und nicht die finanziellen Mittel hatten, um sich vor Gericht verteidigen zu können. Ein weiterer Treuhänder war bereits am Dienstag festgenommen worden. Der fünfte befindet sich bereits seit einer Weile in Haft.

    Im Herbst vergangenen Jahres hatten die Verantwortlichen die Auflösung des Fonds verkündet, um einer möglichen Strafverfolgung auf Basis des Sicherheitsgesetzes zu entgehen. Die Behörden hatten damals allerdings schon Ermittlungen eingeleitet, weil sie die Geldströme aus dem Ausland als Verschwörung werteten. Exil-Hongkonger und Parlamentarier beklagten zu diesem Zeitpunkt die systematische Kriminalisierung der Zivilgesellschaft der Stadt (China.Table berichtete).

    Zen beklagt den “Ausverkauf der Katholiken” an die KP

    Die Festnahme von Kardinal Zen bekommt wegen seines Ranges in der Katholischen Kirche eine besondere Dimension. Jahrelang lagen die Volksrepublik China und der Vatikan im Clinch darüber, wer die Bischöfe des Landes ernennen dürfe. Religion ist der allein regierenden Kommunistischen Partei in marxistischer Tradition grundsätzlich ein Dorn im Auge. Seit Jahrzehnten existieren deswegen in China eine offizielle und eine inoffizielle katholische Kirche. Die offizielle Katholische Patriotische Vereinigung wird von der Partei kontrolliert, die inoffizielle Kirche agiert im Untergrund.

    Im Jahr 2018 hatten sich der Vatikan und die Partei schließlich darauf geeinigt, dass die KP die Bischöfe aussuchen dürfe, aber der Papst das letzte Wort über deren Ernennung haben soll. Kardinal Zen kritisierte die Abmachung mit den Worten: “Keine Vereinbarung ist besser als eine schlechte Vereinbarung.” Er beklagte einen Ausverkauf der Gläubigen im Land an die Kommunistische Partei. Die chinesische Regierung “sagt, dass das letzte Wort dem Heiligen Vater gehöre. Das klingt gut, aber es ist eine Täuschung.” Für seine kontroverse Haltung wurde er innerhalb der Kirche scharf kritisiert.

    Der Vatikan äußerte sich am Mittwoch in einer kurzen Stellungnahme zu der Festnahme. Ein Sprecher teilte mit, dass man “mit sehr großer Aufmerksamkeit” nach Hongkong schaue, um die dortige Entwicklung im Fall Zen zu verfolgen. Wesentlich schärfer reagierte die slowakische EU-Abgeordnete Miriam Lexmann, Mitglied der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC): “Ich bin schockiert und angewidert von der Verhaftung des mutigen und friedliebenden 90-jährigen Kardinal Zen und der Treuhänder des 612 Humanitarian Relief Fund. Es ist an der Zeit, dass die Staats- und Regierungschefs der EU handeln”, forderte sie auf Twitter.

    Auch der Zeitpunkt der Festnahmen war bemerkenswert. Erst am Sonntag war der frühere Sicherheitschef der Stadt, John Lee, zum kommenden Chief Executive der Metropole gewählt worden. Lee war der Wunschkandidat der Pekinger Zentralregierung. (China.Table berichtete.) Wegen seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Polizeidienst gilt er als Idealbesetzung, um politischen Dissens in der Stadt im Keim zu ersticken. Der Gründer der Menschenrechtsorganisation Hongkong Watch, Benedict Rogers, erkannte in den Festnahmen deshalb “zweifellos ein Zeichen dafür, dass Peking beabsichtigt, sein hartes Durchgreifen gegen Grundrechte und Freiheit in Hongkong zu intensivieren.”

    Neuer Bischof will zwischen Regierung und Kirche vermitteln

    Der Koordinator für den Indopazifik des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Kurt Campbell, äußerte sich derweil besorgt über die Schritte, die in Hongkong unternommen werden, um die Zivilgesellschaft unter Druck zu setzen und auszuschalten. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Lee und andere Hongkonger Funktionäre sowie der KP müssten “für ihren Terror gegen die Menschen” die Konsequenzen zu spüren bekommen, kommentierte EU-Parlamentarierin Lexmann, ohne selbst mögliche Konsequenzen zu formulieren.

    Die Festnahme des emeritierten Bischofs Zen dürfte auch in der katholischen Gemeinde in Hongkong mit großer Sorge wahrgenommen werden. Gut zwölf Prozent der Bürger der Stadt bekennen sich zum Christentum. Schulen, Universitäten und soziale Einrichtungen haben oft einen christlichen Hintergrund. Erst vor wenigen Monaten hat der neue Bischof Stephen Chow seinen Posten angetreten. Nach monatelangem Zögern überzeugte ihn erst ein persönliches Schreiben von Papst Franziskus, die Ernennung zu akzeptieren (China.Table berichtete).

    Der in Hongkong geborene und in den USA zum Psychologen ausgebildete Kleriker habe die schwierige Aufgabe, “zwischen der Regierung und der Kirche in Hongkong sowie zwischen Katholiken und Christen anderer Konfessionen und Religionen” zu vermitteln, sagte er in seiner Antrittsrede im Dezember.

    Zens Festnahme zeigt: Sicherheitskräfte und Staatsanwaltschaft wenden das neue Sicherheitsgesetz konsequent an. 175 pro-demokratische Aktivisten wurden nach offiziellen Angaben seit seiner Einführung verhaftet, 110 wurden angeklagt. Auch andere Kirchenanhänger neben Kardinal Zen hatten diese Entwicklung vorhergesehen. Beispielsweise warnte die Internationale Christliche Gesellschaft ICC davor, dass die chinesische Zentralregierung jede Form des Protests als terroristischen Akt und der Ruf nach Hongkongs Unabhängigkeit von der Volksrepublik als Staatsgefährdung gedeutet würde.

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    Pekings Impfstoff-Diplomatie erreicht ihre Grenzen

    China hat durch seine Impfstoffexporte im vergangenen Jahr zwar diplomatisches Kapital aufgebaut. Doch die Lieferungen sind 2022 fast völlig zum Erliegen gekommen. Das Land konnte sich mit seinen Exportanstrengungen anfangs als verantwortungsvolle, fortschrittliche Großmacht profilieren. Doch zum bleibenden Erfolg fehlte noch die technische Finesse der Technologieführer aus der EU und USA. Das ist das Fazit einer Veranstaltung von China.Table mit Gästen von der Universität Erfurt. Bei dem Table.Live-Briefing sprachen Stefan Schmalz, Experte für politische Ökonomie, und der Volkswirt Philipp Köncke.

    EU überholt China bei globalen Impfstofflieferungen - Chinas Impfstoff-Diplomatie steht vor dem Aus.

    Die ersten Lieferungen chinesischer Impfstoffe gingen bereits früh in die Empfängerländer: im Dezember 2020 landete die erste Charge in Indonesien. Während des kompletten Jahres 2021 konnte sich China als hilfsbereiter Partner der Seidenstraßen-Länder und des globalen Südens profilieren. “Dieses Bild bröckelt nun”, sagt Köncke. Zum einen habe die EU bei Impfstofflieferungen massiv aufgeholt: Sie hat inzwischen 2,3 Milliarden Dosen ausgeführt. Das übertrifft deutlich den chinesischen Wert von 1,9 Milliarden Dosen. Grund ist nicht nur die Verfügbarkeit, sondern auch das Image der Impfstoffe. Präparate auf Basis von mRNA gelten heute als wirkungsvoller. Der Strom von Impfstoffen aus China ist daher inzwischen weitgehend versiegt (China.Table berichtete).

    China ließ sich die Impfstoff-Lieferungen teuer bezahlen

    Chinas “staatsgeleitete Impfstoff-Internationalisierung” war jedoch unterm Strich durchaus erfolgreich. Schließlich war von der EU anfangs nichts zu bekommen – und das ist den weniger privilegierten Ländern im Gedächtnis geblieben. Viele von ihnen waren auf die Lieferungen aus China angewiesen und zeigten sich entsprechend dankbar. Das chinesische Vorgehen hat so ein wenig dazu beigetragen, die globale Schieflage auszugleichen. “China war erfolgreich bei seinem Bestreben, als verantwortungsvolle Großmacht wahrgenommen zu werden”, so Köncke.

    Dass die Wahrnehmung nun kippt, liegt allerdings nicht nur an der Wirksamkeit der Produkte von Sinovac und Sinopharm. Die Verschiebung des Machtverhältnisses zugunsten des Westens hänge mit dem chinesischen Vorgehen zusammen, so Köncke. Viele Impfstofflieferungen aus China waren keine Spenden, sondern Verkäufe zu Marktpreisen, also durchaus nicht billig. Der Preis lag in der Größenordnung der Produkte von Biontech und Moderna. Dafür gab es dann aber einen Wirkstoff, der sich gegenüber den Varianten Gamma, Delta und Omikron als weniger wirksam erwies.

    Rivalität in Impfstoff-Diplomatie ungünstig

    Die beiden Erfurter Experten halten es rückblickend für ungünstig, dass von Anfang an so viel Rivalität herrschte. “Die Impfstoffwelten haben sich zu Schauplätzen geopolitischer Konflikte um Impfstoffproduktion und -verteilung entwickelt”, sagt Köncke. Politologe Schmalz sieht hier unterm Strich massiv schädliche Folgen für die Gesundheit der Weltbevölkerung: “Wenn eine Pandemie mehrere Jahre anhält und es zwischen zentralen Playern nicht zu einer Kooperation kommt, dann bleiben die Ergebnisse hinter dem Möglichen zurück.”

    Kanzlerin Angela Merkel habe seinerzeit ausdrücklich darauf gepocht, den deutschen Technologie-Vorsprung zu verteidigen und die Patente zu schützen. Wenn Europa und China ihre gewaltigen Ressourcen transparent zusammengelegt hätten, hätten viel mehr Menschen mit viel mehr unterschiedlichen Wirkstoffklassen beliefert werden können. Stattdessen haben sich seitdem die Gegensätze eher noch vertieft. Die EU und China haben bis heute ihre Impfstoffe nicht gegenseitig anerkannt. Das führt nicht nur zu Problemen für Reisende und Geschäftsleute. Es behindert auch den Weg aus der Pandemie ganz wesentlich.

    Die Forschung am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt zu Impfstoffwelten und der Rolle Chinas erfolgt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs “Strukturwandel des Eigentums” der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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    News

    Studie: Ohne Lockdowns drohen Millionen Covid-Fälle

    Sollte Chinas Regierung die Null-Covid-Strategie aufgeben, drohen dem Land 1,6 Millionen Covid-Tote. Das geht aus einer neuen Studie der Fudan-Universität in Shanghai hervor. Die von Experten begutachtete Studie (peer-reviewed) zeigt, dass die durch die bisherigen Impfkampagnen hervorgerufene Immunität in der chinesischen Bevölkerung nicht ausreicht, um ohne strikte Beschränkungen eine Omikron-Welle zu verhindern. Die Kapazitäten der Intensivpflege werden dann überfordert, berichtet Bloomberg.

    Ohne die teils harschen Covid-Gegenmaßnahmen wie Massentests und Lockdowns könnte die Ausbreitung von Omikron demnach zu 112 Millionen symptomatischen Fällen, fünf Millionen Krankenhauseinweisungen und 1,6 Millionen Todesfällen führen, so die Studie. Drei Viertel der Todesfälle würde dem Computer-Modell der Studie zufolge unter den über 60-jährigen Bürgerinnen und Bürgern auftreten. In dieser Altersgruppe ist der Impfstatus besonders prekär.

    Laut Studie könnte ein Ausweg in antiviralen Medikamenten liegen. Sobald diese leicht verfügbar seien und zur Behandlung einer Großzahl von Coronavirus-Patienten eingesetzt werden können, drohten keine hohen Todeszahlen mehr, selbst wenn die Beschränkungen aufgehoben werden. Am Dienstag meldete Shanghai knapp 1.500 Neuinfektionen. Eine Halbierung zum Montag. Peking meldete 37 neue Fälle, gegenüber 74 am Montag. nib

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    Handel zwischen China und Afrika wächst

    Chinas bilateraler Handel mit dem afrikanischen Kontinent ist im ersten Quartal 2022 um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum angestiegen. Eine Ursache dafür waren steigende Rohstoffpreise. Die chinesischen Importe aus Afrika stiegen um 29 Prozent auf fast 30 Milliarden US-Dollar. Die Exporte nahmen um 18 Prozent auf 35 Milliarden US-Dollar zu, wie die South China Morning Post berichtet. Die Logistik-Probleme in chinesischen Häfen könnten den Handel in den kommenden Quartalen jedoch beeinträchtigen. Hinzu kommt die Schließung des Hafens von Durban nach einem Unwetter. Über den südafrikanischen Hafen wird demnach fast ein Fünftel des chinesisch-afrikanischen Handels abgewickelt – vor allem Rohstoffe aus der Demokratischen Republik Kongo und Sambia.

    Im Jahr 2021 nahm der Handel zwischen China und Afrika auf über 250 Milliarden US-Dollar zu. Ein Anstieg von 35 Prozent gegenüber 2020. Afrikas Exporte nach China machten davon 105 Milliarden aus. Die Zahlen übertreffen laut SCMP die Werte aus dem Zeitraum vor der Pandemie. nib

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    Peking zensiert WHO-Chef

    Die großen sozialen Netzwerke Chinas haben kritische Beiträge der Vereinten Nationen zur Null-Covid-Politik der Volksrepublik zensiert. In den Weibo- und Wechat-Beiträgen ging es um eine Aussage des Vorsitzenden der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesu. Er hatte gesagt, Chinas Null-Toleranz-Politik zu Covid-19 sei nicht nachhaltig. WeChat hat die Teilen-Funktion bei einem ähnlichen Beitrag der Vereinten Nationen deaktiviert. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums forderte Ghebreyesus auf, “unverantwortliche” Äußerungen zu vermeiden.

    “Wir glauben nicht, dass das nachhaltig ist, wenn man sich überlegt, wie sich das Virus verhält und was wir für die Zukunft erwarten können”, hatte WHO-Chef Ghebreyesus am Dienstag gesagt. Er sagte auch, dass eine Verschiebung der Strategie “sehr wichtig” sei. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Peking verteidigte Zhao Lijian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Er sagte, China hoffe, dass der Generaldirektor der WHO Chinas Covid-Politik objektiv betrachten könne.

    Ghebreyesus wurde zu Beginn der Corona-Pandemie in den westlichen Medien stark dafür kritisiert, dass die WHO mit Pekings Vorgehen zur Aufdeckung des Ursprungs des Coronavirus zu milde verfahren sei. So wurden monatelang keine Wissenschaftler ins Land gelassen, um in Wuhan nach den Ursprüngen der Pandemie zu forschen. niw/rtr

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    Reise von Bachelet Ende Mai erwartet

    Der Besuch der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China ist gegen Ende des Monats geplant. Michelle Bachelet werde die seit längerem geplante Reise voraussichtlich Ende Mai antreten, teilte eine Sprecherin der Vereinten Nationen der Nachrichtenagentur Reuters mit. Bachelets Besuch in China wird demnach auch die Region Xinjiang umfassen (China.Table berichtete). Das genaue Reisedatum war bisher nicht bekannt. Bachelets Vorbereitungsteam befindet sich Medienberichten zufolge bereits in der Volksrepublik. rtr

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    Presseschau

    Portrait

    Mark Leonard – blickt bei ECFR auf Geopolitik

    Mark Leonard - Mitbegründer des Think-Tanks European Council on Foreign Relations
    Mark Leonard – Mitbegründer des Think-Tanks European Council on Foreign Relations

    Als einer der Mit-Initiatoren des European Council on Foreign Relations (ECFR) gehört Mark Leonard zum Spitzenpersonal der transatlantischen Think-Tanker. Der Brite ist ein gefragter Mann als politischer Berater und Mitglied wichtiger internationaler Gremien – so fungierte Leonard etwa als Chairman des “Global Agenda Council on Geoeconomics” im Weltwirtschaftsforum. Angesprochen auf die wichtigsten Meilensteine seiner Karriere, nennt er wenig überraschend die Gründung des European Council on Foreign Relations im Jahr 2007 unter Förderung des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair. Aber das ist nicht alles. 

    “Der zweite große Meilenstein war mein Buch ‘What does China think?’, das 2008 erschien”, so Leonard. Sein Ziel dabei: “Ich wollte viele der großen Debatten in China, die ich im Jahrzehnt davor beobachtet hatte, mit Leben füllen.” Für sein Buch reiste er mehrfach in die Volksrepublik und verfolgte über mehrere Jahre hinweg die Debatten dort. “Diese haben nicht nur China verändert, sondern hatten auch das Potenzial, die Welt außerhalb zu beeinflussen, aber der Westen war schlicht nicht mit ihnen vertraut”, erklärt Leonard. 

    Neugier ist wichtige Voraussetzung

    Leonard kritisiert dieses Desinteresse: “Leider war ein Resultat nach dem Ende des Kalten Kriegs, dass viele westliche Think-Tanks wirklich glaubten, wir befänden uns nicht nur am Ende der Geschichte, sondern auch am Ende der Geografie, und dass jeder mehr oder weniger auf der gleichen intellektuellen Reise hin zur liberalen Demokratie und freien Marktwirtschaft wäre.” Viele europäische und US-amerikanische Institutionen hätten auf die Welt gesehen und sich vor allem darauf konzentriert, inwieweit andere Länder den selbst angesetzten Idealen nicht gerecht wurden. “Somit verloren Sie ein Stück weit jene Neugier, die es noch während des Kalten Kriegs gab,” sagt Leonard. 

    Leonard ist diese Neugier jedoch nie abhandengekommen, weshalb er auch das European Council on Foreign Relations mit ins Leben rief. “Ich denke, Neugier ist sehr wichtig. Ein Grund, weshalb wir oft Probleme haben, liegt darin begründet, dass wir glauben, andere Menschen würden genauso denken wie wir.” Das habe sich zuletzt auch beim Einmarsch Russlands in der Ukraine gezeigt. Der russische Präsident sei von vielen falsch eingeschätzt worden, sagt Leonard.

    Komplizierter als der Kalte Krieg

    Leonard ist ein Geopolitik-Allrounder. In den vergangenen sechs Jahren hat er sich verstärkt mit der Globalisierung auseinandergesetzt – dabei behält er die Volksrepublik stets im Blick. “Eines der zentralen Themen der Globalisierung dreht sich um die Beziehung zwischen China und den Vereinigten Staaten”, so der Brite. Dabei untersucht er genauer, wie diese Beziehung seiner Ansicht nach “ein strukturierendes Element unserer Welt ist”. Die Gegenüberstellung der Volksrepublik und der USA wirke dabei extrem kompliziert – und viel komplexer als das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den USA. Denn China und die USA sind sehr tief miteinander verknüpft, so Leonard. Die Konkurrenz zwischen Peking und Washington könnte deshalb viel destabilisierender für die Welt sein als der Kalte Krieg, analysiert Leonard. Constantin Eckner

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    • Geopolitik
    • Gesellschaft
    • USA

    Personalie

    E.G. Morse wurde von der US-Investmentbank Goldman Sachs zum Co-Präsidenten für China ernannt. Morse war zuvor CEO für Singapur. Er wird künftig von Shanghai aus gemeinsam mit Cai Wei und Fan Xiang die Geschäfte von Goldman Sachs in der Volksrepublik leiten.

    • Goldman Sachs

    Dessert

    Alles im Lot? Oder eher: Alles waagerecht? Zwei Arbeiter setzen einen Abschnitt der Datong-Qinhuangdao-Eisenbahn in der nordchinesischen Provinz Shanxi instand. Die Strecke ist eine Hauptschlagader des chinesischen Kohletransports.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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