die Bilder aus der Foxconn-Fabrik in Zhengzhou erinnern an Revolutions- oder Bürgerkriegsszenen: blutüberströmte Gesichter, niedergerissene Barrieren, Tränengaswolken und Wasserwerfer, die die Menschen von der Straße spülen. Sowohl in der Nacht als auch bei Tag kam es gestern zu tumulthaften Szenen rund um das größte Werk des Apple-Zulieferers, das mit seinen rund 200.000 Mitarbeitern wie eine Stadt in der Stadt wirkt. Die mangelhafte Versorgung und die schlechte Bezahlung hat die Arbeiter auf die Barrikaden getrieben. Seit Oktober ist die gigantische Anlage aufgrund von Corona-Ausbrüchen im “geschlossenen Kreislauf”, das heißt niemand kann mehr raus.
Die Bilder der Unruhen machen trotz Zensur nun auch in China die Runde. Und sie sorgen für Diskussionen darüber, welchen Preis das Land für die strengen Corona-Maßnahmen noch zahlen soll. Immer mehr Menschen wird bewusst, wie unübersichtlich die Lage in Teilen des Landes ist und wie schnell die Stimmung kippen kann, berichtet unser Team aus Peking.
Welchen Preis Deutschland für seine Abhängigkeit von China zu zahlen bereit ist, steht derzeit bei der Ausarbeitung der deutschen China-Strategie zur Debatte. Reibungen sind vorprogrammiert. Außenministerin Annalena Baerbocks will als grüne Politikerin einen Fokus auf Menschenrechte setzen, während das Kanzleramt unter Olaf Scholz die Interessen der Wirtschaft verteidigt – so lautet zumindest das gängige Narrativ. Finn Mayer-Kuckuk hat sich die beiden Positionen anhand der derzeit einsehbaren Quellenlage genauer angesehen. Sein Fazit: Der Entwurf aus dem Auswärtigen Amt entspricht in Wirklichkeit in den Grundzügen den Vorstellungen des Kanzleramts. Doch es gibt auch entscheidende Unterschiede. Und: Das letzte Wort hat am Ende der Kanzler.
Es sind verstörende Protest-Bilder aus Zhengzhou, die am Mittwochmorgen die sozialen Medien fluten. Wieder steht das Mega-Werk von Apple-Zulieferer Foxconn im Focus. Zu sehen sind tumultartige Szenen, in denen Hunderte Arbeiter zunächst in der Dunkelheit der Nacht auf dem Werksgelände gegen Sicherheitskräfte kämpfen. Es wird geschrien. Tränengas wird versprüht. “Verteidigt unsere Rechte!”, rufen die Arbeiter.
Später, im Morgengrauen, marschieren dann Hunderte Mitarbeiter außerhalb des Werksgeländes eine Straße entlang. Polizisten, die weiße Corona-Sicherheitsanzüge tragen, scheinen sich zunächst zurückzuziehen. Doch dann kommt es zu Zusammenstößen beider Gruppen. Ausgerüstet mit Schlagstöcken und Plastik-Schutzschilden gehen die Einsatzkräfte gegen die Demonstranten vor.
Die massiven Proteste sind sowohl für Apple als auch für die chinesische Regierung ein Problem. Für den US-Konzern ist die Lage zunehmend brenzlig. Schon vor einigen Wochen hatte Apple mitgeteilt, dass es wegen der instabilen Lage im Werk Lieferprobleme beim neuen iPhone 14 geben wird. Zu der Warnung kam es, nachdem Tausende Mitarbeiter wegen der strikten Corona-Maßnahmen aus dem Werk geflüchtet waren. Teile der Arbeiter beklagten sich über eine schlechte Versorgungslage, andere fürchteten eine Infektion mit dem Virus (China.Table berichtete).
Foxconn versprach Besserung und sagte Arbeitern, die ins Werk zurückkehren wollen, höhere Löhne und Bonuszahlungen zu. Zwischenzeitlich versicherte Foxconn, dass die Situation unter Kontrolle sei. Doch davon kann keine Rede mehr sein. Zu den Protesten am Mittwoch kam es offenbar, weil neue Mitarbeiter mit ihrer Bezahlung nicht einverstanden waren. Auch gab es Gerüchte, dass Arbeiter zusammen mit infizierten Kollegen untergebracht wurden. Das Werk produziert weiterhin in einem “geschlossenen Kreislauf”, was bedeutet, dass Mitarbeiter das Gelände nicht verlassen dürfen.
Foxconn teilte am Mittwoch mit, dass an den Gerüchten nichts dran sei. “In Bezug auf die gewalttätigen Handlungen wird das Unternehmen weiterhin mit Mitarbeitern und der Regierung kommunizieren, um zu verhindern, dass ähnliche Dinge in Zukunft wieder passieren”, hieß es.
Chinas Führung ist nun innerhalb einer Woche mit dem zweiten großen Arbeiter-Protest konfrontiert, dessen Bilder sich im Netz rasant verbreiten. So rissen verärgerte Wanderarbeiter am vergangenen Dienstag in der südchinesischen Metropole Guangzhou zahlreiche Barrikaden nieder. Zwar reagierten die Zensur-Algorithmen von Weibo und anderen sozialen Netzwerken wie immer schnell. Dennoch machten die Bilder die Runde und lösten bei vielen Chinesen Unverständnis aus. Immer mehr Menschen wird bewusst, wie zunehmend unübersichtlich die Lage in Teilen des Landes ist.
Ein schneller Ausweg aus dem Corona-Chaos ist nicht in Sicht. Am Mittwoch meldete die Pekinger Gesundheitsbehörde landesweit rund 29.000 neue Infektionen. Im internationalen Vergleich mag diese Zahl gering erscheinen. Doch für China sind es annähernd die höchsten Infektionszahlen des Jahres, womit auch die Einschränkungen von Tag zu Tag zunehmen.
“China sieht derzeit ein Rekord-Level an Lockdowns”, sagte Ting Lu, Chefökonom der japanischen Investmentgesellschaft Nomura der Financial Times. Weil so viele Städte Teil-Lockdowns verhängt hätten, sei die Lage sogar noch etwas schlimmer als im Frühjahr, als die Wirtschaftsmetropole Shanghai für zwei Monate abgeriegelt war. Laut Nomura seien derzeit Gebiete von Einschränkungen betroffen, die für rund 20 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich sind.
Jede Großstadt hat unterschiedliche Maßnahmen verhängt: Peking hat die Menschen im bevölkerungsreichsten Stadtteil Chaoyang dazu aufgerufen, nicht mehr vor die Tür zu gehen. Schulen, Kindergärten und Geschäfte sind geschlossen. In Guangzhou befinden sich mehrere Stadtteile komplett im Lockdown. Shanghai kündigte derweil an, dass Reisende, die in die Stadt kommen, für fünf Tage nicht in Restaurants oder Geschäfte dürfen. Die Mega-Metropole Chongqing lässt Menschen nur noch in dringenden Fällen und mit einem negativen Corona-Test ausreisen.
Schon fast vergessen scheint wieder, dass die Behörden erst vor zwei Wochen eine leichte Lockerung der Maßnahmen angekündigt hatten. Alles deutet darauf hin, dass Infektionen und Einschränkungen erstmal weiter zunehmen werden. Jörn Petring
Im politischen Berlin wird der heraufziehende Konflikt bereits als Faktum behandelt, der Kampf der Titanen gilt als unausweichlich: Außenministerin Annalena Baerbocks Entwurf einer China-Strategie gegen den Einspruch des Kanzleramts unter Olaf Scholz. Während Baerbock als grüne Politikerin die Menschenrechte und die politische Eigenständigkeit in den Vordergrund stellt, werde Scholz als SPD-Kanzler die Interessen der Wirtschaft verteidigen, lautet das verbreitete Narrativ. Darauf deute schon die Cosco-Entscheidung gegen den Willen der grünen Koalitionspartner hin (China.Table berichtete).
Tatsächlich ist politischer Streit in der Ampel-Koalition abzusehen – schon allein, weil die drei Parteien sich in der Öffentlichkeit voneinander abgrenzen wollen, nicht zuletzt die vier FPD-Ministerien. Doch wie weit liegen die Positionen in der Sache überhaupt auseinander?
Das letzte Wort hat am Ende Olaf Scholz. Der Kanzler gibt in Deutschland die Richtlinien der Politik vor, eine außenpolitische Strategie fällt in seinen Entscheidungsbereich. Die beste Quelle für das Gedankengut, das im Kanzleramt zu China kursiert, ist derzeit Scholz’ Gastbeitrag in der FAZ vor seiner Peking-Reise (China.Table berichtete).
Sowohl in der Bestandsaufnahme als auch in den Schlussfolgerungen haben der Entwurf aus dem Hause Baerbock und der Gastbeitrag des Kanzlers erhebliche Gemeinsamkeiten. Der Gastbeitrag ist wesentlich kürzer, doch praktisch alle darin angesprochenen Punkte finden sich in dem Papier des Auswärtigen Amtes wieder. Zum Teil haben die Beamten der beiden Häuser sogar die gleichen Worte gewählt.
Beide Papiere sind sich einig: China hat sich gewandelt und setzt seine Interessen durch. Zugleich, und auch hier läuft der Text parallel, wolle Deutschland keine unversöhnliche Aufteilung der Welt. “Unser Ziel ist nicht eine neue Blockkonfrontation“, heißt es in dem Baerbock-Entwurf. “Gerade Deutschland, das die Teilung im Kalten Krieg auf besonders schmerzhafte Weise erfahren hat, hat kein Interesse an einer neuen Blockbildung in der Welt”, so Scholz.
Der übergreifende Gedanke beider Papiere ist ebenfalls derselbe: Für beide Seiten sollten gleiche Bedingungen gelten. “Asymmetrien abbauen, Reziprozität anwenden”, nennen das Baerbocks Leute. “Von Reziprozität, von Gegenseitigkeit in den Beziehungen zwischen China und Deutschland sind wir weit, zu weit entfernt”, klagt Scholz. Die Bereiche, mit denen das verknüpft ist, sind ebenfalls ähnlich, an erster Stelle steht der Marktzugang für Firmen.
Ganz große Einigkeit besteht darin, dass Deutschlands China-Politik nur als Teil der EU funktioniert, auch hier stehen sehr ähnliche Sätze in beiden Dokumenten. Beide Texte betonen zugleich die Hinwendung zu neuen Partnern und den Aufbau internationaler Netzwerke. Scholz: “Was in Europa mit Blick auf die Ukraine gilt, das gilt auch in Asien, in Afrika oder in Lateinamerika. Dort entstehen neue Machtzentren einer multipolaren Welt, mit denen wir Partnerschaften eingehen und ausbauen wollen.” Das Auswärtige Amt (AA): “Der Systemwettbewerb findet in Europas Nachbarschaft ebenso statt wie in Afrika, Lateinamerika und natürlich dem Indo-Pazifik.”
Bis hinunter auf die Formulierung gemeinsam ist auch die Sorge vor der raschen Aufrüstung und um die Sicherheit Taiwans. Beide Papiere bleiben aber eine konkrete Antwort schuldig, was im Falle eines Übergriffs auf den Inselstaat passieren soll.
Umso interessanter sind die wenigen Punkte, die auffällig abweichen. Scholz schreibt ausdrücklich: “Wir wollen kein Decoupling.” Ein solches Bekenntnis fehlt im AA-Entwurf. Die Decoupling-Aussage des Kanzlers war in China oft zitiert und als Beleg ausgelegt worden, dass Scholz die chinesischen Handelsinteressen unterstütze. Baerbock will hier offenbar keinen Raum für Missverständnisse lassen.
Doch beide Texte sind sich indessen einig, dass eine plötzliche oder gar vollständige Loslösung nicht infrage komme. Das Kanzleramt schreibt es so: “China bleibt auch unter veränderten Vorzeichen ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner für Deutschland und Europa.” Das Auswärtige Amt: “Die Wirtschaftsbeziehungen sind eine wichtige Dimension unseres bilateralen Austauschs mit China. Für viele deutsche und europäische Unternehmen ist die Präsenz auf dem chinesischen Markt für ihre globale Konkurrenz- und Innovationsfähigkeit von großer Bedeutung.”
Absolut einig, und hier wieder bis hinunter auf die Formulierung, sind sich AA und Kanzleramt darin, dass riskante Abhängigkeiten abnehmen müssen, vor allem bei Rohstoffen, Vorprodukten und Elektronik-Zulieferungen. Aus beiden Häusern kommt hier ein Appell, die China-Risiken zurückzufahren – bei Baerbock mit dem deutlichen Hinweis, dass hier die Wirtschaft im Eigeninteresse selbst in der Pflicht stehe.
Der für Apple produzierende Elektronik-Auftragshersteller Foxconn hat nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen der vergangenen Tage bei den Beschäftigten in seiner Fabrik in Zhengzhou um Entschuldigung gebeten. Foxconn teilte am Donnerstag mit, ein technischer Fehler habe zu falschen Lohnabrechnungen geführt. “Wir entschuldigen uns für einen Eingabefehler in das Computersystem und garantieren, dass der tatsächliche Lohn derselbe ist wie in den offiziellen Einstellungsplakaten” versprochen, erklärte das Unternehmen.
Das Unternehmen bot zudem eine Geldprämie von 10.000 Yuan (1.400 Euro) für alle, die das Fabrikgelände friedlich verlassen. Am Dienstag und Mittwoch war es in dem Werk zu Ausschreitungen gekommen (China.Table berichtete). Die Mitarbeiter empörten sich darüber, weniger Lohn als bei der Einstellung versprochen ausgezahlt bekommen zu haben. In dem Versuch, die Lage unter Kontrolle zu bringen, hatten das Management und die Provinzregierung zu Wochenbeginn Sicherheitskräfte in weißen Schutzanzügen auf das Werksgelände geschickt. Dies trug jedoch nur zusätzlich zur Eskalation bei. In sozialen Medien verbreitete Videos zeigten, wie Polizisten in weißen Schutzanzügen auf protestierende Arbeiter einschlugen und sie traten.
Die Mitarbeiter sind auch unzufrieden, weil sie das Werk wegen Corona-Schutzregeln nicht verlassen dürfen. Auf dem größten Fabrikgelände der Welt können bis zu 350.000 Mitarbeiter leben und arbeiten. Zum Teil sollten Corona-positive Arbeiterinnen und Arbeiter mit negativen Kollegen im gleichen Zimmer schlafen. Auch die Versorgungslage war schlecht (China.Table berichtete).
Generell gilt das Leben in Closed Loops von Großfabriken als unangenehm. Foxconn versucht derzeit in Zhengzhou, 100.000 Mitarbeiter zu ersetzen, die bereits im Oktober aus dem Werk geflohen waren (China.Table berichtete). Die Produktion von Apple-Produkten für das Weihnachtsgeschäft hängt vom Funktionieren des Standorts ab. fin
Zahlreiche chinesische Städte umgehen die Vorgabe der Zentralregierung, aus den Corona-Maßnahmen schrittweise auszusteigen (China.Table berichtete). Um steigenden Infektionszahlen zu begegnen, führen sie erneut Einschränkungen ein. Sie vermeiden dabei aber derzeit noch vollständige Lockdowns. “Ausgangssperren à la Shanghai konnten vermieden werden, doch sie wurden durch häufige Teillockdowns ersetzt”, schreiben Ökonomen des japanischen Wertpapierhauses Nomura.
Die Großstadt Changchun in der Nordostprovinz Jilin fordert ihre Bürger auf, jede nicht dringend notwendige Mobilität einzustellen. Changchun ist ein wichtiger VW-Standort, an dem auch immer zahlreiche Deutsche arbeiten. Die Bürger dort sollen nun ohne Umwege zur Arbeit und zurück nach Hause fahren und andere Aktivitäten außer Haus möglichst unterlassen.
Auch in Sanya auf Hainan sind die Bürger aufgefordert, die Wohnung nicht unnötig zu verlassen, berichtet Reuters. In Peking müssen viele Bürger im Rahmen von Teillockdowns ebenfalls zuhause bleiben. In Zhengzhou laufen die Massentests weiter, zugleich läuft eine fünftägige Kampagne an, die ebenfalls Kontaktvermeidung vorsieht. Shanghai reguliert den Reiseverkehr, um Eintragungen neuer Infektionen zu verhindern.
Offenbar gelingt es Peking bisher nicht, die Balance zwischen gegensätzlichen Zielen zu finden. “Die Regierung versucht, die Auswirkungen auf die Wirtschaft zu minimieren und zugleich die Infektionszahlen unter Kontrolle zu bekommen”, schreibt Ökonomin Cui Ernan von Gavekal Dragonomics. “Aber bisher hat sie keines des beiden Ziele erreicht.” Derzeit gehen die Corona-Zahlen herauf und die Konjunkturaussichten herunter. Nomura hat seine Vorhersage für das Wachstum im kommenden Jahr von 4,3 auf 4,0 Prozent gesenkt. fin
Fernsehaufnahmen von maskenlosen Menschenmengen bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar führen in China bei der Bevölkerung angesichts der rigiden Null-Covid-Politik im eigenen Land zu Unmut. In sozialen Netzwerken wie Weibo seien Bilder von Zuschauern ohne Maske geteilt und der Ansatz der Führung in Peking infrage gestellt worden, berichtete unter anderem die Nachrichtenagentur AFP.
Während sich Menschen in Katar WM-Spiele ohne Maske ansehen könnten, seien sie einen Monat lang zu Hause oder zwei Monate lang auf einem Campus eingesperrt, ohne überhaupt nur zur Tür hinausgehen zu können, zitiert AFP einen in Guangdong ansässigen Weibo-Nutzer am Mittwoch. “Die Weltmeisterschaft hat es den meisten Chinesen ermöglicht, die reale Situation im Ausland zu sehen”, zitiert der Bericht einen weiteren User.
In den chinesischen Sozialmedien wurden in Postings Aufnahmen der Besucherränge von den staatlichen Zensoren unkenntlich gemacht, wie China.Table bestätigt wurde. In der Stream-Übertragung der Spiele gebe es jedoch keine unscharfen Zuschauerränge bei der WM. Auch auf Twitter wurden am Mittwoch Videoaufnahmen aus den chinesischen Netzwerken mit den zensierten Zuschauerrängen geteilt. Die WM-Spiele werden in China vom staatlichen Sender CCTV ausgestrahlt.
Auf Wechat hatte sich bereits am Dienstag ein offener Brief verbreitet, in dem die Covid-Politik des Landes infrage gestellt wurde. Darin wurde unter anderem gefragt, ob China “auf demselben Planeten” wie Katar sei. Das Schreiben fiel jedoch schnell der Zensur zum Opfer und wurde von der Plattform entfernt. ari
Nach dem tödlichen Brand in einer Fabrik in der Provinz Henan haben die Behörden am Dienstag zwei Verdächtige festgenommen. Details nannten offizielle Medien aber nicht. In dem Feuer bei der Firma Kaixinda Trading Co. in der Stadt Anyang waren nach offiziellen Angaben am Montag 36 Menschen ums Leben gekommen, zwei weitere wurden noch vermisst. Außerdem seien zwei Personen mit nicht lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht worden.
In China kommt es häufig zu Industrieunfällen, bei denen auch immer wieder viele Menschen sterben. Die Sicherheitsstandards sind unzureichend; auch gibt es Korruption unter den Beamten, die solche Standards eigentlich durchsetzen sollen. 2021 kamen bei einer Gasexplosion in der zentralen Stadt Shiyan 25 Menschen ums Leben. Im März 2019 starben 78 Menschen bei der Explosion in einer Chemiefabrik in Yancheng, 260 km von Shanghai entfernt. Die Detonation zerstörte Dutzende Häuser in der Umgebung. Der schlimmste Unfall dieser Art war die verheerende Explosion in einem Chemielager im Norden der Hafenstadt Tianjin, bei der 165 Menschen ums Leben kamen. Die damals vielfach auf sozialen Medien geteilte Explosion hinterließ zudem eine gewaltige Schneise der Zerstörung.
Zuletzt starb im Juni nach Angaben der South China Morning Post im Juni ein Mensch bei der Explosion in einem Chemiewerk des Staatskonzerns Sinopec in Shanghai mit drei Brandherden an verschiedenen Stellen. Ein weiterer wurde verletzt. ck
Die USA fürchten, dass die chinesische Regierung nicht genehmigte “Polizeistationen” in amerikanischen Städten einrichtet, um möglicherweise über sie Einfluss auf US-Bürger chinesischer Herkunft auszuüben. “Wir sind uns der Existenz dieser Stationen bewusst”, sagte FBI-Direktor Christopher Wray bei einer Anhörung des Ausschusses für Innere Sicherheit und Regierungsangelegenheiten des US-Senats. “Für mich ist es ungeheuerlich, dass die chinesische Polizei versucht, sich in New York niederzulassen, sagen wir mal, ohne eine angemessene Koordination. Das verletzt die Souveränität und umgeht die üblichen Verfahren der Zusammenarbeit zwischen Justiz und Strafverfolgungsbehörden.” Auf die Frage, ob solche Stationen gegen US-Recht verstießen, sagte Wray, das FBI prüfe “die rechtlichen Parameter”.
Die Vereinigten Staaten hätten bereits einige Anklagen gegen die chinesische Regierung erhoben, so der FBI-Chef. In denen ginge es um Belästigung, Verfolgung, Überwachung und Erpressung von in den Vereinigten Staaten lebenden Personen, die mit dem chinesischen Führer Xi Jinping nicht einverstanden seien. “Das ist ein echtes Problem und etwas, worüber wir auch mit unseren ausländischen Partnern sprechen, denn wir sind nicht das einzige Land, in dem dies geschehen ist”, sagte er.
Safeguard Defenders, eine in Europa ansässige Menschenrechtsorganisation, veröffentlichte im September einen Bericht, der die Präsenz von Dutzenden chinesischer “Polizeistationen” in Großstädten auf der ganzen Welt aufdeckte (China.Table berichtete). Der Bericht brachte die “Polizeistationen” auch mit den Aktivitäten der Kommunistischen Partei in Verbindung. rtr
Ein wesentlicher Aspekt der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Chinas ist: Wer einmal dabei ist, kann nicht mehr austreten.
Die Möglichkeit, aus der Partei auszutreten, ist zwar in der Satzung der Partei verankert, aber praktisch existiert sie nicht. Der einzige Weg, die Partei zu verlassen, ist der Ausschluss. Und wenn es einmal so weit ist, hat man ein großes Problem. Das ist einer der Gründe, warum die Zahl der Parteimitglieder stetig ansteigt. Ein anderer Grund ist natürlich die wachsende Bevölkerungszahl in China.
Als weltweit größte politische Vereinigung rühmt sich die KPCh mit 97 Millionen Mitgliedern, was ungefähr der gesamten Bevölkerung von Deutschland, Österreich und der Schweiz entspricht. Wie viele davon tatsächlich an den Kommunismus glauben, lässt sich dagegen unmöglich sagen. Aber diese Zahl dürfte nahezu bei null liegen.
In China – wie auch in anderen Teilen der Welt – ist der Kommunismus als Ideologie bankrott. Obwohl die Partei immer noch den Stempel des Kommunismus trägt, entfernt sie sich nicht nur von der klassischen kommunistischen Zukunftsvision, sondern auch von den grundlegenden Doktrinen des Marxismus, wie etwa der Analyse der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeitern.
Vielmehr entwickeln die Spitzenpolitiker und hochrangigen Apparatschiks laufend neue Konzepte und Theorien, wie zuletzt den “Chinesischen Traum” und “Xi Jinpings Ideen des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter”. Im Mittelpunkt des stetig wachsenden Flickenteppichs von Jargons stehen folgende Aspekte: Die Aufgabe der KP China ist es,
Jedes Parteimitglied vermag Slogans zu diesen Zielen oder Abwandlungen davon zu skandieren. Einige sind sogar in der Lage, lange Vorträge darüber zu halten. Aber die Zahl derjenigen, die der Partei aufrichtig aus diesen Gründen beitreten, ist äußerst gering.
Infolge der zügellosen Korruption und der chronischen sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit herrscht nahezu im gesamten Land blanker Zynismus. Die Menschen verfolgen ausschließlich ihre Eigeninteressen.
Obwohl es der KPCh an überzeugenden, inspirierenden politischen Ideen mangelt, hat sie sich dennoch unangefochten an der Macht gehalten. Und es ist eine ungeschriebene Regel, dass die oberste Führungsriege jeder staatlichen Organisation auf allen Ebenen Mitglied der Partei sein muss. Dies gilt auch für die Armee, staatliche Unternehmen und sonstige öffentliche Einrichtungen, wie Krankenhäuser und Universitäten.
Die Partei, die Staatsunternehmen und der öffentliche Sektor stehen im kommunistischen China immer an oberster Stelle. Unter Xi Jinping ist ihre Position noch stärker geworden. Wer berufliche oder persönliche Ambitionen hegt, weiß also, wohin er sich wenden muss. Eine Mitgliedschaft mag zwar keine Garantie für Macht und Geld sein, aber schaden kann sie auf jeden Fall nicht.
Wer Mitglied werden möchte, muss fachliche Kompetenz vorweisen. Am wichtigsten ist jedoch, der Parteilinie zu folgen, das heißt, sich dem Parteisprech zu bedienen und der Parteipolitik stets die Treue zu halten. Freies Denken oder das Äußern von abweichenden Gedanken ist ein absolutes Tabu. Das wahre Ich muss stets verborgen bleiben, egal, wie es auch aussehen mag.
Doch mit einem Beitritt ist es noch lange nicht getan. Die Parteikomitees aller Organisationen auf den verschiedenen Ebenen schulen ihre Mitglieder im Rahmen von Versammlungen und Studiensitzungen laufend in den neuesten Konzepten und Richtlinien. Dabei bedienen sie sich zum Beispiel Abschriften von Parteiführern und Büchern über deren Gedanken und Theorien.
Von Zeit zu Zeit werden besonders vorbildliche Parteimitglieder präsentiert, die angeblich ihre Freizeit dem Parteistudium widmen. Das interessanteste Beispiel war ein junges Paar, das 2016 in seiner Hochzeitsnacht die Parteisatzung abschrieb.
Die Partei betreibt zudem Parteischulen auf Zentral-, Provinz- und Kreisebene. Parteifunktionäre der oberen und mittleren Ränge müssen alle paar Jahre abwechselnd eine Vollzeitschulung über Parteipolitik absolvieren. Die Kurse können dabei bis zu 4 Monate dauern (und sind übrigens eine großartige Gelegenheit zum Knüpfen von Kontakten).
Im Zeitalter der Neuen Medien hat die Partei mit dem technischen Fortschritt bestens Schritt gehalten. Sie hat eine eigene Internetseite und eine ausgefeilte App zur Bildung ihrer Mitglieder entwickelt. Sie heißen auf Chinesisch “Xuexi Qiangguo”, was wörtlich übersetzt “studiere und stärke die Nation” bedeutet. Dort haben Mitglieder auch die Möglichkeit, sich anhand von Quizfragen selbst zu testen. Typische Fragen lauten etwa: “Was sind die wichtigsten Punkte von Xi Jinpings Gedanken zur Diplomatie?” Oder: “Welche Strafe erhält ein Mitglied, wenn es unbegründete Kritik an der zentralen Führung der Partei übt?”
In einer Bildungskampagne haben zahlreiche Parteigremien festgelegt, wie viel Zeit ihre Mitglieder auf der Website oder in der App verbringen müssen. Ausschussvorsitzende oder Mandatsträger haben die Möglichkeit, dies zu überprüfen.
Sämtliche Bildungsmaßnahmen dienen in gewisser Weise der Gehirnwäsche. Es handelt sich um Rituale, die die Treue zur Partei fördern sollen. Das größte aller Rituale ist der große Parteikongress, der einmal alle fünf Jahre stattfindet.
Hin und wieder gehen einige Bildungsinitiativen nach hinten los. Auf dem letzten Parteitag 2017 rief Xi die Mitglieder dazu auf, “das ursprüngliche Herz nicht zu vergessen und die Mission fest im Gedächtnis zu behalten”. Kurz darauf wurde eine Bildungsinitiative mit diesem Zitat als Thema gestartet. Als Lernmaterial diente der im selben Jahr erschienene deutsche Film “Der junge Karl Marx”, der das Leben von Marx zwischen 1843 und 1848 zeigt. Parteimitglieder und Regierungsangestellte wurden aufgerufen, sich den Film während der Arbeitszeit in Kinos anzuschauen.
Es scheint keine schlechte Idee zu sein, dass eine kommunistische Partei Marx als ihr “ursprüngliches Herz” aufgreift.
Unglücklicherweise wurde dabei übersehen, dass ein zentrales Thema, mit dem sich Marx befasste, das durch kapitalistische Ausbeutung verursachte Elend der Arbeiter war. Etwas, das zufälligerweise im heutigen China lautstark Anklang fand.
Selbstverständlich hatten die Studenten der renommierten Peking-Universität eine unabhängige Gesellschaft für Marxismus gegründet. Einige von ihnen schlossen sich den Arbeitern in Peking und Shenzhen an, um für die Rechte der Arbeiter zu demonstrieren, was wiederum zu einem harten Durchgreifen der Regierung in Peking führte.
Damit wurde den Partei- und Regierungsfunktionären klar, dass ein grundlegender Bestandteil des Marxismus sehr gefährlich ist. So ist das Lied “Die Internationale”, die Hymne der sozialistischen Arbeiterbewegung, die die Unterdrückten auffordert, sich zum Kampf zu erheben, in China inzwischen praktisch verboten. Wer das Lied laut und öffentlich singt, sei es als Einzelner oder in einer Gruppe, riskiert die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zu ziehen und verhaftet zu werden.
Die marxistischen Lehren, auf die sich die Partei nach wie vor bequem berufen kann, sind das Volkseigentum und die Diktatur des Proletariats, mit denen die Partei ihr Macht- und Wirtschaftsmonopol begründet.
Mit zahlreichen öffentlichen Illuminationen im ganzen Land würdigte die Volksrepublik China am vergangenen Samstag den Internationalen Tag der Kinderrechte. Der Tag erinnert an den 20. November 1989, als die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet wurde. Hier erstrahlt ein Hochhaus-Komplex in Wuhan. Das Datum ist nicht zu verwechseln mit dem Weltkindertag, der jährlich am 20. September begangen wird.
die Bilder aus der Foxconn-Fabrik in Zhengzhou erinnern an Revolutions- oder Bürgerkriegsszenen: blutüberströmte Gesichter, niedergerissene Barrieren, Tränengaswolken und Wasserwerfer, die die Menschen von der Straße spülen. Sowohl in der Nacht als auch bei Tag kam es gestern zu tumulthaften Szenen rund um das größte Werk des Apple-Zulieferers, das mit seinen rund 200.000 Mitarbeitern wie eine Stadt in der Stadt wirkt. Die mangelhafte Versorgung und die schlechte Bezahlung hat die Arbeiter auf die Barrikaden getrieben. Seit Oktober ist die gigantische Anlage aufgrund von Corona-Ausbrüchen im “geschlossenen Kreislauf”, das heißt niemand kann mehr raus.
Die Bilder der Unruhen machen trotz Zensur nun auch in China die Runde. Und sie sorgen für Diskussionen darüber, welchen Preis das Land für die strengen Corona-Maßnahmen noch zahlen soll. Immer mehr Menschen wird bewusst, wie unübersichtlich die Lage in Teilen des Landes ist und wie schnell die Stimmung kippen kann, berichtet unser Team aus Peking.
Welchen Preis Deutschland für seine Abhängigkeit von China zu zahlen bereit ist, steht derzeit bei der Ausarbeitung der deutschen China-Strategie zur Debatte. Reibungen sind vorprogrammiert. Außenministerin Annalena Baerbocks will als grüne Politikerin einen Fokus auf Menschenrechte setzen, während das Kanzleramt unter Olaf Scholz die Interessen der Wirtschaft verteidigt – so lautet zumindest das gängige Narrativ. Finn Mayer-Kuckuk hat sich die beiden Positionen anhand der derzeit einsehbaren Quellenlage genauer angesehen. Sein Fazit: Der Entwurf aus dem Auswärtigen Amt entspricht in Wirklichkeit in den Grundzügen den Vorstellungen des Kanzleramts. Doch es gibt auch entscheidende Unterschiede. Und: Das letzte Wort hat am Ende der Kanzler.
Es sind verstörende Protest-Bilder aus Zhengzhou, die am Mittwochmorgen die sozialen Medien fluten. Wieder steht das Mega-Werk von Apple-Zulieferer Foxconn im Focus. Zu sehen sind tumultartige Szenen, in denen Hunderte Arbeiter zunächst in der Dunkelheit der Nacht auf dem Werksgelände gegen Sicherheitskräfte kämpfen. Es wird geschrien. Tränengas wird versprüht. “Verteidigt unsere Rechte!”, rufen die Arbeiter.
Später, im Morgengrauen, marschieren dann Hunderte Mitarbeiter außerhalb des Werksgeländes eine Straße entlang. Polizisten, die weiße Corona-Sicherheitsanzüge tragen, scheinen sich zunächst zurückzuziehen. Doch dann kommt es zu Zusammenstößen beider Gruppen. Ausgerüstet mit Schlagstöcken und Plastik-Schutzschilden gehen die Einsatzkräfte gegen die Demonstranten vor.
Die massiven Proteste sind sowohl für Apple als auch für die chinesische Regierung ein Problem. Für den US-Konzern ist die Lage zunehmend brenzlig. Schon vor einigen Wochen hatte Apple mitgeteilt, dass es wegen der instabilen Lage im Werk Lieferprobleme beim neuen iPhone 14 geben wird. Zu der Warnung kam es, nachdem Tausende Mitarbeiter wegen der strikten Corona-Maßnahmen aus dem Werk geflüchtet waren. Teile der Arbeiter beklagten sich über eine schlechte Versorgungslage, andere fürchteten eine Infektion mit dem Virus (China.Table berichtete).
Foxconn versprach Besserung und sagte Arbeitern, die ins Werk zurückkehren wollen, höhere Löhne und Bonuszahlungen zu. Zwischenzeitlich versicherte Foxconn, dass die Situation unter Kontrolle sei. Doch davon kann keine Rede mehr sein. Zu den Protesten am Mittwoch kam es offenbar, weil neue Mitarbeiter mit ihrer Bezahlung nicht einverstanden waren. Auch gab es Gerüchte, dass Arbeiter zusammen mit infizierten Kollegen untergebracht wurden. Das Werk produziert weiterhin in einem “geschlossenen Kreislauf”, was bedeutet, dass Mitarbeiter das Gelände nicht verlassen dürfen.
Foxconn teilte am Mittwoch mit, dass an den Gerüchten nichts dran sei. “In Bezug auf die gewalttätigen Handlungen wird das Unternehmen weiterhin mit Mitarbeitern und der Regierung kommunizieren, um zu verhindern, dass ähnliche Dinge in Zukunft wieder passieren”, hieß es.
Chinas Führung ist nun innerhalb einer Woche mit dem zweiten großen Arbeiter-Protest konfrontiert, dessen Bilder sich im Netz rasant verbreiten. So rissen verärgerte Wanderarbeiter am vergangenen Dienstag in der südchinesischen Metropole Guangzhou zahlreiche Barrikaden nieder. Zwar reagierten die Zensur-Algorithmen von Weibo und anderen sozialen Netzwerken wie immer schnell. Dennoch machten die Bilder die Runde und lösten bei vielen Chinesen Unverständnis aus. Immer mehr Menschen wird bewusst, wie zunehmend unübersichtlich die Lage in Teilen des Landes ist.
Ein schneller Ausweg aus dem Corona-Chaos ist nicht in Sicht. Am Mittwoch meldete die Pekinger Gesundheitsbehörde landesweit rund 29.000 neue Infektionen. Im internationalen Vergleich mag diese Zahl gering erscheinen. Doch für China sind es annähernd die höchsten Infektionszahlen des Jahres, womit auch die Einschränkungen von Tag zu Tag zunehmen.
“China sieht derzeit ein Rekord-Level an Lockdowns”, sagte Ting Lu, Chefökonom der japanischen Investmentgesellschaft Nomura der Financial Times. Weil so viele Städte Teil-Lockdowns verhängt hätten, sei die Lage sogar noch etwas schlimmer als im Frühjahr, als die Wirtschaftsmetropole Shanghai für zwei Monate abgeriegelt war. Laut Nomura seien derzeit Gebiete von Einschränkungen betroffen, die für rund 20 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich sind.
Jede Großstadt hat unterschiedliche Maßnahmen verhängt: Peking hat die Menschen im bevölkerungsreichsten Stadtteil Chaoyang dazu aufgerufen, nicht mehr vor die Tür zu gehen. Schulen, Kindergärten und Geschäfte sind geschlossen. In Guangzhou befinden sich mehrere Stadtteile komplett im Lockdown. Shanghai kündigte derweil an, dass Reisende, die in die Stadt kommen, für fünf Tage nicht in Restaurants oder Geschäfte dürfen. Die Mega-Metropole Chongqing lässt Menschen nur noch in dringenden Fällen und mit einem negativen Corona-Test ausreisen.
Schon fast vergessen scheint wieder, dass die Behörden erst vor zwei Wochen eine leichte Lockerung der Maßnahmen angekündigt hatten. Alles deutet darauf hin, dass Infektionen und Einschränkungen erstmal weiter zunehmen werden. Jörn Petring
Im politischen Berlin wird der heraufziehende Konflikt bereits als Faktum behandelt, der Kampf der Titanen gilt als unausweichlich: Außenministerin Annalena Baerbocks Entwurf einer China-Strategie gegen den Einspruch des Kanzleramts unter Olaf Scholz. Während Baerbock als grüne Politikerin die Menschenrechte und die politische Eigenständigkeit in den Vordergrund stellt, werde Scholz als SPD-Kanzler die Interessen der Wirtschaft verteidigen, lautet das verbreitete Narrativ. Darauf deute schon die Cosco-Entscheidung gegen den Willen der grünen Koalitionspartner hin (China.Table berichtete).
Tatsächlich ist politischer Streit in der Ampel-Koalition abzusehen – schon allein, weil die drei Parteien sich in der Öffentlichkeit voneinander abgrenzen wollen, nicht zuletzt die vier FPD-Ministerien. Doch wie weit liegen die Positionen in der Sache überhaupt auseinander?
Das letzte Wort hat am Ende Olaf Scholz. Der Kanzler gibt in Deutschland die Richtlinien der Politik vor, eine außenpolitische Strategie fällt in seinen Entscheidungsbereich. Die beste Quelle für das Gedankengut, das im Kanzleramt zu China kursiert, ist derzeit Scholz’ Gastbeitrag in der FAZ vor seiner Peking-Reise (China.Table berichtete).
Sowohl in der Bestandsaufnahme als auch in den Schlussfolgerungen haben der Entwurf aus dem Hause Baerbock und der Gastbeitrag des Kanzlers erhebliche Gemeinsamkeiten. Der Gastbeitrag ist wesentlich kürzer, doch praktisch alle darin angesprochenen Punkte finden sich in dem Papier des Auswärtigen Amtes wieder. Zum Teil haben die Beamten der beiden Häuser sogar die gleichen Worte gewählt.
Beide Papiere sind sich einig: China hat sich gewandelt und setzt seine Interessen durch. Zugleich, und auch hier läuft der Text parallel, wolle Deutschland keine unversöhnliche Aufteilung der Welt. “Unser Ziel ist nicht eine neue Blockkonfrontation“, heißt es in dem Baerbock-Entwurf. “Gerade Deutschland, das die Teilung im Kalten Krieg auf besonders schmerzhafte Weise erfahren hat, hat kein Interesse an einer neuen Blockbildung in der Welt”, so Scholz.
Der übergreifende Gedanke beider Papiere ist ebenfalls derselbe: Für beide Seiten sollten gleiche Bedingungen gelten. “Asymmetrien abbauen, Reziprozität anwenden”, nennen das Baerbocks Leute. “Von Reziprozität, von Gegenseitigkeit in den Beziehungen zwischen China und Deutschland sind wir weit, zu weit entfernt”, klagt Scholz. Die Bereiche, mit denen das verknüpft ist, sind ebenfalls ähnlich, an erster Stelle steht der Marktzugang für Firmen.
Ganz große Einigkeit besteht darin, dass Deutschlands China-Politik nur als Teil der EU funktioniert, auch hier stehen sehr ähnliche Sätze in beiden Dokumenten. Beide Texte betonen zugleich die Hinwendung zu neuen Partnern und den Aufbau internationaler Netzwerke. Scholz: “Was in Europa mit Blick auf die Ukraine gilt, das gilt auch in Asien, in Afrika oder in Lateinamerika. Dort entstehen neue Machtzentren einer multipolaren Welt, mit denen wir Partnerschaften eingehen und ausbauen wollen.” Das Auswärtige Amt (AA): “Der Systemwettbewerb findet in Europas Nachbarschaft ebenso statt wie in Afrika, Lateinamerika und natürlich dem Indo-Pazifik.”
Bis hinunter auf die Formulierung gemeinsam ist auch die Sorge vor der raschen Aufrüstung und um die Sicherheit Taiwans. Beide Papiere bleiben aber eine konkrete Antwort schuldig, was im Falle eines Übergriffs auf den Inselstaat passieren soll.
Umso interessanter sind die wenigen Punkte, die auffällig abweichen. Scholz schreibt ausdrücklich: “Wir wollen kein Decoupling.” Ein solches Bekenntnis fehlt im AA-Entwurf. Die Decoupling-Aussage des Kanzlers war in China oft zitiert und als Beleg ausgelegt worden, dass Scholz die chinesischen Handelsinteressen unterstütze. Baerbock will hier offenbar keinen Raum für Missverständnisse lassen.
Doch beide Texte sind sich indessen einig, dass eine plötzliche oder gar vollständige Loslösung nicht infrage komme. Das Kanzleramt schreibt es so: “China bleibt auch unter veränderten Vorzeichen ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner für Deutschland und Europa.” Das Auswärtige Amt: “Die Wirtschaftsbeziehungen sind eine wichtige Dimension unseres bilateralen Austauschs mit China. Für viele deutsche und europäische Unternehmen ist die Präsenz auf dem chinesischen Markt für ihre globale Konkurrenz- und Innovationsfähigkeit von großer Bedeutung.”
Absolut einig, und hier wieder bis hinunter auf die Formulierung, sind sich AA und Kanzleramt darin, dass riskante Abhängigkeiten abnehmen müssen, vor allem bei Rohstoffen, Vorprodukten und Elektronik-Zulieferungen. Aus beiden Häusern kommt hier ein Appell, die China-Risiken zurückzufahren – bei Baerbock mit dem deutlichen Hinweis, dass hier die Wirtschaft im Eigeninteresse selbst in der Pflicht stehe.
Der für Apple produzierende Elektronik-Auftragshersteller Foxconn hat nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen der vergangenen Tage bei den Beschäftigten in seiner Fabrik in Zhengzhou um Entschuldigung gebeten. Foxconn teilte am Donnerstag mit, ein technischer Fehler habe zu falschen Lohnabrechnungen geführt. “Wir entschuldigen uns für einen Eingabefehler in das Computersystem und garantieren, dass der tatsächliche Lohn derselbe ist wie in den offiziellen Einstellungsplakaten” versprochen, erklärte das Unternehmen.
Das Unternehmen bot zudem eine Geldprämie von 10.000 Yuan (1.400 Euro) für alle, die das Fabrikgelände friedlich verlassen. Am Dienstag und Mittwoch war es in dem Werk zu Ausschreitungen gekommen (China.Table berichtete). Die Mitarbeiter empörten sich darüber, weniger Lohn als bei der Einstellung versprochen ausgezahlt bekommen zu haben. In dem Versuch, die Lage unter Kontrolle zu bringen, hatten das Management und die Provinzregierung zu Wochenbeginn Sicherheitskräfte in weißen Schutzanzügen auf das Werksgelände geschickt. Dies trug jedoch nur zusätzlich zur Eskalation bei. In sozialen Medien verbreitete Videos zeigten, wie Polizisten in weißen Schutzanzügen auf protestierende Arbeiter einschlugen und sie traten.
Die Mitarbeiter sind auch unzufrieden, weil sie das Werk wegen Corona-Schutzregeln nicht verlassen dürfen. Auf dem größten Fabrikgelände der Welt können bis zu 350.000 Mitarbeiter leben und arbeiten. Zum Teil sollten Corona-positive Arbeiterinnen und Arbeiter mit negativen Kollegen im gleichen Zimmer schlafen. Auch die Versorgungslage war schlecht (China.Table berichtete).
Generell gilt das Leben in Closed Loops von Großfabriken als unangenehm. Foxconn versucht derzeit in Zhengzhou, 100.000 Mitarbeiter zu ersetzen, die bereits im Oktober aus dem Werk geflohen waren (China.Table berichtete). Die Produktion von Apple-Produkten für das Weihnachtsgeschäft hängt vom Funktionieren des Standorts ab. fin
Zahlreiche chinesische Städte umgehen die Vorgabe der Zentralregierung, aus den Corona-Maßnahmen schrittweise auszusteigen (China.Table berichtete). Um steigenden Infektionszahlen zu begegnen, führen sie erneut Einschränkungen ein. Sie vermeiden dabei aber derzeit noch vollständige Lockdowns. “Ausgangssperren à la Shanghai konnten vermieden werden, doch sie wurden durch häufige Teillockdowns ersetzt”, schreiben Ökonomen des japanischen Wertpapierhauses Nomura.
Die Großstadt Changchun in der Nordostprovinz Jilin fordert ihre Bürger auf, jede nicht dringend notwendige Mobilität einzustellen. Changchun ist ein wichtiger VW-Standort, an dem auch immer zahlreiche Deutsche arbeiten. Die Bürger dort sollen nun ohne Umwege zur Arbeit und zurück nach Hause fahren und andere Aktivitäten außer Haus möglichst unterlassen.
Auch in Sanya auf Hainan sind die Bürger aufgefordert, die Wohnung nicht unnötig zu verlassen, berichtet Reuters. In Peking müssen viele Bürger im Rahmen von Teillockdowns ebenfalls zuhause bleiben. In Zhengzhou laufen die Massentests weiter, zugleich läuft eine fünftägige Kampagne an, die ebenfalls Kontaktvermeidung vorsieht. Shanghai reguliert den Reiseverkehr, um Eintragungen neuer Infektionen zu verhindern.
Offenbar gelingt es Peking bisher nicht, die Balance zwischen gegensätzlichen Zielen zu finden. “Die Regierung versucht, die Auswirkungen auf die Wirtschaft zu minimieren und zugleich die Infektionszahlen unter Kontrolle zu bekommen”, schreibt Ökonomin Cui Ernan von Gavekal Dragonomics. “Aber bisher hat sie keines des beiden Ziele erreicht.” Derzeit gehen die Corona-Zahlen herauf und die Konjunkturaussichten herunter. Nomura hat seine Vorhersage für das Wachstum im kommenden Jahr von 4,3 auf 4,0 Prozent gesenkt. fin
Fernsehaufnahmen von maskenlosen Menschenmengen bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar führen in China bei der Bevölkerung angesichts der rigiden Null-Covid-Politik im eigenen Land zu Unmut. In sozialen Netzwerken wie Weibo seien Bilder von Zuschauern ohne Maske geteilt und der Ansatz der Führung in Peking infrage gestellt worden, berichtete unter anderem die Nachrichtenagentur AFP.
Während sich Menschen in Katar WM-Spiele ohne Maske ansehen könnten, seien sie einen Monat lang zu Hause oder zwei Monate lang auf einem Campus eingesperrt, ohne überhaupt nur zur Tür hinausgehen zu können, zitiert AFP einen in Guangdong ansässigen Weibo-Nutzer am Mittwoch. “Die Weltmeisterschaft hat es den meisten Chinesen ermöglicht, die reale Situation im Ausland zu sehen”, zitiert der Bericht einen weiteren User.
In den chinesischen Sozialmedien wurden in Postings Aufnahmen der Besucherränge von den staatlichen Zensoren unkenntlich gemacht, wie China.Table bestätigt wurde. In der Stream-Übertragung der Spiele gebe es jedoch keine unscharfen Zuschauerränge bei der WM. Auch auf Twitter wurden am Mittwoch Videoaufnahmen aus den chinesischen Netzwerken mit den zensierten Zuschauerrängen geteilt. Die WM-Spiele werden in China vom staatlichen Sender CCTV ausgestrahlt.
Auf Wechat hatte sich bereits am Dienstag ein offener Brief verbreitet, in dem die Covid-Politik des Landes infrage gestellt wurde. Darin wurde unter anderem gefragt, ob China “auf demselben Planeten” wie Katar sei. Das Schreiben fiel jedoch schnell der Zensur zum Opfer und wurde von der Plattform entfernt. ari
Nach dem tödlichen Brand in einer Fabrik in der Provinz Henan haben die Behörden am Dienstag zwei Verdächtige festgenommen. Details nannten offizielle Medien aber nicht. In dem Feuer bei der Firma Kaixinda Trading Co. in der Stadt Anyang waren nach offiziellen Angaben am Montag 36 Menschen ums Leben gekommen, zwei weitere wurden noch vermisst. Außerdem seien zwei Personen mit nicht lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht worden.
In China kommt es häufig zu Industrieunfällen, bei denen auch immer wieder viele Menschen sterben. Die Sicherheitsstandards sind unzureichend; auch gibt es Korruption unter den Beamten, die solche Standards eigentlich durchsetzen sollen. 2021 kamen bei einer Gasexplosion in der zentralen Stadt Shiyan 25 Menschen ums Leben. Im März 2019 starben 78 Menschen bei der Explosion in einer Chemiefabrik in Yancheng, 260 km von Shanghai entfernt. Die Detonation zerstörte Dutzende Häuser in der Umgebung. Der schlimmste Unfall dieser Art war die verheerende Explosion in einem Chemielager im Norden der Hafenstadt Tianjin, bei der 165 Menschen ums Leben kamen. Die damals vielfach auf sozialen Medien geteilte Explosion hinterließ zudem eine gewaltige Schneise der Zerstörung.
Zuletzt starb im Juni nach Angaben der South China Morning Post im Juni ein Mensch bei der Explosion in einem Chemiewerk des Staatskonzerns Sinopec in Shanghai mit drei Brandherden an verschiedenen Stellen. Ein weiterer wurde verletzt. ck
Die USA fürchten, dass die chinesische Regierung nicht genehmigte “Polizeistationen” in amerikanischen Städten einrichtet, um möglicherweise über sie Einfluss auf US-Bürger chinesischer Herkunft auszuüben. “Wir sind uns der Existenz dieser Stationen bewusst”, sagte FBI-Direktor Christopher Wray bei einer Anhörung des Ausschusses für Innere Sicherheit und Regierungsangelegenheiten des US-Senats. “Für mich ist es ungeheuerlich, dass die chinesische Polizei versucht, sich in New York niederzulassen, sagen wir mal, ohne eine angemessene Koordination. Das verletzt die Souveränität und umgeht die üblichen Verfahren der Zusammenarbeit zwischen Justiz und Strafverfolgungsbehörden.” Auf die Frage, ob solche Stationen gegen US-Recht verstießen, sagte Wray, das FBI prüfe “die rechtlichen Parameter”.
Die Vereinigten Staaten hätten bereits einige Anklagen gegen die chinesische Regierung erhoben, so der FBI-Chef. In denen ginge es um Belästigung, Verfolgung, Überwachung und Erpressung von in den Vereinigten Staaten lebenden Personen, die mit dem chinesischen Führer Xi Jinping nicht einverstanden seien. “Das ist ein echtes Problem und etwas, worüber wir auch mit unseren ausländischen Partnern sprechen, denn wir sind nicht das einzige Land, in dem dies geschehen ist”, sagte er.
Safeguard Defenders, eine in Europa ansässige Menschenrechtsorganisation, veröffentlichte im September einen Bericht, der die Präsenz von Dutzenden chinesischer “Polizeistationen” in Großstädten auf der ganzen Welt aufdeckte (China.Table berichtete). Der Bericht brachte die “Polizeistationen” auch mit den Aktivitäten der Kommunistischen Partei in Verbindung. rtr
Ein wesentlicher Aspekt der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Chinas ist: Wer einmal dabei ist, kann nicht mehr austreten.
Die Möglichkeit, aus der Partei auszutreten, ist zwar in der Satzung der Partei verankert, aber praktisch existiert sie nicht. Der einzige Weg, die Partei zu verlassen, ist der Ausschluss. Und wenn es einmal so weit ist, hat man ein großes Problem. Das ist einer der Gründe, warum die Zahl der Parteimitglieder stetig ansteigt. Ein anderer Grund ist natürlich die wachsende Bevölkerungszahl in China.
Als weltweit größte politische Vereinigung rühmt sich die KPCh mit 97 Millionen Mitgliedern, was ungefähr der gesamten Bevölkerung von Deutschland, Österreich und der Schweiz entspricht. Wie viele davon tatsächlich an den Kommunismus glauben, lässt sich dagegen unmöglich sagen. Aber diese Zahl dürfte nahezu bei null liegen.
In China – wie auch in anderen Teilen der Welt – ist der Kommunismus als Ideologie bankrott. Obwohl die Partei immer noch den Stempel des Kommunismus trägt, entfernt sie sich nicht nur von der klassischen kommunistischen Zukunftsvision, sondern auch von den grundlegenden Doktrinen des Marxismus, wie etwa der Analyse der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeitern.
Vielmehr entwickeln die Spitzenpolitiker und hochrangigen Apparatschiks laufend neue Konzepte und Theorien, wie zuletzt den “Chinesischen Traum” und “Xi Jinpings Ideen des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter”. Im Mittelpunkt des stetig wachsenden Flickenteppichs von Jargons stehen folgende Aspekte: Die Aufgabe der KP China ist es,
Jedes Parteimitglied vermag Slogans zu diesen Zielen oder Abwandlungen davon zu skandieren. Einige sind sogar in der Lage, lange Vorträge darüber zu halten. Aber die Zahl derjenigen, die der Partei aufrichtig aus diesen Gründen beitreten, ist äußerst gering.
Infolge der zügellosen Korruption und der chronischen sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit herrscht nahezu im gesamten Land blanker Zynismus. Die Menschen verfolgen ausschließlich ihre Eigeninteressen.
Obwohl es der KPCh an überzeugenden, inspirierenden politischen Ideen mangelt, hat sie sich dennoch unangefochten an der Macht gehalten. Und es ist eine ungeschriebene Regel, dass die oberste Führungsriege jeder staatlichen Organisation auf allen Ebenen Mitglied der Partei sein muss. Dies gilt auch für die Armee, staatliche Unternehmen und sonstige öffentliche Einrichtungen, wie Krankenhäuser und Universitäten.
Die Partei, die Staatsunternehmen und der öffentliche Sektor stehen im kommunistischen China immer an oberster Stelle. Unter Xi Jinping ist ihre Position noch stärker geworden. Wer berufliche oder persönliche Ambitionen hegt, weiß also, wohin er sich wenden muss. Eine Mitgliedschaft mag zwar keine Garantie für Macht und Geld sein, aber schaden kann sie auf jeden Fall nicht.
Wer Mitglied werden möchte, muss fachliche Kompetenz vorweisen. Am wichtigsten ist jedoch, der Parteilinie zu folgen, das heißt, sich dem Parteisprech zu bedienen und der Parteipolitik stets die Treue zu halten. Freies Denken oder das Äußern von abweichenden Gedanken ist ein absolutes Tabu. Das wahre Ich muss stets verborgen bleiben, egal, wie es auch aussehen mag.
Doch mit einem Beitritt ist es noch lange nicht getan. Die Parteikomitees aller Organisationen auf den verschiedenen Ebenen schulen ihre Mitglieder im Rahmen von Versammlungen und Studiensitzungen laufend in den neuesten Konzepten und Richtlinien. Dabei bedienen sie sich zum Beispiel Abschriften von Parteiführern und Büchern über deren Gedanken und Theorien.
Von Zeit zu Zeit werden besonders vorbildliche Parteimitglieder präsentiert, die angeblich ihre Freizeit dem Parteistudium widmen. Das interessanteste Beispiel war ein junges Paar, das 2016 in seiner Hochzeitsnacht die Parteisatzung abschrieb.
Die Partei betreibt zudem Parteischulen auf Zentral-, Provinz- und Kreisebene. Parteifunktionäre der oberen und mittleren Ränge müssen alle paar Jahre abwechselnd eine Vollzeitschulung über Parteipolitik absolvieren. Die Kurse können dabei bis zu 4 Monate dauern (und sind übrigens eine großartige Gelegenheit zum Knüpfen von Kontakten).
Im Zeitalter der Neuen Medien hat die Partei mit dem technischen Fortschritt bestens Schritt gehalten. Sie hat eine eigene Internetseite und eine ausgefeilte App zur Bildung ihrer Mitglieder entwickelt. Sie heißen auf Chinesisch “Xuexi Qiangguo”, was wörtlich übersetzt “studiere und stärke die Nation” bedeutet. Dort haben Mitglieder auch die Möglichkeit, sich anhand von Quizfragen selbst zu testen. Typische Fragen lauten etwa: “Was sind die wichtigsten Punkte von Xi Jinpings Gedanken zur Diplomatie?” Oder: “Welche Strafe erhält ein Mitglied, wenn es unbegründete Kritik an der zentralen Führung der Partei übt?”
In einer Bildungskampagne haben zahlreiche Parteigremien festgelegt, wie viel Zeit ihre Mitglieder auf der Website oder in der App verbringen müssen. Ausschussvorsitzende oder Mandatsträger haben die Möglichkeit, dies zu überprüfen.
Sämtliche Bildungsmaßnahmen dienen in gewisser Weise der Gehirnwäsche. Es handelt sich um Rituale, die die Treue zur Partei fördern sollen. Das größte aller Rituale ist der große Parteikongress, der einmal alle fünf Jahre stattfindet.
Hin und wieder gehen einige Bildungsinitiativen nach hinten los. Auf dem letzten Parteitag 2017 rief Xi die Mitglieder dazu auf, “das ursprüngliche Herz nicht zu vergessen und die Mission fest im Gedächtnis zu behalten”. Kurz darauf wurde eine Bildungsinitiative mit diesem Zitat als Thema gestartet. Als Lernmaterial diente der im selben Jahr erschienene deutsche Film “Der junge Karl Marx”, der das Leben von Marx zwischen 1843 und 1848 zeigt. Parteimitglieder und Regierungsangestellte wurden aufgerufen, sich den Film während der Arbeitszeit in Kinos anzuschauen.
Es scheint keine schlechte Idee zu sein, dass eine kommunistische Partei Marx als ihr “ursprüngliches Herz” aufgreift.
Unglücklicherweise wurde dabei übersehen, dass ein zentrales Thema, mit dem sich Marx befasste, das durch kapitalistische Ausbeutung verursachte Elend der Arbeiter war. Etwas, das zufälligerweise im heutigen China lautstark Anklang fand.
Selbstverständlich hatten die Studenten der renommierten Peking-Universität eine unabhängige Gesellschaft für Marxismus gegründet. Einige von ihnen schlossen sich den Arbeitern in Peking und Shenzhen an, um für die Rechte der Arbeiter zu demonstrieren, was wiederum zu einem harten Durchgreifen der Regierung in Peking führte.
Damit wurde den Partei- und Regierungsfunktionären klar, dass ein grundlegender Bestandteil des Marxismus sehr gefährlich ist. So ist das Lied “Die Internationale”, die Hymne der sozialistischen Arbeiterbewegung, die die Unterdrückten auffordert, sich zum Kampf zu erheben, in China inzwischen praktisch verboten. Wer das Lied laut und öffentlich singt, sei es als Einzelner oder in einer Gruppe, riskiert die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zu ziehen und verhaftet zu werden.
Die marxistischen Lehren, auf die sich die Partei nach wie vor bequem berufen kann, sind das Volkseigentum und die Diktatur des Proletariats, mit denen die Partei ihr Macht- und Wirtschaftsmonopol begründet.
Mit zahlreichen öffentlichen Illuminationen im ganzen Land würdigte die Volksrepublik China am vergangenen Samstag den Internationalen Tag der Kinderrechte. Der Tag erinnert an den 20. November 1989, als die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet wurde. Hier erstrahlt ein Hochhaus-Komplex in Wuhan. Das Datum ist nicht zu verwechseln mit dem Weltkindertag, der jährlich am 20. September begangen wird.