Table.Briefing: China

Interview Ai Weiwei + Top-Sinologen zu 2023

  • Ai Weiwei: Politik löst “Panik und Tod” aus
  • Top-Chinaforschende mit Prognosen zu 2023
  • Qin Gang löst Wang Yi als Außenminister ab
  • Viele Länder testen Reisende aus China
  • Medien: Höhepunkt der Welle überschritten
  • Xis Ansprache enthält ökonomische Spoiler
  • Portrait: Elena Meyer-Clement
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Redaktion des China.Table wünscht Ihnen ein großartiges neues Jahr. Mögen Ihre Projekte nach Wunsch laufen – seien sie geschäftlich, wissenschaftlich, zivilgesellschaftlich oder privat.

Das Jahr 2022 war turbulent und hat uns als Journalisten und Sie als China-Profis laufend mit Überraschungen konfrontiert. 2023 beginnt erneut dramatisch mit einer Pandemie-Welle, die erhebliche Auswirkungen im In- und Ausland hat.

Wir haben den kritischen Künstler Ai Weiwei nach seinen Ansichten dazu gefragt. Er sieht hinter der eiligen Öffnung keinen Plan der Führung, sondern vermutet reines Chaos. Ob die offensichtlichen Fehler das Regime entscheidend schwächen? Nein, sagt Ai Weiwei. Dazu sitzt es zu fest im Sattel.

Ai Weiwei glaubt auch, dass das Medienbild von China im Westen fast immer falsch sei. Um für Sie Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir führende China-Forscherinnen und -Forscher um ihre Expertenmeinung zu den Trends des neuen Jahres gebeten. Es geht um Wirtschaft, Technologie, Handel, Lieferketten, Taiwan, Menschenrechte und die Stabilität der KP. So gehen Sie gut orientiert ins neue Jahr.

Ein besonderes Maß an Orientierung bieten wir Ihnen auch mit einer Ergänzung unseres Briefing-Angebots: Ab heute erhalten Sie unser neues Late-Night-Memo mit dem Wichtigsten aus China.Table und den anderen Table-Produkten. Wir sind gespannt, wie es Ihnen gefällt.

Einen guten Start ins Jahr, in den Monat und in die Woche wünscht

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Interview

“Das Regime ist trotz allem sehr selbstbewusst”

Ai Weiwei zur Politik Chinas
Ai Weiwei.

Es war ein turbulentes Jahr für China: Wir haben strenge Lockdowns gesehen, einen der wichtigsten Parteikongresse der vergangenen 30 Jahre, Aufruhr auf den Straßen und ein unerwartetes Ende von Null-Covid. Was hat Sie in diesem Jahr in China am meisten überrascht, und würden Sie das Jahr 2022 als einen Wendepunkt in der jüngeren chinesischen Geschichte betrachten?  

Was heute in China geschieht, spricht für sich selbst. Trotz scheinbarer Klarheit sind sowohl Beobachter als auch Akteure innerhalb und außerhalb Chinas irgendwie verwirrt. Die Verwirrung ergibt sich aus der unvernünftigen, vom gesunden Menschenverstand und der Wissenschaft losgelösten Entscheidungs- und Umsetzungspraxis des Landes. Niemand weiß, warum die dynamische Null-Covid-Politik umgesetzt werden musste. Diese Maßnahmen löschten auf sehr brutale Weise grundlegende Eigenschaften der menschlichen Existenz aus und ließen die Menschen ohne Unterstützung durch Familien, Gemeinschaften, Freunde und medizinische Systeme zurück. In absoluten Zahlen ausgedrückt, wurden die Menschen wie Tiere regiert. Was uns in diesem Ausmaß dann doch überraschte. 

Ja, in der chinesischen Kultur wird traditionell viel über Menschlichkeit nachgedacht, sowohl von den Regierenden als auch von den einfachen Menschen. Was China in den vergangenen drei Jahren während der Pandemie erlebt hat, ist beispiellos. Die plötzliche Wiedereröffnung steht im Widerspruch zur bisherigen Logik der Regierung und erschüttert das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung und ihre Politik schlagartig. Außerdem führt sie zu einer enormen Anzahl von Covid-Fällen. Fast jeder hat sich mit Covid infiziert. Es gibt also viel Panik und Tod. Damit wird die Legitimität des Regimes und seiner Politik erneut infrage gestellt. 

Das plötzliche Ende der Zero-Covid-Beschränkungen folgten unmittelbar auf die Proteste in Peking und Shanghai. Sehen Sie eine neue Zivilgesellschaft auf dem Vormarsch?

Ich glaube nicht, dass es in China eine Bürgerrechtsbewegung gibt. Die Proteste kamen spontan zustande, vergleichbar mit der Reaktion, wenn wir uns die Finger in der Tür klemmen oder uns den Kopf stoßen. Es gibt in China keine bewussten Bürgerrechtsbewegungen, weil es keine “Bürger” im Sinne der westlichen Gesellschaft gibt: also Personen, die sich ihrer Informationsquelle bewusst sind und ihre Meinung kundtun, um eine Reaktion auszulösen, die der Gesellschaft zugutekommt. China unterliegt seit jeher einer strengen Zensur. Alle eingehenden Informationen und alle erlaubten Äußerungen werden streng kontrolliert. Abweichende Meinungen werden gelöscht und blockiert. Und Menschen mit abweichenden Meinungen werden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. 

Es ist also völlig falsch zu glauben, dass die Wiedereröffnung bedeutet, dass das Regime weich geworden ist. Die chinesische Regierung ist in jeder Hinsicht äußerst selbstbewusst, und das wird sich auch in Zukunft in ihrer Regierungsführung widerspiegeln. 

Von außen betrachtet wirken Xi Jinpings Umgang mit Covid und das plötzliche Ende der Beschränkungen hilflos, widersprüchlich und chaotisch. Ist das eine Fehleinschätzung?

Die internationale Medienberichterstattung über China wird unabhängig von der Perspektive immer falsch sein. Wie soll man eine ungeordnete Regierung beurteilen, die ohne Logik agiert? Alle ihre Urteile werden sich als falsch erweisen. Die derzeit umgesetzte Politik bedeutet nicht, dass das Regime den Protesten nachgegeben hat. Tatsächlich sind alle Demonstranten verhaftet, und die Verhaftungen dauern noch an. Das löst kaum Reaktionen aus. Die Leute sorgen sich stattdessen eher um das Wohlergeben der Wirtschaft. Die politisch korrekte Parteilinie wird bei den Konjunkturproblemen jedoch kaum helfen.

Da der internationale Flugverkehr bereits im Januar 2023 ohne Quarantänemaßnahmen wieder aufgenommen werden könnte: Kann die Welt mit China bald wieder zur Tagesordnung übergehen?

Die ausländischen Geschäftsbeziehungen mit China werden wieder auf ein Niveau wie vor der Pandemie zurückkehren, da der internationale Handel in hohem Maße von China abhängig ist. 

Was würden Sie den Menschen in China raten, die weiter langfristige Veränderungen fordern? 

Ich habe keine Ratschläge zu geben. Ich habe mich einst selbst engagiert, wollte etwas verändern und habe hart dafür gearbeitet. Im Moment sitzen diejenigen, die sich genauso angestrengt haben, im Gefängnis. Unter einem solchen Regime funktioniert das alles nicht. Autokratische Regime sind dazu da, jegliche Bemühungen um den Aufbau einer Zivilgesellschaft zunichtezumachen. 

Sie haben einmal gesagt: Die Macht der Kunst demütigt die politischen Eliten, wenn es um sozialen Wandel geht. Sehen Sie die weißen Blätter, die vielen Memes und die Wortspiel-Kritik in den sozialen Medien auch als eine Art künstlerischen Ausdruck?

Ich glaube nicht, dass es sich dabei um einen bewussten künstlerischen Ausdruck handelt. Diese Äußerungen sind so, wie sie sind, in Ermangelung besserer Optionen. Sie drücken nicht nur den Wunsch nach freiem Ausdruck aus, sondern verkörpern auch eine extreme Art von Hilflosigkeit. 

Was ist Ihre größte Hoffnung für China und die Welt 2023?

Ich hoffe, dass China im Jahr 2023, wenn die Pandemie vorbei ist, zu einem gewissen Grad an Normalität zurückkehren kann. Was Taiwan betrifft, so bemüht sich das Regime der VR China um eine Lösung, aber ich denke, das Problem wird noch lange Zeit bestehen bleiben. Die Taiwan-Frage ist ein internationales Problem.  

Welches sind die größten Gefahren, die wir sofort angehen müssen?

Die größten Gefahren sind heute nach wie vor die Konflikte zwischen zwei Welten: der herrschende Westen mit seiner alten Logik und seinen Globalisierungskonzepten gegen die neu entwickelten Länder wie China, Russland und andere, die eine weitere Entwicklung anstreben und eine andere Art von Ordnung vorschlagen. Es ist schwierig, diese beiden Welten miteinander in Einklang zu bringen. In Zukunft wird sich dieses Problem noch verschärfen. 

Sie haben China vor acht Jahren verlassen. Was fehlt Ihnen am meisten?

Was ich vermisse, ist nicht China selbst, sondern vielmehr mein Recht, frei zu reisen. Zu diesem Recht gehört auch, dass ich zurückkehren kann, um meine Verwandten und Freunde zu besuchen. 

Sie haben zwischen 2015 und 2019 in Berlin gelebt. Ihre Äußerungen, dass Deutschland autoritär und ausländerfeindlich sei, wurden breit diskutiert und auch politisch instrumentalisiert. Wie stehen Sie heute zu diesem Aufschrei? Fühlen Sie sich missverstanden?  

Als Künstler überlege ich mir als erstes, wie ich meine Gefühle wahrheitsgetreu ausdrücken kann. Jeder kann die autoritären Züge Deutschlands beobachten, die tief in der Realität verwurzelt sind. Es ist ein kulturelles Problem und kann nicht von Einzelnen geändert werden. In jedem Land gibt es Anhänger des Autoritarismus, der Autokratie und sogar des Nationalsozialismus. Es ist nur so, dass jedes Land diese Gedanken in einer anderen Form und in einem anderen Ausmaß zum Ausdruck bringt. Deutschland weist in dieser Hinsicht meiner Meinung nach wesentliche Merkmale dieser Gedanken auf. Jeder Satz meiner Kritik ist richtig. 

Sie sind nach wie vor eine der meistzitierten Personen chinesischer Herkunft in deutschen Medien. Ihre Stimme zählt, wenn es darum geht, China besser zu verstehen. Sie haben auch die Olaf-Scholz-Reise nach Peking nach dem Parteitag verteidigt. Was würden Sie jetzt deutschen und europäischen Politikern raten, wenn sie ihre China-Strategien planen?

Ich habe Olaf Scholz nie verteidigt. Was ich sagte: Sein Verhalten als Politiker ist nicht viel anders als das anderer Politiker. Deutschland schmeichelt sich nicht nur heuchlerisch bei der politischen Korrektheit (Anm. d. Red.: in China) ein. Es ist vielmehr bemüht, seinen eigenen Interessen gerecht zu werden. Scholz hat dafür keine Komplimente verdient. Was ich befürwortete, ist der politische Dialog. Oberflächlich betrachtet gibt es große Unterschiede in der Haltung der verschiedenen europäischen Länder, aber im Kern geben sie alle sich große Mühe, China bei Laune zu halten. Deutsche Politiker sind also nicht anders als andere Politiker in Europa.  

Ai Weiwei, Künstler, geboren 1957, lebt derzeit in Portugal. Er setzt sich in seinen Werken mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinander. In China war er 2011 für mehrere Monate im Gefängnis und danach mit einem Ausreiseverbot belegt. Von 2015 bis 2019 lebte er in Berlin und lehrte an der Universität der Künste. Danach wechselte er nach Großbritannien. Ai hat die Fragen schriftlich beantwortet.

  • Ai Weiwei
  • Deutschland
  • Geopolitik
  • KP Chinas

Jahresausblick

Einschätzungen von Top-China-Forschenden zu 2023

Richtungskampf in der KP

“Der Kommunistischen Partei droht 2023 eine Zerreißprobe. Die Unzufriedenheit im Land und der damit einhergehende Vertrauensverlust in die Führung von Xi Jinping hat längst auch die Partei erfasst. Einige Kader fürchten, ‘das Mandat des Himmels zu verlieren’ und fordern Richtungsänderungen.

Hinzu kommt der große Einfluss des Privatsektors. Viele Parteimitglieder sind durch ihr Engagement in der Wirtschaft reich geworden. Sie stehen jenen gegenüber, die sozialistischen Ideale der Partei hochhalten wollen. Und auch die Außen- und Sicherheitspolitik birgt Sprengstoff. Innerhalb der Partei hat sich eine nationalistischere und konfrontativere Strömung gebildet, die der traditionell pragmatischeren und flexibleren Richtung den Kampf angesagt hat.

Der aktuelle Mangel an Planung, Organisation, Koordination und Kommunikation seitens der Partei ist vor allem durch diese innerparteilichen Differenzen zu erklären. Die Partei scheint gelähmt und deshalb wenig entscheidungs- oder handlungsfreudig. Heftige Auseinandersetzungen über den richten Weg und Kämpfe um die Macht werden unvermeidlich folgen.”

Klaus Mühlhahn, Sinologe und Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.

Xi will die EU schwächen

“Die Beziehungen zwischen China und der EU werden weiterhin von Xi Jinpings Charmeoffensive geprägt sein, die im Vorfeld der G20 im vergangenen November begann. Beginnend mit Macrons offiziellem Besuch in Peking wird China seine bilateralen Beziehungen intensivieren und gleichzeitig die zentrale Autorität der EU, sei es die Kommission oder das Parlament, herunterspielen. Im Gegensatz zu einem geschlossenen China aufgrund der Zero-Covid-Politik wird eine Wirtschaft in vollständiger Öffnung Xi mehr Einfluss auf seine Verhandlungen mit europäischen Staats- und Regierungschefs geben. Dies gilt umso mehr, als die europäischen Hauptstädte weiterhin über den Krieg in der Ukraine und eine stagnierende Wirtschaft besorgt sein werden. Mit solch anderen wirtschaftlichen Aussichten zugunsten Chinas könnte Chinas Charmeoffensive erfolgreicher denn je sein.”

Alicia García-Herrero, Chefökonomin bei der französischen Bank Natixis und außerordentliche Professorin an der Hong Kong University of Science and Technology (HKUST).

China geht gestärkt aus dem Konflikt mit den USA hervor

“Der Konflikt zwischen China und den Vereinigten Staaten wird 2023 an Schärfe zunehmen – und China dabei an Stärke hinzugewinnen. So wird beispielsweise der von der Biden-Administration begonnene Tech-Krieg kurzfristig zwar zu Engpässen in der Volksrepublik führen. Aber die dadurch erzwungene Lokalisierungsstrategie wird schon mittelfristig für Peking positive Folgen zeigen und schlussendlich den (wirtschaftlichen) Aufstieg Chinas sogar noch beschleunigen. Auch werden Irritationen um Taiwan das bilaterale Verhältnis weiter belasten. Geopolitisch wird die Straße von Taiwan zu einem der zentralen Konfliktpunkte in der internationalen Politik werden.”

Eberhard Sandschneider, Partner bei Berlin Global Advisors.

Abhängigkeitsdebatte verändert die Beziehungen

“Im Zuge der – primär politisch geführten – Debatte um exzessive Abhängigkeiten der deutschen Wirtschaft von China wird sich das Verhältnis der beiden Volkswirtschaften zueinander verändern. Deutsche Unternehmen werden zunehmend von horizontalen Austauschbeziehungen Abstand nehmen müssen und stattdessen auf eigenständige Geschäftsmodelle setzen, die in Europa und China jeweils vertikal voll aufgestellt sind. Im besten Fall bleiben deutsche Unternehmen somit voll im chinesischen Markt engagiert, während als kritisch bewertete Lieferabhängigkeiten reduziert werden. Problematisch wird jedoch der dadurch erschwerte Zugang zum chinesischen F&E- und Innovationskomplex, von dem deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahren substanziell profitiert haben.”

Markus Taube, Professor für Ostasienwirtschaft/China, Universität Duisburg-Essen.

Der Unmut kann sich wieder Bahn brechen

“Nach den landesweiten Protesten Ende November 2022 wird der chinesische Parteistaat im Namen der ‘Sicherheit’ seine digitalen und humanen Instrumente zur sozialen Kontrolle noch weiter ausbauen. Der so nur weggedrückte Unmut könnte sich je nach Ausmaß sozio-ökonomischer Krisen erneut Bahn brechen: Die Erfahrung von nationaler und transnationaler Solidarität bzw. vorhandene organisatorische und ideelle Ressourcen macht Studierende, Arbeiter/Angestellte und Gläubige zu zentralen Gesellschaftsakteuren.” 

Kristin Kupfer, Professorin für Contemporary China Studies, Trier University.

Proteste boten willkommenen Anlass für Strategiewechsel

“Der abrupte Wandel von der Null-Covid-Strategie zur Aufhebung aller Beschränkungen hat zu erheblichen Irritationen der Bevölkerung geführt. Das Vertrauen in die Politik wurde dadurch eingetrübt. Den Anstoß für den Politikwechsel gab wohl die Ankündigung der WHO, die Pandemie 2023 für beendet zu erklären. China wollte nicht das letzte Land mit massiver Covid-19 Ausbreitung sein. Es werden nun viele Todesfälle unter Älteren in Kauf genommen, um Herdenimmunität zu erreichen. Die Proteste boten einen willkommenen Anlass für den Strategiewechsel. Die für Anfang Januar angekündigte Grenzöffnung ist der erste Schritt zu weiterer Öffnung.

Die Minderung der Folgen der Pandemie und der Null Covid-Strategie für Wirtschaft und Gesellschaft werden 2023 im Fokus stehen. Dazu gehören unter anderem das Ankurbeln des Konsums, eine moderatere Haltung gegenüber dem Privatsektor sowie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.”

Thomas Heberer, Professor für Politik- und Ostasienwissenschaften, Universität Duisburg-Essen.

Wirtschaft leidet unter der chaotischen Öffnung

“China blickt in eine ungewisse Zukunft: Die chinesische Wirtschaft leidet stark unter erschwerten Corona-pandemischen Bedingungen nach der chaotischen Öffnung, was eklatante Auswirkungen auf die globalen Lieferketten haben wird; zudem nimmt der wirtschaftliche Konflikt mit den USA und China mit neuen amerikanischen Vorschriften zum Handel mit Halbleitern zu. Die akuten und geplanten Sanktionen der westlichen Industriestaaten gegenüber chinesischen Tech-Firmen werden den Zugang zu westlichen Märkten, wichtigen Rohstoffen, Technologien für die Chip- und Batterieherstellung sowie Dienstleistungen erschweren – all das wird die Entwicklung der innovativen Tech-Wirtschaft in China verlangsamen.

Allerdings könnten die Sanktionen auch in umgekehrter Richtung wirken: chinesische Tech-Firmen gehen auf andere Märkte, wie etwa den afrikanischen, und finden Lösungen, die weniger von Sanktionen betroffen sind.

Die Zukunft der E-Autoindustrie im Jahr 2023 ist schwierig zu prognostizieren; werden chinesische Firmen in der Lage sein, den westlichen Markt zu erobern? Ausschlaggebend dürften hier die wirtschaftlichen Bedingungen, die Konkurrenz zu anderen Herstellern und die schwankende Nachfrage nach Elektroautos sein. Auch die Preisentwicklung der strategischen Rohstoffe und legale Rahmenbedingungen in den Zielländern (Lieferkettengesetz in Deutschland) werden die Profitabilität beeinflussen. Hersteller wie Geely und BYD sind im eigenen Markt und auch in Kooperationen/Beteiligungen mit westlichen Produzenten gut aufgestellt.

Chipindustrie und Batterieherstellung sind für die chinesische Wirtschaft essenziell. Geplante Sanktionen westlicher Länder haben allerdings erhebliche Auswirkungen und werden die Entwicklung der chinesischen Chipindustrie und Batterieherstellung beeinträchtigen.”

Sigrun Abels und Tania Becker, China Center der TU Berlin.

Xinjiang wird großes Problem für deutsche Autobauer

Xinjiang ist zum Symbol für Menschenrechtsverletzungen geworden, die der VR China vorgeworfen werden. Zwangsarbeit dürfte 2023 das beherrschende Thema in diesem Bereich werden: Zum einen tritt ab Januar das deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz in Kraft. Ein EU-Pendant wird ab Mai im Europäischen Parlament beraten werden. Zum anderen versucht ein gerade erschienener Bericht der Sheffield Hallam University, die Verstrickung der Automobilbranche – einschließlich Volkswagen und Mercedes-Benz – in uigurische Zwangsarbeit nachzuweisen. Auch wenn ein direkter Nachweis von Zwang in den chinesischen Programmen, die nominell der Armutsbeseitigung dienen, schwierig bleibt, wird das die Auseinandersetzungen weiter anheizen.”

Björn Alpermann, Professor für Gegenwärtige China-Studien, Universität Würzburg.

Instrumente zum Schutz Taiwans entwickeln

“Sich auf mögliche Szenarien eines gewaltsamen Konflikts in der Taiwan-Straße vorzubereiten, ist auch für die EU und ihre Mitgliedstaaten wichtig. Gibt es eine geschlossene Haltung dazu, wie man auf einen militärischen Versuch Pekings reagieren würde, sich Taiwan einzuverleiben? Welche Instrumente könnten in diesem Fall zum Einsatz kommen? Doch sollte sich europäische Politik vor allem darauf konzentrieren, was sie dazu beitragen kann, eine solche Entwicklung abzuwenden. Dieses Ziel sollte auch für Maßnahmen zur Aufwertung und Stärkung Taiwans das entscheidende Kriterium sein. Spekulationen, wann (nicht mehr ob) China die Insel möglicherweise angreift, sind dabei nicht hilfreich.

Gudrun Wacker, Senior Fellow Asien, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Anderer Tonfall darf nicht täuschen

“Was ein Lächeln für einen Unterschied macht. Das Treffen von Xi Jinping mit Joe Biden auf dem G20-Gipfel in Bali hat die Schleusen für die Wiederaufnahme persönlicher Treffen auch zwischen Europa und China geöffnet. Die Neubelebung der Diplomatie lässt hoffen, dass direktes Engagement greifbare Vorteile für europäische Interessen bringt. Ein anderer Tonfall ist jedoch nicht gleichbedeutend mit substantieller Veränderung der Beziehungen. Man sollte daher auf der Hut sein: Eine vorübergehende taktische Öffnung Chinas könnte als ernsthafte Chance fehlinterpretiert werden.”

Mathieu Duchâtel, Direktor des Asien-Programms am Institut Montaigne, Paris.

Es braucht mehr als nur Konjunkturprogramme

“Die chinesische (Wirtschafts-) Politik setzt für das Jahr 2023 auf Stabilität. Das ist zunächst mal eine gute Nachricht, denn nach dem politischen Zirkus vor und während des 20. Parteitags und der Achterbahnfahrt in der Covidpolitik sehnen sich chinesische Bürger ebenso wie die Weltgemeinschaft nach mehr Vorhersehbarkeit und weniger Aufregung. Allerdings stellt sich die Frage, worauf sich das postulierte Stabilitätsziel vor allem beziehen wird.

Die Stabilität der politischen Verhältnisse dürfte für die Partei oberste Priorität haben. Die Proteste im vergangenen November waren zwar in ihrem Ausmaß beschränkt, gleichwohl dürften sie die Parteiführung erschreckt haben. Wir wissen nicht, ob Xi Jinping über die Forderungen nach seinem Rücktritt durch einige der Protestler informiert wurde. Aber auch ohne diese Information waren die überregional parallellaufenden Protestaktionen, auch wenn sie an jedem Ort überschaubar blieben, ein Vorbote für den Alptraum der Parteiführung. Es ist also damit zu rechnen, dass die politische Überwachung von Personen und Kommunikation eher mehr als weniger werden wird.

Die Stabilität der Wirtschaft ist schon komplizierter zu erreichen. Stabilität verlangt hier Revitalisierung. Hierfür sind die neue Coronapolitik und die weitgehende Aufhebung der Reisebeschränkungen sicher notwendig. Ob sie auch hinreichend sein werden? Für letzteres braucht es Vertrauen in die Dynamik der chinesischen Wirtschaft und die Verlässlichkeit der chinesischen Wirtschaftspolitik – und zwar nicht nur der internationalen Handels- und Investitionspartner, sondern auch der chinesischen Privatunternehmen, Haushalte und Individuen. Die Parteiführung konnte jedoch den Eindruck nicht entkräften, dass private und ausländische Unternehmen mit anderem Maß gemessen werden als staatliche bzw. “staatstragende”. Die größte Hoffnung für die Stabilisierung beziehungsweise Revitalisierung liegt daher bei den Provinzen und Lokalregierungen. Diese werden aller Voraussicht nach auf mehr Freiraum drängen. 

Neue Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft, ähnlich wie jenes zur Bekämpfung der globalen Finanzkrise, scheinen dafür nicht ausreichend. Vielmehr braucht das chinesische System für die langfristigere politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität Ideen und Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des “chinesischen Modells”. Die häufig formulierte Vision, dass Chinas Wirtschaft in der Zukunft auf Innovation und heimischem Konsum gestützt blühen werde, gilt es noch zu realisieren. Überraschungen sind auch in der Wirtschaftspolitik nicht ausgeschlossen. Spannend bleibt sie in jedem Fall.”

Doris Fischer, Professorin für China Business and Economics, Universität Würzburg.

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News

Qin Gang wird neuer Außenminister

Der ehemalige chinesische Botschafter in den USA, Qin Gang, ist neuer Außenminister Chinas. Der 56-Jährige war ab Juli 2021 Botschafter in Washington und davor Vizeaußenminister (China.Table berichtete). Er gilt als nationalistischer Hardliner, trat als Botschafter in den USA aber moderater auf.

Qin löst den 69-jährigen Wang Yi ab, der nach seinem Aufstieg ins Politbüro auf dem Parteikongress im Oktober neuer Chef der Kommission für Außenpolitik der Kommunistischen Partei wird. Für Wang ist das ein Aufstieg, sein Parteiamt steht über dem des Außenministers. Wang wird damit die Grundzüge der Außenpolitik vorgeben, die Qin im diplomatischen Alltagsgeschäft umzusetzen hat. Wang Yi rief die USA am Neujahrstag zum Dialog mit der Volksrepublik auf. Fehler, die während des Kalten Krieges gemacht wurden, müssten vermieden werden, heißt es in seiner ersten öffentlichen Erklärung seit Übernahme der neuen Aufgaben. flee

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Mehr Länder führen Corona-Testpflicht für Reisende ein

Die hohen Infektionszahlen in China lösen weltweit Besorgnis aus. Zahlreiche Länder verlangen von Reisenden aus China einen Test auf Sars-CoV-2, bevor sie die Einreise genehmigen:

  • die USA, Kanada,
  • Japan, Südkorea, Taiwan, Indien, Malaysia,
  • Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien.

Marokko hat Einreisen aus China verboten. Weitere Länder, darunter Australien und die Philippinen, denken über die Einführung einer Testpflicht nach. Deutschland verlangt bisher keinen Test, doch es beginnt eine Diskussion über das Thema. Bayern fordert von der Bundesregierung die Einführung einer Testpflicht.

Ab dem 8. Januar gilt umgekehrt keine Quarantänepflicht mehr für ankommende Reisende in China. Der negative Testnachweis reicht.

Staatsmedien: Höhepunkt der Corona-Welle überschritten

Der Höhepunkt der aktuellen Corona-Welle ist nach Darstellung der Staatsmedien bereits überschritten. Das entspricht zwar grundsätzlich den Erwartungen von Seuchenexperten. Die Glaubwürdigkeit der offiziellen chinesischen Verlautbarungen ist aber weiterhin gering: Landesweit wurde für den Silvestertag nur ein Corona-Toter gemeldet. Die Verfolgung des Infektionsgeschehens läuft inzwischen über Umfragen in der Bevölkerung statt über Tests und die Berechnung einer offiziellen Inzidenz.

Sicher sind jedoch weiterhin hohe Erkrankungszahlen. Beiträgen in sozialen Medien ist zu entnehmen, dass viele Krankenhäuser weiterhin überlastet sind. Vor Krematorien in Peking und Shanghai stauen sich weiter die Leichenwagen. Selbst wenn die aktuelle Welle schon wieder abflauen sollte, erwarten Experten vor und nach dem Frühlingsfest um den 22. Januar herum eine weitere heftige Welle.

Große Hoffnung setzen Chinas Ärzte nun auf Medikamente, die den Verlauf von Corona-Infektionen milder machen sollen. Das Land hat den Wirkstoff Molnupiravir des US-Anbieters Merck am Freitag zugelassen. Paxlovid von Pfizer hat bereits eine Zulassung; es soll nun in größerer Zahl an die Krankenhäuser verteilt werden; offenbar herrscht aber auch hier bislang erhebliche Knappheit. Es gibt auch einheimische Medikamente: Azvudine, das ursprünglich gegen HIV entwickelt wurde, und den Antikörper Meplazumab. fin

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Xis Ansprache: Das Augenmerk gilt erneut den Fotos

Xi Neujahrsansprache

In seiner Neujahrsansprache lobt Staatspräsident Xi Jinping die chinesische Pandemie-Politik. “Seit Covid-19 zugeschlagen hat, haben wir stets den Menschen und seine Gesundheit in den Mittelpunkt gestellt”, sagte er laut dem Redemanuskript, das die Staatsmedien veröffentlichten. “Wir haben unsere Antwort auf Covid im Lichte neuer Entwicklungen angepasst, um das Leben der Menschen zum größtmöglichen Grad zu retten.”

Weitere Themen seines Rückblicks waren der 20. Parteitag, die Olympischen Winterspiele und der Freihafen Hainan. Er betonte: “China ist ein Land mit enger Anbindung an die Welt.” Für die Zukunft kündigte er an, dass China “durch harte Arbeit Wunder vollbringen” werde. Es herrsche nationale Einheit. China befinde sich auf der richtigen Seite der Geschichte.

Die chinesische Wirtschaft habe ein Volumen von 120 Billionen Yuan erreicht, sagte Xi. Nach offiziellen Zahlen betrug es 2021 noch 115 Billionen. Aus der Aussage des Präsidenten geht also hervor, dass die Wirtschaft um etwas über vier Prozent gewachsen sein muss. Das lag unter dem ursprünglichen Wachstumsziel von rund 5,5 Prozent. Chinas Wirtschaft sei sehr robust und vital, sagte Xi dennoch.

Viel mehr Aufmerksamkeit als die Rede selbst erhielten wie in jedem Jahr die neu aufgestellten Fotos in Xis Arbeitszimmer. Eines zeigte ihn in diesem Jahr mit seinen Vorgängern Jiang Zemin (der 2022 verstarb) und Hu Jintao (den er während des Parteitags aus dem Saal führen ließ). Das kann, muss aber nicht als Zeichen gelten, dass Hu doch nicht so tief gefallen ist wie nach dem Parteitag vermutet. fin

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Presseschau

EVP-Chef Manfred Weber nennt China “Bedrohung für europäische Sicherheit” SPIEGEL
EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis warnt: Handelsstreit mit USA könnte Europäer in Richtung China treiben HEISE
Stimmung in China bei Industrie und Dienstleistung eingetrübt ZEIT
Sinologin Marie Holzman: “Die Inkompetenz von Xi Jinping wird immer offensichtlicher” WELT
Ampel lehnt Corona-Tests für Reisende aus China ab N-TV
Frankreich, Spanien und Großbritannien führen Testpflicht für Reisende aus China ein SPIEGEL
Corona-Welle in China: Präsident Xi ruft zum Durchhalten auf SUEDDEUTSCHE
Bewältigung der Corona-Welle: Taiwan bietet China Hilfe an ZDF
WHO will mehr Daten zu Corona in China DW
Wladimir Putin lädt Xi Jinping nach Moskau ein ZEIT
Putin will stärkere militärische Zusammenarbeit mit Peking DW
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Im Südchinesischen Meer nehmen die Spannungen wieder zu, und die Gefahr eines Zwischenfalls wächst NZZ
Unabhängigkeit der Justiz in Hongkong weiter eingeschränkt SN
Chinas Künstler leiden unter dem eisigen politischen Klima NZZ
China: Hikvision-Kameras schlagen Alarm bei Protestkundgebungen HEISE

Heads

Elena Meyer-Clement – Chinas Gesellschaft bis ins Detail verstehen

Elena Meyer-Clement ist Professorin für Chinastudien an der Universität Kopenhagen.
Elena Meyer-Clement ist Professorin für Chinastudien an der Universität Kopenhagen.

Schon während ihrer Schulzeit lernte Elena Meyer-Clement Chinesisch. Sie reiste mit Schülergruppen nach Shanghai und Peking. Meyer-Clement erinnert sich, dass sie das Land und seine Menschen beim zweiten Besuch schrecklich fand. “Die Menschen sahen uns als Fremde an und wir sie.” Aber diese Abneigung hielt nicht lange, die damalige Schülerin spürte bald eine Verbundenheit zu den Einheimischen, in alltäglichen Begegnungen, im Austausch kurzer Blicke. “Mir ist das in Erinnerung geblieben, weil mir später klargeworden ist, dass meine Faszination an China nicht mit dem Fremden zu tun hat, sondern dem Gemeinsamen, trotz aller Unterschiede.”

Nach der Schule studierte Meyer-Clement in Hamburg Sinologie, Philosophie und Politikwissenschaften und promovierte in Tübingen über politische Kontrollstrukturen in der chinesischen Film- und Musikwirtschaft. Damals begann sie, sich mit den verschiedenen Formen von staatlicher Macht in China und mit den staatlichen Versuchen der Beeinflussung von Gesellschaft auseinanderzusetzen – ein Forschungsschwerpunkt, dem sie bis heute treu geblieben ist. “Ich glaube, der Blick von außen auf ein Land und seine Menschen ist hilfreich, um zu verstehen, was die Organisation des Zusammenlebens in einer Gesellschaft mit den Menschen macht”, sagt sie. “Wir brauchen ein tiefes Verständnis des Zusammenspiels von politisch manipulierten Strukturen und Verhalten, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.”

Inseln der Freiheit trotz aller Kontrolle

Seit 2012 forscht Meyer-Clement zum Umbau ländlicher Regionen und zur Urbanisierung in China. Dabei geht es um das Verhalten von Lokalregierungen, um Konflikte um Bodennutzung und die Umsiedlung von Dorfbewohnern. “Mich interessiert, wie von der politischen Führung in Beijing hin zum Dorfkader versucht wird zu steuern, wie Menschen in Gemeinschaft leben sollen.”

Fragt man sie, was sie in Bezug auf China aktuell am meisten beschäftigt, ist es das Zuspitzen der globalen Feindseligkeiten, die gerade auf allen Seiten wieder Nationalismen stärken würden. “In diesem schwierigen Klima bewegt es mich besonders zu sehen, wenn mutige Chinesinnen und Chinesen trotz der Übermacht und Gewalt des Staates für ein selbstbestimmtes Leben und den Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft eintreten.” In ihrer Forschung begegneten ihr Menschen in Umsiedlungsgebieten, die trotz Verbot immer wieder kleine Flächen fanden, um Gemüse anzubauen und sich so einen Teil ihrer Freiheit erhielten. “Aber ich traf auch Kader, die im richtigen Moment wegschauten.”

Dialog unter Forschern fördern

Neben ihren Projekten zum ländlichen Wandel ist Meyer-Clement Teil des Forschungsverbunds “Welterzeugung (worldmaking) aus globaler Perspektive: Ein Dialog mit China”, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. “Mit dem Verbund versuchen wir, den Dialog mit chinesischen Forscherinnen und Forschern über Disziplinen hinweg zu fördern und beschäftigen uns mit der Frage, worauf wir unsere Vorstellungen von Welt oder Welten eigentlich bauen, wie sie entstehen, oder auch untergehen, und wie sie uns beeinflussen.” Sie betont, dass dieser Austausch besonders in der heutigen Zeit relevant ist, in der die Vorstellungen vom Zusammenleben auf unserem Planeten “wieder einmal extrem auseinanderzuklaffen scheinen.” Svenja Napp

  • Forschung
  • Universitäten
  • Wissenschaft

Personalien

Geng Wu ist bei Volkswagen in Wolfsburg seit Oktober Senior Vice President des Konzerneinkaufs. Zuvor hat er ein Projekt zur Neuaufstellung der Beschaffung geleitet.

Rizvan Kahraman, Masterstudent auf dem Weg zum Vertriebsingenieur an der Ruhr Uni Bochum, ist bei Audi in Ingolstadt im China Business Management tätig.

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Dessert

Offiziell hat das Jahr des Hasen zwar noch nicht begonnen. Dieses beginnt erst zum chinesischen Neujahrstag am 22. Januar. Mit roten Hasen decken sich einige Chinesinnen, wie auf diesem Bild aus Wuhan zu sehen, schon jetzt ein. Das zurückliegende Jahr des Tigers stand – entsprechend dem Charakter eines Raubtiers – für Mut, allerdings auch für Zorn und Aggression. Der Hase hingegen gilt als sanft, ruhig, freundlich und geduldig.  Es dürfte also nicht schaden, das Hasenjahr schon jetzt einzuläuten.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Ai Weiwei: Politik löst “Panik und Tod” aus
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    Das Jahr 2022 war turbulent und hat uns als Journalisten und Sie als China-Profis laufend mit Überraschungen konfrontiert. 2023 beginnt erneut dramatisch mit einer Pandemie-Welle, die erhebliche Auswirkungen im In- und Ausland hat.

    Wir haben den kritischen Künstler Ai Weiwei nach seinen Ansichten dazu gefragt. Er sieht hinter der eiligen Öffnung keinen Plan der Führung, sondern vermutet reines Chaos. Ob die offensichtlichen Fehler das Regime entscheidend schwächen? Nein, sagt Ai Weiwei. Dazu sitzt es zu fest im Sattel.

    Ai Weiwei glaubt auch, dass das Medienbild von China im Westen fast immer falsch sei. Um für Sie Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir führende China-Forscherinnen und -Forscher um ihre Expertenmeinung zu den Trends des neuen Jahres gebeten. Es geht um Wirtschaft, Technologie, Handel, Lieferketten, Taiwan, Menschenrechte und die Stabilität der KP. So gehen Sie gut orientiert ins neue Jahr.

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    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Interview

    “Das Regime ist trotz allem sehr selbstbewusst”

    Ai Weiwei zur Politik Chinas
    Ai Weiwei.

    Es war ein turbulentes Jahr für China: Wir haben strenge Lockdowns gesehen, einen der wichtigsten Parteikongresse der vergangenen 30 Jahre, Aufruhr auf den Straßen und ein unerwartetes Ende von Null-Covid. Was hat Sie in diesem Jahr in China am meisten überrascht, und würden Sie das Jahr 2022 als einen Wendepunkt in der jüngeren chinesischen Geschichte betrachten?  

    Was heute in China geschieht, spricht für sich selbst. Trotz scheinbarer Klarheit sind sowohl Beobachter als auch Akteure innerhalb und außerhalb Chinas irgendwie verwirrt. Die Verwirrung ergibt sich aus der unvernünftigen, vom gesunden Menschenverstand und der Wissenschaft losgelösten Entscheidungs- und Umsetzungspraxis des Landes. Niemand weiß, warum die dynamische Null-Covid-Politik umgesetzt werden musste. Diese Maßnahmen löschten auf sehr brutale Weise grundlegende Eigenschaften der menschlichen Existenz aus und ließen die Menschen ohne Unterstützung durch Familien, Gemeinschaften, Freunde und medizinische Systeme zurück. In absoluten Zahlen ausgedrückt, wurden die Menschen wie Tiere regiert. Was uns in diesem Ausmaß dann doch überraschte. 

    Ja, in der chinesischen Kultur wird traditionell viel über Menschlichkeit nachgedacht, sowohl von den Regierenden als auch von den einfachen Menschen. Was China in den vergangenen drei Jahren während der Pandemie erlebt hat, ist beispiellos. Die plötzliche Wiedereröffnung steht im Widerspruch zur bisherigen Logik der Regierung und erschüttert das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung und ihre Politik schlagartig. Außerdem führt sie zu einer enormen Anzahl von Covid-Fällen. Fast jeder hat sich mit Covid infiziert. Es gibt also viel Panik und Tod. Damit wird die Legitimität des Regimes und seiner Politik erneut infrage gestellt. 

    Das plötzliche Ende der Zero-Covid-Beschränkungen folgten unmittelbar auf die Proteste in Peking und Shanghai. Sehen Sie eine neue Zivilgesellschaft auf dem Vormarsch?

    Ich glaube nicht, dass es in China eine Bürgerrechtsbewegung gibt. Die Proteste kamen spontan zustande, vergleichbar mit der Reaktion, wenn wir uns die Finger in der Tür klemmen oder uns den Kopf stoßen. Es gibt in China keine bewussten Bürgerrechtsbewegungen, weil es keine “Bürger” im Sinne der westlichen Gesellschaft gibt: also Personen, die sich ihrer Informationsquelle bewusst sind und ihre Meinung kundtun, um eine Reaktion auszulösen, die der Gesellschaft zugutekommt. China unterliegt seit jeher einer strengen Zensur. Alle eingehenden Informationen und alle erlaubten Äußerungen werden streng kontrolliert. Abweichende Meinungen werden gelöscht und blockiert. Und Menschen mit abweichenden Meinungen werden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. 

    Es ist also völlig falsch zu glauben, dass die Wiedereröffnung bedeutet, dass das Regime weich geworden ist. Die chinesische Regierung ist in jeder Hinsicht äußerst selbstbewusst, und das wird sich auch in Zukunft in ihrer Regierungsführung widerspiegeln. 

    Von außen betrachtet wirken Xi Jinpings Umgang mit Covid und das plötzliche Ende der Beschränkungen hilflos, widersprüchlich und chaotisch. Ist das eine Fehleinschätzung?

    Die internationale Medienberichterstattung über China wird unabhängig von der Perspektive immer falsch sein. Wie soll man eine ungeordnete Regierung beurteilen, die ohne Logik agiert? Alle ihre Urteile werden sich als falsch erweisen. Die derzeit umgesetzte Politik bedeutet nicht, dass das Regime den Protesten nachgegeben hat. Tatsächlich sind alle Demonstranten verhaftet, und die Verhaftungen dauern noch an. Das löst kaum Reaktionen aus. Die Leute sorgen sich stattdessen eher um das Wohlergeben der Wirtschaft. Die politisch korrekte Parteilinie wird bei den Konjunkturproblemen jedoch kaum helfen.

    Da der internationale Flugverkehr bereits im Januar 2023 ohne Quarantänemaßnahmen wieder aufgenommen werden könnte: Kann die Welt mit China bald wieder zur Tagesordnung übergehen?

    Die ausländischen Geschäftsbeziehungen mit China werden wieder auf ein Niveau wie vor der Pandemie zurückkehren, da der internationale Handel in hohem Maße von China abhängig ist. 

    Was würden Sie den Menschen in China raten, die weiter langfristige Veränderungen fordern? 

    Ich habe keine Ratschläge zu geben. Ich habe mich einst selbst engagiert, wollte etwas verändern und habe hart dafür gearbeitet. Im Moment sitzen diejenigen, die sich genauso angestrengt haben, im Gefängnis. Unter einem solchen Regime funktioniert das alles nicht. Autokratische Regime sind dazu da, jegliche Bemühungen um den Aufbau einer Zivilgesellschaft zunichtezumachen. 

    Sie haben einmal gesagt: Die Macht der Kunst demütigt die politischen Eliten, wenn es um sozialen Wandel geht. Sehen Sie die weißen Blätter, die vielen Memes und die Wortspiel-Kritik in den sozialen Medien auch als eine Art künstlerischen Ausdruck?

    Ich glaube nicht, dass es sich dabei um einen bewussten künstlerischen Ausdruck handelt. Diese Äußerungen sind so, wie sie sind, in Ermangelung besserer Optionen. Sie drücken nicht nur den Wunsch nach freiem Ausdruck aus, sondern verkörpern auch eine extreme Art von Hilflosigkeit. 

    Was ist Ihre größte Hoffnung für China und die Welt 2023?

    Ich hoffe, dass China im Jahr 2023, wenn die Pandemie vorbei ist, zu einem gewissen Grad an Normalität zurückkehren kann. Was Taiwan betrifft, so bemüht sich das Regime der VR China um eine Lösung, aber ich denke, das Problem wird noch lange Zeit bestehen bleiben. Die Taiwan-Frage ist ein internationales Problem.  

    Welches sind die größten Gefahren, die wir sofort angehen müssen?

    Die größten Gefahren sind heute nach wie vor die Konflikte zwischen zwei Welten: der herrschende Westen mit seiner alten Logik und seinen Globalisierungskonzepten gegen die neu entwickelten Länder wie China, Russland und andere, die eine weitere Entwicklung anstreben und eine andere Art von Ordnung vorschlagen. Es ist schwierig, diese beiden Welten miteinander in Einklang zu bringen. In Zukunft wird sich dieses Problem noch verschärfen. 

    Sie haben China vor acht Jahren verlassen. Was fehlt Ihnen am meisten?

    Was ich vermisse, ist nicht China selbst, sondern vielmehr mein Recht, frei zu reisen. Zu diesem Recht gehört auch, dass ich zurückkehren kann, um meine Verwandten und Freunde zu besuchen. 

    Sie haben zwischen 2015 und 2019 in Berlin gelebt. Ihre Äußerungen, dass Deutschland autoritär und ausländerfeindlich sei, wurden breit diskutiert und auch politisch instrumentalisiert. Wie stehen Sie heute zu diesem Aufschrei? Fühlen Sie sich missverstanden?  

    Als Künstler überlege ich mir als erstes, wie ich meine Gefühle wahrheitsgetreu ausdrücken kann. Jeder kann die autoritären Züge Deutschlands beobachten, die tief in der Realität verwurzelt sind. Es ist ein kulturelles Problem und kann nicht von Einzelnen geändert werden. In jedem Land gibt es Anhänger des Autoritarismus, der Autokratie und sogar des Nationalsozialismus. Es ist nur so, dass jedes Land diese Gedanken in einer anderen Form und in einem anderen Ausmaß zum Ausdruck bringt. Deutschland weist in dieser Hinsicht meiner Meinung nach wesentliche Merkmale dieser Gedanken auf. Jeder Satz meiner Kritik ist richtig. 

    Sie sind nach wie vor eine der meistzitierten Personen chinesischer Herkunft in deutschen Medien. Ihre Stimme zählt, wenn es darum geht, China besser zu verstehen. Sie haben auch die Olaf-Scholz-Reise nach Peking nach dem Parteitag verteidigt. Was würden Sie jetzt deutschen und europäischen Politikern raten, wenn sie ihre China-Strategien planen?

    Ich habe Olaf Scholz nie verteidigt. Was ich sagte: Sein Verhalten als Politiker ist nicht viel anders als das anderer Politiker. Deutschland schmeichelt sich nicht nur heuchlerisch bei der politischen Korrektheit (Anm. d. Red.: in China) ein. Es ist vielmehr bemüht, seinen eigenen Interessen gerecht zu werden. Scholz hat dafür keine Komplimente verdient. Was ich befürwortete, ist der politische Dialog. Oberflächlich betrachtet gibt es große Unterschiede in der Haltung der verschiedenen europäischen Länder, aber im Kern geben sie alle sich große Mühe, China bei Laune zu halten. Deutsche Politiker sind also nicht anders als andere Politiker in Europa.  

    Ai Weiwei, Künstler, geboren 1957, lebt derzeit in Portugal. Er setzt sich in seinen Werken mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinander. In China war er 2011 für mehrere Monate im Gefängnis und danach mit einem Ausreiseverbot belegt. Von 2015 bis 2019 lebte er in Berlin und lehrte an der Universität der Künste. Danach wechselte er nach Großbritannien. Ai hat die Fragen schriftlich beantwortet.

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    Jahresausblick

    Einschätzungen von Top-China-Forschenden zu 2023

    Richtungskampf in der KP

    “Der Kommunistischen Partei droht 2023 eine Zerreißprobe. Die Unzufriedenheit im Land und der damit einhergehende Vertrauensverlust in die Führung von Xi Jinping hat längst auch die Partei erfasst. Einige Kader fürchten, ‘das Mandat des Himmels zu verlieren’ und fordern Richtungsänderungen.

    Hinzu kommt der große Einfluss des Privatsektors. Viele Parteimitglieder sind durch ihr Engagement in der Wirtschaft reich geworden. Sie stehen jenen gegenüber, die sozialistischen Ideale der Partei hochhalten wollen. Und auch die Außen- und Sicherheitspolitik birgt Sprengstoff. Innerhalb der Partei hat sich eine nationalistischere und konfrontativere Strömung gebildet, die der traditionell pragmatischeren und flexibleren Richtung den Kampf angesagt hat.

    Der aktuelle Mangel an Planung, Organisation, Koordination und Kommunikation seitens der Partei ist vor allem durch diese innerparteilichen Differenzen zu erklären. Die Partei scheint gelähmt und deshalb wenig entscheidungs- oder handlungsfreudig. Heftige Auseinandersetzungen über den richten Weg und Kämpfe um die Macht werden unvermeidlich folgen.”

    Klaus Mühlhahn, Sinologe und Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.

    Xi will die EU schwächen

    “Die Beziehungen zwischen China und der EU werden weiterhin von Xi Jinpings Charmeoffensive geprägt sein, die im Vorfeld der G20 im vergangenen November begann. Beginnend mit Macrons offiziellem Besuch in Peking wird China seine bilateralen Beziehungen intensivieren und gleichzeitig die zentrale Autorität der EU, sei es die Kommission oder das Parlament, herunterspielen. Im Gegensatz zu einem geschlossenen China aufgrund der Zero-Covid-Politik wird eine Wirtschaft in vollständiger Öffnung Xi mehr Einfluss auf seine Verhandlungen mit europäischen Staats- und Regierungschefs geben. Dies gilt umso mehr, als die europäischen Hauptstädte weiterhin über den Krieg in der Ukraine und eine stagnierende Wirtschaft besorgt sein werden. Mit solch anderen wirtschaftlichen Aussichten zugunsten Chinas könnte Chinas Charmeoffensive erfolgreicher denn je sein.”

    Alicia García-Herrero, Chefökonomin bei der französischen Bank Natixis und außerordentliche Professorin an der Hong Kong University of Science and Technology (HKUST).

    China geht gestärkt aus dem Konflikt mit den USA hervor

    “Der Konflikt zwischen China und den Vereinigten Staaten wird 2023 an Schärfe zunehmen – und China dabei an Stärke hinzugewinnen. So wird beispielsweise der von der Biden-Administration begonnene Tech-Krieg kurzfristig zwar zu Engpässen in der Volksrepublik führen. Aber die dadurch erzwungene Lokalisierungsstrategie wird schon mittelfristig für Peking positive Folgen zeigen und schlussendlich den (wirtschaftlichen) Aufstieg Chinas sogar noch beschleunigen. Auch werden Irritationen um Taiwan das bilaterale Verhältnis weiter belasten. Geopolitisch wird die Straße von Taiwan zu einem der zentralen Konfliktpunkte in der internationalen Politik werden.”

    Eberhard Sandschneider, Partner bei Berlin Global Advisors.

    Abhängigkeitsdebatte verändert die Beziehungen

    “Im Zuge der – primär politisch geführten – Debatte um exzessive Abhängigkeiten der deutschen Wirtschaft von China wird sich das Verhältnis der beiden Volkswirtschaften zueinander verändern. Deutsche Unternehmen werden zunehmend von horizontalen Austauschbeziehungen Abstand nehmen müssen und stattdessen auf eigenständige Geschäftsmodelle setzen, die in Europa und China jeweils vertikal voll aufgestellt sind. Im besten Fall bleiben deutsche Unternehmen somit voll im chinesischen Markt engagiert, während als kritisch bewertete Lieferabhängigkeiten reduziert werden. Problematisch wird jedoch der dadurch erschwerte Zugang zum chinesischen F&E- und Innovationskomplex, von dem deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahren substanziell profitiert haben.”

    Markus Taube, Professor für Ostasienwirtschaft/China, Universität Duisburg-Essen.

    Der Unmut kann sich wieder Bahn brechen

    “Nach den landesweiten Protesten Ende November 2022 wird der chinesische Parteistaat im Namen der ‘Sicherheit’ seine digitalen und humanen Instrumente zur sozialen Kontrolle noch weiter ausbauen. Der so nur weggedrückte Unmut könnte sich je nach Ausmaß sozio-ökonomischer Krisen erneut Bahn brechen: Die Erfahrung von nationaler und transnationaler Solidarität bzw. vorhandene organisatorische und ideelle Ressourcen macht Studierende, Arbeiter/Angestellte und Gläubige zu zentralen Gesellschaftsakteuren.” 

    Kristin Kupfer, Professorin für Contemporary China Studies, Trier University.

    Proteste boten willkommenen Anlass für Strategiewechsel

    “Der abrupte Wandel von der Null-Covid-Strategie zur Aufhebung aller Beschränkungen hat zu erheblichen Irritationen der Bevölkerung geführt. Das Vertrauen in die Politik wurde dadurch eingetrübt. Den Anstoß für den Politikwechsel gab wohl die Ankündigung der WHO, die Pandemie 2023 für beendet zu erklären. China wollte nicht das letzte Land mit massiver Covid-19 Ausbreitung sein. Es werden nun viele Todesfälle unter Älteren in Kauf genommen, um Herdenimmunität zu erreichen. Die Proteste boten einen willkommenen Anlass für den Strategiewechsel. Die für Anfang Januar angekündigte Grenzöffnung ist der erste Schritt zu weiterer Öffnung.

    Die Minderung der Folgen der Pandemie und der Null Covid-Strategie für Wirtschaft und Gesellschaft werden 2023 im Fokus stehen. Dazu gehören unter anderem das Ankurbeln des Konsums, eine moderatere Haltung gegenüber dem Privatsektor sowie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.”

    Thomas Heberer, Professor für Politik- und Ostasienwissenschaften, Universität Duisburg-Essen.

    Wirtschaft leidet unter der chaotischen Öffnung

    “China blickt in eine ungewisse Zukunft: Die chinesische Wirtschaft leidet stark unter erschwerten Corona-pandemischen Bedingungen nach der chaotischen Öffnung, was eklatante Auswirkungen auf die globalen Lieferketten haben wird; zudem nimmt der wirtschaftliche Konflikt mit den USA und China mit neuen amerikanischen Vorschriften zum Handel mit Halbleitern zu. Die akuten und geplanten Sanktionen der westlichen Industriestaaten gegenüber chinesischen Tech-Firmen werden den Zugang zu westlichen Märkten, wichtigen Rohstoffen, Technologien für die Chip- und Batterieherstellung sowie Dienstleistungen erschweren – all das wird die Entwicklung der innovativen Tech-Wirtschaft in China verlangsamen.

    Allerdings könnten die Sanktionen auch in umgekehrter Richtung wirken: chinesische Tech-Firmen gehen auf andere Märkte, wie etwa den afrikanischen, und finden Lösungen, die weniger von Sanktionen betroffen sind.

    Die Zukunft der E-Autoindustrie im Jahr 2023 ist schwierig zu prognostizieren; werden chinesische Firmen in der Lage sein, den westlichen Markt zu erobern? Ausschlaggebend dürften hier die wirtschaftlichen Bedingungen, die Konkurrenz zu anderen Herstellern und die schwankende Nachfrage nach Elektroautos sein. Auch die Preisentwicklung der strategischen Rohstoffe und legale Rahmenbedingungen in den Zielländern (Lieferkettengesetz in Deutschland) werden die Profitabilität beeinflussen. Hersteller wie Geely und BYD sind im eigenen Markt und auch in Kooperationen/Beteiligungen mit westlichen Produzenten gut aufgestellt.

    Chipindustrie und Batterieherstellung sind für die chinesische Wirtschaft essenziell. Geplante Sanktionen westlicher Länder haben allerdings erhebliche Auswirkungen und werden die Entwicklung der chinesischen Chipindustrie und Batterieherstellung beeinträchtigen.”

    Sigrun Abels und Tania Becker, China Center der TU Berlin.

    Xinjiang wird großes Problem für deutsche Autobauer

    Xinjiang ist zum Symbol für Menschenrechtsverletzungen geworden, die der VR China vorgeworfen werden. Zwangsarbeit dürfte 2023 das beherrschende Thema in diesem Bereich werden: Zum einen tritt ab Januar das deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz in Kraft. Ein EU-Pendant wird ab Mai im Europäischen Parlament beraten werden. Zum anderen versucht ein gerade erschienener Bericht der Sheffield Hallam University, die Verstrickung der Automobilbranche – einschließlich Volkswagen und Mercedes-Benz – in uigurische Zwangsarbeit nachzuweisen. Auch wenn ein direkter Nachweis von Zwang in den chinesischen Programmen, die nominell der Armutsbeseitigung dienen, schwierig bleibt, wird das die Auseinandersetzungen weiter anheizen.”

    Björn Alpermann, Professor für Gegenwärtige China-Studien, Universität Würzburg.

    Instrumente zum Schutz Taiwans entwickeln

    “Sich auf mögliche Szenarien eines gewaltsamen Konflikts in der Taiwan-Straße vorzubereiten, ist auch für die EU und ihre Mitgliedstaaten wichtig. Gibt es eine geschlossene Haltung dazu, wie man auf einen militärischen Versuch Pekings reagieren würde, sich Taiwan einzuverleiben? Welche Instrumente könnten in diesem Fall zum Einsatz kommen? Doch sollte sich europäische Politik vor allem darauf konzentrieren, was sie dazu beitragen kann, eine solche Entwicklung abzuwenden. Dieses Ziel sollte auch für Maßnahmen zur Aufwertung und Stärkung Taiwans das entscheidende Kriterium sein. Spekulationen, wann (nicht mehr ob) China die Insel möglicherweise angreift, sind dabei nicht hilfreich.

    Gudrun Wacker, Senior Fellow Asien, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

    Anderer Tonfall darf nicht täuschen

    “Was ein Lächeln für einen Unterschied macht. Das Treffen von Xi Jinping mit Joe Biden auf dem G20-Gipfel in Bali hat die Schleusen für die Wiederaufnahme persönlicher Treffen auch zwischen Europa und China geöffnet. Die Neubelebung der Diplomatie lässt hoffen, dass direktes Engagement greifbare Vorteile für europäische Interessen bringt. Ein anderer Tonfall ist jedoch nicht gleichbedeutend mit substantieller Veränderung der Beziehungen. Man sollte daher auf der Hut sein: Eine vorübergehende taktische Öffnung Chinas könnte als ernsthafte Chance fehlinterpretiert werden.”

    Mathieu Duchâtel, Direktor des Asien-Programms am Institut Montaigne, Paris.

    Es braucht mehr als nur Konjunkturprogramme

    “Die chinesische (Wirtschafts-) Politik setzt für das Jahr 2023 auf Stabilität. Das ist zunächst mal eine gute Nachricht, denn nach dem politischen Zirkus vor und während des 20. Parteitags und der Achterbahnfahrt in der Covidpolitik sehnen sich chinesische Bürger ebenso wie die Weltgemeinschaft nach mehr Vorhersehbarkeit und weniger Aufregung. Allerdings stellt sich die Frage, worauf sich das postulierte Stabilitätsziel vor allem beziehen wird.

    Die Stabilität der politischen Verhältnisse dürfte für die Partei oberste Priorität haben. Die Proteste im vergangenen November waren zwar in ihrem Ausmaß beschränkt, gleichwohl dürften sie die Parteiführung erschreckt haben. Wir wissen nicht, ob Xi Jinping über die Forderungen nach seinem Rücktritt durch einige der Protestler informiert wurde. Aber auch ohne diese Information waren die überregional parallellaufenden Protestaktionen, auch wenn sie an jedem Ort überschaubar blieben, ein Vorbote für den Alptraum der Parteiführung. Es ist also damit zu rechnen, dass die politische Überwachung von Personen und Kommunikation eher mehr als weniger werden wird.

    Die Stabilität der Wirtschaft ist schon komplizierter zu erreichen. Stabilität verlangt hier Revitalisierung. Hierfür sind die neue Coronapolitik und die weitgehende Aufhebung der Reisebeschränkungen sicher notwendig. Ob sie auch hinreichend sein werden? Für letzteres braucht es Vertrauen in die Dynamik der chinesischen Wirtschaft und die Verlässlichkeit der chinesischen Wirtschaftspolitik – und zwar nicht nur der internationalen Handels- und Investitionspartner, sondern auch der chinesischen Privatunternehmen, Haushalte und Individuen. Die Parteiführung konnte jedoch den Eindruck nicht entkräften, dass private und ausländische Unternehmen mit anderem Maß gemessen werden als staatliche bzw. “staatstragende”. Die größte Hoffnung für die Stabilisierung beziehungsweise Revitalisierung liegt daher bei den Provinzen und Lokalregierungen. Diese werden aller Voraussicht nach auf mehr Freiraum drängen. 

    Neue Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der Wirtschaft, ähnlich wie jenes zur Bekämpfung der globalen Finanzkrise, scheinen dafür nicht ausreichend. Vielmehr braucht das chinesische System für die langfristigere politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität Ideen und Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des “chinesischen Modells”. Die häufig formulierte Vision, dass Chinas Wirtschaft in der Zukunft auf Innovation und heimischem Konsum gestützt blühen werde, gilt es noch zu realisieren. Überraschungen sind auch in der Wirtschaftspolitik nicht ausgeschlossen. Spannend bleibt sie in jedem Fall.”

    Doris Fischer, Professorin für China Business and Economics, Universität Würzburg.

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    News

    Qin Gang wird neuer Außenminister

    Der ehemalige chinesische Botschafter in den USA, Qin Gang, ist neuer Außenminister Chinas. Der 56-Jährige war ab Juli 2021 Botschafter in Washington und davor Vizeaußenminister (China.Table berichtete). Er gilt als nationalistischer Hardliner, trat als Botschafter in den USA aber moderater auf.

    Qin löst den 69-jährigen Wang Yi ab, der nach seinem Aufstieg ins Politbüro auf dem Parteikongress im Oktober neuer Chef der Kommission für Außenpolitik der Kommunistischen Partei wird. Für Wang ist das ein Aufstieg, sein Parteiamt steht über dem des Außenministers. Wang wird damit die Grundzüge der Außenpolitik vorgeben, die Qin im diplomatischen Alltagsgeschäft umzusetzen hat. Wang Yi rief die USA am Neujahrstag zum Dialog mit der Volksrepublik auf. Fehler, die während des Kalten Krieges gemacht wurden, müssten vermieden werden, heißt es in seiner ersten öffentlichen Erklärung seit Übernahme der neuen Aufgaben. flee

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    Mehr Länder führen Corona-Testpflicht für Reisende ein

    Die hohen Infektionszahlen in China lösen weltweit Besorgnis aus. Zahlreiche Länder verlangen von Reisenden aus China einen Test auf Sars-CoV-2, bevor sie die Einreise genehmigen:

    • die USA, Kanada,
    • Japan, Südkorea, Taiwan, Indien, Malaysia,
    • Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien.

    Marokko hat Einreisen aus China verboten. Weitere Länder, darunter Australien und die Philippinen, denken über die Einführung einer Testpflicht nach. Deutschland verlangt bisher keinen Test, doch es beginnt eine Diskussion über das Thema. Bayern fordert von der Bundesregierung die Einführung einer Testpflicht.

    Ab dem 8. Januar gilt umgekehrt keine Quarantänepflicht mehr für ankommende Reisende in China. Der negative Testnachweis reicht.

    Staatsmedien: Höhepunkt der Corona-Welle überschritten

    Der Höhepunkt der aktuellen Corona-Welle ist nach Darstellung der Staatsmedien bereits überschritten. Das entspricht zwar grundsätzlich den Erwartungen von Seuchenexperten. Die Glaubwürdigkeit der offiziellen chinesischen Verlautbarungen ist aber weiterhin gering: Landesweit wurde für den Silvestertag nur ein Corona-Toter gemeldet. Die Verfolgung des Infektionsgeschehens läuft inzwischen über Umfragen in der Bevölkerung statt über Tests und die Berechnung einer offiziellen Inzidenz.

    Sicher sind jedoch weiterhin hohe Erkrankungszahlen. Beiträgen in sozialen Medien ist zu entnehmen, dass viele Krankenhäuser weiterhin überlastet sind. Vor Krematorien in Peking und Shanghai stauen sich weiter die Leichenwagen. Selbst wenn die aktuelle Welle schon wieder abflauen sollte, erwarten Experten vor und nach dem Frühlingsfest um den 22. Januar herum eine weitere heftige Welle.

    Große Hoffnung setzen Chinas Ärzte nun auf Medikamente, die den Verlauf von Corona-Infektionen milder machen sollen. Das Land hat den Wirkstoff Molnupiravir des US-Anbieters Merck am Freitag zugelassen. Paxlovid von Pfizer hat bereits eine Zulassung; es soll nun in größerer Zahl an die Krankenhäuser verteilt werden; offenbar herrscht aber auch hier bislang erhebliche Knappheit. Es gibt auch einheimische Medikamente: Azvudine, das ursprünglich gegen HIV entwickelt wurde, und den Antikörper Meplazumab. fin

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    Xis Ansprache: Das Augenmerk gilt erneut den Fotos

    Xi Neujahrsansprache

    In seiner Neujahrsansprache lobt Staatspräsident Xi Jinping die chinesische Pandemie-Politik. “Seit Covid-19 zugeschlagen hat, haben wir stets den Menschen und seine Gesundheit in den Mittelpunkt gestellt”, sagte er laut dem Redemanuskript, das die Staatsmedien veröffentlichten. “Wir haben unsere Antwort auf Covid im Lichte neuer Entwicklungen angepasst, um das Leben der Menschen zum größtmöglichen Grad zu retten.”

    Weitere Themen seines Rückblicks waren der 20. Parteitag, die Olympischen Winterspiele und der Freihafen Hainan. Er betonte: “China ist ein Land mit enger Anbindung an die Welt.” Für die Zukunft kündigte er an, dass China “durch harte Arbeit Wunder vollbringen” werde. Es herrsche nationale Einheit. China befinde sich auf der richtigen Seite der Geschichte.

    Die chinesische Wirtschaft habe ein Volumen von 120 Billionen Yuan erreicht, sagte Xi. Nach offiziellen Zahlen betrug es 2021 noch 115 Billionen. Aus der Aussage des Präsidenten geht also hervor, dass die Wirtschaft um etwas über vier Prozent gewachsen sein muss. Das lag unter dem ursprünglichen Wachstumsziel von rund 5,5 Prozent. Chinas Wirtschaft sei sehr robust und vital, sagte Xi dennoch.

    Viel mehr Aufmerksamkeit als die Rede selbst erhielten wie in jedem Jahr die neu aufgestellten Fotos in Xis Arbeitszimmer. Eines zeigte ihn in diesem Jahr mit seinen Vorgängern Jiang Zemin (der 2022 verstarb) und Hu Jintao (den er während des Parteitags aus dem Saal führen ließ). Das kann, muss aber nicht als Zeichen gelten, dass Hu doch nicht so tief gefallen ist wie nach dem Parteitag vermutet. fin

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    Presseschau

    EVP-Chef Manfred Weber nennt China “Bedrohung für europäische Sicherheit” SPIEGEL
    EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis warnt: Handelsstreit mit USA könnte Europäer in Richtung China treiben HEISE
    Stimmung in China bei Industrie und Dienstleistung eingetrübt ZEIT
    Sinologin Marie Holzman: “Die Inkompetenz von Xi Jinping wird immer offensichtlicher” WELT
    Ampel lehnt Corona-Tests für Reisende aus China ab N-TV
    Frankreich, Spanien und Großbritannien führen Testpflicht für Reisende aus China ein SPIEGEL
    Corona-Welle in China: Präsident Xi ruft zum Durchhalten auf SUEDDEUTSCHE
    Bewältigung der Corona-Welle: Taiwan bietet China Hilfe an ZDF
    WHO will mehr Daten zu Corona in China DW
    Wladimir Putin lädt Xi Jinping nach Moskau ein ZEIT
    Putin will stärkere militärische Zusammenarbeit mit Peking DW
    China ernennt bisherigen Botschafter in den USA Qin Gang zum Außenminister ZEIT
    Im Südchinesischen Meer nehmen die Spannungen wieder zu, und die Gefahr eines Zwischenfalls wächst NZZ
    Unabhängigkeit der Justiz in Hongkong weiter eingeschränkt SN
    Chinas Künstler leiden unter dem eisigen politischen Klima NZZ
    China: Hikvision-Kameras schlagen Alarm bei Protestkundgebungen HEISE

    Heads

    Elena Meyer-Clement – Chinas Gesellschaft bis ins Detail verstehen

    Elena Meyer-Clement ist Professorin für Chinastudien an der Universität Kopenhagen.
    Elena Meyer-Clement ist Professorin für Chinastudien an der Universität Kopenhagen.

    Schon während ihrer Schulzeit lernte Elena Meyer-Clement Chinesisch. Sie reiste mit Schülergruppen nach Shanghai und Peking. Meyer-Clement erinnert sich, dass sie das Land und seine Menschen beim zweiten Besuch schrecklich fand. “Die Menschen sahen uns als Fremde an und wir sie.” Aber diese Abneigung hielt nicht lange, die damalige Schülerin spürte bald eine Verbundenheit zu den Einheimischen, in alltäglichen Begegnungen, im Austausch kurzer Blicke. “Mir ist das in Erinnerung geblieben, weil mir später klargeworden ist, dass meine Faszination an China nicht mit dem Fremden zu tun hat, sondern dem Gemeinsamen, trotz aller Unterschiede.”

    Nach der Schule studierte Meyer-Clement in Hamburg Sinologie, Philosophie und Politikwissenschaften und promovierte in Tübingen über politische Kontrollstrukturen in der chinesischen Film- und Musikwirtschaft. Damals begann sie, sich mit den verschiedenen Formen von staatlicher Macht in China und mit den staatlichen Versuchen der Beeinflussung von Gesellschaft auseinanderzusetzen – ein Forschungsschwerpunkt, dem sie bis heute treu geblieben ist. “Ich glaube, der Blick von außen auf ein Land und seine Menschen ist hilfreich, um zu verstehen, was die Organisation des Zusammenlebens in einer Gesellschaft mit den Menschen macht”, sagt sie. “Wir brauchen ein tiefes Verständnis des Zusammenspiels von politisch manipulierten Strukturen und Verhalten, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.”

    Inseln der Freiheit trotz aller Kontrolle

    Seit 2012 forscht Meyer-Clement zum Umbau ländlicher Regionen und zur Urbanisierung in China. Dabei geht es um das Verhalten von Lokalregierungen, um Konflikte um Bodennutzung und die Umsiedlung von Dorfbewohnern. “Mich interessiert, wie von der politischen Führung in Beijing hin zum Dorfkader versucht wird zu steuern, wie Menschen in Gemeinschaft leben sollen.”

    Fragt man sie, was sie in Bezug auf China aktuell am meisten beschäftigt, ist es das Zuspitzen der globalen Feindseligkeiten, die gerade auf allen Seiten wieder Nationalismen stärken würden. “In diesem schwierigen Klima bewegt es mich besonders zu sehen, wenn mutige Chinesinnen und Chinesen trotz der Übermacht und Gewalt des Staates für ein selbstbestimmtes Leben und den Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft eintreten.” In ihrer Forschung begegneten ihr Menschen in Umsiedlungsgebieten, die trotz Verbot immer wieder kleine Flächen fanden, um Gemüse anzubauen und sich so einen Teil ihrer Freiheit erhielten. “Aber ich traf auch Kader, die im richtigen Moment wegschauten.”

    Dialog unter Forschern fördern

    Neben ihren Projekten zum ländlichen Wandel ist Meyer-Clement Teil des Forschungsverbunds “Welterzeugung (worldmaking) aus globaler Perspektive: Ein Dialog mit China”, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. “Mit dem Verbund versuchen wir, den Dialog mit chinesischen Forscherinnen und Forschern über Disziplinen hinweg zu fördern und beschäftigen uns mit der Frage, worauf wir unsere Vorstellungen von Welt oder Welten eigentlich bauen, wie sie entstehen, oder auch untergehen, und wie sie uns beeinflussen.” Sie betont, dass dieser Austausch besonders in der heutigen Zeit relevant ist, in der die Vorstellungen vom Zusammenleben auf unserem Planeten “wieder einmal extrem auseinanderzuklaffen scheinen.” Svenja Napp

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    Personalien

    Geng Wu ist bei Volkswagen in Wolfsburg seit Oktober Senior Vice President des Konzerneinkaufs. Zuvor hat er ein Projekt zur Neuaufstellung der Beschaffung geleitet.

    Rizvan Kahraman, Masterstudent auf dem Weg zum Vertriebsingenieur an der Ruhr Uni Bochum, ist bei Audi in Ingolstadt im China Business Management tätig.

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    Dessert

    Offiziell hat das Jahr des Hasen zwar noch nicht begonnen. Dieses beginnt erst zum chinesischen Neujahrstag am 22. Januar. Mit roten Hasen decken sich einige Chinesinnen, wie auf diesem Bild aus Wuhan zu sehen, schon jetzt ein. Das zurückliegende Jahr des Tigers stand – entsprechend dem Charakter eines Raubtiers – für Mut, allerdings auch für Zorn und Aggression. Der Hase hingegen gilt als sanft, ruhig, freundlich und geduldig.  Es dürfte also nicht schaden, das Hasenjahr schon jetzt einzuläuten.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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