neben ökonomischen Zielen für die kommenden Jahre widmet der 14. Fünfjahresplan seine Aufmerksamkeit auch zwei sozialen Aspekten – der bedrohlichen Alterung der chinesischen Gesellschaft und den Auswirkungen des rasanten Wachstums in den Millionenstädten auf den Immobilienmarkt. Anlass für Frank Sieren, Gregor Koppenburg und Jörn Petring, sich die Fakten anzusehen und der Frage nachzugehen, mit welchen Instrumenten Peking den gesellschaftlichen Problemen begegnen will.
Empfehlen möchte ich Ihnen außerdem den Standpunkt der beiden Wissenschaftler Xiao Geng und Andrew Sheng. Sie widmen sich den sehr unterschiedlichen Betrachtungen im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft in westlichen Demokratien, asiatischen Kulturen und speziell in China. Ihr Plädoyer: Gemeinsame Lösungen globaler Probleme werden nur gelingen, wenn die Handelnden bereit sind, den unterschiedlichen kulturellen und politischen Narrativen offen zu begegnen.
In unserer gestrigen Ausgabe schrieb Marcel Grzanna in seiner Analyse “Hongkong: Ausgaben für innere Sicherheit drastisch erhöht” über einen erstaunlich hohen Sonder-Etat von rund 850 Millionen Euro, der im Sicherheits-Haushalt 2021/22 Hongkongs aufgetaucht ist und dessen Herkunft bislang verschleiert wird. Aus technischen Gründen war der Artikel im China.Table-Briefing nicht vollständig zu lesen. Wir bitten dafür um Entschuldigung. Hier können Sie die Details nachlesen.
Früher war Wohnen in Peking kostenlos. Der Staat überließ jeder Familie eine Wohnung mietfrei. Dann entschloss sich die Führung, es mit der Marktwirtschaft zu versuchen und privatisierte neben Teilen der Wirtschaft auch den Immobiliensektor. Der Staat bot den Menschen die bisher mietfreien Wohnungen zum Kauf an.
Wer vor drei Jahrzehnten die Chance nutzte und wenige Hundert Yuan pro Quadratmeter in ein Apartment investierte, hat ein Vermögen gemacht. Natürlich ist über die Jahre auch das Leben viel teurer geworden – die Rendite kann sich trotzdem sehen lassen: Denn heute liegt der Durchschnittspreis einer Wohnung im Zentrum von Peking bei über 100 000 Yuan (etwa 12 800 Euro) pro Quadratmeter. Außerhalb des Zentrums müssen immerhin rund 50 000 Yuan gezahlt werden. Ähnlich sieht es in anderen Großstädten aus.
In den vergangenen Jahren haben die Preise aber ein Niveau erreicht, über das sich nur noch alteingesessen Großstädter freuen können, die bereits vor Ewigkeiten eine Immobilie gekauft haben. Wer aber heute als Normalverdiener eine Wohnung in der Innenstadt sucht, hat es schwer.
Angebote gibt es, nur sind die oft viel zu teuer. Junge Pekinger wohnen deshalb so lange es geht bei ihren Eltern. Berufseinsteiger, die in der Hauptstadt ihr Glück suchen und zuziehen, leben meist in Wohngemeinschaften. Große Vermietungsagenturen wie etwa das Unternehmen Ziru, haben sich in den letzten Jahren darauf spezialisiert, Wohnungen im Auftrag der Vermieter komplett zu renovieren und so umzubauen, dass sie von mehreren Parteien bewohnt werden können.
Und auch in kleineren Städten gibt es Probleme. Dort stampften Immobilienfirmen seit Jahren ein Hochhaus nach dem anderen aus dem Boden. Oft allerdings auf die falsche Zielgruppe zugeschnitten. Denn die Luxusapartments, die dabei meist entstanden sind, kann sich kein normalverdienender Bürger je leisten. Günstige Wohnungen hätte das Volk gebraucht. Käufer fanden sich dennoch: reiche Spekulanten, die ihre Häuser leer stehen ließen und auf eine Wertsteigerung warteten.
Seit Jahren hat die Regierung also mit zwei Problemen zu kämpfen: Die Kaufpreise sind unaufhaltsam gestiegen und die Normalverdiener in den Städten dadurch immer weiter in die Außenbezirke gedrängt worden. Und mieten kommt gar nicht erst in Frage, wenn das eigene Apartment ein noch größeres Statussymbol, als das eigene Auto ist. Zur Hochzeit oder sogar schon auf der Partnerbörse ist die eigene Wohnung eines der wichtigsten Kriterien. Das zweite Problem: In Erwartung hoher Einnahmen hat die Bauindustrie fleißig Kredite aufgenommen. Doch weil die Immobilienfirmen in einigen Regionen ihre überteuerten Häuser nur schlecht loswerden, bleiben ihnen die Einnahmen aus.
Die Führung weiß um die Brisanz des Problems. So ist es kein Wunder, dass sich auch der neue Fünfjahresplan, der beim Freitag beginnenden Volkskongress verabschiedet werden wird, in Teilen mit dem Immobilien-Markt beschäftigt.
So ist im Entwurf die Rede von “Stadterneuerungsinitiativen”, mit denen Metropolen nicht nur ökologischer und funktionaler werden sollen. Ausdrücklich ist davon die Rede, dass eine “stabile und gesunde Entwicklung des Wohnungsmarktes” gefördert werden soll. Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum soll “effektiv gefördert” und das Angebot an “erschwinglichen Mietwohnungen vergrößert” werden. Es müsse darauf bestanden werden, “dass Häuser zum Wohnen und nicht zum Spekulieren genutzt werden.”
Peking weiß, dass es diese Versprechen nicht auf die leichte Schulter nehmen kann. Denn kaum etwas würde die Bevölkerung seiner Führung mehr übel nehmen, als Verwerfungen am Immobilienmarkt. Deshalb gilt es unter chinesischen Experten trotz rasant gestiegener Preise auch als unwahrscheinlich, dass am Häuser-Markt eine Blase platzen wird. Seit Jahren hat sich ein anderes Prinzip bewährt: Mit mal mehr, mal weniger strengeren Regeln beim Häuserkauf, versuchen die Behörden stattdessen, kontrolliert Luft aus der Blase zu lassen. Gregor Koppenburg / Jörn Petring
Chinas Bevölkerung altert rapide. Schon jetzt sind mehr als 18 Prozent der Chinesen über 60 Jahre alt, 254 Millionen Bürger und damit mehr als in jedem anderen Land. 2055 dürfte der Höchststand erreicht sein – mehr als jeder dritte Chinese wird dann 60 Jahre und älter sein. Gleichzeitig nimmt die Geburtenrate kontinuierlich ab. Im Jahr 2020 etwa sank sie um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Eine Herausforderung für die Sozial- und Rentenkassen, ebenso für die jüngere Generation, die für immer mehr ältere Menschen aufkommen muss. Im Jahr 2025 wird es in der Volksrepublik rund 300 Millionen Rentenempfänger geben.
Schon jetzt legt die Regierung strategische Rücklagen an und investiert mit dem Regierungsprogramm “Gesundes China 2030” in ein verbessertes Gesundheitssystem. Auch eine schrittweise Anhebung des Rentenalters ist im Gespräch. Seit mehr als vier Jahrzehnten liegt das Renteneintrittsalter in China unverändert bei 60 Jahren für Männer und 55 Jahren für Frauen. Niedriger als in den meisten anderen Industrieländern.
Mit der rasanten Digitalisierung des Landes fühlen sich schon jetzt viele ältere Chinesen abgehängt. Im November ging ein Video auf den chinesischen Social-Media-Kanälen viral, in dem eine Rentnerin aus der Provinz Hubei an einem Schalter abgewiesen wurde, nachdem sie ihre Krankenversicherungsgebühren mit Bargeld bezahlen wollte. Man akzeptiere nur noch digitale Zahlungen via Alipay, erklärte ein Mitarbeiter der verzweifelt und hilflos wirkenden Kundin. Das Problem der digitalen Benachteiligung älterer Menschen ist während der Covid-19-Epidemie noch stärker in den Fokus gerückt, da viele Dienste, einschließlich der Gesundheitscodes, die zum Betreten vieler Gebäude erforderlich sind, nur digital erhältlich sind. Als Reaktion haben viele öffentliche Orte in China, etwa Bahnhöfe und Krankenhäuser, Info-Stände eingerichtet und Helfer verpflichtet, um älteren Menschen zu assistieren.
Chinas Ministerium für Industrie und Informationstechnologie hat im Dezember eine Kampagne gestartet, um die “digitale Kluft” für die ältere Bevölkerung bis 2022 zu schließen. Dafür werden Webseiten und App-Entwickler angehalten, ihre Angebote seniorenfreundlicher zu gestalten und Tech-Unternehmen ermutigt, mehr Produkte für ältere Zielgruppen zu entwickeln. Laut Daten des National Bureau Of Statistics sind rund 60 Millionen beziehungsweise 6,7 Prozent der rund 990 Millionen Online-User Chinas über sechzig Jahre alt. Das heißt, fast 200 Millionen chinesische Senioren sind noch offline. Für Technologieunternehmen ist das ein wenig erschlossener Wachstumsmarkt, für den chinesische Marketingleute bereits den Namen “Silberhaar-Economy” geprägt haben. Bei dieser Aktion schlägt die Regierung zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits hilft sie, älteren Menschen sich stärker in die schnell wandelnde Gesellschaft zu integrieren. Andererseits kommt sie dadurch dem Ziel des nächsten 5-Jahres-Planes näher, den Binnenkonsum anzukurbeln und damit China unabhängiger von der Welt werden zu lassen. Die Senioren sind unter den chinesischen Konsumenten die wichtigste zahlungskräftige Gruppe, die noch nicht erschlossen ist.
Erst Ende Januar hat die Suchmaschine Baidu eine App mit vergrößertem Text sowie einer optimierten Benutzeroberfläche mit Frage-Hotline für ältere Nutzer herausgebracht. Der Car-Hailing-Anbieter Didi launchte am 25. Januar das Programm Didi Care, mit dem ältere Kunden leichter Taxis bestellen können, etwa indem sie direkt mit einem Telefon-Assistenten verbunden werden. Der News-Aggregator Jinri Toutiao von ByteDance hat seiner App eine Vorlese-Funktion hinzugefügt. Und die vor allem bei jungen Nutzern beliebten Kurzvideoplattformen Kuaishou und Douyin haben eine größere Anzahl älterer Influencer rekrutiert und damit laut eigenen Angaben auch eine beträchtliche Anzahl älterer Nutzer gewinnen können. Die E-Commerce-Giganten JD.com und Taobao haben Senioren längst als wichtige Zielgruppe erkannt, was sich vor allem in Rabatten und verstärkter Werbung für bestimmte Haushaltswaren und Gesundheitsprodukte widerspiegelt. Ein Alibaba-Bericht aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Kunden über 60 auf der hauseigenen E-Commerce-Plattform Taobao aktiver waren als andere Altersgruppen, und dass ihre Ausgaben in den letzten drei Jahren um fast 21 Prozent gestiegen sind. Die Kaufkraft von Chinas Senioren dürfte jene des anderen asiatischen Spitzenreiters Japan in den nächsten zehn Jahren überschreiten.
Einige chinesische Startups haben sich von Anfang an auch auf ältere Zielgruppen konzentriert, und damit große Erfolge verbuchen können, etwa der Tanz-App-Anbieter Tangdou, der seit 2015 etwa 32 Millionen US-Dollar eingesammelt hat, oder die Foto-App-Firma Meipian, die heute auf einen Wert von mehr als 27 Millionen US-Dollar kommt. Auch chinesische Banken fokussieren sich immer mehr auf die Bedürfnisse älterer Menschen, die, aufgewachsen in unsicheren Zeiten, traditionell große Sparer sind.
Und die Älteren verbringen immer mehr Zeit online. Laut dem in Peking ansässigen Analyseunternehmen QuestMobile verbrachten Internetnutzer über 50 im Jahr 2020 durchschnittlich 136 Stunden pro Monat online, was einem Anstieg von 39 Prozent gegenüber 2017 entspricht.
Aber es gibt auch Schattenseiten des Oldtimer-Booms. Eine 2018 von der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und dem Tencent Research Institute durchgeführte Studie über das digitale Leben älterer Chinesen zeigt, dass 67 Prozent bereits Opfer von Online-Betrug geworden sind, zum Beispiel in Kontaktbörsen, auf denen gezielt einsame Seniorinnen um ihr Geld gebracht wurden. Auch hier will Chinas Regierung in Zukunft vehementer eingreifen.
Die weltweit beliebteste Computerspiele-Plattform Steam ist vor kurzem offiziell in China mit einer eigenen chinesischen Version gestartet. Jetzt können chinesische Gamer offiziell Spiele über Steam kaufen. US-Hersteller Valve Corp., der die Plattform entwickelt hat, arbeitet dafür mit einem chinesischen Partner namens Perfect World zusammen und will einen Fuß in die Tür des gewaltigen chinesischen Marktes bekommen.
Die Verkaufszahlen der Spielebranche sind im Coronajahr weltweit gewachsen und China ist ein wichtiger Markt. Die Volksrepublik war auch schon vor der Pandemie der größte Absatzmarkt für Spiele und stellt gleichzeitig mit Tencent den weltweit größten Spielehersteller. Die Firma entwickelte einerseits selbst Kassenschlager wie Honor of Kings oder Peacekeeper Elite und hält gleichzeitig Anteile an diversen großen Entwicklungsfirmen aus den USA. Im Westen ist besonders der Titel PUBG bekannt. Für das dritte Quartal meldete die Firma einen 89-prozentigen Anstieg beim Nettogewinn. In einem Bericht von 2019 schätzte Tencent die Gesamtumsätze des chinesischen Computerspiele-Marktes auf 230 Milliarden RMB (circa 30 Milliarden Euro) und prognostizierte für 2020 einen Umsatzanstieg auf circa 270 Milliarden RMB.
Kürzlich in chinesischen Staatsmedien veröffentlichte Zahlen zeigen, dass diese Vorhersage sogar noch übertroffen werden konnte. Laut einem Bericht des China Internet Network Information Center stieg der Gesamtumsatz 2020 um mehr als 20 Prozent auf 278,7 Milliarden RMB. Knapp drei Viertel dieser Umsätze fallen dabei auf Mobile Games, die auf dem Smartphone gespielt werden. Spielekonsolen machen nur etwa zwei Prozent des chinesischen Marktes aus. Verschwindend gering im Vergleich zum internationalen Anteil von 30 Prozent.
Die Gesamtzahl der Spieler ist dabei ebenfalls angestiegen. Mehr als 600 Millionen Chinesen spielen regelmäßig Spiele. Das sind mehr als die Gesamtbevölkerung von Deutschland, Frankreich, Japan und den USA zusammen.
Doch trotz der guten Wirtschaftszahlen ist das Verhältnis der chinesischen Behörden gegenüber der Spieler-Community sehr gemischt. Zur Bekämpfung von Gaming-Sucht gibt es ein Registrierungssystem für Spieler und automatische Sperren für Minderjährige zwischen 22:00 Uhr abends und 8:00 Uhr morgens. Außerdem gibt es im Land verteilt Entzugskliniken, in denen meist junge Männer vom Spielen abgehalten werden sollen.
Ausländische Spielefirmen brauchen in China eine spezielle Lizenz, um Spiele verkaufen zu können. Um diese zu erhalten, dürfen in den Spielen kein Blut oder exzessive Gewalt vorkommen. Das schneidet den chinesischen Markt von einer großen Anzahl Spiele ab, darunter den größten Spiele-Franchises wie Call of Duty, was bei der chinesischen Kunden nicht gut ankommt. “Du hast die Wahl zwischen Mario-Spielen und Sport. Das ist alles, was offiziell zu haben ist”, sagt ein Pekinger Gamer.
Auch Spielekonsolen wie die Playstation von Sony waren in China lange verboten und können erst seit Mitte 2015 legal erstanden werden. Bis heute sind sie allerdings technisch abgeändert, sodass unlizenzierte Spiele auf ihnen nicht funktionieren. Effektiv gibt es deswegen weltweit zwei Arten dieser Konsolen. Eine Version für Festlandchina, auf der nur lizenzierte Spiele laufen und eine Version für den Rest der Welt. Die Spieler reagieren mit einem gewaltigen “Graumarkt”, in dem Konsolen aus Hongkong importiert oder die Geräte mithilfe von Softwarecracks den internationalen Versionen angepasst werden.
Die US-Originalversion der Spieleplattform Steam operiert in einer ähnlichen Grauzone. Sie ist auch von China aus erreichbar und für chinesische Spieler ein Weg, an internationale Spiele heranzukommen, die in China keine Lizenz erhalten haben. Vor diesem Hintergrund ist es kaum eine Überraschung, dass der Start der offiziellen chinesischen Version jetzt deutliche Einschränkungen bei der Anzahl der angebotenen Spiele mit sich bringt.
Wie einige Spielemagazine berichteten, findet der Besucher auf der chinesischen Version der Plattform nicht wie üblich abertausende von Spielen, die um die Aufmerksamkeit buhlen, sondern insgesamt nur etwa fünfzig. Community-Funktionen wie Foren sind ganz entfernt worden. Außerdem machen sich chinesische Gamer schon seit der Ankündigung Sorgen, dass die US-Version von Steam in China nun geblockt werden könnte.
Für westliche Spieleentwickler könnte der Balanceakt zwischen ihren Käufern im Westen und der chinesischen Lizenzierung kaum schwieriger ausfallen. Denn die westliche Spieler-Community ist durchaus politisch aktiv und lautstark. Politisch für Peking unvereinbare Inhalte aus den Spielen herauszuhalten, ist dabei nur eine Seite der Medaille. Viel schwieriger gestaltet es sich, politische Botschaften während Livestreams bei Spieleevents zu verhindern, die die chinesische Regierung verärgern könnten.
Der US-Spieleentwickler Blizzard Entertainmant bekam das zu spüren, als 2019 der E-Gamer Ng Wai Chung bei einem Spieleturnier zur Unterstützung der pro-demokratischen Bewegung in Hongkong aufrief. Blizzard reagierte unter anderem mit einer Sperre für den Spieler und dem Entzug der gewonnenen Preisgelder. Die Firma begründete dies mit dem Argument, dass politische Aussagen jeder Art bei ihren Events verboten seien. Die Spielergemeinschaft interpretierte die Situation allerdings anders. Blizzard stelle wirtschaftliche Interessen über Grundwerte wie Meinungsfreiheit und beuge sich dem chinesischen Druck, so die Kritik. Die Gemeinschaft rief zu Protesten und Boykott auf und selbst unter Blizzards eigenen Mitarbeitern gab es Widerstand. Gregor Koppenburg / Jörn Petring
China hat 2020 die meisten Anträge für internationale Patente eingereicht. Damit stach die Volksrepublik zum zweiten Mal in Folge die USA aus, wie die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) gestern mitteilte. Demnach wurden aus China im vergangenen Jahr über den Patentkooperationsvertrag (PCT) der Organisation 68.720 Anmeldungen für Patente eingereicht – aus den Vereinigten Staaten waren es 59.230 Anträge. Die eingereichten Patentanmeldungen aus Deutschland gingen laut WIPO im vergangenen Jahr um 3,7 Prozent zurück: Aus der Bundesrepublik erreichten 18.643 Patentanträge die Organisation.
Der chinesische Telekommunikationsriese Huawei hat mit 5.464 eingereichten Patentanträgen weltweit am meisten Anträge übermittelt, so die WIPO. Das Unternehmen liegt zum vierten Mal in Folge auf Platz 1. Auf den Plätzen dahinter lagen demnach Samsung aus Südkorea, Mitsubishi aus Japan, LG Electronics aus Südkorea und Qualcomm aus den USA. Nach WIPO-Angaben ist die Zahl der Anträge aus China auch im Vergleich zum Vorjahr massiv gestiegen: Die Steigerungsrate lag demnach bei 16,1 Prozent im Vergleich zu 2019, für die USA lag sie bei 3 Prozent.
China hatte die USA erstmals 2019 von der WIPO-Spitze verdrängt. Generell gebe es einen Anstieg bei den Anmeldungen aus Asien, erklärte WIPO-Generaldirektor Daren Tang Medienberichten zufolge. Zwar ginge die Zahl der Anmeldungen aus den USA oder Europa nicht zurück – die Zahl der Patentanträge aus Asien steige aber viel schneller, so Tang. Mittlerweile entfielen gut die Hälfte der Patentanträge auf den asiatischen Raum, vor zehn Jahren sei es etwa ein Drittel gewesen.
Trotz der Corona-Pandemie hatte es laut WIPO einen neuen Höchststand bei internationalen Patentanträgen gegeben: Weltweit wurden 275.900 PCT-Anmeldungen eingereicht – ein Plus von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der PCT-Wert gilt als verbreitete Messgröße zur Erfassung der weltweiten Innovationstätigkeit. ari
Experten der WHO haben starke Zweifel an der chinesischen Theorie zum Ursprung des Coronavirus geäußert. Die Wissenschaftler Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut und Vladimir Dedkov vom Pasteur-Institut in St. Petersburg sagten der Financial Times, es sei sehr unwahrscheinlich, dass Covid-19 durch gefrorene Lebensmittel nach Wuhan gekommen sei. Die chinesische Regierung und staatliche Medien hatten diese Theorie in den letzten Wochen verbreitet.
Proben gefrorener Lebensmittel vom Huanan-Markt seien sehr wahrscheinlich durch Menschen mit dem Virus kontaminiert worden und nicht Ursache der Übertragung gewesen, so Dedkov gegenüber der FT. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass “all die kontaminierten Lebensmittel auf einen einzelnen Markt in China gelangten”, so der Wissenschaftler weiter.
Auch Peter Embarek, der Leiter der WHO-Untersuchungsmission nach Wuhan, sagte der FT, gefrorene Lebensmittel “waren kein möglicher Einschleppungsweg”. Auch da es in anderen Weltregionen vor den ersten Infektionen in Wuhan keine Ausbrüche in Lebensmittelfabriken gegeben hätte.
Chinesische Wissenschaftler kommen laut FT zu anderen Schlüssen: In einer im Dezember veröffentlichten Studie hätten sie aufgezeigt, wie sie das Coronavirus auf der Außenverpackung von importiertem Tiefkühl-Kabeljau isoliert hätten. Eine weitere chinesische Studie untersuchte den Ausbruch auf dem Pekinger Xinfadi-Großmarkt. Sie förderte zutage, dass viele infizierte Personen aus einem Bereich des Marktes stammten, der importierten Lachs verkaufte, wo sechs von 3.582 Proben des Fisches positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurden.
“Wir vermuten, dass das Wiederauftreten von Covid-19 in Peking wahrscheinlich durch eine Umwelt-zu-Mensch-Übertragung ausgelöst wurde, die von kontaminierten importierten Lebensmitteln über die Kühlkettenlogistik ausging”, gibt die FT das Fazit der chinesischen Studienautoren wieder. Die WHO und die meisten westlichen Regierungen bezweifeln das wissenschaftliche Vorgehen hinter der chinesischen Übertragungstheorie, so die FT. Es wird erwartet, dass die WHO diesen Monat einen Bericht über ihre Erkenntnisse aus Wuhan veröffentlicht. nib
China ist als Land schwer zu verstehen, sogar für die meisten Chinesen. Doch die geheimnisvollen Aspekte Chinas – seine lange Geschichte, die unendliche Weite und Vielgestaltigkeit des Staatsgebiets, die riesige und vielfältige Bevölkerung, seine komplexe Politik und eine gewaltige, dynamische Wirtschaft – sind wichtig für das Verständnis des Landes. Was in China vor sich geht, betrifft, wohl oder übel, jeden von uns.
Am schwersten bei der Ergründung Chinas tun sich westliche Beobachter. Der niederländische Sinologe Hans Kuijper formulierte, dass in der westlichen Sinologie etwas ganz grundsätzlich verkehrt läuft: “Entweder geben China-Experten vor, über alles mit China in Zusammenhang stehende Bescheid zu wissen. Dann sind sie nicht ernst zu nehmen. Oder sie räumen – letztendlich – ein, hinsichtlich des Landes keine wissenschaftlichen Allrounder zu sein. In diesem Fall können sie wiederum nicht als ‘China-Experten‘ bezeichnet werden.”
Es bestehen offensichtliche Gründe, warum es Menschen aus dem Westen so schwer fällt, China zu verstehen. Zunächst, weil China auf eine sehr lange Geschichte als kontinentale landwirtschaftlich geprägte Zivilisation mit einer starken Zentralregierung und einheitlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen zurückblickt.
Dies unterscheidet sich in hohem Maße von der geografischen Fragmentierung und dem politischen Wettbewerb, die historisch im Westen zu beobachten waren – dem Geburtsort des modernen Nationalstaates und des Marktkapitalismus. Diese historische Diskrepanz hilft bei der Erklärung, warum das heutige China einige Ziele wie den Ausbau von Infrastruktur in großem Maßstab viel effizienter erreicht als der Westen, andere jedoch – wie den Aufbau einer Demokratie – weitaus langsamer.
Es besteht jedoch keine klare Grenze zwischen der chinesischen Zentralplanung und dem demokratischen Kapitalismus des Westens. So kann das kommunistische China beispielsweise im Hinblick auf ungezügeltes Marktverhalten weit “kapitalistischer” sein als westliche Länder. Tatsächlich befinden sich zwei Drittel der “staatlichen” Wirtschaft mittlerweile in privater Hand. Und doch geschah das nicht im Rahmen einer “Privatisierung” nach westlichem Vorbild.
China fordert traditionelle westliche Rahmenwerke mit einem langfristigen, pragmatischen und kontextbezogenen politischen Ansatz heraus. Beeinflusst durch alte chinesische Philosophie denken politische Entscheidungsträger in komplexen Systemen. Sie sind sich bewusst, dass Systeme keine statischen Gebilde sind und daher auch nicht durch starre Regeln und Verfahren in entsprechender Weise gelenkt werden können. Um die für regelmäßige Reformen und adaptive politische Entscheidungen unerlässliche Stabilität, Funktionalität und Entwicklung komplexer Systeme zu ermöglichen, sind flexible relationale Prinzipien oft weitaus nützlicher.
Die Technologie hat diesen Anpassungsprozess unterstützt, weil sie zur Überwindung von Koordinations- und Kommunikationsproblemen beitrug. Die App WeChat beispielsweise verbindet komplexe Netzwerke und Organisationen und erleichtert damit die zeitgerechte Umsetzung riesiger, komplexer Projekte.
Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal chinesischer Politik besteht in der Tendenz, das kollektive Überleben über individuelle Interessen zu stellen. Anders als etwa die Vereinigten Staaten verfügt China über umfassende Erfahrungen mit systemischem Verfall und Zusammenbruch. Die chinesische Führung weiß sehr wohl, welches Maß an Instabilität auf derartige Entwicklungen folgen kann – und wie schwierig der Wiederaufbau ist. Daher setzt sie sich für den Erhalt, die Entwicklung und die Stärkung bestehender Systeme ein, auch wenn dies für den Einzelnen kurzfristige Kosten mit sich bringt.
Aber auch hier besteht die Gefahr reduktionistischen Denkens. Vordergründig lässt sich Chinas Ansatz mit dem anderer Länder vergleichen, wenn man dazu eine aus Ich-Ich- sowie Wir-Wir-Denkweisen bestehende Zwei-mal-zwei-Matrix verwendet. Die USA – insbesondere unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump – verkörpern seit langem den Ich-Ich-Ansatz, im Rahmen dessen das kollektive Wohl hinter die individuellen Rechte und Freiheiten zurücktritt.
Wenn die neue Covid-19-Strategie als Hinweis interpretiert werden darf, könnte die Biden-Administration die USA in Richtung eines Ich-Wir-Ansatzes stoßen – der zwar immer noch die individuellen Rechte in den Vordergrund stellt, aber dennoch ein Auge auf das kollektive Wohl hat – wobei gesagt werden muss, dass diese Vorgehensweise ohne Zweifel auf heftigen Widerstand stoßen wird. Das Musterbeispiel für diese Kategorie sind Europas Sozialdemokratien.
Die asiatischen Länder wiederum fallen zum Großteil in die Wir-Ich-Kategorie, die das Kollektiv in den Vordergrund stellt, aber trotzdem Wert auf individuelle Rechte legt. Chinas Schwerpunkt auf kollektivem Wohlergehen ist jedoch ausgeprägt genug, um das Land – zusammen mit Kuba – in das Wir-Wir-Lager einzuordnen. Nichtsdestotrotz werden in beiden Ländern die Forderungen nach individuellen Rechten lauter.
Fest steht, dass die sich vertiefende internationale Integration es externen Kräften ermöglichte, das chinesische Denken zu beeinflussen, ebenso wie China zunehmend den Rest der Welt prägt. Leider werden solche dynamischen Rückkopplungsschleifen oft als Nullsummenspiel behandelt, wobei die Länder nicht nur an vertrauten Ansätzen und Perspektiven festhalten, sondern auch versuchen, anderen ihre Methoden aufzuzwingen.
Genau das gedenkt Biden auch zu tun, nämlich mit seinem Plan, ein Konzert der Demokratien aufzubauen, um China als Teil eines “extremen Wettbewerbs” zwischen den beiden Mächten einzudämmen. Dadurch werden alle schlechter gestellt. Denn wie die Covid-19-Pandemie gezeigt hat, ist globale Zusammenarbeit unerlässlich, um grenzüberschreitende Herausforderungen wie Terrorismus, Migration, Ungleichheit und Klimawandel zu bewältigen. Wenn Länder sich gegenseitig bekriegen, werden diese Herausforderungen nur noch größer.
Vorerst bringt China sein eigenes Haus in Ordnung, wie etwa durch die Umsetzung seiner “Strategie der dualen Kreisläufe”, die darauf abzielt, Chinas Resilienz in den Bereichen Lieferketten und Markt durch das Hauptaugenmerk auf den “internen Kreislauf” zu stärken. Allerdings schließt diese Strategie Zusammenarbeit nicht aus. Im Gegenteil, China begrüßt die stärkere Zusammenarbeit bei gemeinsamen Herausforderungen, solange dies keine Kompromisse hinsichtlich seiner grundlegenden Überzeugungen oder Systeme bedeutet.
Ist der Westen zur Kooperation bereit – ohne Versuche, China zur Überschreitung roter Linien wie Regimewechsel zu zwingen – wird die Ausarbeitung eines neuen globalen Gesellschaftsvertrags unerlässlich sein. Das bedeutet zunächst einmal Reformen multilateraler Institutionen wie der Vereinten Nationen, des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der Welthandelsorganisation und der Weltgesundheitsorganisation.
Durch die Einbeziehung aller Stakeholder kann dieser Prozess die Entwicklung eines gemeinsamen Narrativs fördern, im Rahmen dessen jedes Land seine Rolle innerhalb des globalen Kollektivs festlegt. In einem derartigen Szenario würden die USA und China ihren Teil zum Schutz der globalen Gemeingüter beitragen, anstatt um die globale Vorherrschaft zu konkurrieren.
Xiao Geng ist Präsident der Hong Kong Institution for International Finance sowie Professor und Direktor des Institute of Maritime Silk-Road an der HSBC Business School der Universität Peking.
Mitautor ist Andrew Sheng, Distinguished Fellow am Asia Global Institute der Universität Hongkong und Mitglied des Beirats für nachhaltige Finanzen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
Copyright: Project Syndicate, 2021.
www.project-syndicate.org
neben ökonomischen Zielen für die kommenden Jahre widmet der 14. Fünfjahresplan seine Aufmerksamkeit auch zwei sozialen Aspekten – der bedrohlichen Alterung der chinesischen Gesellschaft und den Auswirkungen des rasanten Wachstums in den Millionenstädten auf den Immobilienmarkt. Anlass für Frank Sieren, Gregor Koppenburg und Jörn Petring, sich die Fakten anzusehen und der Frage nachzugehen, mit welchen Instrumenten Peking den gesellschaftlichen Problemen begegnen will.
Empfehlen möchte ich Ihnen außerdem den Standpunkt der beiden Wissenschaftler Xiao Geng und Andrew Sheng. Sie widmen sich den sehr unterschiedlichen Betrachtungen im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft in westlichen Demokratien, asiatischen Kulturen und speziell in China. Ihr Plädoyer: Gemeinsame Lösungen globaler Probleme werden nur gelingen, wenn die Handelnden bereit sind, den unterschiedlichen kulturellen und politischen Narrativen offen zu begegnen.
In unserer gestrigen Ausgabe schrieb Marcel Grzanna in seiner Analyse “Hongkong: Ausgaben für innere Sicherheit drastisch erhöht” über einen erstaunlich hohen Sonder-Etat von rund 850 Millionen Euro, der im Sicherheits-Haushalt 2021/22 Hongkongs aufgetaucht ist und dessen Herkunft bislang verschleiert wird. Aus technischen Gründen war der Artikel im China.Table-Briefing nicht vollständig zu lesen. Wir bitten dafür um Entschuldigung. Hier können Sie die Details nachlesen.
Früher war Wohnen in Peking kostenlos. Der Staat überließ jeder Familie eine Wohnung mietfrei. Dann entschloss sich die Führung, es mit der Marktwirtschaft zu versuchen und privatisierte neben Teilen der Wirtschaft auch den Immobiliensektor. Der Staat bot den Menschen die bisher mietfreien Wohnungen zum Kauf an.
Wer vor drei Jahrzehnten die Chance nutzte und wenige Hundert Yuan pro Quadratmeter in ein Apartment investierte, hat ein Vermögen gemacht. Natürlich ist über die Jahre auch das Leben viel teurer geworden – die Rendite kann sich trotzdem sehen lassen: Denn heute liegt der Durchschnittspreis einer Wohnung im Zentrum von Peking bei über 100 000 Yuan (etwa 12 800 Euro) pro Quadratmeter. Außerhalb des Zentrums müssen immerhin rund 50 000 Yuan gezahlt werden. Ähnlich sieht es in anderen Großstädten aus.
In den vergangenen Jahren haben die Preise aber ein Niveau erreicht, über das sich nur noch alteingesessen Großstädter freuen können, die bereits vor Ewigkeiten eine Immobilie gekauft haben. Wer aber heute als Normalverdiener eine Wohnung in der Innenstadt sucht, hat es schwer.
Angebote gibt es, nur sind die oft viel zu teuer. Junge Pekinger wohnen deshalb so lange es geht bei ihren Eltern. Berufseinsteiger, die in der Hauptstadt ihr Glück suchen und zuziehen, leben meist in Wohngemeinschaften. Große Vermietungsagenturen wie etwa das Unternehmen Ziru, haben sich in den letzten Jahren darauf spezialisiert, Wohnungen im Auftrag der Vermieter komplett zu renovieren und so umzubauen, dass sie von mehreren Parteien bewohnt werden können.
Und auch in kleineren Städten gibt es Probleme. Dort stampften Immobilienfirmen seit Jahren ein Hochhaus nach dem anderen aus dem Boden. Oft allerdings auf die falsche Zielgruppe zugeschnitten. Denn die Luxusapartments, die dabei meist entstanden sind, kann sich kein normalverdienender Bürger je leisten. Günstige Wohnungen hätte das Volk gebraucht. Käufer fanden sich dennoch: reiche Spekulanten, die ihre Häuser leer stehen ließen und auf eine Wertsteigerung warteten.
Seit Jahren hat die Regierung also mit zwei Problemen zu kämpfen: Die Kaufpreise sind unaufhaltsam gestiegen und die Normalverdiener in den Städten dadurch immer weiter in die Außenbezirke gedrängt worden. Und mieten kommt gar nicht erst in Frage, wenn das eigene Apartment ein noch größeres Statussymbol, als das eigene Auto ist. Zur Hochzeit oder sogar schon auf der Partnerbörse ist die eigene Wohnung eines der wichtigsten Kriterien. Das zweite Problem: In Erwartung hoher Einnahmen hat die Bauindustrie fleißig Kredite aufgenommen. Doch weil die Immobilienfirmen in einigen Regionen ihre überteuerten Häuser nur schlecht loswerden, bleiben ihnen die Einnahmen aus.
Die Führung weiß um die Brisanz des Problems. So ist es kein Wunder, dass sich auch der neue Fünfjahresplan, der beim Freitag beginnenden Volkskongress verabschiedet werden wird, in Teilen mit dem Immobilien-Markt beschäftigt.
So ist im Entwurf die Rede von “Stadterneuerungsinitiativen”, mit denen Metropolen nicht nur ökologischer und funktionaler werden sollen. Ausdrücklich ist davon die Rede, dass eine “stabile und gesunde Entwicklung des Wohnungsmarktes” gefördert werden soll. Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum soll “effektiv gefördert” und das Angebot an “erschwinglichen Mietwohnungen vergrößert” werden. Es müsse darauf bestanden werden, “dass Häuser zum Wohnen und nicht zum Spekulieren genutzt werden.”
Peking weiß, dass es diese Versprechen nicht auf die leichte Schulter nehmen kann. Denn kaum etwas würde die Bevölkerung seiner Führung mehr übel nehmen, als Verwerfungen am Immobilienmarkt. Deshalb gilt es unter chinesischen Experten trotz rasant gestiegener Preise auch als unwahrscheinlich, dass am Häuser-Markt eine Blase platzen wird. Seit Jahren hat sich ein anderes Prinzip bewährt: Mit mal mehr, mal weniger strengeren Regeln beim Häuserkauf, versuchen die Behörden stattdessen, kontrolliert Luft aus der Blase zu lassen. Gregor Koppenburg / Jörn Petring
Chinas Bevölkerung altert rapide. Schon jetzt sind mehr als 18 Prozent der Chinesen über 60 Jahre alt, 254 Millionen Bürger und damit mehr als in jedem anderen Land. 2055 dürfte der Höchststand erreicht sein – mehr als jeder dritte Chinese wird dann 60 Jahre und älter sein. Gleichzeitig nimmt die Geburtenrate kontinuierlich ab. Im Jahr 2020 etwa sank sie um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Eine Herausforderung für die Sozial- und Rentenkassen, ebenso für die jüngere Generation, die für immer mehr ältere Menschen aufkommen muss. Im Jahr 2025 wird es in der Volksrepublik rund 300 Millionen Rentenempfänger geben.
Schon jetzt legt die Regierung strategische Rücklagen an und investiert mit dem Regierungsprogramm “Gesundes China 2030” in ein verbessertes Gesundheitssystem. Auch eine schrittweise Anhebung des Rentenalters ist im Gespräch. Seit mehr als vier Jahrzehnten liegt das Renteneintrittsalter in China unverändert bei 60 Jahren für Männer und 55 Jahren für Frauen. Niedriger als in den meisten anderen Industrieländern.
Mit der rasanten Digitalisierung des Landes fühlen sich schon jetzt viele ältere Chinesen abgehängt. Im November ging ein Video auf den chinesischen Social-Media-Kanälen viral, in dem eine Rentnerin aus der Provinz Hubei an einem Schalter abgewiesen wurde, nachdem sie ihre Krankenversicherungsgebühren mit Bargeld bezahlen wollte. Man akzeptiere nur noch digitale Zahlungen via Alipay, erklärte ein Mitarbeiter der verzweifelt und hilflos wirkenden Kundin. Das Problem der digitalen Benachteiligung älterer Menschen ist während der Covid-19-Epidemie noch stärker in den Fokus gerückt, da viele Dienste, einschließlich der Gesundheitscodes, die zum Betreten vieler Gebäude erforderlich sind, nur digital erhältlich sind. Als Reaktion haben viele öffentliche Orte in China, etwa Bahnhöfe und Krankenhäuser, Info-Stände eingerichtet und Helfer verpflichtet, um älteren Menschen zu assistieren.
Chinas Ministerium für Industrie und Informationstechnologie hat im Dezember eine Kampagne gestartet, um die “digitale Kluft” für die ältere Bevölkerung bis 2022 zu schließen. Dafür werden Webseiten und App-Entwickler angehalten, ihre Angebote seniorenfreundlicher zu gestalten und Tech-Unternehmen ermutigt, mehr Produkte für ältere Zielgruppen zu entwickeln. Laut Daten des National Bureau Of Statistics sind rund 60 Millionen beziehungsweise 6,7 Prozent der rund 990 Millionen Online-User Chinas über sechzig Jahre alt. Das heißt, fast 200 Millionen chinesische Senioren sind noch offline. Für Technologieunternehmen ist das ein wenig erschlossener Wachstumsmarkt, für den chinesische Marketingleute bereits den Namen “Silberhaar-Economy” geprägt haben. Bei dieser Aktion schlägt die Regierung zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits hilft sie, älteren Menschen sich stärker in die schnell wandelnde Gesellschaft zu integrieren. Andererseits kommt sie dadurch dem Ziel des nächsten 5-Jahres-Planes näher, den Binnenkonsum anzukurbeln und damit China unabhängiger von der Welt werden zu lassen. Die Senioren sind unter den chinesischen Konsumenten die wichtigste zahlungskräftige Gruppe, die noch nicht erschlossen ist.
Erst Ende Januar hat die Suchmaschine Baidu eine App mit vergrößertem Text sowie einer optimierten Benutzeroberfläche mit Frage-Hotline für ältere Nutzer herausgebracht. Der Car-Hailing-Anbieter Didi launchte am 25. Januar das Programm Didi Care, mit dem ältere Kunden leichter Taxis bestellen können, etwa indem sie direkt mit einem Telefon-Assistenten verbunden werden. Der News-Aggregator Jinri Toutiao von ByteDance hat seiner App eine Vorlese-Funktion hinzugefügt. Und die vor allem bei jungen Nutzern beliebten Kurzvideoplattformen Kuaishou und Douyin haben eine größere Anzahl älterer Influencer rekrutiert und damit laut eigenen Angaben auch eine beträchtliche Anzahl älterer Nutzer gewinnen können. Die E-Commerce-Giganten JD.com und Taobao haben Senioren längst als wichtige Zielgruppe erkannt, was sich vor allem in Rabatten und verstärkter Werbung für bestimmte Haushaltswaren und Gesundheitsprodukte widerspiegelt. Ein Alibaba-Bericht aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Kunden über 60 auf der hauseigenen E-Commerce-Plattform Taobao aktiver waren als andere Altersgruppen, und dass ihre Ausgaben in den letzten drei Jahren um fast 21 Prozent gestiegen sind. Die Kaufkraft von Chinas Senioren dürfte jene des anderen asiatischen Spitzenreiters Japan in den nächsten zehn Jahren überschreiten.
Einige chinesische Startups haben sich von Anfang an auch auf ältere Zielgruppen konzentriert, und damit große Erfolge verbuchen können, etwa der Tanz-App-Anbieter Tangdou, der seit 2015 etwa 32 Millionen US-Dollar eingesammelt hat, oder die Foto-App-Firma Meipian, die heute auf einen Wert von mehr als 27 Millionen US-Dollar kommt. Auch chinesische Banken fokussieren sich immer mehr auf die Bedürfnisse älterer Menschen, die, aufgewachsen in unsicheren Zeiten, traditionell große Sparer sind.
Und die Älteren verbringen immer mehr Zeit online. Laut dem in Peking ansässigen Analyseunternehmen QuestMobile verbrachten Internetnutzer über 50 im Jahr 2020 durchschnittlich 136 Stunden pro Monat online, was einem Anstieg von 39 Prozent gegenüber 2017 entspricht.
Aber es gibt auch Schattenseiten des Oldtimer-Booms. Eine 2018 von der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und dem Tencent Research Institute durchgeführte Studie über das digitale Leben älterer Chinesen zeigt, dass 67 Prozent bereits Opfer von Online-Betrug geworden sind, zum Beispiel in Kontaktbörsen, auf denen gezielt einsame Seniorinnen um ihr Geld gebracht wurden. Auch hier will Chinas Regierung in Zukunft vehementer eingreifen.
Die weltweit beliebteste Computerspiele-Plattform Steam ist vor kurzem offiziell in China mit einer eigenen chinesischen Version gestartet. Jetzt können chinesische Gamer offiziell Spiele über Steam kaufen. US-Hersteller Valve Corp., der die Plattform entwickelt hat, arbeitet dafür mit einem chinesischen Partner namens Perfect World zusammen und will einen Fuß in die Tür des gewaltigen chinesischen Marktes bekommen.
Die Verkaufszahlen der Spielebranche sind im Coronajahr weltweit gewachsen und China ist ein wichtiger Markt. Die Volksrepublik war auch schon vor der Pandemie der größte Absatzmarkt für Spiele und stellt gleichzeitig mit Tencent den weltweit größten Spielehersteller. Die Firma entwickelte einerseits selbst Kassenschlager wie Honor of Kings oder Peacekeeper Elite und hält gleichzeitig Anteile an diversen großen Entwicklungsfirmen aus den USA. Im Westen ist besonders der Titel PUBG bekannt. Für das dritte Quartal meldete die Firma einen 89-prozentigen Anstieg beim Nettogewinn. In einem Bericht von 2019 schätzte Tencent die Gesamtumsätze des chinesischen Computerspiele-Marktes auf 230 Milliarden RMB (circa 30 Milliarden Euro) und prognostizierte für 2020 einen Umsatzanstieg auf circa 270 Milliarden RMB.
Kürzlich in chinesischen Staatsmedien veröffentlichte Zahlen zeigen, dass diese Vorhersage sogar noch übertroffen werden konnte. Laut einem Bericht des China Internet Network Information Center stieg der Gesamtumsatz 2020 um mehr als 20 Prozent auf 278,7 Milliarden RMB. Knapp drei Viertel dieser Umsätze fallen dabei auf Mobile Games, die auf dem Smartphone gespielt werden. Spielekonsolen machen nur etwa zwei Prozent des chinesischen Marktes aus. Verschwindend gering im Vergleich zum internationalen Anteil von 30 Prozent.
Die Gesamtzahl der Spieler ist dabei ebenfalls angestiegen. Mehr als 600 Millionen Chinesen spielen regelmäßig Spiele. Das sind mehr als die Gesamtbevölkerung von Deutschland, Frankreich, Japan und den USA zusammen.
Doch trotz der guten Wirtschaftszahlen ist das Verhältnis der chinesischen Behörden gegenüber der Spieler-Community sehr gemischt. Zur Bekämpfung von Gaming-Sucht gibt es ein Registrierungssystem für Spieler und automatische Sperren für Minderjährige zwischen 22:00 Uhr abends und 8:00 Uhr morgens. Außerdem gibt es im Land verteilt Entzugskliniken, in denen meist junge Männer vom Spielen abgehalten werden sollen.
Ausländische Spielefirmen brauchen in China eine spezielle Lizenz, um Spiele verkaufen zu können. Um diese zu erhalten, dürfen in den Spielen kein Blut oder exzessive Gewalt vorkommen. Das schneidet den chinesischen Markt von einer großen Anzahl Spiele ab, darunter den größten Spiele-Franchises wie Call of Duty, was bei der chinesischen Kunden nicht gut ankommt. “Du hast die Wahl zwischen Mario-Spielen und Sport. Das ist alles, was offiziell zu haben ist”, sagt ein Pekinger Gamer.
Auch Spielekonsolen wie die Playstation von Sony waren in China lange verboten und können erst seit Mitte 2015 legal erstanden werden. Bis heute sind sie allerdings technisch abgeändert, sodass unlizenzierte Spiele auf ihnen nicht funktionieren. Effektiv gibt es deswegen weltweit zwei Arten dieser Konsolen. Eine Version für Festlandchina, auf der nur lizenzierte Spiele laufen und eine Version für den Rest der Welt. Die Spieler reagieren mit einem gewaltigen “Graumarkt”, in dem Konsolen aus Hongkong importiert oder die Geräte mithilfe von Softwarecracks den internationalen Versionen angepasst werden.
Die US-Originalversion der Spieleplattform Steam operiert in einer ähnlichen Grauzone. Sie ist auch von China aus erreichbar und für chinesische Spieler ein Weg, an internationale Spiele heranzukommen, die in China keine Lizenz erhalten haben. Vor diesem Hintergrund ist es kaum eine Überraschung, dass der Start der offiziellen chinesischen Version jetzt deutliche Einschränkungen bei der Anzahl der angebotenen Spiele mit sich bringt.
Wie einige Spielemagazine berichteten, findet der Besucher auf der chinesischen Version der Plattform nicht wie üblich abertausende von Spielen, die um die Aufmerksamkeit buhlen, sondern insgesamt nur etwa fünfzig. Community-Funktionen wie Foren sind ganz entfernt worden. Außerdem machen sich chinesische Gamer schon seit der Ankündigung Sorgen, dass die US-Version von Steam in China nun geblockt werden könnte.
Für westliche Spieleentwickler könnte der Balanceakt zwischen ihren Käufern im Westen und der chinesischen Lizenzierung kaum schwieriger ausfallen. Denn die westliche Spieler-Community ist durchaus politisch aktiv und lautstark. Politisch für Peking unvereinbare Inhalte aus den Spielen herauszuhalten, ist dabei nur eine Seite der Medaille. Viel schwieriger gestaltet es sich, politische Botschaften während Livestreams bei Spieleevents zu verhindern, die die chinesische Regierung verärgern könnten.
Der US-Spieleentwickler Blizzard Entertainmant bekam das zu spüren, als 2019 der E-Gamer Ng Wai Chung bei einem Spieleturnier zur Unterstützung der pro-demokratischen Bewegung in Hongkong aufrief. Blizzard reagierte unter anderem mit einer Sperre für den Spieler und dem Entzug der gewonnenen Preisgelder. Die Firma begründete dies mit dem Argument, dass politische Aussagen jeder Art bei ihren Events verboten seien. Die Spielergemeinschaft interpretierte die Situation allerdings anders. Blizzard stelle wirtschaftliche Interessen über Grundwerte wie Meinungsfreiheit und beuge sich dem chinesischen Druck, so die Kritik. Die Gemeinschaft rief zu Protesten und Boykott auf und selbst unter Blizzards eigenen Mitarbeitern gab es Widerstand. Gregor Koppenburg / Jörn Petring
China hat 2020 die meisten Anträge für internationale Patente eingereicht. Damit stach die Volksrepublik zum zweiten Mal in Folge die USA aus, wie die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) gestern mitteilte. Demnach wurden aus China im vergangenen Jahr über den Patentkooperationsvertrag (PCT) der Organisation 68.720 Anmeldungen für Patente eingereicht – aus den Vereinigten Staaten waren es 59.230 Anträge. Die eingereichten Patentanmeldungen aus Deutschland gingen laut WIPO im vergangenen Jahr um 3,7 Prozent zurück: Aus der Bundesrepublik erreichten 18.643 Patentanträge die Organisation.
Der chinesische Telekommunikationsriese Huawei hat mit 5.464 eingereichten Patentanträgen weltweit am meisten Anträge übermittelt, so die WIPO. Das Unternehmen liegt zum vierten Mal in Folge auf Platz 1. Auf den Plätzen dahinter lagen demnach Samsung aus Südkorea, Mitsubishi aus Japan, LG Electronics aus Südkorea und Qualcomm aus den USA. Nach WIPO-Angaben ist die Zahl der Anträge aus China auch im Vergleich zum Vorjahr massiv gestiegen: Die Steigerungsrate lag demnach bei 16,1 Prozent im Vergleich zu 2019, für die USA lag sie bei 3 Prozent.
China hatte die USA erstmals 2019 von der WIPO-Spitze verdrängt. Generell gebe es einen Anstieg bei den Anmeldungen aus Asien, erklärte WIPO-Generaldirektor Daren Tang Medienberichten zufolge. Zwar ginge die Zahl der Anmeldungen aus den USA oder Europa nicht zurück – die Zahl der Patentanträge aus Asien steige aber viel schneller, so Tang. Mittlerweile entfielen gut die Hälfte der Patentanträge auf den asiatischen Raum, vor zehn Jahren sei es etwa ein Drittel gewesen.
Trotz der Corona-Pandemie hatte es laut WIPO einen neuen Höchststand bei internationalen Patentanträgen gegeben: Weltweit wurden 275.900 PCT-Anmeldungen eingereicht – ein Plus von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der PCT-Wert gilt als verbreitete Messgröße zur Erfassung der weltweiten Innovationstätigkeit. ari
Experten der WHO haben starke Zweifel an der chinesischen Theorie zum Ursprung des Coronavirus geäußert. Die Wissenschaftler Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut und Vladimir Dedkov vom Pasteur-Institut in St. Petersburg sagten der Financial Times, es sei sehr unwahrscheinlich, dass Covid-19 durch gefrorene Lebensmittel nach Wuhan gekommen sei. Die chinesische Regierung und staatliche Medien hatten diese Theorie in den letzten Wochen verbreitet.
Proben gefrorener Lebensmittel vom Huanan-Markt seien sehr wahrscheinlich durch Menschen mit dem Virus kontaminiert worden und nicht Ursache der Übertragung gewesen, so Dedkov gegenüber der FT. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass “all die kontaminierten Lebensmittel auf einen einzelnen Markt in China gelangten”, so der Wissenschaftler weiter.
Auch Peter Embarek, der Leiter der WHO-Untersuchungsmission nach Wuhan, sagte der FT, gefrorene Lebensmittel “waren kein möglicher Einschleppungsweg”. Auch da es in anderen Weltregionen vor den ersten Infektionen in Wuhan keine Ausbrüche in Lebensmittelfabriken gegeben hätte.
Chinesische Wissenschaftler kommen laut FT zu anderen Schlüssen: In einer im Dezember veröffentlichten Studie hätten sie aufgezeigt, wie sie das Coronavirus auf der Außenverpackung von importiertem Tiefkühl-Kabeljau isoliert hätten. Eine weitere chinesische Studie untersuchte den Ausbruch auf dem Pekinger Xinfadi-Großmarkt. Sie förderte zutage, dass viele infizierte Personen aus einem Bereich des Marktes stammten, der importierten Lachs verkaufte, wo sechs von 3.582 Proben des Fisches positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurden.
“Wir vermuten, dass das Wiederauftreten von Covid-19 in Peking wahrscheinlich durch eine Umwelt-zu-Mensch-Übertragung ausgelöst wurde, die von kontaminierten importierten Lebensmitteln über die Kühlkettenlogistik ausging”, gibt die FT das Fazit der chinesischen Studienautoren wieder. Die WHO und die meisten westlichen Regierungen bezweifeln das wissenschaftliche Vorgehen hinter der chinesischen Übertragungstheorie, so die FT. Es wird erwartet, dass die WHO diesen Monat einen Bericht über ihre Erkenntnisse aus Wuhan veröffentlicht. nib
China ist als Land schwer zu verstehen, sogar für die meisten Chinesen. Doch die geheimnisvollen Aspekte Chinas – seine lange Geschichte, die unendliche Weite und Vielgestaltigkeit des Staatsgebiets, die riesige und vielfältige Bevölkerung, seine komplexe Politik und eine gewaltige, dynamische Wirtschaft – sind wichtig für das Verständnis des Landes. Was in China vor sich geht, betrifft, wohl oder übel, jeden von uns.
Am schwersten bei der Ergründung Chinas tun sich westliche Beobachter. Der niederländische Sinologe Hans Kuijper formulierte, dass in der westlichen Sinologie etwas ganz grundsätzlich verkehrt läuft: “Entweder geben China-Experten vor, über alles mit China in Zusammenhang stehende Bescheid zu wissen. Dann sind sie nicht ernst zu nehmen. Oder sie räumen – letztendlich – ein, hinsichtlich des Landes keine wissenschaftlichen Allrounder zu sein. In diesem Fall können sie wiederum nicht als ‘China-Experten‘ bezeichnet werden.”
Es bestehen offensichtliche Gründe, warum es Menschen aus dem Westen so schwer fällt, China zu verstehen. Zunächst, weil China auf eine sehr lange Geschichte als kontinentale landwirtschaftlich geprägte Zivilisation mit einer starken Zentralregierung und einheitlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen zurückblickt.
Dies unterscheidet sich in hohem Maße von der geografischen Fragmentierung und dem politischen Wettbewerb, die historisch im Westen zu beobachten waren – dem Geburtsort des modernen Nationalstaates und des Marktkapitalismus. Diese historische Diskrepanz hilft bei der Erklärung, warum das heutige China einige Ziele wie den Ausbau von Infrastruktur in großem Maßstab viel effizienter erreicht als der Westen, andere jedoch – wie den Aufbau einer Demokratie – weitaus langsamer.
Es besteht jedoch keine klare Grenze zwischen der chinesischen Zentralplanung und dem demokratischen Kapitalismus des Westens. So kann das kommunistische China beispielsweise im Hinblick auf ungezügeltes Marktverhalten weit “kapitalistischer” sein als westliche Länder. Tatsächlich befinden sich zwei Drittel der “staatlichen” Wirtschaft mittlerweile in privater Hand. Und doch geschah das nicht im Rahmen einer “Privatisierung” nach westlichem Vorbild.
China fordert traditionelle westliche Rahmenwerke mit einem langfristigen, pragmatischen und kontextbezogenen politischen Ansatz heraus. Beeinflusst durch alte chinesische Philosophie denken politische Entscheidungsträger in komplexen Systemen. Sie sind sich bewusst, dass Systeme keine statischen Gebilde sind und daher auch nicht durch starre Regeln und Verfahren in entsprechender Weise gelenkt werden können. Um die für regelmäßige Reformen und adaptive politische Entscheidungen unerlässliche Stabilität, Funktionalität und Entwicklung komplexer Systeme zu ermöglichen, sind flexible relationale Prinzipien oft weitaus nützlicher.
Die Technologie hat diesen Anpassungsprozess unterstützt, weil sie zur Überwindung von Koordinations- und Kommunikationsproblemen beitrug. Die App WeChat beispielsweise verbindet komplexe Netzwerke und Organisationen und erleichtert damit die zeitgerechte Umsetzung riesiger, komplexer Projekte.
Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal chinesischer Politik besteht in der Tendenz, das kollektive Überleben über individuelle Interessen zu stellen. Anders als etwa die Vereinigten Staaten verfügt China über umfassende Erfahrungen mit systemischem Verfall und Zusammenbruch. Die chinesische Führung weiß sehr wohl, welches Maß an Instabilität auf derartige Entwicklungen folgen kann – und wie schwierig der Wiederaufbau ist. Daher setzt sie sich für den Erhalt, die Entwicklung und die Stärkung bestehender Systeme ein, auch wenn dies für den Einzelnen kurzfristige Kosten mit sich bringt.
Aber auch hier besteht die Gefahr reduktionistischen Denkens. Vordergründig lässt sich Chinas Ansatz mit dem anderer Länder vergleichen, wenn man dazu eine aus Ich-Ich- sowie Wir-Wir-Denkweisen bestehende Zwei-mal-zwei-Matrix verwendet. Die USA – insbesondere unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump – verkörpern seit langem den Ich-Ich-Ansatz, im Rahmen dessen das kollektive Wohl hinter die individuellen Rechte und Freiheiten zurücktritt.
Wenn die neue Covid-19-Strategie als Hinweis interpretiert werden darf, könnte die Biden-Administration die USA in Richtung eines Ich-Wir-Ansatzes stoßen – der zwar immer noch die individuellen Rechte in den Vordergrund stellt, aber dennoch ein Auge auf das kollektive Wohl hat – wobei gesagt werden muss, dass diese Vorgehensweise ohne Zweifel auf heftigen Widerstand stoßen wird. Das Musterbeispiel für diese Kategorie sind Europas Sozialdemokratien.
Die asiatischen Länder wiederum fallen zum Großteil in die Wir-Ich-Kategorie, die das Kollektiv in den Vordergrund stellt, aber trotzdem Wert auf individuelle Rechte legt. Chinas Schwerpunkt auf kollektivem Wohlergehen ist jedoch ausgeprägt genug, um das Land – zusammen mit Kuba – in das Wir-Wir-Lager einzuordnen. Nichtsdestotrotz werden in beiden Ländern die Forderungen nach individuellen Rechten lauter.
Fest steht, dass die sich vertiefende internationale Integration es externen Kräften ermöglichte, das chinesische Denken zu beeinflussen, ebenso wie China zunehmend den Rest der Welt prägt. Leider werden solche dynamischen Rückkopplungsschleifen oft als Nullsummenspiel behandelt, wobei die Länder nicht nur an vertrauten Ansätzen und Perspektiven festhalten, sondern auch versuchen, anderen ihre Methoden aufzuzwingen.
Genau das gedenkt Biden auch zu tun, nämlich mit seinem Plan, ein Konzert der Demokratien aufzubauen, um China als Teil eines “extremen Wettbewerbs” zwischen den beiden Mächten einzudämmen. Dadurch werden alle schlechter gestellt. Denn wie die Covid-19-Pandemie gezeigt hat, ist globale Zusammenarbeit unerlässlich, um grenzüberschreitende Herausforderungen wie Terrorismus, Migration, Ungleichheit und Klimawandel zu bewältigen. Wenn Länder sich gegenseitig bekriegen, werden diese Herausforderungen nur noch größer.
Vorerst bringt China sein eigenes Haus in Ordnung, wie etwa durch die Umsetzung seiner “Strategie der dualen Kreisläufe”, die darauf abzielt, Chinas Resilienz in den Bereichen Lieferketten und Markt durch das Hauptaugenmerk auf den “internen Kreislauf” zu stärken. Allerdings schließt diese Strategie Zusammenarbeit nicht aus. Im Gegenteil, China begrüßt die stärkere Zusammenarbeit bei gemeinsamen Herausforderungen, solange dies keine Kompromisse hinsichtlich seiner grundlegenden Überzeugungen oder Systeme bedeutet.
Ist der Westen zur Kooperation bereit – ohne Versuche, China zur Überschreitung roter Linien wie Regimewechsel zu zwingen – wird die Ausarbeitung eines neuen globalen Gesellschaftsvertrags unerlässlich sein. Das bedeutet zunächst einmal Reformen multilateraler Institutionen wie der Vereinten Nationen, des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der Welthandelsorganisation und der Weltgesundheitsorganisation.
Durch die Einbeziehung aller Stakeholder kann dieser Prozess die Entwicklung eines gemeinsamen Narrativs fördern, im Rahmen dessen jedes Land seine Rolle innerhalb des globalen Kollektivs festlegt. In einem derartigen Szenario würden die USA und China ihren Teil zum Schutz der globalen Gemeingüter beitragen, anstatt um die globale Vorherrschaft zu konkurrieren.
Xiao Geng ist Präsident der Hong Kong Institution for International Finance sowie Professor und Direktor des Institute of Maritime Silk-Road an der HSBC Business School der Universität Peking.
Mitautor ist Andrew Sheng, Distinguished Fellow am Asia Global Institute der Universität Hongkong und Mitglied des Beirats für nachhaltige Finanzen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
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