Table.Briefing: China

Hildebrandt: Aufholbedarf bei Kundenwünschen + EU und Taiwan + Pandora Papers

  • CEO-Talk Hildebrandt
  • Brüssel sucht seinen Ansatz für die Taiwan-Frage
  • Zahlreiche chinesische Firmen in den Pandora Papers
  • Neue US-Handelsstrategie
  • Feste Quarantäne-Zentren für Einreisende geplant
  • Rufe nach Öffnung der Grenze werden lauter
  • Außenhandelskammern besorgt wegen Stromknappheit
  • Evergrande-Aktie von Handel ausgesetzt
  • Standpunkt von Jürgen Matthes: Deutsche Unternehmen befürworten “robustere” Maßnahmen
  • Tools erklärt das chinesische Datensicherheitsgesetz
Liebe Leserin, lieber Leser,

die politischen und Handelsbeziehungen zwischen China und der EU sind seit Beginn der Corona-Pandemie in schwierige Fahrwasser geraten: Reisebeschränkungen erschweren den Austausch, gleichzeitig wächst der Wettbewerbs- und Innovationsdruck durch chinesische Konkurrenten. Jens Hildebrandt, Chef der AHK in Peking, schildert im CEO-Talk mit Frank Sieren die Herausforderungen, vor denen deutsche Unternehmen in China stehen.

Er ruft dazu auf, von Pekings staatlicher Förderung und den mutigen Start-Up-Unternehmen der Volksrepublik zu lernen. Sein Motto: “Risiken eingehen und einfach mal was Neues wagen“. Deutschen Unternehmen rät er, sich flexibler und schneller auf chinesische Kundenwünsche einzustellen. In den Bereichen der Industrieautomatisierung und Dekarbonisierung gäbe es noch viel Wachstumspotenzial für Deutschlands “Hidden Champions”.

Zu Beginn der Woche platzte die Bombe: Nach den “Panama Papers” und “China Cables” veröffentlichte der investigative Journalistenverband “International Consortium of Investigative Journalists” (ICIJ) nun die “Pandora Papers”: Im neusten Datenleak über Firmen in Steueroasen tauchen zahlreiche chinesische Namen auf, berichtet Nico Beckert. Die Unternehmen nutzen Briefkastenfirmen in Offshore-Zentren, um die strikten chinesischen Finanz- und Devisen-Regulierungen zu umgehen. Auch Chinas Prinzlinge nutzen gerne die Intransparenz von Steueroasen.

In Brüssel steht derweil eine Gretchenfrage im Zentrum der Debatten: Wie hält es die EU mit Taiwan? Die Debatte um das Verhältnis zu der Insel hat in den vergangenen Monaten an Relevanz gewonnen. Das EU-Parlament will noch diesen Monat den Druck auf die EU-Kommission erhöhen, konkrete Schritte für ein bilaterales Investitionsabkommen einzuleiten.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

“Es geht zunehmend auch um das Management von Risiken”

Jens Hildebrandt AHK Peking
Jens Hildebrandt, Chef der AHK in Peking

Jens Hildebrandt, 43, hat sein Berufsleben einer Frage gewidmet: Wie können deutsche Unternehmen in China erfolgreich sein? Das hat ihn schon während des Sinologie- und Politikstudiums in Leipzig, Peking und Hongkong interessiert. Seit 2007 ist er im Netzwerk der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) unterwegs. Hildebrandt war Leiter des Ostasien-Referats des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) in Berlin. Als Leiter des AHK-Büros in Guangzhou wurde ihm dann klar, wie die Volksrepublik die Zukunft gestalten will. Seit 2018 ist Hildebrandt AHK-Chef und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer für Nordchina in Peking. Seit 2020 außerdem Asien-Pazifik-Koordinator des Asien-Pazifik-Ausschusses (APA) der Deutschen Wirtschaft. Die Corona-Pandemie stellte ihn zuletzt vor ganz neue Herausforderungen.

Herr Hildebrandt, infolge der Corona-Pandemie hat die AHK Charter-Flüge nach China organisiert. Wie ist die Idee zu den Flügen entstanden, die ja weiterhin der wichtigste Weg sind, um aus Deutschland nach China zu gelangen?

Wie viele Ideen ist auch diese aus der Not entstanden. Im Frühjahr 2020 haben die deutschen Unternehmen ihre Mitarbeiter und deren Familien nicht mehr nach China reinbekommen. China hatte ja wegen Corona seine Grenzen weitgehend dichtgemacht. Also haben wir nach einer pragmatischen Lösung gesucht und verschiedene Konzepte gemeinsam mit der Botschaft durchgespielt.

Dabei ging es vor allem um zwei Fragen, die wir gegeneinander abwägen mussten: Wie können wir den chinesischen Behörden ein Gefühl der Sicherheit bei ihrer Null-Prozent-Infektionsstrategie vermitteln? Und: Wie können wir die Einreise für die Deutschen dennoch ermöglichen und so angenehm wie möglich gestalten? Damals haben wir uns allerdings noch nicht vorstellen können, dass diese Reiseeinschränkungen für so lange Zeit in Kraft sein würden. In diesem Jahr haben wir bereits sechs Charterflüge nach China bringen können. Im vergangenen Jahr waren es 14. 

Dennoch konnten Sie nur einen Teil der Menschen nach China holen, die eigentlich nach China müssten. 

Ja. Nur in ganz dringenden Fällen bekommen Deutsche ein Visum. Die Reiserestriktionen bereiten unseren Unternehmen immer größere Kopfschmerzen. Sie verhindern weitere Investitionen und Kooperationen. Maschinen stehen still, weil die Ingenieure, die sie warten oder installieren, nicht ins Land kommen. Die Lage wird immer komplizierter. Zahlreiche chinesische Unternehmen sagen inzwischen: Es tut uns leid. Wenn ihr es nicht schafft, eure Ingenieure reinzubekommen, dann müssen wir leider zu chinesischen Wettbewerbern wechseln. Die können uns vor Ort versorgen. 

Wann wird sich das ändern?

Es sieht nicht so aus, dass es sich vor den Olympischen Winterspielen in der Nähe von Peking Anfang nächsten Jahres noch ändern wird. Der Volkskongress, das chinesische Parlament, wird danach im März tagen und im Herbst nächsten Jahres steht ein wichtiger Parteitag an. Ich habe Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass China davor große Lockerungen einführen wird bei den Restriktionen. Andererseits kann sich China nicht auf Dauer von der Außenwelt abschließen, zumal der Binnenkonsum eben noch nicht ganz auf das Vor-Corona-Niveau zurückgekehrt ist. 

Allerdings konnte kein anderes Land so schnell zur wirtschaftlichen Normalität zurückkehren. Im vergangenen Jahr war China die einzige große Volkswirtschaft weltweit, die positive Wachstumszahlen schreiben konnte. Und auch dieses Jahr sieht es gut aus.

Ja. Die Frage ist nur, wie nachhaltig ist eine Politik, die jedes Mal, wenn es einen kleinen Ausbruch gibt, in den lokalen Lockdown geht und landesweit die Reisebeschränkungen verschärft. Es trifft ja nicht nur ausländische Unternehmen. Zahlreiche chinesische Unternehmen haben internationale Strategien, die zentral für ihr Geschäft sind. Auch denen fehlt der weltweite Austausch sehr. Gleichzeitig ist das Konsumentenvertrauen in die Covid-Politik noch nicht zurückgekehrt und beschert im Einzelhandelsabsatz schwache Zahlen.

Steckt auch ein wenig Absicht dahinter? Nach dem Motto: Jetzt machen wir aus der Not eine Tugend und schauen mal, wie weit China alleine kommt?

Da ist etwas dran. Allerdings ist das nur eines der Ziele Pekings. Ein anderes wichtiges Ziel: Man möchte ein ausreichend hohes Wirtschaftswachstum erreichen. Und ich bin sicher, dass man in einem solchen Test nicht mehr zulassen würde, sodass das Wachstum stark einbricht. Mein Eindruck ist deshalb: In der chinesischen Politik setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass es ohne Austausch nicht geht, wenn China sein Wachstum halten will.

Das wiederum bedeutet: China wird gleichzeitig vom Partner immer mehr zum Wettbewerber. 

Darauf müssen wir uns einstellen. Auch, wenn das in Deutschland zuweilen auf Unverständnis stößt. Wir müssen lernen, zu verstehen, dass China nie nur das eine oder das andere ist. Diejenigen, die China nur für einen Wettbewerber halten oder gar einen Rivalen, schüren Ängste. Diejenigen, die in China nur einen Partner sehen, sind naiv. Dies auszubalancieren wird eine immer größere Herausforderung auch für uns, zumal China noch lange unser wichtigster Zukunftsmarkt sein wird. Für die Unternehmen, aber auch für uns, die Auslandshandelskammern. 

Was müssen wir im Umgang mit China sonst noch lernen? 

In Deutschland hat man erstens noch nicht in vollem Umfang verstanden, welche tiefgreifende Innovationsschübe China schon heute hervorbringt. Und zweitens: Dass Staat und Wirtschaft so eng verwoben sind, hat nicht nur Nachteile, Stichwort “Staatswirtschaft”, sondern eben auch Vorteile, Stichwort “staatliche Innovationsförderung”. Aus Sicht der Wettbewerbssituation ist das schlecht, da eine zu starke Subventionierung chinesischer Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bedeutet. Dagegen partizipieren und profitieren deutsche Unternehmen auch hier von der Wirtschaftskraft, die die Innovation hervorbringt. Gleichzeitig entstehen eben Firmen, die uns auch in den Branchen, in denen wir noch stark sind, überholen wollen. 

Dass haben Sie hautnah erlebt, als sie einige Jahre in Guangzhou im Süden Chinas gearbeitet haben. Eine Region, die als das neue Silicon Valley gilt. 

Was man nie mehr vergisst, wenn man dort gelebt hat, ist die Geschwindigkeit, mit der China immer innovativer wird. Das können wir uns im Westen kaum vorstellen. Und es sind nicht nur die Unternehmen und Forschungseinrichtungen, sondern auch die Kunden mit ihren Wünschen und Vorlieben. Da reagieren unsere Unternehmen teils noch zu langsam.

Meine Zeit in Südchina hat mir jedenfalls die Augen geöffnet. Die Mischung aus kluger staatlicher Förderung und mutigen, schnellen Start-up-Unternehmern ist einmalig. Diese Mischung ist zwar ein chinesisches Modell, aber wir sollten sie uns dennoch genauer anschauen und versuchen, davon zu lernen. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Wie kann der Staat in Deutschland Innovation unterstützen? Und wie können die Unternehmen selbst in ihren Innovationszyklen schneller und wendiger werden?

Was fehlt der deutschen Wirtschaft noch?

Es ist vor allem dieser Try-and-Error-Spirit, den wir noch ausbauen könnten: Risiken eingehen. Einfach mal was Neues wagen. Den Mut haben, auch mal was falsch zu machen und dann dafür auch die zeitlichen und finanziellen Kosten zu akzeptieren, als Teil eines Entwicklungsprozesses. Dieser Spirit ist in China verbreiteter als in den USA. Und in den USA verbreiteter als Europa. An dieser Stelle können wir noch nachbessern. 

Wie sind Sie eigentlich nach China gekommen?

Ich war mit 18 Jahren auf einem Schüleraustausch in Japan. Da hat mich die asiatische Kultur zu interessieren begonnen. Aber Japan steckte zu dieser Zeit in einer tiefen Rezession und war ziemlich angeschlagen. Ich habe dann geschaut, welche Länder in der Region Entwicklungspotenzial haben und bin, wen wundert es, auf China gestoßen. Also habe ich Sinologie zu studieren begonnen …

… ein Nischenfach. Damit sind Sie doch bestimmt auf große Skepsis gestoßen in ihrer Umgebung. Warum haben Sie weitergemacht?

Ja, das war so. Ich habe aber nicht aufgehört, weil ich fand, dass “Nische” nicht die angemessene Bezeichnung ist, um China zu beschreiben. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich China entwickelt, war mir schnell klar, dass es in allen strategischen globalen Fragen, keinen Weg vorbei an China gibt. Wir werden immer enger mit China zusammenarbeiten müssen und sich mit China zu beschäftigen, wird immer spannender. 

Sie haben als Kind die DDR noch erlebt. War das nicht ein Grund, sich nicht mit China zu beschäftigen? 

Ich war damals noch zu jung, um jetzt einen Systemvergleich anzustellen. Ich war ja zwölf als die Mauer aufging. Ich kann mich eigentlich nur noch an die roten Parolen erinnern, die es ja hier in China auch noch gibt. Mit Sprüchen wie: “Tragt dazu bei, eure Stadt schöner zu gestalten. Viele Grüße, die Kommunistische Partei.”

Kann man die Systeme vergleichen?

Kann man. Die Frage ist nur, was das bringt. Das wirtschaftliche System der DDR hat am Ende dazu geführt, dass sich die DDR selbst abgeschafft hat. Das kann man von China ja nicht wirklich behaupten. 

Und politisch?

Da würde ich mich eher auf die Eigenheiten des chinesischen Systems konzentrieren wollen: Es ist ein autoritäres System, dass sich zunehmend auf eine Person konzentriert, die die Zügel auch in der Partei wieder anzieht. 

Der Spielraum der Zivilgesellschaft wird also kleiner? 

Es war schon ein anderes in Peking als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal zum Studieren hier war. Es war natürlich weniger entwickelt, allerdings andererseits auch viel freier in seiner Kreativität, in der Kunstszene, der Musikszene. Vieles ist verschwunden. Und die, die geblieben sind, agieren viel vorsichtiger. Kurz: Das Leben ist heute komfortabler als vor 20 Jahren, aber es hat deutlich an Freiheit und Flexibilität eingebüßt. Die Einschränkungen der Zivilgesellschaft gehen Hand in Hand mit dem nun größeren Spielraum der Parteiführung. 

Also folgt der wirtschaftlichen Öffnung nicht die politische Öffnung? 

Leider nicht. Den Trend gab es früher einmal, aber den sehe ich nun für die nächste 20 Jahre nicht. Der Staat und die Partei haben die Zügel zunehmend fest in der Hand und solange es ihnen weiterhin gelingt, Wohlstandszuwachs für die Bevölkerung zu erzielen, wird das China, wie wir es kennen, weiter existieren. 

Haben Sie angesichts der politischen Entwicklung Ihre Entscheidung je bereut, Sinologie zu studieren?

Nein, mein Job macht mir viel Spaß. Ich lerne viel. Jeden Tag müssen wir uns hier in der Kammer von neuem fragen: Wie hat sich die Lage in diesem schnell wachsenden Land verändert. Mit wem müssen wir zu welchem Thema sprechen? Wer ist zuständig? Wer ist nicht zuständig, hat aber Einfluss? Und welchen Ton schlagen wir bei wem an?

Wird es nun riskanter in China zu investieren?

Das kann man so pauschal nicht sagen: Die Ausgangslage ist für die Unternehmen komplizierter als vor 20 oder 30 Jahren, da eine Politisierung der Wirtschaftsbeziehungen im vollen Gange ist. Es geht nicht nur mehr um wirtschaftlichen Erfolg und Chancen, sondern zunehmend auch um das Management von Risiken. Chancen und Abhängigkeiten sind zwei Seiten einer Medaille. Die Frage ist: Wie kann ich Chancen nutzen und gleichzeitig die Abhängigkeiten überschaubar bleiben lassen. Das ist eine besonders schwierige Frage in Branchen wie dem Maschinenbau oder der Autoindustrie, bei denen rund 30 Prozent des weltweiten Geschäftes in China liegen. Tendenz steigend. Die Unternehmen werden auf jeden Fall mehr in Risiko- und Compliance-Management investieren müssen.

Welche Fragen stellen sich da?

Eine lautet, ob chinesische oder westliche Unternehmen gleichbehandelt werden – Stichwort “Dual Circulation” – und wie lange und in welcher Weise deutsche Unternehmen von dem Aufstieg Chinas profitieren.

Und?

Wir werden Einschnitte in manche Branchen haben – vor allem in sicherheitsrelevanten Bereichen. In anderen Industrien werden sich neue Möglichkeiten öffnen. Vor 20 Jahren hatten ausländische Unternehmen einen Marktanteil von 60 Prozent. Inzwischen wird der Markt von chinesischen Playern kontrolliert. Wir liefern allenfalls noch zu. Im Bereich der Industrieautomatisierung und Dekarbonisierung andererseits, da tun sich noch große Chancen auf. China ist und bleibt für die meisten Branchen der Wachstumsmarkt der Zukunft. 

Noch ist VW der erfolgreichste Autohersteller Chinas. Wird das so bleiben?

Das hängt von der Innovationskraft der Autohersteller generell ab und im Besonderen von der Frage, wie schnell es ihnen gelingen wird, sich auf die chinesischen Kundenwünsche einzustellen. Das ist je generell ein wunder Punkt, bei dem deutsche Unternehmen noch nachlegen müssen. Klar ist: die chinesischen Wettbewerber holen auf. Schneller als wir alle geglaubt haben und noch glauben. Gleichzeitig gilt, die deutschen Unternehmen scheuen keinen Wettbewerb, solange er fair ist und alle Marktteilnehmer sich an die gleichen Regeln halten müssen.

Leidet der Ruf der deutschen Wirtschaft in China angesichts der politischen Spannungen? 

Der Ruf der deutschen Wirtschaft ist ausgezeichnet. Wir haben hier in den vergangenen 30 Jahren über eine Million Arbeitsplätze geschaffen, haben zum Wachstum der chinesischen Wirtschaft beigetragen. Vor allem der deutsche Mittelstand ist hoch angesehen. Die Hidden Champions werden mit dem Label “Made in Germany” eng verbunden. Auch im Chinageschäft sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Wir haben über 5.000 deutsche Unternehmen hier in China. Die allermeisten sind kleine und mittelständische Unternehmen. Made in Germany hat also weiterhin einen guten Ruf, obwohl der Ruf des Westens insgesamt vor allem in den vergangenen zwei Jahren doch schon an Kraft verloren hat.

Die Wahrnehmung Chinas in Deutschland und im Westen insgesamt hat sich hingegen verändert. Man ist kritischer, skeptischer geworden gegenüber China.

Das ist so. Dazu trägt China sicher auch selbst bei, aber vor allem fehlt uns der Austausch in den vergangenen Jahren. Die Reisen von Entscheidern, von Politikern, hohen Beamten und CEOs auf beiden Seiten fehlen. Aber auch die Reisen auf der Arbeitsebene. Das führt dazu, dass das gegenseitige Verständnis abnimmt. Das ist ein ernstes Problem. Das Bild voneinander wird zunehmend von Befürchtungen, ja sogar Ängsten, geprägt, die sich verstärken, weil man noch so wenig übereinander weiß. 

Welche Rolle spielt dabei die Innenpolitik Chinas, die die Zügel anzieht?

Diese Politik macht es nicht einfacher und führt neben dem geringeren Austausch und dem geringer werdenden Wissen übereinander auch noch dazu, dass der Spagat zwischen wirtschaftlichem Erfolg und politischen Risiken für ausländische Unternehmen vor Ort immer größer wird. Der Instrumentenkasten der chinesischen Regierung, um sich handelspolitisch wehren zu können, wächst mit jedem Monat. Und der Konflikt mit den USA ist noch längst nicht vom Tisch, genauso wenig wie die Reibungen mit der Europäischen Union. 

Das klingt nicht sehr zuversichtlich. Was können deutsche Unternehmen in dieser Lage machen?

Für die Unternehmen ist das schwierig. Sie können nur wenig ändern. Aber sie müssen ein umfassenderes Risikomanagement betreiben, weil die politischen Konflikte immer stärker ins Geschäft hineinstrahlen. Klar ist: China lässt sich immer weniger gefallen und die USA wollen ihre Macht nicht teilen. Europa und Deutschland werden zunehmend ihre eigenen Interessen definieren und verteidigen. Die Frage, die sich die Unternehmen nun stellen müssen: Was könnte das für mein Geschäft bedeuten? Zumal China wahrscheinlich noch sehr lange der wichtigste Wachstumsmarkt und der wichtigste Handelspartner der Deutschen bleiben wird. Die Unternehmen arbeiten an neuen China-Strategien für die nächsten fünf bis zehn Jahre.   

In Deutschland beginnen gerade die Koalitionsverhandlungen. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Aus Sicht der Wirtschaft: Dass sie erst einmal einen Dialog mit der deutschen Wirtschaft über China führt, um sich über die jeweiligen Entwicklungsziele auszutauschen. Wichtig ist auch, festzulegen, welche Kooperationen mit China wir in Zukunft weiter betreiben wollen und welche vielleicht nicht und was unsere Ziele dabei sind. Gleichzeitig braucht es mehr Dialog und klare Spielregeln im Umgang mit China. Dazu gehört auch, rote Linien zu setzen. Aber die roten Linien dürfen kein politischer Selbstzweck sein oder nur dazu dienen, innenpolitische Stimmungen zu bedienen. Sie sollten vor allem ein Ziel haben, sich mit einer Frage beschäftigen: Wie können beide Seiten nachhaltiger zusammenarbeiten?

Das ganze Interview können Sie hier als Video sehen.

  • China Strategie 2022
  • Coronavirus
  • Geopolitik
  • Gesellschaft
  • Handel
  • Jens Hildebrandt

Analyse

Pandora Papers: Chinesen unterhalten tausende Briefkastenfirmen

Im bisher größten Datenleak zu Briefkastenfirmen in Steueroasen tauchen knapp 2.000 Chinesen auf, wie die Daten des Journalistenverbands “International Consortium of Investigative Journalists” (ICIJ) zeigen. Die Volksrepublik gehört mit 1.892 Eigentümern von Briefkastenfirmen zu den Ländern mit den meisten Nutznießern. Auch eine aktuelle Politikerin und ein ehemaliger Politiker der Volksrepublik unterhalten demnach geheime Firmen in Offshore-Finanzzentren.

Insgesamt tauchen 336 Namen von aktuellen und ehemaligen Politikern in dem Datenleak auf. Das als “Pandora Papers” bezeichnete Paket umfasst 11,9 Millionen Dokumente von 14 Firmen aus dem Rechts- und Finanzbereich, die Briefkastenfirmen gründen und verkaufen. Während es nicht illegal ist, eine solche Firma zu unterhalten, dienen sie häufig kriminellen Zwecken, wie der Steuervermeidung, Geldwäsche oder der Umgehung von Finanzgesetzen des Heimatlandes. Über Briefkastenfirmen lassen sich auch Vermögenswerte im Ausland verbergen.

Zugang zu Investoren aus dem Ausland

Die strikten Finanz- und Devisengesetze Chinas sind eine maßgebliche Ursache für die hohe Anzahl von Briefkastenfirmen von Chinesen im Ausland. Die Firmen dienen dazu, Einschränkungen im Handel, bei Kapitalflüssen ins Ausland und ausländischen Investitionen in chinesische Firmen zu umgehen, wie das Magazin The Wire China berichtet, das als Kooperationspartner des ICIJ an der Auswertung der Daten beteiligt ist.

Ein bekanntes Beispiel für die Nutzung von Briefkastenfirmen sind chinesische Internetunternehmen. Es ist ausländischen Unternehmen untersagt, in chinesische Internet- und Tech-Unternehmen zu investieren (China.Table berichtete). Viele namhafte Internetfirmen Chinas umgingen dieses Verbot, indem sie Briefkastenfirmen in Offshore-Finanzzentren gründeten. Diese warben Investitionen von ausländischen Geldgebern an und leiteten sie an die chinesischen Besitzer hinter den Briefkastenfirmen weiter. Solche Konstrukte – im Englischen “Variable Interest Entity” (VIE) genannt – ermöglichten es beispielsweise den Risikokapitalgebern des Silicon Valley, sich frühzeitig an chinesischen Internetgiganten wie Alibaba, Baidu, Tencent und Bytedance zu beteiligen.

Briefkastenfirmen in Offshore-Finanzzentren dienen chinesischen Unternehmen auch dazu, im Ausland an die Börse zu gehen, ohne chinesische Gesetze zu verletzen, die solche Börsengänge einschränken. Alibaba hat ein solches Konstrukt für den Börsengang in New York im September 2014 genutzt.

Lange Zeit hat die Regierung in Peking dieses Vorgehen stillschweigend akzeptiert. Kürzlich wurde jedoch bekannt, dass die Behörden die Regeln ändern wollen. Chinesische Firmen müssten sich in Zukunft die behördliche Genehmigung einholen, um mit VIE-Konstruktionen im Ausland an die Börse zu gehen, obwohl die VIEs nicht in China registriert sind.

Übernahme ausländischer Unternehmen

Die Pandora Papers zeigen, dass Alibabas Führungskräfte zahlreiche Briefkastenfirmen in Offshore-Zentren installiert haben, um Übernahmen anderer Firmen durchzuführen, wie The Wire weiter berichtet. Ein Berater des Gründers von Meituan soll mit Meituan-Aktien im Wert von 56 Millionen US-Dollar bezahlt worden sein, die in einem Trust in einem Offshore-Finanzzentrum verwahrt werden – weit weg vom Zugriff durch Peking.

Auch Staatsfirmen wie Sinopec und der Mischkonzern CITIC haben zahlreiche Briefkastenfirmen in Offshore-Finanzzentren wie den Cayman Islands, Bermuda oder Zypern gegründet. Die Unternehmen leihen sich über diesen Umweg US-Dollar und investieren im Ausland beispielsweise in Rohstoffvorkommen und Energieprojekte.

Bei Firmenübernahmen im westlichen Ausland mithilfe von Briefkastenfirmen besteht eine besondere Gefahr: Indem der chinesische Eigentümer der Firma verschleiert wird, könnten Sicherheitsprüfungen der US- und EU-Behörden umgangen werden. So könnten ausländische Produzenten sensibler Waren wie Dual-Use-Güter heimlich von Chinesen aufgekauft werden, berichtet The Wire China.

Umgehung von Devisen-Regeln

Privatpersonen nutzen Briefkastenfirmen im Ausland, um die Devisengesetze Chinas zu umgehen. Seit 2017 müssen Bargeldüberweisungen von mehr als 50.000 Yuan (umgerechnet 6.600 Euro) an die Zentralbank gemeldet werden. Damit wurden die Kapitalkontrollen weiter ausgeweitet. Vorher waren erst Überweisungen in Höhe von 200.000 Yuan meldepflichtig.

Auch der Kauf von Vermögenswerten im Ausland mit Devisen ist stark eingeschränkt. Die Intransparenz von Offshore-Finanzzentren kommt vermögenden Chinesen zugute. In den Pandora Papers taucht der Name der Delegierten des Nationalen Volkskongresses Qiya Feng auf. Sie besitzt eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln, mit der sie Geld in US-Aktien investiert hat.

Die Briefkästen der “Prinzlinge”

Doch es scheinen nicht nur strenge Regulierungen und Gesetze ursächlich für die hohe Anzahl chinesischer Namen in den Pandora Papers zu sein. In früheren Datenleaks zu Offshore-Finanzzentren wie den “Panama Papers” oder “Offshore Leaks” tauchten zahlreiche Mitglieder aus ranghohen Politik-Familien Chinas auf – vor allem die sogenannten Prinzlinge, Söhne und Töchter ranghoher Politiker.

Informationen aus den “Offshore Leaks” und den “Panama Papers” zeigten, dass:

  • der Schwager von Xi Jinping Mitbesitzer einer Briefkastenfirma ist,
  • der Sohn und der Schwiegersohn von Wen Jiabao (Premierminister von 2003 bis 2013) Geschäftsführer und Anteilseigner von Briefkastenfirmen waren
  • die Tochter des ehemaligen Premiers Li Peng und ein Schwiegersohn von Deng Xiaoping mit Offshore-Geschäften in Verbindung stehen.

Diese “Prinzlinge” sowie Angehörige der Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros und einige Mitglieder des Volkskongresses verbergen Teile ihres Vermögens laut Süddeutscher Zeitung mithilfe von Briefkastenfirmen mutmaßlich in Steueroasen. Mehr als 21.000 solcher Firmen konnten damals Chinesen und Chinesinnen zugeordnet werden.

Wie viele der Briefkastenfirmen aus dem neusten Leak Angehörigen der chinesischen Politik-Elite gehören, ist derzeit noch nicht bekannt. In der Volksrepublik wurden die Berichte über die “Panama Papers” und die “Offshore Leaks” streng zensiert, obwohl Xi Jinping schon damals den Kampf gegen die Korruption vorangetrieben hatte.

  • Finanzen
  • Sinopec
  • Xi Jinping

Die EU und die Gretchenfrage um Taiwan

Ob in der EU-Strategie für den Indo-Pazifik oder durch den diplomatischen Zwist zwischen Litauen und Peking: Taiwan ist in den vergangenen Monaten vermehrt in den Schlagzeilen und als Tagesordnungspunkt auf den Agenden in Brüssel aufgetaucht. Das Europaparlament will in diesem Monat den Druck auf die EU-Kommission erhöhen, konkrete Schritte einzuleiten: Erstmals stimmt das EU-Parlament über einen alleinstehenden Bericht zu den Beziehungen mit Taipeh ab. Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Mehrheit im Plenum erhalten – und in Peking nicht besonders gut ankommen.

Denn das Europaparlament fordert in dem Papier eine signifikante Aufwertung der Beziehungen zu Taiwan: Neben der Forderung nach engeren Partnerschaften in den Bereichen Elektrofahrzeuge und Halbleitertechnologie sowie verstärkten Forschungskooperationen im Rahmen des EU-Programms Horizon Europe beinhaltet der Report zwei Punkte, die China sauer aufstoßen werden: Die EU-Abgeordneten empfehlen der Europäischen Kommission, eine Folgenabschätzung für ein bilaterales Investitionsabkommen mit Taiwan vorzubereiten. Außerdem wird vorgeschlagen, den Namen des Europäischen Wirtschafts- und Handelsbüros (European Economic and Trade Office, kurz EETO) in Taipeh zu “Büro der Europäischen Union in Taiwan” (“European Union Office in Taiwan”) zu ändern.

Mit wachsender Sorge werde auf die Taiwanstraße und das Südchinesische Meer geblickt, sagte der Europa-SPD-Abgeordnete Dietmar Köster am Montag bei einem Pressegespräch. Eine militärische Konfrontation dort müsse dringend verhindert werden, so der Außenpolitiker. Der CDU-Politiker Michael Gahler wurde deutlicher: Chinas Politik in der Region wolle nicht den Status-quo erhalten, sondern sei revisionistisch. Gahler ist Vorsitzender der Taiwan-Freundschaftsgruppe des Europaparlaments. Er fordert: Chinas Verhalten müsse mit “dagegenhalten und sprechen” begegnet werden.

EU-Parlament und Taipeh werben für Investitionsabkommen

Der EU-Kommission sei der zunehmende Druck im Europaparlament und in der Öffentlichkeit durchaus nicht entgangen, sagt der Grünen-EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer gegenüber China.Table. Auch im Handelsausschuss habe man der Brüsseler Behörde deutliches Missfallen darüber ausgedrückt, dass Vorbereitungen für ein bilaterales Investitionsabkommen mit dem Inselstaat noch nicht auf die Agenda gesetzt worden seien.

Das Europaparlament vertritt oft radikalere Positionen als die EU-Kommission und der EU-Rat, in dem die Mitgliedsstaaten vertreten sind. In der Außen- und Sicherheitspolitik kommt dem Parlament eine eher beratende Rolle zu. Wird der Bericht zu Taiwan vom EU-Parlament aber angenommen, ist die Kommission verpflichtet, ihn innerhalb von drei Monaten anzunehmen oder abzulehnen. Im letzteren Fall müsste die EU-Kommission die Gründe dafür erläutern – was angesichts der zunehmenden Erwähnungen Taiwans, auch in der offiziellen Kommunikation der Brüsseler Behörde, dann nur schwer zu begründen wäre.

Die Vertretung Taipehs in Brüssel wirbt für ein Abkommen: Dieses können europäischen Anlegern Sicherheit und mehr Schutz bei Investitionen bieten, betonte Botschafter Ming-Yen Tsai gegenüber China.Table. Auch die Diversifizierung der europäischen Lieferketten würde damit vorangetrieben. In der Vertretung begrüße man das Engagement vor allem aus dem Europaparlament, so Tsai. “Wir glauben, dass es an der Zeit ist, die Vorbereitungen für die Aufnahme von Verhandlungen mit Taiwan zu beginnen, einschließlich der Vorstudie, Folgenabschätzung und öffentlicher Konsultation”, betonte Tsai.

Bevor die EU-Kommission eine Folgenabschätzung für ein bilaterales Abkommen oder die Umbenennung des EU-Büros in Taiwan angehen kann, muss sie erhebliche Unterstützung bei den Mitgliedsstaaten finden – und hier scheiden sich derzeit die Geister. Während sich der kleine EU-Staat Litauen auf einen offenen Schlagabtausch mit Peking eingelassen hat, reagieren andere Länder zurückhaltend und diskutieren nur verhalten über engere Verbindungen mit Taiwan.

Litauen nimmt Sonderposition ein

Hintergrund ist ein Namensstreit in Vilnius: Litauens Regierung hatte erlaubt, eine “Taiwanische Vertretung” in der Hauptstadt eröffnen zu lassen. Peking reagiert verärgert (China.Table berichtete), zog seinen Botschafter aus dem baltischen Land ab, verwies die litauische Botschafterin aus China und stellte zuletzt den Frachtverkehr über Eisenbahn nach Litauen ein.

Während die Abgeordneten des EU-Parlaments Litauens Position unterstützten, waren die Regierungen in den EU-Hauptstädten etwas anderer Meinung: Sie kritisierten zwar Chinas wirtschaftliche Erpressung von Litauen, deutliche Unterstützung für die Position des EU-Staats ließen sie aber nicht verlauten. Ähnliches ließ sich bereits beobachten beim Streit über den Besuch des Vorsitzenden des tschechischen Senats, Miloš Vystrčil, im taiwanischen Parlament. Peking drohte damals, dass Tschechien einen “hohen Preis” für den Besuch zahlen werde – doch von den übrigen EU-Mitgliedern war nur wenig Rückhalt für Prag zu hören.

Anfang September appellierte Sloweniens Ministerpräsident Janez Janša in einem Brief an andere EU-Staats- und Regierungschefs, Vilnius im Disput gegen China den Rücken zu stärken. Slowenien hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Das große Echo auf die schriftliche Aufforderung blieb aber auch hier aus. Litauen erhielt immerhin transatlantischen Zuspruch: Der Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, Jake Sullivan, sprach Litauens Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė Washingtons Unterstützung aus.

Diplomatische Zurückhaltung der Europäer gegenüber Taipeh gab es auch in Sachen Corona-Impfstoffe: Nur vier mittel- und osteuropäische EU-Staaten (CEEC) – Litauen, Polen, die Slowakei und Tschechien – schickten Impfstoffspenden auf die Insel. Als Reaktion darauf plant Taipeh, im Oktober eine 65-köpfige Delegation zu entsenden, um seine Investitionen in den CEEC zu fördern. Polen spendete rund 400.000 Dosen, bekräftigte aber umgehend sein Bekenntnis zur “One-China-Policy”.

“Policy” vs. “principle” – Teufel liegt im Detail

Wenn es um Taiwan geht, muss nicht nur bei Namensstreits um Handelsvertretungen genau aufgepasst werden. Denn Brüssel und Peking benutzen hier unterschiedliche Bezeichnungen und damit einhergehende Ansichten, was zuletzt auch nach einem Videocall zwischen dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und Chinas Außenminister Wang Yi deutlich wurde: Wang verkündete laut Staatsmedien, Borrell habe erklärt, die EU halte am “One-China-principle” fest. Dieses sieht Taiwan als von China untrennbare Provinz, die rechtmäßig zur Volkrepublik gehört und wiedervereinigt werden muss.

Die EU sprach wiederum in ihrer Erklärung von der weiteren Anwendung der “One-China-Policy”. Unter diesen sind formelle diplomatische Kontakte zu Taiwan nicht vorgesehen, als einzige Regierung Chinas wird die Zentralregierung in Peking anerkannt. Gegen den Aufbau von Handelsvertretungen oder bilateralen Handelsabkommen spricht jedoch nichts. Denn keines der Büros ist eine Botschaft, noch bedeutet die Eröffnung einer Vertretung die Anerkennung Taiwans als souveräner Staat.

Ein bilaterales Investitionsabkommen wäre im Übrigen kein Akt der Nächstenliebe der Europäer. Ganz im Gegenteil: Nicht zuletzt der weltweite Chip-Mangel hat der EU die Abhängigkeit von Taiwan deutlich gemacht. Der Aufbau einer Investitionspartnerschaft würde dafür wichtige Optionen eröffnen. Im vergangenen Jahr belief sich nach Angaben des Taipeh-Büros in Brüssel das Handelsvolumen zwischen den 27 EU-Staaten und Taiwan auf 51,9 Milliarden US-Dollar. Die EU importierte demnach im Jahr 2020 Waren im Wert von 22,9 Milliarden US-Dollar aus Taiwan. Die Europäische Union ist der größte Investor in Taiwan.

Chip-Problem wird politischer

Gerade die Produktion von Halbleitern wird immer mehr zu einem hochpolitischen Thema. China hatte am Wochenende eine Rekordzahl an Kampfjets in Taiwans Identifikationszone zur Luftverteidigung (ADIZ) entsandt (China.Table berichtete). Taipeh warnte nun einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge am Montag, dass Frieden in der Taiwanstraße entscheidend dafür sei, eine kontinuierliche Versorgung mit Chips sicherzustellen.

Taiwans Wirtschaftsministerin Wang Mei-hua wurde deutlich: Taiwan habe mehr als drei Jahrzehnte lang vor dem Hintergrund der Globalisierung dazu beigetragen, ein Ökosystem für die Chipherstellung zu fördern “Die Weltgemeinschaft sollte Taiwans Sicherheit ernster nehmen, damit Taiwan weiterhin allen einen stabilen Service bieten und allen ein sehr guter Partner sein kann”, mahnte die Ministerin.

Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) verfügt laut Bloomberg über einen Anteil von 53 Prozent am Markt für Auftragschips – was die Besorgnis nährt, dass jede Instabilität in der Meerenge vor dem Inselstaat die Versorgung unterbrechen könnte. Die hohe Abhängigkeit von TSMC und seinen lokalen Zulieferern hat die EU-Kommission und Regierungen in den USA, Japan und auch der Volksrepublik dazu veranlasst, ihre heimische Chipindustrie zu stärken. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte dazu in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union (SOTEU) ein eigenes Chips-Gesetz angekündigt, das unter anderem die Halbleiter-Forschung und die Produktionskapazitäten in der EU merklich erhöhen soll (China.Table berichtete).

Zusammenarbeit bei Lieferketten – kaum lautstarke Bekenntnisse

Der aktuelle Stand der Beziehungen zwischen der EU und Taiwan bietet also viel Gesprächsstoff: Der sogenannte “New European Chips Act” bietet Möglichkeiten der Zusammenarbeit – allerdings könnte sich dadurch auch eine neue Wettbewerbsdynamik entfalten. Auch die Indo-Pazifik-Strategie bietet einen guten Rahmen für die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen. Zu lautstarke Bekenntnisse der EU-Regierungen und der EU-Kommission zu Taiwan werden jedoch nicht zu erwarten sein.

Genau eine solche Zusammenarbeit in Sachen Halbleitern könnte laut Grünen-Politiker Bütikofer nun genutzt werden, um die Beziehungen zu Taiwan zu “re-framen”. Man könnte beispielsweise über Taiwans Beitrag zu resilienten Lieferketten sprechen, sagte Bütikofer gegenüber China.Table. So würde auch Peking signalisiert, dass nicht die Absicht einer Isolation bestehe, sondern neue Ansätze gesucht würden.

Das Europaparlament wird aller Voraussicht nach in der Sitzungswoche in der zweiten Oktober-Hälfte über den Taiwan-Bericht abstimmen. Eine Reaktion aus Peking wird dann wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen. Bereits die Abstimmung über das Papier im zuständigen Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten und jüngst auch die Veröffentlichung der EU-Indo-Pazifik-Strategie hatte scharfe Warnungen aus der Parteizentrale zur Folge: Die EU sei gemahnt, in “der Taiwan-Frage nicht mit Feuer zu spielen”, titelte die Staatszeitung Global Times in einem Meinungsstück vergangene Woche.

  • AFET
  • Chips
  • Diplomatie
  • EU
  • Geopolitik
  • Halbleiter
  • Litauen
  • Taiwan
  • Technologie
  • TSMC

News

Neue US-Handelsstrategie für China vorgestellt

US-Handelsministerin Katherine Tai hat am Montag beim Center for Strategic and International Studies, einem Washingtoner Think-Tank, die neue China-Handelsstrategie der Biden-Regierung vorgestellt. Demnach wird die US-Regierung die Strafzölle gegenüber der Volksrepublik nicht nur beibehalten, sondern könnte sie bei Bedarf noch ausweiten.

“Die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen der USA mit China haben tiefgreifende Folgen”, begann Tai ihren Vortrag bei CSIS. “In Bezug auf den Handel der USA mit China hat die Regierung von Biden-Harris in den letzten Monaten eine umfassende Überprüfung durchgeführt”, sagte Tai und hob drei Punkte hervor, die deutlich machen, dass die Handelsbarrieren zwischen beiden Ländern vorerst nicht so schnell abgebaut werden.

Tai betonte erstens: “Wir werden mit China die Leistungen des Phase-1-Handelsabkommens besprechen. China ist Verpflichtungen eingegangen, die bestimmten amerikanischen Industrien zugutekommen, einschließlich der Landwirtschaft, die wir durchsetzen müssen. Präsident Biden wird weiterhin unsere wirtschaftlichen Interessen fördern und Vertrauen in die amerikanische Industrie aufbauen.”

Zweitens: “Wir werden ein gezieltes Tarifausschlussverfahren einleiten. Wir werden dafür sorgen, dass die bestehende Struktur unseren wirtschaftlichen Interessen optimal dient. Das Potenzial für weitere Ausschlussprozesse werden wir uns nach Wunsch offen halten.”

Drittens: “Wir haben weiterhin ernsthafte Bedenken hinsichtlich der staatszentrierten und nicht marktorientierten Handelspraktiken Chinas, die in den Phase-1-Handelsabkommen nicht angesprochen wurden. Während wir an der Durchsetzung von Phase I arbeiten, werden wir diese umfassenderen politischen Bedenken gegenüber Peking zur Sprache bringen.”

Der Tenor von Tais Rede ist klar: Aus amerikanischer Sicht verstößt China gegen internationale Handelsregeln und fairen Wettbewerb. Zudem plane Peking keine “bedeutsamen Reformen”, die die Bedenken der USA und der internationalen Gemeinschaft ausräumen könnten. Und so kommt Tai zu dem Schluss: “Wir müssen direkt und ehrlich sein über die Herausforderungen, vor denen wir stehen, und über das große Risiko, uns diesen nicht zu stellen.”

“Chinas mangelnde Einhaltung globaler Handelsnormen hat zu lange den Wohlstand der Amerikaner und anderer Menschen auf der ganzen Welt untergraben”, sagte Tai. Zuletzt hatte das National Bureau of Economic Research allerdings kritisiert, dass die Hauptlast der steigenden Preise durch die Strafzölle von den US-Konsumenten getragen werden.

Ranghohe Beamte der Biden-Regierung sagten der Nachrichtenagentur Reuters, Tai werde ein virtuelles Treffen mit dem chinesischen Vizeministerpräsidenten Liu He durchführen, um das Handelsabkommen “bald” zu besprechen und gleichzeitig einen “gezielten” Prozess einzuleiten, um den Ausschluss bestimmter chinesischer Importe von US-Strafzöllen vorzubereiten. Und auch Tai versicherte am Montag, Ziel der Regierung sei es nicht, die Spannungen mit China weiter anzufachen. Vielmehr gehe es darum, zu einer “anhaltenden Koexistenz” zu gelangen, basierend auf Respekt und der Einhaltung von Normen. Derzeit ist unklar, was passiert, wenn Ende des Jahres die Frist des Phase-1-Deals ausläuft. niw

  • Handel
  • Katherine Tai
  • Liu He
  • USA

China baut Quarantäne-Zentren für Einreisende

Chinas Gesundheitsbehörden haben die Städte der Volksrepublik angewiesen, Quarantäne-Zentren für Einreisende aus dem Ausland zu errichten, wie die South China Morning Post berichtet. Demnach sollen die Stadtregierungen für Quarantänezwecke nicht mehr auf Hotels zurückgreifen, sondern gesonderte Quartiere einrichten. Dafür sei dem Bericht zufolge eine Quote von 20 Betten pro 10.000 Einwohnern der Städte vorgesehen.

Die zentralisierte Quarantäne von Einreisenden spiele eine wichtige Rolle, um die Ausbreitung der Corona-Pandemie zu verhindern, wird ein hochrangiger Gesundheitsbeamter zitiert. Vor allem große Küstenstädte, die viele Ankünfte verzeichnen, sollten große Anlagen errichten, so der Bericht.

In Guangzhou am Perlfluss wird in Kürze ein großes Quarantäne-Zentrum mit mehr als 5.000 Betten eröffnet, so die SCMP. Das Zentrum werde “kontaktlosen Service” anbieten, Drohnen und Roboter würden Essen liefern und die Zimmer desinfizieren. Eine Erweiterung sei schon geplant. Will die 18-Millionen-Einwohner-Stadt die Quote von 20 Betten pro 10.000 Einwohner erzielen, muss sie über 37.000 Räume bereitstellen. In Shenzhen soll demnach ein ähnliches Zentrum errichtet werden. Die Volksrepublik fährt weiterhin eine Null-Toleranz-Strategie gegen die Corona-Pandemie. nib

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Guangzhou

Bedingungen für Öffnung der Grenzen

Chinas führender Arzt für Atemwegserkrankungen hat sich für eine Öffnung der chinesischen Grenzen in der Corona-Pandemie ausgesprochen, allerdings nur, wenn klare Bedingungen erfüllt seien. Auf Dauer seien die strikten Maßnahmen der Regierung nicht nachhaltig, da sie Chinas Bevölkerung unter großen Stress setzen würden, sagte Zhong Nanshan im Interview mit der Zeitung “Southern People Weekly”.

Zhong nannte in dem Gespräch zwei Punkte: Entscheidend für etwaige Grenzöffnungen sei zum einen das Krankheitsgeschehen in anderen Ländern, zum anderen die Impfquote in China.

Bevor China seine Grenzen wieder öffne, dürften laut Zhong in anderen Ländern nur noch wenige Corona-Fälle auftreten. Als zweite Bedingung müssten mindestens 80 bis 85 Prozent der 1,4 Milliarden Chinesen gegen Corona geimpft seien. Diese Marke könnte nach Zhongs Einschätzung bis Jahresende erreicht werden. Solange die Impfquote nicht 80 Prozent und mehr betrage, sei Vorbeugung weiterhin sehr wichtig.

Wie die Zeitung “South China Morning Post” unter Berufung auf die Covid-19-Taskforce des Staatsrats berichtet, hatten Mitte September rund 1,1 Milliarden Chinesen ihre erste Corona-Impfung erhalten, das entspräche zirka 78 Prozent der Bevölkerung.

China verfolgt bislang eine harte Zero-Covid-Strategie (China.Table berichtete). Mit Massentest, Grenzschließungen und scharfen Quarantäneregeln hat die Regierung eine Ausbreitung der Krankheit weitestgehend verhindert. “China kann aber nicht so weitermachen”, sagt Zhong Nanshan. Covid-19 sei nun mal eine globale Krankheit, sodass China mit dem Rest der Welt zusammenarbeiten müsse, um die Krankheit zu besiegen. Derzeit liege die weltweite Todesrate bei ein bis zwei Prozent der Infizierten – das sei zehn Mal höher als bei einer Grippe. Zhong ist überzeugt: “Wenn die Todesrate niedriger werde, könnte Covid-19 ein Teil der Normalität werden.” rad  

  • Corona-Impfstoffe
  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Zhong Nanshan

Stromverknappung: Handelskammern fordern mehr Transparenz

Die EU-Handelskammer in China hat angesichts der anhaltenden Stromausfälle vor allem im Osten des Landes mehr Transparenz bei künftigen Elektrizitätsverknappungen gefordert. Sie empfahl den Behörden, so bald wie möglich Zeitpläne und Details zu den Energiesparmaßnahmen der kommenden Monate zu veröffentlichen, damit sich Unternehmen darauf einstellen können. Firmen und Produktionsanlagen, die bereits energieeffizient seien, sollten auf Basis eines wissenschaftlichen Ansatzes von künftigen Stromverknappungen ausgenommen werden, schlägt die Kammer vor. Vonseiten der Regierung müsse das Tempo der Energiewende besser gesteuert werden: Die EU-Kammer empfehle nachdrücklich, ein Gleichgewicht zwischen Energiesicherheit und Chinas langfristigen Klimazielen durch “realistische Ansätze und nachhaltige Strategien in koordinierter Form” zu erreichen.

In den vergangenen Wochen hatten Stromengpässe in mehreren ostchinesischen Provinzen zu stillstehenden Produktionsbändern und Stromausfällen in privaten Haushalten geführt (China.Table berichtete) – oft ohne Vorwarnung, wie die EU-Kammer kritisiert. “Den jüngsten willkürlichen Maßnahmen lokaler Behörden mangelte es an Transparenz und Kohärenz und es fehlte zudem an Rechtsgrundlagen.” Die Maßnahmen gefährdeten die Geschäftstätigkeit von Unternehmen in China “ernsthaft, schaffen kurzfristige Sicherheitsrisiken – insbesondere in der Chemie- und Gesundheitsindustrie – und untergraben mittel- bis langfristig das Geschäftsvertrauen”, kritisierte die Kammer.

Auch die Deutsche Auslandshandelskammer (AHK) hatte sich nach eigenen Angaben an das chinesische Handelsministerium (MOFCOM) sowie an die Behörden auf Provinz- und Stadtebene gewandt, um die “kritische Situation und die Folgen für die Fertigungsaktivitäten deutscher Unternehmen” hervorzuheben. Dabei sei eine transparente Informationspolitik und mehr Vorlaufzeit gefordert worden, um eine “ordnungsgemäße Produktionsplanung” zu ermöglichen.

Gründe dafür, dass der Strom abgeschaltet wird, gibt es mehrere. Nach wie vor kommt er in der Volksrepublik zu zwei Dritteln aus Kohlekraftwerken. Kohle ist zuletzt aber teuer geworden. Einige Kraftwerksbetreiber können nur noch mit großen Verlusten Strom produzieren und schalten deswegen die Anlagen lieber ab. Außerdem will die Zentralregierung in Peking den Stromverbrauch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um drei Prozent reduzieren, um seine Klimaziele zu erreichen und hat entsprechende Vorgaben an die Provinzen ausgegeben.

Die weltweiten Lieferkettenprobleme dürften sich durch die Stromabschaltungen in China noch verschärfen. Einige ausländische Analysten rechnen inzwischen damit, dass Chinas Wirtschaft wegen der Stromabschaltungen dieses Jahr weniger stark wachsen wird als gedacht. Das japanische Finanzunternehmen Nomura senkte zuletzt seine Wachstumsprognose für das letzte Quartal dieses Jahres in China von 4,4 auf drei Prozent. Wie lange die Stromkürzungen noch anhalten werden, ist nicht klar. ari

  • Energie
  • Handel
  • Kohle

Evergrande-Aktien vom Handel ausgesetzt

Die Aktien des Immobilienentwicklers Evergrande sind am Montag an der Hongkonger Börse vom Handel ausgesetzt worden. Grund dafür ist laut der Staatszeitung Global Times, dass für das Unternehmen ein neuer Schuldentest anstehe, bei dem Anteile verkauft werden sollen. Demnach will Evergrande 51 Prozent seiner Immobilienmanagement-Sparte Evergrande Property Services Group für rund fünf Milliarden US-Dollar an Hopson Development veräußern.

Hopson Development Holdings Ltd., ein Konkurrent des chinesischen Immobilienentwicklers, kündigte am Montag an, dass seine Aktien ebenfalls vom Börsenhandel ausgesetzt würden, bis eine Mitteilung über eine Transaktion mit einem in Hongkong notierten Unternehmen erfolgte.

Evergrande hat Schulden in Höhe von mehr als 300 Milliarden US-Dollar angehäuft (China.Table berichtete) und ist zuletzt bei Zinszahlungen an seine Gläubigerbanken in Verzug geraten. In den kommenden Monaten stehen weitere Zinszahlungen in Millionenhöhe an. Zuletzt hatte man die Frist für Zinszahlungen in Millionenhöhe auf Dollar-Anleihen verpasst.

Vergangene Woche kündigte Evergrande an, Anteile, die das Unternehmen an der chinesischen Shengjing Bank hält, an eine staatliche Vermögensgesellschaft zu verkaufen. Der Verkauf kam zustande, nachdem Peking staatliche Unternehmen dazu aufgefordert hatte, Vermögenswerte von dem Immobilienentwickler zu übernehmen.

Bislang ist unklar, ob die chinesische Regierung dem angeschlagenen Unternehmen unter die Arme greifen wird. Mittlerweile sind immer mehr Analysten der Ansicht, dass Peking keinen unkontrollierten Kollaps zulassen werde, da dies ein falsches Signal an Zulieferer, Kleinanleger und Mitarbeitern von Evergrande senden würde, denen das Unternehmen Geld schuldet. niw

  • Evergrande
  • Finanzen
  • Schulden

Standpunkt

Deutsche Unternehmen befürworten “robustere” Maßnahmen gegenüber China

Von Jürgen Matthes
Ökonom Jürgen Matthes vom IW Köln über Konkurrenzdruck aus China
Ökonom Jürgen Matthes vom IW Köln

Europas Unternehmen sehen sich einem zunehmenden Konkurrenzdruck aus China ausgesetzt. Schon ein Blick auf die Entwicklung der Anteile am Exportmarkt seit der Jahrtausendwende illustriert Chinas enormen Exporterfolg: Es hat seinen Anteil an den Weltexporten von Waren und Dienstleistungen von rund drei Prozent im Jahr 2000 auf fast elf Prozent im Jahr 2019 immens erhöht, vor allem in der ersten Dekade. Parallel dazu gingen schon in den 2000er-Jahren die Weltexportanteile anderer großer Industriestaaten deutlich zurück.

Empirische Studien, die sich überwiegend auf die Zeit vor 2010 beziehen, deuten darauf hin, dass sich in dieser Zeit chinesische und deutsche Exporte überwiegend komplementär und nicht substitutiv zueinander verhielten, sich die Konkurrenzintensität durch China aus deutscher Sicht also in engen Grenzen hielt. Mit Blick auf die Zukunft stellt sich aber die Frage, ob China nicht immer stärker in diejenigen Branchen vordringt, in denen die deutsche Wirtschaft ihre Stärken hat. Die Strategie Made in China 2025 setzt sich dies zumindest zum Ziel. In diesem Fall könnten in der laufenden Dekade auch die Weltmarktanteile Deutschlands deutlich stärker als bislang unter Druck geraten.

Ein Blick auf die Entwicklung der Marktanteile Chinas und Deutschlands an den EU-Importen zwischen 2000 und 2019 belegt in der Tat, dass China mit seinen Exporten immer mehr in diejenigen Branchen vordringt, in denen die deutsche Wirtschaft ihre Stärken hat. Dabei zeigt sich, dass Chinas Anteile auch hier sehr deutlich stiegen, Deutschlands Anteile waren dagegen seit 2005 rückläufig. Bei anspruchsvollen industriellen Produktgruppen, in denen Deutschland stärker spezialisiert ist, ist der Gegensatz noch ausgeprägter als im Warenhandel insgesamt. Zudem haben sich die chinesischen Exporte sehr deutlich in Richtung der anspruchsvollen Industriewaren verschoben.

Konkurrenzdruck wird immer relevanter

Vor diesem Hintergrund wurden deutsche Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen im Spätherbst 2020 im Rahmen des IW-Zukunftspanels befragt, wie stark sie die Konkurrenz durch China bereits spüren, welche Ursachen sie dahinter vermuten und wie sie einer robusteren Handelspolitik der EU gegenüber China gegenüberstehen. Die Ergebnisse sprechen eine recht deutliche Sprache.

So wird die Relevanz des Konkurrenzdrucks durch China in den nächsten fünf Jahren von deutschen Industrie-Unternehmen sogar deutlich höher eingeschätzt als die Relevanz des Protektionismus. Ein knappes Drittel der Firmen misst der Konkurrenz durch chinesische Unternehmen einen eher hoher oder sehr hohen Stellwert bei. Bei Firmen, die nach China exportieren, beträgt dieser Anteil sogar über 42 Prozent.

Zugleich werden chinesische Konkurrenten zwar als leistungsfähig und innovativ eingeschätzt. Doch die Zustimmung zur Relevanz von Wettbewerbsverzerrungen ist noch deutlich größer. So stimmten der Frage, ob Subventionen der chinesischen Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen, rund 71 Prozent der deutschen Firmen zu, die einen sehr hohen Konkurrenzdruck aus China spüren. Nur gut 42 Prozent dieser Unternehmen sehen ihre chinesische Konkurrenz als leistungsfähig und innovativ an.

Wettbewerbsverzerrung wird deutlich wahrgenommen

Die befragten Unternehmen messen einer robusteren Handelspolitik gegenüber chinesischen Wettbewerbsverzerrungen in den kommenden Jahren zudem einen hohen Stellenwert bei. Zum Beispiel halten über 60 Prozent der befragten Firmen mit einem hohen Exportanteil ein robusteres Vorgehen gegenüber China für sehr bzw. für eher wichtig. Bemerkenswert ist, dass die Zustimmungsraten auch bei Firmen mit Export nach oder Produktion in China ähnlich hoch oder noch etwas höher sind, obwohl diese Unternehmen vermutlich Gegenmaßnahmen Chinas fürchten müssen.

Unter Firmen, die einen sehr hohen Konkurrenzdruck durch chinesische Unternehmen verspüren, befürworten sogar mehr als zwei von drei Unternehmen mit Nachdruck eine robustere Politikausrichtung. Sie sind offenbar überzeugt, dass dies nötig ist, um den Wettbewerbsverzerrungen durch chinesische Staatssubventionen entgegenzuwirken, die von diesen Firmen wie aufgezeigt sehr deutlich wahrgenommen werden.

Das Antwortverhalten der deutschen Unternehmen kann damit als dringender Appell an die europäische und deutsche Wirtschaftspolitik interpretiert werden, Maßnahmen zu ergreifen, um faire Wettbewerbsbedingungen (“level playing field”) zu gewährleisten.

Dieser Beitrag gehört in den Kontext der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Am Donnerstag, 30.09.2021, diskutieren Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft und Dietmar Baetge, Professor an der TH Wildau, im Rahmen dieses Formats über das Thema “Chinas Konkurrenz für Europas Unternehmen: Fairer Wettbewerb oder unerlaubte Subventionierung?” China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.

  • Export
  • Geopolitik
  • Handel
  • Made in China 2025
  • Subventionen
  • Wettbewerb
  • Wirtschaftspolitik

Tools

Das chinesische Datensicherheitsgesetz – mehr Sicherheit oder mehr Herausforderung?

Von Jiawei Wang

Um die Einhaltung der neuen Vorschriften zum Umgang mit Daten in China und beim Datentransfer ins Ausland gewährleisten zu können, sollten sich die betroffenen Unternehmen rasch mit dem Datensicherheitsgesetz beschäftigen. Schließlich drohen bei Nichteinhaltung hohe Strafen für Unternehmen; deren Vertreter müssen unter Umständen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.

Historisch gesehen krönt das DSL eine Handlungsreihe des chinesischen Gesetzgebers in den letzten Jahren. Mit dem Cyber Security Law (CSL) wurden 2017 zum ersten Mal in der Geschichte der Volksrepublik die Weichen für die Anforderungen bei der Behandlung von Daten für Betreiber von kritischer Informationsinfrastruktur (KII) gestellt.  Seitdem spielt die nationale Internet-Informationsbehörde (“Cyberspace Administration of China”, kurz: “CAC”) eine zentrale Rolle bei der Konkretisierung von gesetzlichen Maßnahmen. Mit dem Verordnungsentwurf 2019 ist eine drastische Verschärfung und Ausweitung der Verpflichtung zur Sicherheitsbewertung zu verzeichnen.

Upgrade der Netzwerk- und Informationssicherheit

Das neue DSL der chinesischen Gesetzgeber stellt ein systematisches “Upgrade” im Bereich Netzwerk- und Informationssicherheit sowie der Sicherheit von persönlichen Daten dar. Bemerkenswert ist vor allem der geographische Anwendungsbereich. So schreibt § 2 des neuen DSL vor, dass das Gesetz nicht nur für Datenverarbeitungstätigkeiten innerhalb Chinas, sondern auch für Datenverarbeitungstätigkeiten außerhalb Chinas gilt, wenn die nationale Sicherheit oder das öffentliche Interesse Chinas gefährdet sind.

Die starke Verlinkung mit dem CSL ist beim neuen DSL nicht zu übersehen. Demzufolge gelten weiterhin die Bestimmung der CSL für das Sicherheitsmanagement beim Export von Daten, die von den Betreibern kritischer Informationsinfrastrukturen innerhalb des chinesischen Territoriums gesammelt oder produziert werden. Als Neuerung ist ein einheitliches Verfahren in Bezug auf die Sicherheitsüberprüfung, das sogenannte Security Assessment, in § 24 DSL geschaffen worden. Allerdings sind Anwendungsbereich und verfahrenstechnische Details derzeit noch unklar. Ferner gilt der Zusammenhang zwischen der Datensicherheitsprüfung und der Cybersicherheitsprüfung auch noch zu klären.

Zu beachten sind die – durchaus drastischen – Strafen bei festgestellten Verstößen. Zu den rechtlichen Folgen gehören zivilrechtliche Haftungen, Verwaltungsstrafen (z.B. Geldbußen und Entzug der Geschäftslizenz) sowie strafrechtliche Haftungen.

Parallel zum DSL gilt ein weiteres neues Gesetz als zentrales Element im Bereich der Datensicherheit: Das Gesetz zum Schutz persönlicher Daten, das am 1. November 2021 in Kraft treten wird. Datenverarbeiter von persönlichen Daten müssen unterschiedlichen Compliance-Verpflichtungen nachkommen. Ähnlich wie das DSL ist das Gesetz zum Schutz persönlicher Daten auch extraterritorial anwendbar. Dieses Regelwerk ist in vielfacher Hinsicht mit der General Data Protection Regulation GDPR der Europäischen Union vergleichbar; allerdings deutlich strenger in Bezug auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit.

Automobilbranche im Fokus

Bemerkenswert ist auch die Gesetzgebung in einzelnen Industriebranchen: Die vorläufigen Regelungen für das Management der Datensicherheit in der Automobilindustrie werden am 1. Oktober 2021 in Kraft treten. Diese Regelungen betreffen sogenannte Automobil-Datenverarbeiter, also Automobilhersteller, Teile- und Softwarelieferanten, Händler, Reparaturbetriebe sowie Fahrdienstleister. Die Automobil-Datenverarbeiter müssen sich an die Bestimmungen dieser Regelungen halten, wenn sie persönliche Daten und wichtige Daten verarbeiten, die mit dem Design, der Herstellung, dem Verkauf, der Nutzung, dem Betrieb oder der Wartung von Fahrzeugen zusammenhängen. Automobil-Datenverarbeiter müssen den zuständigen Behörden jährlich über das “Management der Datensicherheit” berichten.

Es bleibt abzuwarten, wie die neuen Gesetze und Regelungen in der Praxis umgesetzt werden. Es ist jedoch abzusehen, dass zahlreiche Ergänzungen im Bereich des Datenschutzes eingeführt werden. Dieser Trend lässt sich bereits im Bereich der Cybersicherheit beobachten. Nach der Verabschiedung des Cybersicherheitsgesetzes wurden zahlreiche Regelungen und nationale Standards erlassen. Die zuständige Behörde CAC setzt das Gesetz aktiv durch.

Ein typisches Beispiel war die Einleitung der Cybersicherheitsprüfung beim chinesischen Fahrdienstvermittler Didi Anfang Juli 2021 (China.Table berichtete). Kurz nach dessen Börsengang in New York veröffentlichte die CAC einen Entwurf zur Überarbeitung der Regelung zur Cybersicherheitsprüfung. Demnach unterliegt nun auch ein ausländischer Börsengang der Cybersicherheitsprüfung, wenn das Unternehmen Daten von mehr als einer Million Nutzern speichert. Ausländische Börsengänge chinesischer Unternehmen könnten somit in Zukunft sicherlich erschwert werden.

Ausblick und Fazit

Die Verschärfungen der Datenschutzgesetzgebung in China wird für Unternehmen mit China-Bezug eine Herausforderung für ihre Compliance-Regelungen darstellen. Aufgrund höherer gesetzlicher Anforderungen sind börsennotierte Unternehmen in China – einschließlich deren ausländischer Tochtergesellschaften – stark betroffen. Um Compliance-Risiken zu reduzieren, müssen deutsche Unternehmen, die mit Tochtergesellschaften in China vertreten sind, ebenfalls umfassend vorbereitet sein. Im Falle eines Verstoßes drohen nicht nur Strafen wie Geldbuße, sondern auch Beeinträchtigungen der Geschäftstätigkeiten. Insbesondere ist darauf zu achten, ob das Unternehmen oder dessen Geschäftspartner als “Betreiber kritischer Informationsinfrastrukturen” eingestuft wird und ob das Unternehmen “wichtige Daten” verarbeitet. Interne betriebliche Regeln sollten entsprechend zügig den neuen Bestimmungen zum Datenschutz angepasst werden.

Quo vadis: Mit DSL ist in China der gesetzliche Anker im Bereich Datenschutz gesetzt worden. Sicher werden in den kommenden Jahren weitere Konkretisierung der Durchführungsmaßnahmen folgen. Sicher ist auch das Ziel des Gesetzgebers: maximale Sicherheit für Daten mit China-Bezug. Nicht sicher ist hingegen, wie weit die Verschärfungen noch gehen werden. Wirtschaft und Unternehmen stehen diesbezüglich sicherlich noch vor weiteren Herausforderungen bei ihren Aktivitäten in China.

Jiawei Wang LL.M. ist Legal Counsel bei Rödl & Partner in Stuttgart und dort für den Bereich China Desk verantwortlich. Er hat Rechtswissenschaften in Shanghai und Heidelberg studiert und ist in der Volksrepublik China als Lü Shi (Anwalt chin. Rechts) zugelassen. Wang vertritt unter anderem deutsche Industrieunternehmen bei Vertragsverhandlungen und bei Rechtsstreitigkeiten mit chinesischen Geschäftspartnern. Ferner ist er darauf spezialisiert, Unternehmen und Geschäftsführer umfassend bei Fragen zum chinesischen Arbeitsrecht sowie in den Bereichen Company Compliance und White-Collar Crime zu beraten.

  • Cybersicherheit
  • Daten
  • Internet
  • Technologie

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • CEO-Talk Hildebrandt
    • Brüssel sucht seinen Ansatz für die Taiwan-Frage
    • Zahlreiche chinesische Firmen in den Pandora Papers
    • Neue US-Handelsstrategie
    • Feste Quarantäne-Zentren für Einreisende geplant
    • Rufe nach Öffnung der Grenze werden lauter
    • Außenhandelskammern besorgt wegen Stromknappheit
    • Evergrande-Aktie von Handel ausgesetzt
    • Standpunkt von Jürgen Matthes: Deutsche Unternehmen befürworten “robustere” Maßnahmen
    • Tools erklärt das chinesische Datensicherheitsgesetz
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die politischen und Handelsbeziehungen zwischen China und der EU sind seit Beginn der Corona-Pandemie in schwierige Fahrwasser geraten: Reisebeschränkungen erschweren den Austausch, gleichzeitig wächst der Wettbewerbs- und Innovationsdruck durch chinesische Konkurrenten. Jens Hildebrandt, Chef der AHK in Peking, schildert im CEO-Talk mit Frank Sieren die Herausforderungen, vor denen deutsche Unternehmen in China stehen.

    Er ruft dazu auf, von Pekings staatlicher Förderung und den mutigen Start-Up-Unternehmen der Volksrepublik zu lernen. Sein Motto: “Risiken eingehen und einfach mal was Neues wagen“. Deutschen Unternehmen rät er, sich flexibler und schneller auf chinesische Kundenwünsche einzustellen. In den Bereichen der Industrieautomatisierung und Dekarbonisierung gäbe es noch viel Wachstumspotenzial für Deutschlands “Hidden Champions”.

    Zu Beginn der Woche platzte die Bombe: Nach den “Panama Papers” und “China Cables” veröffentlichte der investigative Journalistenverband “International Consortium of Investigative Journalists” (ICIJ) nun die “Pandora Papers”: Im neusten Datenleak über Firmen in Steueroasen tauchen zahlreiche chinesische Namen auf, berichtet Nico Beckert. Die Unternehmen nutzen Briefkastenfirmen in Offshore-Zentren, um die strikten chinesischen Finanz- und Devisen-Regulierungen zu umgehen. Auch Chinas Prinzlinge nutzen gerne die Intransparenz von Steueroasen.

    In Brüssel steht derweil eine Gretchenfrage im Zentrum der Debatten: Wie hält es die EU mit Taiwan? Die Debatte um das Verhältnis zu der Insel hat in den vergangenen Monaten an Relevanz gewonnen. Das EU-Parlament will noch diesen Monat den Druck auf die EU-Kommission erhöhen, konkrete Schritte für ein bilaterales Investitionsabkommen einzuleiten.

    Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Interview

    “Es geht zunehmend auch um das Management von Risiken”

    Jens Hildebrandt AHK Peking
    Jens Hildebrandt, Chef der AHK in Peking

    Jens Hildebrandt, 43, hat sein Berufsleben einer Frage gewidmet: Wie können deutsche Unternehmen in China erfolgreich sein? Das hat ihn schon während des Sinologie- und Politikstudiums in Leipzig, Peking und Hongkong interessiert. Seit 2007 ist er im Netzwerk der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) unterwegs. Hildebrandt war Leiter des Ostasien-Referats des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) in Berlin. Als Leiter des AHK-Büros in Guangzhou wurde ihm dann klar, wie die Volksrepublik die Zukunft gestalten will. Seit 2018 ist Hildebrandt AHK-Chef und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer für Nordchina in Peking. Seit 2020 außerdem Asien-Pazifik-Koordinator des Asien-Pazifik-Ausschusses (APA) der Deutschen Wirtschaft. Die Corona-Pandemie stellte ihn zuletzt vor ganz neue Herausforderungen.

    Herr Hildebrandt, infolge der Corona-Pandemie hat die AHK Charter-Flüge nach China organisiert. Wie ist die Idee zu den Flügen entstanden, die ja weiterhin der wichtigste Weg sind, um aus Deutschland nach China zu gelangen?

    Wie viele Ideen ist auch diese aus der Not entstanden. Im Frühjahr 2020 haben die deutschen Unternehmen ihre Mitarbeiter und deren Familien nicht mehr nach China reinbekommen. China hatte ja wegen Corona seine Grenzen weitgehend dichtgemacht. Also haben wir nach einer pragmatischen Lösung gesucht und verschiedene Konzepte gemeinsam mit der Botschaft durchgespielt.

    Dabei ging es vor allem um zwei Fragen, die wir gegeneinander abwägen mussten: Wie können wir den chinesischen Behörden ein Gefühl der Sicherheit bei ihrer Null-Prozent-Infektionsstrategie vermitteln? Und: Wie können wir die Einreise für die Deutschen dennoch ermöglichen und so angenehm wie möglich gestalten? Damals haben wir uns allerdings noch nicht vorstellen können, dass diese Reiseeinschränkungen für so lange Zeit in Kraft sein würden. In diesem Jahr haben wir bereits sechs Charterflüge nach China bringen können. Im vergangenen Jahr waren es 14. 

    Dennoch konnten Sie nur einen Teil der Menschen nach China holen, die eigentlich nach China müssten. 

    Ja. Nur in ganz dringenden Fällen bekommen Deutsche ein Visum. Die Reiserestriktionen bereiten unseren Unternehmen immer größere Kopfschmerzen. Sie verhindern weitere Investitionen und Kooperationen. Maschinen stehen still, weil die Ingenieure, die sie warten oder installieren, nicht ins Land kommen. Die Lage wird immer komplizierter. Zahlreiche chinesische Unternehmen sagen inzwischen: Es tut uns leid. Wenn ihr es nicht schafft, eure Ingenieure reinzubekommen, dann müssen wir leider zu chinesischen Wettbewerbern wechseln. Die können uns vor Ort versorgen. 

    Wann wird sich das ändern?

    Es sieht nicht so aus, dass es sich vor den Olympischen Winterspielen in der Nähe von Peking Anfang nächsten Jahres noch ändern wird. Der Volkskongress, das chinesische Parlament, wird danach im März tagen und im Herbst nächsten Jahres steht ein wichtiger Parteitag an. Ich habe Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass China davor große Lockerungen einführen wird bei den Restriktionen. Andererseits kann sich China nicht auf Dauer von der Außenwelt abschließen, zumal der Binnenkonsum eben noch nicht ganz auf das Vor-Corona-Niveau zurückgekehrt ist. 

    Allerdings konnte kein anderes Land so schnell zur wirtschaftlichen Normalität zurückkehren. Im vergangenen Jahr war China die einzige große Volkswirtschaft weltweit, die positive Wachstumszahlen schreiben konnte. Und auch dieses Jahr sieht es gut aus.

    Ja. Die Frage ist nur, wie nachhaltig ist eine Politik, die jedes Mal, wenn es einen kleinen Ausbruch gibt, in den lokalen Lockdown geht und landesweit die Reisebeschränkungen verschärft. Es trifft ja nicht nur ausländische Unternehmen. Zahlreiche chinesische Unternehmen haben internationale Strategien, die zentral für ihr Geschäft sind. Auch denen fehlt der weltweite Austausch sehr. Gleichzeitig ist das Konsumentenvertrauen in die Covid-Politik noch nicht zurückgekehrt und beschert im Einzelhandelsabsatz schwache Zahlen.

    Steckt auch ein wenig Absicht dahinter? Nach dem Motto: Jetzt machen wir aus der Not eine Tugend und schauen mal, wie weit China alleine kommt?

    Da ist etwas dran. Allerdings ist das nur eines der Ziele Pekings. Ein anderes wichtiges Ziel: Man möchte ein ausreichend hohes Wirtschaftswachstum erreichen. Und ich bin sicher, dass man in einem solchen Test nicht mehr zulassen würde, sodass das Wachstum stark einbricht. Mein Eindruck ist deshalb: In der chinesischen Politik setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass es ohne Austausch nicht geht, wenn China sein Wachstum halten will.

    Das wiederum bedeutet: China wird gleichzeitig vom Partner immer mehr zum Wettbewerber. 

    Darauf müssen wir uns einstellen. Auch, wenn das in Deutschland zuweilen auf Unverständnis stößt. Wir müssen lernen, zu verstehen, dass China nie nur das eine oder das andere ist. Diejenigen, die China nur für einen Wettbewerber halten oder gar einen Rivalen, schüren Ängste. Diejenigen, die in China nur einen Partner sehen, sind naiv. Dies auszubalancieren wird eine immer größere Herausforderung auch für uns, zumal China noch lange unser wichtigster Zukunftsmarkt sein wird. Für die Unternehmen, aber auch für uns, die Auslandshandelskammern. 

    Was müssen wir im Umgang mit China sonst noch lernen? 

    In Deutschland hat man erstens noch nicht in vollem Umfang verstanden, welche tiefgreifende Innovationsschübe China schon heute hervorbringt. Und zweitens: Dass Staat und Wirtschaft so eng verwoben sind, hat nicht nur Nachteile, Stichwort “Staatswirtschaft”, sondern eben auch Vorteile, Stichwort “staatliche Innovationsförderung”. Aus Sicht der Wettbewerbssituation ist das schlecht, da eine zu starke Subventionierung chinesischer Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bedeutet. Dagegen partizipieren und profitieren deutsche Unternehmen auch hier von der Wirtschaftskraft, die die Innovation hervorbringt. Gleichzeitig entstehen eben Firmen, die uns auch in den Branchen, in denen wir noch stark sind, überholen wollen. 

    Dass haben Sie hautnah erlebt, als sie einige Jahre in Guangzhou im Süden Chinas gearbeitet haben. Eine Region, die als das neue Silicon Valley gilt. 

    Was man nie mehr vergisst, wenn man dort gelebt hat, ist die Geschwindigkeit, mit der China immer innovativer wird. Das können wir uns im Westen kaum vorstellen. Und es sind nicht nur die Unternehmen und Forschungseinrichtungen, sondern auch die Kunden mit ihren Wünschen und Vorlieben. Da reagieren unsere Unternehmen teils noch zu langsam.

    Meine Zeit in Südchina hat mir jedenfalls die Augen geöffnet. Die Mischung aus kluger staatlicher Förderung und mutigen, schnellen Start-up-Unternehmern ist einmalig. Diese Mischung ist zwar ein chinesisches Modell, aber wir sollten sie uns dennoch genauer anschauen und versuchen, davon zu lernen. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Wie kann der Staat in Deutschland Innovation unterstützen? Und wie können die Unternehmen selbst in ihren Innovationszyklen schneller und wendiger werden?

    Was fehlt der deutschen Wirtschaft noch?

    Es ist vor allem dieser Try-and-Error-Spirit, den wir noch ausbauen könnten: Risiken eingehen. Einfach mal was Neues wagen. Den Mut haben, auch mal was falsch zu machen und dann dafür auch die zeitlichen und finanziellen Kosten zu akzeptieren, als Teil eines Entwicklungsprozesses. Dieser Spirit ist in China verbreiteter als in den USA. Und in den USA verbreiteter als Europa. An dieser Stelle können wir noch nachbessern. 

    Wie sind Sie eigentlich nach China gekommen?

    Ich war mit 18 Jahren auf einem Schüleraustausch in Japan. Da hat mich die asiatische Kultur zu interessieren begonnen. Aber Japan steckte zu dieser Zeit in einer tiefen Rezession und war ziemlich angeschlagen. Ich habe dann geschaut, welche Länder in der Region Entwicklungspotenzial haben und bin, wen wundert es, auf China gestoßen. Also habe ich Sinologie zu studieren begonnen …

    … ein Nischenfach. Damit sind Sie doch bestimmt auf große Skepsis gestoßen in ihrer Umgebung. Warum haben Sie weitergemacht?

    Ja, das war so. Ich habe aber nicht aufgehört, weil ich fand, dass “Nische” nicht die angemessene Bezeichnung ist, um China zu beschreiben. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich China entwickelt, war mir schnell klar, dass es in allen strategischen globalen Fragen, keinen Weg vorbei an China gibt. Wir werden immer enger mit China zusammenarbeiten müssen und sich mit China zu beschäftigen, wird immer spannender. 

    Sie haben als Kind die DDR noch erlebt. War das nicht ein Grund, sich nicht mit China zu beschäftigen? 

    Ich war damals noch zu jung, um jetzt einen Systemvergleich anzustellen. Ich war ja zwölf als die Mauer aufging. Ich kann mich eigentlich nur noch an die roten Parolen erinnern, die es ja hier in China auch noch gibt. Mit Sprüchen wie: “Tragt dazu bei, eure Stadt schöner zu gestalten. Viele Grüße, die Kommunistische Partei.”

    Kann man die Systeme vergleichen?

    Kann man. Die Frage ist nur, was das bringt. Das wirtschaftliche System der DDR hat am Ende dazu geführt, dass sich die DDR selbst abgeschafft hat. Das kann man von China ja nicht wirklich behaupten. 

    Und politisch?

    Da würde ich mich eher auf die Eigenheiten des chinesischen Systems konzentrieren wollen: Es ist ein autoritäres System, dass sich zunehmend auf eine Person konzentriert, die die Zügel auch in der Partei wieder anzieht. 

    Der Spielraum der Zivilgesellschaft wird also kleiner? 

    Es war schon ein anderes in Peking als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal zum Studieren hier war. Es war natürlich weniger entwickelt, allerdings andererseits auch viel freier in seiner Kreativität, in der Kunstszene, der Musikszene. Vieles ist verschwunden. Und die, die geblieben sind, agieren viel vorsichtiger. Kurz: Das Leben ist heute komfortabler als vor 20 Jahren, aber es hat deutlich an Freiheit und Flexibilität eingebüßt. Die Einschränkungen der Zivilgesellschaft gehen Hand in Hand mit dem nun größeren Spielraum der Parteiführung. 

    Also folgt der wirtschaftlichen Öffnung nicht die politische Öffnung? 

    Leider nicht. Den Trend gab es früher einmal, aber den sehe ich nun für die nächste 20 Jahre nicht. Der Staat und die Partei haben die Zügel zunehmend fest in der Hand und solange es ihnen weiterhin gelingt, Wohlstandszuwachs für die Bevölkerung zu erzielen, wird das China, wie wir es kennen, weiter existieren. 

    Haben Sie angesichts der politischen Entwicklung Ihre Entscheidung je bereut, Sinologie zu studieren?

    Nein, mein Job macht mir viel Spaß. Ich lerne viel. Jeden Tag müssen wir uns hier in der Kammer von neuem fragen: Wie hat sich die Lage in diesem schnell wachsenden Land verändert. Mit wem müssen wir zu welchem Thema sprechen? Wer ist zuständig? Wer ist nicht zuständig, hat aber Einfluss? Und welchen Ton schlagen wir bei wem an?

    Wird es nun riskanter in China zu investieren?

    Das kann man so pauschal nicht sagen: Die Ausgangslage ist für die Unternehmen komplizierter als vor 20 oder 30 Jahren, da eine Politisierung der Wirtschaftsbeziehungen im vollen Gange ist. Es geht nicht nur mehr um wirtschaftlichen Erfolg und Chancen, sondern zunehmend auch um das Management von Risiken. Chancen und Abhängigkeiten sind zwei Seiten einer Medaille. Die Frage ist: Wie kann ich Chancen nutzen und gleichzeitig die Abhängigkeiten überschaubar bleiben lassen. Das ist eine besonders schwierige Frage in Branchen wie dem Maschinenbau oder der Autoindustrie, bei denen rund 30 Prozent des weltweiten Geschäftes in China liegen. Tendenz steigend. Die Unternehmen werden auf jeden Fall mehr in Risiko- und Compliance-Management investieren müssen.

    Welche Fragen stellen sich da?

    Eine lautet, ob chinesische oder westliche Unternehmen gleichbehandelt werden – Stichwort “Dual Circulation” – und wie lange und in welcher Weise deutsche Unternehmen von dem Aufstieg Chinas profitieren.

    Und?

    Wir werden Einschnitte in manche Branchen haben – vor allem in sicherheitsrelevanten Bereichen. In anderen Industrien werden sich neue Möglichkeiten öffnen. Vor 20 Jahren hatten ausländische Unternehmen einen Marktanteil von 60 Prozent. Inzwischen wird der Markt von chinesischen Playern kontrolliert. Wir liefern allenfalls noch zu. Im Bereich der Industrieautomatisierung und Dekarbonisierung andererseits, da tun sich noch große Chancen auf. China ist und bleibt für die meisten Branchen der Wachstumsmarkt der Zukunft. 

    Noch ist VW der erfolgreichste Autohersteller Chinas. Wird das so bleiben?

    Das hängt von der Innovationskraft der Autohersteller generell ab und im Besonderen von der Frage, wie schnell es ihnen gelingen wird, sich auf die chinesischen Kundenwünsche einzustellen. Das ist je generell ein wunder Punkt, bei dem deutsche Unternehmen noch nachlegen müssen. Klar ist: die chinesischen Wettbewerber holen auf. Schneller als wir alle geglaubt haben und noch glauben. Gleichzeitig gilt, die deutschen Unternehmen scheuen keinen Wettbewerb, solange er fair ist und alle Marktteilnehmer sich an die gleichen Regeln halten müssen.

    Leidet der Ruf der deutschen Wirtschaft in China angesichts der politischen Spannungen? 

    Der Ruf der deutschen Wirtschaft ist ausgezeichnet. Wir haben hier in den vergangenen 30 Jahren über eine Million Arbeitsplätze geschaffen, haben zum Wachstum der chinesischen Wirtschaft beigetragen. Vor allem der deutsche Mittelstand ist hoch angesehen. Die Hidden Champions werden mit dem Label “Made in Germany” eng verbunden. Auch im Chinageschäft sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Wir haben über 5.000 deutsche Unternehmen hier in China. Die allermeisten sind kleine und mittelständische Unternehmen. Made in Germany hat also weiterhin einen guten Ruf, obwohl der Ruf des Westens insgesamt vor allem in den vergangenen zwei Jahren doch schon an Kraft verloren hat.

    Die Wahrnehmung Chinas in Deutschland und im Westen insgesamt hat sich hingegen verändert. Man ist kritischer, skeptischer geworden gegenüber China.

    Das ist so. Dazu trägt China sicher auch selbst bei, aber vor allem fehlt uns der Austausch in den vergangenen Jahren. Die Reisen von Entscheidern, von Politikern, hohen Beamten und CEOs auf beiden Seiten fehlen. Aber auch die Reisen auf der Arbeitsebene. Das führt dazu, dass das gegenseitige Verständnis abnimmt. Das ist ein ernstes Problem. Das Bild voneinander wird zunehmend von Befürchtungen, ja sogar Ängsten, geprägt, die sich verstärken, weil man noch so wenig übereinander weiß. 

    Welche Rolle spielt dabei die Innenpolitik Chinas, die die Zügel anzieht?

    Diese Politik macht es nicht einfacher und führt neben dem geringeren Austausch und dem geringer werdenden Wissen übereinander auch noch dazu, dass der Spagat zwischen wirtschaftlichem Erfolg und politischen Risiken für ausländische Unternehmen vor Ort immer größer wird. Der Instrumentenkasten der chinesischen Regierung, um sich handelspolitisch wehren zu können, wächst mit jedem Monat. Und der Konflikt mit den USA ist noch längst nicht vom Tisch, genauso wenig wie die Reibungen mit der Europäischen Union. 

    Das klingt nicht sehr zuversichtlich. Was können deutsche Unternehmen in dieser Lage machen?

    Für die Unternehmen ist das schwierig. Sie können nur wenig ändern. Aber sie müssen ein umfassenderes Risikomanagement betreiben, weil die politischen Konflikte immer stärker ins Geschäft hineinstrahlen. Klar ist: China lässt sich immer weniger gefallen und die USA wollen ihre Macht nicht teilen. Europa und Deutschland werden zunehmend ihre eigenen Interessen definieren und verteidigen. Die Frage, die sich die Unternehmen nun stellen müssen: Was könnte das für mein Geschäft bedeuten? Zumal China wahrscheinlich noch sehr lange der wichtigste Wachstumsmarkt und der wichtigste Handelspartner der Deutschen bleiben wird. Die Unternehmen arbeiten an neuen China-Strategien für die nächsten fünf bis zehn Jahre.   

    In Deutschland beginnen gerade die Koalitionsverhandlungen. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

    Aus Sicht der Wirtschaft: Dass sie erst einmal einen Dialog mit der deutschen Wirtschaft über China führt, um sich über die jeweiligen Entwicklungsziele auszutauschen. Wichtig ist auch, festzulegen, welche Kooperationen mit China wir in Zukunft weiter betreiben wollen und welche vielleicht nicht und was unsere Ziele dabei sind. Gleichzeitig braucht es mehr Dialog und klare Spielregeln im Umgang mit China. Dazu gehört auch, rote Linien zu setzen. Aber die roten Linien dürfen kein politischer Selbstzweck sein oder nur dazu dienen, innenpolitische Stimmungen zu bedienen. Sie sollten vor allem ein Ziel haben, sich mit einer Frage beschäftigen: Wie können beide Seiten nachhaltiger zusammenarbeiten?

    Das ganze Interview können Sie hier als Video sehen.

    • China Strategie 2022
    • Coronavirus
    • Geopolitik
    • Gesellschaft
    • Handel
    • Jens Hildebrandt

    Analyse

    Pandora Papers: Chinesen unterhalten tausende Briefkastenfirmen

    Im bisher größten Datenleak zu Briefkastenfirmen in Steueroasen tauchen knapp 2.000 Chinesen auf, wie die Daten des Journalistenverbands “International Consortium of Investigative Journalists” (ICIJ) zeigen. Die Volksrepublik gehört mit 1.892 Eigentümern von Briefkastenfirmen zu den Ländern mit den meisten Nutznießern. Auch eine aktuelle Politikerin und ein ehemaliger Politiker der Volksrepublik unterhalten demnach geheime Firmen in Offshore-Finanzzentren.

    Insgesamt tauchen 336 Namen von aktuellen und ehemaligen Politikern in dem Datenleak auf. Das als “Pandora Papers” bezeichnete Paket umfasst 11,9 Millionen Dokumente von 14 Firmen aus dem Rechts- und Finanzbereich, die Briefkastenfirmen gründen und verkaufen. Während es nicht illegal ist, eine solche Firma zu unterhalten, dienen sie häufig kriminellen Zwecken, wie der Steuervermeidung, Geldwäsche oder der Umgehung von Finanzgesetzen des Heimatlandes. Über Briefkastenfirmen lassen sich auch Vermögenswerte im Ausland verbergen.

    Zugang zu Investoren aus dem Ausland

    Die strikten Finanz- und Devisengesetze Chinas sind eine maßgebliche Ursache für die hohe Anzahl von Briefkastenfirmen von Chinesen im Ausland. Die Firmen dienen dazu, Einschränkungen im Handel, bei Kapitalflüssen ins Ausland und ausländischen Investitionen in chinesische Firmen zu umgehen, wie das Magazin The Wire China berichtet, das als Kooperationspartner des ICIJ an der Auswertung der Daten beteiligt ist.

    Ein bekanntes Beispiel für die Nutzung von Briefkastenfirmen sind chinesische Internetunternehmen. Es ist ausländischen Unternehmen untersagt, in chinesische Internet- und Tech-Unternehmen zu investieren (China.Table berichtete). Viele namhafte Internetfirmen Chinas umgingen dieses Verbot, indem sie Briefkastenfirmen in Offshore-Finanzzentren gründeten. Diese warben Investitionen von ausländischen Geldgebern an und leiteten sie an die chinesischen Besitzer hinter den Briefkastenfirmen weiter. Solche Konstrukte – im Englischen “Variable Interest Entity” (VIE) genannt – ermöglichten es beispielsweise den Risikokapitalgebern des Silicon Valley, sich frühzeitig an chinesischen Internetgiganten wie Alibaba, Baidu, Tencent und Bytedance zu beteiligen.

    Briefkastenfirmen in Offshore-Finanzzentren dienen chinesischen Unternehmen auch dazu, im Ausland an die Börse zu gehen, ohne chinesische Gesetze zu verletzen, die solche Börsengänge einschränken. Alibaba hat ein solches Konstrukt für den Börsengang in New York im September 2014 genutzt.

    Lange Zeit hat die Regierung in Peking dieses Vorgehen stillschweigend akzeptiert. Kürzlich wurde jedoch bekannt, dass die Behörden die Regeln ändern wollen. Chinesische Firmen müssten sich in Zukunft die behördliche Genehmigung einholen, um mit VIE-Konstruktionen im Ausland an die Börse zu gehen, obwohl die VIEs nicht in China registriert sind.

    Übernahme ausländischer Unternehmen

    Die Pandora Papers zeigen, dass Alibabas Führungskräfte zahlreiche Briefkastenfirmen in Offshore-Zentren installiert haben, um Übernahmen anderer Firmen durchzuführen, wie The Wire weiter berichtet. Ein Berater des Gründers von Meituan soll mit Meituan-Aktien im Wert von 56 Millionen US-Dollar bezahlt worden sein, die in einem Trust in einem Offshore-Finanzzentrum verwahrt werden – weit weg vom Zugriff durch Peking.

    Auch Staatsfirmen wie Sinopec und der Mischkonzern CITIC haben zahlreiche Briefkastenfirmen in Offshore-Finanzzentren wie den Cayman Islands, Bermuda oder Zypern gegründet. Die Unternehmen leihen sich über diesen Umweg US-Dollar und investieren im Ausland beispielsweise in Rohstoffvorkommen und Energieprojekte.

    Bei Firmenübernahmen im westlichen Ausland mithilfe von Briefkastenfirmen besteht eine besondere Gefahr: Indem der chinesische Eigentümer der Firma verschleiert wird, könnten Sicherheitsprüfungen der US- und EU-Behörden umgangen werden. So könnten ausländische Produzenten sensibler Waren wie Dual-Use-Güter heimlich von Chinesen aufgekauft werden, berichtet The Wire China.

    Umgehung von Devisen-Regeln

    Privatpersonen nutzen Briefkastenfirmen im Ausland, um die Devisengesetze Chinas zu umgehen. Seit 2017 müssen Bargeldüberweisungen von mehr als 50.000 Yuan (umgerechnet 6.600 Euro) an die Zentralbank gemeldet werden. Damit wurden die Kapitalkontrollen weiter ausgeweitet. Vorher waren erst Überweisungen in Höhe von 200.000 Yuan meldepflichtig.

    Auch der Kauf von Vermögenswerten im Ausland mit Devisen ist stark eingeschränkt. Die Intransparenz von Offshore-Finanzzentren kommt vermögenden Chinesen zugute. In den Pandora Papers taucht der Name der Delegierten des Nationalen Volkskongresses Qiya Feng auf. Sie besitzt eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln, mit der sie Geld in US-Aktien investiert hat.

    Die Briefkästen der “Prinzlinge”

    Doch es scheinen nicht nur strenge Regulierungen und Gesetze ursächlich für die hohe Anzahl chinesischer Namen in den Pandora Papers zu sein. In früheren Datenleaks zu Offshore-Finanzzentren wie den “Panama Papers” oder “Offshore Leaks” tauchten zahlreiche Mitglieder aus ranghohen Politik-Familien Chinas auf – vor allem die sogenannten Prinzlinge, Söhne und Töchter ranghoher Politiker.

    Informationen aus den “Offshore Leaks” und den “Panama Papers” zeigten, dass:

    • der Schwager von Xi Jinping Mitbesitzer einer Briefkastenfirma ist,
    • der Sohn und der Schwiegersohn von Wen Jiabao (Premierminister von 2003 bis 2013) Geschäftsführer und Anteilseigner von Briefkastenfirmen waren
    • die Tochter des ehemaligen Premiers Li Peng und ein Schwiegersohn von Deng Xiaoping mit Offshore-Geschäften in Verbindung stehen.

    Diese “Prinzlinge” sowie Angehörige der Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros und einige Mitglieder des Volkskongresses verbergen Teile ihres Vermögens laut Süddeutscher Zeitung mithilfe von Briefkastenfirmen mutmaßlich in Steueroasen. Mehr als 21.000 solcher Firmen konnten damals Chinesen und Chinesinnen zugeordnet werden.

    Wie viele der Briefkastenfirmen aus dem neusten Leak Angehörigen der chinesischen Politik-Elite gehören, ist derzeit noch nicht bekannt. In der Volksrepublik wurden die Berichte über die “Panama Papers” und die “Offshore Leaks” streng zensiert, obwohl Xi Jinping schon damals den Kampf gegen die Korruption vorangetrieben hatte.

    • Finanzen
    • Sinopec
    • Xi Jinping

    Die EU und die Gretchenfrage um Taiwan

    Ob in der EU-Strategie für den Indo-Pazifik oder durch den diplomatischen Zwist zwischen Litauen und Peking: Taiwan ist in den vergangenen Monaten vermehrt in den Schlagzeilen und als Tagesordnungspunkt auf den Agenden in Brüssel aufgetaucht. Das Europaparlament will in diesem Monat den Druck auf die EU-Kommission erhöhen, konkrete Schritte einzuleiten: Erstmals stimmt das EU-Parlament über einen alleinstehenden Bericht zu den Beziehungen mit Taipeh ab. Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Mehrheit im Plenum erhalten – und in Peking nicht besonders gut ankommen.

    Denn das Europaparlament fordert in dem Papier eine signifikante Aufwertung der Beziehungen zu Taiwan: Neben der Forderung nach engeren Partnerschaften in den Bereichen Elektrofahrzeuge und Halbleitertechnologie sowie verstärkten Forschungskooperationen im Rahmen des EU-Programms Horizon Europe beinhaltet der Report zwei Punkte, die China sauer aufstoßen werden: Die EU-Abgeordneten empfehlen der Europäischen Kommission, eine Folgenabschätzung für ein bilaterales Investitionsabkommen mit Taiwan vorzubereiten. Außerdem wird vorgeschlagen, den Namen des Europäischen Wirtschafts- und Handelsbüros (European Economic and Trade Office, kurz EETO) in Taipeh zu “Büro der Europäischen Union in Taiwan” (“European Union Office in Taiwan”) zu ändern.

    Mit wachsender Sorge werde auf die Taiwanstraße und das Südchinesische Meer geblickt, sagte der Europa-SPD-Abgeordnete Dietmar Köster am Montag bei einem Pressegespräch. Eine militärische Konfrontation dort müsse dringend verhindert werden, so der Außenpolitiker. Der CDU-Politiker Michael Gahler wurde deutlicher: Chinas Politik in der Region wolle nicht den Status-quo erhalten, sondern sei revisionistisch. Gahler ist Vorsitzender der Taiwan-Freundschaftsgruppe des Europaparlaments. Er fordert: Chinas Verhalten müsse mit “dagegenhalten und sprechen” begegnet werden.

    EU-Parlament und Taipeh werben für Investitionsabkommen

    Der EU-Kommission sei der zunehmende Druck im Europaparlament und in der Öffentlichkeit durchaus nicht entgangen, sagt der Grünen-EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer gegenüber China.Table. Auch im Handelsausschuss habe man der Brüsseler Behörde deutliches Missfallen darüber ausgedrückt, dass Vorbereitungen für ein bilaterales Investitionsabkommen mit dem Inselstaat noch nicht auf die Agenda gesetzt worden seien.

    Das Europaparlament vertritt oft radikalere Positionen als die EU-Kommission und der EU-Rat, in dem die Mitgliedsstaaten vertreten sind. In der Außen- und Sicherheitspolitik kommt dem Parlament eine eher beratende Rolle zu. Wird der Bericht zu Taiwan vom EU-Parlament aber angenommen, ist die Kommission verpflichtet, ihn innerhalb von drei Monaten anzunehmen oder abzulehnen. Im letzteren Fall müsste die EU-Kommission die Gründe dafür erläutern – was angesichts der zunehmenden Erwähnungen Taiwans, auch in der offiziellen Kommunikation der Brüsseler Behörde, dann nur schwer zu begründen wäre.

    Die Vertretung Taipehs in Brüssel wirbt für ein Abkommen: Dieses können europäischen Anlegern Sicherheit und mehr Schutz bei Investitionen bieten, betonte Botschafter Ming-Yen Tsai gegenüber China.Table. Auch die Diversifizierung der europäischen Lieferketten würde damit vorangetrieben. In der Vertretung begrüße man das Engagement vor allem aus dem Europaparlament, so Tsai. “Wir glauben, dass es an der Zeit ist, die Vorbereitungen für die Aufnahme von Verhandlungen mit Taiwan zu beginnen, einschließlich der Vorstudie, Folgenabschätzung und öffentlicher Konsultation”, betonte Tsai.

    Bevor die EU-Kommission eine Folgenabschätzung für ein bilaterales Abkommen oder die Umbenennung des EU-Büros in Taiwan angehen kann, muss sie erhebliche Unterstützung bei den Mitgliedsstaaten finden – und hier scheiden sich derzeit die Geister. Während sich der kleine EU-Staat Litauen auf einen offenen Schlagabtausch mit Peking eingelassen hat, reagieren andere Länder zurückhaltend und diskutieren nur verhalten über engere Verbindungen mit Taiwan.

    Litauen nimmt Sonderposition ein

    Hintergrund ist ein Namensstreit in Vilnius: Litauens Regierung hatte erlaubt, eine “Taiwanische Vertretung” in der Hauptstadt eröffnen zu lassen. Peking reagiert verärgert (China.Table berichtete), zog seinen Botschafter aus dem baltischen Land ab, verwies die litauische Botschafterin aus China und stellte zuletzt den Frachtverkehr über Eisenbahn nach Litauen ein.

    Während die Abgeordneten des EU-Parlaments Litauens Position unterstützten, waren die Regierungen in den EU-Hauptstädten etwas anderer Meinung: Sie kritisierten zwar Chinas wirtschaftliche Erpressung von Litauen, deutliche Unterstützung für die Position des EU-Staats ließen sie aber nicht verlauten. Ähnliches ließ sich bereits beobachten beim Streit über den Besuch des Vorsitzenden des tschechischen Senats, Miloš Vystrčil, im taiwanischen Parlament. Peking drohte damals, dass Tschechien einen “hohen Preis” für den Besuch zahlen werde – doch von den übrigen EU-Mitgliedern war nur wenig Rückhalt für Prag zu hören.

    Anfang September appellierte Sloweniens Ministerpräsident Janez Janša in einem Brief an andere EU-Staats- und Regierungschefs, Vilnius im Disput gegen China den Rücken zu stärken. Slowenien hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Das große Echo auf die schriftliche Aufforderung blieb aber auch hier aus. Litauen erhielt immerhin transatlantischen Zuspruch: Der Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, Jake Sullivan, sprach Litauens Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė Washingtons Unterstützung aus.

    Diplomatische Zurückhaltung der Europäer gegenüber Taipeh gab es auch in Sachen Corona-Impfstoffe: Nur vier mittel- und osteuropäische EU-Staaten (CEEC) – Litauen, Polen, die Slowakei und Tschechien – schickten Impfstoffspenden auf die Insel. Als Reaktion darauf plant Taipeh, im Oktober eine 65-köpfige Delegation zu entsenden, um seine Investitionen in den CEEC zu fördern. Polen spendete rund 400.000 Dosen, bekräftigte aber umgehend sein Bekenntnis zur “One-China-Policy”.

    “Policy” vs. “principle” – Teufel liegt im Detail

    Wenn es um Taiwan geht, muss nicht nur bei Namensstreits um Handelsvertretungen genau aufgepasst werden. Denn Brüssel und Peking benutzen hier unterschiedliche Bezeichnungen und damit einhergehende Ansichten, was zuletzt auch nach einem Videocall zwischen dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und Chinas Außenminister Wang Yi deutlich wurde: Wang verkündete laut Staatsmedien, Borrell habe erklärt, die EU halte am “One-China-principle” fest. Dieses sieht Taiwan als von China untrennbare Provinz, die rechtmäßig zur Volkrepublik gehört und wiedervereinigt werden muss.

    Die EU sprach wiederum in ihrer Erklärung von der weiteren Anwendung der “One-China-Policy”. Unter diesen sind formelle diplomatische Kontakte zu Taiwan nicht vorgesehen, als einzige Regierung Chinas wird die Zentralregierung in Peking anerkannt. Gegen den Aufbau von Handelsvertretungen oder bilateralen Handelsabkommen spricht jedoch nichts. Denn keines der Büros ist eine Botschaft, noch bedeutet die Eröffnung einer Vertretung die Anerkennung Taiwans als souveräner Staat.

    Ein bilaterales Investitionsabkommen wäre im Übrigen kein Akt der Nächstenliebe der Europäer. Ganz im Gegenteil: Nicht zuletzt der weltweite Chip-Mangel hat der EU die Abhängigkeit von Taiwan deutlich gemacht. Der Aufbau einer Investitionspartnerschaft würde dafür wichtige Optionen eröffnen. Im vergangenen Jahr belief sich nach Angaben des Taipeh-Büros in Brüssel das Handelsvolumen zwischen den 27 EU-Staaten und Taiwan auf 51,9 Milliarden US-Dollar. Die EU importierte demnach im Jahr 2020 Waren im Wert von 22,9 Milliarden US-Dollar aus Taiwan. Die Europäische Union ist der größte Investor in Taiwan.

    Chip-Problem wird politischer

    Gerade die Produktion von Halbleitern wird immer mehr zu einem hochpolitischen Thema. China hatte am Wochenende eine Rekordzahl an Kampfjets in Taiwans Identifikationszone zur Luftverteidigung (ADIZ) entsandt (China.Table berichtete). Taipeh warnte nun einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge am Montag, dass Frieden in der Taiwanstraße entscheidend dafür sei, eine kontinuierliche Versorgung mit Chips sicherzustellen.

    Taiwans Wirtschaftsministerin Wang Mei-hua wurde deutlich: Taiwan habe mehr als drei Jahrzehnte lang vor dem Hintergrund der Globalisierung dazu beigetragen, ein Ökosystem für die Chipherstellung zu fördern “Die Weltgemeinschaft sollte Taiwans Sicherheit ernster nehmen, damit Taiwan weiterhin allen einen stabilen Service bieten und allen ein sehr guter Partner sein kann”, mahnte die Ministerin.

    Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) verfügt laut Bloomberg über einen Anteil von 53 Prozent am Markt für Auftragschips – was die Besorgnis nährt, dass jede Instabilität in der Meerenge vor dem Inselstaat die Versorgung unterbrechen könnte. Die hohe Abhängigkeit von TSMC und seinen lokalen Zulieferern hat die EU-Kommission und Regierungen in den USA, Japan und auch der Volksrepublik dazu veranlasst, ihre heimische Chipindustrie zu stärken. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte dazu in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union (SOTEU) ein eigenes Chips-Gesetz angekündigt, das unter anderem die Halbleiter-Forschung und die Produktionskapazitäten in der EU merklich erhöhen soll (China.Table berichtete).

    Zusammenarbeit bei Lieferketten – kaum lautstarke Bekenntnisse

    Der aktuelle Stand der Beziehungen zwischen der EU und Taiwan bietet also viel Gesprächsstoff: Der sogenannte “New European Chips Act” bietet Möglichkeiten der Zusammenarbeit – allerdings könnte sich dadurch auch eine neue Wettbewerbsdynamik entfalten. Auch die Indo-Pazifik-Strategie bietet einen guten Rahmen für die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen. Zu lautstarke Bekenntnisse der EU-Regierungen und der EU-Kommission zu Taiwan werden jedoch nicht zu erwarten sein.

    Genau eine solche Zusammenarbeit in Sachen Halbleitern könnte laut Grünen-Politiker Bütikofer nun genutzt werden, um die Beziehungen zu Taiwan zu “re-framen”. Man könnte beispielsweise über Taiwans Beitrag zu resilienten Lieferketten sprechen, sagte Bütikofer gegenüber China.Table. So würde auch Peking signalisiert, dass nicht die Absicht einer Isolation bestehe, sondern neue Ansätze gesucht würden.

    Das Europaparlament wird aller Voraussicht nach in der Sitzungswoche in der zweiten Oktober-Hälfte über den Taiwan-Bericht abstimmen. Eine Reaktion aus Peking wird dann wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen. Bereits die Abstimmung über das Papier im zuständigen Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten und jüngst auch die Veröffentlichung der EU-Indo-Pazifik-Strategie hatte scharfe Warnungen aus der Parteizentrale zur Folge: Die EU sei gemahnt, in “der Taiwan-Frage nicht mit Feuer zu spielen”, titelte die Staatszeitung Global Times in einem Meinungsstück vergangene Woche.

    • AFET
    • Chips
    • Diplomatie
    • EU
    • Geopolitik
    • Halbleiter
    • Litauen
    • Taiwan
    • Technologie
    • TSMC

    News

    Neue US-Handelsstrategie für China vorgestellt

    US-Handelsministerin Katherine Tai hat am Montag beim Center for Strategic and International Studies, einem Washingtoner Think-Tank, die neue China-Handelsstrategie der Biden-Regierung vorgestellt. Demnach wird die US-Regierung die Strafzölle gegenüber der Volksrepublik nicht nur beibehalten, sondern könnte sie bei Bedarf noch ausweiten.

    “Die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen der USA mit China haben tiefgreifende Folgen”, begann Tai ihren Vortrag bei CSIS. “In Bezug auf den Handel der USA mit China hat die Regierung von Biden-Harris in den letzten Monaten eine umfassende Überprüfung durchgeführt”, sagte Tai und hob drei Punkte hervor, die deutlich machen, dass die Handelsbarrieren zwischen beiden Ländern vorerst nicht so schnell abgebaut werden.

    Tai betonte erstens: “Wir werden mit China die Leistungen des Phase-1-Handelsabkommens besprechen. China ist Verpflichtungen eingegangen, die bestimmten amerikanischen Industrien zugutekommen, einschließlich der Landwirtschaft, die wir durchsetzen müssen. Präsident Biden wird weiterhin unsere wirtschaftlichen Interessen fördern und Vertrauen in die amerikanische Industrie aufbauen.”

    Zweitens: “Wir werden ein gezieltes Tarifausschlussverfahren einleiten. Wir werden dafür sorgen, dass die bestehende Struktur unseren wirtschaftlichen Interessen optimal dient. Das Potenzial für weitere Ausschlussprozesse werden wir uns nach Wunsch offen halten.”

    Drittens: “Wir haben weiterhin ernsthafte Bedenken hinsichtlich der staatszentrierten und nicht marktorientierten Handelspraktiken Chinas, die in den Phase-1-Handelsabkommen nicht angesprochen wurden. Während wir an der Durchsetzung von Phase I arbeiten, werden wir diese umfassenderen politischen Bedenken gegenüber Peking zur Sprache bringen.”

    Der Tenor von Tais Rede ist klar: Aus amerikanischer Sicht verstößt China gegen internationale Handelsregeln und fairen Wettbewerb. Zudem plane Peking keine “bedeutsamen Reformen”, die die Bedenken der USA und der internationalen Gemeinschaft ausräumen könnten. Und so kommt Tai zu dem Schluss: “Wir müssen direkt und ehrlich sein über die Herausforderungen, vor denen wir stehen, und über das große Risiko, uns diesen nicht zu stellen.”

    “Chinas mangelnde Einhaltung globaler Handelsnormen hat zu lange den Wohlstand der Amerikaner und anderer Menschen auf der ganzen Welt untergraben”, sagte Tai. Zuletzt hatte das National Bureau of Economic Research allerdings kritisiert, dass die Hauptlast der steigenden Preise durch die Strafzölle von den US-Konsumenten getragen werden.

    Ranghohe Beamte der Biden-Regierung sagten der Nachrichtenagentur Reuters, Tai werde ein virtuelles Treffen mit dem chinesischen Vizeministerpräsidenten Liu He durchführen, um das Handelsabkommen “bald” zu besprechen und gleichzeitig einen “gezielten” Prozess einzuleiten, um den Ausschluss bestimmter chinesischer Importe von US-Strafzöllen vorzubereiten. Und auch Tai versicherte am Montag, Ziel der Regierung sei es nicht, die Spannungen mit China weiter anzufachen. Vielmehr gehe es darum, zu einer “anhaltenden Koexistenz” zu gelangen, basierend auf Respekt und der Einhaltung von Normen. Derzeit ist unklar, was passiert, wenn Ende des Jahres die Frist des Phase-1-Deals ausläuft. niw

    • Handel
    • Katherine Tai
    • Liu He
    • USA

    China baut Quarantäne-Zentren für Einreisende

    Chinas Gesundheitsbehörden haben die Städte der Volksrepublik angewiesen, Quarantäne-Zentren für Einreisende aus dem Ausland zu errichten, wie die South China Morning Post berichtet. Demnach sollen die Stadtregierungen für Quarantänezwecke nicht mehr auf Hotels zurückgreifen, sondern gesonderte Quartiere einrichten. Dafür sei dem Bericht zufolge eine Quote von 20 Betten pro 10.000 Einwohnern der Städte vorgesehen.

    Die zentralisierte Quarantäne von Einreisenden spiele eine wichtige Rolle, um die Ausbreitung der Corona-Pandemie zu verhindern, wird ein hochrangiger Gesundheitsbeamter zitiert. Vor allem große Küstenstädte, die viele Ankünfte verzeichnen, sollten große Anlagen errichten, so der Bericht.

    In Guangzhou am Perlfluss wird in Kürze ein großes Quarantäne-Zentrum mit mehr als 5.000 Betten eröffnet, so die SCMP. Das Zentrum werde “kontaktlosen Service” anbieten, Drohnen und Roboter würden Essen liefern und die Zimmer desinfizieren. Eine Erweiterung sei schon geplant. Will die 18-Millionen-Einwohner-Stadt die Quote von 20 Betten pro 10.000 Einwohner erzielen, muss sie über 37.000 Räume bereitstellen. In Shenzhen soll demnach ein ähnliches Zentrum errichtet werden. Die Volksrepublik fährt weiterhin eine Null-Toleranz-Strategie gegen die Corona-Pandemie. nib

    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Guangzhou

    Bedingungen für Öffnung der Grenzen

    Chinas führender Arzt für Atemwegserkrankungen hat sich für eine Öffnung der chinesischen Grenzen in der Corona-Pandemie ausgesprochen, allerdings nur, wenn klare Bedingungen erfüllt seien. Auf Dauer seien die strikten Maßnahmen der Regierung nicht nachhaltig, da sie Chinas Bevölkerung unter großen Stress setzen würden, sagte Zhong Nanshan im Interview mit der Zeitung “Southern People Weekly”.

    Zhong nannte in dem Gespräch zwei Punkte: Entscheidend für etwaige Grenzöffnungen sei zum einen das Krankheitsgeschehen in anderen Ländern, zum anderen die Impfquote in China.

    Bevor China seine Grenzen wieder öffne, dürften laut Zhong in anderen Ländern nur noch wenige Corona-Fälle auftreten. Als zweite Bedingung müssten mindestens 80 bis 85 Prozent der 1,4 Milliarden Chinesen gegen Corona geimpft seien. Diese Marke könnte nach Zhongs Einschätzung bis Jahresende erreicht werden. Solange die Impfquote nicht 80 Prozent und mehr betrage, sei Vorbeugung weiterhin sehr wichtig.

    Wie die Zeitung “South China Morning Post” unter Berufung auf die Covid-19-Taskforce des Staatsrats berichtet, hatten Mitte September rund 1,1 Milliarden Chinesen ihre erste Corona-Impfung erhalten, das entspräche zirka 78 Prozent der Bevölkerung.

    China verfolgt bislang eine harte Zero-Covid-Strategie (China.Table berichtete). Mit Massentest, Grenzschließungen und scharfen Quarantäneregeln hat die Regierung eine Ausbreitung der Krankheit weitestgehend verhindert. “China kann aber nicht so weitermachen”, sagt Zhong Nanshan. Covid-19 sei nun mal eine globale Krankheit, sodass China mit dem Rest der Welt zusammenarbeiten müsse, um die Krankheit zu besiegen. Derzeit liege die weltweite Todesrate bei ein bis zwei Prozent der Infizierten – das sei zehn Mal höher als bei einer Grippe. Zhong ist überzeugt: “Wenn die Todesrate niedriger werde, könnte Covid-19 ein Teil der Normalität werden.” rad  

    • Corona-Impfstoffe
    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Zhong Nanshan

    Stromverknappung: Handelskammern fordern mehr Transparenz

    Die EU-Handelskammer in China hat angesichts der anhaltenden Stromausfälle vor allem im Osten des Landes mehr Transparenz bei künftigen Elektrizitätsverknappungen gefordert. Sie empfahl den Behörden, so bald wie möglich Zeitpläne und Details zu den Energiesparmaßnahmen der kommenden Monate zu veröffentlichen, damit sich Unternehmen darauf einstellen können. Firmen und Produktionsanlagen, die bereits energieeffizient seien, sollten auf Basis eines wissenschaftlichen Ansatzes von künftigen Stromverknappungen ausgenommen werden, schlägt die Kammer vor. Vonseiten der Regierung müsse das Tempo der Energiewende besser gesteuert werden: Die EU-Kammer empfehle nachdrücklich, ein Gleichgewicht zwischen Energiesicherheit und Chinas langfristigen Klimazielen durch “realistische Ansätze und nachhaltige Strategien in koordinierter Form” zu erreichen.

    In den vergangenen Wochen hatten Stromengpässe in mehreren ostchinesischen Provinzen zu stillstehenden Produktionsbändern und Stromausfällen in privaten Haushalten geführt (China.Table berichtete) – oft ohne Vorwarnung, wie die EU-Kammer kritisiert. “Den jüngsten willkürlichen Maßnahmen lokaler Behörden mangelte es an Transparenz und Kohärenz und es fehlte zudem an Rechtsgrundlagen.” Die Maßnahmen gefährdeten die Geschäftstätigkeit von Unternehmen in China “ernsthaft, schaffen kurzfristige Sicherheitsrisiken – insbesondere in der Chemie- und Gesundheitsindustrie – und untergraben mittel- bis langfristig das Geschäftsvertrauen”, kritisierte die Kammer.

    Auch die Deutsche Auslandshandelskammer (AHK) hatte sich nach eigenen Angaben an das chinesische Handelsministerium (MOFCOM) sowie an die Behörden auf Provinz- und Stadtebene gewandt, um die “kritische Situation und die Folgen für die Fertigungsaktivitäten deutscher Unternehmen” hervorzuheben. Dabei sei eine transparente Informationspolitik und mehr Vorlaufzeit gefordert worden, um eine “ordnungsgemäße Produktionsplanung” zu ermöglichen.

    Gründe dafür, dass der Strom abgeschaltet wird, gibt es mehrere. Nach wie vor kommt er in der Volksrepublik zu zwei Dritteln aus Kohlekraftwerken. Kohle ist zuletzt aber teuer geworden. Einige Kraftwerksbetreiber können nur noch mit großen Verlusten Strom produzieren und schalten deswegen die Anlagen lieber ab. Außerdem will die Zentralregierung in Peking den Stromverbrauch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um drei Prozent reduzieren, um seine Klimaziele zu erreichen und hat entsprechende Vorgaben an die Provinzen ausgegeben.

    Die weltweiten Lieferkettenprobleme dürften sich durch die Stromabschaltungen in China noch verschärfen. Einige ausländische Analysten rechnen inzwischen damit, dass Chinas Wirtschaft wegen der Stromabschaltungen dieses Jahr weniger stark wachsen wird als gedacht. Das japanische Finanzunternehmen Nomura senkte zuletzt seine Wachstumsprognose für das letzte Quartal dieses Jahres in China von 4,4 auf drei Prozent. Wie lange die Stromkürzungen noch anhalten werden, ist nicht klar. ari

    • Energie
    • Handel
    • Kohle

    Evergrande-Aktien vom Handel ausgesetzt

    Die Aktien des Immobilienentwicklers Evergrande sind am Montag an der Hongkonger Börse vom Handel ausgesetzt worden. Grund dafür ist laut der Staatszeitung Global Times, dass für das Unternehmen ein neuer Schuldentest anstehe, bei dem Anteile verkauft werden sollen. Demnach will Evergrande 51 Prozent seiner Immobilienmanagement-Sparte Evergrande Property Services Group für rund fünf Milliarden US-Dollar an Hopson Development veräußern.

    Hopson Development Holdings Ltd., ein Konkurrent des chinesischen Immobilienentwicklers, kündigte am Montag an, dass seine Aktien ebenfalls vom Börsenhandel ausgesetzt würden, bis eine Mitteilung über eine Transaktion mit einem in Hongkong notierten Unternehmen erfolgte.

    Evergrande hat Schulden in Höhe von mehr als 300 Milliarden US-Dollar angehäuft (China.Table berichtete) und ist zuletzt bei Zinszahlungen an seine Gläubigerbanken in Verzug geraten. In den kommenden Monaten stehen weitere Zinszahlungen in Millionenhöhe an. Zuletzt hatte man die Frist für Zinszahlungen in Millionenhöhe auf Dollar-Anleihen verpasst.

    Vergangene Woche kündigte Evergrande an, Anteile, die das Unternehmen an der chinesischen Shengjing Bank hält, an eine staatliche Vermögensgesellschaft zu verkaufen. Der Verkauf kam zustande, nachdem Peking staatliche Unternehmen dazu aufgefordert hatte, Vermögenswerte von dem Immobilienentwickler zu übernehmen.

    Bislang ist unklar, ob die chinesische Regierung dem angeschlagenen Unternehmen unter die Arme greifen wird. Mittlerweile sind immer mehr Analysten der Ansicht, dass Peking keinen unkontrollierten Kollaps zulassen werde, da dies ein falsches Signal an Zulieferer, Kleinanleger und Mitarbeitern von Evergrande senden würde, denen das Unternehmen Geld schuldet. niw

    • Evergrande
    • Finanzen
    • Schulden

    Standpunkt

    Deutsche Unternehmen befürworten “robustere” Maßnahmen gegenüber China

    Von Jürgen Matthes
    Ökonom Jürgen Matthes vom IW Köln über Konkurrenzdruck aus China
    Ökonom Jürgen Matthes vom IW Köln

    Europas Unternehmen sehen sich einem zunehmenden Konkurrenzdruck aus China ausgesetzt. Schon ein Blick auf die Entwicklung der Anteile am Exportmarkt seit der Jahrtausendwende illustriert Chinas enormen Exporterfolg: Es hat seinen Anteil an den Weltexporten von Waren und Dienstleistungen von rund drei Prozent im Jahr 2000 auf fast elf Prozent im Jahr 2019 immens erhöht, vor allem in der ersten Dekade. Parallel dazu gingen schon in den 2000er-Jahren die Weltexportanteile anderer großer Industriestaaten deutlich zurück.

    Empirische Studien, die sich überwiegend auf die Zeit vor 2010 beziehen, deuten darauf hin, dass sich in dieser Zeit chinesische und deutsche Exporte überwiegend komplementär und nicht substitutiv zueinander verhielten, sich die Konkurrenzintensität durch China aus deutscher Sicht also in engen Grenzen hielt. Mit Blick auf die Zukunft stellt sich aber die Frage, ob China nicht immer stärker in diejenigen Branchen vordringt, in denen die deutsche Wirtschaft ihre Stärken hat. Die Strategie Made in China 2025 setzt sich dies zumindest zum Ziel. In diesem Fall könnten in der laufenden Dekade auch die Weltmarktanteile Deutschlands deutlich stärker als bislang unter Druck geraten.

    Ein Blick auf die Entwicklung der Marktanteile Chinas und Deutschlands an den EU-Importen zwischen 2000 und 2019 belegt in der Tat, dass China mit seinen Exporten immer mehr in diejenigen Branchen vordringt, in denen die deutsche Wirtschaft ihre Stärken hat. Dabei zeigt sich, dass Chinas Anteile auch hier sehr deutlich stiegen, Deutschlands Anteile waren dagegen seit 2005 rückläufig. Bei anspruchsvollen industriellen Produktgruppen, in denen Deutschland stärker spezialisiert ist, ist der Gegensatz noch ausgeprägter als im Warenhandel insgesamt. Zudem haben sich die chinesischen Exporte sehr deutlich in Richtung der anspruchsvollen Industriewaren verschoben.

    Konkurrenzdruck wird immer relevanter

    Vor diesem Hintergrund wurden deutsche Unternehmen aus Industrie und industrienahen Dienstleistungen im Spätherbst 2020 im Rahmen des IW-Zukunftspanels befragt, wie stark sie die Konkurrenz durch China bereits spüren, welche Ursachen sie dahinter vermuten und wie sie einer robusteren Handelspolitik der EU gegenüber China gegenüberstehen. Die Ergebnisse sprechen eine recht deutliche Sprache.

    So wird die Relevanz des Konkurrenzdrucks durch China in den nächsten fünf Jahren von deutschen Industrie-Unternehmen sogar deutlich höher eingeschätzt als die Relevanz des Protektionismus. Ein knappes Drittel der Firmen misst der Konkurrenz durch chinesische Unternehmen einen eher hoher oder sehr hohen Stellwert bei. Bei Firmen, die nach China exportieren, beträgt dieser Anteil sogar über 42 Prozent.

    Zugleich werden chinesische Konkurrenten zwar als leistungsfähig und innovativ eingeschätzt. Doch die Zustimmung zur Relevanz von Wettbewerbsverzerrungen ist noch deutlich größer. So stimmten der Frage, ob Subventionen der chinesischen Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen, rund 71 Prozent der deutschen Firmen zu, die einen sehr hohen Konkurrenzdruck aus China spüren. Nur gut 42 Prozent dieser Unternehmen sehen ihre chinesische Konkurrenz als leistungsfähig und innovativ an.

    Wettbewerbsverzerrung wird deutlich wahrgenommen

    Die befragten Unternehmen messen einer robusteren Handelspolitik gegenüber chinesischen Wettbewerbsverzerrungen in den kommenden Jahren zudem einen hohen Stellenwert bei. Zum Beispiel halten über 60 Prozent der befragten Firmen mit einem hohen Exportanteil ein robusteres Vorgehen gegenüber China für sehr bzw. für eher wichtig. Bemerkenswert ist, dass die Zustimmungsraten auch bei Firmen mit Export nach oder Produktion in China ähnlich hoch oder noch etwas höher sind, obwohl diese Unternehmen vermutlich Gegenmaßnahmen Chinas fürchten müssen.

    Unter Firmen, die einen sehr hohen Konkurrenzdruck durch chinesische Unternehmen verspüren, befürworten sogar mehr als zwei von drei Unternehmen mit Nachdruck eine robustere Politikausrichtung. Sie sind offenbar überzeugt, dass dies nötig ist, um den Wettbewerbsverzerrungen durch chinesische Staatssubventionen entgegenzuwirken, die von diesen Firmen wie aufgezeigt sehr deutlich wahrgenommen werden.

    Das Antwortverhalten der deutschen Unternehmen kann damit als dringender Appell an die europäische und deutsche Wirtschaftspolitik interpretiert werden, Maßnahmen zu ergreifen, um faire Wettbewerbsbedingungen (“level playing field”) zu gewährleisten.

    Dieser Beitrag gehört in den Kontext der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Am Donnerstag, 30.09.2021, diskutieren Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft und Dietmar Baetge, Professor an der TH Wildau, im Rahmen dieses Formats über das Thema “Chinas Konkurrenz für Europas Unternehmen: Fairer Wettbewerb oder unerlaubte Subventionierung?” China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.

    • Export
    • Geopolitik
    • Handel
    • Made in China 2025
    • Subventionen
    • Wettbewerb
    • Wirtschaftspolitik

    Tools

    Das chinesische Datensicherheitsgesetz – mehr Sicherheit oder mehr Herausforderung?

    Von Jiawei Wang

    Um die Einhaltung der neuen Vorschriften zum Umgang mit Daten in China und beim Datentransfer ins Ausland gewährleisten zu können, sollten sich die betroffenen Unternehmen rasch mit dem Datensicherheitsgesetz beschäftigen. Schließlich drohen bei Nichteinhaltung hohe Strafen für Unternehmen; deren Vertreter müssen unter Umständen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.

    Historisch gesehen krönt das DSL eine Handlungsreihe des chinesischen Gesetzgebers in den letzten Jahren. Mit dem Cyber Security Law (CSL) wurden 2017 zum ersten Mal in der Geschichte der Volksrepublik die Weichen für die Anforderungen bei der Behandlung von Daten für Betreiber von kritischer Informationsinfrastruktur (KII) gestellt.  Seitdem spielt die nationale Internet-Informationsbehörde (“Cyberspace Administration of China”, kurz: “CAC”) eine zentrale Rolle bei der Konkretisierung von gesetzlichen Maßnahmen. Mit dem Verordnungsentwurf 2019 ist eine drastische Verschärfung und Ausweitung der Verpflichtung zur Sicherheitsbewertung zu verzeichnen.

    Upgrade der Netzwerk- und Informationssicherheit

    Das neue DSL der chinesischen Gesetzgeber stellt ein systematisches “Upgrade” im Bereich Netzwerk- und Informationssicherheit sowie der Sicherheit von persönlichen Daten dar. Bemerkenswert ist vor allem der geographische Anwendungsbereich. So schreibt § 2 des neuen DSL vor, dass das Gesetz nicht nur für Datenverarbeitungstätigkeiten innerhalb Chinas, sondern auch für Datenverarbeitungstätigkeiten außerhalb Chinas gilt, wenn die nationale Sicherheit oder das öffentliche Interesse Chinas gefährdet sind.

    Die starke Verlinkung mit dem CSL ist beim neuen DSL nicht zu übersehen. Demzufolge gelten weiterhin die Bestimmung der CSL für das Sicherheitsmanagement beim Export von Daten, die von den Betreibern kritischer Informationsinfrastrukturen innerhalb des chinesischen Territoriums gesammelt oder produziert werden. Als Neuerung ist ein einheitliches Verfahren in Bezug auf die Sicherheitsüberprüfung, das sogenannte Security Assessment, in § 24 DSL geschaffen worden. Allerdings sind Anwendungsbereich und verfahrenstechnische Details derzeit noch unklar. Ferner gilt der Zusammenhang zwischen der Datensicherheitsprüfung und der Cybersicherheitsprüfung auch noch zu klären.

    Zu beachten sind die – durchaus drastischen – Strafen bei festgestellten Verstößen. Zu den rechtlichen Folgen gehören zivilrechtliche Haftungen, Verwaltungsstrafen (z.B. Geldbußen und Entzug der Geschäftslizenz) sowie strafrechtliche Haftungen.

    Parallel zum DSL gilt ein weiteres neues Gesetz als zentrales Element im Bereich der Datensicherheit: Das Gesetz zum Schutz persönlicher Daten, das am 1. November 2021 in Kraft treten wird. Datenverarbeiter von persönlichen Daten müssen unterschiedlichen Compliance-Verpflichtungen nachkommen. Ähnlich wie das DSL ist das Gesetz zum Schutz persönlicher Daten auch extraterritorial anwendbar. Dieses Regelwerk ist in vielfacher Hinsicht mit der General Data Protection Regulation GDPR der Europäischen Union vergleichbar; allerdings deutlich strenger in Bezug auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit.

    Automobilbranche im Fokus

    Bemerkenswert ist auch die Gesetzgebung in einzelnen Industriebranchen: Die vorläufigen Regelungen für das Management der Datensicherheit in der Automobilindustrie werden am 1. Oktober 2021 in Kraft treten. Diese Regelungen betreffen sogenannte Automobil-Datenverarbeiter, also Automobilhersteller, Teile- und Softwarelieferanten, Händler, Reparaturbetriebe sowie Fahrdienstleister. Die Automobil-Datenverarbeiter müssen sich an die Bestimmungen dieser Regelungen halten, wenn sie persönliche Daten und wichtige Daten verarbeiten, die mit dem Design, der Herstellung, dem Verkauf, der Nutzung, dem Betrieb oder der Wartung von Fahrzeugen zusammenhängen. Automobil-Datenverarbeiter müssen den zuständigen Behörden jährlich über das “Management der Datensicherheit” berichten.

    Es bleibt abzuwarten, wie die neuen Gesetze und Regelungen in der Praxis umgesetzt werden. Es ist jedoch abzusehen, dass zahlreiche Ergänzungen im Bereich des Datenschutzes eingeführt werden. Dieser Trend lässt sich bereits im Bereich der Cybersicherheit beobachten. Nach der Verabschiedung des Cybersicherheitsgesetzes wurden zahlreiche Regelungen und nationale Standards erlassen. Die zuständige Behörde CAC setzt das Gesetz aktiv durch.

    Ein typisches Beispiel war die Einleitung der Cybersicherheitsprüfung beim chinesischen Fahrdienstvermittler Didi Anfang Juli 2021 (China.Table berichtete). Kurz nach dessen Börsengang in New York veröffentlichte die CAC einen Entwurf zur Überarbeitung der Regelung zur Cybersicherheitsprüfung. Demnach unterliegt nun auch ein ausländischer Börsengang der Cybersicherheitsprüfung, wenn das Unternehmen Daten von mehr als einer Million Nutzern speichert. Ausländische Börsengänge chinesischer Unternehmen könnten somit in Zukunft sicherlich erschwert werden.

    Ausblick und Fazit

    Die Verschärfungen der Datenschutzgesetzgebung in China wird für Unternehmen mit China-Bezug eine Herausforderung für ihre Compliance-Regelungen darstellen. Aufgrund höherer gesetzlicher Anforderungen sind börsennotierte Unternehmen in China – einschließlich deren ausländischer Tochtergesellschaften – stark betroffen. Um Compliance-Risiken zu reduzieren, müssen deutsche Unternehmen, die mit Tochtergesellschaften in China vertreten sind, ebenfalls umfassend vorbereitet sein. Im Falle eines Verstoßes drohen nicht nur Strafen wie Geldbuße, sondern auch Beeinträchtigungen der Geschäftstätigkeiten. Insbesondere ist darauf zu achten, ob das Unternehmen oder dessen Geschäftspartner als “Betreiber kritischer Informationsinfrastrukturen” eingestuft wird und ob das Unternehmen “wichtige Daten” verarbeitet. Interne betriebliche Regeln sollten entsprechend zügig den neuen Bestimmungen zum Datenschutz angepasst werden.

    Quo vadis: Mit DSL ist in China der gesetzliche Anker im Bereich Datenschutz gesetzt worden. Sicher werden in den kommenden Jahren weitere Konkretisierung der Durchführungsmaßnahmen folgen. Sicher ist auch das Ziel des Gesetzgebers: maximale Sicherheit für Daten mit China-Bezug. Nicht sicher ist hingegen, wie weit die Verschärfungen noch gehen werden. Wirtschaft und Unternehmen stehen diesbezüglich sicherlich noch vor weiteren Herausforderungen bei ihren Aktivitäten in China.

    Jiawei Wang LL.M. ist Legal Counsel bei Rödl & Partner in Stuttgart und dort für den Bereich China Desk verantwortlich. Er hat Rechtswissenschaften in Shanghai und Heidelberg studiert und ist in der Volksrepublik China als Lü Shi (Anwalt chin. Rechts) zugelassen. Wang vertritt unter anderem deutsche Industrieunternehmen bei Vertragsverhandlungen und bei Rechtsstreitigkeiten mit chinesischen Geschäftspartnern. Ferner ist er darauf spezialisiert, Unternehmen und Geschäftsführer umfassend bei Fragen zum chinesischen Arbeitsrecht sowie in den Bereichen Company Compliance und White-Collar Crime zu beraten.

    • Cybersicherheit
    • Daten
    • Internet
    • Technologie

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen