Table.Briefing: China

Grenzen bleiben dicht + Wie fest sitzt Xi im Sattel?

  • Brüssels Pläne gegen Wirtschaftserpressung
  • Die Fraktionen innerhalb der KP
  • Grenzen bleiben weiter dicht
  • EU kritisiert Ende von Apple Daily
  • China sieht Wissenschaft positiver als Deutschland
  • Börsengänge von Xpeng und Dingdong
  • Nationales Datenzentrum für Senegal
  • Im Standpunkt: E-Yuan als Gamechanger
Liebe Leserin, lieber Leser,

wundert es eigentlich noch irgend jemanden, dass es die Volksrepublik China ist, die im globalen Wettlauf um die Entwicklung einer elektronischen Währung an der Spitze liegt? Die Regierung schafft den regulatorischen Rahmen, damit die smarten Köpfe des Landes ausreichend Spaß daran haben, immer neue Ideen auszuspucken. Und sie stellt ausreichend Geld zur Verfügung, damit diese Ideen nicht im Sande verlaufen. Der elektronische Yuan soll bei den Olympischen Winterspielen 2022 bereits als Zahlungsmittel genutzt werden.

Darum wurde es höchste Zeit, dass auch Europa begonnen hat, sich intensiver mit einem digitalen Euro zu beschäftigen, schreibt unser Gast-Kommentator Nils Beier. Dennoch ist Europa gut beraten, nicht in Hektik zu verfallen, sondern die regulatorischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Grundrechte und Privatspähre der Bürger:innen bewahrt bleiben. Nicht unbedingt eine Stärke der chinesischen Regierung. Deswegen gilt es genau hier, die Stärken von liberalen Gesellschaften auszuspielen.

Das gilt wohl gleichermaßen für den Umgang mit chinesischem Bedrohungspotenzial, das die Europäer – endlich, möchte ich sagen – erkannt haben und auch offen formulieren. “China ist gewillt, wirtschaftliche Strafen anzuwenden, um die EU-Politik zu ändern”, lautet das Urteil im Bericht des European Council on Foreign Relations, den unsere EU-Expertin Amelie Richter angeschaut hat.

Verblüffend Neues mit China-Bezug hört man übrigens aus dem Senegal, und zum wiederholten Male Trauriges aus Hongkong. Aber lesen Sie selbst.

Einen guten Start in den Tag wünscht Ihnen

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

Brüssels Plan gegen Wirtschaftserpressung nimmt Gestalt an

Wer das größte Bedrohungspotenzial hat, wird gleich auf den ersten Seiten deutlich: “China ist gewillt, wirtschaftliche Strafen anzuwenden, um die EU-Politik zu ändern”, schreiben die Autoren des European Council on Foreign Relations (ECFR) in ihrem Bericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Auch Russland, die Türkei und die USA setzten ökonomischen Druck ein – je stärker China werde, desto “wahrscheinlicher und folgenreicher” werde auch der chinesische Wirtschaftszwang.

Brüssel will sich gegen politisch motivierte Strafzölle, Boykotte oder Sanktionen schützen. Die Kommission plant deshalb die Einführung eines entsprechenden Anti-Zwangs-Instruments (kurz ACI von “anti-coercion instrument”). In dem ECFR-Papier werden nun Vorschläge gemacht, was das Instrument umfassen könnte und was bei der Anwendung zu beachten ist. Unterstützung bekam die ECFR-Taskforce von europäischen Wirtschaftsvertreter:innen, Parlamentarier:innen und Spitzenbeamten aus Deutschland, Frankreich, Niederlande, Spanien, Schweden und Tschechien.

Die Taskforce – die direkt bei der EU-Handelsdirektion Gehör findet – empfiehlt unter anderem die Einrichtung eines “EU Resilience Office“: Die neue EU-Behörde könnte einen Überblick über mögliche wirtschaftliche Nötigungsversuche von Drittländern behalten und diese bewerten, bevor überhaupt Schritte eingeleitet werden. “Während der Bewertung sollte sich die EU eng mit den Regierungen der Mitgliedstaaten absprechen, um festzustellen, ob das Zurückhalten einer bestimmten Ware oder Dienstleistung von dem Zwang ausübenden Drittland die effektivste Reaktion oder zumindest ein Teil davon wäre”, so die Experten:innen.

Neue EU-Behörde und Gegenmaßnahmen

Wenn klar sei, dass ein Fall der wirtschaftlichen Nötigung vorliege, seien Gegenmaßnahmen eine mögliche Option: Diese könnten Handels- und Investitionsbeschränkungen, Ausfuhrkontrollen sowie Beschränkungen beim Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmärkten der EU oder einen Ausschluss aus EU-Programmen beinhalten. Die Autoren merken jedoch an: Europa könne “ein Land wie China” mit der bloßen Androhungen von Strafzöllen oder Handelsbeschränkungen kaum beeindrucken. Deshalb müsse die EU darüber nachdenken, mit dem ACI gezielt auch Gegenmaßnahmen abzudecken, die “die wichtigsten strategischen sowie kurzfristigen konkreten Interessen” eines Drittlandes in einem bestimmten Sektor treffen könnten. Ein wichtiger Hebel für die EU könne beispielsweise die Eindämmung von Technologietransfers oder die Zurückhalten von Daten sein.

Auch hier schmälern die Autoren aber den derzeit potenziellen Effekt: Andere Akteure nehmen ihr aktuell kaum ab, dass sie tatsächlich konsequent handelt. Der EU fehle es zurzeit schlicht an Glaubwürdigkeit, urteilt der Bericht. Denn teilweise liegen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten und nicht in Brüssel. Der EU gelinge es kaum, eine “Koalition der Willigen” aufzubauen, um Gegenmaßnahmen im großen Stil durchzusetzen. Kurz: Bisher fehlte es ihr an Biss. Die USA und China haben europäische Drohversuche jedenfalls bisher nicht ernst genommen.

Die ECFR-Experten warnen aber auch vor einem zu forschen Vorgehen: Der angedachte Mechanismus sei mit “erheblichen Risiken verbunden”. Es bestehe die Gefahr, dass das neue Instrument letztendlich mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Die Experten warnen vor “erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf den europäischen Handel und die Unternehmen”, sollte die EU zu harschen Gegenmaßnahmen greifen. Es drohten Wie-du-mir-so-ich-dir-Szenarien. “China könnte den Zugang zu seinem Markt für wichtige europäische Exporte weiter als Waffe einsetzen”, so die Experten. Die USA könnten damit drohen, die nachrichtendienstliche Unterstützung in Bereichen einzustellen, in denen es den Europäern an Kapazitäten mangelt.

Das Ziel: Das Instrument kommt nicht zum Einsatz

Um das zu vermeiden, empfiehlt die Taskforce zwei Dinge: Zum Einen, die Stärkung des EU-Binnenmarkts und der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, um so die Abhängigkeit Europas zu verringern und Engpässen vorzubeugen, die Drittländer ausnutzen könnten. Zum Anderen soll zur Risikominimierung das ACI primär einen defensiven Charakter haben – der Mechanismus soll keine Waffe werden, mit dem die EU einen Wirtschaftskrieg beginnen kann. Abschreckung statt Angriff. Das ACI solle Wirtschaftskonflikte “entpolitisieren”, betont die ECFR-Taskforce. Der Mechanismus soll als “letztes Mittel” eingesetzt werden und wirksame Hebel zur Deeskalation bereithalten.

Die Europäische Kommission misst der Arbeit der Taskforce große Bedeutung bei: Das ACI sei dringend nötig, sagte die Leiterin der einflussreichen Generaldirektion für Handel, Sabine Weyand, bei der Vorstellung des Berichts. Der Gesetzesvorschlag der Brüsseler Behörde werde für Winter erwartet. Derzeit gehe es um das “Finetuning”. Dabei werde die Möglichkeit bei der Beschränkung von Zugang zu intellektuellen Eigentum untersucht. Gegenüber Exportkontrollen im Rahmen des ACI sei sie eher skeptisch eingestellt, sagte Weyand.

“Die EU wird nicht aus der Hüfte schießen”, so die Generaldirektorin. Sie betonte vor allem den Abschreckungscharakter des geplanten Instruments. Dieses sei mehr eine Reaktion darauf, “wo sich andere bereits befinden”. Die EU könne nicht zusehen, wie andere den Handel als Waffe einsetzen. Sei das ACI genügend abschreckend, müsse es bestenfalls nie benutzt werden, so Weyand. Auch auf komplexe Fragen müssten noch Antworten gefunden werden, so Weyand. Zum Beispiel: Was passiert, wenn sich ein Unternehmen wegen Vorgaben der nachhaltigen Lieferkette aus einer Region mit Zwangsarbeit zurückzieht und daraufhin Ziel von Sanktionen wird? “Muss das Unternehmen dann entschädigt werden? An diesen Punkten arbeiten wir noch”, sagt Weyand.

Zuspruch für die Ausrichtung des geplanten Mechanismus gibt es auch aus der deutschen Wirtschaft, zum Beispiel dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). “Nach Meinung des VDMA muss bei den geplanten Instrumenten das Prinzip Abwehr durch Abschreckung die generelle Leitlinie sein, kombiniert mit dem Schutz der betroffenen Unternehmen”, teilte der Leiter für Außenwirtschaft, Ulrich Ackermann, mit.

  • China-Sanktionen
  • ECFR
  • EU
  • EU-Binnenmarkt
  • Handel
  • VDMA

Das Ende der Einigkeit in der KP

Nachdem Chinas Premierminister Li Keqiang im vergangenen Jahr arbeitslose Landsleute dazu aufgerufen hatte, als Straßenverkäufer ihren Lebensunterhalt zu sichern, dauerte es nur wenige Tage, bis die Staatsmedien ihre anfängliche Unterstützung für diese Idee aufgaben. Warum, weshalb? Man weiß es nicht, man kann es nur vermuten. Li gilt im Politbüro der Kommunistischen Partei als Gegenspieler von Staatspräsident Xi Jinping. Der hatte kurz zuvor verkündet, die Volksrepublik befinde sich auf dem besten Weg, das Ziel einer “moderat wohlhabenden Gesellschaft” mit nunmehr 400 Millionen Bürger:innen der Mittelklasse zu erreichen. Li dagegen erinnerte daran, dass 600 Millionen Chinesen:innen mit einem monatlichen Einkommen von 140 US-Dollar auskommen müssen (China.Table berichtete).

100 Jahre Kommunistische Partei Chinas

Beide Aussagen würden in demokratischen Parteien Debatten darüber auslösen, von welcher Seite das Pferd aufgezäumt werden muss, um bessere Politik machen zu können. Nicht so in der Kommunistischen Partei Chinas. Als Lis Ansatz in der Öffentlichkeit abgewürgt wurde, war klar, dass dies nicht ohne ausdrückliche Zustimmung mächtigerer Strömungen in der Kommunistischen Partei geschehen konnte. Als Premierminister ist Li nominell die Nummer zwei im engsten Machtzirkel der Partei. Sprach also Xi ein Machtwort?

Die Vermutung liegt schon deshalb nah, weil beide Politiker aus unterschiedlichen Fraktionen stammen, die sich seit dem Tod Mao Zedongs die Kontrolle über Staat und Partei teilen. Li ist Emporkömmling aus der Tuanpai, die Jugend-Organisation der Partei, die als bewährter Aufstiegspfad besonders für Mitglieder sozial schwächerer Schichten gilt. Xi dagegen hat seine Wurzeln in der einflussreichen Elite des Landes, bestehend vor allem aus den Repräsentanten von Geschäftsinteressen der Küstenprovinzen mit Shanghai als Zentrum. Einige ihrer Vertreter gehören zu den sogenannten Prinzlingen, die Nachfahren der ersten Generation hoher Parteikader. So wie Xi.

“Das Innenleben des Machtzentrums bleibt eine Blackbox”

Das Netzwerk der Politiker bildet die Basis für ihren Aufstieg im Parteiapparat. “Sicherlich ist es möglich, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fraktion die Karriereleiter in der Kommunistischen Partei hochzuklettern. Aber um ganz nach oben zu gelangen, dürfte es ohne die Hilfe dieser Gruppen nicht ausreichen“, sagt Marc-Oliver Rieger, China-Forscher und Leiter des Konfuzius-Instituts an der Universität Trier. Doch Rieger gibt auch zu, dass der Blick von außen nicht ausreicht, um wirklich verstehen zu können, was innerhalb der Partei konkret vor sich geht. Wer mit wem? Wer gegen wen? Und warum? “Das Innenleben des Machtzentrums bleibt eine Blackbox für uns. Da bleibt uns oft nichts übrig außer Kaffeesatzleserei”, sagt Rieger.

Eine simple Kategorisierung in nur zwei Fraktionen greift deshalb auch zu kurz. Je nachdem wie man sortiert, lassen sich einzelne Akteure in verschiedenen Blöcken unterbringen. Xi Jinping ist es jedoch gelungen, die beiden klassischen Lager in den Hintergrund zu drängen und stattdessen eine Art ganz eigener Fraktion aufzubauen, die man als Xi-Fraktion bezeichnen könnte. Der Parteichef hat dank einer politischen Säuberung, die in der Öffentlichkeit als Anti-Korruptionskampagne verkauft wird, Gegenspieler aus beiden Lagern matt gesetzt und damit auch beide Gruppen geschwächt.

Im siebenköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros ist Li Keqiang einer von zwei verbliebenen Tuanpai. Rivalen in den eigenen Reihen, wie den früheren Sicherheitschef Zhou Yongkang aus der Shanghai-Clique, oder den charismatischen Prinzling Bo Xilai, hat Xi verhaften lassen. Auch führende Köpfe des Militärs fielen der Kampagne zum Opfer. “Xi hat sich die Basis geschaffen, um das Politbüro mit zwei Dritteln seiner Gefolgsleute besetzen zu können. Seine Position scheint deswegen zurzeit sehr stabil zu sein“, sagt Forscher Rieger.

Bester Beleg dafür ist die Entscheidung des Nationalen Volkskongresses von 2018, als dieser per Verfassungsänderung die Begrenzung der Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten aufhob und damit den Weg freimachte für einen möglichen Staatschef Xi bis 2040 und länger. Das Parlament hatte keine Wahl, die Verfassungsänderung abzulehnen, weil es in einer Diktatur wie der chinesischen den Willen der Bosse abnicken muss, statt Widerstände zu formieren.

Ein Mittelfinger als Signal?

Doch weil die Stabilität autoritärer Systeme vornehmlich auf gegenseitigem Misstrauen aufbaut, lauern auch für den starken Mann in China jede Menge Gefahren. Fehltritte kann sich selbst Xi nicht allzu viele leisten, weil seine heutigen Unterstützer schon morgen seine Schwäche zu ihren Gunsten nutzen könnten. Selbst Mao Zedong, der die Volksrepublik mit eiserner Hand führte, wurde nach dem verpatzten Großen Sprung nach vorn Anfang der 1960er-Jahre von seinen Mitstreitern ausgebootet, ehe er mit dem Lostreten der Kulturrevolution die Macht wieder an sich riss.

Nicht einmal ausgeschlossen ist, dass sich fraktionsübergreifend liberale Köpfe verbünden, weil sie den Kurs des Parteichefs für falsch halten. Chinas Auftreten in der Welt hat den Rahmen des Selbstbewusstseins längst verlassen. Stattdessen wirken chinesische Diplomaten oftmals aggressiv und überheblich. Sie können sich der Unterstützung Pekings zuzeit sicher sein. Ob der zunehmend konfrontative Ton der richtige Weg ist, um Chinas Stellung in der Welt als respektierte Supermacht zu erreichen, davon ist nicht jeder Kader überzeugt. Xi macht kein Geheimnis daraus, dass er um Kräfte in der Partei weiß, die ihm die Macht abnehmen wollen. In der Öffentlichkeit aber wird der Machtkampf als Angriff auf die Sicherheit von Land und Leuten dargestellt.

Doch wo die Gefahr für Xi am ehesten lauert, ist kaum auszumachen. Dass sich der Parteichef nicht nur Freunde gemacht hat, liegt dagegen auf der Hand. Die Machtverteilung ist ein Nullsummenspiel. Je mehr Xi davon an sich reißt, desto mehr müssen andere davon abgeben. Im Lager der Tuanpai beispielsweise dürfte sich die Begeisterung über eine lebenslange Amtszeit von Xi in Grenzen halten, weil es für die Jugendliga bedeutet, bis auf Weiteres auf den Chefsessel verzichten zu müssen. War es also Zufall, dass Premierminister Li bei der Abstimmung zum Nationalen Sicherheitsgesetz für Hongkong im Nationalen Volkskongress 2020 per Knopfdruck mit dem Mittelfinger zustimmte? Oder wollte er seinen Unmut darüber signalisieren? “Um diese Geste spinnen sich ganze Theorien”, sagt Rieger, “denn auch in China werden die Differenzen der Lager wahrgenommen. Aber es zeigt eben auch, wieviel Interpretationsaufwand nötig ist, wenn man die Verhältnisse verstehen möchte.”

  • 100 Jahre KP Chinas
  • Konfuzius-Institute
  • KP Chinas
  • Li Keqiang
  • Mao Zedong
  • Xi Jinping

Grenzen bleiben weiter dicht

In China nimmt das Impftempo weiter Fahrt auf. Über das Wochenende sei die Marke von einer Milliarde vergebener Impfdosen geknackt worden, verkündete die Pekinger Gesundheitskommission (China.Table berichtete). Allein in der vergangenen Woche seien landesweit weitere 100 Millionen Impfungen erfolgt. Bis Ende des Jahres soll eine Impfquote von mindestens 70 Prozent erreicht sein, versprach Zeng Yixin, stellvertretender Leiter der Gesundheitskommission, am Sonntag. 

Die Zahlen mögen auf den ersten Blick beeindrucken. An einem großen Dilemma, in dem auch viele deutsche Firmen derzeit stecken, die mit China Geschäfte machen, ändern sie jedoch nichts. Anders als in den USA und in Europa, wo auf eine höhere Impfrate die Einsicht folgte, dass auch Auslandsreisen wieder erleichtert werden sollten und Grenzen geöffnet werden müssen, hält sich China mit Ankündigungen in dieser Hinsicht weiterhin zurück. 

Seit fast eineinhalb Jahren sind Reisen in die Volksrepublik mit enormen Schwierigkeiten verbunden. Über Monate ging im vergangenen Jahr sogar überhaupt nichts mehr, als China entschied, sämtliche Ausländer – auch jene mit einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung – die Einreise zu verweigern.

Mittlerweile werden zwar wieder einige Visa vergeben. Doch erfolgreiche Anträge bleiben noch immer eher die Ausnahme. Selbst, wer die bürokratischen Hürden genommen hat, steht schon vor dem nächsten Problem: In China gelten die härtesten Quarantäneregeln der Welt. Wer einreist, muss sich ausnahmslos für mindestens zwei Wochen in Hotelquarantäne begeben.

Fast sämtliche Städte und Provinzen, darunter auch Peking, verlangen von Reisenden, dass sie eine Quarantäne von drei Wochen absolvieren. Zwei Wochen in einem Hotel, das in der Regel nicht selbst gebucht werden kann, sondern zugewiesen wird, die letzte Woche unter Umständen zuhause, wenn man denn über einen Wohnsitz verfügt. 

Talente gehen verloren

Ausländische Firmen werden vor dem Hintergrund der strikten Regeln zunehmend unruhig. Mitarbeiter, die in China leben, konnten zum Teil seit Beginn der Pandemie nicht mehr in ihre Heimatländer reisen. Schwieriger als früher ist es auch, neue Mitarbeiter zu finden, die in China arbeiten und die Strapazen und Unsicherheiten bei der Einreise über sich ergehen lassen wollen. 

China riskiere, “viele ausländische Talente zu verlieren”, kritisiert so auch die europäische Handelskammer in ihrer jüngsten Mitgliederbefragung. Die Corona-Einreisebeschränkungen stünden ganz oben auf der Liste der größten Probleme ihrer Mitglieder. Drei Viertel der in China tätigen europäischen Unternehmen gaben an, dass sie noch immer Mitarbeiter haben, die im Ausland gestrandet sind und nicht nach China zurückkehren können. Darunter befänden sich auch viele, die lange in China gelebt hätten und “über fundierte Kenntnisse verfügen”.

Es sei “extrem schwierig”, ausländisches Know-how zu ersetzen und “fast unmöglich”, neues ausländisches Personal nach China zu bringen. “Während einige Mitarbeiter immer noch versuchen, zurückzukehren, haben viele einfach aufgegeben und sind weitergezogen”, heißt es in dem Bericht. Es bestehe die Sorge, dass sich Chinas ausländischer Talentpool “möglicherweise nie mehr vollständig erholt“. Praktisch unmöglich sei es zudem, Mitarbeiter für kurze Aufenthalte, etwa Fachkräfte für die Wartung von Anlagen, ins Land zu bekommen. 

Der deutschen Außenhandelskammer (AHK) in China ist es immerhin gelungen, zwischen der dritten Juliwoche und Anfang September weitere Charterflüge von Frankfurt in die ostchinesische Hafenstadt Qingdao zu organisieren, wie sie am Dienstag auf WeChat ankündigte. Damit deutsche Wirtschaftsvertreter und deren Angehörige ihren Sommerurlaub in Deutschland verbringen und unbürokratisch nach China zurückkehren können, gehört zu dem Service der AHK auch den speziellen Brief zu besorgen, den die chinesischen Behörden fürs Quarantäne-Management Verlagen sowie Hilfe für das ebenfalls obligatorische Einladungsschreiben. Bereits im vergangenen Jahr hatte die AHK rund 2.800 Deutsche auf diese Weise zurück nach China gebracht. Der Startpreis für dieses Paket liegt allerdings bei 2.500 Euro für einen Economy Sitzplatz. In normalen Zeiten finden sich Flüge von Peking nach Europa für unter 800 Euro.

“Mehr als ein Jahr nachdem die Grenze für alle außer einem Rinnsal von Rückkehrern geschlossen wurde, ist der europäischen Geschäftswelt in China nicht klar, warum keine effizienteren Lösungen umgesetzt werden können, die allen Ausländern die Rückkehr ermöglichen”, kritisiert die europäische Handelskammer. Die Gesundheitsbehörden sollten klare Kriterien festlegen, unter denen ausländische Arbeitnehmer nach China zurückkehren können.

Doch bisher hält sich Peking bedeckt, wann es seine Grenzen wieder öffnen will. “Masken und Quarantäne sind die neue Normalität”, ist von einem chinesischen Diplomaten in Peking zu hören, was nicht gerade nach einer schnellen Öffnung klingt. Und das Wall Street Journal zitiert einen hohen Beamten, der meint, dass China diese Restriktionen mindestens noch ein weiteres Jahr beibehalten werden. Die Volksrepublik setzte während der Pandemie erfolgreich auf eine Null-Covid-Strategie. “Das Problem für China besteht darin, dass der Großteil der Welt einen anderen Ansatz gewählt hat”, schrieb der Hongkonger Arzt Nicholas Thomas kürzlich in einem Gastbeitrag für die South China Morning PostNun stehe Peking vor der schweren Entscheidung, seine Grenzen nicht nur wieder für Menschen zu öffnen, sondern damit auch für das Virus.

Zweifel an Wirksamkeit des Impfstoffs

Wenn viele Menschen geimpft sind, dürfte dieses zwar weit weniger tödlich sein. Dennoch scheint es für Peking derzeit noch zu viele Unwägbarkeiten zu geben, um eine Entspannung der Reisebeschränkungen zu riskieren. Nicht zuletzt dürfte es dabei auch um die Frage gehen, wie wirksam die in China eingesetzten Wirkstoffe gegen neue Varianten des Virus sind. Für Unruhe sorgte vor diesem Hintergrund in der vergangenen Woche eine Meldung aus Indonesien: Mehr als 350 Pflegekräfte infizierten sich dort mit Corona und mussten zum Teil ins Krankenhaus, obwohl sie mit dem chinesischen Impfstoff Sinovac geimpft waren. 

Auch in Hongkong schnitt der Impfstoff in einer Studie deutlich schlechter ab als das Präparat von Biontech, das für eine “signifikant höhere” Zahl von Antikörpern sorge. Nun wird diskutiert, ob jeder Empfänger des Impfstoffes künftig drei statt zwei Dosen erhalten soll. Muss China auch bei seinen anderen Impfstoffen nachbessern, würde das die Impfkampagne weiter hinauszögern – und damit wohl auch die Öffnung der Grenzen. Frank Sieren/Gregor Koppenburg/Joern Petring 

  • Corona-Impfstoffe
  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Pharma
  • Reisebranche

News

Apple Daily schließt – EU übt scharfe Kritik

Hongkong verliert eine weitere oppositionelle Stimme. Die Tageszeitung Apple Daily stellt 26 Jahre nach ihrer Gründung am heutigen Donnerstag ihre Produktion ein. Auch das Online-Angebot des Boulevardblatts, das sich kritisch zum wachsenden Einfluss der Kommunistischen Partei in der Metropole positioniert hatte, ist von dem Aus betroffen. Die Muttergesellschaft Next Digital zieht damit die Konsequenzen aus einem beispiellosen Schlag der Behörden gegen die Pressefreiheit in Hongkong (mehr im China.Table). Das Sicherheitsbüro hat rund 2,3 Millionen US-Dollar des operativen Budgets der Apple Daily eingefroren und sie damit an den Rand der Handlungsunfähigkeit gedrängt.

Gleichzeitig gehen die Behörden rigoros gegen das Personal der Zeitung vor. Am Mittwochvormittag hatte die Polizei einen weiteren Kolumnisten auf Grundlage des Sicherheitsgesetzes festgenommen (China.Table berichtete). Gegen ihn sowie fünf bereits in der Vorwoche inhaftierte Journalist:innen und Mitglieder der Geschäftsführung ermitteln die Behörden wegen des Vorwurfs der Verschwörung mit ausländischen Kräften. Die Journalist:innen hatten in mehreren Texten der vergangenen Monate unter anderem zu ausländischen Sanktionen gegen die Stadt aufgerufen. Das Sicherheitsgesetz, das Hongkong im vergangenen Jahr durch die chinesische Regierung auferlegt wurde, stellt solche Aufrufe unter Strafe. Auch Zeitungsgründer Jimmy Lai war bereits im April zu einer 14-monatigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er an nicht genehmigten Massenprotesten teilgenommen hatte.

Apple Daily und das Sicherheitsgesetz

Die Europäische Union warf den Hongkonger Behörden in einer Stellungnahme vor, das Nationale Sicherheitsgesetz vorzuschieben, “um Pressefreiheit und Meinungsfreiheit zu unterdrücken”. Die EU erinnerte daran, dass sich die Volksrepublik China 1984 in ihrer gemeinsamen Erklärung mit den damaligen britischen Kolonialherren dazu verpflichtet hatte, die Bürgerrechte zu respektieren. Sie warnte vor einem Bedeutungsverlust Hongkongs als internationaler Wirtschaftsstandort. “Ihre Schließung (der Apple Daily) untergräbt schwerwiegend die Freiheit und den Pluralismus der Medien, die für jede offene und freie Gesellschaft unerlässlich sind.”

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam streitet solche Vorwürfe kategorisch ab. “Ich fürchte, all solche Anschuldigungen, die von der US-Regierung in Umlauf gebracht werden, sind falsch”, hatte Lam am Dienstag bei einer Pressekonferenz gesagt. Das Sicherheitsgesetz habe eine Grundlage geschaffen, die “alle wichtigen Rechtskonzepte in jedem Bereich der Gesetzgebung” integriere. Grundsätzliche herrsche die Unschuldsvermutung, aber “Journalist:innen sollten in der Lage sein, beurteilen zu können, ob man das Gesetz bricht oder nicht”, so Lam. Rechtsexpert:innen aus den USA und Europa allerdings beklagen, die fehlende Präzision des Sicherheitsgesetzes. Es würde den Behörden helfen, jegliches unerwünschtes Verhalten von Hongkonger Bürgern willkürlich unter Strafe zu stellen.

Der ins Exil geflohene Hongkonger Ex-Parlamentarier Nathan Law erinnerte auf Twitter daran, dass es sich bei Next Digital um ein börsennotiertes Unternehmen handelt, das binnen weniger Tage von der Regierung ausgeschaltet wurde: “Durch die Verhaftung von Führungskräften, Journalisten und das Einfrieren des Kapitals können die Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht bezahlen, und die Mitarbeiter haben Angst verhaftet zu werden. Das Blatt mit einer Geschichte von 26 Jahren ist weg. Den Unternehmen und den Festgenommenen standen bisher nicht einmal vor Gericht.”

Die Apple Daily wurde 1995 von Verleger Jimmy Lai gegründet. Die Zeitung erwarb sich schnell den Ruf eines Boulevardblatts mit vergleichsweise simpler Sprache und erschien online auch in englischer Fassung. Zum Service gehörten auch ein Portal für Finanznachrichten und eine tägliche Nachrichtensendung. Durch die Schließung gehen viele Arbeitsplätze verloren. Eine karikative Einrichtung von Apple Daily zur medizinischen Unterstützung sozial Schwacher stellt ebenfalls den Betrieb ein. Von der heutigen letzten Ausgabe wurden eine Million Exemplare gedruckt. grz

  • Apple Daily
  • Carrie Lam
  • Gesellschaft
  • Hongkong
  • Menschenrechte
  • Pressefreiheit
  • Unschuldsvermutung

Große Offenheit für Wissenschaft und Technik

China ist wissenschaftsfreundlicher als Deutschland, wie eine internationale Umfrage des Chemiekonzerns 3M zeigt. In China gaben 97 Prozent der Befragten an, dass Wissenschaft und Technik “Hoffnung auf eine bessere Zukunft eröffnet”. In Deutschland waren es nur 82 Prozent. 3M lässt regelmäßig in mehreren Ländern die Haltung zur Wissenschaft abfragen. Pro Land werden dabei 1.000 Erwachsene interviewt. Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied zwischen China und Deutschland zeigte sich bei der Einschätzung des Umweltschutzes im jeweils eigenen Land: Während 91 Prozent der chinesischen Befragten ihr Land auf dem richtigen Weg zu nachhaltigerem Wirtschaften sehen, sind es in Deutschland nur 55 Prozent. fin

  • Deutschland
  • Technologie
  • Wissenschaft

Xpeng und Dingdong: Konjunktur für Börsengänge in Hongkong

Chinas Unternehmen wagen sich nach dem Schock um den abgesagten Börsengang von Ant Financial (China.Table berichtete) wieder an den Hongkonger Markt. Derzeit bereitet der Elektroautohersteller Xpeng aus Guangzhou seine Erstnotiz vor. Er wird bereits in New York gehandelt, will aber in Hongkong nochmals zwei Milliarden US-Dollar einnehmen, wie Bloomberg berichtet. Der Börsengang soll noch in diesem Jahr über die Bühne gehen.

Der Lebensmittel-Bringdienst Dingdong Maicai aus Shanghai will ebenfalls noch in diesem Jahr Aktien in Hongkong ausgeben. Das Unternehmen hofft, dabei 350 Millionen US-Dollar zu erlösen. Auf alle Anteilsscheine hochgerechnet ergibt sich daraus eine Bewertung von sechs Milliarden Dollar. Für ein so junges Unternehmen ist das eine stattliche Summe, aber Lieferdienste stehen wegen Corona hoch im Kurs. fin

  • Börse
  • Finanzen
  • IPO
  • Xpeng

Senegal baut Rechenzentrum mit chinesischer Unterstützung

Senegal richtet mit chinesischer Unterstützung ein nationales Rechenzentrum ein, das künftig auch Regierungsdaten speichern soll. Die bisher auf ausländischen Servern gesicherten Daten sollen dafür alle auf die neuen nationalen Server übertragen werden, sagte Senegals Präsident Macky Sall einem Bericht von Reuters zufolge. Der westafrikanische Staat wolle damit seine digitale Souveränität stärken, so Sall.

Das mit einem chinesischen Darlehen finanzierte und mit Ausrüstung und technischem Support von Huawei gebaute Rechenzentrum wird demnach über ein Unterseekabel an das globale Netz sowie das landeseigene 6.000 Kilometer lange Glasfasernetz angeschlossen sein. Auch staatliche Firmen wie Senelec, das nationale Elektrizitätsunternehmen, werden ihre Daten zusammen mit Regierungsbehörden in das Zentrum übertragen, sagte Sall.

Senegal ist nicht das einzige afrikanische Land (China.Table berichtete), das zuletzt mit chinesischer Unterstützung staatliche Großprojekte umgesetzt hat: Der zentralafrikanische Staat Gabun renovierte mit Geld aus China jüngst das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Libreville. Das Gebäude wurde vergangene Woche vom chinesischen Botschafter an die gabunische Regierung überreicht. ari

  • Afrika
  • Big Data
  • Huawei
  • Technologie

Presseschau

Chinese Covid-19 Gene Data That Could Have Aided Pandemic Research Removed From NIH Database WSJ
Letter: China must pivot to consumption-led growth or risk decline FT
China prepares for Communist Party centenary in secret INDEPENDENT
Timeline of events leading to the closure of Hong Kong’s Apple Daily THE GUARDIAN
Chinese president calls for building closer Belt and Road partnership XINHUA (STAATSMEDIUM)
Halbleiter-Technologie – China erobert den Wafer-Markt FAZ
Marktmacht chinesischer Unternehmen: Peking legt sich mit Techkonzernen an TAGESSCHAU
Impfstoff aus China – Chile will Schutz mit dritter Impfdosis erhöhen SPIEGEL
BYD, Nio, Geely und Xpeng gegen Tesla: Brandheißer Performance-Check DER AKTIONÄR
Winter-Olympia in Peking: Weltweiter Protest gegen die Spiele TAGESSCHAU

Standpunkt

Pekings ambitionierte Pläne mit dem E-Yuan

Von Nils Beier
Nils Beier über den e-CNY, die E-Währung der chinesischen Regierung.
Nils Beier Leiter des Bereichs Strategy für Banken und Public Sector bei Accenture

Nahezu alle Zentralbanken der Welt arbeiten an der Entwicklung und Einführung von digitalem Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency, CBDC). Dabei handelt es sich um eine digitale Währung, die Verbrauchern, Unternehmen, dem Handel und der Wirtschaft als Alternative zum Bargeld zugänglich gemacht werden soll. Doch es gibt noch mehr Gründe für das Engagement der Zentralbanken: Zum einen reagieren sie mit CBDC auf die aktuellen technologiegetriebenen Entwicklungen im Zahlungsverkehr und wollen der Verbreitung von privaten, alternativen digitalen Bezahlsystemen, wie zum Beispiel Bitcoin oder Facebook Diem, entgegensteuern. Zum anderen soll so nicht nur die Digitalisierung der Wirtschaft unterstützt, sondern auch die eigene staatliche Währungshoheit und Relevanz im internationalen Zahlungsverkehr gewahrt werden.

Im Wettrennen hat China die Nase vorn

Sieht man einmal von den Bahamas ab, die bereits im vergangenen Jahr den digitalen “Sand Dollar” lanciert haben, wird China voraussichtlich die erste große Volkswirtschaft sein, die ein als e-CNY (E-Yuan) bezeichnetes digitales Zentralbankgeld einführt (China.Table berichtete). Damit ergreift das Reich der Mitte frühzeitig die Chance, künftig auch im internationalen Zahlungsverkehr eine bedeutende – digitale – Rolle zu spielen.

Im bargeldlosen Zahlungsverkehr innerhalb des eigenen Wirtschaftsraums zählt China bereits zu den führenden digitalen Ländern der Welt. An diese Vorreiterrolle will die Regierung mit der Entwicklung des digitalen Yuans (DCEP – Digital Currency Electronic Payment) anknüpfen und treibt die Entwicklung des e-CNY seit 2016 vehement voran. Damit dies gelingt, gründete die chinesische Zentralbank im Juni 2017 das PBoC Digital Currency Research Institute, das für das Design und die Entwicklung des e-CNY zuständig ist.

Peking erweitert Handlungsspielraum

Die chinesische Regierung hat erklärt, dass eine führende Rolle bei der Entwicklung globaler Technologiestandards – gerade auch im Paymentsektor – die Wettbewerbsfähigkeit Chinas erhöhen und die Wirtschaft ankurbeln wird. E-CNY soll aber nicht nur für einen Technologieschub sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes nach vorne bringen, sondern auch den eigenen Handlungsspielraum gegenüber großen lokalen digitalen Technologieunternehmen wie zum Beispiel Tencent oder Alibaba erweitern. Diese dominieren mit Wechat Pay und Alipay den dortigen digitalen Zahlungsmarkt und haben so im Grunde ein alternatives Finanzsystem in China geschaffen, das sich relativ unabhängig von der Zentralbank nutzen lässt.

Das Interesse der Regierung ist also groß, kommerziellen Payment-Anbietern nicht das gesamte Feld zu überlassen und gegebenenfalls die Kontrolle zu verlieren. Der Zugang zu den wertvollen Daten über die Zahlungsströme und das Nutzerverhalten der Bevölkerung ist dabei wichtig. Zudem will man den Status als globalen Impulsgeber bei der Entwicklung von digitalen Zahlungssystemen ausbauen und zum Technologieführer bei der Blockchain avancieren. Auch die Entwicklung von grenzüberschreitenden Finanzinnovationen und die Möglichkeit Verträge mit Partnerländern auf Yuan- statt US-Dollar-Basis zu schließen, soll mit e-CNY möglich werden. Das würde China letztlich auch unabhängiger von etwaigen US-Sanktionen machen.

Eine erste Runde von e-CNY-Pilotprogrammen wurde von der Zentralbank der Volksrepublik China (People’s Bank of China, PBoC) bereits durchgeführt. Bis März dieses Jahres führte die PBoC sieben e-CNY Tests durch, bei denen insgesamt 160 Millionen e-CNY (etwa 24,6 Millionen US-Dollar) verteilt wurden. Mehr als eine halbe Million Menschen haben bisher e-CNY erhalten und Tests in weiteren Gebieten sollen folgen. Die PBoC verfolgt das ehrgeizige Ziel, den digitalen Yuan an den Austragungsorten der olympischen Winterspiele in Peking 2022 großflächig auszurollen.

Design von Land zu Land unterschiedlich

China verfolgt bei der Ausgestaltung von CBDC einen zentralistischen Ansatz. Das bedeutet, wer in Zukunft digitale Payments in China ausführen möchte, kommt am digitalen Yuan nicht vorbei. Doch auch ohne e-CNY hat der chinesische Staat Möglichkeiten, Geldströme zu verfolgen. Die meisten mobilen Zahlungen oder Devisentransaktionen laufen über die zentrale Clearing-Plattform NetUnion oder über das China Foreign Exchange Trade System. Das bedeutet, auch ohne e-CNY kann die chinesische Finanzaufsicht in Echtzeit sehen, wie Geld ausgegeben wird.

Technische Details zu e-CNY sind bisher nur wenige bekannt. Nach Angaben der PBoC gehören der Schutz der Privatsphäre der Nutzer, eine verbesserte Nachverfolgung, geringere Transaktionskosten sowie die Vereinfachung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs zu den Vorteilen des e-CNY. Nach Angaben der PBoC wird e-CNY ein gesetzliches Zahlungsmittel sein, das in einem zentralisierten und zweistufigen Ausgabe- und Verteilungssystem Bargeld ersetzen bzw. ergänzen soll. Rechtlich gesehen, sind seine Funktionen und Eigenschaften dem Bargeld gleichgestellt. Die Ausgabe erfolgt über die chinesischen Geschäftsbanken, die das digitale Geld dann über eine App verteilen. Dieses Geld ist durch eine entsprechende Einlage bei der PBoC gedeckt. Die App ist so konzipiert, dass es ohne Netzwerkverbindungen “Dual-Offline” arbeiten kann, das heißt sowohl der Zahlende als auch der Zahlungsempfänger befinden sich in einem Offline-Modus. Voraussichtlich werden auf e-CNY keine Zinsen gezahlt und auch die Menge, wie viel e-CNY jeder Bürger erhalten kann, ist vermutlich begrenzt.

Die amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) sieht bei der Entwicklung und Einführung des e-Dollars weniger Eile geboten. Wie Fed-Chef Jerome Powell jüngst bei einer Online-Diskussion der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) betonte, sei die US-Notenbank noch nicht einmal in einer Phase der “Entscheidungsfindung”. Die Fed denkt zwar über die Einführung nach und sondiert mögliche Vorteile und Risiken, aber hat nicht den Ehrgeiz hier Pionierarbeit leisten zu wollen. Sicherheit hat für die Amerikaner höchste Priorität. Der Fed fehlt es auch noch an der Unterstützung des Kongresses, der, so Powell, noch grünes Licht geben muss. Es gibt auch einige wenige privatwirtschaftliche Initiativen zum digitalen Dollar. So soll dem Initiative Digital Dollar Project zufolge, in den kommenden Monaten einige Pilotprojekte zum e-Dollar starten, die auch die möglichen Vorteile von digitalem Zentralbankgeld untersuchen. Bisher stützen sich die Überlegungen der USA zu CBDC auf Erhebungen anderer Länder. Erst jetzt will man beginnen, eigene Daten zu erheben.

EU zögert beim digitalen Euro

In der EU positioniert man sich zwischen einem zentralisierten und freiwilligen Ansatz. Zur Jahresmitte will die Europäische Zentralbank (EZB) die Entscheidung fällen, ob es den e-Euro geben wird oder nicht. Anders als die US-Notenbank setzt sich die EZB seit geraumer Zeit mit den Möglichkeiten und Vorteilen eines digitalen Euros auseinander. Bereits 2019 gründete EZB-Chefin Christine Lagarde eine interne Task Force zum digitalen Euro. Wichtige Themen sind für die Europäer unter anderem Datenschutz und Anonymität bei Transaktionen. Insgesamt steht die EU noch vor einigen Herausforderungen in Zusammenhang mit CBDC. So werden beispielsweise fast 70 Prozent aller Retail-Transaktionen in der EU noch immer in bar getätigt. Doch nicht nur die Ausgabe von CBDC im Bereich des privaten Konsums hat für die EU Vorrang, digitales Zentralbankgeld soll auch in der Industrie und bei digitalen Geschäftsmodellen zum Tragen kommen. Hier ist vor allem der Einsatz bei Pay-per-Use-Modellen oder im Feld der Machine-to-Machine-Payments zu nennen.

China hat bereits riesige Schritte nach vorne geleistet und ist auf dem besten Weg, das Rennen um die Einführung einer digitalen Währung zu machen und auch in diesem Feld eine technologische Führungsrolle zu übernehmen. Doch bei aller Eile Chinas bleibt die Frage, ob die Regierungen und Zentralbanken der westlichen Länder wertvolle Erkenntnisse aus Chinas e-CNY-Tests für sich gewinnen können. Immerhin ist das chinesische System in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich – von seinem stark kontrollierten Finanzsystem über strenge Kapitalverkehrsvorschriften bis hin zum riesigen Volumen des mobilen Zahlungsverkehrs.

Nachdem Europa im Bereich der digitalen Zahlungsdienstleistungen allerdings durchaus weiter abgeschlagen ist, ist es richtig, dass die EZB in Sachen digitaler Euro jetzt an Fahrt aufnimmt. Nicht zuletzt um die Weichen für den Bereich des Internets der Dinge (IoT) frühzeitig zu stellen und im industriellen Umfeld nicht ins Hintertreffen zu geraten. Banken und Privatwirtschaft arbeiten hier bereits an eigenen Lösungen. Ein Zögern könnte das Potenzial anderen globalen Technologieunternehmen zugänglich machen und das spannende Feld der digitalen Währungen branchenfremden Playern überlassen.

Dr. Nils Beier, Managing Director, Leiter des Bereichs Strategie für Banken und Public Sector bei Accenture in DACH.

  • Bitcoin
  • E-Yuan
  • Finanzen
  • Peoples Bank of China
  • Zentralbank

Dessert

Die Lotus-Blume gehört fest zu den China-Klischees. Tatsächlich sind sie zahlreich zu finden – und hier in Anlong in der Provinz Guizhou haben sie bereits den gesamten See überwuchert. Genau wie in der berühmten Rechenaufgabe, mit der sich die Wirkung der Exponentialfunktion veranschaulichen lässt. Der Teich ist bekanntlich viel schneller zugewachsen als man denkt.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Brüssels Pläne gegen Wirtschaftserpressung
    • Die Fraktionen innerhalb der KP
    • Grenzen bleiben weiter dicht
    • EU kritisiert Ende von Apple Daily
    • China sieht Wissenschaft positiver als Deutschland
    • Börsengänge von Xpeng und Dingdong
    • Nationales Datenzentrum für Senegal
    • Im Standpunkt: E-Yuan als Gamechanger
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wundert es eigentlich noch irgend jemanden, dass es die Volksrepublik China ist, die im globalen Wettlauf um die Entwicklung einer elektronischen Währung an der Spitze liegt? Die Regierung schafft den regulatorischen Rahmen, damit die smarten Köpfe des Landes ausreichend Spaß daran haben, immer neue Ideen auszuspucken. Und sie stellt ausreichend Geld zur Verfügung, damit diese Ideen nicht im Sande verlaufen. Der elektronische Yuan soll bei den Olympischen Winterspielen 2022 bereits als Zahlungsmittel genutzt werden.

    Darum wurde es höchste Zeit, dass auch Europa begonnen hat, sich intensiver mit einem digitalen Euro zu beschäftigen, schreibt unser Gast-Kommentator Nils Beier. Dennoch ist Europa gut beraten, nicht in Hektik zu verfallen, sondern die regulatorischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Grundrechte und Privatspähre der Bürger:innen bewahrt bleiben. Nicht unbedingt eine Stärke der chinesischen Regierung. Deswegen gilt es genau hier, die Stärken von liberalen Gesellschaften auszuspielen.

    Das gilt wohl gleichermaßen für den Umgang mit chinesischem Bedrohungspotenzial, das die Europäer – endlich, möchte ich sagen – erkannt haben und auch offen formulieren. “China ist gewillt, wirtschaftliche Strafen anzuwenden, um die EU-Politik zu ändern”, lautet das Urteil im Bericht des European Council on Foreign Relations, den unsere EU-Expertin Amelie Richter angeschaut hat.

    Verblüffend Neues mit China-Bezug hört man übrigens aus dem Senegal, und zum wiederholten Male Trauriges aus Hongkong. Aber lesen Sie selbst.

    Einen guten Start in den Tag wünscht Ihnen

    Ihr
    Marcel Grzanna
    Bild von Marcel  Grzanna

    Analyse

    Brüssels Plan gegen Wirtschaftserpressung nimmt Gestalt an

    Wer das größte Bedrohungspotenzial hat, wird gleich auf den ersten Seiten deutlich: “China ist gewillt, wirtschaftliche Strafen anzuwenden, um die EU-Politik zu ändern”, schreiben die Autoren des European Council on Foreign Relations (ECFR) in ihrem Bericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Auch Russland, die Türkei und die USA setzten ökonomischen Druck ein – je stärker China werde, desto “wahrscheinlicher und folgenreicher” werde auch der chinesische Wirtschaftszwang.

    Brüssel will sich gegen politisch motivierte Strafzölle, Boykotte oder Sanktionen schützen. Die Kommission plant deshalb die Einführung eines entsprechenden Anti-Zwangs-Instruments (kurz ACI von “anti-coercion instrument”). In dem ECFR-Papier werden nun Vorschläge gemacht, was das Instrument umfassen könnte und was bei der Anwendung zu beachten ist. Unterstützung bekam die ECFR-Taskforce von europäischen Wirtschaftsvertreter:innen, Parlamentarier:innen und Spitzenbeamten aus Deutschland, Frankreich, Niederlande, Spanien, Schweden und Tschechien.

    Die Taskforce – die direkt bei der EU-Handelsdirektion Gehör findet – empfiehlt unter anderem die Einrichtung eines “EU Resilience Office“: Die neue EU-Behörde könnte einen Überblick über mögliche wirtschaftliche Nötigungsversuche von Drittländern behalten und diese bewerten, bevor überhaupt Schritte eingeleitet werden. “Während der Bewertung sollte sich die EU eng mit den Regierungen der Mitgliedstaaten absprechen, um festzustellen, ob das Zurückhalten einer bestimmten Ware oder Dienstleistung von dem Zwang ausübenden Drittland die effektivste Reaktion oder zumindest ein Teil davon wäre”, so die Experten:innen.

    Neue EU-Behörde und Gegenmaßnahmen

    Wenn klar sei, dass ein Fall der wirtschaftlichen Nötigung vorliege, seien Gegenmaßnahmen eine mögliche Option: Diese könnten Handels- und Investitionsbeschränkungen, Ausfuhrkontrollen sowie Beschränkungen beim Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmärkten der EU oder einen Ausschluss aus EU-Programmen beinhalten. Die Autoren merken jedoch an: Europa könne “ein Land wie China” mit der bloßen Androhungen von Strafzöllen oder Handelsbeschränkungen kaum beeindrucken. Deshalb müsse die EU darüber nachdenken, mit dem ACI gezielt auch Gegenmaßnahmen abzudecken, die “die wichtigsten strategischen sowie kurzfristigen konkreten Interessen” eines Drittlandes in einem bestimmten Sektor treffen könnten. Ein wichtiger Hebel für die EU könne beispielsweise die Eindämmung von Technologietransfers oder die Zurückhalten von Daten sein.

    Auch hier schmälern die Autoren aber den derzeit potenziellen Effekt: Andere Akteure nehmen ihr aktuell kaum ab, dass sie tatsächlich konsequent handelt. Der EU fehle es zurzeit schlicht an Glaubwürdigkeit, urteilt der Bericht. Denn teilweise liegen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten und nicht in Brüssel. Der EU gelinge es kaum, eine “Koalition der Willigen” aufzubauen, um Gegenmaßnahmen im großen Stil durchzusetzen. Kurz: Bisher fehlte es ihr an Biss. Die USA und China haben europäische Drohversuche jedenfalls bisher nicht ernst genommen.

    Die ECFR-Experten warnen aber auch vor einem zu forschen Vorgehen: Der angedachte Mechanismus sei mit “erheblichen Risiken verbunden”. Es bestehe die Gefahr, dass das neue Instrument letztendlich mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Die Experten warnen vor “erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf den europäischen Handel und die Unternehmen”, sollte die EU zu harschen Gegenmaßnahmen greifen. Es drohten Wie-du-mir-so-ich-dir-Szenarien. “China könnte den Zugang zu seinem Markt für wichtige europäische Exporte weiter als Waffe einsetzen”, so die Experten. Die USA könnten damit drohen, die nachrichtendienstliche Unterstützung in Bereichen einzustellen, in denen es den Europäern an Kapazitäten mangelt.

    Das Ziel: Das Instrument kommt nicht zum Einsatz

    Um das zu vermeiden, empfiehlt die Taskforce zwei Dinge: Zum Einen, die Stärkung des EU-Binnenmarkts und der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, um so die Abhängigkeit Europas zu verringern und Engpässen vorzubeugen, die Drittländer ausnutzen könnten. Zum Anderen soll zur Risikominimierung das ACI primär einen defensiven Charakter haben – der Mechanismus soll keine Waffe werden, mit dem die EU einen Wirtschaftskrieg beginnen kann. Abschreckung statt Angriff. Das ACI solle Wirtschaftskonflikte “entpolitisieren”, betont die ECFR-Taskforce. Der Mechanismus soll als “letztes Mittel” eingesetzt werden und wirksame Hebel zur Deeskalation bereithalten.

    Die Europäische Kommission misst der Arbeit der Taskforce große Bedeutung bei: Das ACI sei dringend nötig, sagte die Leiterin der einflussreichen Generaldirektion für Handel, Sabine Weyand, bei der Vorstellung des Berichts. Der Gesetzesvorschlag der Brüsseler Behörde werde für Winter erwartet. Derzeit gehe es um das “Finetuning”. Dabei werde die Möglichkeit bei der Beschränkung von Zugang zu intellektuellen Eigentum untersucht. Gegenüber Exportkontrollen im Rahmen des ACI sei sie eher skeptisch eingestellt, sagte Weyand.

    “Die EU wird nicht aus der Hüfte schießen”, so die Generaldirektorin. Sie betonte vor allem den Abschreckungscharakter des geplanten Instruments. Dieses sei mehr eine Reaktion darauf, “wo sich andere bereits befinden”. Die EU könne nicht zusehen, wie andere den Handel als Waffe einsetzen. Sei das ACI genügend abschreckend, müsse es bestenfalls nie benutzt werden, so Weyand. Auch auf komplexe Fragen müssten noch Antworten gefunden werden, so Weyand. Zum Beispiel: Was passiert, wenn sich ein Unternehmen wegen Vorgaben der nachhaltigen Lieferkette aus einer Region mit Zwangsarbeit zurückzieht und daraufhin Ziel von Sanktionen wird? “Muss das Unternehmen dann entschädigt werden? An diesen Punkten arbeiten wir noch”, sagt Weyand.

    Zuspruch für die Ausrichtung des geplanten Mechanismus gibt es auch aus der deutschen Wirtschaft, zum Beispiel dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). “Nach Meinung des VDMA muss bei den geplanten Instrumenten das Prinzip Abwehr durch Abschreckung die generelle Leitlinie sein, kombiniert mit dem Schutz der betroffenen Unternehmen”, teilte der Leiter für Außenwirtschaft, Ulrich Ackermann, mit.

    • China-Sanktionen
    • ECFR
    • EU
    • EU-Binnenmarkt
    • Handel
    • VDMA

    Das Ende der Einigkeit in der KP

    Nachdem Chinas Premierminister Li Keqiang im vergangenen Jahr arbeitslose Landsleute dazu aufgerufen hatte, als Straßenverkäufer ihren Lebensunterhalt zu sichern, dauerte es nur wenige Tage, bis die Staatsmedien ihre anfängliche Unterstützung für diese Idee aufgaben. Warum, weshalb? Man weiß es nicht, man kann es nur vermuten. Li gilt im Politbüro der Kommunistischen Partei als Gegenspieler von Staatspräsident Xi Jinping. Der hatte kurz zuvor verkündet, die Volksrepublik befinde sich auf dem besten Weg, das Ziel einer “moderat wohlhabenden Gesellschaft” mit nunmehr 400 Millionen Bürger:innen der Mittelklasse zu erreichen. Li dagegen erinnerte daran, dass 600 Millionen Chinesen:innen mit einem monatlichen Einkommen von 140 US-Dollar auskommen müssen (China.Table berichtete).

    100 Jahre Kommunistische Partei Chinas

    Beide Aussagen würden in demokratischen Parteien Debatten darüber auslösen, von welcher Seite das Pferd aufgezäumt werden muss, um bessere Politik machen zu können. Nicht so in der Kommunistischen Partei Chinas. Als Lis Ansatz in der Öffentlichkeit abgewürgt wurde, war klar, dass dies nicht ohne ausdrückliche Zustimmung mächtigerer Strömungen in der Kommunistischen Partei geschehen konnte. Als Premierminister ist Li nominell die Nummer zwei im engsten Machtzirkel der Partei. Sprach also Xi ein Machtwort?

    Die Vermutung liegt schon deshalb nah, weil beide Politiker aus unterschiedlichen Fraktionen stammen, die sich seit dem Tod Mao Zedongs die Kontrolle über Staat und Partei teilen. Li ist Emporkömmling aus der Tuanpai, die Jugend-Organisation der Partei, die als bewährter Aufstiegspfad besonders für Mitglieder sozial schwächerer Schichten gilt. Xi dagegen hat seine Wurzeln in der einflussreichen Elite des Landes, bestehend vor allem aus den Repräsentanten von Geschäftsinteressen der Küstenprovinzen mit Shanghai als Zentrum. Einige ihrer Vertreter gehören zu den sogenannten Prinzlingen, die Nachfahren der ersten Generation hoher Parteikader. So wie Xi.

    “Das Innenleben des Machtzentrums bleibt eine Blackbox”

    Das Netzwerk der Politiker bildet die Basis für ihren Aufstieg im Parteiapparat. “Sicherlich ist es möglich, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fraktion die Karriereleiter in der Kommunistischen Partei hochzuklettern. Aber um ganz nach oben zu gelangen, dürfte es ohne die Hilfe dieser Gruppen nicht ausreichen“, sagt Marc-Oliver Rieger, China-Forscher und Leiter des Konfuzius-Instituts an der Universität Trier. Doch Rieger gibt auch zu, dass der Blick von außen nicht ausreicht, um wirklich verstehen zu können, was innerhalb der Partei konkret vor sich geht. Wer mit wem? Wer gegen wen? Und warum? “Das Innenleben des Machtzentrums bleibt eine Blackbox für uns. Da bleibt uns oft nichts übrig außer Kaffeesatzleserei”, sagt Rieger.

    Eine simple Kategorisierung in nur zwei Fraktionen greift deshalb auch zu kurz. Je nachdem wie man sortiert, lassen sich einzelne Akteure in verschiedenen Blöcken unterbringen. Xi Jinping ist es jedoch gelungen, die beiden klassischen Lager in den Hintergrund zu drängen und stattdessen eine Art ganz eigener Fraktion aufzubauen, die man als Xi-Fraktion bezeichnen könnte. Der Parteichef hat dank einer politischen Säuberung, die in der Öffentlichkeit als Anti-Korruptionskampagne verkauft wird, Gegenspieler aus beiden Lagern matt gesetzt und damit auch beide Gruppen geschwächt.

    Im siebenköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros ist Li Keqiang einer von zwei verbliebenen Tuanpai. Rivalen in den eigenen Reihen, wie den früheren Sicherheitschef Zhou Yongkang aus der Shanghai-Clique, oder den charismatischen Prinzling Bo Xilai, hat Xi verhaften lassen. Auch führende Köpfe des Militärs fielen der Kampagne zum Opfer. “Xi hat sich die Basis geschaffen, um das Politbüro mit zwei Dritteln seiner Gefolgsleute besetzen zu können. Seine Position scheint deswegen zurzeit sehr stabil zu sein“, sagt Forscher Rieger.

    Bester Beleg dafür ist die Entscheidung des Nationalen Volkskongresses von 2018, als dieser per Verfassungsänderung die Begrenzung der Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten aufhob und damit den Weg freimachte für einen möglichen Staatschef Xi bis 2040 und länger. Das Parlament hatte keine Wahl, die Verfassungsänderung abzulehnen, weil es in einer Diktatur wie der chinesischen den Willen der Bosse abnicken muss, statt Widerstände zu formieren.

    Ein Mittelfinger als Signal?

    Doch weil die Stabilität autoritärer Systeme vornehmlich auf gegenseitigem Misstrauen aufbaut, lauern auch für den starken Mann in China jede Menge Gefahren. Fehltritte kann sich selbst Xi nicht allzu viele leisten, weil seine heutigen Unterstützer schon morgen seine Schwäche zu ihren Gunsten nutzen könnten. Selbst Mao Zedong, der die Volksrepublik mit eiserner Hand führte, wurde nach dem verpatzten Großen Sprung nach vorn Anfang der 1960er-Jahre von seinen Mitstreitern ausgebootet, ehe er mit dem Lostreten der Kulturrevolution die Macht wieder an sich riss.

    Nicht einmal ausgeschlossen ist, dass sich fraktionsübergreifend liberale Köpfe verbünden, weil sie den Kurs des Parteichefs für falsch halten. Chinas Auftreten in der Welt hat den Rahmen des Selbstbewusstseins längst verlassen. Stattdessen wirken chinesische Diplomaten oftmals aggressiv und überheblich. Sie können sich der Unterstützung Pekings zuzeit sicher sein. Ob der zunehmend konfrontative Ton der richtige Weg ist, um Chinas Stellung in der Welt als respektierte Supermacht zu erreichen, davon ist nicht jeder Kader überzeugt. Xi macht kein Geheimnis daraus, dass er um Kräfte in der Partei weiß, die ihm die Macht abnehmen wollen. In der Öffentlichkeit aber wird der Machtkampf als Angriff auf die Sicherheit von Land und Leuten dargestellt.

    Doch wo die Gefahr für Xi am ehesten lauert, ist kaum auszumachen. Dass sich der Parteichef nicht nur Freunde gemacht hat, liegt dagegen auf der Hand. Die Machtverteilung ist ein Nullsummenspiel. Je mehr Xi davon an sich reißt, desto mehr müssen andere davon abgeben. Im Lager der Tuanpai beispielsweise dürfte sich die Begeisterung über eine lebenslange Amtszeit von Xi in Grenzen halten, weil es für die Jugendliga bedeutet, bis auf Weiteres auf den Chefsessel verzichten zu müssen. War es also Zufall, dass Premierminister Li bei der Abstimmung zum Nationalen Sicherheitsgesetz für Hongkong im Nationalen Volkskongress 2020 per Knopfdruck mit dem Mittelfinger zustimmte? Oder wollte er seinen Unmut darüber signalisieren? “Um diese Geste spinnen sich ganze Theorien”, sagt Rieger, “denn auch in China werden die Differenzen der Lager wahrgenommen. Aber es zeigt eben auch, wieviel Interpretationsaufwand nötig ist, wenn man die Verhältnisse verstehen möchte.”

    • 100 Jahre KP Chinas
    • Konfuzius-Institute
    • KP Chinas
    • Li Keqiang
    • Mao Zedong
    • Xi Jinping

    Grenzen bleiben weiter dicht

    In China nimmt das Impftempo weiter Fahrt auf. Über das Wochenende sei die Marke von einer Milliarde vergebener Impfdosen geknackt worden, verkündete die Pekinger Gesundheitskommission (China.Table berichtete). Allein in der vergangenen Woche seien landesweit weitere 100 Millionen Impfungen erfolgt. Bis Ende des Jahres soll eine Impfquote von mindestens 70 Prozent erreicht sein, versprach Zeng Yixin, stellvertretender Leiter der Gesundheitskommission, am Sonntag. 

    Die Zahlen mögen auf den ersten Blick beeindrucken. An einem großen Dilemma, in dem auch viele deutsche Firmen derzeit stecken, die mit China Geschäfte machen, ändern sie jedoch nichts. Anders als in den USA und in Europa, wo auf eine höhere Impfrate die Einsicht folgte, dass auch Auslandsreisen wieder erleichtert werden sollten und Grenzen geöffnet werden müssen, hält sich China mit Ankündigungen in dieser Hinsicht weiterhin zurück. 

    Seit fast eineinhalb Jahren sind Reisen in die Volksrepublik mit enormen Schwierigkeiten verbunden. Über Monate ging im vergangenen Jahr sogar überhaupt nichts mehr, als China entschied, sämtliche Ausländer – auch jene mit einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung – die Einreise zu verweigern.

    Mittlerweile werden zwar wieder einige Visa vergeben. Doch erfolgreiche Anträge bleiben noch immer eher die Ausnahme. Selbst, wer die bürokratischen Hürden genommen hat, steht schon vor dem nächsten Problem: In China gelten die härtesten Quarantäneregeln der Welt. Wer einreist, muss sich ausnahmslos für mindestens zwei Wochen in Hotelquarantäne begeben.

    Fast sämtliche Städte und Provinzen, darunter auch Peking, verlangen von Reisenden, dass sie eine Quarantäne von drei Wochen absolvieren. Zwei Wochen in einem Hotel, das in der Regel nicht selbst gebucht werden kann, sondern zugewiesen wird, die letzte Woche unter Umständen zuhause, wenn man denn über einen Wohnsitz verfügt. 

    Talente gehen verloren

    Ausländische Firmen werden vor dem Hintergrund der strikten Regeln zunehmend unruhig. Mitarbeiter, die in China leben, konnten zum Teil seit Beginn der Pandemie nicht mehr in ihre Heimatländer reisen. Schwieriger als früher ist es auch, neue Mitarbeiter zu finden, die in China arbeiten und die Strapazen und Unsicherheiten bei der Einreise über sich ergehen lassen wollen. 

    China riskiere, “viele ausländische Talente zu verlieren”, kritisiert so auch die europäische Handelskammer in ihrer jüngsten Mitgliederbefragung. Die Corona-Einreisebeschränkungen stünden ganz oben auf der Liste der größten Probleme ihrer Mitglieder. Drei Viertel der in China tätigen europäischen Unternehmen gaben an, dass sie noch immer Mitarbeiter haben, die im Ausland gestrandet sind und nicht nach China zurückkehren können. Darunter befänden sich auch viele, die lange in China gelebt hätten und “über fundierte Kenntnisse verfügen”.

    Es sei “extrem schwierig”, ausländisches Know-how zu ersetzen und “fast unmöglich”, neues ausländisches Personal nach China zu bringen. “Während einige Mitarbeiter immer noch versuchen, zurückzukehren, haben viele einfach aufgegeben und sind weitergezogen”, heißt es in dem Bericht. Es bestehe die Sorge, dass sich Chinas ausländischer Talentpool “möglicherweise nie mehr vollständig erholt“. Praktisch unmöglich sei es zudem, Mitarbeiter für kurze Aufenthalte, etwa Fachkräfte für die Wartung von Anlagen, ins Land zu bekommen. 

    Der deutschen Außenhandelskammer (AHK) in China ist es immerhin gelungen, zwischen der dritten Juliwoche und Anfang September weitere Charterflüge von Frankfurt in die ostchinesische Hafenstadt Qingdao zu organisieren, wie sie am Dienstag auf WeChat ankündigte. Damit deutsche Wirtschaftsvertreter und deren Angehörige ihren Sommerurlaub in Deutschland verbringen und unbürokratisch nach China zurückkehren können, gehört zu dem Service der AHK auch den speziellen Brief zu besorgen, den die chinesischen Behörden fürs Quarantäne-Management Verlagen sowie Hilfe für das ebenfalls obligatorische Einladungsschreiben. Bereits im vergangenen Jahr hatte die AHK rund 2.800 Deutsche auf diese Weise zurück nach China gebracht. Der Startpreis für dieses Paket liegt allerdings bei 2.500 Euro für einen Economy Sitzplatz. In normalen Zeiten finden sich Flüge von Peking nach Europa für unter 800 Euro.

    “Mehr als ein Jahr nachdem die Grenze für alle außer einem Rinnsal von Rückkehrern geschlossen wurde, ist der europäischen Geschäftswelt in China nicht klar, warum keine effizienteren Lösungen umgesetzt werden können, die allen Ausländern die Rückkehr ermöglichen”, kritisiert die europäische Handelskammer. Die Gesundheitsbehörden sollten klare Kriterien festlegen, unter denen ausländische Arbeitnehmer nach China zurückkehren können.

    Doch bisher hält sich Peking bedeckt, wann es seine Grenzen wieder öffnen will. “Masken und Quarantäne sind die neue Normalität”, ist von einem chinesischen Diplomaten in Peking zu hören, was nicht gerade nach einer schnellen Öffnung klingt. Und das Wall Street Journal zitiert einen hohen Beamten, der meint, dass China diese Restriktionen mindestens noch ein weiteres Jahr beibehalten werden. Die Volksrepublik setzte während der Pandemie erfolgreich auf eine Null-Covid-Strategie. “Das Problem für China besteht darin, dass der Großteil der Welt einen anderen Ansatz gewählt hat”, schrieb der Hongkonger Arzt Nicholas Thomas kürzlich in einem Gastbeitrag für die South China Morning PostNun stehe Peking vor der schweren Entscheidung, seine Grenzen nicht nur wieder für Menschen zu öffnen, sondern damit auch für das Virus.

    Zweifel an Wirksamkeit des Impfstoffs

    Wenn viele Menschen geimpft sind, dürfte dieses zwar weit weniger tödlich sein. Dennoch scheint es für Peking derzeit noch zu viele Unwägbarkeiten zu geben, um eine Entspannung der Reisebeschränkungen zu riskieren. Nicht zuletzt dürfte es dabei auch um die Frage gehen, wie wirksam die in China eingesetzten Wirkstoffe gegen neue Varianten des Virus sind. Für Unruhe sorgte vor diesem Hintergrund in der vergangenen Woche eine Meldung aus Indonesien: Mehr als 350 Pflegekräfte infizierten sich dort mit Corona und mussten zum Teil ins Krankenhaus, obwohl sie mit dem chinesischen Impfstoff Sinovac geimpft waren. 

    Auch in Hongkong schnitt der Impfstoff in einer Studie deutlich schlechter ab als das Präparat von Biontech, das für eine “signifikant höhere” Zahl von Antikörpern sorge. Nun wird diskutiert, ob jeder Empfänger des Impfstoffes künftig drei statt zwei Dosen erhalten soll. Muss China auch bei seinen anderen Impfstoffen nachbessern, würde das die Impfkampagne weiter hinauszögern – und damit wohl auch die Öffnung der Grenzen. Frank Sieren/Gregor Koppenburg/Joern Petring 

    • Corona-Impfstoffe
    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Pharma
    • Reisebranche

    News

    Apple Daily schließt – EU übt scharfe Kritik

    Hongkong verliert eine weitere oppositionelle Stimme. Die Tageszeitung Apple Daily stellt 26 Jahre nach ihrer Gründung am heutigen Donnerstag ihre Produktion ein. Auch das Online-Angebot des Boulevardblatts, das sich kritisch zum wachsenden Einfluss der Kommunistischen Partei in der Metropole positioniert hatte, ist von dem Aus betroffen. Die Muttergesellschaft Next Digital zieht damit die Konsequenzen aus einem beispiellosen Schlag der Behörden gegen die Pressefreiheit in Hongkong (mehr im China.Table). Das Sicherheitsbüro hat rund 2,3 Millionen US-Dollar des operativen Budgets der Apple Daily eingefroren und sie damit an den Rand der Handlungsunfähigkeit gedrängt.

    Gleichzeitig gehen die Behörden rigoros gegen das Personal der Zeitung vor. Am Mittwochvormittag hatte die Polizei einen weiteren Kolumnisten auf Grundlage des Sicherheitsgesetzes festgenommen (China.Table berichtete). Gegen ihn sowie fünf bereits in der Vorwoche inhaftierte Journalist:innen und Mitglieder der Geschäftsführung ermitteln die Behörden wegen des Vorwurfs der Verschwörung mit ausländischen Kräften. Die Journalist:innen hatten in mehreren Texten der vergangenen Monate unter anderem zu ausländischen Sanktionen gegen die Stadt aufgerufen. Das Sicherheitsgesetz, das Hongkong im vergangenen Jahr durch die chinesische Regierung auferlegt wurde, stellt solche Aufrufe unter Strafe. Auch Zeitungsgründer Jimmy Lai war bereits im April zu einer 14-monatigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er an nicht genehmigten Massenprotesten teilgenommen hatte.

    Apple Daily und das Sicherheitsgesetz

    Die Europäische Union warf den Hongkonger Behörden in einer Stellungnahme vor, das Nationale Sicherheitsgesetz vorzuschieben, “um Pressefreiheit und Meinungsfreiheit zu unterdrücken”. Die EU erinnerte daran, dass sich die Volksrepublik China 1984 in ihrer gemeinsamen Erklärung mit den damaligen britischen Kolonialherren dazu verpflichtet hatte, die Bürgerrechte zu respektieren. Sie warnte vor einem Bedeutungsverlust Hongkongs als internationaler Wirtschaftsstandort. “Ihre Schließung (der Apple Daily) untergräbt schwerwiegend die Freiheit und den Pluralismus der Medien, die für jede offene und freie Gesellschaft unerlässlich sind.”

    Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam streitet solche Vorwürfe kategorisch ab. “Ich fürchte, all solche Anschuldigungen, die von der US-Regierung in Umlauf gebracht werden, sind falsch”, hatte Lam am Dienstag bei einer Pressekonferenz gesagt. Das Sicherheitsgesetz habe eine Grundlage geschaffen, die “alle wichtigen Rechtskonzepte in jedem Bereich der Gesetzgebung” integriere. Grundsätzliche herrsche die Unschuldsvermutung, aber “Journalist:innen sollten in der Lage sein, beurteilen zu können, ob man das Gesetz bricht oder nicht”, so Lam. Rechtsexpert:innen aus den USA und Europa allerdings beklagen, die fehlende Präzision des Sicherheitsgesetzes. Es würde den Behörden helfen, jegliches unerwünschtes Verhalten von Hongkonger Bürgern willkürlich unter Strafe zu stellen.

    Der ins Exil geflohene Hongkonger Ex-Parlamentarier Nathan Law erinnerte auf Twitter daran, dass es sich bei Next Digital um ein börsennotiertes Unternehmen handelt, das binnen weniger Tage von der Regierung ausgeschaltet wurde: “Durch die Verhaftung von Führungskräften, Journalisten und das Einfrieren des Kapitals können die Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht bezahlen, und die Mitarbeiter haben Angst verhaftet zu werden. Das Blatt mit einer Geschichte von 26 Jahren ist weg. Den Unternehmen und den Festgenommenen standen bisher nicht einmal vor Gericht.”

    Die Apple Daily wurde 1995 von Verleger Jimmy Lai gegründet. Die Zeitung erwarb sich schnell den Ruf eines Boulevardblatts mit vergleichsweise simpler Sprache und erschien online auch in englischer Fassung. Zum Service gehörten auch ein Portal für Finanznachrichten und eine tägliche Nachrichtensendung. Durch die Schließung gehen viele Arbeitsplätze verloren. Eine karikative Einrichtung von Apple Daily zur medizinischen Unterstützung sozial Schwacher stellt ebenfalls den Betrieb ein. Von der heutigen letzten Ausgabe wurden eine Million Exemplare gedruckt. grz

    • Apple Daily
    • Carrie Lam
    • Gesellschaft
    • Hongkong
    • Menschenrechte
    • Pressefreiheit
    • Unschuldsvermutung

    Große Offenheit für Wissenschaft und Technik

    China ist wissenschaftsfreundlicher als Deutschland, wie eine internationale Umfrage des Chemiekonzerns 3M zeigt. In China gaben 97 Prozent der Befragten an, dass Wissenschaft und Technik “Hoffnung auf eine bessere Zukunft eröffnet”. In Deutschland waren es nur 82 Prozent. 3M lässt regelmäßig in mehreren Ländern die Haltung zur Wissenschaft abfragen. Pro Land werden dabei 1.000 Erwachsene interviewt. Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied zwischen China und Deutschland zeigte sich bei der Einschätzung des Umweltschutzes im jeweils eigenen Land: Während 91 Prozent der chinesischen Befragten ihr Land auf dem richtigen Weg zu nachhaltigerem Wirtschaften sehen, sind es in Deutschland nur 55 Prozent. fin

    • Deutschland
    • Technologie
    • Wissenschaft

    Xpeng und Dingdong: Konjunktur für Börsengänge in Hongkong

    Chinas Unternehmen wagen sich nach dem Schock um den abgesagten Börsengang von Ant Financial (China.Table berichtete) wieder an den Hongkonger Markt. Derzeit bereitet der Elektroautohersteller Xpeng aus Guangzhou seine Erstnotiz vor. Er wird bereits in New York gehandelt, will aber in Hongkong nochmals zwei Milliarden US-Dollar einnehmen, wie Bloomberg berichtet. Der Börsengang soll noch in diesem Jahr über die Bühne gehen.

    Der Lebensmittel-Bringdienst Dingdong Maicai aus Shanghai will ebenfalls noch in diesem Jahr Aktien in Hongkong ausgeben. Das Unternehmen hofft, dabei 350 Millionen US-Dollar zu erlösen. Auf alle Anteilsscheine hochgerechnet ergibt sich daraus eine Bewertung von sechs Milliarden Dollar. Für ein so junges Unternehmen ist das eine stattliche Summe, aber Lieferdienste stehen wegen Corona hoch im Kurs. fin

    • Börse
    • Finanzen
    • IPO
    • Xpeng

    Senegal baut Rechenzentrum mit chinesischer Unterstützung

    Senegal richtet mit chinesischer Unterstützung ein nationales Rechenzentrum ein, das künftig auch Regierungsdaten speichern soll. Die bisher auf ausländischen Servern gesicherten Daten sollen dafür alle auf die neuen nationalen Server übertragen werden, sagte Senegals Präsident Macky Sall einem Bericht von Reuters zufolge. Der westafrikanische Staat wolle damit seine digitale Souveränität stärken, so Sall.

    Das mit einem chinesischen Darlehen finanzierte und mit Ausrüstung und technischem Support von Huawei gebaute Rechenzentrum wird demnach über ein Unterseekabel an das globale Netz sowie das landeseigene 6.000 Kilometer lange Glasfasernetz angeschlossen sein. Auch staatliche Firmen wie Senelec, das nationale Elektrizitätsunternehmen, werden ihre Daten zusammen mit Regierungsbehörden in das Zentrum übertragen, sagte Sall.

    Senegal ist nicht das einzige afrikanische Land (China.Table berichtete), das zuletzt mit chinesischer Unterstützung staatliche Großprojekte umgesetzt hat: Der zentralafrikanische Staat Gabun renovierte mit Geld aus China jüngst das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Libreville. Das Gebäude wurde vergangene Woche vom chinesischen Botschafter an die gabunische Regierung überreicht. ari

    • Afrika
    • Big Data
    • Huawei
    • Technologie

    Presseschau

    Chinese Covid-19 Gene Data That Could Have Aided Pandemic Research Removed From NIH Database WSJ
    Letter: China must pivot to consumption-led growth or risk decline FT
    China prepares for Communist Party centenary in secret INDEPENDENT
    Timeline of events leading to the closure of Hong Kong’s Apple Daily THE GUARDIAN
    Chinese president calls for building closer Belt and Road partnership XINHUA (STAATSMEDIUM)
    Halbleiter-Technologie – China erobert den Wafer-Markt FAZ
    Marktmacht chinesischer Unternehmen: Peking legt sich mit Techkonzernen an TAGESSCHAU
    Impfstoff aus China – Chile will Schutz mit dritter Impfdosis erhöhen SPIEGEL
    BYD, Nio, Geely und Xpeng gegen Tesla: Brandheißer Performance-Check DER AKTIONÄR
    Winter-Olympia in Peking: Weltweiter Protest gegen die Spiele TAGESSCHAU

    Standpunkt

    Pekings ambitionierte Pläne mit dem E-Yuan

    Von Nils Beier
    Nils Beier über den e-CNY, die E-Währung der chinesischen Regierung.
    Nils Beier Leiter des Bereichs Strategy für Banken und Public Sector bei Accenture

    Nahezu alle Zentralbanken der Welt arbeiten an der Entwicklung und Einführung von digitalem Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency, CBDC). Dabei handelt es sich um eine digitale Währung, die Verbrauchern, Unternehmen, dem Handel und der Wirtschaft als Alternative zum Bargeld zugänglich gemacht werden soll. Doch es gibt noch mehr Gründe für das Engagement der Zentralbanken: Zum einen reagieren sie mit CBDC auf die aktuellen technologiegetriebenen Entwicklungen im Zahlungsverkehr und wollen der Verbreitung von privaten, alternativen digitalen Bezahlsystemen, wie zum Beispiel Bitcoin oder Facebook Diem, entgegensteuern. Zum anderen soll so nicht nur die Digitalisierung der Wirtschaft unterstützt, sondern auch die eigene staatliche Währungshoheit und Relevanz im internationalen Zahlungsverkehr gewahrt werden.

    Im Wettrennen hat China die Nase vorn

    Sieht man einmal von den Bahamas ab, die bereits im vergangenen Jahr den digitalen “Sand Dollar” lanciert haben, wird China voraussichtlich die erste große Volkswirtschaft sein, die ein als e-CNY (E-Yuan) bezeichnetes digitales Zentralbankgeld einführt (China.Table berichtete). Damit ergreift das Reich der Mitte frühzeitig die Chance, künftig auch im internationalen Zahlungsverkehr eine bedeutende – digitale – Rolle zu spielen.

    Im bargeldlosen Zahlungsverkehr innerhalb des eigenen Wirtschaftsraums zählt China bereits zu den führenden digitalen Ländern der Welt. An diese Vorreiterrolle will die Regierung mit der Entwicklung des digitalen Yuans (DCEP – Digital Currency Electronic Payment) anknüpfen und treibt die Entwicklung des e-CNY seit 2016 vehement voran. Damit dies gelingt, gründete die chinesische Zentralbank im Juni 2017 das PBoC Digital Currency Research Institute, das für das Design und die Entwicklung des e-CNY zuständig ist.

    Peking erweitert Handlungsspielraum

    Die chinesische Regierung hat erklärt, dass eine führende Rolle bei der Entwicklung globaler Technologiestandards – gerade auch im Paymentsektor – die Wettbewerbsfähigkeit Chinas erhöhen und die Wirtschaft ankurbeln wird. E-CNY soll aber nicht nur für einen Technologieschub sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes nach vorne bringen, sondern auch den eigenen Handlungsspielraum gegenüber großen lokalen digitalen Technologieunternehmen wie zum Beispiel Tencent oder Alibaba erweitern. Diese dominieren mit Wechat Pay und Alipay den dortigen digitalen Zahlungsmarkt und haben so im Grunde ein alternatives Finanzsystem in China geschaffen, das sich relativ unabhängig von der Zentralbank nutzen lässt.

    Das Interesse der Regierung ist also groß, kommerziellen Payment-Anbietern nicht das gesamte Feld zu überlassen und gegebenenfalls die Kontrolle zu verlieren. Der Zugang zu den wertvollen Daten über die Zahlungsströme und das Nutzerverhalten der Bevölkerung ist dabei wichtig. Zudem will man den Status als globalen Impulsgeber bei der Entwicklung von digitalen Zahlungssystemen ausbauen und zum Technologieführer bei der Blockchain avancieren. Auch die Entwicklung von grenzüberschreitenden Finanzinnovationen und die Möglichkeit Verträge mit Partnerländern auf Yuan- statt US-Dollar-Basis zu schließen, soll mit e-CNY möglich werden. Das würde China letztlich auch unabhängiger von etwaigen US-Sanktionen machen.

    Eine erste Runde von e-CNY-Pilotprogrammen wurde von der Zentralbank der Volksrepublik China (People’s Bank of China, PBoC) bereits durchgeführt. Bis März dieses Jahres führte die PBoC sieben e-CNY Tests durch, bei denen insgesamt 160 Millionen e-CNY (etwa 24,6 Millionen US-Dollar) verteilt wurden. Mehr als eine halbe Million Menschen haben bisher e-CNY erhalten und Tests in weiteren Gebieten sollen folgen. Die PBoC verfolgt das ehrgeizige Ziel, den digitalen Yuan an den Austragungsorten der olympischen Winterspiele in Peking 2022 großflächig auszurollen.

    Design von Land zu Land unterschiedlich

    China verfolgt bei der Ausgestaltung von CBDC einen zentralistischen Ansatz. Das bedeutet, wer in Zukunft digitale Payments in China ausführen möchte, kommt am digitalen Yuan nicht vorbei. Doch auch ohne e-CNY hat der chinesische Staat Möglichkeiten, Geldströme zu verfolgen. Die meisten mobilen Zahlungen oder Devisentransaktionen laufen über die zentrale Clearing-Plattform NetUnion oder über das China Foreign Exchange Trade System. Das bedeutet, auch ohne e-CNY kann die chinesische Finanzaufsicht in Echtzeit sehen, wie Geld ausgegeben wird.

    Technische Details zu e-CNY sind bisher nur wenige bekannt. Nach Angaben der PBoC gehören der Schutz der Privatsphäre der Nutzer, eine verbesserte Nachverfolgung, geringere Transaktionskosten sowie die Vereinfachung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs zu den Vorteilen des e-CNY. Nach Angaben der PBoC wird e-CNY ein gesetzliches Zahlungsmittel sein, das in einem zentralisierten und zweistufigen Ausgabe- und Verteilungssystem Bargeld ersetzen bzw. ergänzen soll. Rechtlich gesehen, sind seine Funktionen und Eigenschaften dem Bargeld gleichgestellt. Die Ausgabe erfolgt über die chinesischen Geschäftsbanken, die das digitale Geld dann über eine App verteilen. Dieses Geld ist durch eine entsprechende Einlage bei der PBoC gedeckt. Die App ist so konzipiert, dass es ohne Netzwerkverbindungen “Dual-Offline” arbeiten kann, das heißt sowohl der Zahlende als auch der Zahlungsempfänger befinden sich in einem Offline-Modus. Voraussichtlich werden auf e-CNY keine Zinsen gezahlt und auch die Menge, wie viel e-CNY jeder Bürger erhalten kann, ist vermutlich begrenzt.

    Die amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) sieht bei der Entwicklung und Einführung des e-Dollars weniger Eile geboten. Wie Fed-Chef Jerome Powell jüngst bei einer Online-Diskussion der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) betonte, sei die US-Notenbank noch nicht einmal in einer Phase der “Entscheidungsfindung”. Die Fed denkt zwar über die Einführung nach und sondiert mögliche Vorteile und Risiken, aber hat nicht den Ehrgeiz hier Pionierarbeit leisten zu wollen. Sicherheit hat für die Amerikaner höchste Priorität. Der Fed fehlt es auch noch an der Unterstützung des Kongresses, der, so Powell, noch grünes Licht geben muss. Es gibt auch einige wenige privatwirtschaftliche Initiativen zum digitalen Dollar. So soll dem Initiative Digital Dollar Project zufolge, in den kommenden Monaten einige Pilotprojekte zum e-Dollar starten, die auch die möglichen Vorteile von digitalem Zentralbankgeld untersuchen. Bisher stützen sich die Überlegungen der USA zu CBDC auf Erhebungen anderer Länder. Erst jetzt will man beginnen, eigene Daten zu erheben.

    EU zögert beim digitalen Euro

    In der EU positioniert man sich zwischen einem zentralisierten und freiwilligen Ansatz. Zur Jahresmitte will die Europäische Zentralbank (EZB) die Entscheidung fällen, ob es den e-Euro geben wird oder nicht. Anders als die US-Notenbank setzt sich die EZB seit geraumer Zeit mit den Möglichkeiten und Vorteilen eines digitalen Euros auseinander. Bereits 2019 gründete EZB-Chefin Christine Lagarde eine interne Task Force zum digitalen Euro. Wichtige Themen sind für die Europäer unter anderem Datenschutz und Anonymität bei Transaktionen. Insgesamt steht die EU noch vor einigen Herausforderungen in Zusammenhang mit CBDC. So werden beispielsweise fast 70 Prozent aller Retail-Transaktionen in der EU noch immer in bar getätigt. Doch nicht nur die Ausgabe von CBDC im Bereich des privaten Konsums hat für die EU Vorrang, digitales Zentralbankgeld soll auch in der Industrie und bei digitalen Geschäftsmodellen zum Tragen kommen. Hier ist vor allem der Einsatz bei Pay-per-Use-Modellen oder im Feld der Machine-to-Machine-Payments zu nennen.

    China hat bereits riesige Schritte nach vorne geleistet und ist auf dem besten Weg, das Rennen um die Einführung einer digitalen Währung zu machen und auch in diesem Feld eine technologische Führungsrolle zu übernehmen. Doch bei aller Eile Chinas bleibt die Frage, ob die Regierungen und Zentralbanken der westlichen Länder wertvolle Erkenntnisse aus Chinas e-CNY-Tests für sich gewinnen können. Immerhin ist das chinesische System in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich – von seinem stark kontrollierten Finanzsystem über strenge Kapitalverkehrsvorschriften bis hin zum riesigen Volumen des mobilen Zahlungsverkehrs.

    Nachdem Europa im Bereich der digitalen Zahlungsdienstleistungen allerdings durchaus weiter abgeschlagen ist, ist es richtig, dass die EZB in Sachen digitaler Euro jetzt an Fahrt aufnimmt. Nicht zuletzt um die Weichen für den Bereich des Internets der Dinge (IoT) frühzeitig zu stellen und im industriellen Umfeld nicht ins Hintertreffen zu geraten. Banken und Privatwirtschaft arbeiten hier bereits an eigenen Lösungen. Ein Zögern könnte das Potenzial anderen globalen Technologieunternehmen zugänglich machen und das spannende Feld der digitalen Währungen branchenfremden Playern überlassen.

    Dr. Nils Beier, Managing Director, Leiter des Bereichs Strategie für Banken und Public Sector bei Accenture in DACH.

    • Bitcoin
    • E-Yuan
    • Finanzen
    • Peoples Bank of China
    • Zentralbank

    Dessert

    Die Lotus-Blume gehört fest zu den China-Klischees. Tatsächlich sind sie zahlreich zu finden – und hier in Anlong in der Provinz Guizhou haben sie bereits den gesamten See überwuchert. Genau wie in der berühmten Rechenaufgabe, mit der sich die Wirkung der Exponentialfunktion veranschaulichen lässt. Der Teich ist bekanntlich viel schneller zugewachsen als man denkt.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen