Table.Briefing: China

Doris Fischer: “China schottet sich nicht ab” + Reaktionen auf das 6. Plenum

  • Interview mit China-Ökonomin Doris Fischer
  • Wie einfach wird Diplomatie mit dem neuen “Steuermann”?
  • Verwässerter Kompromiss zu Kohle bei COP26
  • Kompass und Gateway – Brüssel stellt Strategien vor
  • Ampel-Koalition spricht von Systemrivalität
  • Videogipfel von Xi und Biden
  • Corona-Maßnahmen: Online-Wut über getöteten Hund
  • Im Portrait: Hongkong-Aktivistin Glacier Kwong
  • Personalien: SMIC verliert mehrere Vorstandsmitglieder
Liebe Leserin, lieber Leser,

Die US-Whistleblowerin Frances Haugen befindet sich derzeit auf Tour in Europa: In Brüssel, Paris und Berlin warnte die 37-Jährige vor der Macht der Plattform Facebook und dem neu benannten Mutterkonzern Metaverse. Peking hörte bei den Ausführungen zu Datenklau und Manipulation mit einer großen Wahrscheinlichkeit beseelt zu, denn dass in der Volksrepublik westliche Netzwerke nicht besonders willkommen sind, ist keine Neuigkeit – wie unerbittlich die Führung in China seit Mitte dieses Jahres jedoch gegen den Tech-Sektor vorgeht, überraschte doch. Schließlich ist der Bereich hochinnovativ und eine Wachstumslokomotive für das Land.

Für die Ökonomin Doris Fischer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist der Schritt jedoch in gewisser Weise nachvollziehbar: “Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern.”

Im Interview mit Felix Lee spricht Fischer über die “Bauchschmerzen” der chinesischen Regierung, wenn es um Tech-Unternehmen geht. Außerdem erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin, warum schlechte Nachrichten in einzelnen Sektoren nicht gleich bedeuten, dass das Wachstum zusammenbricht. Anders als andere Experten kann sie derzeit keine Abschottung des Landes ausmachen.

Doch genau ein solches, sich immer mehr isoliertes China fürchten Beobachter:innen nun nach der “historischen Resolution” des 6. Plenums in der vergangenen Woche. China.Table hat Politiker:innen und China-Expert:innnen nach deren Einschätzung zum Machtausbau von Präsident Xi Jinping gefragt. Es zeigt sich: Die Hoffnung, dass sich Xis harter Kurs nach innen und außen abschwächen könnte, versiegen zusehends im Sand. Der Personenkult um den “Parteikaiser” lassen keine einfache diplomatische Zukunft zwischen Brüssel und Peking vermuten.

Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

“China will sich nicht abschotten”

Doris Fischer China-Ökonomin an der Universität Würzburg zur Abschottung Chinas
China-Ökonomin Doris Fischer von der Universität Würzburg

Frau Fischer, Lieferengpässe, Stromausfälle, Tech-Konzerne stehen unter Druck, dann die Krise des Immobilienriesen Evergrande – die Probleme ballen sich. Wie steht es derzeit um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt?

Ich habe neulich erst mit einem deutschen Unternehmer gesprochen, der mir schilderte, wie rasant für viele Firmen die Transportkosten von China nach Deutschland gestiegen sind. Es gibt nicht genug Container. Das hat verschiedene Gründe. Ein Problem bleibt aber Corona. Obwohl China im eigenen Land die Pandemie weitgehend im Griff hat, spielt das Virus dennoch eine gravierende Rolle. In den Sommermonaten waren es die Häfen von Ningbo und Shenzhen, die die Behörden wegen ein paar wenigen Fällen teilweise dicht machten. Nun trifft es auch den Bahnverkehr. Die chinesischen Behörden haben zuletzt zwei Grenzübergänge für Güterzüge gesperrt, weil es zwei Fälle gab. Im Bahnverkehr gibt es jetzt ebenfalls einen Rückstau.

Ein Corona-Fall in China – schon stockt der gesamte Welthandel? Wie konnte es so weit kommen?

Seit der Jahrtausendwende sind die globalen Lieferketten so fein ziseliert und perfekt aufeinander abgestimmt, dass Betriebe auch in Deutschland sofort zu spüren bekommen, wenn es nur an einer Stelle hakt. Abfertigungsprobleme gibt es derzeit auch in Großbritannien und den USA. Das gesamte System ist hoch anfällig. Und als größter Produzent nicht nur von Konsumgütern, sondern auch industriellen Vorprodukten kommt China eine Schlüsselrolle zu.

Die meisten Länder haben sich längst damit abgefunden, mit dem Virus irgendwie zu leben –  zumal es Impfstoffe gibt. Reagiert China nicht über?

Die chinesische Regierung hat sich vor anderthalb Jahren zum Ziel gesetzt, das Virus auszumerzen. Nun fällt es ihr schwer, von diesem Versprechen abzurücken.

Die Nebenwirkungen der Null-Covid-Strategie sind erheblich.

Natürlich tut das weh. Der Parteisekretär der Inneren Mongolei musste nach nur zwei Monaten im Amt gehen, weil es in seiner Provinz zu einem Ausbruch kam. Mehr als fünf Millionen Nanjinger durften wegen einigen wenigen Fällen über die Oktoberfeiertage nicht die Stadt verlassen. Der Führung geht es wirklich darum, das Virus zu unterdrücken. Besonders rigide geht sie in der Hauptstadt Peking vor. Dort greifen zum 6. Plenum des Nationalen Volkskongresses und wenige Monate vor den Olympischen Winterspielen schon wieder strengere Einreisebeschränkungen.

Anders als noch bei seinen Vorgängern scheint Xi Jinping Wirtschaftswachstum nicht über alles zu stellen?

Das Wachstum im dritten Quartal lag bei 4,9 Prozent. Das ist zwar weniger als manche erwartet haben. Aber den Glauben, dass China immer hohe Wachstumszahlen hat, halte ich für fehlgeleitet. Die absolute Basis wird ja immer größer, das würde eine exponentielle Expansion ergeben. Chinas Ansage, das Wachstum werde sich im Durchschnitt – und zwar ohne Corona – über die nächsten Jahre  erst bei sechs Prozent einpendeln und dann sukzessive zurückgehen, halte ich für realistisch.

Welche Rolle spielt die Pandemie für das Wirtschaftsgeschehen?

Natürlich hat die Pandemie auch Auswirkungen auf Chinas Wirtschaft. Es gab zudem die große Flut in Henan, und andere Auswirkungen des Klimawandels. Die Krise mit Evergrande wird den Immobilienmarkt dämpfen. Und das Vorgehen gegen die Tech-Konzerne hat wirtschaftliche Auswirkungen. Ich würde all das dennoch nicht überbewerten. China ist ja eigentlich wie ein Kontinent. Wenn es in einer Region zu Problemen kommt, bedeutet das nicht gleich einen Durchhänger für das ganze Land.

Sie klingen optimistisch.

Ich denke schon, dass die chinesische Regierung nervös ist. Sie hat im Moment recht viele Probleme gleichzeitig zu bewältigen. Einiges ist aber auch bewusst so gewollt. Die Regulierung des Tech-Sektors in China steht schon lange an. Diese großen Unternehmen hatten freie Hand und sind sehr groß und einflussreich geworden. Sie betreiben unlauteren Wettbewerb und lassen zwielichtige Gestalten Geschäfte machen. Und dann behauptet Alibaba-Chef Jack Ma auch noch in aller Öffentlichkeit, sein Unternehmen könne es besser als die Staatsbanken. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Aber Chinas Tech-Sektor ist der Bereich, der wirklich hochinnovativ ist.

Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern. In einer zivilisierten Gesellschaft wird nicht in die Ecke gespuckt. Das wollte die KP-Führung in den achtziger Jahren unterbinden. Heute will sie eine zivilisierte Gesellschaft, in der auch in der Wirtschaft Anstand herrscht. Viele Unternehmer in China haben noch immer eine Einstellung wie im Wilden Westen. Ihre Geschäftsmodelle sind darauf ausgerichtet, möglichst viele Rechtslücken zu nutzen. Und davon gab es in China lange Zeit recht viele. Die Regierung will aber lieber Geschäftsideen, die sich im Rahmen des Regelwerks entwickeln.

Nur geht sie da nicht zu weit? Sie schränkt selbst das Online-Gaming bei Kindern ein.

Dahinter dürfte ein Stück weit Populismus stecken. Auch in China gibt es viele Eltern, die sich angesichts der Gaming-Vorlieben ihrer Kinder Sorgen machen. Sicherlich steckt hinter dieser Maßnahme auch die Vorstellung, bessere Menschen zu schaffen. Mao hatte das bereits über Kampagnen versucht. Xi versucht das jetzt über Regulierung und mit dem Sozialkreditsystem, das das Verhalten der Bürger bewertet. Einigen Unternehmen mag das nicht schmecken. Sie müssen sich an die neuen Regeln anpassen. Und sicherlich ärgern sich einige Leute, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Xi wird aber sicher nicht so weit gehen, die großen Tech-Unternehmen zu zerschlagen. Das will er auf keinen Fall.

Vielleicht nicht komplett zerschlagen. Innovationskraft nimmt er ihnen aber schon.

Ich erinnere mich gut an ein Gespräch, das ich vor der Pandemie mit chinesischen regierungsnahen Experten führte. In diesem Gespräch wurde mir deutlich, dass die chinesische Regierung Bauchschmerzen mit den Tech-Konzernen hat. Einer sagte sogar: “Wenn wir eure Hidden-Champions hätten, würden wir euch unsere Alibabas gerne übergeben.” Hinter dieser Aussage steckt dieser tiefe Glaube, dass Wirtschaft etwas Reales sein muss, also was man anfassen, bauen oder essen kann. Die ganze Internet-Ökonomie ist aus dieser Warte suspekt.

Die IT-Industrie hat China technologisch aber enorm nach vorne gebracht.

Das hat sie. Aber es gibt einen weiteren Aspekt, der die chinesische Regierung umtreibt und der im Westen auch Thema ist: Die Frage der Macht dieser Plattformen. Sie sind sehr große und sehr reiche Unternehmen geworden, die unglaublich viele Daten gesammelt haben. Das macht sie sehr einflussreich. Auch wir diskutieren nicht umsonst über die Macht von Facebook und seinen Wettbewerbern. Bei uns stellt sich die Frage: Sind diese Plattformen eine Gefahr für die Demokratie? In China lautet sie: Gefährden sie die Partei? Ich finde es erstaunlich, wie lange die Führung diese Unternehmen überhaupt gewähren ließ.

China Führung folgt in ihrer Politik jedoch in vielen Fällen bekannten Mustern.

Wir kennen dieses Vorgehen aus anderen Bereichen: Man lässt es erst laufen und dann versucht man die Auswüchse zu bändigen. Im Alibaba-Fall gibt es Hinweise, dass Jack Ma wusste, was kommt und dass er im Oktober letzten Jahres diese Rede gehalten hat, um vor diesen anstehenden Regulierungen zu warnen. Damit ist er aus Sicht der Regierung aber zu weit gegangen. Ich glaube, diese Message ist bei den Tech-Unternehmen angekommen. Nach allem was ich weiß, geht es diesen Unternehmen aber weiterhin gut.

Und die Krise des Immobilienkonzerns Evergrande? Ein Crash des völlig überhitzten chinesischen Immobilienmarktes ist in den vergangenen zehn Jahren mehrmals schon vorausgesagt worden.

Es gibt in der Tat mehrere Immobilienunternehmen, die große finanzielle Probleme haben. Die Evergrande-Krise wirkt sich also auf den Immobilienmarkt aus. Und ziemlich sicher werden einige Köpfe rollen. Ich habe den Eindruck, die chinesische Regierung versucht die Auswirkungen auf die Kleinanleger und privaten Hauseigentümers sozial abzufedern. Die Firma als solche wird die Regierung aber eher nicht retten. Die Führung hat im vergangenen Jahr in diesem Sektor ganz bewusst die Zügel angezogen, um zu verhindern, dass der Immobilienmarkt überhitzt. Vielleicht hat sie nicht mit einem so großen Schock gerechtet. Jetzt lautet das Motto halt: Augen zu und durch.

Schon ist vom chinesischen Lehmann die Rede.

Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die chinesische Regierung wird den Bankensektor immer retten. Er ist ohnehin überwiegend staatlich – mit Zähneknirschen zwar und es einige Leute zur Verantwortung gezogen werden. Aber einen kompletten Zusammenbruch halte ich für unwahrscheinlich.

Schon vor Beginn der Pandemie hat China ausländischen Unternehmen suggeriert: Wir brauchen euch nicht mehr, wir können inzwischen alles selbst. Die Pandemie nutzt sie nun als Grund, sich abzuschotten. Was beobachten Sie?

Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Im Ergebnis kann dies aber dennoch dazu führen, dass weniger Ausländer in China sind. Das Ganze hat mit dem im letzten Jahr vorgestellten Konzept der Dual Circulation zu tun. China will seinen Binnenmarkt stärken. In dem Konzept steht viel vom Abbau von Marktbarrieren innerhalb Chinas. Damit verbunden sind zwei weitere Ziele.

Welche?

In der Tat soll das Land weniger abhängig werden von ausländischer Technologie. Peking will verhindern, dass die USA Chinas technologische Abhängigkeit als Hebel nutzen kann, um China klein zu halten. Zugleich weiß die Führung aber, dass das Land weiter Rohstoffe und Märkte im Ausland braucht. Und da will China sogar expandieren. Mit dieser Strategie erhofft sich die Führung folgendes: Der chinesische Markt soll so groß und so wichtig sein, dass die ausländischen Unternehmen von selbst kommen – allerdings ohne die Privilegien, die ausländische Firmen bisher genossen haben, sondern zu den Bedingungen, unter denen auch chinesische Privatunternehmen funktionieren müssen.

Ausländische Unternehmen in China nehmen ihre Stellung dagegen nicht unbedingt als privilegiert wahr. Sie beklagen, dass sie schon jetzt benachteiligt werden.

Dann wird es für sie nun eher noch schwieriger. Denn die chinesische Konkurrenz ist zugleich richtig gut geworden. Bei der Automobilindustrie kommt hinzu, dass die ausländischen Hersteller beim Trend zur Elektromobilität nicht gerade die Avantgarde sind. China will sich nicht abschotten, sondern die bisherige Ausrichtung der globalen Märkte verändern. In der Vergangenheit zeigte die Kompassnadel der internationalen Handelsströme letztlich in Richtung der USA und Europa. China will, dass die Kompassnadel sich dreht.

Doris Fischer, 56, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Sinologin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie leitet dort den Lehrstuhl für China Business and Economics. Fischer ist zudem Vizepräsidentin der Universität. In ihren aktuellen Forschungsprojekten untersucht sie die Rolle und Ausgestaltung von Industriepolitik für die Energiewende sowie die Auswirkungen des chinesischen Sozialpunktesystems auf Unternehmen.

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    Analyse

    Reaktionen auf Machtausbau: “Xi zwingt uns zum Systemwettbewerb”

    Nach der “historischen Resolution” des 6. Plenums des Zentralkomitees erhoben Funktionäre der allein regierenden Kommunistischen Partei Staatschef Xi Jinping pathetisch zum Steuermann. “Solange wir den Kameraden Xi als den Kern anerkennen, wird das gigantische Schiff der nationalen chinesischen Verjüngung einen Steuermann haben und in der Lage sein, jedem Sturm die Stirn zu bieten”, sagte der Leiter des parteieigenen Politikforschungsbüros, Jiang Jinquan, bei einer Abschluss-Pressekonferenz des Plenums am vergangenen Freitag. Xi habe es verdient, dass man ihn als “Führer des Volkes” bezeichnet.

    Weil Protokoll, aber auch Rhetorik in sozialistischen Diktaturen von überragender symbolischer Bedeutung sind, ist das jüngste Attribut für Xi ein Zeichen für seine zentrale Rolle auf Jahre hinaus. Staatsgründer Mao Zedong war der bislang einzige Vorsitzende, den die Kader in den inoffiziellen Status des “Steuermanns” erhoben hatten, des “Großen Steuermanns” wohlgemerkt. Das Adjektiv hat Mao seinem Nachfolger in fünfter Generation noch voraus.

    “Wenn man die aktuelle sogenannte ‘historische Resolution’ mit den vorigen beiden von Mao Zedong und Deng Xiaoping vergleicht, dann gibt es einen wichtigen Unterschied: Diesmal geht es nicht darum, das bisherige politische und wirtschaftliche System Chinas durch ein neues zu ersetzen“, erklärt der China-Forscher Marc Oliver Rieger, Leiter des Konfuzius-Instituts in Trier, China.Table. Stattdessen würde im Copy&Paste-Verfahren die Kontinuität im Abschlussdokument betont. “Einzig historisch ist, dass implizit angekündigt wird, Xi Jinpings Amtszeit über das nächste Jahr hinaus zu verlängern”, sagt Rieger.

    Noah Barkin, China-Experte bei Rhodium Group und dem German Marshall Fund, blickt mit Sorge auf die Entwicklung: “Die Hauptbotschaft des 6. Plenums ist, dass sowohl Xi Jinping als auch seine Politik noch viele Jahre bestehen werden. Wir können in Zukunft ein autoritäreres China, ein nationalistischeres China, ein isolierteres China und ein selbstbewussteres China erwarten.” Europa müsse als Reaktion auch klar seine roten Linien festsetzen und diese dann einhalten, so Barkin. Für die Kooperation zwischen Brüssel und Peking sieht er eine eher komplizierte Zukunft: Die EU müsse sich auch auf eine Welt vorbereiten, in der die Zusammenarbeit viel schwieriger werden, betont Barkin.

    Machtpolitische Meisterleistung

    Dass es Xi gelungen ist, die Partei in wenigen Jahren zu einer Verfassungsänderung in seinem Sinne zu nötigen und nun auch das Zentralkomitee hinter sich zu scharen, ist zweifellos eine machtpolitische Meisterleistung. Nach fast 50 Jahren ebnete das mächtige Parteiorgan mit seinen knapp 400 Mitgliedern vermeintlich einvernehmlich den Weg der Volksrepublik in eine “personalisierte Diktatur”, wie der Politikwissenschaftler Andreas Fulda das Land unter Xis Führung bezeichnet. Beim kommenden Parteitag in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 könnte Xi eine dritte Amtszeit anstreben, was seinen Vorgängern Hu Jintao und Jiang Zemin verwehrt geblieben war.

    “Auf absehbare Zeit wird die Welt es mit Xi Jinping als chinesischem Parteikaiser zu tun haben. Damit ist auch klar, dass jegliche Hoffnung, sein harter Kurs nach innen und außen könne sich vielleicht abschwächen, auf Sand gebaut ist”, sagt Reinhard Bütikofer China.Table. Der Europaparlamentarier der Grünen wurde im Frühjahr von chinesischer Seite zur Persona non grata erklärt: Er gehört zu einer Gruppe sanktionierter Personen und Institutionen aus der EU. “Mit seiner Mischung aus aggressivem Nationalismus, Triumphalismus und Zentralismus zwingt er uns zum Systemwettbewerb, ob wir wollen oder nicht”, so Bütikofer.

    Bütikofers Kollegin im EU-Parlament, die Europa-SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt, warnt: “Der Ausbau der Machtstellung von Xi Jinping hat sich bereits vor Jahren abgezeichnet und entwickelt sich zu einem Personenkult.” Durch die zentrale Steuerung sämtlicher politischer Tätigkeiten seien diplomatische Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik sehr erschwert, so Gebhardt, die Teil der Delegation für die Beziehungen zu China des EU-Parlaments ist. “Diplomatie braucht Kompromissbereitschaft, die wir unter der aktuellen chinesischen Führung vermissen.”

    Auch die Journalistin Qin Liwen fürchtet, dass Xis Konsolidierung der Macht die Fortsetzung einer “aggressiven und bestimmenden Außenpolitik” der Volksrepublik bedeutet. “Xi will China zur ‘bedeutendsten Nation’ der Welt machen, was in seiner Wahrnehmung heißt: China schreibt der Welt seine Regeln vor“, sagt Qin.

    Damit einher geht eine strikte Ablehnung eines demokratischen Wertesystems. Selten wenden sich Parteifunktionäre so klar gegen das dominierende politische System des Westens wie KP-Politikforscher Jiang das am Freitag tat. “Demokratie ist keine exklusive Ermächtigung westlicher Staaten und weniger noch sollte sie von westlichen Staaten definiert und auferlegt werden”, sagte Jiang. Demokratie sei ein “Spiel der Reichen”, dessen Regeln durch Geld bestimmt würden.

    “Katastrophale Fehler vermeiden”

    Das 6. Plenum warnte in seinem Kommuniqué auch davor, dass das Land “katastrophale Fehler in grundlegenden Angelegenheiten” vermeiden müsse. In der Vergangenheit berührten “grundlegende Angelegenheiten” der Volksrepublik China das Ausland meist nur marginal. Als zweitgrößte Volkswirtschaft, größter CO₂-Emittent, größter Konsumentenmarkt, größter globaler Kreditgeber, größter Handelspartner zahlreicher Regionen und Nationen oder größter atomarer Aufrüster sind die Konsequenzen chinesischer Politik inzwischen überall auf der Welt zu spüren.

    Publizistin Qin, die viele Jahre als Nachrichtenchefin eines chinesischen Onlineportals arbeitete und heute in Berlin lebt, sieht darin deutliche Signale, dass sich Peking in vielen Aspekten “nicht als der kooperative, internationale Partner erweisen wird, den die westliche Agenda für die Lösung von Problemen benötigt.”

    Dringlichstes internationales Anliegen ist der Kampf gegen den Klimawandel. “Schritt für Schritt”, heißt es in dem Beschluss, wolle das Land Klimaneutralität erreichen. Qin erwartet, dass sich die nötige Reduktion von CO₂-Emissionen Chinas wirtschaftlicher Entwicklung und damit seiner sozialen Stabilität unter allen Umständen unterordnen muss. Den Verlust ihres Machtmonopols fürchte die Kommunistische Partei mehr als mögliche Konsequenzen durch eine Erderwärmung von mehreren Graden, so Qin.

    Neue Seidenstraße eine “außenpolitische Belastung”

    Zum Machterhalt beitragen soll eine Agenda, die widerspiegelt, was Chinas Staatsführung seit Jahren als Leitfaden ausgibt. Innovativ und grün wolle das Land wachsen und dabei sowohl den öffentlichen als auch den privaten Sektor fördern. Dabei sollten Monopole und eine “ungeordnete Expansion des Kapitals” bekämpft werden. Die Partei will Anreize setzen, damit die Menschen in Land durch Unternehmertum “reich werden” können. Dabei soll gleichzeitig das Konzept des allgemeinen Wohlstands realisiert werden, wozu eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen erzielt werden muss.

    Auch außenpolitische Aspekte sind Teil des Dokuments. Die Situation in Hongkong habe Staatschef Xi nach den Massenprotesten “aus dem Chaos zur Kontrolle” geführt. Im Konflikt um Taiwan lobt der Beschluss Pekings Führungsrolle und Entschlusskraft. Die chinesische Regierung bezeichnet den Inselstaat als untrennbaren Teil der Volksrepublik und verurteilt dessen diplomatisches Bestreben nach größerer internationaler Anerkennung.

    Keine Erwähnung dagegen findet die Neue Seidenstraße-Initiative. Jie Yu von der Londoner Denkfabrik China at Chatham House sagte der Nachrichtenagentur Bloomberg, sie halte das für ein Indiz dafür, dass die Initiative “eher zu einer außenpolitischen Belastung” geworden sei als zu einem Gewinn. Das weltweite Investitionsprogramm hat nicht nur Befürwortung wegen möglicher Impulse für den globalen Handel ausgelöst, sondern auch viel Misstrauen gegenüber chinesischen Ambitionen. Mitarbeit: Amelie Richter

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      News

      China schwächt COP-Zusagen ab

      China hat in letzter Minute für eine Abschwächung der Formulierungen zum Ausstieg aus Kohlekraft bei der UN-Klimakonferenz COP26 gesorgt. Gemeinsam mit Indien habe die chinesische Delegation darauf beharrt, den Klimapakt in Glasgow erst zu unterzeichnen, wenn die Verpflichtungen zur Abschaffung von Kohlekraft und Subventionen für fossile Brennstoffe verwässert wird, berichtet die Financial Times. Demnach waren die Verhandlungen in dem Bereich bis zum Schluss angespannt. Der nun geschlossene Last-Minute-Deal der COP26 beinhaltet jedoch zum ersten Mal offizielle Zusagen, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu reduzieren.

      Der endgültige Text verpflichtet die 197 Vertragsparteien des Pariser Abkommens, die unverminderte Kohleverstromung “auslaufen” zu lassen und “ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen”. Zwar taucht der Bereich in der Abschlusserklärung auf – die Klausel wurde im Laufe der Woche aber erheblich abgeschwächt. China und Indien bestanden Medienberichten zufolge dann am Samstag auf die kurzfristige Änderung der Formulierung von “phase out” zum unverbindlicheren und schwächer formulierten “phase down”. Der Unterschied zwischen der kompletten Ausmerzung von Kohle und lediglich derer Begrenzung war vor allem für kleinere Inselstaaten wichtig.

      Andere Teilnehmer-Staaten der COP26 seien von den chinesisch-indischen Forderungen überrumpelt worden, hieß es in Medienberichten. COP-Präsident Alok Sharma warnte am Sonntag im Fernsehsender BBC, dass China und Indien ihre politischen Machenschaften gegenüber Ländern, die vom Klimawandel härter getroffen würden, “rechtfertigen” müssten. Sharma hatte sich bereits am Samstagabend sichtlich emotional in seinem Abschluss-Statement für die abgeschwächte Zusage zum Kohleausstieg geäußert: “Ich entschuldige mich für die Art und Weise, wie sich dieser Prozess entwickelt hat. Und es tut mir zutiefst leid. Ich verstehe auch die tiefe Enttäuschung.”

      Chinas Bilanz bei der UN-Klimakonferenz ist durchwachsen: Am Mittwochabend einigten sich Peking und Washington auf die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe – was als wichtiges Zeichen der beiden Wirtschaftsmächte gesehen wurde. Anderen Initiativen wie “Powering Past Coal Alliance” (PPCA) oder der Verpflichtung zur Reduzierung der weltweiten Methan-Emission trat die Volksrepublik aber beispielsweise nicht bei (China.Table berichtete).

      Neben der erstmals niedergeschriebenen Verpflichtung zur Reduzierung von Kohleverbrauch und Subventionen für fossile Brennstoffe, verpflichtet das Abkommen die Teilnehmerstaaten auch, ihre Emissionsreduktionsziele für 2030 bis Ende des kommenden Jahres zu verstärken. Das Klima-Paket fordert die reichen Nationen zudem auf, den Geldbetrag, den sie Entwicklungsländern für die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stellen, “mindestens zu verdoppeln”. ari

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        EU stellt “Global Gateway” und strategischen Kompass vor

        Brüssel wird in dieser Woche zwei wichtige Vorstöße präsentieren, um sich gegen China aufzustellen: Am Montag wird der sogenannte strategische Kompass, ein Dokument zur militärischen Strategie der Europäischen Union, beim Treffen der EU-Außen und Verteidigungsminister präsentiert. Am Mittwoch soll dann die Vorstellung der Infrastrukturinitiative “Global Gateway” erfolgen:

        • Strategischer Kompass: Neben einer Liste, die regionale Bedrohungen für die EU aufführt, dominieren China und Russland in dem 28-seitigen Dokument, wie Euractiv unter Berufung auf einen Entwurf der Strategie berichtet. In dem Dokument wird China demnach erneut als “ein Partner, ein wirtschaftlicher Wettbewerber und ein systemischer Rivale” charakterisiert und gewarnt, dass die Volksrepublik “zunehmend in regionale Spannungen verwickelt und involviert” sei. “Trotz des wachsenden Selbstbewusstseins Chinas werden wir weiterhin in Bereichen von gemeinsamem Interesse wie der Bekämpfung von Piraterie sowie Klima und Sicherheit zusammenarbeiten”, heißt es in dem Entwurf. Angesichts von Spaltungsversuchen unter den Mitgliedsstaaten vonseiten Pekings, mahnt das Papier an, dass “eine starke Einheit” erforderlich sei. “Europa ist in Gefahr”, warnt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Vorwort zum strategischen Kompass. Einer der umstritteneren Vorschläge des Papiers ist die Schaffung einer gemeinsamen militärischen Eingreiftruppe mit dem Namen EU Rapid Deployment Capacity bis 2025, die es “ermöglichen wird, eine modulare Truppe von bis zu 5.000 Soldaten, einschließlich Land-, Luft- und Seekomponenten, schnell einzusetzen.”
        • “Global Gateway”: Mit dem Programm zur Förderung strategisch wichtiger Infrastrukturprojekte will die EU-Kommission das außenpolitische Gewicht Europas stärken – und ein Gegengewicht zur “Belt and Road”-Initiative schaffen. China wird in dem Dokument jedoch namentlich nicht erwähnt, wie Bloomberg berichtete. Demnach sollen für “Global Gateway” mehr als 40 Milliarden Euro in Digital-, Verkehrs-, Energie- und Handelsprojekte investiert werden. Die Initiative solle “eine Dachmarke für die bereits umfangreichen EU-Investitionen in die Infrastruktur weltweit bieten”, heißt es in dem Dokument. Demnach wird der Ausbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes als Leitinitiative hervorgehoben. Für die Balkanregion sieht der Entwurf laut Bloomberg beispielsweise eine Wirtschafts- und Investitionsinitiative von bis zu neun Milliarden Euro in den kommenden sieben Jahren vor. Der Fokus soll auf Digitalisierung und erneuerbaren Energien liegen. Zudem sind weitere Projekte in Südamerika, dem Indo-Pazifik, Zentralasien und Afrika geplant. ari

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          Koalitions-Entwurf: Berlin übernimmt EU-Formulierungen

          Im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen könnte es zu einer Verschärfung der offiziellen Tonart Berlins gegenüber Peking kommen. Die Beziehungen zu China sollten in den “Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität” gestaltet werden, berichtete der Spiegel unter Berufung auf einen Entwurf des Papiers. Bisher tauchte der Begriff der “Systemrivalität” bezüglich der Volksrepublik nicht auf, auch nicht im Koalitionsvertrag von 2018.

          Ganz neu ist die Formulierung jedoch nicht: Der Dreiklang “Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale” wurde 2019 von Brüssel in einem Strategiepapier zu China festgelegt und findet in einem Großteil der offiziellen Kommunikation der EU zu Angelegenheiten mit der Volksrepublik. Der Koalitionsvertrag fordert dem Bericht zufolge auch eine “enge transatlantische Abstimmung der China-Politik” und die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängigkeiten zu verringern. ari

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            USA und China sprechen gegenseitige Warnungen aus

            Kurz vor dem ersten Videogipfel am Montag zwischen US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping haben beide Seiten sich gegenseitig gewarnt. US-Außenminister Antony Blinken habe im Gespräch mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi “seine Besorgnis über den anhaltenden militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Druck der Volksrepublik China auf Taiwan geäußert”, heißt es aus dem US-Außenministerium. Wang warnte Washington Medienberichten zufolge vor Aktionen, die den Anschein erwecken könnten, die “Unabhängigkeit Taiwans” zu unterstützen.

            Blinken und Wang sprachen dem US-Außenministerium zufolge am Freitag in Vorbereitung auf den Videogipfel von Biden und Xi am Montag. Der US-Außenminister forderte Peking auf sich an einem konstruktiven Dialog zu beteiligen und die Taiwan-Frage “friedlich und in einer Weise zu lösen, die mit den Wünschen und Interessen der Menschen auf Taiwan übereinstimmt”.

            Bei der Videokonferenz werde es um einen “verantwortungsvollen” Umgang mit dem “Wettbewerb” zwischen beiden Ländern gehen, erklärte Biden-Sprecherin Jen Psaki am Freitag. Zugleich solle über Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei Themen von gegenseitigem Interesse gesprochen werden. ari

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              Kritik an Null-Covid-Strategie wächst

              Der Fall eines von einem Corona-Präventionsteam brutal getöteten Hund hat am Wochenende zu Empörung in den sozialen Netzwerken in China geführt. Der Vorfall hatte sich Berichten zufolge in einer Gemeinde in Shangrao, einer mittelgroßen Stadt im Nordosten der Provinz Jiangxi, ereignet. Aufgrund eines neuen bestätigten Covid-19-Falls war die betroffene Gemeinde in Lockdown. Die Bewohner befanden sich in Quarantäne in einem Hotel, während Wohnungen desinfiziert wurden.

              Da das Hotel keine Haustiere erlaubte, habe sie ihren Hund in der Wohnung gelassen, teilte eine Frau mit dem Nachnamen Fu auf Weibo mit. Auf Aufnahmen einer Sicherheitskamera in ihrer Wohnung konnte sie sehen, wie zwei Mitarbeiter des Seuchenpräventions-Teams das Tier mit Eisenstangen auf den Kopf schlugen. Ein Video des Vorfalls sorgte unter Weibo-Nutzern für Wut und Fragen, ob die rigide “Null-Covid”-Strategie der Pekinger Führung gerechtfertigt sei.

              Eine erste offizielle Reaktion der Stadt machte es nicht besser: In einem Statement von Shangrao hieß es Berichten zufolge, die Mitarbeiter hätten den Hund “harmlos entsorgt”. In einem Meinungsstück in der mächtigen Global Times gab Chefredakteur Hu Xijin den wütenden Online-Kommentaren recht und forderte eine Entschuldigung der zuständigen Behörde und der Mitarbeiter bei Frau Fu. Bei dem Tier war keine Corona-Infektion nachgewiesen worden, schrieb Hu. Einer generellen Infragestellung der Corona-Maßnahmen widersprach er jedoch: “Es ist naiv, die dynamische Null-Covid-Politik infrage zu stellen, während wir tatsächlich mehr auf Details achten sollten” war das Meinungsstück überschrieben. ari

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                Glacier Kwong – kämpft im Exil für politisch Verfolgte

                Aktivistin aus Hongkong Glacier Kwong

                Zum Gesicht der Hongkonger Protest-Bewegung in Deutschland zu werden, hatte Glacier Kwong nicht geplant. Als die pro-demokratischen Proteste in ihrer Heimatstadt vor zwei Jahren eskalierten, weilte die heute 25-Jährige gerade in Hamburg, wo sie seit 2018 an der Universität eingeschrieben ist. Aus der Ferne verfolgte sie, wie ehemalige Klassenkameraden unter Tränengassalven von der Polizei eingekesselt wurden. Viele ihrer engsten Freunde wurden festgenommen.

                Kwong, die bereits als Teenager politisch aktiv war, sah machtlos zu. Als Joshua Wong, den sie noch aus Zeiten der Regenschirm-Proteste von 2014 kennt, kurz darauf eine Vortragsreihe in Europa ankündigte, ließ sich Kwong nicht lange bitten: An Orten wie der Berliner Humboldt-Uni oder der Bundespressekonferenz saß sie neben dem bekanntesten Hongkonger Aktivisten auf dem Podium, und sprach über ihre Spezialgebiete: Pekings wachsende Überwachung und die Möglichkeiten des digitalen Widerstands.  

                Joshua Wong wurde nicht lange nach seiner Rückkehr nach Hongkong abermals verhaftet. Glacier Kwong blieb in Deutschland, wo sie zur gefragtesten Hongkonger Exilantin wurde. Sie gibt Interviews, hält Vorträge, schreibt Zeitungskolumnen und hat im Deutschen Bundestag eine Petition initiiert, die Sanktionen gegen chinesische Beamte durchsetzen soll. “Manchmal wünsche ich mir, nicht so sichtbar zu sein”, sagt die Aktivistin, die derzeit an der Universität Hamburg ihre Doktorarbeit zum Thema Datenschutz schreibt. “Aber gleichzeitig weiß ich, dass ich mit meiner Bekanntheit ziemlich privilegiert bin. Wenn ich in Schwierigkeiten gerate, wird es immer Leute geben, die mir helfen.”

                Treffen und Interviews nur mit Faradayscher Tasche

                Durch die Corona-Beschränkungen und vor allem durch das neue Nationale Sicherheitsgesetz ist die Hongkonger Demokratie-Bewegung vor Ort kaum mehr sichtbar. “Zum jetzigen Zeitpunkt sind alle Grundfreiheiten, die das Prinzip von “Ein Land, zwei Systeme” garantiert, ausgehöhlt. Hongkongs Zivilgesellschaft schrumpft und mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz haben wir auch unsere Rede- und Pressefreiheit eingebüßt.” Deshalb sei es nun umso wichtiger, dass die Diaspora sich zusammenschließt, so Kwong. “Wir versuchen neue Wege zu finden, um den Kampf aufrechtzuerhalten.” Zusammen mit anderen Exilanten gibt die Doktorandin seit Anfang des Jahres das Magazin “The Flow” heraus, dass sich an politisch Verfolgte richtet: “Wir wollen eine Plattform für Diskussionen schaffen, die es so in Hongkong nicht mehr geben kann.” 

                Sie selbst hat mehrere Artikel zu den Themen Online-Aktivismus und Zensur beigetragen, zuletzt einen mit dem Titel: “Stiller Krieg.” Mittlerweile berät Kwong auch andere Aktivisten, wie sie sich am besten vor Überwachung schützen können. Wenn sie sich mit Freunden oder zu Interviews verabredet, steckt sie ihr Mobiltelefon in eine sogenannte Faradaysche Tasche, die mit einer metallisierten Schutzhülle alle Signale blockiert und eine Abhörung unmöglich machen soll. 

                Das bislang noch freie Internet sei nach dem Verbot pro-demokratischer Publikationen wie “Apple Daily” das nächste Ziel von Pekings Griff nach Hongkong, glaubt Kwong. “Es würde mich nicht wundern, wenn die Regierung bald noch mehr Webseiten blockiert und den Zugang zu VPN-Kanälen verbietet. Die Stadt wird zu einer Art Black Box, aus der keine Informationen hinaus oder hineingelangen können. Die Welt soll die demokratische Community Hongkongs auf diese Weise langsam vergessen.”

                Pekings Versuch, Hongkong noch stärker mit dem Wirtschaftscluster der “Greater Bay Area” auf dem südchinesischen Festland zu verzahnen, etwa mit neuen Zugverbindungen und grenzüberschreitenden Job-Programmen, ziele ebenfalls darauf ab, den letzten politischen Widerständlern Hongkongs das Wasser abzugraben. Darüber, dass die Stadt wirtschaftlich so frei bleibt wie zuvor, solle man sich jedoch keine Illusionen machen. “Ich denke, der jüngste Crackdown der Regierung gegen Tech-Unternehmen wie Alibaba hat klar gezeigt, dass auf Chinas Märkten immer eine unsichtbare Hand die Fäden zieht.”

                Risiko einer Rückkehr zu groß

                Eine Rückkehr nach Hongkong will Kwong bis auf Weiteres nicht riskieren. “Ich glaube, die Behörden würden mich sofort verhaften, wenn ich aus dem Flugzeug steige. In ihren Augen bin ich definitiv eine Verbrecherin, weil ich mich im Ausland für die Freiheit und Demokratie in Hongkong einsetze”.

                Den Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern hat Kwong mittlerweile abgebrochen – um sie zu schützen, wie sie sagt. “Normalerweise bin ich kein Mensch, der schnell Heimweh bekommt. Aber in letzter Zeit überwältigen mich oft die Emotionen. Nach mehr als einem Jahr im Exil muss ich die Möglichkeit akzeptieren, dass ich mein Zuhause vielleicht nie mehr wiedersehe.” Fabian Peltsch

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                  China.Table Redaktion

                  CHINA.TABLE REDAKTION

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                    Liebe Leserin, lieber Leser,

                    Die US-Whistleblowerin Frances Haugen befindet sich derzeit auf Tour in Europa: In Brüssel, Paris und Berlin warnte die 37-Jährige vor der Macht der Plattform Facebook und dem neu benannten Mutterkonzern Metaverse. Peking hörte bei den Ausführungen zu Datenklau und Manipulation mit einer großen Wahrscheinlichkeit beseelt zu, denn dass in der Volksrepublik westliche Netzwerke nicht besonders willkommen sind, ist keine Neuigkeit – wie unerbittlich die Führung in China seit Mitte dieses Jahres jedoch gegen den Tech-Sektor vorgeht, überraschte doch. Schließlich ist der Bereich hochinnovativ und eine Wachstumslokomotive für das Land.

                    Für die Ökonomin Doris Fischer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist der Schritt jedoch in gewisser Weise nachvollziehbar: “Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern.”

                    Im Interview mit Felix Lee spricht Fischer über die “Bauchschmerzen” der chinesischen Regierung, wenn es um Tech-Unternehmen geht. Außerdem erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin, warum schlechte Nachrichten in einzelnen Sektoren nicht gleich bedeuten, dass das Wachstum zusammenbricht. Anders als andere Experten kann sie derzeit keine Abschottung des Landes ausmachen.

                    Doch genau ein solches, sich immer mehr isoliertes China fürchten Beobachter:innen nun nach der “historischen Resolution” des 6. Plenums in der vergangenen Woche. China.Table hat Politiker:innen und China-Expert:innnen nach deren Einschätzung zum Machtausbau von Präsident Xi Jinping gefragt. Es zeigt sich: Die Hoffnung, dass sich Xis harter Kurs nach innen und außen abschwächen könnte, versiegen zusehends im Sand. Der Personenkult um den “Parteikaiser” lassen keine einfache diplomatische Zukunft zwischen Brüssel und Peking vermuten.

                    Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche!

                    Ihre
                    Amelie Richter
                    Bild von Amelie  Richter

                    Interview

                    “China will sich nicht abschotten”

                    Doris Fischer China-Ökonomin an der Universität Würzburg zur Abschottung Chinas
                    China-Ökonomin Doris Fischer von der Universität Würzburg

                    Frau Fischer, Lieferengpässe, Stromausfälle, Tech-Konzerne stehen unter Druck, dann die Krise des Immobilienriesen Evergrande – die Probleme ballen sich. Wie steht es derzeit um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt?

                    Ich habe neulich erst mit einem deutschen Unternehmer gesprochen, der mir schilderte, wie rasant für viele Firmen die Transportkosten von China nach Deutschland gestiegen sind. Es gibt nicht genug Container. Das hat verschiedene Gründe. Ein Problem bleibt aber Corona. Obwohl China im eigenen Land die Pandemie weitgehend im Griff hat, spielt das Virus dennoch eine gravierende Rolle. In den Sommermonaten waren es die Häfen von Ningbo und Shenzhen, die die Behörden wegen ein paar wenigen Fällen teilweise dicht machten. Nun trifft es auch den Bahnverkehr. Die chinesischen Behörden haben zuletzt zwei Grenzübergänge für Güterzüge gesperrt, weil es zwei Fälle gab. Im Bahnverkehr gibt es jetzt ebenfalls einen Rückstau.

                    Ein Corona-Fall in China – schon stockt der gesamte Welthandel? Wie konnte es so weit kommen?

                    Seit der Jahrtausendwende sind die globalen Lieferketten so fein ziseliert und perfekt aufeinander abgestimmt, dass Betriebe auch in Deutschland sofort zu spüren bekommen, wenn es nur an einer Stelle hakt. Abfertigungsprobleme gibt es derzeit auch in Großbritannien und den USA. Das gesamte System ist hoch anfällig. Und als größter Produzent nicht nur von Konsumgütern, sondern auch industriellen Vorprodukten kommt China eine Schlüsselrolle zu.

                    Die meisten Länder haben sich längst damit abgefunden, mit dem Virus irgendwie zu leben –  zumal es Impfstoffe gibt. Reagiert China nicht über?

                    Die chinesische Regierung hat sich vor anderthalb Jahren zum Ziel gesetzt, das Virus auszumerzen. Nun fällt es ihr schwer, von diesem Versprechen abzurücken.

                    Die Nebenwirkungen der Null-Covid-Strategie sind erheblich.

                    Natürlich tut das weh. Der Parteisekretär der Inneren Mongolei musste nach nur zwei Monaten im Amt gehen, weil es in seiner Provinz zu einem Ausbruch kam. Mehr als fünf Millionen Nanjinger durften wegen einigen wenigen Fällen über die Oktoberfeiertage nicht die Stadt verlassen. Der Führung geht es wirklich darum, das Virus zu unterdrücken. Besonders rigide geht sie in der Hauptstadt Peking vor. Dort greifen zum 6. Plenum des Nationalen Volkskongresses und wenige Monate vor den Olympischen Winterspielen schon wieder strengere Einreisebeschränkungen.

                    Anders als noch bei seinen Vorgängern scheint Xi Jinping Wirtschaftswachstum nicht über alles zu stellen?

                    Das Wachstum im dritten Quartal lag bei 4,9 Prozent. Das ist zwar weniger als manche erwartet haben. Aber den Glauben, dass China immer hohe Wachstumszahlen hat, halte ich für fehlgeleitet. Die absolute Basis wird ja immer größer, das würde eine exponentielle Expansion ergeben. Chinas Ansage, das Wachstum werde sich im Durchschnitt – und zwar ohne Corona – über die nächsten Jahre  erst bei sechs Prozent einpendeln und dann sukzessive zurückgehen, halte ich für realistisch.

                    Welche Rolle spielt die Pandemie für das Wirtschaftsgeschehen?

                    Natürlich hat die Pandemie auch Auswirkungen auf Chinas Wirtschaft. Es gab zudem die große Flut in Henan, und andere Auswirkungen des Klimawandels. Die Krise mit Evergrande wird den Immobilienmarkt dämpfen. Und das Vorgehen gegen die Tech-Konzerne hat wirtschaftliche Auswirkungen. Ich würde all das dennoch nicht überbewerten. China ist ja eigentlich wie ein Kontinent. Wenn es in einer Region zu Problemen kommt, bedeutet das nicht gleich einen Durchhänger für das ganze Land.

                    Sie klingen optimistisch.

                    Ich denke schon, dass die chinesische Regierung nervös ist. Sie hat im Moment recht viele Probleme gleichzeitig zu bewältigen. Einiges ist aber auch bewusst so gewollt. Die Regulierung des Tech-Sektors in China steht schon lange an. Diese großen Unternehmen hatten freie Hand und sind sehr groß und einflussreich geworden. Sie betreiben unlauteren Wettbewerb und lassen zwielichtige Gestalten Geschäfte machen. Und dann behauptet Alibaba-Chef Jack Ma auch noch in aller Öffentlichkeit, sein Unternehmen könne es besser als die Staatsbanken. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

                    Aber Chinas Tech-Sektor ist der Bereich, der wirklich hochinnovativ ist.

                    Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern. In einer zivilisierten Gesellschaft wird nicht in die Ecke gespuckt. Das wollte die KP-Führung in den achtziger Jahren unterbinden. Heute will sie eine zivilisierte Gesellschaft, in der auch in der Wirtschaft Anstand herrscht. Viele Unternehmer in China haben noch immer eine Einstellung wie im Wilden Westen. Ihre Geschäftsmodelle sind darauf ausgerichtet, möglichst viele Rechtslücken zu nutzen. Und davon gab es in China lange Zeit recht viele. Die Regierung will aber lieber Geschäftsideen, die sich im Rahmen des Regelwerks entwickeln.

                    Nur geht sie da nicht zu weit? Sie schränkt selbst das Online-Gaming bei Kindern ein.

                    Dahinter dürfte ein Stück weit Populismus stecken. Auch in China gibt es viele Eltern, die sich angesichts der Gaming-Vorlieben ihrer Kinder Sorgen machen. Sicherlich steckt hinter dieser Maßnahme auch die Vorstellung, bessere Menschen zu schaffen. Mao hatte das bereits über Kampagnen versucht. Xi versucht das jetzt über Regulierung und mit dem Sozialkreditsystem, das das Verhalten der Bürger bewertet. Einigen Unternehmen mag das nicht schmecken. Sie müssen sich an die neuen Regeln anpassen. Und sicherlich ärgern sich einige Leute, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Xi wird aber sicher nicht so weit gehen, die großen Tech-Unternehmen zu zerschlagen. Das will er auf keinen Fall.

                    Vielleicht nicht komplett zerschlagen. Innovationskraft nimmt er ihnen aber schon.

                    Ich erinnere mich gut an ein Gespräch, das ich vor der Pandemie mit chinesischen regierungsnahen Experten führte. In diesem Gespräch wurde mir deutlich, dass die chinesische Regierung Bauchschmerzen mit den Tech-Konzernen hat. Einer sagte sogar: “Wenn wir eure Hidden-Champions hätten, würden wir euch unsere Alibabas gerne übergeben.” Hinter dieser Aussage steckt dieser tiefe Glaube, dass Wirtschaft etwas Reales sein muss, also was man anfassen, bauen oder essen kann. Die ganze Internet-Ökonomie ist aus dieser Warte suspekt.

                    Die IT-Industrie hat China technologisch aber enorm nach vorne gebracht.

                    Das hat sie. Aber es gibt einen weiteren Aspekt, der die chinesische Regierung umtreibt und der im Westen auch Thema ist: Die Frage der Macht dieser Plattformen. Sie sind sehr große und sehr reiche Unternehmen geworden, die unglaublich viele Daten gesammelt haben. Das macht sie sehr einflussreich. Auch wir diskutieren nicht umsonst über die Macht von Facebook und seinen Wettbewerbern. Bei uns stellt sich die Frage: Sind diese Plattformen eine Gefahr für die Demokratie? In China lautet sie: Gefährden sie die Partei? Ich finde es erstaunlich, wie lange die Führung diese Unternehmen überhaupt gewähren ließ.

                    China Führung folgt in ihrer Politik jedoch in vielen Fällen bekannten Mustern.

                    Wir kennen dieses Vorgehen aus anderen Bereichen: Man lässt es erst laufen und dann versucht man die Auswüchse zu bändigen. Im Alibaba-Fall gibt es Hinweise, dass Jack Ma wusste, was kommt und dass er im Oktober letzten Jahres diese Rede gehalten hat, um vor diesen anstehenden Regulierungen zu warnen. Damit ist er aus Sicht der Regierung aber zu weit gegangen. Ich glaube, diese Message ist bei den Tech-Unternehmen angekommen. Nach allem was ich weiß, geht es diesen Unternehmen aber weiterhin gut.

                    Und die Krise des Immobilienkonzerns Evergrande? Ein Crash des völlig überhitzten chinesischen Immobilienmarktes ist in den vergangenen zehn Jahren mehrmals schon vorausgesagt worden.

                    Es gibt in der Tat mehrere Immobilienunternehmen, die große finanzielle Probleme haben. Die Evergrande-Krise wirkt sich also auf den Immobilienmarkt aus. Und ziemlich sicher werden einige Köpfe rollen. Ich habe den Eindruck, die chinesische Regierung versucht die Auswirkungen auf die Kleinanleger und privaten Hauseigentümers sozial abzufedern. Die Firma als solche wird die Regierung aber eher nicht retten. Die Führung hat im vergangenen Jahr in diesem Sektor ganz bewusst die Zügel angezogen, um zu verhindern, dass der Immobilienmarkt überhitzt. Vielleicht hat sie nicht mit einem so großen Schock gerechtet. Jetzt lautet das Motto halt: Augen zu und durch.

                    Schon ist vom chinesischen Lehmann die Rede.

                    Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die chinesische Regierung wird den Bankensektor immer retten. Er ist ohnehin überwiegend staatlich – mit Zähneknirschen zwar und es einige Leute zur Verantwortung gezogen werden. Aber einen kompletten Zusammenbruch halte ich für unwahrscheinlich.

                    Schon vor Beginn der Pandemie hat China ausländischen Unternehmen suggeriert: Wir brauchen euch nicht mehr, wir können inzwischen alles selbst. Die Pandemie nutzt sie nun als Grund, sich abzuschotten. Was beobachten Sie?

                    Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Im Ergebnis kann dies aber dennoch dazu führen, dass weniger Ausländer in China sind. Das Ganze hat mit dem im letzten Jahr vorgestellten Konzept der Dual Circulation zu tun. China will seinen Binnenmarkt stärken. In dem Konzept steht viel vom Abbau von Marktbarrieren innerhalb Chinas. Damit verbunden sind zwei weitere Ziele.

                    Welche?

                    In der Tat soll das Land weniger abhängig werden von ausländischer Technologie. Peking will verhindern, dass die USA Chinas technologische Abhängigkeit als Hebel nutzen kann, um China klein zu halten. Zugleich weiß die Führung aber, dass das Land weiter Rohstoffe und Märkte im Ausland braucht. Und da will China sogar expandieren. Mit dieser Strategie erhofft sich die Führung folgendes: Der chinesische Markt soll so groß und so wichtig sein, dass die ausländischen Unternehmen von selbst kommen – allerdings ohne die Privilegien, die ausländische Firmen bisher genossen haben, sondern zu den Bedingungen, unter denen auch chinesische Privatunternehmen funktionieren müssen.

                    Ausländische Unternehmen in China nehmen ihre Stellung dagegen nicht unbedingt als privilegiert wahr. Sie beklagen, dass sie schon jetzt benachteiligt werden.

                    Dann wird es für sie nun eher noch schwieriger. Denn die chinesische Konkurrenz ist zugleich richtig gut geworden. Bei der Automobilindustrie kommt hinzu, dass die ausländischen Hersteller beim Trend zur Elektromobilität nicht gerade die Avantgarde sind. China will sich nicht abschotten, sondern die bisherige Ausrichtung der globalen Märkte verändern. In der Vergangenheit zeigte die Kompassnadel der internationalen Handelsströme letztlich in Richtung der USA und Europa. China will, dass die Kompassnadel sich dreht.

                    Doris Fischer, 56, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Sinologin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie leitet dort den Lehrstuhl für China Business and Economics. Fischer ist zudem Vizepräsidentin der Universität. In ihren aktuellen Forschungsprojekten untersucht sie die Rolle und Ausgestaltung von Industriepolitik für die Energiewende sowie die Auswirkungen des chinesischen Sozialpunktesystems auf Unternehmen.

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                      Analyse

                      Reaktionen auf Machtausbau: “Xi zwingt uns zum Systemwettbewerb”

                      Nach der “historischen Resolution” des 6. Plenums des Zentralkomitees erhoben Funktionäre der allein regierenden Kommunistischen Partei Staatschef Xi Jinping pathetisch zum Steuermann. “Solange wir den Kameraden Xi als den Kern anerkennen, wird das gigantische Schiff der nationalen chinesischen Verjüngung einen Steuermann haben und in der Lage sein, jedem Sturm die Stirn zu bieten”, sagte der Leiter des parteieigenen Politikforschungsbüros, Jiang Jinquan, bei einer Abschluss-Pressekonferenz des Plenums am vergangenen Freitag. Xi habe es verdient, dass man ihn als “Führer des Volkes” bezeichnet.

                      Weil Protokoll, aber auch Rhetorik in sozialistischen Diktaturen von überragender symbolischer Bedeutung sind, ist das jüngste Attribut für Xi ein Zeichen für seine zentrale Rolle auf Jahre hinaus. Staatsgründer Mao Zedong war der bislang einzige Vorsitzende, den die Kader in den inoffiziellen Status des “Steuermanns” erhoben hatten, des “Großen Steuermanns” wohlgemerkt. Das Adjektiv hat Mao seinem Nachfolger in fünfter Generation noch voraus.

                      “Wenn man die aktuelle sogenannte ‘historische Resolution’ mit den vorigen beiden von Mao Zedong und Deng Xiaoping vergleicht, dann gibt es einen wichtigen Unterschied: Diesmal geht es nicht darum, das bisherige politische und wirtschaftliche System Chinas durch ein neues zu ersetzen“, erklärt der China-Forscher Marc Oliver Rieger, Leiter des Konfuzius-Instituts in Trier, China.Table. Stattdessen würde im Copy&Paste-Verfahren die Kontinuität im Abschlussdokument betont. “Einzig historisch ist, dass implizit angekündigt wird, Xi Jinpings Amtszeit über das nächste Jahr hinaus zu verlängern”, sagt Rieger.

                      Noah Barkin, China-Experte bei Rhodium Group und dem German Marshall Fund, blickt mit Sorge auf die Entwicklung: “Die Hauptbotschaft des 6. Plenums ist, dass sowohl Xi Jinping als auch seine Politik noch viele Jahre bestehen werden. Wir können in Zukunft ein autoritäreres China, ein nationalistischeres China, ein isolierteres China und ein selbstbewussteres China erwarten.” Europa müsse als Reaktion auch klar seine roten Linien festsetzen und diese dann einhalten, so Barkin. Für die Kooperation zwischen Brüssel und Peking sieht er eine eher komplizierte Zukunft: Die EU müsse sich auch auf eine Welt vorbereiten, in der die Zusammenarbeit viel schwieriger werden, betont Barkin.

                      Machtpolitische Meisterleistung

                      Dass es Xi gelungen ist, die Partei in wenigen Jahren zu einer Verfassungsänderung in seinem Sinne zu nötigen und nun auch das Zentralkomitee hinter sich zu scharen, ist zweifellos eine machtpolitische Meisterleistung. Nach fast 50 Jahren ebnete das mächtige Parteiorgan mit seinen knapp 400 Mitgliedern vermeintlich einvernehmlich den Weg der Volksrepublik in eine “personalisierte Diktatur”, wie der Politikwissenschaftler Andreas Fulda das Land unter Xis Führung bezeichnet. Beim kommenden Parteitag in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 könnte Xi eine dritte Amtszeit anstreben, was seinen Vorgängern Hu Jintao und Jiang Zemin verwehrt geblieben war.

                      “Auf absehbare Zeit wird die Welt es mit Xi Jinping als chinesischem Parteikaiser zu tun haben. Damit ist auch klar, dass jegliche Hoffnung, sein harter Kurs nach innen und außen könne sich vielleicht abschwächen, auf Sand gebaut ist”, sagt Reinhard Bütikofer China.Table. Der Europaparlamentarier der Grünen wurde im Frühjahr von chinesischer Seite zur Persona non grata erklärt: Er gehört zu einer Gruppe sanktionierter Personen und Institutionen aus der EU. “Mit seiner Mischung aus aggressivem Nationalismus, Triumphalismus und Zentralismus zwingt er uns zum Systemwettbewerb, ob wir wollen oder nicht”, so Bütikofer.

                      Bütikofers Kollegin im EU-Parlament, die Europa-SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt, warnt: “Der Ausbau der Machtstellung von Xi Jinping hat sich bereits vor Jahren abgezeichnet und entwickelt sich zu einem Personenkult.” Durch die zentrale Steuerung sämtlicher politischer Tätigkeiten seien diplomatische Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik sehr erschwert, so Gebhardt, die Teil der Delegation für die Beziehungen zu China des EU-Parlaments ist. “Diplomatie braucht Kompromissbereitschaft, die wir unter der aktuellen chinesischen Führung vermissen.”

                      Auch die Journalistin Qin Liwen fürchtet, dass Xis Konsolidierung der Macht die Fortsetzung einer “aggressiven und bestimmenden Außenpolitik” der Volksrepublik bedeutet. “Xi will China zur ‘bedeutendsten Nation’ der Welt machen, was in seiner Wahrnehmung heißt: China schreibt der Welt seine Regeln vor“, sagt Qin.

                      Damit einher geht eine strikte Ablehnung eines demokratischen Wertesystems. Selten wenden sich Parteifunktionäre so klar gegen das dominierende politische System des Westens wie KP-Politikforscher Jiang das am Freitag tat. “Demokratie ist keine exklusive Ermächtigung westlicher Staaten und weniger noch sollte sie von westlichen Staaten definiert und auferlegt werden”, sagte Jiang. Demokratie sei ein “Spiel der Reichen”, dessen Regeln durch Geld bestimmt würden.

                      “Katastrophale Fehler vermeiden”

                      Das 6. Plenum warnte in seinem Kommuniqué auch davor, dass das Land “katastrophale Fehler in grundlegenden Angelegenheiten” vermeiden müsse. In der Vergangenheit berührten “grundlegende Angelegenheiten” der Volksrepublik China das Ausland meist nur marginal. Als zweitgrößte Volkswirtschaft, größter CO₂-Emittent, größter Konsumentenmarkt, größter globaler Kreditgeber, größter Handelspartner zahlreicher Regionen und Nationen oder größter atomarer Aufrüster sind die Konsequenzen chinesischer Politik inzwischen überall auf der Welt zu spüren.

                      Publizistin Qin, die viele Jahre als Nachrichtenchefin eines chinesischen Onlineportals arbeitete und heute in Berlin lebt, sieht darin deutliche Signale, dass sich Peking in vielen Aspekten “nicht als der kooperative, internationale Partner erweisen wird, den die westliche Agenda für die Lösung von Problemen benötigt.”

                      Dringlichstes internationales Anliegen ist der Kampf gegen den Klimawandel. “Schritt für Schritt”, heißt es in dem Beschluss, wolle das Land Klimaneutralität erreichen. Qin erwartet, dass sich die nötige Reduktion von CO₂-Emissionen Chinas wirtschaftlicher Entwicklung und damit seiner sozialen Stabilität unter allen Umständen unterordnen muss. Den Verlust ihres Machtmonopols fürchte die Kommunistische Partei mehr als mögliche Konsequenzen durch eine Erderwärmung von mehreren Graden, so Qin.

                      Neue Seidenstraße eine “außenpolitische Belastung”

                      Zum Machterhalt beitragen soll eine Agenda, die widerspiegelt, was Chinas Staatsführung seit Jahren als Leitfaden ausgibt. Innovativ und grün wolle das Land wachsen und dabei sowohl den öffentlichen als auch den privaten Sektor fördern. Dabei sollten Monopole und eine “ungeordnete Expansion des Kapitals” bekämpft werden. Die Partei will Anreize setzen, damit die Menschen in Land durch Unternehmertum “reich werden” können. Dabei soll gleichzeitig das Konzept des allgemeinen Wohlstands realisiert werden, wozu eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen erzielt werden muss.

                      Auch außenpolitische Aspekte sind Teil des Dokuments. Die Situation in Hongkong habe Staatschef Xi nach den Massenprotesten “aus dem Chaos zur Kontrolle” geführt. Im Konflikt um Taiwan lobt der Beschluss Pekings Führungsrolle und Entschlusskraft. Die chinesische Regierung bezeichnet den Inselstaat als untrennbaren Teil der Volksrepublik und verurteilt dessen diplomatisches Bestreben nach größerer internationaler Anerkennung.

                      Keine Erwähnung dagegen findet die Neue Seidenstraße-Initiative. Jie Yu von der Londoner Denkfabrik China at Chatham House sagte der Nachrichtenagentur Bloomberg, sie halte das für ein Indiz dafür, dass die Initiative “eher zu einer außenpolitischen Belastung” geworden sei als zu einem Gewinn. Das weltweite Investitionsprogramm hat nicht nur Befürwortung wegen möglicher Impulse für den globalen Handel ausgelöst, sondern auch viel Misstrauen gegenüber chinesischen Ambitionen. Mitarbeit: Amelie Richter

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                        News

                        China schwächt COP-Zusagen ab

                        China hat in letzter Minute für eine Abschwächung der Formulierungen zum Ausstieg aus Kohlekraft bei der UN-Klimakonferenz COP26 gesorgt. Gemeinsam mit Indien habe die chinesische Delegation darauf beharrt, den Klimapakt in Glasgow erst zu unterzeichnen, wenn die Verpflichtungen zur Abschaffung von Kohlekraft und Subventionen für fossile Brennstoffe verwässert wird, berichtet die Financial Times. Demnach waren die Verhandlungen in dem Bereich bis zum Schluss angespannt. Der nun geschlossene Last-Minute-Deal der COP26 beinhaltet jedoch zum ersten Mal offizielle Zusagen, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu reduzieren.

                        Der endgültige Text verpflichtet die 197 Vertragsparteien des Pariser Abkommens, die unverminderte Kohleverstromung “auslaufen” zu lassen und “ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen”. Zwar taucht der Bereich in der Abschlusserklärung auf – die Klausel wurde im Laufe der Woche aber erheblich abgeschwächt. China und Indien bestanden Medienberichten zufolge dann am Samstag auf die kurzfristige Änderung der Formulierung von “phase out” zum unverbindlicheren und schwächer formulierten “phase down”. Der Unterschied zwischen der kompletten Ausmerzung von Kohle und lediglich derer Begrenzung war vor allem für kleinere Inselstaaten wichtig.

                        Andere Teilnehmer-Staaten der COP26 seien von den chinesisch-indischen Forderungen überrumpelt worden, hieß es in Medienberichten. COP-Präsident Alok Sharma warnte am Sonntag im Fernsehsender BBC, dass China und Indien ihre politischen Machenschaften gegenüber Ländern, die vom Klimawandel härter getroffen würden, “rechtfertigen” müssten. Sharma hatte sich bereits am Samstagabend sichtlich emotional in seinem Abschluss-Statement für die abgeschwächte Zusage zum Kohleausstieg geäußert: “Ich entschuldige mich für die Art und Weise, wie sich dieser Prozess entwickelt hat. Und es tut mir zutiefst leid. Ich verstehe auch die tiefe Enttäuschung.”

                        Chinas Bilanz bei der UN-Klimakonferenz ist durchwachsen: Am Mittwochabend einigten sich Peking und Washington auf die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe – was als wichtiges Zeichen der beiden Wirtschaftsmächte gesehen wurde. Anderen Initiativen wie “Powering Past Coal Alliance” (PPCA) oder der Verpflichtung zur Reduzierung der weltweiten Methan-Emission trat die Volksrepublik aber beispielsweise nicht bei (China.Table berichtete).

                        Neben der erstmals niedergeschriebenen Verpflichtung zur Reduzierung von Kohleverbrauch und Subventionen für fossile Brennstoffe, verpflichtet das Abkommen die Teilnehmerstaaten auch, ihre Emissionsreduktionsziele für 2030 bis Ende des kommenden Jahres zu verstärken. Das Klima-Paket fordert die reichen Nationen zudem auf, den Geldbetrag, den sie Entwicklungsländern für die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stellen, “mindestens zu verdoppeln”. ari

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                          EU stellt “Global Gateway” und strategischen Kompass vor

                          Brüssel wird in dieser Woche zwei wichtige Vorstöße präsentieren, um sich gegen China aufzustellen: Am Montag wird der sogenannte strategische Kompass, ein Dokument zur militärischen Strategie der Europäischen Union, beim Treffen der EU-Außen und Verteidigungsminister präsentiert. Am Mittwoch soll dann die Vorstellung der Infrastrukturinitiative “Global Gateway” erfolgen:

                          • Strategischer Kompass: Neben einer Liste, die regionale Bedrohungen für die EU aufführt, dominieren China und Russland in dem 28-seitigen Dokument, wie Euractiv unter Berufung auf einen Entwurf der Strategie berichtet. In dem Dokument wird China demnach erneut als “ein Partner, ein wirtschaftlicher Wettbewerber und ein systemischer Rivale” charakterisiert und gewarnt, dass die Volksrepublik “zunehmend in regionale Spannungen verwickelt und involviert” sei. “Trotz des wachsenden Selbstbewusstseins Chinas werden wir weiterhin in Bereichen von gemeinsamem Interesse wie der Bekämpfung von Piraterie sowie Klima und Sicherheit zusammenarbeiten”, heißt es in dem Entwurf. Angesichts von Spaltungsversuchen unter den Mitgliedsstaaten vonseiten Pekings, mahnt das Papier an, dass “eine starke Einheit” erforderlich sei. “Europa ist in Gefahr”, warnt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Vorwort zum strategischen Kompass. Einer der umstritteneren Vorschläge des Papiers ist die Schaffung einer gemeinsamen militärischen Eingreiftruppe mit dem Namen EU Rapid Deployment Capacity bis 2025, die es “ermöglichen wird, eine modulare Truppe von bis zu 5.000 Soldaten, einschließlich Land-, Luft- und Seekomponenten, schnell einzusetzen.”
                          • “Global Gateway”: Mit dem Programm zur Förderung strategisch wichtiger Infrastrukturprojekte will die EU-Kommission das außenpolitische Gewicht Europas stärken – und ein Gegengewicht zur “Belt and Road”-Initiative schaffen. China wird in dem Dokument jedoch namentlich nicht erwähnt, wie Bloomberg berichtete. Demnach sollen für “Global Gateway” mehr als 40 Milliarden Euro in Digital-, Verkehrs-, Energie- und Handelsprojekte investiert werden. Die Initiative solle “eine Dachmarke für die bereits umfangreichen EU-Investitionen in die Infrastruktur weltweit bieten”, heißt es in dem Dokument. Demnach wird der Ausbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes als Leitinitiative hervorgehoben. Für die Balkanregion sieht der Entwurf laut Bloomberg beispielsweise eine Wirtschafts- und Investitionsinitiative von bis zu neun Milliarden Euro in den kommenden sieben Jahren vor. Der Fokus soll auf Digitalisierung und erneuerbaren Energien liegen. Zudem sind weitere Projekte in Südamerika, dem Indo-Pazifik, Zentralasien und Afrika geplant. ari

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                            Koalitions-Entwurf: Berlin übernimmt EU-Formulierungen

                            Im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen könnte es zu einer Verschärfung der offiziellen Tonart Berlins gegenüber Peking kommen. Die Beziehungen zu China sollten in den “Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität” gestaltet werden, berichtete der Spiegel unter Berufung auf einen Entwurf des Papiers. Bisher tauchte der Begriff der “Systemrivalität” bezüglich der Volksrepublik nicht auf, auch nicht im Koalitionsvertrag von 2018.

                            Ganz neu ist die Formulierung jedoch nicht: Der Dreiklang “Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale” wurde 2019 von Brüssel in einem Strategiepapier zu China festgelegt und findet in einem Großteil der offiziellen Kommunikation der EU zu Angelegenheiten mit der Volksrepublik. Der Koalitionsvertrag fordert dem Bericht zufolge auch eine “enge transatlantische Abstimmung der China-Politik” und die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängigkeiten zu verringern. ari

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                              USA und China sprechen gegenseitige Warnungen aus

                              Kurz vor dem ersten Videogipfel am Montag zwischen US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping haben beide Seiten sich gegenseitig gewarnt. US-Außenminister Antony Blinken habe im Gespräch mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi “seine Besorgnis über den anhaltenden militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Druck der Volksrepublik China auf Taiwan geäußert”, heißt es aus dem US-Außenministerium. Wang warnte Washington Medienberichten zufolge vor Aktionen, die den Anschein erwecken könnten, die “Unabhängigkeit Taiwans” zu unterstützen.

                              Blinken und Wang sprachen dem US-Außenministerium zufolge am Freitag in Vorbereitung auf den Videogipfel von Biden und Xi am Montag. Der US-Außenminister forderte Peking auf sich an einem konstruktiven Dialog zu beteiligen und die Taiwan-Frage “friedlich und in einer Weise zu lösen, die mit den Wünschen und Interessen der Menschen auf Taiwan übereinstimmt”.

                              Bei der Videokonferenz werde es um einen “verantwortungsvollen” Umgang mit dem “Wettbewerb” zwischen beiden Ländern gehen, erklärte Biden-Sprecherin Jen Psaki am Freitag. Zugleich solle über Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei Themen von gegenseitigem Interesse gesprochen werden. ari

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                                Kritik an Null-Covid-Strategie wächst

                                Der Fall eines von einem Corona-Präventionsteam brutal getöteten Hund hat am Wochenende zu Empörung in den sozialen Netzwerken in China geführt. Der Vorfall hatte sich Berichten zufolge in einer Gemeinde in Shangrao, einer mittelgroßen Stadt im Nordosten der Provinz Jiangxi, ereignet. Aufgrund eines neuen bestätigten Covid-19-Falls war die betroffene Gemeinde in Lockdown. Die Bewohner befanden sich in Quarantäne in einem Hotel, während Wohnungen desinfiziert wurden.

                                Da das Hotel keine Haustiere erlaubte, habe sie ihren Hund in der Wohnung gelassen, teilte eine Frau mit dem Nachnamen Fu auf Weibo mit. Auf Aufnahmen einer Sicherheitskamera in ihrer Wohnung konnte sie sehen, wie zwei Mitarbeiter des Seuchenpräventions-Teams das Tier mit Eisenstangen auf den Kopf schlugen. Ein Video des Vorfalls sorgte unter Weibo-Nutzern für Wut und Fragen, ob die rigide “Null-Covid”-Strategie der Pekinger Führung gerechtfertigt sei.

                                Eine erste offizielle Reaktion der Stadt machte es nicht besser: In einem Statement von Shangrao hieß es Berichten zufolge, die Mitarbeiter hätten den Hund “harmlos entsorgt”. In einem Meinungsstück in der mächtigen Global Times gab Chefredakteur Hu Xijin den wütenden Online-Kommentaren recht und forderte eine Entschuldigung der zuständigen Behörde und der Mitarbeiter bei Frau Fu. Bei dem Tier war keine Corona-Infektion nachgewiesen worden, schrieb Hu. Einer generellen Infragestellung der Corona-Maßnahmen widersprach er jedoch: “Es ist naiv, die dynamische Null-Covid-Politik infrage zu stellen, während wir tatsächlich mehr auf Details achten sollten” war das Meinungsstück überschrieben. ari

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                                  Presseschau

                                  Alok Sharma ‘deeply frustrated’ by India and China over coal THE GUARDIAN
                                  Is this the world’s most brutal Covid quarantine? Shenyang in China imposes 56-day isolation INDEPENDENT
                                  Boeing ‘Encouraged’ by Signs China May Soon Clear Max to Fly BLOOMBERG
                                  China seeks to tighten cyber scrutiny for companies in Hong Kong IPOs FT (PAY)
                                  China’s L-15 advanced jet trainer showcased at Dubai Airshow, reflecting nation’s attention to Middle East arms market GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
                                  Kriegsgefahr: Konflikt um Taiwan belastet Video-Gipfel zwischen Washington und Peking SPIEGEL
                                  Der Personenkult um Xi Jinping ist perfekt NZZ
                                  Klimagipfel: Und in letzter Minute fängt China das Taktieren an WELT (PAY)
                                  Mächtiger als Mao: Xi schwingt sich zum Alleinherrscher auf N-TV
                                  Vorwürfe des sexuellen Übergriffs in China: Tennis-Organisation fordert Untersuchung RND

                                  Portrait

                                  Glacier Kwong – kämpft im Exil für politisch Verfolgte

                                  Aktivistin aus Hongkong Glacier Kwong

                                  Zum Gesicht der Hongkonger Protest-Bewegung in Deutschland zu werden, hatte Glacier Kwong nicht geplant. Als die pro-demokratischen Proteste in ihrer Heimatstadt vor zwei Jahren eskalierten, weilte die heute 25-Jährige gerade in Hamburg, wo sie seit 2018 an der Universität eingeschrieben ist. Aus der Ferne verfolgte sie, wie ehemalige Klassenkameraden unter Tränengassalven von der Polizei eingekesselt wurden. Viele ihrer engsten Freunde wurden festgenommen.

                                  Kwong, die bereits als Teenager politisch aktiv war, sah machtlos zu. Als Joshua Wong, den sie noch aus Zeiten der Regenschirm-Proteste von 2014 kennt, kurz darauf eine Vortragsreihe in Europa ankündigte, ließ sich Kwong nicht lange bitten: An Orten wie der Berliner Humboldt-Uni oder der Bundespressekonferenz saß sie neben dem bekanntesten Hongkonger Aktivisten auf dem Podium, und sprach über ihre Spezialgebiete: Pekings wachsende Überwachung und die Möglichkeiten des digitalen Widerstands.  

                                  Joshua Wong wurde nicht lange nach seiner Rückkehr nach Hongkong abermals verhaftet. Glacier Kwong blieb in Deutschland, wo sie zur gefragtesten Hongkonger Exilantin wurde. Sie gibt Interviews, hält Vorträge, schreibt Zeitungskolumnen und hat im Deutschen Bundestag eine Petition initiiert, die Sanktionen gegen chinesische Beamte durchsetzen soll. “Manchmal wünsche ich mir, nicht so sichtbar zu sein”, sagt die Aktivistin, die derzeit an der Universität Hamburg ihre Doktorarbeit zum Thema Datenschutz schreibt. “Aber gleichzeitig weiß ich, dass ich mit meiner Bekanntheit ziemlich privilegiert bin. Wenn ich in Schwierigkeiten gerate, wird es immer Leute geben, die mir helfen.”

                                  Treffen und Interviews nur mit Faradayscher Tasche

                                  Durch die Corona-Beschränkungen und vor allem durch das neue Nationale Sicherheitsgesetz ist die Hongkonger Demokratie-Bewegung vor Ort kaum mehr sichtbar. “Zum jetzigen Zeitpunkt sind alle Grundfreiheiten, die das Prinzip von “Ein Land, zwei Systeme” garantiert, ausgehöhlt. Hongkongs Zivilgesellschaft schrumpft und mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz haben wir auch unsere Rede- und Pressefreiheit eingebüßt.” Deshalb sei es nun umso wichtiger, dass die Diaspora sich zusammenschließt, so Kwong. “Wir versuchen neue Wege zu finden, um den Kampf aufrechtzuerhalten.” Zusammen mit anderen Exilanten gibt die Doktorandin seit Anfang des Jahres das Magazin “The Flow” heraus, dass sich an politisch Verfolgte richtet: “Wir wollen eine Plattform für Diskussionen schaffen, die es so in Hongkong nicht mehr geben kann.” 

                                  Sie selbst hat mehrere Artikel zu den Themen Online-Aktivismus und Zensur beigetragen, zuletzt einen mit dem Titel: “Stiller Krieg.” Mittlerweile berät Kwong auch andere Aktivisten, wie sie sich am besten vor Überwachung schützen können. Wenn sie sich mit Freunden oder zu Interviews verabredet, steckt sie ihr Mobiltelefon in eine sogenannte Faradaysche Tasche, die mit einer metallisierten Schutzhülle alle Signale blockiert und eine Abhörung unmöglich machen soll. 

                                  Das bislang noch freie Internet sei nach dem Verbot pro-demokratischer Publikationen wie “Apple Daily” das nächste Ziel von Pekings Griff nach Hongkong, glaubt Kwong. “Es würde mich nicht wundern, wenn die Regierung bald noch mehr Webseiten blockiert und den Zugang zu VPN-Kanälen verbietet. Die Stadt wird zu einer Art Black Box, aus der keine Informationen hinaus oder hineingelangen können. Die Welt soll die demokratische Community Hongkongs auf diese Weise langsam vergessen.”

                                  Pekings Versuch, Hongkong noch stärker mit dem Wirtschaftscluster der “Greater Bay Area” auf dem südchinesischen Festland zu verzahnen, etwa mit neuen Zugverbindungen und grenzüberschreitenden Job-Programmen, ziele ebenfalls darauf ab, den letzten politischen Widerständlern Hongkongs das Wasser abzugraben. Darüber, dass die Stadt wirtschaftlich so frei bleibt wie zuvor, solle man sich jedoch keine Illusionen machen. “Ich denke, der jüngste Crackdown der Regierung gegen Tech-Unternehmen wie Alibaba hat klar gezeigt, dass auf Chinas Märkten immer eine unsichtbare Hand die Fäden zieht.”

                                  Risiko einer Rückkehr zu groß

                                  Eine Rückkehr nach Hongkong will Kwong bis auf Weiteres nicht riskieren. “Ich glaube, die Behörden würden mich sofort verhaften, wenn ich aus dem Flugzeug steige. In ihren Augen bin ich definitiv eine Verbrecherin, weil ich mich im Ausland für die Freiheit und Demokratie in Hongkong einsetze”.

                                  Den Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern hat Kwong mittlerweile abgebrochen – um sie zu schützen, wie sie sagt. “Normalerweise bin ich kein Mensch, der schnell Heimweh bekommt. Aber in letzter Zeit überwältigen mich oft die Emotionen. Nach mehr als einem Jahr im Exil muss ich die Möglichkeit akzeptieren, dass ich mein Zuhause vielleicht nie mehr wiedersehe.” Fabian Peltsch

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                                    Beim Chiphersteller Semiconductor Manufacturing International Corp (SMIC) gibt es gleich mehrere hochrangige Abgänge: Chiang Shang-Yi ist nach weniger als einem Jahr als stellvertretender Vorsitzender zurückgetreten. Neben Chiang schieden drei weitere Mitglieder aus dem Vorstand aus, darunter Co-CEO Liang Mong Song. Erst vor zwei Monaten war der Vorstandsvorsitzende Zhou Zixue zurückgetreten (China.Table berichtete).

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                                    Die Stadt Tongliao in der Inneren Mongolei erlebt einen Rekordwinter – sie wurde vom stärksten jemals aufgezeichneten Schneesturm heimgesucht. Angesichts der Kälte und Schneestürme haben die lokalen Behörden ein Notfallprogramm gestartet. Dazu gehört auch, selbst Hand anzulegen und die Verkehrswege freizuräumen. Zur Not auch mit einfachen Schneeschaufeln, wie es hier paramilitärische Polizeikräfte am Rangierbahnhof von Tongliao tun.

                                    China.Table Redaktion

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