die Volksrepublik China ist auch für die katholische Kirche ein großer Markt. Und wie deutsche CEOs klagen auch die Geistlichen über mangelnden Marktzugang und staatliche Eingriffe in ihr Kerngeschäft. Sie verhält sich sogar ähnlich wie Daimler und Co., indem sie Zugeständnisse an die Pekinger Führung macht, die sie in anderen Märkten entschieden ablehnen würde. Im Gegensatz zu den Unternehmen wird ihr aber seltsamerweise zugestanden, dass sie ihre Werte preisgibt.
Die Konzerne dagegen bekommen vorgeworfen, dass sie ihren Kotau vor China seit Jahren schönreden. Vielleicht liegt es daran, dass in ihren Führungszirkeln keine Heiligen sitzen? Wer weiß das schon. Wir jedenfalls befassen uns heute mit beiden Religionen: Katholizismus und Wirtschaft. Fabian Peltsch hat mit Kirchenleuten und -kennern in Hongkong gesprochen, um herauszufinden, ob die zunehmend autoritäre Hand dort bald auch die Gläubigen ans Kreuz nageln wird. Unser Gastautor Thorsten Benner liest derweil den China-Managern die Leviten.
Verpassen sollten Sie auch nicht, was der Digital-Kritiker Peter Ganten im Interview über die Gefahren von Software und autoritären Systemen zu sagen hat. Man könnte auf die Idee kommen, dass Totalitarismus und Digitalisierung keine erstrebenswerte Kombination bilden. Wenn Sie es schon wussten, dann sagen Sie es unbedingt weiter. Noch bleibt Zeit, unsere Demokratie und Freiheit vor dem Totalschaden zu bewahren. Und dafür müssen wir nicht einmal Mitglied der katholischen Kirche sein.
Monatelang hatte Stephen Chow Sau-yan im Gebet mit sich gerungen, ehe er den Posten des Bischofs von Hongkong annahm. “Ich fühlte mich nicht berufen”, erklärte der 62-Jährige in einer Pressekonferenz. Am Ende war es ein handgeschriebener Brief von Papst Franziskus, der den Jesuiten überzeugte. “Der Heilige Vater schrieb mir, er glaube, dass ich der Bischof sein soll. Für mich war das ein Zeichen.”
Der in Hongkong geborene und in den USA zum Psychologen ausgebildete Kleriker hat nun die schwierige Aufgabe, “zwischen der Regierung und der Kirche in Hongkong sowie zwischen Katholiken und Christen anderer Konfessionen und Religionen” vermitteln zu müssen, wie er in seiner Antrittsrede im Dezember sagte. Gut zwölf Prozent der Bürger der Stadt bekennen sich zum Christentum. Schulen, Universitäten und soziale Einrichtungen haben oft einen christlichen Hintergrund.
Die politischen Tumulte in Hongkong haben tiefe Risse in der christlichen Gemeinde hinterlassen. “Die politische Situation sorgt bei den Christen für große Unsicherheit”, sagt Pastor Tim Buechsel im Gespräch mit China.Table. Der Deutsch-Amerikaner ist seit 2018 für die Vine Church im Wanchai-Distrikt tätig. Viele Gemeindemitglieder hätten die Flucht aus der Stadt ergriffen. Die Vine Church zählte Ende 2019 noch 2.500 Mitglieder. Jetzt sind es nur noch 1.300. Nicht wenige fürchten, dass sie mit wachsendem Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas ihren Glauben in Zukunft nicht mehr frei leben können.
Auch die Nächstenliebe stoße in der aufgeheizten politischen Stimmung heute schnell an ihre Grenzen. Oft gebe es aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten sogar Konflikte in der Familie. “Die Stimmung ist explosiv. Eltern reden nicht mehr mit ihren Kindern und umgekehrt“, so der Pastor. Trotz der schrumpfenden Mitgliederzahl seiner Gemeinde seien daher auch einige neue Gläubige hinzugekommen, “weil sich viele Menschen in ihren bisherigen sozialen Kontexten nicht mehr verstanden fühlen.”
Die Spaltung innerhalb der Familien spiegelt die politischen Fronten der Stadt wider. Viele Mitglieder der Hongkonger Protestbewegung sind bekennende Christen, darunter Führungspersönlichkeiten wie Joshua Wong, Agnes Chow oder Benny Tai, die ihren Glauben immer wieder als Inspiration für ihr politisches Engagement anführten. Eine Studie des städtischen University Grants Committee hat ergeben, dass fast 25 Prozent von Hongkongs Studenten Christen sind. Eines ihrer wichtigsten Protestlieder war “Sing Hallelujah to the Lord”.
Aber auch die Peking-treue Regierungschefin Carrie Lam ist, ebenso wie ihr Vorgänger Donald Tsang, Anhängerin des Katholizismus. Obwohl einige Hongkonger Demonstranten sich auf den im KZ ermordeten christlichen Widerständler Dietrich Bonhoeffer beziehen, ist die Hongkonger Protestbewegung also keinesfalls ein “Wir gegen die” im Schatten des Kreuzes.
Die weiterhin gewichtige Rolle der Kirche in Hongkong im gesellschaftlichen Leben der Sonderverwaltungszone ist ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft, wie Buechsel erklärt. “Weil die Briten bestimmte Bedürfnisse nicht bedienen konnten oder vielleicht sogar bewusst nicht bedienen wollten, füllten die christlichen Organisationen diese Lücken, insbesondere in Zeiten, in denen viele Flüchtlinge nach Hongkong kamen.” Heute hat seine Gemeinde einen Altersdurchschnitt von 30 Jahren. Gottesdienste und Hauskreise finden auf Englisch, Kantonesisch oder Mandarin statt.
Wie es weitergeht für die christliche Kirche in Hongkong, ist ungewiss. Für die Hongkonger Christen ist die große Herausforderung der kommenden Jahre eine sich rasant verändernde politische Situation. “Das könnte bedeuten, dass wir neue Wege finden müssen, wie wir mit der Realität umgehen“, sagt Buechsel. Der 43-Jährige verweist auf Festlandchina. Dort leben laut Schätzungen zwischen 40 und 120 Millionen Christen. Die Kirchen stehen jedoch unter strenger staatlicher Überwachung. In China gibt es die offizielle Staatskirche, dann Gemeinden von Menschen, die einen ausländischen Pass besitzen und dazu noch viele Untergrundkirchen.
Weil der frühere Diktator Mao Zedong keine Autorität neben sich duldete, ließ die Partei bereits in den 1950er-Jahren eine offizielle chinesische Staatskirche gründen, die heute einen protestantischen und einen katholischen Zweig hat. Die Katholische Patriotische Vereinigung (KPV) und die sogenannte Evangelische Drei-Selbst-Bewegung verstehen sich als christliche Kooperationspartner der Regierung. In ihren Räumen prangen Portraits des großen Vorsitzenden. Bilder Xi Jinpings sind heute oft prominenter platziert als die von Jesus und seinen Aposteln.
Die Untergrundkirche wiederum, die noch immer dem Papst die Treue schwört und ihre Gottesdienste im Privaten abhält, bewegt sich rechtlich in einer Grauzone und wird je nach politischer Wetterlage mal mehr und mal weniger geduldet. Zu ihr zählen mehr als zwei Drittel der chinesischen Christen. Seit Xis Amtsantritt hat sich die Situation für Chinas Gläubige stark eingetrübt, erklärt Thomas Müller von Open Doors, einem internationalen Hilfswerk, das sich in mehr als 70 Ländern der Welt für Christen einsetzt. “Die Grauzone, die es früher einmal gab, ist stark geschrumpft, wenn es sie denn überhaupt noch gibt. Besonders fühlbar wurde dies ab 2018.”
Damals veröffentlichte die Partei ein Weißbuch, das alle Religionen auffordert “sich den Interessen des Staates und des chinesischen Volkes unterzuordnen und ihm zu dienen”. Die Regeln, nach denen Geistliche ausgewählt werden, wurden verschärft, ebenso die Regeln, an die sie sich bei ihrer täglichen Arbeit halten müssen. Im Dezember 2021 kamen verschärfte Bestimmungen zur Nutzung des Internets für religiöse Organisationen hinzu – “ein Medium, das in Zeiten der Pandemie besonders wichtig ist”, wie Müller erklärt. Ab März treten sie in Kraft.
Auch in den Staatskirchen, die “weiterhin treu die christliche Botschaft verkünden”, habe der ideologische Druck noch einmal “bis hin zum Zwang” zugenommen. Pastoren würden genötigt, die Kommunistische Partei und ihre Politik zu loben, zum Beispiel bei der Pandemiebekämpfung. Andere müssen ihre Predigten vorab zur Prüfung vorlegen. “Daher gibt es auch immer wieder Berichte, dass Christen den Weg (…) in die Untergrundgemeinden suchen”, so der Analyst des christlichen Hilfswerks.
Der Vatikan hat noch keine klare Strategie gefunden, wie er mit der Situation in China umgehen soll. “Eines der schwierigsten Themen der letzten Jahrzehnte war die Berufung von Bischöfen, ein Recht, das der Vatikan weltweit für sich in Anspruch nimmt”, erläutert Müller. “Folglich gab es Bischöfe, die von der Kommunistischen Partei verschleppt und unter Hausarrest gestellt wurden. Umgekehrt gibt es von der Partei berufene Bischöfe, die der Vatikan nicht anerkannte.”
Im Versuch, die chinesischen Christen aus der Grauzone zu befreien und so vielleicht noch mehr Chinesen zu bekehren, hat Papst Franziskus bereits acht Bischöfe der Staatskirche offiziell anerkannt. Ein Zugeständnis, das nicht ganz aufging, wie Müller anmerkt. Das Abkommen wurde von der Kommunistischen Partei auch dazu benutzt, die Untergrundgemeinden verstärkt aufzufordern, sich der KPV anzuschließen. Doch das Ansinnen wird von vielen Vatikan-treuen Katholiken in China abgelehnt.
Auch der neue Hongkonger Bischoff Stephen Chow muss nun auf diesem schmalen Grat balancieren. Drei Jahre hatte der Vatikan nach einem geeigneten Kandidaten gesucht, der genug Fingerspitzengefühl für die Aufgabe mitbringt. Kardinal Joseph Zen, einer von Chows Vorgängern, ist bis heute einer der schärfsten Kritiker Pekings. Und auch Chow hat in den vergangenen Jahren an Veranstaltungen wie den Tiananmen-Gedenkfeiern in Hongkong am 4. Juni teilgenommen. Seit Einführung des Sicherheitsgesetzes im Jahr 2020 steht eine solche Teilnahme in der Stadt unter Strafe.
Seit seinem Amtsantritt wählt er jedoch diplomatische Worte: “Gott will, dass wir Einigkeit erreichen”, schrieb er in einem Aufsatz im Dezember. “Wir hoffen, einen Dialog anzuschieben und gegenseitig besseres Verständnis zu erreichen.” Er selbst sehe sich dabei in der Rolle “einer Brücke”: “Eine Brücke zu sein bedeutet in gewisser Weise, die Last zu tragen. Meine Worte mögen nicht auf beiden Seiten auf Zustimmung stoßen, aber zumindest tragen sie dazu bei, dass Menschen von beiden Seiten in der Mitte zusammenkommen. Gelingt das nicht, hat unsere Gesellschaft keine Zukunft.”
Herr Ganten, weshalb halten Sie Open-Source-Software für ein wichtiges Element, um Demokratie und Freiheit in der Welt zu verteidigen?
Schon in den 1990er-Jahren bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass frei zugängliche Quelltexte, die von Jedermann eingesehen, geändert und genutzt werden können, eine ähnliche gesellschaftliche Sprengkraft haben wie einst der Buchdruck. Damals war der Zugang zu Wissen und damit zur Macht nur wenigen Menschen vorbehalten, ehe die massenhafte Vervielfältigung und Verbreitung von Informationen demokratische Entwicklungsprozesse langfristig in Gang setzen konnten. Heutzutage werden private Kommunikation, wirtschaftliches Handeln oder staatliche Verwaltungsvorgänge, durch Software gesteuert und beeinflusst. Wer diese Software kontrollieren kann, kann kontrollieren, wer worüber mit wem kommunizieren kann. Er kann zudem bestimmen, wer welche Veränderungen an Prozessen und Kommunikationsabläufen vornehmen kann. Open-Source-Software erlaubt es jedem Menschen, die von der Software gesteuerten Prozesse zu verstehen und sie auf Basis eigener Ideen zu verändern oder mit anderen Systemen zu verbinden. Durch diese Bemächtigung der Allgemeinheit trägt Open-Source-Software dazu bei, Autokratisierungstendenzen entgegenzusteuern.
Geben Sie uns ein Beispiel?
Schauen Sie nach China. Das Land führt uns vor, wie eine allumfassende und zentral gesteuerte Digitalisierung dazu genutzt wird, um sämtliche Prozesse der privaten Kommunikation und Verhaltensweisen sowie politische und wirtschaftliche Prozesse nicht nur vorherzusagen, sondern auch zu steuern. Bei uns setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass diese Art der Digitalisierung sehr gefährlich ist und mit unseren europäischen Grundwerten und unserem Menschenbild nicht zu vereinbaren ist.
Glauben Sie, dass es auch bei uns in Deutschland so weit kommen wird?
Nur weil wir heute demokratisch sind, bedeutet das nicht, dass wir vor einer solchen Entwicklung gefeit sind. Die Digitalisierung kann überall auf der Welt Autokratisierungstendenzen fördern. Schon heute gibt es Beispiele dafür, dass nicht mehr die Vertreter demokratisch legitimierter Organe darüber entscheiden, wer mit wem worüber kommunizieren kann. Sondern es sind vielmehr die Internetkonzerne, die Kontrolle ausüben. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Stummschalten eines demokratisch gewählten Präsidenten der USA durch Twitter – ohne dass es eine gerichtliche Entscheidung gegeben hätte.
Und wie kann Open-Source-Software das verhindern?
Durch Open-Source-Software schaffen wir einen offenen, frei verfügbaren Werkzeugkasten an Wissen, Prozessen und Programmen, wie es einst der Buchdruck im Bereich des Wissens getan hat. Frei nutzbare Software und Schnittstellen bedeuten, dass die Innovationskraft nicht auf wenige Menschen reduziert ist, sondern wirklich jeder innovativ sein kann. Und es bedeutet, dass jeder in der Lage ist, Kontrolle auszuüben. Bei proprietärer Software, also solcher, die das Eigentum einer bestimmten Gruppe ist, ist das nicht der Fall. Entsprechend groß ist die Gefahr des Missbrauchs.
Haben sie schon in den 1990er-Jahren erkannt, dass Software eine geopolitische Dimension bekommen und massiven Einfluss nehmen wird auf Demokratie und Freiheit?
Das konnte ich damals sicher noch nicht so formulieren oder bis ins Detail vorhersehen. Mir war damals aber zumindest klar, dass Software eine große Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklungen gewinnen würde. Es gab früh eine Bewegung, die aus Universitäten in den USA nach Deutschland schwappte, die hinter dem Einsatz von Open-Source-Software eine ideologische Auseinandersetzung gesehen hat. Die Bewegung vertrat die Ansicht, dass proprietäre Software ethisch falsch und wer sie einsetzt, kategorisch böse sei. Das war eine extreme Position, der ich mich auch heute nicht anschließen würde, aber sie macht das Risiko sehr deutlich, das in proprietärer Software zweifellos vorhanden ist.
Was war ihre Rolle?
Ich habe damals Psychologie studiert. Und ich erinnere mich an Diskussionen, welche Konsequenzen es hat, wenn wissenschaftliche Daten von einer Software ausgewertet werden. Der Wissenschaftler erhebt Daten und überlässt es der Software, einzuschätzen, ob eine daraus abgeleitete Beobachtung signifikant, also höchstwahrscheinlich nicht zufällig ist oder nicht. Aber wie kommt die Software zu dieser Schlussfolgerung? Und kann es sein, dass die Software einen Fehler gemacht hat? Das wurde damals von vielen Wissenschaftlern nicht in Zweifel gezogen. Diese Fragen machten deutlich, welchen Einfluss die Software auf Erkenntnisgewinne hat, und sie zeigen, dass ihre Offenlegung Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses sein muss. Das betrifft nicht nur wissenschaftliche Prozesse, sondern in der Folge auch politische Entscheidungen.
Was heißt das konkret für mögliche Autokratisierungstendenzen in der heutigen Gesellschaft?
Wir verlassen uns in der privaten und immer mehr der staatlichen Kommunikation sowie bei Innovations- und Wertschöpfungsprozessen der Wirtschaft auf digitale Strukturen. Die werden, wie im Fall China, staatlich intensiv gefördert. Deren Funktionsweise und Prozesse können wir aber in keinster Weise nachvollziehen, beeinflussen oder ändern. Das hat vielfältige negative Konsequenzen:
Erstens werden wir dadurch erpressbar. Derjenige, der die Technologie kontrolliert, bestimmt, ob wir sie benutzen können. Das haben wir gerade wieder anhand eines Fehlers in der E-Mail-Software von Microsoft gesehen. Die Konsequenz war, dass viele Unternehmen und Behörden keine Mails versenden konnten. Im Krisenfall könnten willkürliche Dienste-Sperren als Druckmittel verwendet werden. Ein Weckruf für Staat und Wirtschaft war beispielsweise, dass 2019 in Venezuela auf Anordnung der US-Regierung zeitweise Adobe-Produkte nicht mehr nutzbar waren.
Zweitens?
Sicherheitslücken lassen sich in proprietärer Software viel schwieriger aufspüren und noch viel schwieriger beheben. Und sie macht den Einbau unbemerkter Hintertüren sehr viel einfacher, wodurch sie zu einer realen Gefahr für vertrauenswürdige Kommunikation und Informationssicherheit wird. Drittens sinken die Innovations- und die Wertschöpfungsfähigkeit der Wirtschaft mit jedem Stück proprietärer Software. Schon heute werden Produktionsprozesse und Kundenbeziehungen in vielen Unternehmen vollständig von proprietären Cloud-Diensten gesteuert. Verbesserungen oder innovative Änderungen sind nur noch erreichbar, wenn das im Interesse des Dienste-Anbieters ist und dieser es technisch ermöglicht.
Wenn Sie schon seit so vielen Jahren die Gefahren durch proprietäre Software beschwören, muss man ihrer Branche vorwerfen, ihren Job nicht richtig gemacht zu haben. Schließlich scheinen proprietäre Tendenzen auch auf staatlicher Ebene – wie in China – auf dem Vormarsch zu sein.
Dass Open Source nicht erfolgreich war, kann man nicht sagen. Die großen Gewinner der Digitalisierung in der Wirtschaft setzen ausschließlich auf Open Source Code oder andere Software, die sie selbst kontrollieren. Das gilt für große Konzerne, aber auch für Staaten. Amazon oder Facebook sind groß geworden, weil sie nicht von Lizenzen bei Oracle oder Microsoft abhängig waren und ihre Daten dort einspeisten. Diese Konzerne nutzen Open Source als Basis für ihre eigenen innovativen Weiterentwicklungen, mit denen sie neue Werte schaffen und die Hoheit über ihre Daten behalten. In vielen Staaten, insbesondere in China, sehen wir ähnliche Strategien, sich von den amerikanischen Cloud-Anbietern unabhängig zu machen. Es gibt also Akteure, die das durchaus begriffen haben.
Aber?
Meiner Meinung nach haben sich beispielsweise in Deutschland der Mittelstand oder die Verwaltung aufs Glatteis führen lassen. Dort kauft man Produkte von Microsoft ein und meint, allein dadurch werde man innovativ. Dabei ist das nur eine “Schein-Innovation”. Man führt etwas ein, was sich andere ausgedacht haben, ohne dass man nennenswerte Nutzungs- oder eigene Innovationsrechte daran erwirbt. Die Gefahr, die dahintersteckt, sehen viele nicht.
Welche?
Man kann in eine hochgradige Abhängigkeit geraten, die die Informationssicherheit, die Geschwindigkeit der Weiterentwicklung und die Unabhängigkeit des eigenen Handelns bedroht.
Von wem geht die größte Gefahr aus?
Das ist schwer zu sagen. Man muss davon ausgehen, dass digitale Möglichkeiten zum Missbrauch genutzt werden, wenn sie zur Verfügung stehen. Das gilt für Unternehmen genauso wie für Regierungen, wie uns beispielsweise die Snowden-Enthüllungen oder schon vorher die Echelon-Krise gezeigt haben. In China sehen wir das in einer extremen Ausprägung. Ein autoritäres System ist allerdings eher in der Lage, seine Aktivitäten zu vertuschen.
Es kursieren Szenarien von chinakritischen Beobachtern, die fürchten, dass China eine wachsende digitale Hoheit dazu nutzen könnte, seine politischen Interessen langfristig auch zunehmend autoritär in Deutschland durchzusetzen, zum Beispiel, indem das Land mit dem Hinweis auf seine wirtschaftliche Stärke kritische Berichterstattung über China in Deutschland unterbindet.
Das ist zwar ein Horrorszenario, es erscheint mir angesichts der digitalen Entwicklung aber absolut möglich. Zumindest dann, wenn wir nicht entsprechend gegensteuern. Wir müssen es nicht so weit kommen lassen, sondern haben es selbst in der Hand, die Dinge im Interesse unserer Freiheit zu beeinflussen.
Mehr als die Hälfte aller Kinder von Wanderarbeitern im Schulalter lebt in China getrennt von ihren Eltern. Das geht aus einem Bericht der chinesischen Hilfsorganisation New Citizen Program hervor, aus dem das Wirtschaftsportal Caixin zitiert. Unter sechs bis 14-jährigen Kindern von Wanderarbeitern wachsen demnach 26,7 Millionen ohne Mutter und Vater auf. Häufig übernehmen stattdessen Verwandte, manchmal auch Nachbarn die Betreuung der Kinder. Die Eltern sind meist in große Städte migriert, um dort zu arbeiten.
Lediglich 20 Millionen Kinder haben ihre Eltern in die Städte begleitet. Das Problem dabei ist, dass Wanderarbeiter weniger Rechte haben als ihre Mitbürger. Das System der Haushaltsregistrierung (Hukou) macht einen Unterschied zwischen städtisch und ländlich registrierten Haushalten. Wanderarbeiter leiden in den Städten unter geringerer sozialer Absicherung.
Ihren Kindern wird zum Beispiel der Zugang zu öffentlichen Schulen in den Städten deutlich erschwert. Mit erheblichen Konsequenzen: “Der Bildungsstand von Migrantenkindern ist rückläufig”, sagt der Generaldirektor von New Citizen Program. An den Hochschulen des Landes stellen sie nur 2,4 Prozent aller Bewerber:innen. Wanderarbeiter-Kinder machen aber rund 40 Prozent aller Kinder des Landes aus.
Auch in den Heimatorten der Kinder ist das Bildungsangebot häufig unterdurchschnittlich. Wissenschaftler warnen davor, dass die Bildungsunterschiede das zukünftige Wachstum Chinas gefährden könnten. Kinder im ländlichen Raum erlernen schlicht nicht die notwendigen Fähigkeiten, um auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft bestehen zu können, zeigen Forschungsergebnisse (China.Table berichtete).
China Staatsrat will deshalb mehr und bessere Lehrer:innen in die Dörfer bringen, wie die Beratungsagentur Trivium China berichtet. “China hat einen beträchtlichen Vorsprung bei den Arbeitskräften und ihre Bildung hängt weitgehend von den Lehrern in den ländlichen Gebieten ab”, sagte Premierminister Li Keqiang. nib
Saudi-Arabien plant die Auslieferung zweier uigurischer Häftlinge an die Volksrepublik China. Das hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erfahren. Die beiden Männer, die in der Türkei beheimatet sind, werden demnach seit knapp zwei Jahren ohne formelle Anklage in Saudi-Arabien festgehalten. Im Falle einer Auslieferung an die Volksrepublik drohen den Betroffenen Nurmemet Rozi und Hemdullah Abduweli Haft und Folter, fürchtet HRW. “Wenn Saudi-Arabien diese beiden uigurischen Männer ausliefert, sendet das Land ein deutliches Signal, dass es Arm in Arm steht mit der chinesischen Regierung und deren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sich gegen das Turkvolk richten”, sagte Michael Page von HRW Mittlerer Osten.
Abduweli wird vorgeworfen, im Rahmen einer Pilgerreise nach Saudi-Arabien in einer uigurischen Gemeinde zum bewaffneten Widerstand gegen die chinesische Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang aufgerufen zu haben. Seine Tochter postete vor wenigen Tagen bei Twitter ein Video in arabischer Sprache. Darin bittet sie laut HRW die saudischen Behörden darum, die beiden Männer in die Türkei zurückkehren zu lassen. Die Vorwürfe gegen Rozi spezifizierte HRW nicht.
Obwohl Araber und das Turkvolk der Uiguren überwiegend muslimischen Glaubens sind, steht Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman fest an der Seite Chinas. Im Februar 2019 sprach der Monarch Peking seine Unterstützung für die sogenannte “Anti-Terror-Politik” Chinas aus. In Xinjiang werden schätzungsweise eine Million Uiguren in Internierungslagern gegen ihren Willen festgehalten. Auch bei den Vereinten Nationen hat sich Saudi-Arabien mehrfach an Chinas Seite positioniert. grz
Am Umzug der chinesischen Botschaft in London droht sich ein diplomatischer Konflikt zu entzünden. Die Ratsmitglieder des Bezirks Tower Hamlets haben beschlossen, angrenzende Straßen und Gebäude der neuen chinesischen Vertretung nach Regionen zu benennen, in denen massive Repressionen und Menschenrechtsverletzungen durch die Kommunistische Partei Chinas beklagt werden. Vorgeschlagen wurden Bezeichnungen wie Tiananmen Square, Uyghur Court, Hong Kong Road und Tibet Hill. Mit der Umbenennung solle die “Unterstützung für die Freiheit und Vielfalt unseres Bezirks” bekräftigt werden, hieß es aus dem Rat.
Initiatorin ist die uigurischstämmige Sängerin Rahima Mahmut, die mit ihrem Anliegen an den Bezirksrat herangetreten war. In der autonomen chinesischen Region Xinjiang werden rund eine Million Uiguren gegen ihren Willen in Internierungslagern festgehalten. China bestreitet die Existenz der Lager nicht, spricht aber von Ausbildungszentren zur beruflichen Bildung.
Die mögliche Umbenennung sei “ein Symbol”, sagte Mahmut dem örtlichen Nachrichtenportal MyLondon. Sie selbst ist vor rund zwei Jahrzehnten aus der Volksrepublik China ausgewandert. Allerdings habe es drei Jahre gedauert, ehe die chinesischen Behörden ihr einen Reisepass ausgestellt hätten. grz
China will bis 2025 insgesamt 6,5 Millionen günstige Mietwohnungen in 40 großen Städten bauen. Das gab das Ministerium für Wohnungswesen und Stadt- und Landentwicklung am Dienstag bekannt. Die Wohnungen sollen gut ein Viertel aller neuen Wohnungen in den betreffenden Städten ausmachen und 13 Millionen jungen Menschen und Zugezogenen zugutekommen, berichtet Bloomberg.
Seit einigen Jahren sind die Mieten und Wohnungspreise in China für viele Menschen kaum noch erschwinglich. Chinas Präsident Xi Jinping hatte im letzten Jahr während der Vorstellung seines Konzepts für einen gemeinsamen Wohlstand (“Common Prosperity”) auch mehr günstigen Wohnraum gefordert (China.Table berichtete). Im aktuellen 14. Fünfjahresplan und in politischen Reden hieß es zudem wiederholt, dass Wohnraum nicht zur Spekulation gedacht sei.
Die Initiative zum Bau von Sozialwohnungen könnte auch den ums Überleben kämpfenden Immobilienentwicklern zugutekommen. Unklar ist jedoch noch, wer für den Bau der Wohnungen bezahlen wird und wer sie verwalten und besitzen soll. Im vergangenen Jahr wurden in den 40 Städten mehr als 930.000 preisgünstige Mietwohnungen gebaut, teilte das Ministerium für Wohnungswesen mit. nib
Peking hat seine Unterstützung für das gewaltsame Vorgehen des kasachischen Präsidenten Kassym-Jomart Tokajew gegen Demonstranten ausgesprochen. Präsident Xi Jinping lobte den kasachischen Staatschef ausdrücklich für dessen Reaktion auf die Proteste in Kasachstan: “Sie haben in kritischen Momenten starke Maßnahmen ergriffen und die Situation schnell beruhigt”, schrieb Xi am Freitag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua an Tokajew. “Damit haben Sie Ihr Verantwortungsbewusstsein und Ihr Pflichtgefühl als Politiker unter Beweis gestellt”, so Xi demnach.
Zuvor hatte auch das chinesische Außenministerium Unterstützung für das Vorgehen ausgedrückt und betont, es hoffe, dass die “starken Maßnahmen” Ruhe herstellen werden. “China unterstützt alle Bemühungen, die den kasachischen Behörden helfen, das Chaos so schnell wie möglich zu beenden, und wendet sich entschieden gegen das Vorgehen externer Kräfte, um absichtlich soziale Unruhen zu schaffen und Gewalt anzustiften”, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Wang Wenbin, bei einer Pressekonferenz in Peking. Die Volksrepublik werde “als brüderlicher Nachbar” Kasachstan jede notwendige Hilfe anbieten.
Kasachstan ist für China einer der wichtigsten Verbündeten in der Region. Xi Jinping hatte in dem Nachbarland sein geopolitisches Prestigeprojekt der neuen Seidenstraße erstmals vorgestellt. Seitdem wurden dort zahlreiche Investitionen mit chinesischem Geld angeschoben. China ist außerdem stark an einem stabilen Kasachstan interessiert, weil die Volksrepublik viele Rohstoffe aus dem Land bezieht, vor allem Gas und Öl. Von Kasachstan führt eine Ölpipeline direkt in die westchinesische Provinz Xinjiang. China importiert zudem Kohle aus Kasachstan.
Am Donnerstag betonte Wang Wenbin, dass China und Kasachstan “dauerhafte und umfassende strategische Partner” seien. Was in Kasachstan geschehe, sei eine “interne Angelegenheit”. Auf Bitten Kasachstans hatte Russland im Rahmen eines gemeinsamen Militärbündnisses Soldaten zur Unterstützung geschickt. Die kasachische und die russische Führung machen ausländische Kräfte für die schweren Unruhen verantwortlich. Peking heißt die Entsendung russischer Soldaten willkommen. Als brüderlicher Nachbar und strategischer Partner Kasachstans “unterstützt China alle Bemühungen, den Behörden in Kasachstan zu helfen, das Chaos so schnell wie möglich zu beenden”, erklärte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Freitag in Peking. ari
“Siemens defends slave labour (again)” titelte der britische Spectator letzte Woche. Die Entstehung dieser Schlagzeile ist ein Lehrstück darüber, was in der chinapolitischen Positionierung von einigen CEOs der Deutschland-AG danebengeht. Was war passiert? Siemens-Chef Roland Busch hatte zum Jahreswechsel in der Süddeutschen Zeitung vor einer “konfrontativen Außenpolitik” gewarnt und mahnte einen “respektvollen Umgang” mit China an.
Eine Sorge führte er sehr konkret aus: “Wenn Exportverbote erlassen werden, könnten diese dazu führen, dass wir keine Solarzellen aus China mehr kaufen können – dann ist die Energiewende an dieser Stelle zu Ende. Wollen wir das wirklich? Es ist doch unser gemeinsames Interesse, den weltweiten CO2-Ausstoß zu verringern”. Busch sprach es nicht direkt an, doch worauf er zielte, waren mögliche Sanktionen gegen Komponenten aus Xinjiang, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auch mithilfe von Zwangsarbeit produziert werden.
Die Haltung der Amerikaner ist dazu klar: Im Dezember unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das Importe von Produkten, die in Xinjiang hergestellt wurden oder Komponenten und Materialien aus Xinjiang enthalten, weitgehend verbietet. Die Europäische Kommission ist dagegen skeptisch. Man könne die “US-Gesetzgebung in Europa nicht automatisch replizieren”, heißt es. Ein Importverbot würde nicht verhindern, dass diese Produkte weiter mit Zwangsarbeit hergestellt würden. Die EU-Kommission scheint ein Gesetz mit stärkeren Sorgfaltspflichten der Anbieter zu bevorzugen.
In diese Diskussion platzte Siemens-CEO Busch mit seiner Philippika gegen “Exportverbote”. Dabei hat Busch zumindest recht, was die Abhängigkeiten der Solarbranche von Xinjiang betrifft. Doch für einen Konzern, der eine Geschichte des Einsatzes von Zwangsarbeit hat, ist die Intervention bemerkenswert ungeschickt. Zumal Siemens laut FAZ mit dem chinesischen Rüstungszulieferer China Electronics Technology Group Corporation (CETC) zusammenarbeitet. CETC hat laut Human Rights Watch eine Überwachungs-App entwickelt, mit deren Hilfe Uiguren von der Polizei verfolgt und eingesperrt würden. Da hilft es eher wenig, dass Busch mit Blick auf die Menschenrechte versichert: “Wir halten diese weltweit ein, auch bei unseren Arbeitsplätzen in China”.
Nun rechtfertigt Busch natürlich keine Zwangsarbeit, anders als der Spectator es nahelegt. Es hätte aber viele geschicktere Wege gegeben, Skepsis an Importverboten zu äußern. Mit der ungelenken Art seiner Aussagen hat Busch der Fehlinterpretation seiner Worte Tür und Tor geöffnet. Was bei seiner Aussage etwa fehlt, ist ein explizites Bekenntnis, Menschenrechte auch in den Lieferketten und bei Kooperationspartnern einzuhalten.
Busch fällt auch hinter das zurück, was sein Vorgänger als Siemens-Chef und Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, kurz vor Ende seiner Amtszeit im September 2020 formulierte: “Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen in Hongkong, aber auch in der Provinz Xinjiang aufmerksam und mit Sorge. Wir lehnen jede Form von Unterdrückung, Zwangsarbeit und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen kategorisch ab. All das würden wir grundsätzlich weder in unseren Betrieben dulden noch bei unseren Partnern folgenlos hinnehmen.” Für Kaeser, der jahrelang den chinesischen Parteistaat rhetorisch hofiert hatte, war dies eine bemerkenswert klare Formulierung. Busch signalisiert nun, dass er an Kaesers Kritik nicht anknüpfen möchte.
Stattdessen scheint sich Busch den Volkswagen-CEO Diess als Vorbild zu nehmen, den Chef eines weiteren deutschen Weltkonzerns mit Zwangsarbeits-Vergangenheit. Diess hatte 2019 der BBC gesagt, dass er von Umerziehungslagern nicht wisse und “stolz” sei auf die Arbeitsplätze, die Volkswagen in Xinjiang geschaffen habe. Dabei klingt er wie der ehemalige ZEIT-Herausgeber Theo Sommer, der 2019 behauptete, deutsche Unternehmen “können und werden in dem schwierigen Umfeld Xinjiangs einen Beitrag zum ersprießlichen Zusammenleben verschiedener Völkerschaften leisten. Dann werden – wie einst die südafrikanischen Schwarzen von BMW – eines Tages auch die Uiguren sagen können, wer zu den Mitarbeitern der deutschen Firmen gehört, der hat das große Los gezogen”.
Ganz so vehement wie Sommer würden wahrscheinlich nur wenige deutsche CEOs öffentlich argumentieren. Aber allzu oft wirken sie so, als hätten sie selbst das große Los des Kotaus gegenüber der chinesischen Führung gezogen. Der Journalist Robin Alexander berichtet in seinem Buch “Machtverfall” über die deutschen CEOs, die Merkel auf deren letzter China-Reise im September 2019 begleiteten: “Die Bosse haben auf die Kanzlerin eingewirkt, die chinesische Regierung nicht mit einer allzu deutlichen Kritik an der Aussetzung des Basic Law der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong und den Repressionen gegen die dortige Demokratiebewegung zu brüskieren”.
Weiter berichtet der Autor über eine Abstimmung unter den deutschen Managern während besagter Reise, ob sie die Chinesen ihrerseits auf die engere Überwachung von Internetaktivitäten chinesischer Belegschaften in Firmen mit deutscher Beteiligung ansprechen sollten – denn die gefährdet nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch deutsche Geschäftsgeheimnisse. Per Handzeichen im Kanzlerflugzeug stimmten die CEOs dagegen. Erschreckend daran ist, dass die Unternehmensführer auch dann gegenüber Peking zu kuschen scheinen, wenn ihre Kerninteressen tangiert sind.
Bei der Suche nach mehr strategischer Klarheit kombiniert mit Rückgrat könnten die CEOs beim BDI fündig werden. Dieser hatte im vergangenen Sommer ein Diskussionspapier über “Außenwirtschaftliche Zusammenarbeit mit Autokratien” zur “Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen im internationalen Systemwettbewerb” veröffentlicht und dabei den Begriff der “verantwortungsvollen Koexistenz” geprägt.
Mehr strategische Klarheit in der Chinapolitik ist auf Seiten von CEOs wie Busch dringend vonnöten, denn die vom Spectator verzerrte menschenrechtliche Komponente ist nicht das größte Problem. Ebenfalls beunruhigend ist, dass Busch die Klimakrise zu instrumentalisieren scheint für einen “Business as Usual”-Kurs gegenüber Peking. Und noch konsternierender ist die Tatsache, dass Busch die Thematik auf die Frage der Menschenrechte reduziert. Dabei geht es im Systemwettbewerb mit Pekings autoritärem Staatskapitalismus um weit mehr.
Zwangsarbeit ist nicht unser Hauptproblem, wenn wir uns bei Kerntechnologien für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft von Produktion in China abhängig machen, oder wenn sich Unternehmen wie Volkswagen ein Klumpenrisiko China aufhalsen, in dem sie sich über Gebühr vom chinesischen Markt abhängig machen. 2020 unterzeichnete Siemens eine weitreichende “strategische Kooperationsvereinbarung” mit der schon erwähnten China Electronic Technology Group Corporation (CETC). Das Staatsunternehmen ist für das chinesische Militär als Zulieferer von zentraler Bedeutung. Tochterunternehmen von CETC unterliegen bereits US-Sanktionen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die USA auch die Siemens-Kooperation mit CETC genauer anschauen werden.
die Volksrepublik China ist auch für die katholische Kirche ein großer Markt. Und wie deutsche CEOs klagen auch die Geistlichen über mangelnden Marktzugang und staatliche Eingriffe in ihr Kerngeschäft. Sie verhält sich sogar ähnlich wie Daimler und Co., indem sie Zugeständnisse an die Pekinger Führung macht, die sie in anderen Märkten entschieden ablehnen würde. Im Gegensatz zu den Unternehmen wird ihr aber seltsamerweise zugestanden, dass sie ihre Werte preisgibt.
Die Konzerne dagegen bekommen vorgeworfen, dass sie ihren Kotau vor China seit Jahren schönreden. Vielleicht liegt es daran, dass in ihren Führungszirkeln keine Heiligen sitzen? Wer weiß das schon. Wir jedenfalls befassen uns heute mit beiden Religionen: Katholizismus und Wirtschaft. Fabian Peltsch hat mit Kirchenleuten und -kennern in Hongkong gesprochen, um herauszufinden, ob die zunehmend autoritäre Hand dort bald auch die Gläubigen ans Kreuz nageln wird. Unser Gastautor Thorsten Benner liest derweil den China-Managern die Leviten.
Verpassen sollten Sie auch nicht, was der Digital-Kritiker Peter Ganten im Interview über die Gefahren von Software und autoritären Systemen zu sagen hat. Man könnte auf die Idee kommen, dass Totalitarismus und Digitalisierung keine erstrebenswerte Kombination bilden. Wenn Sie es schon wussten, dann sagen Sie es unbedingt weiter. Noch bleibt Zeit, unsere Demokratie und Freiheit vor dem Totalschaden zu bewahren. Und dafür müssen wir nicht einmal Mitglied der katholischen Kirche sein.
Monatelang hatte Stephen Chow Sau-yan im Gebet mit sich gerungen, ehe er den Posten des Bischofs von Hongkong annahm. “Ich fühlte mich nicht berufen”, erklärte der 62-Jährige in einer Pressekonferenz. Am Ende war es ein handgeschriebener Brief von Papst Franziskus, der den Jesuiten überzeugte. “Der Heilige Vater schrieb mir, er glaube, dass ich der Bischof sein soll. Für mich war das ein Zeichen.”
Der in Hongkong geborene und in den USA zum Psychologen ausgebildete Kleriker hat nun die schwierige Aufgabe, “zwischen der Regierung und der Kirche in Hongkong sowie zwischen Katholiken und Christen anderer Konfessionen und Religionen” vermitteln zu müssen, wie er in seiner Antrittsrede im Dezember sagte. Gut zwölf Prozent der Bürger der Stadt bekennen sich zum Christentum. Schulen, Universitäten und soziale Einrichtungen haben oft einen christlichen Hintergrund.
Die politischen Tumulte in Hongkong haben tiefe Risse in der christlichen Gemeinde hinterlassen. “Die politische Situation sorgt bei den Christen für große Unsicherheit”, sagt Pastor Tim Buechsel im Gespräch mit China.Table. Der Deutsch-Amerikaner ist seit 2018 für die Vine Church im Wanchai-Distrikt tätig. Viele Gemeindemitglieder hätten die Flucht aus der Stadt ergriffen. Die Vine Church zählte Ende 2019 noch 2.500 Mitglieder. Jetzt sind es nur noch 1.300. Nicht wenige fürchten, dass sie mit wachsendem Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas ihren Glauben in Zukunft nicht mehr frei leben können.
Auch die Nächstenliebe stoße in der aufgeheizten politischen Stimmung heute schnell an ihre Grenzen. Oft gebe es aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten sogar Konflikte in der Familie. “Die Stimmung ist explosiv. Eltern reden nicht mehr mit ihren Kindern und umgekehrt“, so der Pastor. Trotz der schrumpfenden Mitgliederzahl seiner Gemeinde seien daher auch einige neue Gläubige hinzugekommen, “weil sich viele Menschen in ihren bisherigen sozialen Kontexten nicht mehr verstanden fühlen.”
Die Spaltung innerhalb der Familien spiegelt die politischen Fronten der Stadt wider. Viele Mitglieder der Hongkonger Protestbewegung sind bekennende Christen, darunter Führungspersönlichkeiten wie Joshua Wong, Agnes Chow oder Benny Tai, die ihren Glauben immer wieder als Inspiration für ihr politisches Engagement anführten. Eine Studie des städtischen University Grants Committee hat ergeben, dass fast 25 Prozent von Hongkongs Studenten Christen sind. Eines ihrer wichtigsten Protestlieder war “Sing Hallelujah to the Lord”.
Aber auch die Peking-treue Regierungschefin Carrie Lam ist, ebenso wie ihr Vorgänger Donald Tsang, Anhängerin des Katholizismus. Obwohl einige Hongkonger Demonstranten sich auf den im KZ ermordeten christlichen Widerständler Dietrich Bonhoeffer beziehen, ist die Hongkonger Protestbewegung also keinesfalls ein “Wir gegen die” im Schatten des Kreuzes.
Die weiterhin gewichtige Rolle der Kirche in Hongkong im gesellschaftlichen Leben der Sonderverwaltungszone ist ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft, wie Buechsel erklärt. “Weil die Briten bestimmte Bedürfnisse nicht bedienen konnten oder vielleicht sogar bewusst nicht bedienen wollten, füllten die christlichen Organisationen diese Lücken, insbesondere in Zeiten, in denen viele Flüchtlinge nach Hongkong kamen.” Heute hat seine Gemeinde einen Altersdurchschnitt von 30 Jahren. Gottesdienste und Hauskreise finden auf Englisch, Kantonesisch oder Mandarin statt.
Wie es weitergeht für die christliche Kirche in Hongkong, ist ungewiss. Für die Hongkonger Christen ist die große Herausforderung der kommenden Jahre eine sich rasant verändernde politische Situation. “Das könnte bedeuten, dass wir neue Wege finden müssen, wie wir mit der Realität umgehen“, sagt Buechsel. Der 43-Jährige verweist auf Festlandchina. Dort leben laut Schätzungen zwischen 40 und 120 Millionen Christen. Die Kirchen stehen jedoch unter strenger staatlicher Überwachung. In China gibt es die offizielle Staatskirche, dann Gemeinden von Menschen, die einen ausländischen Pass besitzen und dazu noch viele Untergrundkirchen.
Weil der frühere Diktator Mao Zedong keine Autorität neben sich duldete, ließ die Partei bereits in den 1950er-Jahren eine offizielle chinesische Staatskirche gründen, die heute einen protestantischen und einen katholischen Zweig hat. Die Katholische Patriotische Vereinigung (KPV) und die sogenannte Evangelische Drei-Selbst-Bewegung verstehen sich als christliche Kooperationspartner der Regierung. In ihren Räumen prangen Portraits des großen Vorsitzenden. Bilder Xi Jinpings sind heute oft prominenter platziert als die von Jesus und seinen Aposteln.
Die Untergrundkirche wiederum, die noch immer dem Papst die Treue schwört und ihre Gottesdienste im Privaten abhält, bewegt sich rechtlich in einer Grauzone und wird je nach politischer Wetterlage mal mehr und mal weniger geduldet. Zu ihr zählen mehr als zwei Drittel der chinesischen Christen. Seit Xis Amtsantritt hat sich die Situation für Chinas Gläubige stark eingetrübt, erklärt Thomas Müller von Open Doors, einem internationalen Hilfswerk, das sich in mehr als 70 Ländern der Welt für Christen einsetzt. “Die Grauzone, die es früher einmal gab, ist stark geschrumpft, wenn es sie denn überhaupt noch gibt. Besonders fühlbar wurde dies ab 2018.”
Damals veröffentlichte die Partei ein Weißbuch, das alle Religionen auffordert “sich den Interessen des Staates und des chinesischen Volkes unterzuordnen und ihm zu dienen”. Die Regeln, nach denen Geistliche ausgewählt werden, wurden verschärft, ebenso die Regeln, an die sie sich bei ihrer täglichen Arbeit halten müssen. Im Dezember 2021 kamen verschärfte Bestimmungen zur Nutzung des Internets für religiöse Organisationen hinzu – “ein Medium, das in Zeiten der Pandemie besonders wichtig ist”, wie Müller erklärt. Ab März treten sie in Kraft.
Auch in den Staatskirchen, die “weiterhin treu die christliche Botschaft verkünden”, habe der ideologische Druck noch einmal “bis hin zum Zwang” zugenommen. Pastoren würden genötigt, die Kommunistische Partei und ihre Politik zu loben, zum Beispiel bei der Pandemiebekämpfung. Andere müssen ihre Predigten vorab zur Prüfung vorlegen. “Daher gibt es auch immer wieder Berichte, dass Christen den Weg (…) in die Untergrundgemeinden suchen”, so der Analyst des christlichen Hilfswerks.
Der Vatikan hat noch keine klare Strategie gefunden, wie er mit der Situation in China umgehen soll. “Eines der schwierigsten Themen der letzten Jahrzehnte war die Berufung von Bischöfen, ein Recht, das der Vatikan weltweit für sich in Anspruch nimmt”, erläutert Müller. “Folglich gab es Bischöfe, die von der Kommunistischen Partei verschleppt und unter Hausarrest gestellt wurden. Umgekehrt gibt es von der Partei berufene Bischöfe, die der Vatikan nicht anerkannte.”
Im Versuch, die chinesischen Christen aus der Grauzone zu befreien und so vielleicht noch mehr Chinesen zu bekehren, hat Papst Franziskus bereits acht Bischöfe der Staatskirche offiziell anerkannt. Ein Zugeständnis, das nicht ganz aufging, wie Müller anmerkt. Das Abkommen wurde von der Kommunistischen Partei auch dazu benutzt, die Untergrundgemeinden verstärkt aufzufordern, sich der KPV anzuschließen. Doch das Ansinnen wird von vielen Vatikan-treuen Katholiken in China abgelehnt.
Auch der neue Hongkonger Bischoff Stephen Chow muss nun auf diesem schmalen Grat balancieren. Drei Jahre hatte der Vatikan nach einem geeigneten Kandidaten gesucht, der genug Fingerspitzengefühl für die Aufgabe mitbringt. Kardinal Joseph Zen, einer von Chows Vorgängern, ist bis heute einer der schärfsten Kritiker Pekings. Und auch Chow hat in den vergangenen Jahren an Veranstaltungen wie den Tiananmen-Gedenkfeiern in Hongkong am 4. Juni teilgenommen. Seit Einführung des Sicherheitsgesetzes im Jahr 2020 steht eine solche Teilnahme in der Stadt unter Strafe.
Seit seinem Amtsantritt wählt er jedoch diplomatische Worte: “Gott will, dass wir Einigkeit erreichen”, schrieb er in einem Aufsatz im Dezember. “Wir hoffen, einen Dialog anzuschieben und gegenseitig besseres Verständnis zu erreichen.” Er selbst sehe sich dabei in der Rolle “einer Brücke”: “Eine Brücke zu sein bedeutet in gewisser Weise, die Last zu tragen. Meine Worte mögen nicht auf beiden Seiten auf Zustimmung stoßen, aber zumindest tragen sie dazu bei, dass Menschen von beiden Seiten in der Mitte zusammenkommen. Gelingt das nicht, hat unsere Gesellschaft keine Zukunft.”
Herr Ganten, weshalb halten Sie Open-Source-Software für ein wichtiges Element, um Demokratie und Freiheit in der Welt zu verteidigen?
Schon in den 1990er-Jahren bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass frei zugängliche Quelltexte, die von Jedermann eingesehen, geändert und genutzt werden können, eine ähnliche gesellschaftliche Sprengkraft haben wie einst der Buchdruck. Damals war der Zugang zu Wissen und damit zur Macht nur wenigen Menschen vorbehalten, ehe die massenhafte Vervielfältigung und Verbreitung von Informationen demokratische Entwicklungsprozesse langfristig in Gang setzen konnten. Heutzutage werden private Kommunikation, wirtschaftliches Handeln oder staatliche Verwaltungsvorgänge, durch Software gesteuert und beeinflusst. Wer diese Software kontrollieren kann, kann kontrollieren, wer worüber mit wem kommunizieren kann. Er kann zudem bestimmen, wer welche Veränderungen an Prozessen und Kommunikationsabläufen vornehmen kann. Open-Source-Software erlaubt es jedem Menschen, die von der Software gesteuerten Prozesse zu verstehen und sie auf Basis eigener Ideen zu verändern oder mit anderen Systemen zu verbinden. Durch diese Bemächtigung der Allgemeinheit trägt Open-Source-Software dazu bei, Autokratisierungstendenzen entgegenzusteuern.
Geben Sie uns ein Beispiel?
Schauen Sie nach China. Das Land führt uns vor, wie eine allumfassende und zentral gesteuerte Digitalisierung dazu genutzt wird, um sämtliche Prozesse der privaten Kommunikation und Verhaltensweisen sowie politische und wirtschaftliche Prozesse nicht nur vorherzusagen, sondern auch zu steuern. Bei uns setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass diese Art der Digitalisierung sehr gefährlich ist und mit unseren europäischen Grundwerten und unserem Menschenbild nicht zu vereinbaren ist.
Glauben Sie, dass es auch bei uns in Deutschland so weit kommen wird?
Nur weil wir heute demokratisch sind, bedeutet das nicht, dass wir vor einer solchen Entwicklung gefeit sind. Die Digitalisierung kann überall auf der Welt Autokratisierungstendenzen fördern. Schon heute gibt es Beispiele dafür, dass nicht mehr die Vertreter demokratisch legitimierter Organe darüber entscheiden, wer mit wem worüber kommunizieren kann. Sondern es sind vielmehr die Internetkonzerne, die Kontrolle ausüben. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Stummschalten eines demokratisch gewählten Präsidenten der USA durch Twitter – ohne dass es eine gerichtliche Entscheidung gegeben hätte.
Und wie kann Open-Source-Software das verhindern?
Durch Open-Source-Software schaffen wir einen offenen, frei verfügbaren Werkzeugkasten an Wissen, Prozessen und Programmen, wie es einst der Buchdruck im Bereich des Wissens getan hat. Frei nutzbare Software und Schnittstellen bedeuten, dass die Innovationskraft nicht auf wenige Menschen reduziert ist, sondern wirklich jeder innovativ sein kann. Und es bedeutet, dass jeder in der Lage ist, Kontrolle auszuüben. Bei proprietärer Software, also solcher, die das Eigentum einer bestimmten Gruppe ist, ist das nicht der Fall. Entsprechend groß ist die Gefahr des Missbrauchs.
Haben sie schon in den 1990er-Jahren erkannt, dass Software eine geopolitische Dimension bekommen und massiven Einfluss nehmen wird auf Demokratie und Freiheit?
Das konnte ich damals sicher noch nicht so formulieren oder bis ins Detail vorhersehen. Mir war damals aber zumindest klar, dass Software eine große Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklungen gewinnen würde. Es gab früh eine Bewegung, die aus Universitäten in den USA nach Deutschland schwappte, die hinter dem Einsatz von Open-Source-Software eine ideologische Auseinandersetzung gesehen hat. Die Bewegung vertrat die Ansicht, dass proprietäre Software ethisch falsch und wer sie einsetzt, kategorisch böse sei. Das war eine extreme Position, der ich mich auch heute nicht anschließen würde, aber sie macht das Risiko sehr deutlich, das in proprietärer Software zweifellos vorhanden ist.
Was war ihre Rolle?
Ich habe damals Psychologie studiert. Und ich erinnere mich an Diskussionen, welche Konsequenzen es hat, wenn wissenschaftliche Daten von einer Software ausgewertet werden. Der Wissenschaftler erhebt Daten und überlässt es der Software, einzuschätzen, ob eine daraus abgeleitete Beobachtung signifikant, also höchstwahrscheinlich nicht zufällig ist oder nicht. Aber wie kommt die Software zu dieser Schlussfolgerung? Und kann es sein, dass die Software einen Fehler gemacht hat? Das wurde damals von vielen Wissenschaftlern nicht in Zweifel gezogen. Diese Fragen machten deutlich, welchen Einfluss die Software auf Erkenntnisgewinne hat, und sie zeigen, dass ihre Offenlegung Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses sein muss. Das betrifft nicht nur wissenschaftliche Prozesse, sondern in der Folge auch politische Entscheidungen.
Was heißt das konkret für mögliche Autokratisierungstendenzen in der heutigen Gesellschaft?
Wir verlassen uns in der privaten und immer mehr der staatlichen Kommunikation sowie bei Innovations- und Wertschöpfungsprozessen der Wirtschaft auf digitale Strukturen. Die werden, wie im Fall China, staatlich intensiv gefördert. Deren Funktionsweise und Prozesse können wir aber in keinster Weise nachvollziehen, beeinflussen oder ändern. Das hat vielfältige negative Konsequenzen:
Erstens werden wir dadurch erpressbar. Derjenige, der die Technologie kontrolliert, bestimmt, ob wir sie benutzen können. Das haben wir gerade wieder anhand eines Fehlers in der E-Mail-Software von Microsoft gesehen. Die Konsequenz war, dass viele Unternehmen und Behörden keine Mails versenden konnten. Im Krisenfall könnten willkürliche Dienste-Sperren als Druckmittel verwendet werden. Ein Weckruf für Staat und Wirtschaft war beispielsweise, dass 2019 in Venezuela auf Anordnung der US-Regierung zeitweise Adobe-Produkte nicht mehr nutzbar waren.
Zweitens?
Sicherheitslücken lassen sich in proprietärer Software viel schwieriger aufspüren und noch viel schwieriger beheben. Und sie macht den Einbau unbemerkter Hintertüren sehr viel einfacher, wodurch sie zu einer realen Gefahr für vertrauenswürdige Kommunikation und Informationssicherheit wird. Drittens sinken die Innovations- und die Wertschöpfungsfähigkeit der Wirtschaft mit jedem Stück proprietärer Software. Schon heute werden Produktionsprozesse und Kundenbeziehungen in vielen Unternehmen vollständig von proprietären Cloud-Diensten gesteuert. Verbesserungen oder innovative Änderungen sind nur noch erreichbar, wenn das im Interesse des Dienste-Anbieters ist und dieser es technisch ermöglicht.
Wenn Sie schon seit so vielen Jahren die Gefahren durch proprietäre Software beschwören, muss man ihrer Branche vorwerfen, ihren Job nicht richtig gemacht zu haben. Schließlich scheinen proprietäre Tendenzen auch auf staatlicher Ebene – wie in China – auf dem Vormarsch zu sein.
Dass Open Source nicht erfolgreich war, kann man nicht sagen. Die großen Gewinner der Digitalisierung in der Wirtschaft setzen ausschließlich auf Open Source Code oder andere Software, die sie selbst kontrollieren. Das gilt für große Konzerne, aber auch für Staaten. Amazon oder Facebook sind groß geworden, weil sie nicht von Lizenzen bei Oracle oder Microsoft abhängig waren und ihre Daten dort einspeisten. Diese Konzerne nutzen Open Source als Basis für ihre eigenen innovativen Weiterentwicklungen, mit denen sie neue Werte schaffen und die Hoheit über ihre Daten behalten. In vielen Staaten, insbesondere in China, sehen wir ähnliche Strategien, sich von den amerikanischen Cloud-Anbietern unabhängig zu machen. Es gibt also Akteure, die das durchaus begriffen haben.
Aber?
Meiner Meinung nach haben sich beispielsweise in Deutschland der Mittelstand oder die Verwaltung aufs Glatteis führen lassen. Dort kauft man Produkte von Microsoft ein und meint, allein dadurch werde man innovativ. Dabei ist das nur eine “Schein-Innovation”. Man führt etwas ein, was sich andere ausgedacht haben, ohne dass man nennenswerte Nutzungs- oder eigene Innovationsrechte daran erwirbt. Die Gefahr, die dahintersteckt, sehen viele nicht.
Welche?
Man kann in eine hochgradige Abhängigkeit geraten, die die Informationssicherheit, die Geschwindigkeit der Weiterentwicklung und die Unabhängigkeit des eigenen Handelns bedroht.
Von wem geht die größte Gefahr aus?
Das ist schwer zu sagen. Man muss davon ausgehen, dass digitale Möglichkeiten zum Missbrauch genutzt werden, wenn sie zur Verfügung stehen. Das gilt für Unternehmen genauso wie für Regierungen, wie uns beispielsweise die Snowden-Enthüllungen oder schon vorher die Echelon-Krise gezeigt haben. In China sehen wir das in einer extremen Ausprägung. Ein autoritäres System ist allerdings eher in der Lage, seine Aktivitäten zu vertuschen.
Es kursieren Szenarien von chinakritischen Beobachtern, die fürchten, dass China eine wachsende digitale Hoheit dazu nutzen könnte, seine politischen Interessen langfristig auch zunehmend autoritär in Deutschland durchzusetzen, zum Beispiel, indem das Land mit dem Hinweis auf seine wirtschaftliche Stärke kritische Berichterstattung über China in Deutschland unterbindet.
Das ist zwar ein Horrorszenario, es erscheint mir angesichts der digitalen Entwicklung aber absolut möglich. Zumindest dann, wenn wir nicht entsprechend gegensteuern. Wir müssen es nicht so weit kommen lassen, sondern haben es selbst in der Hand, die Dinge im Interesse unserer Freiheit zu beeinflussen.
Mehr als die Hälfte aller Kinder von Wanderarbeitern im Schulalter lebt in China getrennt von ihren Eltern. Das geht aus einem Bericht der chinesischen Hilfsorganisation New Citizen Program hervor, aus dem das Wirtschaftsportal Caixin zitiert. Unter sechs bis 14-jährigen Kindern von Wanderarbeitern wachsen demnach 26,7 Millionen ohne Mutter und Vater auf. Häufig übernehmen stattdessen Verwandte, manchmal auch Nachbarn die Betreuung der Kinder. Die Eltern sind meist in große Städte migriert, um dort zu arbeiten.
Lediglich 20 Millionen Kinder haben ihre Eltern in die Städte begleitet. Das Problem dabei ist, dass Wanderarbeiter weniger Rechte haben als ihre Mitbürger. Das System der Haushaltsregistrierung (Hukou) macht einen Unterschied zwischen städtisch und ländlich registrierten Haushalten. Wanderarbeiter leiden in den Städten unter geringerer sozialer Absicherung.
Ihren Kindern wird zum Beispiel der Zugang zu öffentlichen Schulen in den Städten deutlich erschwert. Mit erheblichen Konsequenzen: “Der Bildungsstand von Migrantenkindern ist rückläufig”, sagt der Generaldirektor von New Citizen Program. An den Hochschulen des Landes stellen sie nur 2,4 Prozent aller Bewerber:innen. Wanderarbeiter-Kinder machen aber rund 40 Prozent aller Kinder des Landes aus.
Auch in den Heimatorten der Kinder ist das Bildungsangebot häufig unterdurchschnittlich. Wissenschaftler warnen davor, dass die Bildungsunterschiede das zukünftige Wachstum Chinas gefährden könnten. Kinder im ländlichen Raum erlernen schlicht nicht die notwendigen Fähigkeiten, um auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft bestehen zu können, zeigen Forschungsergebnisse (China.Table berichtete).
China Staatsrat will deshalb mehr und bessere Lehrer:innen in die Dörfer bringen, wie die Beratungsagentur Trivium China berichtet. “China hat einen beträchtlichen Vorsprung bei den Arbeitskräften und ihre Bildung hängt weitgehend von den Lehrern in den ländlichen Gebieten ab”, sagte Premierminister Li Keqiang. nib
Saudi-Arabien plant die Auslieferung zweier uigurischer Häftlinge an die Volksrepublik China. Das hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erfahren. Die beiden Männer, die in der Türkei beheimatet sind, werden demnach seit knapp zwei Jahren ohne formelle Anklage in Saudi-Arabien festgehalten. Im Falle einer Auslieferung an die Volksrepublik drohen den Betroffenen Nurmemet Rozi und Hemdullah Abduweli Haft und Folter, fürchtet HRW. “Wenn Saudi-Arabien diese beiden uigurischen Männer ausliefert, sendet das Land ein deutliches Signal, dass es Arm in Arm steht mit der chinesischen Regierung und deren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sich gegen das Turkvolk richten”, sagte Michael Page von HRW Mittlerer Osten.
Abduweli wird vorgeworfen, im Rahmen einer Pilgerreise nach Saudi-Arabien in einer uigurischen Gemeinde zum bewaffneten Widerstand gegen die chinesische Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang aufgerufen zu haben. Seine Tochter postete vor wenigen Tagen bei Twitter ein Video in arabischer Sprache. Darin bittet sie laut HRW die saudischen Behörden darum, die beiden Männer in die Türkei zurückkehren zu lassen. Die Vorwürfe gegen Rozi spezifizierte HRW nicht.
Obwohl Araber und das Turkvolk der Uiguren überwiegend muslimischen Glaubens sind, steht Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman fest an der Seite Chinas. Im Februar 2019 sprach der Monarch Peking seine Unterstützung für die sogenannte “Anti-Terror-Politik” Chinas aus. In Xinjiang werden schätzungsweise eine Million Uiguren in Internierungslagern gegen ihren Willen festgehalten. Auch bei den Vereinten Nationen hat sich Saudi-Arabien mehrfach an Chinas Seite positioniert. grz
Am Umzug der chinesischen Botschaft in London droht sich ein diplomatischer Konflikt zu entzünden. Die Ratsmitglieder des Bezirks Tower Hamlets haben beschlossen, angrenzende Straßen und Gebäude der neuen chinesischen Vertretung nach Regionen zu benennen, in denen massive Repressionen und Menschenrechtsverletzungen durch die Kommunistische Partei Chinas beklagt werden. Vorgeschlagen wurden Bezeichnungen wie Tiananmen Square, Uyghur Court, Hong Kong Road und Tibet Hill. Mit der Umbenennung solle die “Unterstützung für die Freiheit und Vielfalt unseres Bezirks” bekräftigt werden, hieß es aus dem Rat.
Initiatorin ist die uigurischstämmige Sängerin Rahima Mahmut, die mit ihrem Anliegen an den Bezirksrat herangetreten war. In der autonomen chinesischen Region Xinjiang werden rund eine Million Uiguren gegen ihren Willen in Internierungslagern festgehalten. China bestreitet die Existenz der Lager nicht, spricht aber von Ausbildungszentren zur beruflichen Bildung.
Die mögliche Umbenennung sei “ein Symbol”, sagte Mahmut dem örtlichen Nachrichtenportal MyLondon. Sie selbst ist vor rund zwei Jahrzehnten aus der Volksrepublik China ausgewandert. Allerdings habe es drei Jahre gedauert, ehe die chinesischen Behörden ihr einen Reisepass ausgestellt hätten. grz
China will bis 2025 insgesamt 6,5 Millionen günstige Mietwohnungen in 40 großen Städten bauen. Das gab das Ministerium für Wohnungswesen und Stadt- und Landentwicklung am Dienstag bekannt. Die Wohnungen sollen gut ein Viertel aller neuen Wohnungen in den betreffenden Städten ausmachen und 13 Millionen jungen Menschen und Zugezogenen zugutekommen, berichtet Bloomberg.
Seit einigen Jahren sind die Mieten und Wohnungspreise in China für viele Menschen kaum noch erschwinglich. Chinas Präsident Xi Jinping hatte im letzten Jahr während der Vorstellung seines Konzepts für einen gemeinsamen Wohlstand (“Common Prosperity”) auch mehr günstigen Wohnraum gefordert (China.Table berichtete). Im aktuellen 14. Fünfjahresplan und in politischen Reden hieß es zudem wiederholt, dass Wohnraum nicht zur Spekulation gedacht sei.
Die Initiative zum Bau von Sozialwohnungen könnte auch den ums Überleben kämpfenden Immobilienentwicklern zugutekommen. Unklar ist jedoch noch, wer für den Bau der Wohnungen bezahlen wird und wer sie verwalten und besitzen soll. Im vergangenen Jahr wurden in den 40 Städten mehr als 930.000 preisgünstige Mietwohnungen gebaut, teilte das Ministerium für Wohnungswesen mit. nib
Peking hat seine Unterstützung für das gewaltsame Vorgehen des kasachischen Präsidenten Kassym-Jomart Tokajew gegen Demonstranten ausgesprochen. Präsident Xi Jinping lobte den kasachischen Staatschef ausdrücklich für dessen Reaktion auf die Proteste in Kasachstan: “Sie haben in kritischen Momenten starke Maßnahmen ergriffen und die Situation schnell beruhigt”, schrieb Xi am Freitag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua an Tokajew. “Damit haben Sie Ihr Verantwortungsbewusstsein und Ihr Pflichtgefühl als Politiker unter Beweis gestellt”, so Xi demnach.
Zuvor hatte auch das chinesische Außenministerium Unterstützung für das Vorgehen ausgedrückt und betont, es hoffe, dass die “starken Maßnahmen” Ruhe herstellen werden. “China unterstützt alle Bemühungen, die den kasachischen Behörden helfen, das Chaos so schnell wie möglich zu beenden, und wendet sich entschieden gegen das Vorgehen externer Kräfte, um absichtlich soziale Unruhen zu schaffen und Gewalt anzustiften”, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Wang Wenbin, bei einer Pressekonferenz in Peking. Die Volksrepublik werde “als brüderlicher Nachbar” Kasachstan jede notwendige Hilfe anbieten.
Kasachstan ist für China einer der wichtigsten Verbündeten in der Region. Xi Jinping hatte in dem Nachbarland sein geopolitisches Prestigeprojekt der neuen Seidenstraße erstmals vorgestellt. Seitdem wurden dort zahlreiche Investitionen mit chinesischem Geld angeschoben. China ist außerdem stark an einem stabilen Kasachstan interessiert, weil die Volksrepublik viele Rohstoffe aus dem Land bezieht, vor allem Gas und Öl. Von Kasachstan führt eine Ölpipeline direkt in die westchinesische Provinz Xinjiang. China importiert zudem Kohle aus Kasachstan.
Am Donnerstag betonte Wang Wenbin, dass China und Kasachstan “dauerhafte und umfassende strategische Partner” seien. Was in Kasachstan geschehe, sei eine “interne Angelegenheit”. Auf Bitten Kasachstans hatte Russland im Rahmen eines gemeinsamen Militärbündnisses Soldaten zur Unterstützung geschickt. Die kasachische und die russische Führung machen ausländische Kräfte für die schweren Unruhen verantwortlich. Peking heißt die Entsendung russischer Soldaten willkommen. Als brüderlicher Nachbar und strategischer Partner Kasachstans “unterstützt China alle Bemühungen, den Behörden in Kasachstan zu helfen, das Chaos so schnell wie möglich zu beenden”, erklärte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Freitag in Peking. ari
“Siemens defends slave labour (again)” titelte der britische Spectator letzte Woche. Die Entstehung dieser Schlagzeile ist ein Lehrstück darüber, was in der chinapolitischen Positionierung von einigen CEOs der Deutschland-AG danebengeht. Was war passiert? Siemens-Chef Roland Busch hatte zum Jahreswechsel in der Süddeutschen Zeitung vor einer “konfrontativen Außenpolitik” gewarnt und mahnte einen “respektvollen Umgang” mit China an.
Eine Sorge führte er sehr konkret aus: “Wenn Exportverbote erlassen werden, könnten diese dazu führen, dass wir keine Solarzellen aus China mehr kaufen können – dann ist die Energiewende an dieser Stelle zu Ende. Wollen wir das wirklich? Es ist doch unser gemeinsames Interesse, den weltweiten CO2-Ausstoß zu verringern”. Busch sprach es nicht direkt an, doch worauf er zielte, waren mögliche Sanktionen gegen Komponenten aus Xinjiang, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auch mithilfe von Zwangsarbeit produziert werden.
Die Haltung der Amerikaner ist dazu klar: Im Dezember unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das Importe von Produkten, die in Xinjiang hergestellt wurden oder Komponenten und Materialien aus Xinjiang enthalten, weitgehend verbietet. Die Europäische Kommission ist dagegen skeptisch. Man könne die “US-Gesetzgebung in Europa nicht automatisch replizieren”, heißt es. Ein Importverbot würde nicht verhindern, dass diese Produkte weiter mit Zwangsarbeit hergestellt würden. Die EU-Kommission scheint ein Gesetz mit stärkeren Sorgfaltspflichten der Anbieter zu bevorzugen.
In diese Diskussion platzte Siemens-CEO Busch mit seiner Philippika gegen “Exportverbote”. Dabei hat Busch zumindest recht, was die Abhängigkeiten der Solarbranche von Xinjiang betrifft. Doch für einen Konzern, der eine Geschichte des Einsatzes von Zwangsarbeit hat, ist die Intervention bemerkenswert ungeschickt. Zumal Siemens laut FAZ mit dem chinesischen Rüstungszulieferer China Electronics Technology Group Corporation (CETC) zusammenarbeitet. CETC hat laut Human Rights Watch eine Überwachungs-App entwickelt, mit deren Hilfe Uiguren von der Polizei verfolgt und eingesperrt würden. Da hilft es eher wenig, dass Busch mit Blick auf die Menschenrechte versichert: “Wir halten diese weltweit ein, auch bei unseren Arbeitsplätzen in China”.
Nun rechtfertigt Busch natürlich keine Zwangsarbeit, anders als der Spectator es nahelegt. Es hätte aber viele geschicktere Wege gegeben, Skepsis an Importverboten zu äußern. Mit der ungelenken Art seiner Aussagen hat Busch der Fehlinterpretation seiner Worte Tür und Tor geöffnet. Was bei seiner Aussage etwa fehlt, ist ein explizites Bekenntnis, Menschenrechte auch in den Lieferketten und bei Kooperationspartnern einzuhalten.
Busch fällt auch hinter das zurück, was sein Vorgänger als Siemens-Chef und Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, kurz vor Ende seiner Amtszeit im September 2020 formulierte: “Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen in Hongkong, aber auch in der Provinz Xinjiang aufmerksam und mit Sorge. Wir lehnen jede Form von Unterdrückung, Zwangsarbeit und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen kategorisch ab. All das würden wir grundsätzlich weder in unseren Betrieben dulden noch bei unseren Partnern folgenlos hinnehmen.” Für Kaeser, der jahrelang den chinesischen Parteistaat rhetorisch hofiert hatte, war dies eine bemerkenswert klare Formulierung. Busch signalisiert nun, dass er an Kaesers Kritik nicht anknüpfen möchte.
Stattdessen scheint sich Busch den Volkswagen-CEO Diess als Vorbild zu nehmen, den Chef eines weiteren deutschen Weltkonzerns mit Zwangsarbeits-Vergangenheit. Diess hatte 2019 der BBC gesagt, dass er von Umerziehungslagern nicht wisse und “stolz” sei auf die Arbeitsplätze, die Volkswagen in Xinjiang geschaffen habe. Dabei klingt er wie der ehemalige ZEIT-Herausgeber Theo Sommer, der 2019 behauptete, deutsche Unternehmen “können und werden in dem schwierigen Umfeld Xinjiangs einen Beitrag zum ersprießlichen Zusammenleben verschiedener Völkerschaften leisten. Dann werden – wie einst die südafrikanischen Schwarzen von BMW – eines Tages auch die Uiguren sagen können, wer zu den Mitarbeitern der deutschen Firmen gehört, der hat das große Los gezogen”.
Ganz so vehement wie Sommer würden wahrscheinlich nur wenige deutsche CEOs öffentlich argumentieren. Aber allzu oft wirken sie so, als hätten sie selbst das große Los des Kotaus gegenüber der chinesischen Führung gezogen. Der Journalist Robin Alexander berichtet in seinem Buch “Machtverfall” über die deutschen CEOs, die Merkel auf deren letzter China-Reise im September 2019 begleiteten: “Die Bosse haben auf die Kanzlerin eingewirkt, die chinesische Regierung nicht mit einer allzu deutlichen Kritik an der Aussetzung des Basic Law der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong und den Repressionen gegen die dortige Demokratiebewegung zu brüskieren”.
Weiter berichtet der Autor über eine Abstimmung unter den deutschen Managern während besagter Reise, ob sie die Chinesen ihrerseits auf die engere Überwachung von Internetaktivitäten chinesischer Belegschaften in Firmen mit deutscher Beteiligung ansprechen sollten – denn die gefährdet nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch deutsche Geschäftsgeheimnisse. Per Handzeichen im Kanzlerflugzeug stimmten die CEOs dagegen. Erschreckend daran ist, dass die Unternehmensführer auch dann gegenüber Peking zu kuschen scheinen, wenn ihre Kerninteressen tangiert sind.
Bei der Suche nach mehr strategischer Klarheit kombiniert mit Rückgrat könnten die CEOs beim BDI fündig werden. Dieser hatte im vergangenen Sommer ein Diskussionspapier über “Außenwirtschaftliche Zusammenarbeit mit Autokratien” zur “Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen im internationalen Systemwettbewerb” veröffentlicht und dabei den Begriff der “verantwortungsvollen Koexistenz” geprägt.
Mehr strategische Klarheit in der Chinapolitik ist auf Seiten von CEOs wie Busch dringend vonnöten, denn die vom Spectator verzerrte menschenrechtliche Komponente ist nicht das größte Problem. Ebenfalls beunruhigend ist, dass Busch die Klimakrise zu instrumentalisieren scheint für einen “Business as Usual”-Kurs gegenüber Peking. Und noch konsternierender ist die Tatsache, dass Busch die Thematik auf die Frage der Menschenrechte reduziert. Dabei geht es im Systemwettbewerb mit Pekings autoritärem Staatskapitalismus um weit mehr.
Zwangsarbeit ist nicht unser Hauptproblem, wenn wir uns bei Kerntechnologien für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft von Produktion in China abhängig machen, oder wenn sich Unternehmen wie Volkswagen ein Klumpenrisiko China aufhalsen, in dem sie sich über Gebühr vom chinesischen Markt abhängig machen. 2020 unterzeichnete Siemens eine weitreichende “strategische Kooperationsvereinbarung” mit der schon erwähnten China Electronic Technology Group Corporation (CETC). Das Staatsunternehmen ist für das chinesische Militär als Zulieferer von zentraler Bedeutung. Tochterunternehmen von CETC unterliegen bereits US-Sanktionen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die USA auch die Siemens-Kooperation mit CETC genauer anschauen werden.