Table.Briefing: China

Chipmangel im Autosektor + Omikron bedroht Lieferketten

  • Wan-Hsin Liu vom IfW Kiel: Omikron ist große Gefahr für Lieferketten
  • Stillstand im Autosektor durch Chipmangel
  • Förderung für spritsparende Benziner
  • Weniger Wachstum in den Provinzen
  • Konjunkturspritze: Massiver Ausbau der Infrastruktur
  • Yale-Professorin Goldberg: Vom Handelskrieg profitieren Dritte
  • Personalien: Maximilian Dietz ist neuer Chef für eMobility bei Schaeffler in Jiangsu
Liebe Leserin, lieber Leser,

in Europa scheinen sich immer mehr Länder damit abzufinden, dass Omikron durchrauscht. Verschärft werden die Maßnahmen zumindest nicht mehr. Ein Großteil der Bevölkerung ist schließlich geimpft. Das sind die Menschen in China zwar auch. Nur die chinesischen Impfstoffe scheinen gegen Omikron nur unzureichend zu wirken. 

Das sollte uns nicht kaltlassen. Denn wenn sich die Virusvariante in China ausbreitet, wird das gravierende Folgen für die globalen Lieferketten haben. Das erklärt uns Wan-Hsin Liu vom IfW Kiel im Gespräch mit Finn Mayer-Kuckuk. Fast zwei Drittel der weltweiten Zwischenprodukte kämen heute aus der Volksrepublik, so die Wirtschaftswissenschaftlerin. Die Lockdowns kommen schon jetzt so schockartig, dass sich die Unternehmen unmöglich darauf einstellen können. Für die Kommunistische Partei ist der Balanceakt zwischen Wachstum und Virus-Eindämmung überlebenswichtig. Sollte eines davon scheitern, steht die gesamte politische Stabilität auf dem Spiel.

Überlebenswichtig für die Automobilindustrie in China ist momentan auch die Versorgung mit Halbleitern. Das Land kann noch immer keine Chips herstellen, die der Qualität aus Taiwan oder den USA das Wasser reichen. Selbstbewusst hat China sich vorgenommen, bereits in zwei Jahren fast ein Fünftel der weltweiten Halbleiter zu produzieren. Pilotzone für das ambitionierte Ziel ist Shanghai, wo sich die gesamte Wertschöpfungskette für chinesische Computerchips konzentrieren soll. Dafür lockt die Lokalregierung großzügig mit Zuschüssen für Fabriken und Wohngeld für Fachkräfte. Binnen weniger Monate lasse sich der technologische Rückstand jedoch nicht aufholen, schreibt Christian Domke-Seidel in seiner Analyse. Quantität ist eben nicht Qualität.

Viel Spaß beim Lesen!

Ihr
Felix Lee
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Analyse

“Lieber hohe Kosten als Instabilität”

Liu Wang-Hsin ist Ökonomin am Institut für Weltwirtschaft in Kiel
Wan-Hsin Liu ist Ökonomin am Kiel Institute for the World Economy

Frau Dr. Liu, derzeit wächst die Angst, mit der Verbreitung der Omikron-Variante nach China hinein könnten die Lieferschwierigkeiten eine ganz neue Dimension annehmen. Der Handelsverband BGA und der BDI warnen bereits davor.

Diese Befürchtungen sind auf jeden Fall berechtigt. Wir müssen leider mit weiteren Störungen rechnen; die Unsicherheit nimmt jetzt schon zu. Solange die Pandemie nicht unter Kontrolle ist, werden die Lieferschwierigkeiten weltweit andauern. Probleme wird es überall dort verstärkt geben, wo Omikron sich ausbreitet. Und wenn das in China passiert, wird das besonders ausgeprägte Folgen für die globalen Lieferketten haben.

Warum?

Von der Verteilung der Wirtschaftsbereiche her ist China besonders breit aufgestellt. Laut einer Untersuchung der Chinese Academy of Social Sciences umfasst die chinesische Volkswirtschaft alle Industriezweige, die in der UN-Klassifikation aufgelistet sind. Dazu kommt noch Chinas enormer Anteil am globalen Warenhandel. Bei mehr als 60 Prozent der global gehandelten Zwischenprodukte gehört China zu den Top-Drei-Exporteuren. Kaum jemand kommt um China herum.

Der strenge Umgang mit Corona spielt vermutlich ebenfalls eine Rolle.

In der Tat werden die Eindämmungsmaßnahmen dort wegen des Ansteckungsrisikos bei Omikron leider noch schneller, strenger, umfangreicher und länger eingesetzt. In den betroffenen Regionen werden die Unternehmen dann kaum noch die Zeit oder die Möglichkeit haben, sich auf die Schocks einzustellen. Das verursacht prompt Lücken in der Produktion. So etwas setzt Lieferketten enorm unter Druck.

Null-Covid hat in China eindeutig Priorität.

Idealerweise möchte China beides erreichen: Den Kampf gegen die Pandemie gewinnen und die Wirtschaftsentwicklung weitertreiben. Aber China weiß auch, dass nicht immer beides gleichzeitig möglich ist. Derzeit steht die Zero-Covid-Strategie im Vordergrund. Aber ich halte die aktuelle Darstellung der Medien für falsch, dass China auf Kosten der Wirtschaft eine irrationale Seuchenbekämpfung betreibt.

Können Sie das erklären?

Hier sind zwei Aspekte getrennt voneinander zu betrachten: Infektionskontrolle und Infektionsprävention. Nach den jüngsten Fällen gab es intensive Bemühungen, die Infektionen schnellstmöglich unter Kontrolle zu bekommen, derzeit etwa in Tianjin und Peking, davor in Xi’an. Die Erwartung ist hier, dass harte, aber kurzfristige Eindämmungsmaßnahmen gut wirken. Nach dem Schock von Wuhan zu Beginn der Pandemie gelten die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten solcher kurzfristigen Eindämmungsmaßnahmen als hinnehmbar. Denn auch wenn die Kosten groß sind, sind sie immer noch akzeptabler als eine unkontrollierte Verbreitung der Infektion. Eine Ausbreitung von Covid-19 kann zu gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Instabilität führen, die am Ende auch die politische Stabilität gefährdet.

Und der Aspekt Infektionsprävention?

Die Verantwortlichen sehen, dass die Pandemie weltweit eine Herausforderung ist. Sie versuchen, das Alltagsleben in China so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Daher die Quarantäne bei der Einreise, daher die engmaschige Kontakt- und Bewegungsverfolgung. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft wird gestärkt, indem für den überwiegenden Teil der Bevölkerung Normalität hergestellt wird.

Für die Binnenwirtschaft mag es das beste Konjunkturprogramm zu sein, wenn das Leben normal weiterläuft. Im Außenhandel hakt es aber gewaltig, wenn als Reaktion auf einzelne Fälle ganze Häfen geschlossen werden.

Da hat China inzwischen aus den Ereignissen der vergangenen zwei Jahre gelernt. Beispiel Xi’an: Dort liegt ein wichtiger Bahnhof, ein Drehkreuz für die Güterzugverbindungen zwischen China und Europa. Der Schienenverkehr war aber diesmal kaum von den Infektionen vor Ort beeinträchtigt. Die Lkws wurden nahtlos zu anderen Bahnhöfen, die an Xi’an angebunden sind, umgeleitet. Sollte es an der Küste unter Hafenarbeitern einen Fall geben, kann es natürlich wieder vorkommen, dass ein Terminal geschlossen wird. Damit die Warenflüsse einigermaßen weiterlaufen, gibt es aber große Bemühungen, in den betroffenen Regionen nicht alles gleich dicht zu machen, wenn es nicht nötig ist.

Nun gibt es ein anderes Gefahrenszenario, das sich jetzt durch die Werksschließung bei VW und Toyota in Tianjin bereits andeutet: Wenn die chinesischen Impfstoffe keine Pandemie-Stopper sind, könnte es zu Ausfällen direkt in der Produktion kommen.

Genau das möchte China vermeiden. Gerade weil die einheimischen Impfstoffe weniger wirksam sind, lässt die chinesische Regierung bei der Zero-Covid-Strategie nicht nach.

Rund um den Globus steigen derzeit die Zahlen in nie dagewesene Höhen. Können sich kleine Effekte an vielen Orten gleichzeitig zu einem großen Problem hochschaukeln?

Je feingliedriger und länger die Lieferketten sind, desto eher intensivieren sich solche Probleme gegenseitig. Paradebeispiel: die Halbleiterindustrie. Oft sind für einen elektronischen Baustein Unternehmen aus vielen Volkswirtschaften involviert: USA, Festlandchina, aber auch Taiwan, Südkorea und so weiter. Sie sind auf bestimmte Aufgaben entlang der Lieferkette spezialisiert. Vom Anfang bis zum Ende des Wertschöpfungsprozesses kann ein Halbleiter mehr als 70 Mal Ländergrenzen überquert haben, bevor er zum Endkunden gelangt. Das ist wie bei einem Verkehrsstau. Je länger die Schlange, desto länger dauert es, bis sie sich auflöst.

Verwunderlich ist doch, wie lange der Zustand schon andauert. Als 2020 die ersten Störungen aufgetreten sind, hieß es: Die dauern bis zum Sommer. Wo bleibt die flexible Anpassung an die neue Lage?

Menschen und Unternehmen sind grundsätzlich gedanklich flexibel, aber die Produktionsstätten und Infrastrukturen sind es nicht. Die stehen zumindest für eine lange Weile fest. Die Produktionsketten lassen sich nicht kurzfristig umbauen. Die Mobilität der Menschen ist auch während der Pandemie viel eingeschränkter. Wieder ein Beispiel aus Xi’an: Samsung und Micron betreiben dort Halbleiterwerke. Die Unternehmen haben zwar versucht, die Nachfrage ihrer Kunden weiterhin durch die Produktvorräte und durch die Neuorganisation der Produktangebote in ihren globalen Herstellungsnetzwerken mit etwaiger Verspätung zu bedienen. Wenn sich der Lockdown-Zustand aber in die Länge zieht, dann leeren sich die Lager – und es treten erst recht Engpässe auf. Auch die Kapazität von Ausweichfabriken ist begrenzt.

Heißt das, die Zeit spielt gegen uns?

Leider ja. Zumal auch die Logistikkapazitäten knapp sind. Es kann nur eine begrenzte Zahl von Schiffen fahren. Die Anzahl der verfügbaren Container ist auch beschränkt. Als alles gut lief, fielen solche Probleme nicht auf. Sobald es Probleme in den Lieferketten gab, verstärkten sich diese Probleme gegenseitig. Es wird nun weiterhin die alten, aber zusätzlich auch neue Schwach- beziehungsweise Baustellen entlang der Lieferketten geben.

Die Warenknappheit trägt zu den gegenwärtig steigenden Preisen bei. Auch die Energiepreisinflation soll mit Corona zusammenhängen. Wie kann das sein?

Gerade in China hat zur Erreichung der Klimaziele parallel auch der Umbau der Energieversorgung begonnen. Weniger Kohlenutzung führt zu einer größeren Nachfrage nach Erdgas, das nun anderswo auf dem Weltmarkt fehlt.

Können diese Störungen auch auf andere Warengruppen wie Lebensmittel übergreifen?

Bisher ist vor allem die Autoindustrie betroffen, die auf verschiedene Elektronikprodukte, vor allem die Halbleiter, angewiesen ist. Es gibt aber keine Garantie, dass sich das nicht noch ausweitet. Da, wo Just-in-Time-Produktion praktiziert wird, haben wir die Engpässe einfach früher gesehen als in Branchen mit mehr Lagerhaltung oder mit kürzeren beziehungsweise diversifizierten Lieferketten. Die Verbreitung der Omikron-Variante könnte auch die Verfügbarkeit etwa von Konsumgütern, Lebensmitteln und Medikamenten beeinträchtigen. Einer Umfrage des Ifo-Instituts zufolge sorgen sich selbst deutsche Getränkehersteller um Engpässe.

Wan-Hsin Liu forscht am Kiel Institute for the World Economy (IfW Kiel) zu den Themen Internationaler Handel, Innovation, Globalisierung und Lieferketten.

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    • Gesundheit
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    • Lieferketten

    Halbleiter-Mangel: Chinas Autoindustrie droht Stillstand

    Wirtschaftlicher Katastrophenalarm auf der einen, euphorische Zukunftspläne auf der anderen Seite: Chinas massive Probleme mit der Halbleiter-Herstellung lassen sich nirgends so komprimiert beobachten wie in Shanghai. Hier produzieren Chinas größter Chiphersteller (Semiconductor Manufacturing International Corp./SMIC) und mit Tesla auch der größte Elektroautobauer der Welt. 

    Seit dem Ausbruch der Coronakrise leidet die gesamte Wirtschaft an bröckelnden Lieferketten. Besonders schlimm ist es bei den Halbleitern. Elektronikkonzerne und Automobilproduzenten haben Schwierigkeiten, ausreichend Chips in passender Qualität zu bekommen. Volkswagen verzeichnete im Jahr 2021 einen Rückgang bei den ausgelieferten Fahrzeugen in China um 14 Prozent auf 3,3 Millionen Stück. Stephan Wöllenstein, China-CEO  bei Volkswagen, begründete diesen Einbruch mit fehlenden Chips.  

    Im Bereich der Halbleiter hat sich ein perfekter Sturm gebildet. Um die Klimakatastrophe in den Griff zu bekommen und bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu werden, setzt die Regierung in Peking verstärkt auf Elektroautos. Diese aber brauchen in der Produktion wesentlich mehr Chips als klassische Verbrennerautos. Gleichzeitig tobt weiterhin der Handelskrieg mit den USA, und deshalb können Firmen aus der Volksrepublik keine modernen Chips aus den USA ordern. China kann aber bisher noch keine Chips in der Qualität der Marktführer aus Taiwan oder Amerika fertigen. Das Land hinkt beim Knowhow ein paar Jahre hinterher. 

    China: Forschungsrückstand bei Halbleitern

    Die Vorgabe der Kommunistischen Partei ist, dass China im Jahr 2024 für 17,4 Prozent der weltweiten Halbleiter-Produktion verantwortlich sein soll. Im Jahr 2020 waren es neun Prozent. Derzeit beherrscht Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) die weltweite Produktion von den kleinsten Chips. Deren Knoten sind nicht größer als fünf Nanometer. Diese feinsten Halbleiter stecken beispielsweise in modernen Mobiltelefonen. Chinesische Firmen beherrschen jedoch lediglich die Produktion von Chips, deren Knoten 14 Nanometer groß sind. Es ist ein Problem, das auch die Autoindustrie trifft. 

    So erklärte eine Unternehmenssprecherin von Volkswagen gegenüber Table.Media: “Wir sind im ständigen Austausch mit Chip-Brokern zu allen kritischen Umfängen von Standardhalbleitern. Wo möglich, wird Brokerware nach Prüfung und Freigabe durch die technische Entwicklung und Qualitätssicherung  eingesetzt.” Das bedeutet, dass VW Chips verwenden muss, die ursprünglich gar nicht für diese Art des Einsatzes gedacht waren, die aber kompatibel sind. Das Problem in China sei: “Bei gewissen Bauteilen sind aufgrund der Spezifikation aber keine alternativen marktüblichen Prozessoren verfügbar.”  

    Lediglich in der Massenproduktion konnte China große Fortschritte erzielen. 2021 konnten in China 359,4 Milliarden Halbleiter produziert werden. Das ist immerhin ein Zuwachs um 16,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

    Doch die Qualität bleibt der Knackpunkt. Im Jahr 2022 könnten ein Fünftel der benötigten Chips in der Autoproduktion fehlen, rechnet der chinesische Pkw-Verband CPCA vor. Kleinere Hersteller könnten gezwungen sein, die Produktion ganz einzufrieren. Bereits 2021 seien eine Million Fahrzeuge weniger gebaut worden als ursprünglich geplant, gibt das Marktforschungsinstitut AutoForecast Solutions an – Elektroautos und Verbrenner zusammengenommen. Weltweit seien es elf Millionen gewesen. 

    Shanghais Elektro-Boom droht jähes Ende

    Die Metropole Shanghai befürchtet nun, zum Epizentrum der Krise zu werden. Dort boomt seit Jahren die Produktion von Elektroautos oder Plug-in Hybriden (NEVs) und von Halbleitern. 2021 wurden dort 550.000 Elektro-, Hybrid- und Wasserstoffautos gebaut – ein Zuwachs um 170 Prozent im Vergleich zu 2020. Stolze 43 Prozent aller Neuzulassungen in Shanghai waren NEVs. Kein Wunder: Den Bürgern geht es gut. Die Wirtschaft Shanghais wuchs 2021 um 8,1 Prozent, im Jahr 2022 sollen es immerhin noch 5,5 Prozent sein.  

    Dafür zeigt sich die Stadt spendabel. Die Regierung veröffentlichte Mitte Januar 2021 einen Plan, der umfangreiche Subventionen für die Halbleiter-Industrie vorsieht. So übernimmt sie zukünftig 30 Prozent der Kosten für Materialien und Maschinen, die in der Halbleiterproduktion gebraucht würden. Auch Investitionen in entsprechende Software und Prüfverfahren werden mit der gleichen Quote unterstützt. Dabei gilt jeweils eine Höchstgrenze von umgerechnet 15 Millionen US-Dollar. 

    Neue Beschäftigte, die in diesem Bereich arbeiten und dafür nach Shanghai ziehen, erhalten außerdem Wohngeld und bis zu 80.000 Dollar an Zuschüssen. Ziel ist es, die gesamte Wertschöpfungskette für Halbleiter im Großraum Shanghai zu konzentrieren. 

    Kurzfristige Erfolge dürfte Shanghai bei aller Großzügigkeit damit kaum erzielen. SMIC hat längst neue Fabriken in Beijing und Guangzhou in Planung. Auch der technologische Rückstand lässt sich – bei aller Großzügigkeit – binnen weniger Monate nicht aufholen. Eric Han von der Unternehmensberatung Suolei in Shanghai fasst die Maßnahmen so zusammen: “Die Botschaft des Bürgermeisters ist, dass in den kommenden zwei, drei Jahren enorme Investitionen getätigt werden, um Halbleiter für Autos zu entwickeln und herzustellen.” Der Ausgang dieses Unterfangens ist offen.

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      • Autoindustrie
      • Chips

      News

      Benziner werden Teil der Öko-Anstrengungen

      Alle Aufmerksamkeit gilt derzeit der Elektromobilität, aber auf absehbare Zeit werden Autos mit Ottomotor noch die Mehrheit der Neuwagen stellen. China setzt daher nun auch Anreize, in der Übergangsphase zumindest besonders spritsparende Kfz zu kaufen. Leichte, kleine und saubere Benziner erhalten eine “vernünftige” Förderung, wie die Nationale Wirtschaftskommission NDRC mitgeteilt hat. Die Priorität bleibt jedoch klar: E-Autos haben Vorrang und genießen demnach “tatkräftige” Absatzförderung. Dafür soll vor allem die Infrastruktur besser werden. Die Behörden wollen schnell mehr Ladepunkte und Batteriewechselstationen bauen lassen. fin

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        • Autoindustrie
        • NDRC

        Provinzen erwarten weniger Wachstum

        Die meisten chinesischen Provinzen erwarten 2022 ein geringeres Wirtschaftswachstum als im Vorjahr. Das berichtete am Dienstag die Wirtschaftszeitung Caixin. Demnach setzten Chinas entwickelte Regionen wie Peking, Shanghai, Guangdong oder Jiangsu ihr Wachstumsziel größtenteils auf 5 bis 5,5 Prozent an. Weniger entwickelte Provinzen prognostizierten ein Plus zwischen 6 und 7 Prozent. Es ist zu erwarten, dass die Corona-Pandemie und die Rohstoffengpässe auch in diesem Jahr die Wirtschaft im ganzen Land belasten. Nur Gansu im Nordwesten erwartet mehr Wachstum als 2021; die Innere Mongolei eine gleichbleibende Wachstumsrate. Die südliche Inselprovinz Hainan hat sich mit 9 Prozent das höchste Ziel gesetzt, gefolgt von Tibet mit 8 Prozent.

        Die Wachstumsziele der Provinzen werden jedes Jahr im Vorfeld des Nationalen Volkskongresses veröffentlicht. Während des NVK-Plenums im März gibt der Ministerpräsident das ungefähre Wachstumsziel für ganz China bekannt, das sich aus diesen Prognosen zumindest teilweise speist. 2021 legte Chinas Bruttoinlandsprodukt um 8,1 Prozent zu. Als einzige der 31 Provinzen, autonomen Regionen und regierungsunmittelbaren Städte legte Tianjin laut Caixin keine Prognose vor. Die Hafenstadt kämpft derzeit gegen einen lokalen Ausbruch der Omikron-Variante. ck

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          Infrastruktur als Wachstumsmotor

          China will in den nächsten Jahren zehntausende Kilometer an neuen Autobahnen und Hochgeschwindigkeits-Strecken für Züge bauen. Das geht aus dem jüngst veröffentlichten 14. Fünfjahresplan für die Entwicklung eines modernen Verkehrssystems hervor, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtet. Bis 2025 soll das Hochgeschwindigkeitsnetz für Züge um 12.000 auf dann 50.000 Kilometer ausgebaut werden. Im gleichen Zeitraum sollen fast 30.000 Kilometer neue Autobahnen (derzeit 161.000 Kilometer) und 3.400 Kilometer städtischer U-Bahnen gebaut werden (derzeit 6.600 Kilometer).

          Der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes übersteigt die addierte Netzgröße in Spanien, Japan, Frankreich, Deutschland und Finnland, wie die South China Morning Post berichtet. Während die Pläne beeindruckend klingen, könnten sie auch die Ineffizienz steigern. In der Volksrepublik wird der Großteil der Strecken aufgrund eines zu geringen Passagieraufkommens nicht kostendeckend betrieben. Experten sind sich zudem einig, dass China erneut auf teure Infrastrukturprojekte setzt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. nib

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            • 14. Fünfjahresplan
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            Standpunkt

            Wer gewinnt den Handelskrieg?

            von Pinelopi Koujianou Goldberg
            Pinelopi Koujianou Goldberg, Herausgeberin des American Economic Review, Professorin für Wirtschaftswissenschaft an der Yale Universität

            Der Handelskrieg zwischen den USA und China begann 2018 und ist offiziell nie beendet worden. Welche Seite ist der “Gewinner”? Jüngste Untersuchungen liefern eine eindeutige Antwort: keine von beiden. Die US-Zölle auf chinesische Waren führten in den USA zu höheren Einfuhrpreisen in den betroffenen Produktkategorien. Chinas Vergeltungszölle auf US-Waren schadeten letztendlich den chinesischen Importeuren. Der bilaterale Handel zwischen den beiden Ländern ist eingebrochen. Und da die USA und China die beiden größten Volkswirtschaften der Welt sind, betrachten viele diese Entwicklung als Vorbote eines Endes der Globalisierung.

            In der Debatte um eine “Deglobalisierung” werden jedoch die vielen “unbeteiligten” Länder außer Acht gelassen, die nicht unmittelbar ins Visier der USA oder Chinas geraten sind. In einer neuen Studie, die die Auswirkungen des Handelskriegs auf diese Länder untersucht, kommen meine Mitautoren und ich zu einem unerwarteten Ergebnis: Viele, aber nicht alle dieser unbeteiligten Länder, haben in Form von höheren Exporten von diesem Handelskrieg profitiert.

            Man würde natürlich erwarten, dass Ausfuhren aus Drittländern (Mexiko, Vietnam, Malaysia usw.) an die Stelle der chinesischen Exporte in die USA treten. Überraschend ist jedoch, dass diese Länder ihre Ausfuhren nicht nur in die USA, sondern auch in den Rest der Welt gesteigert haben. Tatsächlich scheint der Welthandel mit den vom Handelskrieg betroffenen Produkten im Vergleich zum Welthandel mit den nicht von den Zöllen betroffenen Produkten um drei Prozent zugenommen zu haben. Das bedeutet, dass der Handelskrieg nicht nur zu einer Umverteilung der Exporte von Drittländern in die USA (oder nach China) geführt hat, sondern auch zu einem Nettozuwachs des Handels.

            Da Handelskriege im Allgemeinen nicht mit einem solchen Ergebnis in Verbindung gebracht werden, stellt sich die Frage, woran es liegt. Eine mögliche Erklärung ist, dass einige unbeteiligte Länder den Handelskrieg als Gelegenheit betrachteten, ihre Präsenz auf den Weltmärkten auszubauen. Indem sie in zusätzliche Handelskapazitäten investierten oder vorhandene ungenutzte Kapazitäten mobilisierten, konnten sie ihre Exporte steigern – ohne ihre Preise zu erhöhen.

            Eine andere Erklärung ist, dass die Produktionsstückkosten der unbeteiligten Länder sanken, als diese begannen, mehr in die USA oder nach China zu exportieren, weil sie aufgrund von Größenvorteilen mehr zu niedrigeren Preisen anbieten konnten. Übereinstimmend mit diesen Erklärungen wird in unserer Studie festgestellt, dass die Länder mit den größten Zuwächsen bei den weltweiten Exporten diejenigen sind, in denen die Exportpreise sinken.

            Obwohl der Handelskrieg unterm Strich eine Zunahme des Handels zur Folge hatte, gab es enorme Unterschiede zwischen den Ländern. Einige Länder steigerten ihre Exporte erheblich, andere steigerten ihre Exporte in die USA auf Kosten ihrer Exporte in andere Länder (sie schichteten den Handel um). Und einige Länder verzeichneten schlicht und einfach Exportverluste, indem sie weniger in die USA und in den Rest der Welt verkauften. Wie erklären sich diese Unterschiede, und was hätten Länder tun können, um größere Gewinne aus dem Handelskrieg zu erzielen?

            Auch hier sind die Antworten etwas überraschend. Man hätte vermuten können, dass der wichtigste Faktor, der die unterschiedlichen Erfahrungen der Länder erklärt, die Spezialisierungsmuster aus der Zeit vor dem Handelskrieg sind. So hatten etwa Länder wie Malaysia und Vietnam das Glück, eine stark betroffene Produktkategorie wie Maschinen herzustellen. Die Spezialisierungsmuster scheinen jedoch kaum eine Rolle gespielt zu haben, wenn man die großen Exportgewinner des Handelskriegs betrachtet: Südafrika, die Türkei, Ägypten, Rumänien, Mexiko, Singapur, die Niederlande, Belgien, Ungarn, Polen, die Slowakei und die Tschechische Republik.

            Kleinere, offene Länder profitieren vom Handelskrieg der Großen

            Ausschlaggebend waren stattdessen zwei wichtige Ländermerkmale: die Beteiligung an “tiefgehenden” Handelsabkommen (definiert als Regelungen, die nicht nur Zölle, sondern auch andere Maßnahmen zum Schutz nichttarifärer Bereiche hinter der Grenze umfassen) und akkumulierte ausländische Direktinvestitionen. Am meisten profitierten die Länder, die bereits einen hohen Grad an internationaler Handelsintegration aufwiesen. Handelsabkommen verringern in der Regel die Fixkosten für die Expansion auf ausländischen Märkten, und die bestehenden Vereinbarungen haben möglicherweise die durch den Handelskrieg entstandene Unsicherheit teilweise ausgeglichen. Ebenso sind höhere ausländische Direktinvestitionen ein zuverlässiger Indikator für eine stärkere soziale, politische und wirtschaftliche Bindung an ausländische Märkte.

            Auch die Auswirkungen auf die Lieferketten könnten eine wichtige Rolle gespielt haben. In einem vorausschauenden Policy Brief, das auf privaten Gesprächen mit Führungskräften großer multinationaler Unternehmen beruhte, sagten Analysten des Peterson Institute for International Economics 2016 voraus, dass US-Zölle “eine Kette von Produktionsverlagerungen in Gang setzen” würden.

            Beschließt ein Unternehmen, die Produktion eines von chinesischen Zöllen betroffenen Produkts in ein Drittland zu verlagern, erfordert dies eine Umstrukturierung anderer Aktivitäten in diesem Drittland, was wiederum mehrere andere Länder betrifft. Das genaue Muster dieser Reaktionen wäre angesichts der Komplexität moderner Lieferketten schwer vorherzusagen gewesen. Aber der Grad der internationalen Verflechtung eines Landes scheint ein entscheidender Faktor für die Verlagerungsentscheidungen eines Unternehmens gewesen zu sein.

            Um auf unsere ursprüngliche Frage zurückzukommen: Der große Gewinner des Handelskriegs scheinen “unbeteiligte” Länder mit engen internationalen Beziehungen zu sein. Aus Sicht der USA hat der Handelskrieg zumindest kurz- bis mittelfristig nicht zu der angekündigten Produktionsrückverlagerung von Wirtschaftstätigkeiten aus dem Ausland geführt. Stattdessen wurden chinesische Einfuhren in die USA einfach durch Importe aus anderen Ländern ersetzt.

            Aus der Sicht “unbeteiligter” Länder hat der Handelskrieg ironischerweise gezeigt, wie wichtig die Handelsverflechtung ist – insbesondere tiefgehende Handelsabkommen und ausländische Direktinvestitionen. Glücklicherweise bedeutet der amerikanisch-chinesische Handelskrieg nicht das Ende der Globalisierung. Er könnte vielmehr der Auftakt für ein neues Welthandelssystem sein, in dessen Zentrum nicht mehr die USA oder China stehen.

            Pinelopi Koujianou Goldberg, ehemalige Chefökonomin der Weltbank-Gruppe und Herausgeberin des American Economic Review, ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale. Übersetzung: Sandra Pontow.

            Copyright: Project Syndicate, 2022.
            www.project-syndicate.org

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              • Export
              • Handel
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              Personalien

              Karina Steinmetz ist als Senior Manager R&D Satellite für Porsche China nach Shanghai gewechselt. Zuvor war Steinmetz auf verschiedenen Positionen bei Porsche in Deutschland tätig.

              Maximilian Dietz ist neuer Director Industrial Engineering für eMobility China bei Schaeffler in Jiangsu. Dietz ist dabei unter anderem verantwortlich für Industrialization, Production Technology und Cost Engineering für die eMobility-Produkte in der Region China. Er war zuvor als Senior Manager für Industrialization ebenfalls bei Schaeffler in China tätig.

              China.Table Redaktion

              CHINA.TABLE REDAKTION

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                in Europa scheinen sich immer mehr Länder damit abzufinden, dass Omikron durchrauscht. Verschärft werden die Maßnahmen zumindest nicht mehr. Ein Großteil der Bevölkerung ist schließlich geimpft. Das sind die Menschen in China zwar auch. Nur die chinesischen Impfstoffe scheinen gegen Omikron nur unzureichend zu wirken. 

                Das sollte uns nicht kaltlassen. Denn wenn sich die Virusvariante in China ausbreitet, wird das gravierende Folgen für die globalen Lieferketten haben. Das erklärt uns Wan-Hsin Liu vom IfW Kiel im Gespräch mit Finn Mayer-Kuckuk. Fast zwei Drittel der weltweiten Zwischenprodukte kämen heute aus der Volksrepublik, so die Wirtschaftswissenschaftlerin. Die Lockdowns kommen schon jetzt so schockartig, dass sich die Unternehmen unmöglich darauf einstellen können. Für die Kommunistische Partei ist der Balanceakt zwischen Wachstum und Virus-Eindämmung überlebenswichtig. Sollte eines davon scheitern, steht die gesamte politische Stabilität auf dem Spiel.

                Überlebenswichtig für die Automobilindustrie in China ist momentan auch die Versorgung mit Halbleitern. Das Land kann noch immer keine Chips herstellen, die der Qualität aus Taiwan oder den USA das Wasser reichen. Selbstbewusst hat China sich vorgenommen, bereits in zwei Jahren fast ein Fünftel der weltweiten Halbleiter zu produzieren. Pilotzone für das ambitionierte Ziel ist Shanghai, wo sich die gesamte Wertschöpfungskette für chinesische Computerchips konzentrieren soll. Dafür lockt die Lokalregierung großzügig mit Zuschüssen für Fabriken und Wohngeld für Fachkräfte. Binnen weniger Monate lasse sich der technologische Rückstand jedoch nicht aufholen, schreibt Christian Domke-Seidel in seiner Analyse. Quantität ist eben nicht Qualität.

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                Analyse

                “Lieber hohe Kosten als Instabilität”

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                Diese Befürchtungen sind auf jeden Fall berechtigt. Wir müssen leider mit weiteren Störungen rechnen; die Unsicherheit nimmt jetzt schon zu. Solange die Pandemie nicht unter Kontrolle ist, werden die Lieferschwierigkeiten weltweit andauern. Probleme wird es überall dort verstärkt geben, wo Omikron sich ausbreitet. Und wenn das in China passiert, wird das besonders ausgeprägte Folgen für die globalen Lieferketten haben.

                Warum?

                Von der Verteilung der Wirtschaftsbereiche her ist China besonders breit aufgestellt. Laut einer Untersuchung der Chinese Academy of Social Sciences umfasst die chinesische Volkswirtschaft alle Industriezweige, die in der UN-Klassifikation aufgelistet sind. Dazu kommt noch Chinas enormer Anteil am globalen Warenhandel. Bei mehr als 60 Prozent der global gehandelten Zwischenprodukte gehört China zu den Top-Drei-Exporteuren. Kaum jemand kommt um China herum.

                Der strenge Umgang mit Corona spielt vermutlich ebenfalls eine Rolle.

                In der Tat werden die Eindämmungsmaßnahmen dort wegen des Ansteckungsrisikos bei Omikron leider noch schneller, strenger, umfangreicher und länger eingesetzt. In den betroffenen Regionen werden die Unternehmen dann kaum noch die Zeit oder die Möglichkeit haben, sich auf die Schocks einzustellen. Das verursacht prompt Lücken in der Produktion. So etwas setzt Lieferketten enorm unter Druck.

                Null-Covid hat in China eindeutig Priorität.

                Idealerweise möchte China beides erreichen: Den Kampf gegen die Pandemie gewinnen und die Wirtschaftsentwicklung weitertreiben. Aber China weiß auch, dass nicht immer beides gleichzeitig möglich ist. Derzeit steht die Zero-Covid-Strategie im Vordergrund. Aber ich halte die aktuelle Darstellung der Medien für falsch, dass China auf Kosten der Wirtschaft eine irrationale Seuchenbekämpfung betreibt.

                Können Sie das erklären?

                Hier sind zwei Aspekte getrennt voneinander zu betrachten: Infektionskontrolle und Infektionsprävention. Nach den jüngsten Fällen gab es intensive Bemühungen, die Infektionen schnellstmöglich unter Kontrolle zu bekommen, derzeit etwa in Tianjin und Peking, davor in Xi’an. Die Erwartung ist hier, dass harte, aber kurzfristige Eindämmungsmaßnahmen gut wirken. Nach dem Schock von Wuhan zu Beginn der Pandemie gelten die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten solcher kurzfristigen Eindämmungsmaßnahmen als hinnehmbar. Denn auch wenn die Kosten groß sind, sind sie immer noch akzeptabler als eine unkontrollierte Verbreitung der Infektion. Eine Ausbreitung von Covid-19 kann zu gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Instabilität führen, die am Ende auch die politische Stabilität gefährdet.

                Und der Aspekt Infektionsprävention?

                Die Verantwortlichen sehen, dass die Pandemie weltweit eine Herausforderung ist. Sie versuchen, das Alltagsleben in China so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Daher die Quarantäne bei der Einreise, daher die engmaschige Kontakt- und Bewegungsverfolgung. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft wird gestärkt, indem für den überwiegenden Teil der Bevölkerung Normalität hergestellt wird.

                Für die Binnenwirtschaft mag es das beste Konjunkturprogramm zu sein, wenn das Leben normal weiterläuft. Im Außenhandel hakt es aber gewaltig, wenn als Reaktion auf einzelne Fälle ganze Häfen geschlossen werden.

                Da hat China inzwischen aus den Ereignissen der vergangenen zwei Jahre gelernt. Beispiel Xi’an: Dort liegt ein wichtiger Bahnhof, ein Drehkreuz für die Güterzugverbindungen zwischen China und Europa. Der Schienenverkehr war aber diesmal kaum von den Infektionen vor Ort beeinträchtigt. Die Lkws wurden nahtlos zu anderen Bahnhöfen, die an Xi’an angebunden sind, umgeleitet. Sollte es an der Küste unter Hafenarbeitern einen Fall geben, kann es natürlich wieder vorkommen, dass ein Terminal geschlossen wird. Damit die Warenflüsse einigermaßen weiterlaufen, gibt es aber große Bemühungen, in den betroffenen Regionen nicht alles gleich dicht zu machen, wenn es nicht nötig ist.

                Nun gibt es ein anderes Gefahrenszenario, das sich jetzt durch die Werksschließung bei VW und Toyota in Tianjin bereits andeutet: Wenn die chinesischen Impfstoffe keine Pandemie-Stopper sind, könnte es zu Ausfällen direkt in der Produktion kommen.

                Genau das möchte China vermeiden. Gerade weil die einheimischen Impfstoffe weniger wirksam sind, lässt die chinesische Regierung bei der Zero-Covid-Strategie nicht nach.

                Rund um den Globus steigen derzeit die Zahlen in nie dagewesene Höhen. Können sich kleine Effekte an vielen Orten gleichzeitig zu einem großen Problem hochschaukeln?

                Je feingliedriger und länger die Lieferketten sind, desto eher intensivieren sich solche Probleme gegenseitig. Paradebeispiel: die Halbleiterindustrie. Oft sind für einen elektronischen Baustein Unternehmen aus vielen Volkswirtschaften involviert: USA, Festlandchina, aber auch Taiwan, Südkorea und so weiter. Sie sind auf bestimmte Aufgaben entlang der Lieferkette spezialisiert. Vom Anfang bis zum Ende des Wertschöpfungsprozesses kann ein Halbleiter mehr als 70 Mal Ländergrenzen überquert haben, bevor er zum Endkunden gelangt. Das ist wie bei einem Verkehrsstau. Je länger die Schlange, desto länger dauert es, bis sie sich auflöst.

                Verwunderlich ist doch, wie lange der Zustand schon andauert. Als 2020 die ersten Störungen aufgetreten sind, hieß es: Die dauern bis zum Sommer. Wo bleibt die flexible Anpassung an die neue Lage?

                Menschen und Unternehmen sind grundsätzlich gedanklich flexibel, aber die Produktionsstätten und Infrastrukturen sind es nicht. Die stehen zumindest für eine lange Weile fest. Die Produktionsketten lassen sich nicht kurzfristig umbauen. Die Mobilität der Menschen ist auch während der Pandemie viel eingeschränkter. Wieder ein Beispiel aus Xi’an: Samsung und Micron betreiben dort Halbleiterwerke. Die Unternehmen haben zwar versucht, die Nachfrage ihrer Kunden weiterhin durch die Produktvorräte und durch die Neuorganisation der Produktangebote in ihren globalen Herstellungsnetzwerken mit etwaiger Verspätung zu bedienen. Wenn sich der Lockdown-Zustand aber in die Länge zieht, dann leeren sich die Lager – und es treten erst recht Engpässe auf. Auch die Kapazität von Ausweichfabriken ist begrenzt.

                Heißt das, die Zeit spielt gegen uns?

                Leider ja. Zumal auch die Logistikkapazitäten knapp sind. Es kann nur eine begrenzte Zahl von Schiffen fahren. Die Anzahl der verfügbaren Container ist auch beschränkt. Als alles gut lief, fielen solche Probleme nicht auf. Sobald es Probleme in den Lieferketten gab, verstärkten sich diese Probleme gegenseitig. Es wird nun weiterhin die alten, aber zusätzlich auch neue Schwach- beziehungsweise Baustellen entlang der Lieferketten geben.

                Die Warenknappheit trägt zu den gegenwärtig steigenden Preisen bei. Auch die Energiepreisinflation soll mit Corona zusammenhängen. Wie kann das sein?

                Gerade in China hat zur Erreichung der Klimaziele parallel auch der Umbau der Energieversorgung begonnen. Weniger Kohlenutzung führt zu einer größeren Nachfrage nach Erdgas, das nun anderswo auf dem Weltmarkt fehlt.

                Können diese Störungen auch auf andere Warengruppen wie Lebensmittel übergreifen?

                Bisher ist vor allem die Autoindustrie betroffen, die auf verschiedene Elektronikprodukte, vor allem die Halbleiter, angewiesen ist. Es gibt aber keine Garantie, dass sich das nicht noch ausweitet. Da, wo Just-in-Time-Produktion praktiziert wird, haben wir die Engpässe einfach früher gesehen als in Branchen mit mehr Lagerhaltung oder mit kürzeren beziehungsweise diversifizierten Lieferketten. Die Verbreitung der Omikron-Variante könnte auch die Verfügbarkeit etwa von Konsumgütern, Lebensmitteln und Medikamenten beeinträchtigen. Einer Umfrage des Ifo-Instituts zufolge sorgen sich selbst deutsche Getränkehersteller um Engpässe.

                Wan-Hsin Liu forscht am Kiel Institute for the World Economy (IfW Kiel) zu den Themen Internationaler Handel, Innovation, Globalisierung und Lieferketten.

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                  Halbleiter-Mangel: Chinas Autoindustrie droht Stillstand

                  Wirtschaftlicher Katastrophenalarm auf der einen, euphorische Zukunftspläne auf der anderen Seite: Chinas massive Probleme mit der Halbleiter-Herstellung lassen sich nirgends so komprimiert beobachten wie in Shanghai. Hier produzieren Chinas größter Chiphersteller (Semiconductor Manufacturing International Corp./SMIC) und mit Tesla auch der größte Elektroautobauer der Welt. 

                  Seit dem Ausbruch der Coronakrise leidet die gesamte Wirtschaft an bröckelnden Lieferketten. Besonders schlimm ist es bei den Halbleitern. Elektronikkonzerne und Automobilproduzenten haben Schwierigkeiten, ausreichend Chips in passender Qualität zu bekommen. Volkswagen verzeichnete im Jahr 2021 einen Rückgang bei den ausgelieferten Fahrzeugen in China um 14 Prozent auf 3,3 Millionen Stück. Stephan Wöllenstein, China-CEO  bei Volkswagen, begründete diesen Einbruch mit fehlenden Chips.  

                  Im Bereich der Halbleiter hat sich ein perfekter Sturm gebildet. Um die Klimakatastrophe in den Griff zu bekommen und bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu werden, setzt die Regierung in Peking verstärkt auf Elektroautos. Diese aber brauchen in der Produktion wesentlich mehr Chips als klassische Verbrennerautos. Gleichzeitig tobt weiterhin der Handelskrieg mit den USA, und deshalb können Firmen aus der Volksrepublik keine modernen Chips aus den USA ordern. China kann aber bisher noch keine Chips in der Qualität der Marktführer aus Taiwan oder Amerika fertigen. Das Land hinkt beim Knowhow ein paar Jahre hinterher. 

                  China: Forschungsrückstand bei Halbleitern

                  Die Vorgabe der Kommunistischen Partei ist, dass China im Jahr 2024 für 17,4 Prozent der weltweiten Halbleiter-Produktion verantwortlich sein soll. Im Jahr 2020 waren es neun Prozent. Derzeit beherrscht Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) die weltweite Produktion von den kleinsten Chips. Deren Knoten sind nicht größer als fünf Nanometer. Diese feinsten Halbleiter stecken beispielsweise in modernen Mobiltelefonen. Chinesische Firmen beherrschen jedoch lediglich die Produktion von Chips, deren Knoten 14 Nanometer groß sind. Es ist ein Problem, das auch die Autoindustrie trifft. 

                  So erklärte eine Unternehmenssprecherin von Volkswagen gegenüber Table.Media: “Wir sind im ständigen Austausch mit Chip-Brokern zu allen kritischen Umfängen von Standardhalbleitern. Wo möglich, wird Brokerware nach Prüfung und Freigabe durch die technische Entwicklung und Qualitätssicherung  eingesetzt.” Das bedeutet, dass VW Chips verwenden muss, die ursprünglich gar nicht für diese Art des Einsatzes gedacht waren, die aber kompatibel sind. Das Problem in China sei: “Bei gewissen Bauteilen sind aufgrund der Spezifikation aber keine alternativen marktüblichen Prozessoren verfügbar.”  

                  Lediglich in der Massenproduktion konnte China große Fortschritte erzielen. 2021 konnten in China 359,4 Milliarden Halbleiter produziert werden. Das ist immerhin ein Zuwachs um 16,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

                  Doch die Qualität bleibt der Knackpunkt. Im Jahr 2022 könnten ein Fünftel der benötigten Chips in der Autoproduktion fehlen, rechnet der chinesische Pkw-Verband CPCA vor. Kleinere Hersteller könnten gezwungen sein, die Produktion ganz einzufrieren. Bereits 2021 seien eine Million Fahrzeuge weniger gebaut worden als ursprünglich geplant, gibt das Marktforschungsinstitut AutoForecast Solutions an – Elektroautos und Verbrenner zusammengenommen. Weltweit seien es elf Millionen gewesen. 

                  Shanghais Elektro-Boom droht jähes Ende

                  Die Metropole Shanghai befürchtet nun, zum Epizentrum der Krise zu werden. Dort boomt seit Jahren die Produktion von Elektroautos oder Plug-in Hybriden (NEVs) und von Halbleitern. 2021 wurden dort 550.000 Elektro-, Hybrid- und Wasserstoffautos gebaut – ein Zuwachs um 170 Prozent im Vergleich zu 2020. Stolze 43 Prozent aller Neuzulassungen in Shanghai waren NEVs. Kein Wunder: Den Bürgern geht es gut. Die Wirtschaft Shanghais wuchs 2021 um 8,1 Prozent, im Jahr 2022 sollen es immerhin noch 5,5 Prozent sein.  

                  Dafür zeigt sich die Stadt spendabel. Die Regierung veröffentlichte Mitte Januar 2021 einen Plan, der umfangreiche Subventionen für die Halbleiter-Industrie vorsieht. So übernimmt sie zukünftig 30 Prozent der Kosten für Materialien und Maschinen, die in der Halbleiterproduktion gebraucht würden. Auch Investitionen in entsprechende Software und Prüfverfahren werden mit der gleichen Quote unterstützt. Dabei gilt jeweils eine Höchstgrenze von umgerechnet 15 Millionen US-Dollar. 

                  Neue Beschäftigte, die in diesem Bereich arbeiten und dafür nach Shanghai ziehen, erhalten außerdem Wohngeld und bis zu 80.000 Dollar an Zuschüssen. Ziel ist es, die gesamte Wertschöpfungskette für Halbleiter im Großraum Shanghai zu konzentrieren. 

                  Kurzfristige Erfolge dürfte Shanghai bei aller Großzügigkeit damit kaum erzielen. SMIC hat längst neue Fabriken in Beijing und Guangzhou in Planung. Auch der technologische Rückstand lässt sich – bei aller Großzügigkeit – binnen weniger Monate nicht aufholen. Eric Han von der Unternehmensberatung Suolei in Shanghai fasst die Maßnahmen so zusammen: “Die Botschaft des Bürgermeisters ist, dass in den kommenden zwei, drei Jahren enorme Investitionen getätigt werden, um Halbleiter für Autos zu entwickeln und herzustellen.” Der Ausgang dieses Unterfangens ist offen.

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                    Benziner werden Teil der Öko-Anstrengungen

                    Alle Aufmerksamkeit gilt derzeit der Elektromobilität, aber auf absehbare Zeit werden Autos mit Ottomotor noch die Mehrheit der Neuwagen stellen. China setzt daher nun auch Anreize, in der Übergangsphase zumindest besonders spritsparende Kfz zu kaufen. Leichte, kleine und saubere Benziner erhalten eine “vernünftige” Förderung, wie die Nationale Wirtschaftskommission NDRC mitgeteilt hat. Die Priorität bleibt jedoch klar: E-Autos haben Vorrang und genießen demnach “tatkräftige” Absatzförderung. Dafür soll vor allem die Infrastruktur besser werden. Die Behörden wollen schnell mehr Ladepunkte und Batteriewechselstationen bauen lassen. fin

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                      Provinzen erwarten weniger Wachstum

                      Die meisten chinesischen Provinzen erwarten 2022 ein geringeres Wirtschaftswachstum als im Vorjahr. Das berichtete am Dienstag die Wirtschaftszeitung Caixin. Demnach setzten Chinas entwickelte Regionen wie Peking, Shanghai, Guangdong oder Jiangsu ihr Wachstumsziel größtenteils auf 5 bis 5,5 Prozent an. Weniger entwickelte Provinzen prognostizierten ein Plus zwischen 6 und 7 Prozent. Es ist zu erwarten, dass die Corona-Pandemie und die Rohstoffengpässe auch in diesem Jahr die Wirtschaft im ganzen Land belasten. Nur Gansu im Nordwesten erwartet mehr Wachstum als 2021; die Innere Mongolei eine gleichbleibende Wachstumsrate. Die südliche Inselprovinz Hainan hat sich mit 9 Prozent das höchste Ziel gesetzt, gefolgt von Tibet mit 8 Prozent.

                      Die Wachstumsziele der Provinzen werden jedes Jahr im Vorfeld des Nationalen Volkskongresses veröffentlicht. Während des NVK-Plenums im März gibt der Ministerpräsident das ungefähre Wachstumsziel für ganz China bekannt, das sich aus diesen Prognosen zumindest teilweise speist. 2021 legte Chinas Bruttoinlandsprodukt um 8,1 Prozent zu. Als einzige der 31 Provinzen, autonomen Regionen und regierungsunmittelbaren Städte legte Tianjin laut Caixin keine Prognose vor. Die Hafenstadt kämpft derzeit gegen einen lokalen Ausbruch der Omikron-Variante. ck

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                        Infrastruktur als Wachstumsmotor

                        China will in den nächsten Jahren zehntausende Kilometer an neuen Autobahnen und Hochgeschwindigkeits-Strecken für Züge bauen. Das geht aus dem jüngst veröffentlichten 14. Fünfjahresplan für die Entwicklung eines modernen Verkehrssystems hervor, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtet. Bis 2025 soll das Hochgeschwindigkeitsnetz für Züge um 12.000 auf dann 50.000 Kilometer ausgebaut werden. Im gleichen Zeitraum sollen fast 30.000 Kilometer neue Autobahnen (derzeit 161.000 Kilometer) und 3.400 Kilometer städtischer U-Bahnen gebaut werden (derzeit 6.600 Kilometer).

                        Der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes übersteigt die addierte Netzgröße in Spanien, Japan, Frankreich, Deutschland und Finnland, wie die South China Morning Post berichtet. Während die Pläne beeindruckend klingen, könnten sie auch die Ineffizienz steigern. In der Volksrepublik wird der Großteil der Strecken aufgrund eines zu geringen Passagieraufkommens nicht kostendeckend betrieben. Experten sind sich zudem einig, dass China erneut auf teure Infrastrukturprojekte setzt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. nib

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                          Standpunkt

                          Wer gewinnt den Handelskrieg?

                          von Pinelopi Koujianou Goldberg
                          Pinelopi Koujianou Goldberg, Herausgeberin des American Economic Review, Professorin für Wirtschaftswissenschaft an der Yale Universität

                          Der Handelskrieg zwischen den USA und China begann 2018 und ist offiziell nie beendet worden. Welche Seite ist der “Gewinner”? Jüngste Untersuchungen liefern eine eindeutige Antwort: keine von beiden. Die US-Zölle auf chinesische Waren führten in den USA zu höheren Einfuhrpreisen in den betroffenen Produktkategorien. Chinas Vergeltungszölle auf US-Waren schadeten letztendlich den chinesischen Importeuren. Der bilaterale Handel zwischen den beiden Ländern ist eingebrochen. Und da die USA und China die beiden größten Volkswirtschaften der Welt sind, betrachten viele diese Entwicklung als Vorbote eines Endes der Globalisierung.

                          In der Debatte um eine “Deglobalisierung” werden jedoch die vielen “unbeteiligten” Länder außer Acht gelassen, die nicht unmittelbar ins Visier der USA oder Chinas geraten sind. In einer neuen Studie, die die Auswirkungen des Handelskriegs auf diese Länder untersucht, kommen meine Mitautoren und ich zu einem unerwarteten Ergebnis: Viele, aber nicht alle dieser unbeteiligten Länder, haben in Form von höheren Exporten von diesem Handelskrieg profitiert.

                          Man würde natürlich erwarten, dass Ausfuhren aus Drittländern (Mexiko, Vietnam, Malaysia usw.) an die Stelle der chinesischen Exporte in die USA treten. Überraschend ist jedoch, dass diese Länder ihre Ausfuhren nicht nur in die USA, sondern auch in den Rest der Welt gesteigert haben. Tatsächlich scheint der Welthandel mit den vom Handelskrieg betroffenen Produkten im Vergleich zum Welthandel mit den nicht von den Zöllen betroffenen Produkten um drei Prozent zugenommen zu haben. Das bedeutet, dass der Handelskrieg nicht nur zu einer Umverteilung der Exporte von Drittländern in die USA (oder nach China) geführt hat, sondern auch zu einem Nettozuwachs des Handels.

                          Da Handelskriege im Allgemeinen nicht mit einem solchen Ergebnis in Verbindung gebracht werden, stellt sich die Frage, woran es liegt. Eine mögliche Erklärung ist, dass einige unbeteiligte Länder den Handelskrieg als Gelegenheit betrachteten, ihre Präsenz auf den Weltmärkten auszubauen. Indem sie in zusätzliche Handelskapazitäten investierten oder vorhandene ungenutzte Kapazitäten mobilisierten, konnten sie ihre Exporte steigern – ohne ihre Preise zu erhöhen.

                          Eine andere Erklärung ist, dass die Produktionsstückkosten der unbeteiligten Länder sanken, als diese begannen, mehr in die USA oder nach China zu exportieren, weil sie aufgrund von Größenvorteilen mehr zu niedrigeren Preisen anbieten konnten. Übereinstimmend mit diesen Erklärungen wird in unserer Studie festgestellt, dass die Länder mit den größten Zuwächsen bei den weltweiten Exporten diejenigen sind, in denen die Exportpreise sinken.

                          Obwohl der Handelskrieg unterm Strich eine Zunahme des Handels zur Folge hatte, gab es enorme Unterschiede zwischen den Ländern. Einige Länder steigerten ihre Exporte erheblich, andere steigerten ihre Exporte in die USA auf Kosten ihrer Exporte in andere Länder (sie schichteten den Handel um). Und einige Länder verzeichneten schlicht und einfach Exportverluste, indem sie weniger in die USA und in den Rest der Welt verkauften. Wie erklären sich diese Unterschiede, und was hätten Länder tun können, um größere Gewinne aus dem Handelskrieg zu erzielen?

                          Auch hier sind die Antworten etwas überraschend. Man hätte vermuten können, dass der wichtigste Faktor, der die unterschiedlichen Erfahrungen der Länder erklärt, die Spezialisierungsmuster aus der Zeit vor dem Handelskrieg sind. So hatten etwa Länder wie Malaysia und Vietnam das Glück, eine stark betroffene Produktkategorie wie Maschinen herzustellen. Die Spezialisierungsmuster scheinen jedoch kaum eine Rolle gespielt zu haben, wenn man die großen Exportgewinner des Handelskriegs betrachtet: Südafrika, die Türkei, Ägypten, Rumänien, Mexiko, Singapur, die Niederlande, Belgien, Ungarn, Polen, die Slowakei und die Tschechische Republik.

                          Kleinere, offene Länder profitieren vom Handelskrieg der Großen

                          Ausschlaggebend waren stattdessen zwei wichtige Ländermerkmale: die Beteiligung an “tiefgehenden” Handelsabkommen (definiert als Regelungen, die nicht nur Zölle, sondern auch andere Maßnahmen zum Schutz nichttarifärer Bereiche hinter der Grenze umfassen) und akkumulierte ausländische Direktinvestitionen. Am meisten profitierten die Länder, die bereits einen hohen Grad an internationaler Handelsintegration aufwiesen. Handelsabkommen verringern in der Regel die Fixkosten für die Expansion auf ausländischen Märkten, und die bestehenden Vereinbarungen haben möglicherweise die durch den Handelskrieg entstandene Unsicherheit teilweise ausgeglichen. Ebenso sind höhere ausländische Direktinvestitionen ein zuverlässiger Indikator für eine stärkere soziale, politische und wirtschaftliche Bindung an ausländische Märkte.

                          Auch die Auswirkungen auf die Lieferketten könnten eine wichtige Rolle gespielt haben. In einem vorausschauenden Policy Brief, das auf privaten Gesprächen mit Führungskräften großer multinationaler Unternehmen beruhte, sagten Analysten des Peterson Institute for International Economics 2016 voraus, dass US-Zölle “eine Kette von Produktionsverlagerungen in Gang setzen” würden.

                          Beschließt ein Unternehmen, die Produktion eines von chinesischen Zöllen betroffenen Produkts in ein Drittland zu verlagern, erfordert dies eine Umstrukturierung anderer Aktivitäten in diesem Drittland, was wiederum mehrere andere Länder betrifft. Das genaue Muster dieser Reaktionen wäre angesichts der Komplexität moderner Lieferketten schwer vorherzusagen gewesen. Aber der Grad der internationalen Verflechtung eines Landes scheint ein entscheidender Faktor für die Verlagerungsentscheidungen eines Unternehmens gewesen zu sein.

                          Um auf unsere ursprüngliche Frage zurückzukommen: Der große Gewinner des Handelskriegs scheinen “unbeteiligte” Länder mit engen internationalen Beziehungen zu sein. Aus Sicht der USA hat der Handelskrieg zumindest kurz- bis mittelfristig nicht zu der angekündigten Produktionsrückverlagerung von Wirtschaftstätigkeiten aus dem Ausland geführt. Stattdessen wurden chinesische Einfuhren in die USA einfach durch Importe aus anderen Ländern ersetzt.

                          Aus der Sicht “unbeteiligter” Länder hat der Handelskrieg ironischerweise gezeigt, wie wichtig die Handelsverflechtung ist – insbesondere tiefgehende Handelsabkommen und ausländische Direktinvestitionen. Glücklicherweise bedeutet der amerikanisch-chinesische Handelskrieg nicht das Ende der Globalisierung. Er könnte vielmehr der Auftakt für ein neues Welthandelssystem sein, in dessen Zentrum nicht mehr die USA oder China stehen.

                          Pinelopi Koujianou Goldberg, ehemalige Chefökonomin der Weltbank-Gruppe und Herausgeberin des American Economic Review, ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale. Übersetzung: Sandra Pontow.

                          Copyright: Project Syndicate, 2022.
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