Table.Briefing: China

China: Produktion plus 7 Prozent + Faule Kredite + Atompläne + Investitionsabkommen

  • Staatsbetriebe in Nöten
  • Atomkraft: Peking will unabhängig werden
  • China in der “mittleren Einkommensfalle”
  • Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft
  • RCEP: Zwischen Konflikt und Partnerschaft
  • Joschka Fischers Sicht auf China 2020
  • Im Portrait: Qu Dongyu
Liebe Leserin, lieber Leser,

欢迎 am China.Table. Huānyíng zur ersten Vorab-Ausgabe des neuen Professional Briefing. Wir heißen Sie herzlich willkommen am China.Table, wenn Sie sich verlässlich, umfassend und aktuell über China informieren wollen.

Ab nächstem Jahr möchten wir Sie jeden Morgen mit Nachrichten, Analysen und Hintergründen aus Peking, Berlin und Brüssel versorgen. Wir starten mit einem achtköpfigen Team, wohl der größten unabhängigen China-Redaktion in deutscher Sprache. Weit über hundert Jahre China- und Medienerfahrung sind in die Entwicklung des China.Table eingeflossen – Und doch sind wir uns darüber im Klaren: Das wird nicht reichen, um dieses große Land in Gänze zu erfassen, von Technologie bis Menschenrechte.

Bitte verstehen Sie unseren Titel China.Table deswegen als Einladung, Platz zu nehmen und Ihre Sicht zu teilen. Wir wollen mit Ihnen ins Gespräch kommen über Wirtschaft, Wissenschaft, Staat und Gesellschaft.

Wenn Ihnen der erste China.Table gefällt – sagen Sie es bitte weiter. Was wir besser machen können, sagen Sie bitte uns: china@table.media

Ein herzliches Huānyíng,

Ihre
Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Presseschau

Bahrain approves Sinopharm’s COVID-19 vaccine for use CHINA DAILY
China’s Combative Nationalists See a World Turning Their Way THE NEW YORK TIMES
Jurist Harro von Senger spricht über das Rechtswesen in China NZZ
Autobauern in China gehen die Chips aus – auch deutsche Hersteller sind betroffen HANDELSBLATT
China warns of interference over Bloomberg journalist arrest BBC
Global investors place Rmb1tn bet on China breakthrough FT
The U.S.-China Tech War Won’t End Under Biden THE WALL STREET JOURNAL
China’s antitrust regulator fines affiliates of Alibaba, Tencent and SF Holding for ‘monopolistic behaviour’ SOUTH CHINA MORNING POST
Wuhan: Ein Jahr nach dem Corona-Ausbruch DW
China’s Sinopharm vaccine: how effective is it and where will it be rolled out? THE GUARDIAN
Xi calls for closer BRI cooperation with Somalia XINHUA
Und immer wachen die Ahnen – die chinesische Familie hat den revolutionären Wandel der Zeiten einigermassen unbeschadet überstanden NZZ
China to prosecute rating agency manager over ‘massive’ bribes FT
China formalises cut to Australian coal imports, state media reports THE GUARDIAN

Analyse

Staatsbetriebe: Faule Kredite

Offensichtlich wurde das Problem, als die Yongcheng Coal & Electricity Holding Group, ein der Provinzregierung von Henan unterstellter Minenbetreiber, Anfang November mit der Zahlung eines Kredites in Höhe von über 120 Millionen Euro in Verzug geriet. Ein Unternehmen wohlgemerkt, das von chinesischen Ratingagenturen mit einem Top-Rating von AAA bedacht worden war. Letzteres ist das viel größere Problem als die Kreditsumme selbst: Das Frühwarnsystem der chinesischen Ratingagenturen funktioniert nicht. Und das ist riskant. Die Muttergesellschaft von Yongcheng Coal, Henan Energy and Chemical Industry, ist immerhin eines der größten staatlichen Unternehmen der Provinz.

Die chinesische Regierung bekommt das Thema Rating einfach nicht in den Griff.  Schon 2018 musste Dadong, die 2008 gegründete Rating Agentur, wegen Korruption ihre Arbeit vorübergehend einstellen und wurde saniert. Nun zeigt sich, das hat nicht gereicht hat: Mehr als 90 Prozent der Firmen mit faulen Krediten hatten zum Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit ein Rating von zumindest ‘A’.

Staatliche Unterstützung machten diese lange immun gegen Kreditausfälle, verteidigen sich die Agenturen. Auch die staatlichen Banken hätten Staatsunternehmen wegen der vermeintlichen Garantien durch die Regierung bevorzugt.

“Eiserne Reisschüssel” wird nicht gefüllt

Immer wieder hat die Regierung angekündigt, dass sie die “eiserne Reisschüssel” der chinesischen Staatsunternehmen nicht mehr selbstverständlich füllen will. In kleinen – für viele zu kleinen – Schritten, macht sie ernst. Die jüngste Krise zeigt das deutlich, denn es wäre ein leichtes gewesen, die Angelegenheit hinter den Kulissen zu regeln und Geld in die Firmen nachzuschießen.

Wieder einmal lässt Peking betroffene Unternehmen gegen die Wand fahren und nimmt damit einen neuen Anlauf, um das Schuldenproblem der Staatsunternehmen in den Griff zu bekommen. Vergangenen Freitag ließ Finanzminister Liu Kun auf der Website seines Ministeriums einen Aufsatz verbreiten, in dem es heißt, die Regierung werde Mechanismen etablieren, die verhindern sollen, dass die Lokalregierungen versteckte Schulden aufhäufen. Zuletzt hatte Premierminister Li Keqiang Anfang diesen Jahres in dieser Hinsicht Druck gemacht und die überschuldeten Staatsbetriebe aufgefordert, ihre Schulden bis Ende des Jahres zurückzuzahlen. Dann jedoch kam Corona dazwischen. 

Interessant dabei ist auch der Zeitpunkt so kurz nach dem Höhepunkt der Coronavirus-Krise: Das deutet daraufhin, dass Peking seinem Finanzsystem die Belastungen der Schulden zutraut. Und das, obwohl Yongcheng längst nicht der einzige Sanierungsfall ist. Besonders spektakulär ist Huachen Automotive, der Hauptaktionär der Brilliance Auto Group Holdings Co., dem Joint Venture Partner von BMW. Die Huachen Automotive Group Holdings ist im Insolvenzverfahren, mit der Umstrukturierung wurde begonnen.

Auch ein BMW-Partner betroffen

Huachen Automotive gehört der Provinz Liaoning und besitzt 30 Prozent an Brilliance Automotive. Für BMW und das Joint Venture ist das freilich kein Problem. Die deutsch-chinesischen Autobauer verdienen gemeinsam so viel Geld, dass es beinahe egal ist, wie es der Muttergesellschaft geht. Für BMW war Geldmangel sogar schon einmal ein Vorteil. Weil die Holding Geld brauchte, war es für die Münchner leichter, 2019 den Anteil am Joint Venture von 50 auf 70 Prozent zu erhöhen.

Klassische Ausfall-Kandidaten sind eher Unternehmen wie Jizhong Energy, der größte Kohleproduzent der Provinz Hebei. Im vergangenen Jahr verzeichnete der Staatskonzern im achten Jahr in Folge Verluste. Jizhongs Gesamtverschuldung stieg zwischen 2012 und 2019 um 102 Prozent auf 165,7 Milliarden Yuan, rund 21 Milliarden Euro. Das Unternehmen muss bis Ende 2021 über 31 Milliarden Yuan, also knapp vier Milliarden Euro, an Bonds zurückzahlen. Ebenfalls überschuldet sind die staatlichen Unternehmen Pingdingshan Tianan Coal Mining Co., Tianjin TEDA Investment Holding Co. und Yunnan Health & Culture Tourism Holding Group. Besonders peinlich ist die Zahlungsunfähigkeit der Tsinghua Unigroup Co. Sie ist nicht nur mit der staatlichen Pekinger Tsinghua Universität verbunden, dem Havard Chinas, sondern auch ein Unternehmen aus einer Branche, die eigentlich prosperieren sollte: Die Unigroup stellt Microchips her.

Trotz all dieser Fälle ist das chinesische Finanzsystem weit davon entfernt marode zu sein. China hat keine Auslandschulden und verkauft seit Jahren mehr ins Ausland als es dort einkauft. Dieser Handelsbilanzüberschuss hat dafür gesorgt, dass China über ein stattliches Sparbuch verfügt:  Über 3100 Milliarden US-Dollar Devisenreserven hat China international angelegt. Die Schulden Chinas zusammen belaufen sich hingegen “nur” auf rund 4000 Milliarden Dollar. Nach offiziellen Angaben sind nur rund 600 Milliarden davon faul. Wie auch immer:  Wenn es Chinas Finanzsystem sehr schlecht ginge, würden die Reserven dramatisch schrumpfen.

Deshalb ist auch nicht klar, wie groß die Zahl der Unternehmen ist, denen im kommenden Jahr die “eiserne Reisschüssel” entzogen wird. Die Regierung kann es sich leisten, streng oder weniger streng zu sein.

Derzeit geht sie vor allem der Frage nach, ob einige der Unternehmen absichtlich in Verzug geraten sind, um ihre Schulden nicht mehr bezahlen zu müssen und auf Staatshilfe hofften und/oder ob sie vorher noch Vermögenswerte aus dem Unternehmen herausgenommen haben.

Unmittelbar vor dem Zahlungsausfall hatte Yongcheng offenbar Aktien der in Hongkong notierten Zhongyuan Bank Co. Ltd. – ein liquider und qualitativ hochwertiger Vermögenswert – an zwei andere staatliche Unternehmen in Henan übertragen. Yongcheng soll auch seine eigenen Anleihen gekauft haben, um die Attraktivität seiner Papiere zu steigern.

Vizepremier Liu He, der auch Chinas oberster Finanzaufseher ist, warnt nun, dass Peking bei Finanzgeschäften gegenüber Schuldenflucht, irreführenden Angaben, “böswilliger Übertragung von Vermögenswerten und Veruntreuung von Geldern” eine noch härtere Politik verfolgen werde. Das ist ziemlich deutlich.

Chinas Marktregulierungsbehörde, die National Association of Financial Market Institutional Investors (NAFMII), gab kürzlich bekannt, dass sie ihre Ermittlungen im Feld der Anleiheverkäufe verstärken werde. Anleiheemittenten und ihre Aktionäre, Finanzinstitute, Intermediäre und andere Marktbeteiligte müssten sich strikt an Gesetze und Vorschriften halten. Und: Die Warnsysteme für “systemische Risiken” müssten ausgeweitet werden. So haben Mitarbeiter von Yongcheng Coal darüber geklagt, dass sie seit Monaten nicht mehr bezahlt worden seien. Aber viele Investoren und die Ratingagenturen haben die Warnzeichen wohl ignoriert, weil sie glaubten, dass die Muttergesellschaft als einer der größten Energiekonzerne der Provinz Henan über ausreichend Geld verfügt oder es beschaffen könnte.  

Der Ausschuss für Finanzstabilität und Entwicklung unter dem Vorsitz von Vizepremier Liu He will die lokalen Regierungen und Aufsichtsbehörden nunmehr stärker in die Pflicht nehmen, um “ein gutes lokales Finanzökosystem und Kreditumfeld aufzubauen”. Bis es gelingt, wird das Jahre dauern.

  • Autoindustrie
  • Finanzen
  • Kredite
  • Liu He

Termine

Dec. 15, 2020; 9-10 a.m. (EST)
Panel USHCA New Reality of doing businesses in China INFO

Dec. 12, 2020; 5 p.m. (GMT)
Seminar SOAS London The Ming-Qing transition in Chinese History as a philosophical problem INFO

Dec. 17, 2020; 9-10:30 a.m. (EST)
Vortrag USHCA Yunnan a case study in China’s rural transformation and sustainable development model INFO

Dec. 17, 2020; 5-6:15 p.m., San Francisco Time
Webcast, Asia Society China Now Music Festival INFO

China: Atomkraft, ja bitte

Hualong One HPR-1000, ein Druckwasserreaktor mit 1150 Megawatt Leistung.
Seit dem 26. November in der Provinz Fujian am Netz: Hualong One HPR-1000, ein Druckwasserreaktor mit 1150 Megawatt Leistung.

Es war ein Meilenstein – auch wenn die Welt davon nur das Bild eines beigefarbenen Kontrollraums zu sehen bekam: Ende November ging im Atomkraftwerk Fuqing am ostchinesischen Meer der erste moderne chinesische Atomreaktor ans Netz. Hualong One HPR-1000 heißt der Druckwasserreaktor mit 1150 Megawatt (MW) Leistung. China habe das “Monopol ausländischer Nukleartechnologie gebrochen”, frohlockte der Staatskonzern China National Nuclear Corp (CNNC), der das Atomkraftwerk betreibt.

Nur zwei Wochen zuvor war der Hualong One von der Organisation European Utility Requirements (EUR) nach Prüfung vieler Kriterien wie Sicherheit, Layout und Systemtechnologie für Einsätze in Europa zertifiziert worden. China ist damit auf dem Atomstrom-Weltmarkt angekommen – und ist entschlossen, sich dort dauerhaft zu etablieren.

Die Atomkraft ist als strategischer Sektor fest in Staatshand. CNNC ist einer von drei staatlichen Atomriesen, neben China General Nuclear Power (CGN) und der State Power Investment Corporation. Als emissionsfreie Energieform spielt die Kernenergie bei der geplanten Energiewende eine weit größere Rolle als in vielen westlichen Ländern. Bis 2060 will China klimaneutral werden, so hat es Präsident Xi Jinping kürzlich angekündigt. Dazu braucht das Land nach eigenem Bekunden viel mehr Energie aus der Kernspaltung – und möglicherweise auch aus der Kernfusion.

Wenige Tage nach dem Hualong One startete in Chengdu ein neuer experimenteller Kernfusionsreaktor namens HL-2M Tokamak, der mithilfe eines starken Magnetfelds heißes Plasma verschmelzt und damit eine Temperatur von bis zu 150 Millionen Grad Celsius erreichen kann. Der in China “künstliche Sonne” genannte Reaktor ist Teil eines internationalen Megaprojekts, das gerade in Frankreich den International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) für Kernfusionstests errichtet. Mitglieder des Projekts sind neben China die EU, die USA, Indien, Japan, Russland und Südkorea. Die “künstliche Sonne” werde eine “wichtige Säule” für ITER sein, betonte Yang Qingwei, Chefingenieur des Kernfusionsinstituts der CNNC.

Mehr Atomkraft für die Energiewende

China muss nach Erkenntnis des staatsnahen Nationalen Energieforschungsinstituts die Atomstromkapazitäten bis 2050 auf 554 Gigawatt (GW) ausbauen, wenn das Land zum Erreichen des Pariser Klimaziels von höchstens 1,5 Grad Erderwärmung beitragen wolle. Das entspreche einem Kapazitätsanteil von dann 28 Prozent. Was für eine gewaltige Steigerung das bedeuten würde, zeigen Zahlen der Gegenwart: Laut World Nuclear Association standen Ende 2019 schon 49 Atomreaktoren in Chinas 10 Atomkraftwerken – mit einer Gesamtkapazität von 47,5 GW. Atomstrom trug nur rund fünf Prozent zur Stromerzeugung bei, Kohle dagegen 69 Prozent. Immerhin lag die Steigerungsrate bei 18 Prozent. Das britische Datenunternehmen GlobalData erwartet daher, dass China bei der Erzeugung von Atomstrom 2022 Frankreich und 2026 die USA überholt. Dann würde es an der Spitze stehen.

Die Katastrophe von Fukushima im März 2011 hatte Chinas Nuklearsektor hart getroffen. Die Regierung ordnete strikte Sicherheitsprüfungen an und legte sämtliche Projekte auf Eis. Ob damals intern Atomkraft grundsätzlich infrage gestellt wurde, drang nicht nach außen. Aber erst 2019 genehmigte China wieder neue Reaktoren – und zwar allesamt vom Typ Hualong One. Denn in der Zwischenzeit hatte China die Entwicklung trotz der Baustopps vorangetrieben. Weltweit wurden in jener Zeit Reaktoren der so genannten Dritten Generation entwickelt. Diese sollten auf der Technik der Vorgänger aufbauen und dabei deutlich sicherer werden. Auch China wollte einen eigenen Reaktor dieser neuen Generation. Bis dahin hatte das Land stark auf Technologie aus Russland, Frankreich oder Kanada gesetzt. CGN und CNNC entwickelten damals separat eigene Reaktoren: CGN auf Basis der Technologie des European Pressurized Reactor (EPR) des französischen Unternehmens Areva, CNNC mit der Technologie des US-Konzerns Westinghouse.

Das war Peking offenbar zu kleinteilig. “2012 wiesen die Planer CGN und CNNC an, ihre Reaktorprogramme zu rationalisieren”, erinnert sich Narumi Shibata von der Denkfabrik Asia Pacific Initiative in Tokio. Die Firmen integrierten ihre Designs, so Shibata – und es entstand der Hualong One.

Hualong One: Weg in die chinesische Autonomie

Mit diesem Reaktor wird China nun nicht nur global wettbewerbsfähig, sondern auch unabhängiger für die eigene Kernenergie. “Die Idee ist, dass Hualong One nicht nur bei Design und geistigem Eigentum chinesisch ist, sondern auch bei Ausrüstung und der gesamten Lieferkette”, sagte François Morin, China-Direktor der World Nuclear Association in Peking. Der Anteil ausländischer Komponenten des Hualong One liege bei maximal 15 Prozent – etwa für Pumpen, Ventile oder digitale Ausrüstung. “Es gibt noch Möglichkeiten für europäische und amerikanische Zulieferer, doch das Fenster wird immer kleiner.” Somit könnte der Vorstoß des Hualong One auf den Weltmarkt negative Folgen für internationale Komponentenhersteller haben. Ein Hualong One in Pakistan ist bereits im Bau, weitere sollen unter anderem in Großbritannien, Argentinien oder im Iran entstehen.

Der Widerstand gegen die Atomkraftpolitik ist übrigens gering; eine landesweite Protestbewegung hätte ohnehin keine Chance. Doch einmal setzten sich Demonstranten tatsächlich durch. 2016 wurde der Bau eines Endlagers in der Küstenprovinz Jiangsu aufgrund von Protesten gestoppt. China sucht bis heute nach einer Alternative.

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Chinas “mittlere Einkommensfalle”

Die Botschaft verschickte Xi Jinping über die Staatsmedien, so wichtig war sie ihm: Nach sorgfältiger Berechnung der wirtschaftlichen Entwicklungsfähigkeiten und -bedingungen, verkündete der Staats- und Parteichef, sei es durchaus möglich, das Pro-Kopf-Einkommen der Chinesen und damit die Wirtschaftsleistung des Landes bis 2035 zu verdoppeln. Das Zentralkomitee der KP werde die Erfahrungen beim Aufbau einer “Gesellschaft mit moderatem Wohlstand” 小康社会(xiaokang shehui) zur Mitte des kommenden Jahres bewerten, “und dann bekannt geben, dass wir das Ziel erreicht haben”, so Xi.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung von Xis Prognose war bewusst gewählt. Im Oktober beriet die Parteiführung über ihre Ziele für die kommenden fünf Jahre, die auch ein wichtiger Meilenstein zur Erreichung des großen Versprechens an die chinesische Bevölkerung sind, eben jene “Gesellschaft mit moderatem Wohlstand” zu errichten. Was sie beschloss, die “Vorschläge der Parteiführung zur Formulierung des 14. Fünfjahresplans (2021-25) für die nationale wirtschaftliche und soziale Entwicklung und die langfristigen Ziele bis zum Jahr 2035”, will der Parteitag der KP Chinas im nächsten Frühjahr verabschieden.

Armutsbekämpfung seit Deng

Die Zuversicht Xis hinsichtlich des Wohlstandsgewinns der Chinesen begründet sich im bisher Erreichten. Und seine Ankündigung Mitte 2021 Bilanz zu ziehen, kommt zu einem symbolisch wichtigen Datum: 2021 wird das 100-jährige Jubiläum der Parteigründung gefeiert.

Unter dem so genannten xiaokang sehui, einer Gesellschaft mit “moderatem Wohlstand” könnte man nach westlichem Verständnis in Anlehnung an das konfuzianische Verständnis von xiaokang vielleicht eine Gesellschaft verstehen, in der alle nach Wohlstand durch Arbeit streben, dabei schon weit gekommen sind, aber den Himmel noch nicht erreicht haben. Deng Xiaoping nutzte den Begriff xiaokang schon 1979, während er wirtschaftliche Reformen vorantrieb und setzte sich und den Chinesen für damalige Verhältnisse hohe Ziele: Das BIP sollte sich bis 2000 vervierfachen, auch für das Pro-Kopf-Einkommen wurde dies als Ziel proklamiert.

Er sollte mehr als recht behalten, denn Chinas BIP vervierfachte sich schon 1995 und zwei Jahre später stieg auch dass BIP pro Person im Vergleich zu 1980 um das Vierfache an.

2012 versprach die chinesische Führung ihren Bürgern schließlich, bis zum Ende des Jahrzehnts werde die absolute Armut im Land “bewältigt” sein und alle würden in einer “Gesellschaft mit moderatem Wohlstand” leben. Ein größeres Versprechen als dieses hätte die KP Chinas nicht machen können.

Auch wenn die absolute Armut in den Städten Chinas nicht mehr zu sehen ist, da selbst die Wanderarbeiter dort monatlich zwischen umgerechnet 500 und 1500 Euro verdienen, ist die relative Armut vor allem in den ländlichen Regionen und Kreisen im Landesinneren das eigentliche Problem. Doch hierüber spricht die Partei- und Staatsführung nicht allzu offen. Ende November verkündeten örtliche Regierungsbeamte aus der Provinz Guizhou, einer der ärmsten Regionen Chinas, dass das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der Einwohner in den letzten neun von Armut betroffenen Landkreisen der Region auf 11.487 Yuan (ca. 1447 Euro) gestiegen sei. Die Botschaft war klar: Wenn nun das Einkommen aller Einwohner über der von der Regierung festgelegten absoluten Armutsgrenze von 4000 Yuan (504 Euro) liegt, ist keine Region in China mehr als arm zu bezeichnen – zumindest nach offizieller Lesart.

Tatsächlich sprechen die Ergebnisse der Reformen seit Deng eine deutliche Sprache: Nach Berechnungen des Economist ist es den Chinesen gelungen, von 1980 bis 2018 die Zahl der Menschen, die unterhalb der geltenden (und in der Zwischenzeit weiter angehobenen) Armutsgrenze leben, von 775 Millionen auf 16,6 Millionen zu reduzieren. Vor allem natürlich durch das schnelle Wirtschaftswachstum, das in städtischen Gebieten Beschäftigungsmöglichkeiten für unzähligen Migranten vom Land geschaffen hat.

Auch wenn die Armutsbekämpfung Chinas international gelobt wird, beobachtet man im Land selbst sehr genau, wie ernst man die offiziellen Zahlen aus Peking nehmen darf. So warnte unlängst selbst das staatsnahe Wirtschaftsmagazin Caixin: “Das bedeutet nicht, dass die (bisher ärmsten) Landkreise nun armutsfrei sind. Die Politik misst vor allem die Erhöhung des Durchschnittseinkommens. Die so geglätteten Daten erfassen nicht die Umstände einzelner in Not lebender Familien.”

Umfrage: Chinesen sind zufrieden

Selbst die Coronavirus-Pandemie hat die Regierungsmaßnahmen zur Umsetzung der Armutsbekämpfung nicht lange ausgebremst. Zwar kam schon Ende vergangenen Jahres, bevor Covid-19 begann die Welt in Atem zu halten, in China Kritik daran auf, dass die chinesische Regierung aufgrund der schlechten Konjunktur die Ziele von xiaokang sehui nicht vollständig wird umsetzen können. Doch der Zuspruch der Bevölkerung zum Regierungshandeln ist nach wie vor groß: Im Sommer ergab eine Umfrage des Ash-Centers an der Harvard Universität, dass die Zufriedenheit der chinesischen Bürger mit ihrer Regierung gestiegen ist. Im Zeitraum der Studie zwischen 2003 und 2016 nahm sie von 86 Prozent auf 93 Prozent zu.

Doch damit ist “Xis Traum von China”, wie die Armutsbekämpfungspläne des obersten Kommunisten im Westen bezeichnet werden, noch keineswegs Realität. Denn nun taucht das nächste Problem auf, man könnte sagen: Das Wohlstandsproblem. Und zwar für die Bevölkerung in den Städten. Sie haben die Armut ihrer Vorfahren zwar hinter sich gelassen. Doch ihre alltäglichen Sorgen sind nicht minder groß: Wie sollen sie ihre und die Bildung ihrer Kinder bezahlen, erschwinglichen Wohnraum und Krankenversicherungen finden? Und die, die man zur aufsteigenden Mittelschicht zählt, man schätzt ihre Zahl auf rund 400 Millionen, formulieren nun auch Ansprüche, wie man sie im Westen kennt: Sauberes Klima, gesunde Umwelt sowie Lebensmittel- und Wassersicherheit.

Soziale Probleme in Städten

Die Weltbank bezeichnet die neueste Entwicklung bereits als “mittlere Einkommensfalle”. Knapp: Je öfter die Kommunistische Partei Chinas von den Erfolgen bei der Armutsbekämpfung berichtet, um die eigene Bevölkerung bei Laune zu halten, umso häufiger werden internationale Akteure auf den Plan gerufen: Die USA wollten schon im vergangenen Februar China nicht mehr als Entwicklungsland anerkennen, das im internationalen Vertragswerken Privilegien genießt. Ein Dilemma für Chinas Führung, das nun auch noch durch unangenehme Debatten innerhalb des Landes über die “soziale Lage” überlagert wird. Weil auch im Land selber die sich immer weiter öffnende soziale Schere ein Thema wird, mit dem sich Peking auseinandersetzen muss. Schließlich liegt das Einkommen einer durchschnittlichen Familie in Chinas Städten zwischen 20.000 Yuan (2500 Euro) und 40.000 Yuan (5000 Euro), während das Vermögen der 400 reichsten Chinesen in diesem Jahr um durchschnittlich 64 Prozent wuchs, wie die New Yorker China-Plattform SupChina dieser Tage vermeldete.

Absehbar also, dass sich Pekings KP-Führung früher oder später mit einer ganz neuen Qualität von xiaokang sehui, der “Gesellschaft mit moderatem Wohlstand”, auseinandersetzen muss, um sich das Wohlwollen ihrer Bevölkerung zu erhalten: Der Frage nämlich nach der Umverteilung des Wohlstands.

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EU-China-Abkommen ist noch möglich

Die Mahnung kurz vor Weihnachten kommt von einem Europäer, aber der Absender ist Peking, weshalb man sie durchaus auch als Botschaft verstehen kann. Denn Jörg Wuttke, EU-Handelskammerpräsident in China, hat ausgezeichnete Verbindungen zur chinesischen Regierung. Es liege sehr im Interesse Chinas, das Investitionsabkommen noch während der deutschen Ratspräsidentschaft voranzutreiben, sagt Wuttke dem China.Table. Besonders, weil auf der anderen Seite des Verhandlungstisches derzeit die deutsche Ratspräsidentschaft mit Angela Merkel an der Spitze das Heft in der Hand hat. Mit ihr habe Peking “ein sehr vertrauenswürdiges Gegenstück in Europa, die chinesische Seite weiß genau, wo sie steht und sie hat 15 Jahre Erfahrung in der Arbeit mit ihr”.

Als Deutschland am 1. Juli dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, waren die Erwartungen hoch – der Vorsitz der größten Volkswirtschaft der Europäischen Union im Gremium der Staats- und Regierungschefs wurde als “Make-or-break-Moment” für die Staatenorganisation gesehen. Weit oben auf der To-do-Liste der außenpolitischen Themen: China. Die “strategischen Beziehungen” zum Reich der Mitte. Sie waren Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zum Beginn der Ratspräsidentschaft im EU-Parlament auch einen eigenen Absatz wert.

Jetzt, wenige Tage vor dem Ende der Ratspräsidentschaft, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich der letzten der deutschen Bundeskanzlerin, laufen die Drähte zwischen Europa und Peking noch einmal heiß. Denn nichts Geringeres als das gemeinsame Investitionsschutzabkommen (CAI) liegt auf dem Tisch. Von diesem erhoffen sich europäische Unternehmer besseren Zugang zum chinesischen Markt und ein Level Playing Field. Außerdem soll es die 26 bestehenden bilateralen Investitionsabkommen von EU-Staaten und China ablösen.

Fortschritte in wichtigen Punkten

Wuttke, BASF-Chef in China, sieht in dem Investitionsabkommen mehr als nur eine wirtschaftliche Einigung: “Wenn sich in diesen Zeiten des Handels- und Technologiekrieges zwei massive Volkswirtschaften auf etwas mit messbaren Meilensteinen und Zeitplänen einigen können, würde dies eine wirklich starke Botschaft auf der ganzen Welt senden.”

Die Verhandlungen der vergangenen Woche lassen Hoffnung keimen, dass den Gesprächspartnern womöglich noch kurz vor Silvester der Durchbruch gelingen könnte. Die Gespräche seien intensiv gewesen, hieß es nach der Verhandlungsrunde in der EU-Kommission. Es seien Fortschritte in Bezug auf nachhaltige Entwicklung, Angebote des Marktzugangs und institutionelle Bestimmungen erzielt worden. Noch in dieser Woche will man wieder miteinander sprechen.

Das Bundeskanzleramt habe in der Sache “massiv auf das Gaspedal” getreten und fast um jeden Preis einen Abschluss bis zum Jahresende erreichen wollen, erinnert sich Reinhard Bütikofer (Die Grüne), Vorsitzender der China-Delegation des Europaparlaments an den Auftritt der Deutschen. Das habe sich seiner Beobachtung nach auf europäischer Bühne aber nicht wirklich durchsetzen können. “Die Position in Brüssel heißt nach wie vor Substanz über Geschwindigkeit. Wir müssen ein Ergebnis verhandeln, das es auch wert ist, zum Vertrag zu werden“, so Bütikofer.

Lange Zeit war die Zahl der Probleme, die noch auf dem Tisch lagen, erheblich. China sei hinter den von der EU erwarteten Zugeständnissen zurückgeblieben, sagt der Grünenpolitiker. Darunter etwa bei der Frage des freien Marktzugangs für europäische Firmen aus den Bereichen Telekommunikation, neue Mobilität, Gesundheitsindustrie und Biotechnologie. China habe sich zudem lange im sogenannten Nachhaltigkeitskapitel geweigert, entscheidende Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zu ratifizieren.  

Zieht man insgesamt Bilanz nach der deutschen Ratspräsidentschaft und ihrer China-Agenda, dann sieht das Ergebnis eher blass aus. Das lang geplante Gipfeltreffen im September entfiel – und die EU hadert weiterhin mit ihrem gemeinsamen Auftreten gegenüber Peking. Und Beobachtern in Brüssel fehlt ein noch strengerer Ton angesichts von Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen in China.

Bütikofer: Substanz vor Geschwindigkeit

“Wir sind viel weniger weit gekommen als ursprünglich angedacht und erhofft”, sagt etwa die stellvertretende Vorsitzende der China-Delegation des Europäischen Parlaments, Evelyne Gebhardt (SPD). Im Bereich der Menschenrechtsfragen bezüglich China seien keine großen Fortschritte gemacht worden. Sie hätte sich einen stärkeren Akzent der deutschen Ratspräsidentschaft auf diese Themen gewünscht, so Gebhardt. Ein Grund für das mäßige Vorankommen sei auch das ausgefallene Gipfeltreffen im September in Leipzig.

Zum ersten Mal hätten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten gemeinsam mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping an einem Tisch sitzen sollen und die Europäer mit einer Stimme sprechen können, so die Idee. In Peking sah man der Zusammenarbeit mit Berlin entgegen: Zwischen den beiden Seite gebe es ein “tiefes politisches Vertrauen”, schrieb die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua vor Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft. Staatspräsident Xi schätze die “objektive und rationale Haltung der Bundesregierung” in der Corona-Pandemie

Politische Durchbrüche wurden von dem Treffen vorab jedoch nicht erwartet. Für Peking stand vor allem die Stabilisierung der EU-Beziehungen im Mittelpunkt, die angesichts der Corona-Krise und den wirtschaftlichen Folgen, des Vorgehens der Polizei in Hongkong und der Forderung Washingtons nach einem einheitlichen Standpunkt gegen China nicht unter dem besten Stern standen. Ein Videotreffen im Juni war nach einem eher verhaltenen Austausch ohne gemeinsame Erklärung zu Ende gegangen. 

Dass persönliche Gespräche vor Ort mit einem Online-Gipfel nicht ersetzbar seien, sei eine Sache, so Gebhardt. Der langsame Fortschritt liege aber auch daran, wie sich China in letzter Zeit verhalte, so die SPD-Politikerin. Sie kritisiert das Informationsverhalten um den Ursprung des Coronavirus und dass es keine Bewegung bei Menschenrechtsfragen, wie etwa dem Thema der Uiguren im Nordwesten der Volksrepublik, gebe. “Auch da hätte ich mir mehr Druck gewünscht”, sagt die SPD-Politikerin. Auf die Situation der Uiguren angesprochen forderte zuletzt auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron in einem Interview eine starke gemeinsame Antwort der Europäer. 

EU einig bei Sanktionsmechanismus 

Hoffnung liegt in diesen Fragen nun auf dem neu beschlossenen EU-Sanktionsmechanismus, mit dem Menschenrechtsverletzungen schneller und stärker bekämpft und bestraft werden sollen. Die EU-Staaten hatten sich unter deutscher Federführung Anfang Dezember auf ein entsprechendes Instrument geeinigt. Wie effektiv dieses ist, werde sich dann in der Praxis zeigen, sagt David McAllister, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament. “In jedem Fall ist es positiv, dass sich der Rat endlich auf global geltende Sanktionsmechanismen bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen geeinigt hat.” Der deutschen Ratspräsidentschaft sei das ein wichtiges Anliegen gewesen, so McAllister. 

Die Reaktion der EU auf Chinas Vorgehen gegen Proteste, die sich gegen das Hongkonger Sicherheitsgesetz richteten, war Ende Juli noch als zu lasch kritisiert worden. Die EU-Staaten hatten Exporte, die zur Niederschlagung von Protesten oder zur Überwachung von Kommunikation genutzt werden können, weiter eingeschränkt. CDU-Politiker McAllister betont, die EU zeige eine deutliche Haltung gegenüber China. Die Volksrepublik sei zwar ein wichtiger globaler Partner. “Allerdings sind wir auch entschlossen, dem Einfluss Chinas dort entgegenzutreten, wo er Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gefährdet.”

Portugal setzt einen neuen Ton

Noch wenige Tage währt Merkels Präsidentschaft – ob das Investitionsschutzabkommen nun noch unterschrieben wird oder nicht. Am Neujahrstag 2021 wird Portugal den Staffelstab übernehmen. Die gemeinsame Geschichte Chinas und Portugals ist wegen der ehemaligen portugiesischen Kolonie Macau länger als die anderer EU-Staaten. Portugal ist außerdem einer der größten Pro-Kopf-Empfänger chinesischer Investitionen in Europa, vor allem im Energie-, Banken und Versicherungssektor. Chinas Botschafter in Portugal, Cai Run, bezifferte die chinesischen Investitionen Ende 2018 mit mehr als neun Milliarden Euro. Von den Portugiesen erwarten die Europaabgeordneten generell eine andere Tonart gegenüber China.

  • BASF
  • CAI
  • Cai Run
  • EU
  • Jörg Wuttke

RCEP: Partner im Konflikt

Die Messebesucher trauten Anfang November in Shanghai ihren Augen nicht. Auf der dritten internationalen Import Messe (CIIE), die von Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich eröffnet wurde, hat die Präsenz Australiens gegenüber 2019 um 20 Prozent zugenommen. Mehr als 180 australische Unternehmen haben ihre Produkte ausgestellt. So viele wie noch nie. Verträge und Vereinbarungen im Wert von 350 Millionen US-Dollar wurden dabei unterzeichnet. “Wir können mit China zusammenarbeiten”, erklärte der australische Finanzminister Josh Frydenberg dazu.

Nur zwei Wochen später sind Australier und Chinesen dabei, als das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), das größte Freihandelsabkommen der Welt, nach acht Jahren abgeschlossen wird. Und wiederum nur Tage später nimmt der stellvertretende Außen- und Handelsminister Christopher Langman auf Einladung der Chinesen an einer Konferenz Peking teil.

Gleichzeitig jedoch streiten sich China und Australien politisch erbittert. Einer der Höhepunkte:  Zhao Lijian, der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, postete auf Twitter ein offensichtlich bearbeitetes Bild eines australischen Soldaten aus dem Netz, der einem Kind ein Messer an den Hals hält. Dazu schrieb er: “Keine Angst, wir kommen, um euch Frieden zu bringen”. Hintergrund des Posts sind Vorwürfe über von Soldaten der australischen Armee begangene Kriegsverbrechen im Afghanistan-Einsatz. Angehörige einer Eliteeinheit sollen danach mindestens 39 afghanische Zivilisten getötet haben. Der australische Premier Scott Morrison verlangt von Peking eine Entschuldigung für den Tweet. 

Zuvor hatte Peking zahlreiche australische Waren mit Einfuhrrestriktionen belegt, darunter wichtige Exportgüter wie Wein, Holz oder Kohle. Australische Containerschiffe ankern nun vor der chinesischen Küste und dürfen ihre Waren nicht löschen. Peking erklärt zwar, dass es sich lediglich um Anti-Dumping-Maßnahmen handelt und nicht um einen politisch motivierten Warenboykott. Das bezweifeln aber die Australier.

Huawei war der erste Konfliktpunkt

Die Eiszeit begann 2018, als Australien als einer der ersten westlichen Staaten das chinesische Unternehmen Huawei vom Ausbau des 5G Netzes ausschloss. Und Canberra forderte später auch als kurz nach der amerikanischen Regierungen eine unabhängige Kommission zur Untersuchung des Coronavirus-Ursprungs in WuhanR

Wohl auch deshalb hat Australien noch keine Klage bei der Welthandelsorganisation WTO geführt, die in den vergangenen Jahren China immer wieder in die Schranken gewiesen hat – aber nicht nur China.  

Doch bedeutet der Streit zwischen China und Australien, dass RCEP vom ersten Tag an nicht rund läuft? Wahrscheinlich nicht. Denn solche Konflikte sind in der Region nicht neu. Einen heftigeren, wenn auch nicht so langen, Streit fochten 2017 China und Südkorea aus. Peking war verstimmt darüber, dass die Südkoreaner das US-Raketenabwehrsystem THAAD installierten, dessen Radar bis nach China reicht. Der Streit eskalierte und gipfelte unter anderem darin, dass Peking die China-Filialen der südkoreanische Kaufhauskette Lotte schließen ließ, Touristenreisen einstellte und südkoreanische Autos kaum noch verkauft werden konnten. Doch nach einer Weile gab Peking nach: Die installierten US-Anlagen sind geblieben. Südkorea musste nur vage die “Besorgnis Chinas” anerkennen und versprechen, “den Sicherheitsinteressen Chinas Rechnung zu tragen”. Heute sind Seoul und Peking engere Partner, denn je. Mit Vietnam und den Philippinen gab es ähnliche Phasen der Verstimmung.

RCEP-Sieger: Japan und Korea

Wer diese asiatischen Konflikte beobachtet, stellt schnell fest: Die Streitigkeiten münden früher oder später in pragmatischen Lösungen. Selbst in dem immer wieder aufflammende Dauerkonflikt der Chinesen mit den Indern gewinnt am Ende die Deeskalation.  

Das ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Gründe, warum die größte Freihandelszone der Welt überhaupt zustande gekommen ist, die in ihrer Vielfältigkeit, aber auch Widersprüchlichkeit, weltweit einmalig ist. Sie umfasst Länder mit sehr unterschiedlichen politischen Systemen wie Südkorea und Australien auf der einen Seite und Singapur, Vietnam und China auf der anderen. Sie vereint alte politische Rivalen wie China und Japan, bringt aber auch sehr arme und sehr reiche Länder mit unterschiedlichen Größen und religiösen Prägungen zusammen, von Buddhisten in China über Christen in den Philippinen bis zu Indonesien, dem größten muslimischen Staat der Welt. Entscheidend war dabei vor allem eines: Peking musste sicherstellen, dass China nicht zum einzigen Gewinner des Abkommens wird. Denn das war die größte Sorge der anderen Partnern. Vor allem deshalb haben die Verhandlungen über sieben Jahre gedauert. Inzwischen kommen die meisten westlichen Analysten zu dem Ergebnis, das vor allem Japan und Südkorea davon profitieren. Während RCEP für China insgesamt in zehn Jahren nur 0,5 Prozent mehr Wirtschaftswachstum bringt, sind es bei Japan dann schon signifikante 15 Prozent. Australien könnte auch zu den Gewinnern gehören. Dazu müsste der Streit mit den Chinesen aber enden, was gegenwärtig nicht abzusehen ist, aber wohl eher früher als später passieren wird. Denn die australischen Unternehmen suchen Chinas Märkte. Was man an der überraschend guten Beteiligung an der Shanghaier Importmesse sieht. Frank Sieren

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News

November-Produktion: Plus 7 Prozent

Die chinesische Wirtschaft setzt ihren Wachstumskurs offenbar unvermindert fort. Darauf deuten aktuelle Daten aus Industrie und Einzelhandel hin. Wie das Pekinger Statistikamt am Dienstag mitteilte, legte die Produktion in den Industriebetrieben im November im Vorjahresvergleich um sieben Prozent zu, womit das Tempo aus dem Oktober (6,9 Prozent) noch leicht übertroffen werden konnte. Einen erneuten Sprung machten auch die Einzelhandelsumsätze, die nach einem Plus von 4,3 Prozent im Oktober im November um fünf Prozent zulegten. Die Investitionen in Sachanlagen stiegen derweil im Zeitraum von Januar bis Ende November um 2,6 Prozent. Wie gravierend die Folgen eines knallharten Lockdown seien können, hatte Chinas Wirtschaft im Frühjahr zu spüren bekommen. Zum ersten Mal seit Beginn der offiziellen Aufzeichnungen im Jahr 1992 musste im ersten Quartal ein negatives Wachstum von 6,8 Prozent hingenommen werden. Von diesem Coronavirus-bedingten Tief hat sich die chinesische Wirtschaft aber seither erholt. Im dritten Quartal wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft im Vorjahresvergleich um 4,9 Prozent. Schon das reichte, um den vorangegangenen Einbruch im Frühjahr abzufangen.  Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass die chinesische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 1,9 Prozent zulegen wird. Damit wäre sie die einzige große Volkswirtschaft, die überhaupt ein Plus schaffen wird. Frs

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Daimler: Einfluss Chinas regeln

Daimler-Aufsichtsratschef Manfred Bischoff fordert eine gemeinsame industriepolitische Strategie der Europäischen Union zur Regulierung politischer Einflussnahme auf die Wirtschaft. Mit Blick auf chinesische Investoren mahnte Bischoff in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die EU müsse regulieren, ob und unter welchen Bedingungen chinesische Investoren mit staatlichem Hintergrund in Zukunft Firmen in der EU kaufen können. Zu entscheiden sei, sagte Bischoff, ob es Unternehmen geben soll, die “nicht unter den Einfluss anderer politischer Entscheidungsträger geraten sollen”. Ausdrücklich warnte der Chefaufseher, der im Frühjahr in Pension geht, vor einer zu defensiven Haltung Europas im amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt. Er gehe davon aus, dass es zwischen China und den USA auch unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden keine Annäherung geben werde und europäische Unternehmen, die mehrheitlich in chinesischem Besitz sind, “mit Reaktionen von amerikanischer Seite zu rechnen haben”. Deshalb stelle sich die Frage: “Wie erhalten wir in Europa den freien Zugang zu beiden großen Partnern, Amerika und China?” asi

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Peking geht gegen Monopole vor

Auch die chinesische Regierung will nun gegen Monopole vorgehen. Wie die South China Morning Post berichtet, wurde jeweils eine Tochtergesellschaft des E-Commerce-Konzerns Alibaba Group Holding wie auch der Tencent Holdings und des Express-Lieferunternehmens SF Holding von der Kartellbehörde mit einer Geldstrafe von je 500.000 Yuan (62.795 Euro) bestraft. Die Unternehmen sind Alibaba Investment, der E-Book-Verlag China Literature und der Express-Schließfachsystembetreiber Shenzhen Hive Box Technology. Das Antimonopolbüro geht damit erstmals öffentlich gegen das Monopol-Verhalten in der Online-Wirtschaft vor. Zuletzt hatte Peking angekündigt, die Interessen der Verbraucher stärken zu wollen. niw

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    Peru stoppt Sinopharm-Test

    Bei der Entwicklung seines Corona-Impfstoffs hat der chinesische Hersteller Sinopharm einen Rückschlag erlitten. Wie die Deutsche Welle berichtet, hat Peru klinische Tests des Impfstoffs des Unternehmens wegen gesundheitlicher Probleme bei Testpersonen ausgesetzt. Als einziges Land hatten Anfang Dezember die Vereinigten Arabischen Emirate den chinesischen Impfstoff zugelassen und damit erstmals Details über die Wirksamkeit eines chinesischen Impfstoffes öffentlich gemacht. In der entscheidenden dritten Studienphase habe sich eine Wirksamkeit von 86 Prozent ergeben, teilte das emiratische Gesundheitsministerium mit. werden könne. In China selbst gibt es neben Sinopharm mit Anhui Zhifei Longcom, CanSino, und Sinovac noch drei weitere Unternehmen, die sich in der Endphase der Impstoff-Entwicklung befinden. Eine endgültige Zulassung im Inland wurde bisher noch keiner der Firmen erteilt, jedoch wird damit in den nächsten Tagen gerechnet. China hat das Ziel ausgegeben, bis Ende des Jahres 600 Millionen Dosen auf den Markt zu bringen. Staatsmedien berichten seit Wochen über eingeschränkte Impfungen bestimmter Bevölkerungsgruppen – etwa von Militärangehörigen und Klinikpersonal, aber auch von Diplomaten und Angestellten von Staatskonzernen. Allein Sinopharm hat seinen Impfstoff nach eigenen Angaben bereits an mehr als eine Millionen Menschen verabreicht. GKO

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    Standpunkt

    2020 – China im Vorteil

    Von Joschka Fischer
    Joschka Fischer zur Corona-Krise
    Joschka Fischer war Außenminister und Vizekanzler. Heute führt er die Strategieberatung Joschka Fischer & Company

    Das Jahr 2020 wird in die Geschichte als das Jahr der großen Covid-19-Pandemie eingehen, zu Recht. Zugleich aber wird es auch das Jahr des Endes der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA sein. Beides hängt zweifellos eng zusammen, und wird erhebliche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Schleifspuren hinterlassen. 

    Beide Ereignisse, die Pandemie als auch die vierjährige Präsidentschaft von Donald Trump, finden auf dem historischen Hintergrund einer Zeit des Übergangs statt, weg von einer amerikanisch dominierten Welt des 20. Jahrhunderts hin zu einer chinesisch dominierten Welt des 21. Jahrhunderts.

    Legt man diese Perspektive an, so erweist sich das Jahr 2020 als ein sehr erfolgreiches Jahr für China, wobei es zu Beginn des Jahres überhaupt nicht danach aussah. In der Millionenmetropole Wuhan am Jangtsekiang hatte sich ein großer Covid-19-Ausbruch ereignet, der sich aufgrund schwerer Versäumnisse der Behörden zu einer globalen Pandemie ausweitete und neben zahlreichen Toten die gesamte Weltwirtschaft zum Stillstand brachte. Zu Beginn der Corona-Krise sah es auch so aus, als wenn sich in China eine Vertrauenskrise zwischen Führung und Bevölkerung auftäte.

    Ein Land, zwei Systeme

    Darüber hinaus war China durch Donald Trump und die USA in einen Handelskrieg verwickelt worden, bei dem es damals den Anschein hatte, als ob es in die Knie gezwungen werden würde. Zudem hatte die aktive Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong durch administrative Maßnahmen Pekings das Misstrauen gegenüber den Absichten der chinesischen Führung im Westen erheblich gesteigert. Die bisherige Zauberformel von “ein Land, zwei Systeme” war damit faktisch erledigt, denn sie hatte durch das Vorgehen Pekings in Hongkong jede Glaubwürdigkeit verloren, und dieser Vertrauensverlust warf damit sofort die Frage nach der zukünftigen Entwicklung in der Straße von Taiwan auf: Würde es dort auch ohne diese Formel in Zukunft friedlich bleiben?

    Gegen Ende dieses Jahres 2020 sieht die Lage jedoch aus chinesischer Perspektive völlig anders aus. Die Versäumnisse zu Beginn der Pandemie scheinen vergessen zu sein. Von einer großen Vertrauenskrise zwischen Bevölkerung und Führung gibt es keine Spur. Der autoritäre chinesische Einparteienstaat hatte mittels rigoroser Maßnahmen das Coronavirus zügig eingedämmt, die Wirtschaft zum Wiederanspringen gebracht und auch das gesellschaftliche Leben findet fast wieder uneingeschränkt statt.

    RCEP ein geopolitischer Coup Chinas

    Im Handelskrieg mit den USA hat China nicht nachgegeben, die Unterdrückung der  Demokratiebewegung in Hongkong scheint zu funktionieren und in diesem November ist Peking noch ein echter handels- und geopolitischer Coup gelungen. Mit der Unterzeichnung des Handelsvertrags Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) wird in Ost- und Südostasien die größte Freihandelszone der Welt geschaffen, die den riesigen Markt Chinas mit den Asean-Staaten von Indonesien über Singapur bis Vietnam verbinden wird. Auch die engsten und wirtschaftlich wichtigsten Verbündeten der USA in der Region wie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland sind Teil dieser Freihandelszone, nur eben nicht die USA.

    Hier stößt man nun auf ein sehr gutes Beispiel für den Unterschied zwischen einer TV-Soap und der geopolitischen Realität. Im Januar 2017 zog der frisch im Amt befindliche US-Präsident die Unterschrift der USA unter dem von Präsident Obama fertig ausverhandelten Freihandelsvertrag Trans Pacific Partnership (TPP) zurück. In Peking konnte man damals sein unverhofftes Glück wohl kaum fassen, und seitdem arbeitete man offensichtlich an dem Ausnutzen dieses großzügigen Geschenks des Donald Trump. Jetzt war man also erfolgreich, und mit dieser Freihandelszone werden auch neue geopolitische Realitäten geschaffen. Um das Zentralgestirn China mit seinem riesigen Markt herum wird sich ein System von Abhängigkeiten bilden und verstärken, die auf Dauer die chinesische Dominanz im indo-pazifischen Raum verstärken werden. In Peking wird man zu Recht diesen Handelsvertrag als Stärkung seiner geopolitischen Einflusszone im Indo-Pazifik verstehen. Kurz gesagt, China geht aus dem Krisenjahr 2020 in dieser Übergangszeit gestärkt hervor.

    Ganz anders die USA. Bedingt durch Trump, den Wahlkampf um die Präsidentschaft und eine völlig außer Kontrolle geratene Entwicklung der Pandemie im Land sind die USA vor allem auf sich selbst zentriert und vermitteln einen Eindruck von tiefer Gespaltenheit, Chaos und Schwäche. Ein solcher Eindruck wird nun ebenfalls geopolitische Konsequenzen haben, und es bleibt daher die große Frage, ob angesichts der großen innenpolitischen Herausforderungen einschließlich einer wirksamen Bekämpfung der Pandemie ein Präsident Biden genug Kraft haben wird, um die USA aus dieser Spirale des Niedergangs wieder herauszuführen. 

    Reicht dazu der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen den beiden politischen Lagern dieses großen Landes noch aus? Angesichts der gegenwärtigen postelektoralen Wirren ist die Antwort darauf eher eine skeptische.

    Amerika wird in diesen turbulenten Zeiten einer Pandemie und einer in der gleichen Zeit eskalierenden Rivalität um die Führungsrolle im internationalen politischen System und in der Weltwirtschaft, um die globale Hegemonie also, seine Freunde brauchen, und seine Freunde werden die USA unter Biden brauchen, denn ohne sie droht die hegemoniale Dominanz Pekings, und dies ist alles andere als eine beruhigende Aussicht. 

    Es wird Zeit, dass Europa aufwacht

    Und wie diese aussieht, machte erst vor wenigen Tagen ein “Diktat” in vierzehn Punkten von Peking gegenüber Australien zweifelsfrei klar. Peking setzt unverhohlen auf Handelsbarrieren, zum Beispiel wegen des Ausschlusses der beiden chinesischen Firmen ZTE und Huawei aus dem australischen 5G-Netz, des Verhaltens Australiens in multilateralen Foren und negativer Medienberichte über China. Unter Multilateralismus scheint Peking den Kotau zu verstehen, das sollten auch und gerade die Europäer nicht vergessen. 

    Es wird Zeit, dass Europa aufwacht. Donald Trump geht spätestens nächsten Januar aufs Altenteil und mit ihm seine nationalistische Außenpolitik. Wenn an dessen Stelle Xi Jinping mit seinem “Make China great again!” träte, wäre gar nichts gewonnen, sondern Tribut und Kotau träten an die Stelle des abtretenden “wohlmeinenden” Hegemons mit seinem Freiheitsversprechen.  

    Copyright: Project Syndicate, 2020.

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    Portrait

    Qu Dongyu

    Qu Dongyu - FAO-Generalsekretär
    FAO-Generalsekretär 屈冬玉 (Qu Dongyu)

    Qu Dongyu ist kartoffelbegeistert. Und das, obwohl der Generalsekretär der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) eigentlich der Sohn von Reisbauern ist. Seine Doktorarbeit schrieb der Agrarwissenschaftler über neue Techniken bei der Produktion von Kartoffelsamen, 2004 holte er den internationalen Kartoffelkongress erstmals nach China und als Vize-Gouverneur der autonomen Region Ningxia fuhr er von Farm zu Farm, um die Bauern in den Bergen Westchinas von den Vorteilen neuer Kartoffelsorten zu überzeugen.

    Als Qu im Juni 2019 in Rom zum Generalsekretär der FAO gewählt wurde, ging es ausnahmsweise nicht um Kartoffeln, ja, noch nicht einmal um Landwirtschaft. Stattdessen befand sich Qu im Zentrum eines diplomatischen Machtkampfs. Anstatt sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen, hatten EU und USA jeweils ihre eigenen Favoriten ins Rennen um das Amt geschickt. Derweil betrieben chinesische Diplomaten fleißig Lobbyarbeit – Berichten zufolge inklusive Schuldenerlassen, Besuchen in Luxushotels für Delegierte und massiven Einschüchterungen. Das Ergebnis war deutlich: 108 von 191 Stimmen gingen an Qu, und China hatte die vierte der fünfzehn UN-Sonderorganisation gekapert – so zumindest empfanden es viele europäische und US-Diplomaten.

    Qus Geburtsdatum ist unbekannt

    Das Getöse um seine Wahl schien Qu unangenehm zu sein. Er versicherte, er habe nicht nur eine “asiatische Seele”, sondern auch ein “globales Bewusstsein” und wolle sich unparteiisch in den Dienst der FAO stellen. Tatsächlich gibt es an seiner fachlichen Expertise kaum einen Zweifel. Als Wissenschaftler und Politiker zu einer Zeit, in der China große Erfolge beim Kampf gegen Hunger und Armut feiern konnte und seine Landwirtschaft grundlegend modernisierte, verfügt er über wichtige Erfahrung für die internationale Zusammenarbeit. Vor seiner Wahl war Qu Vize-Landwirtschaftsminister der Volksrepublik, Vize-Gouverneur der westchinesischen autonomen Region Ningxia und Vizepräsident der chinesischen Landwirtschaftsakademie.

    Geboren im Oktober 1963 (sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt), gehört Qu zur ersten chinesischen Generation, die nach dem Chaos der Kulturrevolution wieder an die Universitäten durfte. Bereits mit sechzehn studierte er Agrarwissenschaften und erklomm schnell die akademische Karriereleiter: Er forschte an der landwirtschaftlichen Akademie in Peking und promovierte an der Universität Wageningen in den Niederlanden. Auch nach Beginn seiner politischen Karriere sah er sich weiterhin als Forscher und zeigte bei jeder Gelegenheit, dass er trotz Doktortitel auch noch auf dem Feld arbeiten konnte. Angeblich war seine Haut zu seiner Zeit als Vize-Gouverneur von Ningxia so sonnengegerbt, dass er problemlos als Kartoffelbauer durchgegangen wäre.

    Bislang scheint es, als stelle Qu allen Befürchtungen zum Trotz die Mission der FAO über nationalstaatliche Muskelspiele. Er stellte Ernährungssicherheit und Armutsbekämpfung in den Fokus seiner Amtszeit und startete eine Initiative für mehr Innovation und Transparenz der FAO. Jonas Borchers

    • Agrar

    Personalien

    Florian Braun is the new Head of Ocean EMEA (Europe – Middle-East – Africa) for the European Ocean team at digital freight forwarder Flexport. Braun’s predecessor, Martin Holst Mikkelsen, moves to Singapore as Head of Ocean Asia in January. Braun was most recently Vice President of Ocean 4.0 at DB Schenker, where he was responsible for the company’s digital Ocean strategy. Prior to that, he worked as Trade Lane Manager at DHL in China.

    Emer Cooke becomes the first woman to head the European Medicines Agency (EMA), which is also responsible for the approval of Covid vaccines in Europe, among other things. Cooke also served as head of inspections and head of international affairs at the EMA in London until 2016.

    Christian Wiendick is the new general manager of the new Kempinski Hotel in Jinan, Shandong. He comes from the Kempinski Hotel in Fuzhou.

    Elmar Stumpf is chairman of the board of the China Network Baden-Wuerttemberg. The network was launched a few days ago. Stumpf, now a management consultant, spent six years in China working for Bosch und Siemens Hausgeraete GmbH. Members of the network’s advisory board include Corinne Abele, head of foreign trade at Germany Trade & Invest (GTAI), based in Shanghai; Tassilo Zywietz, managing director of foreign trade & services at the Stuttgart Chamber of Industry and Commerce; and Martin Broda, head of China at Landesbank Baden-Württemberg, based in Shanghai.

    Geneva-based private bank Edmond de Rothschild has a new head of Asia since the beginning of the month: Sharon Xie. She will be based in Zurich, serving clients in Asia and developing new products and services for the region. Xie most recently headed the Market Leader China team at UBS, a major Swiss bank, where she primarily served clients from China. Her predecessor, Jing Zhang Brogle, has moved to competitor Quintet Switzerland.

    • HSBC

    Dessert

    Foto: Aurélien Mole, Courtesy the artist / Balice Hertling

    “The Horse with Eye Blinders” nennt der Hamburger Bahnhof in Berlin die erste Einzelausstellung der chinesische Malerin und Fotografin Xinyi Cheng (31). Sie ist Preisträgerin des Baloise Kunst-Preis 2019. Ursprünglich sollte die Ausstellung Anfang Dezember eröffnet werden. Nun steht eine Corona-Alternative im Netz.

    CHINA.TABLE Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      • Staatsbetriebe in Nöten
      • Atomkraft: Peking will unabhängig werden
      • China in der “mittleren Einkommensfalle”
      • Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft
      • RCEP: Zwischen Konflikt und Partnerschaft
      • Joschka Fischers Sicht auf China 2020
      • Im Portrait: Qu Dongyu
      Liebe Leserin, lieber Leser,

      欢迎 am China.Table. Huānyíng zur ersten Vorab-Ausgabe des neuen Professional Briefing. Wir heißen Sie herzlich willkommen am China.Table, wenn Sie sich verlässlich, umfassend und aktuell über China informieren wollen.

      Ab nächstem Jahr möchten wir Sie jeden Morgen mit Nachrichten, Analysen und Hintergründen aus Peking, Berlin und Brüssel versorgen. Wir starten mit einem achtköpfigen Team, wohl der größten unabhängigen China-Redaktion in deutscher Sprache. Weit über hundert Jahre China- und Medienerfahrung sind in die Entwicklung des China.Table eingeflossen – Und doch sind wir uns darüber im Klaren: Das wird nicht reichen, um dieses große Land in Gänze zu erfassen, von Technologie bis Menschenrechte.

      Bitte verstehen Sie unseren Titel China.Table deswegen als Einladung, Platz zu nehmen und Ihre Sicht zu teilen. Wir wollen mit Ihnen ins Gespräch kommen über Wirtschaft, Wissenschaft, Staat und Gesellschaft.

      Wenn Ihnen der erste China.Table gefällt – sagen Sie es bitte weiter. Was wir besser machen können, sagen Sie bitte uns: china@table.media

      Ein herzliches Huānyíng,

      Ihre
      Antje Sirleschtov
      Bild von Antje  Sirleschtov

      Presseschau

      Bahrain approves Sinopharm’s COVID-19 vaccine for use CHINA DAILY
      China’s Combative Nationalists See a World Turning Their Way THE NEW YORK TIMES
      Jurist Harro von Senger spricht über das Rechtswesen in China NZZ
      Autobauern in China gehen die Chips aus – auch deutsche Hersteller sind betroffen HANDELSBLATT
      China warns of interference over Bloomberg journalist arrest BBC
      Global investors place Rmb1tn bet on China breakthrough FT
      The U.S.-China Tech War Won’t End Under Biden THE WALL STREET JOURNAL
      China’s antitrust regulator fines affiliates of Alibaba, Tencent and SF Holding for ‘monopolistic behaviour’ SOUTH CHINA MORNING POST
      Wuhan: Ein Jahr nach dem Corona-Ausbruch DW
      China’s Sinopharm vaccine: how effective is it and where will it be rolled out? THE GUARDIAN
      Xi calls for closer BRI cooperation with Somalia XINHUA
      Und immer wachen die Ahnen – die chinesische Familie hat den revolutionären Wandel der Zeiten einigermassen unbeschadet überstanden NZZ
      China to prosecute rating agency manager over ‘massive’ bribes FT
      China formalises cut to Australian coal imports, state media reports THE GUARDIAN

      Analyse

      Staatsbetriebe: Faule Kredite

      Offensichtlich wurde das Problem, als die Yongcheng Coal & Electricity Holding Group, ein der Provinzregierung von Henan unterstellter Minenbetreiber, Anfang November mit der Zahlung eines Kredites in Höhe von über 120 Millionen Euro in Verzug geriet. Ein Unternehmen wohlgemerkt, das von chinesischen Ratingagenturen mit einem Top-Rating von AAA bedacht worden war. Letzteres ist das viel größere Problem als die Kreditsumme selbst: Das Frühwarnsystem der chinesischen Ratingagenturen funktioniert nicht. Und das ist riskant. Die Muttergesellschaft von Yongcheng Coal, Henan Energy and Chemical Industry, ist immerhin eines der größten staatlichen Unternehmen der Provinz.

      Die chinesische Regierung bekommt das Thema Rating einfach nicht in den Griff.  Schon 2018 musste Dadong, die 2008 gegründete Rating Agentur, wegen Korruption ihre Arbeit vorübergehend einstellen und wurde saniert. Nun zeigt sich, das hat nicht gereicht hat: Mehr als 90 Prozent der Firmen mit faulen Krediten hatten zum Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit ein Rating von zumindest ‘A’.

      Staatliche Unterstützung machten diese lange immun gegen Kreditausfälle, verteidigen sich die Agenturen. Auch die staatlichen Banken hätten Staatsunternehmen wegen der vermeintlichen Garantien durch die Regierung bevorzugt.

      “Eiserne Reisschüssel” wird nicht gefüllt

      Immer wieder hat die Regierung angekündigt, dass sie die “eiserne Reisschüssel” der chinesischen Staatsunternehmen nicht mehr selbstverständlich füllen will. In kleinen – für viele zu kleinen – Schritten, macht sie ernst. Die jüngste Krise zeigt das deutlich, denn es wäre ein leichtes gewesen, die Angelegenheit hinter den Kulissen zu regeln und Geld in die Firmen nachzuschießen.

      Wieder einmal lässt Peking betroffene Unternehmen gegen die Wand fahren und nimmt damit einen neuen Anlauf, um das Schuldenproblem der Staatsunternehmen in den Griff zu bekommen. Vergangenen Freitag ließ Finanzminister Liu Kun auf der Website seines Ministeriums einen Aufsatz verbreiten, in dem es heißt, die Regierung werde Mechanismen etablieren, die verhindern sollen, dass die Lokalregierungen versteckte Schulden aufhäufen. Zuletzt hatte Premierminister Li Keqiang Anfang diesen Jahres in dieser Hinsicht Druck gemacht und die überschuldeten Staatsbetriebe aufgefordert, ihre Schulden bis Ende des Jahres zurückzuzahlen. Dann jedoch kam Corona dazwischen. 

      Interessant dabei ist auch der Zeitpunkt so kurz nach dem Höhepunkt der Coronavirus-Krise: Das deutet daraufhin, dass Peking seinem Finanzsystem die Belastungen der Schulden zutraut. Und das, obwohl Yongcheng längst nicht der einzige Sanierungsfall ist. Besonders spektakulär ist Huachen Automotive, der Hauptaktionär der Brilliance Auto Group Holdings Co., dem Joint Venture Partner von BMW. Die Huachen Automotive Group Holdings ist im Insolvenzverfahren, mit der Umstrukturierung wurde begonnen.

      Auch ein BMW-Partner betroffen

      Huachen Automotive gehört der Provinz Liaoning und besitzt 30 Prozent an Brilliance Automotive. Für BMW und das Joint Venture ist das freilich kein Problem. Die deutsch-chinesischen Autobauer verdienen gemeinsam so viel Geld, dass es beinahe egal ist, wie es der Muttergesellschaft geht. Für BMW war Geldmangel sogar schon einmal ein Vorteil. Weil die Holding Geld brauchte, war es für die Münchner leichter, 2019 den Anteil am Joint Venture von 50 auf 70 Prozent zu erhöhen.

      Klassische Ausfall-Kandidaten sind eher Unternehmen wie Jizhong Energy, der größte Kohleproduzent der Provinz Hebei. Im vergangenen Jahr verzeichnete der Staatskonzern im achten Jahr in Folge Verluste. Jizhongs Gesamtverschuldung stieg zwischen 2012 und 2019 um 102 Prozent auf 165,7 Milliarden Yuan, rund 21 Milliarden Euro. Das Unternehmen muss bis Ende 2021 über 31 Milliarden Yuan, also knapp vier Milliarden Euro, an Bonds zurückzahlen. Ebenfalls überschuldet sind die staatlichen Unternehmen Pingdingshan Tianan Coal Mining Co., Tianjin TEDA Investment Holding Co. und Yunnan Health & Culture Tourism Holding Group. Besonders peinlich ist die Zahlungsunfähigkeit der Tsinghua Unigroup Co. Sie ist nicht nur mit der staatlichen Pekinger Tsinghua Universität verbunden, dem Havard Chinas, sondern auch ein Unternehmen aus einer Branche, die eigentlich prosperieren sollte: Die Unigroup stellt Microchips her.

      Trotz all dieser Fälle ist das chinesische Finanzsystem weit davon entfernt marode zu sein. China hat keine Auslandschulden und verkauft seit Jahren mehr ins Ausland als es dort einkauft. Dieser Handelsbilanzüberschuss hat dafür gesorgt, dass China über ein stattliches Sparbuch verfügt:  Über 3100 Milliarden US-Dollar Devisenreserven hat China international angelegt. Die Schulden Chinas zusammen belaufen sich hingegen “nur” auf rund 4000 Milliarden Dollar. Nach offiziellen Angaben sind nur rund 600 Milliarden davon faul. Wie auch immer:  Wenn es Chinas Finanzsystem sehr schlecht ginge, würden die Reserven dramatisch schrumpfen.

      Deshalb ist auch nicht klar, wie groß die Zahl der Unternehmen ist, denen im kommenden Jahr die “eiserne Reisschüssel” entzogen wird. Die Regierung kann es sich leisten, streng oder weniger streng zu sein.

      Derzeit geht sie vor allem der Frage nach, ob einige der Unternehmen absichtlich in Verzug geraten sind, um ihre Schulden nicht mehr bezahlen zu müssen und auf Staatshilfe hofften und/oder ob sie vorher noch Vermögenswerte aus dem Unternehmen herausgenommen haben.

      Unmittelbar vor dem Zahlungsausfall hatte Yongcheng offenbar Aktien der in Hongkong notierten Zhongyuan Bank Co. Ltd. – ein liquider und qualitativ hochwertiger Vermögenswert – an zwei andere staatliche Unternehmen in Henan übertragen. Yongcheng soll auch seine eigenen Anleihen gekauft haben, um die Attraktivität seiner Papiere zu steigern.

      Vizepremier Liu He, der auch Chinas oberster Finanzaufseher ist, warnt nun, dass Peking bei Finanzgeschäften gegenüber Schuldenflucht, irreführenden Angaben, “böswilliger Übertragung von Vermögenswerten und Veruntreuung von Geldern” eine noch härtere Politik verfolgen werde. Das ist ziemlich deutlich.

      Chinas Marktregulierungsbehörde, die National Association of Financial Market Institutional Investors (NAFMII), gab kürzlich bekannt, dass sie ihre Ermittlungen im Feld der Anleiheverkäufe verstärken werde. Anleiheemittenten und ihre Aktionäre, Finanzinstitute, Intermediäre und andere Marktbeteiligte müssten sich strikt an Gesetze und Vorschriften halten. Und: Die Warnsysteme für “systemische Risiken” müssten ausgeweitet werden. So haben Mitarbeiter von Yongcheng Coal darüber geklagt, dass sie seit Monaten nicht mehr bezahlt worden seien. Aber viele Investoren und die Ratingagenturen haben die Warnzeichen wohl ignoriert, weil sie glaubten, dass die Muttergesellschaft als einer der größten Energiekonzerne der Provinz Henan über ausreichend Geld verfügt oder es beschaffen könnte.  

      Der Ausschuss für Finanzstabilität und Entwicklung unter dem Vorsitz von Vizepremier Liu He will die lokalen Regierungen und Aufsichtsbehörden nunmehr stärker in die Pflicht nehmen, um “ein gutes lokales Finanzökosystem und Kreditumfeld aufzubauen”. Bis es gelingt, wird das Jahre dauern.

      • Autoindustrie
      • Finanzen
      • Kredite
      • Liu He

      Termine

      Dec. 15, 2020; 9-10 a.m. (EST)
      Panel USHCA New Reality of doing businesses in China INFO

      Dec. 12, 2020; 5 p.m. (GMT)
      Seminar SOAS London The Ming-Qing transition in Chinese History as a philosophical problem INFO

      Dec. 17, 2020; 9-10:30 a.m. (EST)
      Vortrag USHCA Yunnan a case study in China’s rural transformation and sustainable development model INFO

      Dec. 17, 2020; 5-6:15 p.m., San Francisco Time
      Webcast, Asia Society China Now Music Festival INFO

      China: Atomkraft, ja bitte

      Hualong One HPR-1000, ein Druckwasserreaktor mit 1150 Megawatt Leistung.
      Seit dem 26. November in der Provinz Fujian am Netz: Hualong One HPR-1000, ein Druckwasserreaktor mit 1150 Megawatt Leistung.

      Es war ein Meilenstein – auch wenn die Welt davon nur das Bild eines beigefarbenen Kontrollraums zu sehen bekam: Ende November ging im Atomkraftwerk Fuqing am ostchinesischen Meer der erste moderne chinesische Atomreaktor ans Netz. Hualong One HPR-1000 heißt der Druckwasserreaktor mit 1150 Megawatt (MW) Leistung. China habe das “Monopol ausländischer Nukleartechnologie gebrochen”, frohlockte der Staatskonzern China National Nuclear Corp (CNNC), der das Atomkraftwerk betreibt.

      Nur zwei Wochen zuvor war der Hualong One von der Organisation European Utility Requirements (EUR) nach Prüfung vieler Kriterien wie Sicherheit, Layout und Systemtechnologie für Einsätze in Europa zertifiziert worden. China ist damit auf dem Atomstrom-Weltmarkt angekommen – und ist entschlossen, sich dort dauerhaft zu etablieren.

      Die Atomkraft ist als strategischer Sektor fest in Staatshand. CNNC ist einer von drei staatlichen Atomriesen, neben China General Nuclear Power (CGN) und der State Power Investment Corporation. Als emissionsfreie Energieform spielt die Kernenergie bei der geplanten Energiewende eine weit größere Rolle als in vielen westlichen Ländern. Bis 2060 will China klimaneutral werden, so hat es Präsident Xi Jinping kürzlich angekündigt. Dazu braucht das Land nach eigenem Bekunden viel mehr Energie aus der Kernspaltung – und möglicherweise auch aus der Kernfusion.

      Wenige Tage nach dem Hualong One startete in Chengdu ein neuer experimenteller Kernfusionsreaktor namens HL-2M Tokamak, der mithilfe eines starken Magnetfelds heißes Plasma verschmelzt und damit eine Temperatur von bis zu 150 Millionen Grad Celsius erreichen kann. Der in China “künstliche Sonne” genannte Reaktor ist Teil eines internationalen Megaprojekts, das gerade in Frankreich den International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) für Kernfusionstests errichtet. Mitglieder des Projekts sind neben China die EU, die USA, Indien, Japan, Russland und Südkorea. Die “künstliche Sonne” werde eine “wichtige Säule” für ITER sein, betonte Yang Qingwei, Chefingenieur des Kernfusionsinstituts der CNNC.

      Mehr Atomkraft für die Energiewende

      China muss nach Erkenntnis des staatsnahen Nationalen Energieforschungsinstituts die Atomstromkapazitäten bis 2050 auf 554 Gigawatt (GW) ausbauen, wenn das Land zum Erreichen des Pariser Klimaziels von höchstens 1,5 Grad Erderwärmung beitragen wolle. Das entspreche einem Kapazitätsanteil von dann 28 Prozent. Was für eine gewaltige Steigerung das bedeuten würde, zeigen Zahlen der Gegenwart: Laut World Nuclear Association standen Ende 2019 schon 49 Atomreaktoren in Chinas 10 Atomkraftwerken – mit einer Gesamtkapazität von 47,5 GW. Atomstrom trug nur rund fünf Prozent zur Stromerzeugung bei, Kohle dagegen 69 Prozent. Immerhin lag die Steigerungsrate bei 18 Prozent. Das britische Datenunternehmen GlobalData erwartet daher, dass China bei der Erzeugung von Atomstrom 2022 Frankreich und 2026 die USA überholt. Dann würde es an der Spitze stehen.

      Die Katastrophe von Fukushima im März 2011 hatte Chinas Nuklearsektor hart getroffen. Die Regierung ordnete strikte Sicherheitsprüfungen an und legte sämtliche Projekte auf Eis. Ob damals intern Atomkraft grundsätzlich infrage gestellt wurde, drang nicht nach außen. Aber erst 2019 genehmigte China wieder neue Reaktoren – und zwar allesamt vom Typ Hualong One. Denn in der Zwischenzeit hatte China die Entwicklung trotz der Baustopps vorangetrieben. Weltweit wurden in jener Zeit Reaktoren der so genannten Dritten Generation entwickelt. Diese sollten auf der Technik der Vorgänger aufbauen und dabei deutlich sicherer werden. Auch China wollte einen eigenen Reaktor dieser neuen Generation. Bis dahin hatte das Land stark auf Technologie aus Russland, Frankreich oder Kanada gesetzt. CGN und CNNC entwickelten damals separat eigene Reaktoren: CGN auf Basis der Technologie des European Pressurized Reactor (EPR) des französischen Unternehmens Areva, CNNC mit der Technologie des US-Konzerns Westinghouse.

      Das war Peking offenbar zu kleinteilig. “2012 wiesen die Planer CGN und CNNC an, ihre Reaktorprogramme zu rationalisieren”, erinnert sich Narumi Shibata von der Denkfabrik Asia Pacific Initiative in Tokio. Die Firmen integrierten ihre Designs, so Shibata – und es entstand der Hualong One.

      Hualong One: Weg in die chinesische Autonomie

      Mit diesem Reaktor wird China nun nicht nur global wettbewerbsfähig, sondern auch unabhängiger für die eigene Kernenergie. “Die Idee ist, dass Hualong One nicht nur bei Design und geistigem Eigentum chinesisch ist, sondern auch bei Ausrüstung und der gesamten Lieferkette”, sagte François Morin, China-Direktor der World Nuclear Association in Peking. Der Anteil ausländischer Komponenten des Hualong One liege bei maximal 15 Prozent – etwa für Pumpen, Ventile oder digitale Ausrüstung. “Es gibt noch Möglichkeiten für europäische und amerikanische Zulieferer, doch das Fenster wird immer kleiner.” Somit könnte der Vorstoß des Hualong One auf den Weltmarkt negative Folgen für internationale Komponentenhersteller haben. Ein Hualong One in Pakistan ist bereits im Bau, weitere sollen unter anderem in Großbritannien, Argentinien oder im Iran entstehen.

      Der Widerstand gegen die Atomkraftpolitik ist übrigens gering; eine landesweite Protestbewegung hätte ohnehin keine Chance. Doch einmal setzten sich Demonstranten tatsächlich durch. 2016 wurde der Bau eines Endlagers in der Küstenprovinz Jiangsu aufgrund von Protesten gestoppt. China sucht bis heute nach einer Alternative.

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      Chinas “mittlere Einkommensfalle”

      Die Botschaft verschickte Xi Jinping über die Staatsmedien, so wichtig war sie ihm: Nach sorgfältiger Berechnung der wirtschaftlichen Entwicklungsfähigkeiten und -bedingungen, verkündete der Staats- und Parteichef, sei es durchaus möglich, das Pro-Kopf-Einkommen der Chinesen und damit die Wirtschaftsleistung des Landes bis 2035 zu verdoppeln. Das Zentralkomitee der KP werde die Erfahrungen beim Aufbau einer “Gesellschaft mit moderatem Wohlstand” 小康社会(xiaokang shehui) zur Mitte des kommenden Jahres bewerten, “und dann bekannt geben, dass wir das Ziel erreicht haben”, so Xi.

      Der Zeitpunkt der Veröffentlichung von Xis Prognose war bewusst gewählt. Im Oktober beriet die Parteiführung über ihre Ziele für die kommenden fünf Jahre, die auch ein wichtiger Meilenstein zur Erreichung des großen Versprechens an die chinesische Bevölkerung sind, eben jene “Gesellschaft mit moderatem Wohlstand” zu errichten. Was sie beschloss, die “Vorschläge der Parteiführung zur Formulierung des 14. Fünfjahresplans (2021-25) für die nationale wirtschaftliche und soziale Entwicklung und die langfristigen Ziele bis zum Jahr 2035”, will der Parteitag der KP Chinas im nächsten Frühjahr verabschieden.

      Armutsbekämpfung seit Deng

      Die Zuversicht Xis hinsichtlich des Wohlstandsgewinns der Chinesen begründet sich im bisher Erreichten. Und seine Ankündigung Mitte 2021 Bilanz zu ziehen, kommt zu einem symbolisch wichtigen Datum: 2021 wird das 100-jährige Jubiläum der Parteigründung gefeiert.

      Unter dem so genannten xiaokang sehui, einer Gesellschaft mit “moderatem Wohlstand” könnte man nach westlichem Verständnis in Anlehnung an das konfuzianische Verständnis von xiaokang vielleicht eine Gesellschaft verstehen, in der alle nach Wohlstand durch Arbeit streben, dabei schon weit gekommen sind, aber den Himmel noch nicht erreicht haben. Deng Xiaoping nutzte den Begriff xiaokang schon 1979, während er wirtschaftliche Reformen vorantrieb und setzte sich und den Chinesen für damalige Verhältnisse hohe Ziele: Das BIP sollte sich bis 2000 vervierfachen, auch für das Pro-Kopf-Einkommen wurde dies als Ziel proklamiert.

      Er sollte mehr als recht behalten, denn Chinas BIP vervierfachte sich schon 1995 und zwei Jahre später stieg auch dass BIP pro Person im Vergleich zu 1980 um das Vierfache an.

      2012 versprach die chinesische Führung ihren Bürgern schließlich, bis zum Ende des Jahrzehnts werde die absolute Armut im Land “bewältigt” sein und alle würden in einer “Gesellschaft mit moderatem Wohlstand” leben. Ein größeres Versprechen als dieses hätte die KP Chinas nicht machen können.

      Auch wenn die absolute Armut in den Städten Chinas nicht mehr zu sehen ist, da selbst die Wanderarbeiter dort monatlich zwischen umgerechnet 500 und 1500 Euro verdienen, ist die relative Armut vor allem in den ländlichen Regionen und Kreisen im Landesinneren das eigentliche Problem. Doch hierüber spricht die Partei- und Staatsführung nicht allzu offen. Ende November verkündeten örtliche Regierungsbeamte aus der Provinz Guizhou, einer der ärmsten Regionen Chinas, dass das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der Einwohner in den letzten neun von Armut betroffenen Landkreisen der Region auf 11.487 Yuan (ca. 1447 Euro) gestiegen sei. Die Botschaft war klar: Wenn nun das Einkommen aller Einwohner über der von der Regierung festgelegten absoluten Armutsgrenze von 4000 Yuan (504 Euro) liegt, ist keine Region in China mehr als arm zu bezeichnen – zumindest nach offizieller Lesart.

      Tatsächlich sprechen die Ergebnisse der Reformen seit Deng eine deutliche Sprache: Nach Berechnungen des Economist ist es den Chinesen gelungen, von 1980 bis 2018 die Zahl der Menschen, die unterhalb der geltenden (und in der Zwischenzeit weiter angehobenen) Armutsgrenze leben, von 775 Millionen auf 16,6 Millionen zu reduzieren. Vor allem natürlich durch das schnelle Wirtschaftswachstum, das in städtischen Gebieten Beschäftigungsmöglichkeiten für unzähligen Migranten vom Land geschaffen hat.

      Auch wenn die Armutsbekämpfung Chinas international gelobt wird, beobachtet man im Land selbst sehr genau, wie ernst man die offiziellen Zahlen aus Peking nehmen darf. So warnte unlängst selbst das staatsnahe Wirtschaftsmagazin Caixin: “Das bedeutet nicht, dass die (bisher ärmsten) Landkreise nun armutsfrei sind. Die Politik misst vor allem die Erhöhung des Durchschnittseinkommens. Die so geglätteten Daten erfassen nicht die Umstände einzelner in Not lebender Familien.”

      Umfrage: Chinesen sind zufrieden

      Selbst die Coronavirus-Pandemie hat die Regierungsmaßnahmen zur Umsetzung der Armutsbekämpfung nicht lange ausgebremst. Zwar kam schon Ende vergangenen Jahres, bevor Covid-19 begann die Welt in Atem zu halten, in China Kritik daran auf, dass die chinesische Regierung aufgrund der schlechten Konjunktur die Ziele von xiaokang sehui nicht vollständig wird umsetzen können. Doch der Zuspruch der Bevölkerung zum Regierungshandeln ist nach wie vor groß: Im Sommer ergab eine Umfrage des Ash-Centers an der Harvard Universität, dass die Zufriedenheit der chinesischen Bürger mit ihrer Regierung gestiegen ist. Im Zeitraum der Studie zwischen 2003 und 2016 nahm sie von 86 Prozent auf 93 Prozent zu.

      Doch damit ist “Xis Traum von China”, wie die Armutsbekämpfungspläne des obersten Kommunisten im Westen bezeichnet werden, noch keineswegs Realität. Denn nun taucht das nächste Problem auf, man könnte sagen: Das Wohlstandsproblem. Und zwar für die Bevölkerung in den Städten. Sie haben die Armut ihrer Vorfahren zwar hinter sich gelassen. Doch ihre alltäglichen Sorgen sind nicht minder groß: Wie sollen sie ihre und die Bildung ihrer Kinder bezahlen, erschwinglichen Wohnraum und Krankenversicherungen finden? Und die, die man zur aufsteigenden Mittelschicht zählt, man schätzt ihre Zahl auf rund 400 Millionen, formulieren nun auch Ansprüche, wie man sie im Westen kennt: Sauberes Klima, gesunde Umwelt sowie Lebensmittel- und Wassersicherheit.

      Soziale Probleme in Städten

      Die Weltbank bezeichnet die neueste Entwicklung bereits als “mittlere Einkommensfalle”. Knapp: Je öfter die Kommunistische Partei Chinas von den Erfolgen bei der Armutsbekämpfung berichtet, um die eigene Bevölkerung bei Laune zu halten, umso häufiger werden internationale Akteure auf den Plan gerufen: Die USA wollten schon im vergangenen Februar China nicht mehr als Entwicklungsland anerkennen, das im internationalen Vertragswerken Privilegien genießt. Ein Dilemma für Chinas Führung, das nun auch noch durch unangenehme Debatten innerhalb des Landes über die “soziale Lage” überlagert wird. Weil auch im Land selber die sich immer weiter öffnende soziale Schere ein Thema wird, mit dem sich Peking auseinandersetzen muss. Schließlich liegt das Einkommen einer durchschnittlichen Familie in Chinas Städten zwischen 20.000 Yuan (2500 Euro) und 40.000 Yuan (5000 Euro), während das Vermögen der 400 reichsten Chinesen in diesem Jahr um durchschnittlich 64 Prozent wuchs, wie die New Yorker China-Plattform SupChina dieser Tage vermeldete.

      Absehbar also, dass sich Pekings KP-Führung früher oder später mit einer ganz neuen Qualität von xiaokang sehui, der “Gesellschaft mit moderatem Wohlstand”, auseinandersetzen muss, um sich das Wohlwollen ihrer Bevölkerung zu erhalten: Der Frage nämlich nach der Umverteilung des Wohlstands.

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      EU-China-Abkommen ist noch möglich

      Die Mahnung kurz vor Weihnachten kommt von einem Europäer, aber der Absender ist Peking, weshalb man sie durchaus auch als Botschaft verstehen kann. Denn Jörg Wuttke, EU-Handelskammerpräsident in China, hat ausgezeichnete Verbindungen zur chinesischen Regierung. Es liege sehr im Interesse Chinas, das Investitionsabkommen noch während der deutschen Ratspräsidentschaft voranzutreiben, sagt Wuttke dem China.Table. Besonders, weil auf der anderen Seite des Verhandlungstisches derzeit die deutsche Ratspräsidentschaft mit Angela Merkel an der Spitze das Heft in der Hand hat. Mit ihr habe Peking “ein sehr vertrauenswürdiges Gegenstück in Europa, die chinesische Seite weiß genau, wo sie steht und sie hat 15 Jahre Erfahrung in der Arbeit mit ihr”.

      Als Deutschland am 1. Juli dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, waren die Erwartungen hoch – der Vorsitz der größten Volkswirtschaft der Europäischen Union im Gremium der Staats- und Regierungschefs wurde als “Make-or-break-Moment” für die Staatenorganisation gesehen. Weit oben auf der To-do-Liste der außenpolitischen Themen: China. Die “strategischen Beziehungen” zum Reich der Mitte. Sie waren Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zum Beginn der Ratspräsidentschaft im EU-Parlament auch einen eigenen Absatz wert.

      Jetzt, wenige Tage vor dem Ende der Ratspräsidentschaft, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich der letzten der deutschen Bundeskanzlerin, laufen die Drähte zwischen Europa und Peking noch einmal heiß. Denn nichts Geringeres als das gemeinsame Investitionsschutzabkommen (CAI) liegt auf dem Tisch. Von diesem erhoffen sich europäische Unternehmer besseren Zugang zum chinesischen Markt und ein Level Playing Field. Außerdem soll es die 26 bestehenden bilateralen Investitionsabkommen von EU-Staaten und China ablösen.

      Fortschritte in wichtigen Punkten

      Wuttke, BASF-Chef in China, sieht in dem Investitionsabkommen mehr als nur eine wirtschaftliche Einigung: “Wenn sich in diesen Zeiten des Handels- und Technologiekrieges zwei massive Volkswirtschaften auf etwas mit messbaren Meilensteinen und Zeitplänen einigen können, würde dies eine wirklich starke Botschaft auf der ganzen Welt senden.”

      Die Verhandlungen der vergangenen Woche lassen Hoffnung keimen, dass den Gesprächspartnern womöglich noch kurz vor Silvester der Durchbruch gelingen könnte. Die Gespräche seien intensiv gewesen, hieß es nach der Verhandlungsrunde in der EU-Kommission. Es seien Fortschritte in Bezug auf nachhaltige Entwicklung, Angebote des Marktzugangs und institutionelle Bestimmungen erzielt worden. Noch in dieser Woche will man wieder miteinander sprechen.

      Das Bundeskanzleramt habe in der Sache “massiv auf das Gaspedal” getreten und fast um jeden Preis einen Abschluss bis zum Jahresende erreichen wollen, erinnert sich Reinhard Bütikofer (Die Grüne), Vorsitzender der China-Delegation des Europaparlaments an den Auftritt der Deutschen. Das habe sich seiner Beobachtung nach auf europäischer Bühne aber nicht wirklich durchsetzen können. “Die Position in Brüssel heißt nach wie vor Substanz über Geschwindigkeit. Wir müssen ein Ergebnis verhandeln, das es auch wert ist, zum Vertrag zu werden“, so Bütikofer.

      Lange Zeit war die Zahl der Probleme, die noch auf dem Tisch lagen, erheblich. China sei hinter den von der EU erwarteten Zugeständnissen zurückgeblieben, sagt der Grünenpolitiker. Darunter etwa bei der Frage des freien Marktzugangs für europäische Firmen aus den Bereichen Telekommunikation, neue Mobilität, Gesundheitsindustrie und Biotechnologie. China habe sich zudem lange im sogenannten Nachhaltigkeitskapitel geweigert, entscheidende Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zu ratifizieren.  

      Zieht man insgesamt Bilanz nach der deutschen Ratspräsidentschaft und ihrer China-Agenda, dann sieht das Ergebnis eher blass aus. Das lang geplante Gipfeltreffen im September entfiel – und die EU hadert weiterhin mit ihrem gemeinsamen Auftreten gegenüber Peking. Und Beobachtern in Brüssel fehlt ein noch strengerer Ton angesichts von Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen in China.

      Bütikofer: Substanz vor Geschwindigkeit

      “Wir sind viel weniger weit gekommen als ursprünglich angedacht und erhofft”, sagt etwa die stellvertretende Vorsitzende der China-Delegation des Europäischen Parlaments, Evelyne Gebhardt (SPD). Im Bereich der Menschenrechtsfragen bezüglich China seien keine großen Fortschritte gemacht worden. Sie hätte sich einen stärkeren Akzent der deutschen Ratspräsidentschaft auf diese Themen gewünscht, so Gebhardt. Ein Grund für das mäßige Vorankommen sei auch das ausgefallene Gipfeltreffen im September in Leipzig.

      Zum ersten Mal hätten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten gemeinsam mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping an einem Tisch sitzen sollen und die Europäer mit einer Stimme sprechen können, so die Idee. In Peking sah man der Zusammenarbeit mit Berlin entgegen: Zwischen den beiden Seite gebe es ein “tiefes politisches Vertrauen”, schrieb die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua vor Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft. Staatspräsident Xi schätze die “objektive und rationale Haltung der Bundesregierung” in der Corona-Pandemie

      Politische Durchbrüche wurden von dem Treffen vorab jedoch nicht erwartet. Für Peking stand vor allem die Stabilisierung der EU-Beziehungen im Mittelpunkt, die angesichts der Corona-Krise und den wirtschaftlichen Folgen, des Vorgehens der Polizei in Hongkong und der Forderung Washingtons nach einem einheitlichen Standpunkt gegen China nicht unter dem besten Stern standen. Ein Videotreffen im Juni war nach einem eher verhaltenen Austausch ohne gemeinsame Erklärung zu Ende gegangen. 

      Dass persönliche Gespräche vor Ort mit einem Online-Gipfel nicht ersetzbar seien, sei eine Sache, so Gebhardt. Der langsame Fortschritt liege aber auch daran, wie sich China in letzter Zeit verhalte, so die SPD-Politikerin. Sie kritisiert das Informationsverhalten um den Ursprung des Coronavirus und dass es keine Bewegung bei Menschenrechtsfragen, wie etwa dem Thema der Uiguren im Nordwesten der Volksrepublik, gebe. “Auch da hätte ich mir mehr Druck gewünscht”, sagt die SPD-Politikerin. Auf die Situation der Uiguren angesprochen forderte zuletzt auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron in einem Interview eine starke gemeinsame Antwort der Europäer. 

      EU einig bei Sanktionsmechanismus 

      Hoffnung liegt in diesen Fragen nun auf dem neu beschlossenen EU-Sanktionsmechanismus, mit dem Menschenrechtsverletzungen schneller und stärker bekämpft und bestraft werden sollen. Die EU-Staaten hatten sich unter deutscher Federführung Anfang Dezember auf ein entsprechendes Instrument geeinigt. Wie effektiv dieses ist, werde sich dann in der Praxis zeigen, sagt David McAllister, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament. “In jedem Fall ist es positiv, dass sich der Rat endlich auf global geltende Sanktionsmechanismen bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen geeinigt hat.” Der deutschen Ratspräsidentschaft sei das ein wichtiges Anliegen gewesen, so McAllister. 

      Die Reaktion der EU auf Chinas Vorgehen gegen Proteste, die sich gegen das Hongkonger Sicherheitsgesetz richteten, war Ende Juli noch als zu lasch kritisiert worden. Die EU-Staaten hatten Exporte, die zur Niederschlagung von Protesten oder zur Überwachung von Kommunikation genutzt werden können, weiter eingeschränkt. CDU-Politiker McAllister betont, die EU zeige eine deutliche Haltung gegenüber China. Die Volksrepublik sei zwar ein wichtiger globaler Partner. “Allerdings sind wir auch entschlossen, dem Einfluss Chinas dort entgegenzutreten, wo er Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gefährdet.”

      Portugal setzt einen neuen Ton

      Noch wenige Tage währt Merkels Präsidentschaft – ob das Investitionsschutzabkommen nun noch unterschrieben wird oder nicht. Am Neujahrstag 2021 wird Portugal den Staffelstab übernehmen. Die gemeinsame Geschichte Chinas und Portugals ist wegen der ehemaligen portugiesischen Kolonie Macau länger als die anderer EU-Staaten. Portugal ist außerdem einer der größten Pro-Kopf-Empfänger chinesischer Investitionen in Europa, vor allem im Energie-, Banken und Versicherungssektor. Chinas Botschafter in Portugal, Cai Run, bezifferte die chinesischen Investitionen Ende 2018 mit mehr als neun Milliarden Euro. Von den Portugiesen erwarten die Europaabgeordneten generell eine andere Tonart gegenüber China.

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      RCEP: Partner im Konflikt

      Die Messebesucher trauten Anfang November in Shanghai ihren Augen nicht. Auf der dritten internationalen Import Messe (CIIE), die von Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich eröffnet wurde, hat die Präsenz Australiens gegenüber 2019 um 20 Prozent zugenommen. Mehr als 180 australische Unternehmen haben ihre Produkte ausgestellt. So viele wie noch nie. Verträge und Vereinbarungen im Wert von 350 Millionen US-Dollar wurden dabei unterzeichnet. “Wir können mit China zusammenarbeiten”, erklärte der australische Finanzminister Josh Frydenberg dazu.

      Nur zwei Wochen später sind Australier und Chinesen dabei, als das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), das größte Freihandelsabkommen der Welt, nach acht Jahren abgeschlossen wird. Und wiederum nur Tage später nimmt der stellvertretende Außen- und Handelsminister Christopher Langman auf Einladung der Chinesen an einer Konferenz Peking teil.

      Gleichzeitig jedoch streiten sich China und Australien politisch erbittert. Einer der Höhepunkte:  Zhao Lijian, der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, postete auf Twitter ein offensichtlich bearbeitetes Bild eines australischen Soldaten aus dem Netz, der einem Kind ein Messer an den Hals hält. Dazu schrieb er: “Keine Angst, wir kommen, um euch Frieden zu bringen”. Hintergrund des Posts sind Vorwürfe über von Soldaten der australischen Armee begangene Kriegsverbrechen im Afghanistan-Einsatz. Angehörige einer Eliteeinheit sollen danach mindestens 39 afghanische Zivilisten getötet haben. Der australische Premier Scott Morrison verlangt von Peking eine Entschuldigung für den Tweet. 

      Zuvor hatte Peking zahlreiche australische Waren mit Einfuhrrestriktionen belegt, darunter wichtige Exportgüter wie Wein, Holz oder Kohle. Australische Containerschiffe ankern nun vor der chinesischen Küste und dürfen ihre Waren nicht löschen. Peking erklärt zwar, dass es sich lediglich um Anti-Dumping-Maßnahmen handelt und nicht um einen politisch motivierten Warenboykott. Das bezweifeln aber die Australier.

      Huawei war der erste Konfliktpunkt

      Die Eiszeit begann 2018, als Australien als einer der ersten westlichen Staaten das chinesische Unternehmen Huawei vom Ausbau des 5G Netzes ausschloss. Und Canberra forderte später auch als kurz nach der amerikanischen Regierungen eine unabhängige Kommission zur Untersuchung des Coronavirus-Ursprungs in WuhanR

      Wohl auch deshalb hat Australien noch keine Klage bei der Welthandelsorganisation WTO geführt, die in den vergangenen Jahren China immer wieder in die Schranken gewiesen hat – aber nicht nur China.  

      Doch bedeutet der Streit zwischen China und Australien, dass RCEP vom ersten Tag an nicht rund läuft? Wahrscheinlich nicht. Denn solche Konflikte sind in der Region nicht neu. Einen heftigeren, wenn auch nicht so langen, Streit fochten 2017 China und Südkorea aus. Peking war verstimmt darüber, dass die Südkoreaner das US-Raketenabwehrsystem THAAD installierten, dessen Radar bis nach China reicht. Der Streit eskalierte und gipfelte unter anderem darin, dass Peking die China-Filialen der südkoreanische Kaufhauskette Lotte schließen ließ, Touristenreisen einstellte und südkoreanische Autos kaum noch verkauft werden konnten. Doch nach einer Weile gab Peking nach: Die installierten US-Anlagen sind geblieben. Südkorea musste nur vage die “Besorgnis Chinas” anerkennen und versprechen, “den Sicherheitsinteressen Chinas Rechnung zu tragen”. Heute sind Seoul und Peking engere Partner, denn je. Mit Vietnam und den Philippinen gab es ähnliche Phasen der Verstimmung.

      RCEP-Sieger: Japan und Korea

      Wer diese asiatischen Konflikte beobachtet, stellt schnell fest: Die Streitigkeiten münden früher oder später in pragmatischen Lösungen. Selbst in dem immer wieder aufflammende Dauerkonflikt der Chinesen mit den Indern gewinnt am Ende die Deeskalation.  

      Das ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Gründe, warum die größte Freihandelszone der Welt überhaupt zustande gekommen ist, die in ihrer Vielfältigkeit, aber auch Widersprüchlichkeit, weltweit einmalig ist. Sie umfasst Länder mit sehr unterschiedlichen politischen Systemen wie Südkorea und Australien auf der einen Seite und Singapur, Vietnam und China auf der anderen. Sie vereint alte politische Rivalen wie China und Japan, bringt aber auch sehr arme und sehr reiche Länder mit unterschiedlichen Größen und religiösen Prägungen zusammen, von Buddhisten in China über Christen in den Philippinen bis zu Indonesien, dem größten muslimischen Staat der Welt. Entscheidend war dabei vor allem eines: Peking musste sicherstellen, dass China nicht zum einzigen Gewinner des Abkommens wird. Denn das war die größte Sorge der anderen Partnern. Vor allem deshalb haben die Verhandlungen über sieben Jahre gedauert. Inzwischen kommen die meisten westlichen Analysten zu dem Ergebnis, das vor allem Japan und Südkorea davon profitieren. Während RCEP für China insgesamt in zehn Jahren nur 0,5 Prozent mehr Wirtschaftswachstum bringt, sind es bei Japan dann schon signifikante 15 Prozent. Australien könnte auch zu den Gewinnern gehören. Dazu müsste der Streit mit den Chinesen aber enden, was gegenwärtig nicht abzusehen ist, aber wohl eher früher als später passieren wird. Denn die australischen Unternehmen suchen Chinas Märkte. Was man an der überraschend guten Beteiligung an der Shanghaier Importmesse sieht. Frank Sieren

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      November-Produktion: Plus 7 Prozent

      Die chinesische Wirtschaft setzt ihren Wachstumskurs offenbar unvermindert fort. Darauf deuten aktuelle Daten aus Industrie und Einzelhandel hin. Wie das Pekinger Statistikamt am Dienstag mitteilte, legte die Produktion in den Industriebetrieben im November im Vorjahresvergleich um sieben Prozent zu, womit das Tempo aus dem Oktober (6,9 Prozent) noch leicht übertroffen werden konnte. Einen erneuten Sprung machten auch die Einzelhandelsumsätze, die nach einem Plus von 4,3 Prozent im Oktober im November um fünf Prozent zulegten. Die Investitionen in Sachanlagen stiegen derweil im Zeitraum von Januar bis Ende November um 2,6 Prozent. Wie gravierend die Folgen eines knallharten Lockdown seien können, hatte Chinas Wirtschaft im Frühjahr zu spüren bekommen. Zum ersten Mal seit Beginn der offiziellen Aufzeichnungen im Jahr 1992 musste im ersten Quartal ein negatives Wachstum von 6,8 Prozent hingenommen werden. Von diesem Coronavirus-bedingten Tief hat sich die chinesische Wirtschaft aber seither erholt. Im dritten Quartal wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft im Vorjahresvergleich um 4,9 Prozent. Schon das reichte, um den vorangegangenen Einbruch im Frühjahr abzufangen.  Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass die chinesische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 1,9 Prozent zulegen wird. Damit wäre sie die einzige große Volkswirtschaft, die überhaupt ein Plus schaffen wird. Frs

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      Daimler: Einfluss Chinas regeln

      Daimler-Aufsichtsratschef Manfred Bischoff fordert eine gemeinsame industriepolitische Strategie der Europäischen Union zur Regulierung politischer Einflussnahme auf die Wirtschaft. Mit Blick auf chinesische Investoren mahnte Bischoff in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die EU müsse regulieren, ob und unter welchen Bedingungen chinesische Investoren mit staatlichem Hintergrund in Zukunft Firmen in der EU kaufen können. Zu entscheiden sei, sagte Bischoff, ob es Unternehmen geben soll, die “nicht unter den Einfluss anderer politischer Entscheidungsträger geraten sollen”. Ausdrücklich warnte der Chefaufseher, der im Frühjahr in Pension geht, vor einer zu defensiven Haltung Europas im amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt. Er gehe davon aus, dass es zwischen China und den USA auch unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden keine Annäherung geben werde und europäische Unternehmen, die mehrheitlich in chinesischem Besitz sind, “mit Reaktionen von amerikanischer Seite zu rechnen haben”. Deshalb stelle sich die Frage: “Wie erhalten wir in Europa den freien Zugang zu beiden großen Partnern, Amerika und China?” asi

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      Peking geht gegen Monopole vor

      Auch die chinesische Regierung will nun gegen Monopole vorgehen. Wie die South China Morning Post berichtet, wurde jeweils eine Tochtergesellschaft des E-Commerce-Konzerns Alibaba Group Holding wie auch der Tencent Holdings und des Express-Lieferunternehmens SF Holding von der Kartellbehörde mit einer Geldstrafe von je 500.000 Yuan (62.795 Euro) bestraft. Die Unternehmen sind Alibaba Investment, der E-Book-Verlag China Literature und der Express-Schließfachsystembetreiber Shenzhen Hive Box Technology. Das Antimonopolbüro geht damit erstmals öffentlich gegen das Monopol-Verhalten in der Online-Wirtschaft vor. Zuletzt hatte Peking angekündigt, die Interessen der Verbraucher stärken zu wollen. niw

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        Peru stoppt Sinopharm-Test

        Bei der Entwicklung seines Corona-Impfstoffs hat der chinesische Hersteller Sinopharm einen Rückschlag erlitten. Wie die Deutsche Welle berichtet, hat Peru klinische Tests des Impfstoffs des Unternehmens wegen gesundheitlicher Probleme bei Testpersonen ausgesetzt. Als einziges Land hatten Anfang Dezember die Vereinigten Arabischen Emirate den chinesischen Impfstoff zugelassen und damit erstmals Details über die Wirksamkeit eines chinesischen Impfstoffes öffentlich gemacht. In der entscheidenden dritten Studienphase habe sich eine Wirksamkeit von 86 Prozent ergeben, teilte das emiratische Gesundheitsministerium mit. werden könne. In China selbst gibt es neben Sinopharm mit Anhui Zhifei Longcom, CanSino, und Sinovac noch drei weitere Unternehmen, die sich in der Endphase der Impstoff-Entwicklung befinden. Eine endgültige Zulassung im Inland wurde bisher noch keiner der Firmen erteilt, jedoch wird damit in den nächsten Tagen gerechnet. China hat das Ziel ausgegeben, bis Ende des Jahres 600 Millionen Dosen auf den Markt zu bringen. Staatsmedien berichten seit Wochen über eingeschränkte Impfungen bestimmter Bevölkerungsgruppen – etwa von Militärangehörigen und Klinikpersonal, aber auch von Diplomaten und Angestellten von Staatskonzernen. Allein Sinopharm hat seinen Impfstoff nach eigenen Angaben bereits an mehr als eine Millionen Menschen verabreicht. GKO

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        Standpunkt

        2020 – China im Vorteil

        Von Joschka Fischer
        Joschka Fischer zur Corona-Krise
        Joschka Fischer war Außenminister und Vizekanzler. Heute führt er die Strategieberatung Joschka Fischer & Company

        Das Jahr 2020 wird in die Geschichte als das Jahr der großen Covid-19-Pandemie eingehen, zu Recht. Zugleich aber wird es auch das Jahr des Endes der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA sein. Beides hängt zweifellos eng zusammen, und wird erhebliche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Schleifspuren hinterlassen. 

        Beide Ereignisse, die Pandemie als auch die vierjährige Präsidentschaft von Donald Trump, finden auf dem historischen Hintergrund einer Zeit des Übergangs statt, weg von einer amerikanisch dominierten Welt des 20. Jahrhunderts hin zu einer chinesisch dominierten Welt des 21. Jahrhunderts.

        Legt man diese Perspektive an, so erweist sich das Jahr 2020 als ein sehr erfolgreiches Jahr für China, wobei es zu Beginn des Jahres überhaupt nicht danach aussah. In der Millionenmetropole Wuhan am Jangtsekiang hatte sich ein großer Covid-19-Ausbruch ereignet, der sich aufgrund schwerer Versäumnisse der Behörden zu einer globalen Pandemie ausweitete und neben zahlreichen Toten die gesamte Weltwirtschaft zum Stillstand brachte. Zu Beginn der Corona-Krise sah es auch so aus, als wenn sich in China eine Vertrauenskrise zwischen Führung und Bevölkerung auftäte.

        Ein Land, zwei Systeme

        Darüber hinaus war China durch Donald Trump und die USA in einen Handelskrieg verwickelt worden, bei dem es damals den Anschein hatte, als ob es in die Knie gezwungen werden würde. Zudem hatte die aktive Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong durch administrative Maßnahmen Pekings das Misstrauen gegenüber den Absichten der chinesischen Führung im Westen erheblich gesteigert. Die bisherige Zauberformel von “ein Land, zwei Systeme” war damit faktisch erledigt, denn sie hatte durch das Vorgehen Pekings in Hongkong jede Glaubwürdigkeit verloren, und dieser Vertrauensverlust warf damit sofort die Frage nach der zukünftigen Entwicklung in der Straße von Taiwan auf: Würde es dort auch ohne diese Formel in Zukunft friedlich bleiben?

        Gegen Ende dieses Jahres 2020 sieht die Lage jedoch aus chinesischer Perspektive völlig anders aus. Die Versäumnisse zu Beginn der Pandemie scheinen vergessen zu sein. Von einer großen Vertrauenskrise zwischen Bevölkerung und Führung gibt es keine Spur. Der autoritäre chinesische Einparteienstaat hatte mittels rigoroser Maßnahmen das Coronavirus zügig eingedämmt, die Wirtschaft zum Wiederanspringen gebracht und auch das gesellschaftliche Leben findet fast wieder uneingeschränkt statt.

        RCEP ein geopolitischer Coup Chinas

        Im Handelskrieg mit den USA hat China nicht nachgegeben, die Unterdrückung der  Demokratiebewegung in Hongkong scheint zu funktionieren und in diesem November ist Peking noch ein echter handels- und geopolitischer Coup gelungen. Mit der Unterzeichnung des Handelsvertrags Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) wird in Ost- und Südostasien die größte Freihandelszone der Welt geschaffen, die den riesigen Markt Chinas mit den Asean-Staaten von Indonesien über Singapur bis Vietnam verbinden wird. Auch die engsten und wirtschaftlich wichtigsten Verbündeten der USA in der Region wie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland sind Teil dieser Freihandelszone, nur eben nicht die USA.

        Hier stößt man nun auf ein sehr gutes Beispiel für den Unterschied zwischen einer TV-Soap und der geopolitischen Realität. Im Januar 2017 zog der frisch im Amt befindliche US-Präsident die Unterschrift der USA unter dem von Präsident Obama fertig ausverhandelten Freihandelsvertrag Trans Pacific Partnership (TPP) zurück. In Peking konnte man damals sein unverhofftes Glück wohl kaum fassen, und seitdem arbeitete man offensichtlich an dem Ausnutzen dieses großzügigen Geschenks des Donald Trump. Jetzt war man also erfolgreich, und mit dieser Freihandelszone werden auch neue geopolitische Realitäten geschaffen. Um das Zentralgestirn China mit seinem riesigen Markt herum wird sich ein System von Abhängigkeiten bilden und verstärken, die auf Dauer die chinesische Dominanz im indo-pazifischen Raum verstärken werden. In Peking wird man zu Recht diesen Handelsvertrag als Stärkung seiner geopolitischen Einflusszone im Indo-Pazifik verstehen. Kurz gesagt, China geht aus dem Krisenjahr 2020 in dieser Übergangszeit gestärkt hervor.

        Ganz anders die USA. Bedingt durch Trump, den Wahlkampf um die Präsidentschaft und eine völlig außer Kontrolle geratene Entwicklung der Pandemie im Land sind die USA vor allem auf sich selbst zentriert und vermitteln einen Eindruck von tiefer Gespaltenheit, Chaos und Schwäche. Ein solcher Eindruck wird nun ebenfalls geopolitische Konsequenzen haben, und es bleibt daher die große Frage, ob angesichts der großen innenpolitischen Herausforderungen einschließlich einer wirksamen Bekämpfung der Pandemie ein Präsident Biden genug Kraft haben wird, um die USA aus dieser Spirale des Niedergangs wieder herauszuführen. 

        Reicht dazu der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen den beiden politischen Lagern dieses großen Landes noch aus? Angesichts der gegenwärtigen postelektoralen Wirren ist die Antwort darauf eher eine skeptische.

        Amerika wird in diesen turbulenten Zeiten einer Pandemie und einer in der gleichen Zeit eskalierenden Rivalität um die Führungsrolle im internationalen politischen System und in der Weltwirtschaft, um die globale Hegemonie also, seine Freunde brauchen, und seine Freunde werden die USA unter Biden brauchen, denn ohne sie droht die hegemoniale Dominanz Pekings, und dies ist alles andere als eine beruhigende Aussicht. 

        Es wird Zeit, dass Europa aufwacht

        Und wie diese aussieht, machte erst vor wenigen Tagen ein “Diktat” in vierzehn Punkten von Peking gegenüber Australien zweifelsfrei klar. Peking setzt unverhohlen auf Handelsbarrieren, zum Beispiel wegen des Ausschlusses der beiden chinesischen Firmen ZTE und Huawei aus dem australischen 5G-Netz, des Verhaltens Australiens in multilateralen Foren und negativer Medienberichte über China. Unter Multilateralismus scheint Peking den Kotau zu verstehen, das sollten auch und gerade die Europäer nicht vergessen. 

        Es wird Zeit, dass Europa aufwacht. Donald Trump geht spätestens nächsten Januar aufs Altenteil und mit ihm seine nationalistische Außenpolitik. Wenn an dessen Stelle Xi Jinping mit seinem “Make China great again!” träte, wäre gar nichts gewonnen, sondern Tribut und Kotau träten an die Stelle des abtretenden “wohlmeinenden” Hegemons mit seinem Freiheitsversprechen.  

        Copyright: Project Syndicate, 2020.

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        Portrait

        Qu Dongyu

        Qu Dongyu - FAO-Generalsekretär
        FAO-Generalsekretär 屈冬玉 (Qu Dongyu)

        Qu Dongyu ist kartoffelbegeistert. Und das, obwohl der Generalsekretär der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) eigentlich der Sohn von Reisbauern ist. Seine Doktorarbeit schrieb der Agrarwissenschaftler über neue Techniken bei der Produktion von Kartoffelsamen, 2004 holte er den internationalen Kartoffelkongress erstmals nach China und als Vize-Gouverneur der autonomen Region Ningxia fuhr er von Farm zu Farm, um die Bauern in den Bergen Westchinas von den Vorteilen neuer Kartoffelsorten zu überzeugen.

        Als Qu im Juni 2019 in Rom zum Generalsekretär der FAO gewählt wurde, ging es ausnahmsweise nicht um Kartoffeln, ja, noch nicht einmal um Landwirtschaft. Stattdessen befand sich Qu im Zentrum eines diplomatischen Machtkampfs. Anstatt sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen, hatten EU und USA jeweils ihre eigenen Favoriten ins Rennen um das Amt geschickt. Derweil betrieben chinesische Diplomaten fleißig Lobbyarbeit – Berichten zufolge inklusive Schuldenerlassen, Besuchen in Luxushotels für Delegierte und massiven Einschüchterungen. Das Ergebnis war deutlich: 108 von 191 Stimmen gingen an Qu, und China hatte die vierte der fünfzehn UN-Sonderorganisation gekapert – so zumindest empfanden es viele europäische und US-Diplomaten.

        Qus Geburtsdatum ist unbekannt

        Das Getöse um seine Wahl schien Qu unangenehm zu sein. Er versicherte, er habe nicht nur eine “asiatische Seele”, sondern auch ein “globales Bewusstsein” und wolle sich unparteiisch in den Dienst der FAO stellen. Tatsächlich gibt es an seiner fachlichen Expertise kaum einen Zweifel. Als Wissenschaftler und Politiker zu einer Zeit, in der China große Erfolge beim Kampf gegen Hunger und Armut feiern konnte und seine Landwirtschaft grundlegend modernisierte, verfügt er über wichtige Erfahrung für die internationale Zusammenarbeit. Vor seiner Wahl war Qu Vize-Landwirtschaftsminister der Volksrepublik, Vize-Gouverneur der westchinesischen autonomen Region Ningxia und Vizepräsident der chinesischen Landwirtschaftsakademie.

        Geboren im Oktober 1963 (sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt), gehört Qu zur ersten chinesischen Generation, die nach dem Chaos der Kulturrevolution wieder an die Universitäten durfte. Bereits mit sechzehn studierte er Agrarwissenschaften und erklomm schnell die akademische Karriereleiter: Er forschte an der landwirtschaftlichen Akademie in Peking und promovierte an der Universität Wageningen in den Niederlanden. Auch nach Beginn seiner politischen Karriere sah er sich weiterhin als Forscher und zeigte bei jeder Gelegenheit, dass er trotz Doktortitel auch noch auf dem Feld arbeiten konnte. Angeblich war seine Haut zu seiner Zeit als Vize-Gouverneur von Ningxia so sonnengegerbt, dass er problemlos als Kartoffelbauer durchgegangen wäre.

        Bislang scheint es, als stelle Qu allen Befürchtungen zum Trotz die Mission der FAO über nationalstaatliche Muskelspiele. Er stellte Ernährungssicherheit und Armutsbekämpfung in den Fokus seiner Amtszeit und startete eine Initiative für mehr Innovation und Transparenz der FAO. Jonas Borchers

        • Agrar

        Personalien

        Florian Braun is the new Head of Ocean EMEA (Europe – Middle-East – Africa) for the European Ocean team at digital freight forwarder Flexport. Braun’s predecessor, Martin Holst Mikkelsen, moves to Singapore as Head of Ocean Asia in January. Braun was most recently Vice President of Ocean 4.0 at DB Schenker, where he was responsible for the company’s digital Ocean strategy. Prior to that, he worked as Trade Lane Manager at DHL in China.

        Emer Cooke becomes the first woman to head the European Medicines Agency (EMA), which is also responsible for the approval of Covid vaccines in Europe, among other things. Cooke also served as head of inspections and head of international affairs at the EMA in London until 2016.

        Christian Wiendick is the new general manager of the new Kempinski Hotel in Jinan, Shandong. He comes from the Kempinski Hotel in Fuzhou.

        Elmar Stumpf is chairman of the board of the China Network Baden-Wuerttemberg. The network was launched a few days ago. Stumpf, now a management consultant, spent six years in China working for Bosch und Siemens Hausgeraete GmbH. Members of the network’s advisory board include Corinne Abele, head of foreign trade at Germany Trade & Invest (GTAI), based in Shanghai; Tassilo Zywietz, managing director of foreign trade & services at the Stuttgart Chamber of Industry and Commerce; and Martin Broda, head of China at Landesbank Baden-Württemberg, based in Shanghai.

        Geneva-based private bank Edmond de Rothschild has a new head of Asia since the beginning of the month: Sharon Xie. She will be based in Zurich, serving clients in Asia and developing new products and services for the region. Xie most recently headed the Market Leader China team at UBS, a major Swiss bank, where she primarily served clients from China. Her predecessor, Jing Zhang Brogle, has moved to competitor Quintet Switzerland.

        • HSBC

        Dessert

        Foto: Aurélien Mole, Courtesy the artist / Balice Hertling

        “The Horse with Eye Blinders” nennt der Hamburger Bahnhof in Berlin die erste Einzelausstellung der chinesische Malerin und Fotografin Xinyi Cheng (31). Sie ist Preisträgerin des Baloise Kunst-Preis 2019. Ursprünglich sollte die Ausstellung Anfang Dezember eröffnet werden. Nun steht eine Corona-Alternative im Netz.

        CHINA.TABLE Redaktion

        CHINA.TABLE REDAKTION

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