im Jahr 2010 saß ich in Chengdu bei einem chinesischen Schriftsteller auf der Couch seines Wohnzimmers und hörte zu, wie er auf einer tibetischen Flöte spielte. Er erzählte von seinen Erfahrungen aus chinesischen Gefängnissen, in denen er jahrelang eingesessen hatte, von der Ächtung durch den chinesischen Staat wegen seiner Texte und seines politisches Engagements. Er wirkte damals desillusioniert, geradzu aparthisch.
Durch ihn wurde die zerstörerische Kraft sichtbar, die Diktaturen gnadenlos anwenden, wenn sie Menschen dafür bestrafen, dass die den Staat kritisieren. Er bot ein trauriges Bild, scheinbar all seiner Kraft beraubt, für Bürger- und Menschenrechte zu kämpfen.
Dass der Eindruck täuschte, stellte sich in den Jahren danach hinaus, nachdem ihm die Flucht aus China nach Deutschland gelungen war, wo er seit 2011 im Exil lebt. Seine Schaffenskraft blühte auf und sein Widerstand gegen Diktaturen erfuhr in Romanen und Essays einen zweiten Frühling.
Heute teilt Liao Yiwu im China.Table mit uns seine Ansichten zum Krieg in der Ukraine und zur Gefahr, die von Staatschefs wie Xi Jinping und Wladimir Putin für die Welt ausgeht. Er fordert uns auf, nicht zurückzuweichen. Das hat er selbst auch nie getan.
In den deutschen Medien ist Russlands Krieg in der Ukraine ein Dauerthema. Ganz anders sieht das in China aus. Dort spielt der Krieg medial eine viel kleinere Rolle. Was dort an Video-Aufnahmen und Bildern gezeigt wird, ist streng kuratiert. Berichterstattung von chinesischen Journalisten und Journalistinnen von vor Ort gibt es nur vereinzelt. Zudem müssen sich die Journalisten an strenge Regeln halten.
Für ihre Berichterstattung gibt es gewisse Vorgaben, erklärt eine Journalistin im Gespräch mit China.Table. Begriffe wie “Invasion” dürften nicht verwendet werden. Die 33-Jährige arbeitet in Europa für chinesische Medien. Ihre Arbeit hat sie auch an die Grenze zu Polen geführt, von wo aus sie über das Schicksal ukrainischer Flüchtlinge berichtete. “Zu viel Empathie und zu viel Leid der geflohenen Menschen soll eigentlich nicht gezeigt werden”, sagt sie über die Berichte in chinesischen Staatsmedien. Sie selbst sei überrascht gewesen, dass sie während des Einsatzes an der Grenze so viele Berichte über Geflohene machen sollte und teilweise in einer Weise berichten durfte, die sie selbst als “Putin-kritisch” bezeichnet.
“Es gibt Berichte darüber, wie schlimm die Situation ist”, betont die Journalistin. Viele in China informierten sich mittlerweile nicht mehr nur über staatliche Fernsehsender oder Zeitungen, sondern in den sozialen Medien oder auf Blogs freier Journalisten. Natürlich würden die Informationen stark kontrolliert und zensiert – die Menschen wüssten aber durchaus, was in der Ukraine passiere, glaubt die Journalistin, die seit mehreren Jahren in Deutschland lebt.
Chinesische Journalisten und Journalistinnen teilen selten Berichte oder Bilder ihrer Arbeit im Kriegsgebiet in sozialen Netzwerken. Der Erfahrungsbericht des Xinhua-Korrespondenten Lu Jinbo ist deshalb eine Besonderheit. Lu fuhr am Abend des 24. Februar nach eigenen Angaben von Minsk in Belarus in Richtung Kiew, um dort einen Kollegen zu unterstützen. Für die staatliche Nachrichtenagentur schrieb er einen Bericht über die mühsame Fahrt durch das Grenzgebiet mit gesprengten Brücken und anderen Hindernissen.
In den Tagen nach Beginn des russischen Angriffs finden sich online verschiedene Video-Clips von Lu in der ukrainischen Hauptstadt. In einer selbst gefilmten Sequenz berichtet er von einer “speziellen Militär-Operation” Russlands. Das Video wurde über Xinhua verbreitet. Auch Fotos aus den Metro-Stationen in Kiew, in denen Menschen Schutz suchen, sind von Lu. Zu den ersten Verhandlungsgesprächen zwischen der Ukraine und Russland im Grenzgebiet zu Belarus finden sich Fotos in der Nachrichtenagentur, die laut Urheberkennung ebenfalls von Lu gemacht wurden.
Für Aufsehen unter Medienschaffenden sorgte zu Beginn des Kriegs auch der Fall des chinesischen Reporters Lu Yuguang. Er ist Moskau-Korrespondent für den chinesischsprachigen TV-Sender Phoenix. Ein auf Weibo veröffentlichtes Video zeigte Lu mit russischem Militär bereits am 22. Februar im Süden Russlands, wenige Kilometer von der Grenze zu Luhansk entfernt. In einer Live-Schalte am 24. Februar ist der Reporter mit chinesischen Studenten an der russisch-ukrainischen Grenze zu sehen.
Am 2. März interviewte Lu zudem den russischen Offizier Denis Puschilin, das Oberhaupt der selbsternannten “Volksrepublik Donezk”, über den Fortschritt der russischen “Entmilitarisierung” vor Ort. Der chinesische Journalist trägt in den Videos, anders als sonst üblich, keine Sicherheitsausrüstung mit klarer Presse-Kennzeichnung, sondern ebenfalls beige Kleidung. In einem Video, das am 6. März ausgestrahlt wurde, dagegen trägt Lu militärische Schutzausrüstung. Er ist nach eigenen Aussagen in der schwer umkämpften Stadt Mariupol.
Ob Lu mit den russischen Truppen reist, also als Journalist “embedded” (“eingebettet”) ist, wie es im Fachjargon heißt, ist unklar. Seine bisherigen Berichte legen es jedoch nahe. Zudem ist Lu selbst ehemaliger Militär und ihm werden enge Beziehungen zur russischen Armee nachgesagt. Er berichtete bereits von beiden Tschetschenien-Kriegen und lebt seit Jahren in Moskau. Dass Lu als einziger Reporter diesen engen Zugang zu den russischen Soldaten hat, ließ Beobachter munkeln, ob Peking bereits vorab über die russischen Pläne informiert war. Belege gibt es dafür nicht.
Auch der Korrespondent des staatlichen Auslandssenders CGTN, Aljoša Milenković, erhielt Zugang zu der selbst proklamierten “Volksrepublik Donezk”. In einem Auto, auf dessen Scheiben das “Z” als Symbol für die Unterstützung der Invasion gezeichnet ist, wird er zu einem Dorf außerhalb der Stadt Donezk gebracht, um dort humanitäre Hilfsaktionen zu begleiten. Er stellt fest, dass Schilder “noch” in ukrainischer Sprache sind und die Menschen mit ukrainischer Währung ihr Brot bezahlen – vor der örtlichen Schule wehe aber bereits die Flagge der “DPR” (“Donetsk People’s Repulic”). Milenkovic berichtet von großem militärischen Aufgebot in der Region. Dabei handele es sich um Soldaten der DPR, er habe “nicht einen russischen Soldaten” gesehen.
Dass Korrespondenten in der russisch kontrollierten Region “willkommener” sind, weil sie pro-russisch berichten, lässt sich nur vermuten. Für einige westliche Medien wurde indes sogar die Berichterstattung aus Russland immer schwieriger: Wegen des neuen russischen Gesetzes über “Fake News” hatten die deutschen Sender ARD und ZDF beschlossen, temporär die Berichterstattung aus Moskau einzustellen.
Für die chinesischen Korrespondenten war die russische Gesetzesnovelle zur Unterbindung der Worte “Krieg” und “Invasion” kein Problem, schätzt David Bandurski, der für das Chinese Media Project der Universität Hongkong chinesische Berichterstattung analysiert. “Die Journalisten, die in Russland sind, sind mit ziemlicher Sicherheit für staatliche Medien dort und werden in Moskau willkommen geheißen”, so Badurski. Ihre Informationen bekommen sie seiner Ansicht nach rein über russische Quellen wie die Nachrichtenagentur TASS, aber auch Russia Today, Sputnik und direkt von der russischen Regierung.
Badurski verweist auf Berichte des staatlichen Fernsehsenders CCTV, die ein rein pro-russisches Narrativ widergeben und die Ukraine gemeinsam mit der Nato als den Aggressor darstellen. Als Beispiel nennt er einen Bericht des Moskauer CCTV-Korrespondenten Yang Chun zur aktuellen Lage. “Er basiert ausschließlich auf Informationen der russischen Regierung und verwendet Archivbilder.” Das sei ein sehr typisches Beispiel für Berichte, die derzeit aus Russland für Sender in der Volksrepublik produziert würden. Chinesische Staatsmedien betrieben in keiner Weise eine aktive Berichterstattung, sondern übernähmen Informationen von den genehmen Agenturen.
Auf der internationalen Bühne präsentiert sich China dieser Tage als diplomatischer Vermittler. Gleichzeitig hält die chinesische Führung offiziell an der “strategischen Partnerschaft” mit Russland fest. Ein “Eiertanz”, wie Cora Francisca Jungbluth von der Bertelsmann-Stiftung im heutigen China.Table-Standpunkt feststellt.
In den staatlichen und semi-offiziellen Medien der Volksrepublik finden sich deshalb auch kaum Beiträge über das Leid der ukrainischen Bevölkerung, den Widerstand der ukrainischen Armee oder die solidarischen Gesten europäischer Länder. Wohl wissend um die Macht der Worte, vermeiden Staatsmedien die Bezeichnung “Krieg”.
In der Volkszeitung Renmin Ribao (人民日报), bei Zhongguowang (中国网) oder Xinhua (新华网) wird ausschließlich vom “russisch-ukrainischen Konflikt” (俄乌冲突) oder der “Situation in der Ukraine” (乌克兰局势) gesprochen. Die Berichterstattung zu den Entwicklungen in Osteuropa drehen sich überwiegend um das Vorankommen der Verhandlungsgespräche zwischen Russland und der Ukraine (俄乌外长在土耳其安塔利亚举行会晤) oder die Lage am russischen Finanzmarkt (俄央行采取措施稳定金融市场).
Die Schlagzeilen in China dominierten zuletzt dagegen andere Ereignisse. Die fünte Tagung des 13. Landeskomittees der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (PKKCV; 政协第十三届全国委员会), abgelöst von Berichten zur Abschlussfeier der Paralympics am vergangenen Sonntag im Pekinger Vogelnest.
Auf der generell nationalistisch orientierten Internetseite Gunacha.cn (观察者) findet sich dennoch einmalig auch die Bezeichnung “Russland-Ukraine Krieg” (俄乌战争). John Mearsheimer nutzt sie in einem Gastbeitrag, der Antworten auf die Frage sucht, wer den Krieg verursacht habe (谁引发了俄乌战争). Er findet sie schließlich bei der Nato, die damit in der Wahrnehmung der Leser einen Krieg verursacht hat, keinen Konflikt.
Chinas Diskussion um die Invasion der Ukraine versucht vor allem, einen Schuldigen zu finden. Dabei wird auf historische Wunden verwiesen. Vornehmlich diese: Während des Jugoslawien-Krieges 1999 wurde im Rahmen der “Operation Allied Force” die chinesische Botschaft in Belgrad durch die Nato bombardiert. Chinesische Medien erinnerten am 24. Februar 2022 zeitgleich und reflexartig an die fünf Nato-Bomben von damals, die drei Tote und 21 Verletzte zur Folge hatten, während sich die internationale Berichterstattung auf den russischen Einmarsch in der Ukraine konzentrierte.
Als Washington die chinesische Regierung vor wenigen Wochen dazu mahnte, die Volksrepublik sei dazu verpflichtet, Russland in die Schranken zu weisen, reagierte das chinesische Außenministerium pikiert. Sprecherin Hua Chunying kreierte den Hashtag “Die USA sind nicht befugt, China Vorschriften zu machen” (#美方来告诉中方怎么做#). Sie schuf damit ein “Trending Topic” im chinesischen sozialen Netzwerk Weibo. Unter dem Hashtag #北约至今还欠中国一笔血债# verwies sie gar auf die “Blutschuld” der USA, die seit 1999 gegenüber China immer noch bestehe.
Mit diesem historischen Beispiel suggeriert die chinesische Führung eine Mitschuld der USA an den Entwicklungen in Osteuropa und verlagert den Fokus “von der eigenen Verantwortung auf die Unverantwortlichkeit der USA“. Die Beiträge wurden 1,2 Millionen Mal in China geklickt.
Wer sich online zu laut gegen den Krieg ausspricht, läuft Gefahr als “pro-amerikanisch” aufzufallen. Entsprechende Slogans spinnen über Sozialmedien diesen Zusammenhang. “Bist Du gegen den Krieg, musst Du auch gegen die USA sein.” Oder: “Wer gegen den Krieg, aber nicht gegen die Amerikaner ist, führt nichts Gutes im Schilde” (反战不反美,心里都有鬼). Der implizierte Vorwurf darin: Man könne nicht den Ukraine-Krieg verdammen, ohne Kriege mit amerikanischer Beteiligung zu verurteilen.
Für viele chinesische Nutzer befeuerte der Ukraine-Krieg jedoch eine zentrale Zukunftsfrage: das Schicksal Taiwans. Ende Februar wurde der Suchbegriff “Taiwan” etwa so häufig wie “Russland-Ukraine Konflikt” in chinesische Suchmaschinen eingegeben, Diskussionen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Ukraine und Taiwan mehren sich in den sozialen Medien (今日乌克兰,明日台湾?).
Viele sehen in der russischen Invasion einen Weckruf für alle Einwohner:innen des Inselstaates, dass sich die Situation kurzfristig extrem zuspitzen könnte. Wieder andere sehen darin eine Warnung an die Volksrepublik, in welcher Weise der Westen Konflikte beeinflussen und militärische Unterstützung bereitstellen könnte. Auf die anhaltenden Diskussionen hin rief das chinesische Staatsfernsehen CCTV den Hashtag #台湾的前途希望在于实现国家统一# ins Leben: “Die Hoffnung für Taiwans Zukunft liegt in der Verwirklichung der nationalen Wiedervereinigung.”
Das chinesische Außenministerium betont via Hashtag, die Situation in der Ukraine sei nicht mit der in Taiwan vergleichbar (#台湾问题同乌克兰问题没有任何可比性#). Im sozialen Netz kursiert derweil ein Bild, das ein Schwein namens “Taiwan” zeigt und die Schlachtung eines anderen namens “Ukraine” über einen Zaun hinweg beobachtet.
Die Kreativität der Chines:innen ist bemerkenswert, denn auch dieses soziale Ereignis hat ein neues Idiom entstehen lassen. Die Redewendung “无心工作” beschreibt den Zustand, “keine Lust haben zu arbeiten”. Im gleichklingenden Wortspiel “乌心工作” wurde das erste Zeichen durch das Schriftzeichen für “Ukraine” getauscht. So bringen die chinesischen Netizens ihre Sorgen um die Situation in der Ukraine zum Ausdruck: Sie “können sich wegen der Russland-Ukraine-Krise nicht auf die Arbeit konzentrieren”.
Eine Zahl, die das bestätigen könnte: Die Weibo-Themenseite #关注俄乌局势最新进展#, die über die neuesten Geschehnisse in der Ukraine auf dem Laufenden hält, erhielt bereits am 24. Februar 2022 mehr als zwei Milliarden Aufrufe. Julia Weibel
Peking nimmt seine Staatsunternehmen verstärkt in die Pflicht, mehr zur wirtschaftlichen Förderung der Autonomen Provinz Xinjiang beizutragen. Der kommende Fünfjahresplan sieht 38 Investitionsprojekte durch elf Firmen in staatlicher Hand vor. Das Volumen soll knapp 100 Milliarden US-Dollar betragen. Die Vereinbarungen wurden vergangene Woche am Rande des Nationalen Volkskongresses in Peking getroffen.
Zu den Unternehmen gehören Schwergewichte wie die China National Petroleum Corp, die China Petroleum and Chemical Corp sowie die State Grid Corp of China. Neben Öl und Kohle sollen auch Firmen aus den Sektoren Erneuerbare Energien, Maschinenbau und Infrastruktur in Xinjiang investieren.
Die Zentralregierung in Peking sieht in der wirtschaftlichen Entwicklung der Region im Nordwesten der Volksrepublik das zentrale Argument für ihre Behauptung, die Menschenrechtssituation in Xinjiang habe sich drastisch verbessert. Tatsächlich klammert sie bei dieser Beurteilung ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegenüber der muslimischen Minderheiten aus (China.Table berichtete).
Vornehmlich sind in Xinjiang die Uiguren Opfer radikaler Geburtenkontrolle, die von zahlreichen demokratischen Regierungen, Parlamenten und Politikern als Völkermord bezeichnet wird (China.Table berichtete). Schätzungen zufolge sind in Xinjiang zwischen einer und 1,5 Millionen Menschen in Internierungslagern untergebracht. Das belegen staatliche Dokumente, Satellitenbilder und Zeugenaussagen. grz
Die Behörden in Hongkong machen abermals von der extraterritorialen Reichweite des Nationalen Sicherheitsgesetzes Gebrauch. Die Polizei droht dem Mitbegründer des Onlineportals Hong Kong Watch, Benedict Rogers, im Falle seiner Rückkehr in die Stadt mit einer mehrjährigen Haftstrafe. Die Behörden argumentieren mit vermeintlichen Verstößen gegen das Nationale Sicherheitsgesetz, auf dessen Basis seit 2020 politischer Dissens nahezu willkürlich strafverfolgt werden kann.
Rogers ist britischer Staastsbürger und Gründer der Menschenrechtskommission der Konservativen Partei Großbritanniens. Im November 2017 hatte er Hong Kong Watch mitbegründet, nachdem ihm ein Monat zuvor die Einreise in die frühere britische Kronkolonie verweigert worden war. Die Behörden der Stadt, in der er zwischen 1997 und 2002 gelebt hatte, werfen ihm jetzt “Konspiration mit ausländischen Kräften” vor, einer von vier Straftatbeständen des Nationalen Sicherheitsgesetzes.
In dem Schreiben der Polizei heißt es, Rogers müsse als Verantwortlicher Repräsentant dafür sorgen, dass die Internetseite hongkongwatch.org binnen 72 Stunden offline geht. Andernfalls drohe eine Geldstrafe in Höhe von 100.000 HK-Dollar (rund 11.600 Euro) oder besagte Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Die Organisation hat bereits angekündigt, die Forderung nicht erfüllen zu wollen. Ohnehin ist Hong Kong Watch in der Stadt blockiert und ohne VPN-Tunnel nicht erreichbar.
Rogers ist nicht der erste Ausländer außerhalb Hongkongs, dem die Behörden der Stadt auf Grundlage des Sichertheitsgesetzes mit Strafverfolgung drohen. Anfang vergangenen Jahres waren Ermittlungen gegen vier dänische Parlamentarier aufgenommen worden, weil sie einem Hongkonger Oppositionellen zur Flucht nach Europa verholfen hatten (China.Table berichtete). grz
Der tibetische Sänger Tsewang Norbu ist den schweren Verletzungen nach seiner Selbstanzündung erlegen. Die International Campaign for Tibet (ICT) bestätigte den Tod des 25-Jährigen, der sich Ende Februar vor dem Potala-Palast in Lhasa in Brand gesetzt hatte (China.Table berichtete). ICT verwies auf nicht genannte Quellen. In der Vorwoche hatte die Organisation noch mitgeteilt, dass es keine gesicherten Informationen gebe, ob Norbu tatsächlich verstorben sei oder nicht.
Chinesische Beamte hatte den Schwerverletzten ins “Volkskrankenhaus der Autonomen Region Tibet” gebracht, dort tagelang abgeschirmt und nach dessen Tod am ersten März-Wochenende eine öffentliche Verlautbarung vermieden. Was mit dem Leichnam geschah, weiß ICT nicht.
Seit 2009 haben sich 158 Tibeter aus Protest gegen die Besatzung der Region und die Unterdrückung ihrer Bevölkerung durch die chinesische Regiuerung selbst angezündet. Nur rund zwei Dutzend überlebten die Verbrennungen. grz
Viele unschuldige Menschen sind schon gestorben. Viele werden noch sterben, verwundet werden, verstümmelt, vertrieben, verschwinden. All das wegen eines Traums von einem Reich. Und nicht nur der verrückte Putin träumt einen solchen Traum. Da ist noch einer, er heißt Xi Jinping.
Putin und Xi Jinping, die beiden größten Schurken der Welt, haben einander bei der Eröffnung der Olympiade in Peking getroffen, im Scheinwerferlicht der internationalen Gemeinschaft. Sie waren wie zwei Kriegskameraden. Und sie haben eine unheilige Allianz geknüpft: Eine Zusammenarbeit “ohne Grenzen” wurde verlautbart. Das ist eine neue faschistische Achse. Putin hat von Xi Bestellungen im Wert von über 100 Milliarden Dollar in die Hand bekommen. Sie haben vereinbart, dass Putin wartet, bis die Olympischen Spiele vorbei sind.
Am Tag des Kriegsausbruchs, dem 24. Februar, hat Xi Jinping die Spitzen der Ministerien des Handels, der Staatssicherheit und der Auslandsbeziehungen, sowie der Streitkräfte bei einer Dringlichkeitssitzung angewiesen, Russland zu helfen. China lässt Russland an der Abrechnung in chinesischen Yuan teilhaben, um den Ausschluss von Swift und der Abrechnung in Dollar abzufedern. Russlands große Unternehmen beteiligen sich an finanziellen Organisationen in China. Schon über zwei Wochen gibt es einen unbegrenzten Kriegs-Luftkorridor, große Transportmaschinen auf dem Weg nach Russland drängen sich auf den Flughafenbahnen von Peking.
Außerdem hat die chinesische Regierung Stimmen gegen den Ukraine-Krieg in China zum Schweigen gebracht, und sie haben sogar die Übertragung der Eröffnungsrede des Vorsitzenden der Paralympischen Spiele gestört.
Die Menschheit ist jetzt schon über zwei Jahre im Würgegriff der tödlichen Pandemie, die in Wuhan begonnen hat. Jetzt hat uns auch noch Putins atomare Drohung im Griff.
Deshalb verurteile ich auf das Schärfste, dass der Diktator Putin die ganze russische Bevölkerung für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gekidnappt hat! Das ist die größte territoriale Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg. Vielleicht beginnt so der Dritte!
Sollte Putin siegen, wird ihn Xi nachahmen und Taiwan überfallen! Das wird viel, viel grausamer als die Niederschlagung der Freiheit in Hongkong!
Politiker*innen, Militärs, Unternehmer*innen, Wissenschaftler*innen, alle Bewohnerinnen und Bewohner demokratischer Länder, erinnern Sie sich an Diktatoren, die viele Millionen von unschuldigen einfachen Menschen auf dem Gewissen haben? Hitler, Stalin, Pol Pot… Merken Sie sich bitte: Putin und Xi Jinping sind solche Diktatoren, sie sind jetzt gerade dabei, Ähnliches anzurichten.
Wir kämpfen schon die ganze Zeit mit dem Virus, jetzt auch noch dieser Angriffskrieg, wir können nicht zurückweichen!
Unterstützung für die Ukraine ist Unterstützung für uns selbst, für uns alle. Übersetzt von Martin Winter
Von Liao Yiwu erschien im Januar das Buch “Wuhan: Dokumentarroman”, S. Fischer Verlag, 352 Seiten. Er ist Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Seit 2011 lebt er in Berlin.
im Jahr 2010 saß ich in Chengdu bei einem chinesischen Schriftsteller auf der Couch seines Wohnzimmers und hörte zu, wie er auf einer tibetischen Flöte spielte. Er erzählte von seinen Erfahrungen aus chinesischen Gefängnissen, in denen er jahrelang eingesessen hatte, von der Ächtung durch den chinesischen Staat wegen seiner Texte und seines politisches Engagements. Er wirkte damals desillusioniert, geradzu aparthisch.
Durch ihn wurde die zerstörerische Kraft sichtbar, die Diktaturen gnadenlos anwenden, wenn sie Menschen dafür bestrafen, dass die den Staat kritisieren. Er bot ein trauriges Bild, scheinbar all seiner Kraft beraubt, für Bürger- und Menschenrechte zu kämpfen.
Dass der Eindruck täuschte, stellte sich in den Jahren danach hinaus, nachdem ihm die Flucht aus China nach Deutschland gelungen war, wo er seit 2011 im Exil lebt. Seine Schaffenskraft blühte auf und sein Widerstand gegen Diktaturen erfuhr in Romanen und Essays einen zweiten Frühling.
Heute teilt Liao Yiwu im China.Table mit uns seine Ansichten zum Krieg in der Ukraine und zur Gefahr, die von Staatschefs wie Xi Jinping und Wladimir Putin für die Welt ausgeht. Er fordert uns auf, nicht zurückzuweichen. Das hat er selbst auch nie getan.
In den deutschen Medien ist Russlands Krieg in der Ukraine ein Dauerthema. Ganz anders sieht das in China aus. Dort spielt der Krieg medial eine viel kleinere Rolle. Was dort an Video-Aufnahmen und Bildern gezeigt wird, ist streng kuratiert. Berichterstattung von chinesischen Journalisten und Journalistinnen von vor Ort gibt es nur vereinzelt. Zudem müssen sich die Journalisten an strenge Regeln halten.
Für ihre Berichterstattung gibt es gewisse Vorgaben, erklärt eine Journalistin im Gespräch mit China.Table. Begriffe wie “Invasion” dürften nicht verwendet werden. Die 33-Jährige arbeitet in Europa für chinesische Medien. Ihre Arbeit hat sie auch an die Grenze zu Polen geführt, von wo aus sie über das Schicksal ukrainischer Flüchtlinge berichtete. “Zu viel Empathie und zu viel Leid der geflohenen Menschen soll eigentlich nicht gezeigt werden”, sagt sie über die Berichte in chinesischen Staatsmedien. Sie selbst sei überrascht gewesen, dass sie während des Einsatzes an der Grenze so viele Berichte über Geflohene machen sollte und teilweise in einer Weise berichten durfte, die sie selbst als “Putin-kritisch” bezeichnet.
“Es gibt Berichte darüber, wie schlimm die Situation ist”, betont die Journalistin. Viele in China informierten sich mittlerweile nicht mehr nur über staatliche Fernsehsender oder Zeitungen, sondern in den sozialen Medien oder auf Blogs freier Journalisten. Natürlich würden die Informationen stark kontrolliert und zensiert – die Menschen wüssten aber durchaus, was in der Ukraine passiere, glaubt die Journalistin, die seit mehreren Jahren in Deutschland lebt.
Chinesische Journalisten und Journalistinnen teilen selten Berichte oder Bilder ihrer Arbeit im Kriegsgebiet in sozialen Netzwerken. Der Erfahrungsbericht des Xinhua-Korrespondenten Lu Jinbo ist deshalb eine Besonderheit. Lu fuhr am Abend des 24. Februar nach eigenen Angaben von Minsk in Belarus in Richtung Kiew, um dort einen Kollegen zu unterstützen. Für die staatliche Nachrichtenagentur schrieb er einen Bericht über die mühsame Fahrt durch das Grenzgebiet mit gesprengten Brücken und anderen Hindernissen.
In den Tagen nach Beginn des russischen Angriffs finden sich online verschiedene Video-Clips von Lu in der ukrainischen Hauptstadt. In einer selbst gefilmten Sequenz berichtet er von einer “speziellen Militär-Operation” Russlands. Das Video wurde über Xinhua verbreitet. Auch Fotos aus den Metro-Stationen in Kiew, in denen Menschen Schutz suchen, sind von Lu. Zu den ersten Verhandlungsgesprächen zwischen der Ukraine und Russland im Grenzgebiet zu Belarus finden sich Fotos in der Nachrichtenagentur, die laut Urheberkennung ebenfalls von Lu gemacht wurden.
Für Aufsehen unter Medienschaffenden sorgte zu Beginn des Kriegs auch der Fall des chinesischen Reporters Lu Yuguang. Er ist Moskau-Korrespondent für den chinesischsprachigen TV-Sender Phoenix. Ein auf Weibo veröffentlichtes Video zeigte Lu mit russischem Militär bereits am 22. Februar im Süden Russlands, wenige Kilometer von der Grenze zu Luhansk entfernt. In einer Live-Schalte am 24. Februar ist der Reporter mit chinesischen Studenten an der russisch-ukrainischen Grenze zu sehen.
Am 2. März interviewte Lu zudem den russischen Offizier Denis Puschilin, das Oberhaupt der selbsternannten “Volksrepublik Donezk”, über den Fortschritt der russischen “Entmilitarisierung” vor Ort. Der chinesische Journalist trägt in den Videos, anders als sonst üblich, keine Sicherheitsausrüstung mit klarer Presse-Kennzeichnung, sondern ebenfalls beige Kleidung. In einem Video, das am 6. März ausgestrahlt wurde, dagegen trägt Lu militärische Schutzausrüstung. Er ist nach eigenen Aussagen in der schwer umkämpften Stadt Mariupol.
Ob Lu mit den russischen Truppen reist, also als Journalist “embedded” (“eingebettet”) ist, wie es im Fachjargon heißt, ist unklar. Seine bisherigen Berichte legen es jedoch nahe. Zudem ist Lu selbst ehemaliger Militär und ihm werden enge Beziehungen zur russischen Armee nachgesagt. Er berichtete bereits von beiden Tschetschenien-Kriegen und lebt seit Jahren in Moskau. Dass Lu als einziger Reporter diesen engen Zugang zu den russischen Soldaten hat, ließ Beobachter munkeln, ob Peking bereits vorab über die russischen Pläne informiert war. Belege gibt es dafür nicht.
Auch der Korrespondent des staatlichen Auslandssenders CGTN, Aljoša Milenković, erhielt Zugang zu der selbst proklamierten “Volksrepublik Donezk”. In einem Auto, auf dessen Scheiben das “Z” als Symbol für die Unterstützung der Invasion gezeichnet ist, wird er zu einem Dorf außerhalb der Stadt Donezk gebracht, um dort humanitäre Hilfsaktionen zu begleiten. Er stellt fest, dass Schilder “noch” in ukrainischer Sprache sind und die Menschen mit ukrainischer Währung ihr Brot bezahlen – vor der örtlichen Schule wehe aber bereits die Flagge der “DPR” (“Donetsk People’s Repulic”). Milenkovic berichtet von großem militärischen Aufgebot in der Region. Dabei handele es sich um Soldaten der DPR, er habe “nicht einen russischen Soldaten” gesehen.
Dass Korrespondenten in der russisch kontrollierten Region “willkommener” sind, weil sie pro-russisch berichten, lässt sich nur vermuten. Für einige westliche Medien wurde indes sogar die Berichterstattung aus Russland immer schwieriger: Wegen des neuen russischen Gesetzes über “Fake News” hatten die deutschen Sender ARD und ZDF beschlossen, temporär die Berichterstattung aus Moskau einzustellen.
Für die chinesischen Korrespondenten war die russische Gesetzesnovelle zur Unterbindung der Worte “Krieg” und “Invasion” kein Problem, schätzt David Bandurski, der für das Chinese Media Project der Universität Hongkong chinesische Berichterstattung analysiert. “Die Journalisten, die in Russland sind, sind mit ziemlicher Sicherheit für staatliche Medien dort und werden in Moskau willkommen geheißen”, so Badurski. Ihre Informationen bekommen sie seiner Ansicht nach rein über russische Quellen wie die Nachrichtenagentur TASS, aber auch Russia Today, Sputnik und direkt von der russischen Regierung.
Badurski verweist auf Berichte des staatlichen Fernsehsenders CCTV, die ein rein pro-russisches Narrativ widergeben und die Ukraine gemeinsam mit der Nato als den Aggressor darstellen. Als Beispiel nennt er einen Bericht des Moskauer CCTV-Korrespondenten Yang Chun zur aktuellen Lage. “Er basiert ausschließlich auf Informationen der russischen Regierung und verwendet Archivbilder.” Das sei ein sehr typisches Beispiel für Berichte, die derzeit aus Russland für Sender in der Volksrepublik produziert würden. Chinesische Staatsmedien betrieben in keiner Weise eine aktive Berichterstattung, sondern übernähmen Informationen von den genehmen Agenturen.
Auf der internationalen Bühne präsentiert sich China dieser Tage als diplomatischer Vermittler. Gleichzeitig hält die chinesische Führung offiziell an der “strategischen Partnerschaft” mit Russland fest. Ein “Eiertanz”, wie Cora Francisca Jungbluth von der Bertelsmann-Stiftung im heutigen China.Table-Standpunkt feststellt.
In den staatlichen und semi-offiziellen Medien der Volksrepublik finden sich deshalb auch kaum Beiträge über das Leid der ukrainischen Bevölkerung, den Widerstand der ukrainischen Armee oder die solidarischen Gesten europäischer Länder. Wohl wissend um die Macht der Worte, vermeiden Staatsmedien die Bezeichnung “Krieg”.
In der Volkszeitung Renmin Ribao (人民日报), bei Zhongguowang (中国网) oder Xinhua (新华网) wird ausschließlich vom “russisch-ukrainischen Konflikt” (俄乌冲突) oder der “Situation in der Ukraine” (乌克兰局势) gesprochen. Die Berichterstattung zu den Entwicklungen in Osteuropa drehen sich überwiegend um das Vorankommen der Verhandlungsgespräche zwischen Russland und der Ukraine (俄乌外长在土耳其安塔利亚举行会晤) oder die Lage am russischen Finanzmarkt (俄央行采取措施稳定金融市场).
Die Schlagzeilen in China dominierten zuletzt dagegen andere Ereignisse. Die fünte Tagung des 13. Landeskomittees der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (PKKCV; 政协第十三届全国委员会), abgelöst von Berichten zur Abschlussfeier der Paralympics am vergangenen Sonntag im Pekinger Vogelnest.
Auf der generell nationalistisch orientierten Internetseite Gunacha.cn (观察者) findet sich dennoch einmalig auch die Bezeichnung “Russland-Ukraine Krieg” (俄乌战争). John Mearsheimer nutzt sie in einem Gastbeitrag, der Antworten auf die Frage sucht, wer den Krieg verursacht habe (谁引发了俄乌战争). Er findet sie schließlich bei der Nato, die damit in der Wahrnehmung der Leser einen Krieg verursacht hat, keinen Konflikt.
Chinas Diskussion um die Invasion der Ukraine versucht vor allem, einen Schuldigen zu finden. Dabei wird auf historische Wunden verwiesen. Vornehmlich diese: Während des Jugoslawien-Krieges 1999 wurde im Rahmen der “Operation Allied Force” die chinesische Botschaft in Belgrad durch die Nato bombardiert. Chinesische Medien erinnerten am 24. Februar 2022 zeitgleich und reflexartig an die fünf Nato-Bomben von damals, die drei Tote und 21 Verletzte zur Folge hatten, während sich die internationale Berichterstattung auf den russischen Einmarsch in der Ukraine konzentrierte.
Als Washington die chinesische Regierung vor wenigen Wochen dazu mahnte, die Volksrepublik sei dazu verpflichtet, Russland in die Schranken zu weisen, reagierte das chinesische Außenministerium pikiert. Sprecherin Hua Chunying kreierte den Hashtag “Die USA sind nicht befugt, China Vorschriften zu machen” (#美方来告诉中方怎么做#). Sie schuf damit ein “Trending Topic” im chinesischen sozialen Netzwerk Weibo. Unter dem Hashtag #北约至今还欠中国一笔血债# verwies sie gar auf die “Blutschuld” der USA, die seit 1999 gegenüber China immer noch bestehe.
Mit diesem historischen Beispiel suggeriert die chinesische Führung eine Mitschuld der USA an den Entwicklungen in Osteuropa und verlagert den Fokus “von der eigenen Verantwortung auf die Unverantwortlichkeit der USA“. Die Beiträge wurden 1,2 Millionen Mal in China geklickt.
Wer sich online zu laut gegen den Krieg ausspricht, läuft Gefahr als “pro-amerikanisch” aufzufallen. Entsprechende Slogans spinnen über Sozialmedien diesen Zusammenhang. “Bist Du gegen den Krieg, musst Du auch gegen die USA sein.” Oder: “Wer gegen den Krieg, aber nicht gegen die Amerikaner ist, führt nichts Gutes im Schilde” (反战不反美,心里都有鬼). Der implizierte Vorwurf darin: Man könne nicht den Ukraine-Krieg verdammen, ohne Kriege mit amerikanischer Beteiligung zu verurteilen.
Für viele chinesische Nutzer befeuerte der Ukraine-Krieg jedoch eine zentrale Zukunftsfrage: das Schicksal Taiwans. Ende Februar wurde der Suchbegriff “Taiwan” etwa so häufig wie “Russland-Ukraine Konflikt” in chinesische Suchmaschinen eingegeben, Diskussionen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Ukraine und Taiwan mehren sich in den sozialen Medien (今日乌克兰,明日台湾?).
Viele sehen in der russischen Invasion einen Weckruf für alle Einwohner:innen des Inselstaates, dass sich die Situation kurzfristig extrem zuspitzen könnte. Wieder andere sehen darin eine Warnung an die Volksrepublik, in welcher Weise der Westen Konflikte beeinflussen und militärische Unterstützung bereitstellen könnte. Auf die anhaltenden Diskussionen hin rief das chinesische Staatsfernsehen CCTV den Hashtag #台湾的前途希望在于实现国家统一# ins Leben: “Die Hoffnung für Taiwans Zukunft liegt in der Verwirklichung der nationalen Wiedervereinigung.”
Das chinesische Außenministerium betont via Hashtag, die Situation in der Ukraine sei nicht mit der in Taiwan vergleichbar (#台湾问题同乌克兰问题没有任何可比性#). Im sozialen Netz kursiert derweil ein Bild, das ein Schwein namens “Taiwan” zeigt und die Schlachtung eines anderen namens “Ukraine” über einen Zaun hinweg beobachtet.
Die Kreativität der Chines:innen ist bemerkenswert, denn auch dieses soziale Ereignis hat ein neues Idiom entstehen lassen. Die Redewendung “无心工作” beschreibt den Zustand, “keine Lust haben zu arbeiten”. Im gleichklingenden Wortspiel “乌心工作” wurde das erste Zeichen durch das Schriftzeichen für “Ukraine” getauscht. So bringen die chinesischen Netizens ihre Sorgen um die Situation in der Ukraine zum Ausdruck: Sie “können sich wegen der Russland-Ukraine-Krise nicht auf die Arbeit konzentrieren”.
Eine Zahl, die das bestätigen könnte: Die Weibo-Themenseite #关注俄乌局势最新进展#, die über die neuesten Geschehnisse in der Ukraine auf dem Laufenden hält, erhielt bereits am 24. Februar 2022 mehr als zwei Milliarden Aufrufe. Julia Weibel
Peking nimmt seine Staatsunternehmen verstärkt in die Pflicht, mehr zur wirtschaftlichen Förderung der Autonomen Provinz Xinjiang beizutragen. Der kommende Fünfjahresplan sieht 38 Investitionsprojekte durch elf Firmen in staatlicher Hand vor. Das Volumen soll knapp 100 Milliarden US-Dollar betragen. Die Vereinbarungen wurden vergangene Woche am Rande des Nationalen Volkskongresses in Peking getroffen.
Zu den Unternehmen gehören Schwergewichte wie die China National Petroleum Corp, die China Petroleum and Chemical Corp sowie die State Grid Corp of China. Neben Öl und Kohle sollen auch Firmen aus den Sektoren Erneuerbare Energien, Maschinenbau und Infrastruktur in Xinjiang investieren.
Die Zentralregierung in Peking sieht in der wirtschaftlichen Entwicklung der Region im Nordwesten der Volksrepublik das zentrale Argument für ihre Behauptung, die Menschenrechtssituation in Xinjiang habe sich drastisch verbessert. Tatsächlich klammert sie bei dieser Beurteilung ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegenüber der muslimischen Minderheiten aus (China.Table berichtete).
Vornehmlich sind in Xinjiang die Uiguren Opfer radikaler Geburtenkontrolle, die von zahlreichen demokratischen Regierungen, Parlamenten und Politikern als Völkermord bezeichnet wird (China.Table berichtete). Schätzungen zufolge sind in Xinjiang zwischen einer und 1,5 Millionen Menschen in Internierungslagern untergebracht. Das belegen staatliche Dokumente, Satellitenbilder und Zeugenaussagen. grz
Die Behörden in Hongkong machen abermals von der extraterritorialen Reichweite des Nationalen Sicherheitsgesetzes Gebrauch. Die Polizei droht dem Mitbegründer des Onlineportals Hong Kong Watch, Benedict Rogers, im Falle seiner Rückkehr in die Stadt mit einer mehrjährigen Haftstrafe. Die Behörden argumentieren mit vermeintlichen Verstößen gegen das Nationale Sicherheitsgesetz, auf dessen Basis seit 2020 politischer Dissens nahezu willkürlich strafverfolgt werden kann.
Rogers ist britischer Staastsbürger und Gründer der Menschenrechtskommission der Konservativen Partei Großbritanniens. Im November 2017 hatte er Hong Kong Watch mitbegründet, nachdem ihm ein Monat zuvor die Einreise in die frühere britische Kronkolonie verweigert worden war. Die Behörden der Stadt, in der er zwischen 1997 und 2002 gelebt hatte, werfen ihm jetzt “Konspiration mit ausländischen Kräften” vor, einer von vier Straftatbeständen des Nationalen Sicherheitsgesetzes.
In dem Schreiben der Polizei heißt es, Rogers müsse als Verantwortlicher Repräsentant dafür sorgen, dass die Internetseite hongkongwatch.org binnen 72 Stunden offline geht. Andernfalls drohe eine Geldstrafe in Höhe von 100.000 HK-Dollar (rund 11.600 Euro) oder besagte Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Die Organisation hat bereits angekündigt, die Forderung nicht erfüllen zu wollen. Ohnehin ist Hong Kong Watch in der Stadt blockiert und ohne VPN-Tunnel nicht erreichbar.
Rogers ist nicht der erste Ausländer außerhalb Hongkongs, dem die Behörden der Stadt auf Grundlage des Sichertheitsgesetzes mit Strafverfolgung drohen. Anfang vergangenen Jahres waren Ermittlungen gegen vier dänische Parlamentarier aufgenommen worden, weil sie einem Hongkonger Oppositionellen zur Flucht nach Europa verholfen hatten (China.Table berichtete). grz
Der tibetische Sänger Tsewang Norbu ist den schweren Verletzungen nach seiner Selbstanzündung erlegen. Die International Campaign for Tibet (ICT) bestätigte den Tod des 25-Jährigen, der sich Ende Februar vor dem Potala-Palast in Lhasa in Brand gesetzt hatte (China.Table berichtete). ICT verwies auf nicht genannte Quellen. In der Vorwoche hatte die Organisation noch mitgeteilt, dass es keine gesicherten Informationen gebe, ob Norbu tatsächlich verstorben sei oder nicht.
Chinesische Beamte hatte den Schwerverletzten ins “Volkskrankenhaus der Autonomen Region Tibet” gebracht, dort tagelang abgeschirmt und nach dessen Tod am ersten März-Wochenende eine öffentliche Verlautbarung vermieden. Was mit dem Leichnam geschah, weiß ICT nicht.
Seit 2009 haben sich 158 Tibeter aus Protest gegen die Besatzung der Region und die Unterdrückung ihrer Bevölkerung durch die chinesische Regiuerung selbst angezündet. Nur rund zwei Dutzend überlebten die Verbrennungen. grz
Viele unschuldige Menschen sind schon gestorben. Viele werden noch sterben, verwundet werden, verstümmelt, vertrieben, verschwinden. All das wegen eines Traums von einem Reich. Und nicht nur der verrückte Putin träumt einen solchen Traum. Da ist noch einer, er heißt Xi Jinping.
Putin und Xi Jinping, die beiden größten Schurken der Welt, haben einander bei der Eröffnung der Olympiade in Peking getroffen, im Scheinwerferlicht der internationalen Gemeinschaft. Sie waren wie zwei Kriegskameraden. Und sie haben eine unheilige Allianz geknüpft: Eine Zusammenarbeit “ohne Grenzen” wurde verlautbart. Das ist eine neue faschistische Achse. Putin hat von Xi Bestellungen im Wert von über 100 Milliarden Dollar in die Hand bekommen. Sie haben vereinbart, dass Putin wartet, bis die Olympischen Spiele vorbei sind.
Am Tag des Kriegsausbruchs, dem 24. Februar, hat Xi Jinping die Spitzen der Ministerien des Handels, der Staatssicherheit und der Auslandsbeziehungen, sowie der Streitkräfte bei einer Dringlichkeitssitzung angewiesen, Russland zu helfen. China lässt Russland an der Abrechnung in chinesischen Yuan teilhaben, um den Ausschluss von Swift und der Abrechnung in Dollar abzufedern. Russlands große Unternehmen beteiligen sich an finanziellen Organisationen in China. Schon über zwei Wochen gibt es einen unbegrenzten Kriegs-Luftkorridor, große Transportmaschinen auf dem Weg nach Russland drängen sich auf den Flughafenbahnen von Peking.
Außerdem hat die chinesische Regierung Stimmen gegen den Ukraine-Krieg in China zum Schweigen gebracht, und sie haben sogar die Übertragung der Eröffnungsrede des Vorsitzenden der Paralympischen Spiele gestört.
Die Menschheit ist jetzt schon über zwei Jahre im Würgegriff der tödlichen Pandemie, die in Wuhan begonnen hat. Jetzt hat uns auch noch Putins atomare Drohung im Griff.
Deshalb verurteile ich auf das Schärfste, dass der Diktator Putin die ganze russische Bevölkerung für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gekidnappt hat! Das ist die größte territoriale Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg. Vielleicht beginnt so der Dritte!
Sollte Putin siegen, wird ihn Xi nachahmen und Taiwan überfallen! Das wird viel, viel grausamer als die Niederschlagung der Freiheit in Hongkong!
Politiker*innen, Militärs, Unternehmer*innen, Wissenschaftler*innen, alle Bewohnerinnen und Bewohner demokratischer Länder, erinnern Sie sich an Diktatoren, die viele Millionen von unschuldigen einfachen Menschen auf dem Gewissen haben? Hitler, Stalin, Pol Pot… Merken Sie sich bitte: Putin und Xi Jinping sind solche Diktatoren, sie sind jetzt gerade dabei, Ähnliches anzurichten.
Wir kämpfen schon die ganze Zeit mit dem Virus, jetzt auch noch dieser Angriffskrieg, wir können nicht zurückweichen!
Unterstützung für die Ukraine ist Unterstützung für uns selbst, für uns alle. Übersetzt von Martin Winter
Von Liao Yiwu erschien im Januar das Buch “Wuhan: Dokumentarroman”, S. Fischer Verlag, 352 Seiten. Er ist Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Seit 2011 lebt er in Berlin.