das Jahr 2022 war turbulent und hat uns als Journalisten und Sie als China-Profis laufend mit Überraschungen konfrontiert. 2023 beginnt erneut dramatisch mit einer Pandemie-Welle, die erhebliche Auswirkungen im In- und Ausland hat.
Wir haben den kritischen Künstler Ai Weiwei nach seinen Ansichten dazu gefragt. Er sieht hinter der eiligen Öffnung keinen Plan der Führung, sondern vermutet reines Chaos. Ob die offensichtlichen Fehler das Regime entscheidend schwächen? Nein, sagt Ai Weiwei. Dazu sitzt es zu fest im Sattel.
Derweil wartet die China-Communitygespannt auf die neue China-Strategie der Bundesregierung, von der erste Details ja bereits durchgesickert sind. Im Interview verteidigt Außenministerin Annalena Baerbock nun die Ideen und Ziele ihres Hauses. Deutschland habe “erlebt, was passieren kann, wenn wir uns massiv von einem Land abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt, das als autokratisches Regime im Wettbewerb zu unserer Demokratie steht”, sagte Baerbock. Daher sei eine Diversifizierung der Wirtschaft geboten. Die Grünen-Politikerin lobt in diesem Zusammenhang den deutschen Mittelstand – und kritisiert die Dax-Konzerne.
In der SPD wächst die Sorge, der harschere Ton – vorgegeben durch das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium – könne die Beziehungen zu China schwer beschädigen und den Wohlstand gefährden. Verstehen Sie diese Sorge?
In einer komplett vernetzten Welt kann man sich von keiner Region und erst recht nicht von einer der größten Volkswirtschaften abkoppeln. Deswegen ist die China-Strategie auch keine Entkopplungsstrategie. Aber wir haben erlebt, was passieren kann, wenn wir uns massiv von einem Land abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt, das als autokratisches Regime im Wettbewerb zu unserer Demokratie steht. Es macht uns verwundbar, und Vorsorge ist der beste Schutz. Ich sehe es als unsere Verantwortung als Regierung an, uns davor zu schützen, indem wir uns und die Wirtschaft systematisch in Außen-, Digital-, Infrastruktur- und Energiepolitik bestmöglich auf der Höhe der globalen Herausforderungen aufstellen.
Setzen Sie Russland und China gleich?
Nein. Aber wir haben erlebt, dass China sich in den letzten Jahren nicht nur immer weiter von unseren demokratischen Werten, sondern auch vom internationalen Recht und den Regeln für einen fairen Wettbewerb entfernt hat. Deshalb ist es in unserem ureigenen Wirtschaftsinteresse, uns von China nicht so abhängig zu machen, wie wir das bei Russland gemacht haben. Wir können doch nicht nochmal so unverantwortlich auf Sicht fahren nach dem Motto “so schlimm wird es schon nicht kommen” – im Falle Russlands bezahlen wir das jetzt teuer mit unzähligen Milliarden an Steuergeldern.
Das wird aber nicht ohne Folgen bleiben. Wie erklären Sie das Unternehmen und Beschäftigten, die um Geschäft und Arbeitsplätze fürchten?
Ich muss da meist nicht viel erklären. Gerade viele Mittelständler und Familienunternehmen betreiben in ihrem Chinageschäft kluges Risikomanagement, fahren aufgrund der härteren Gangart der letzten Jahre Investitionen in China zurück und diversifizieren sich im Indopazifik. Bei einigen DAX-Konzernen hat man den Eindruck, dass sie die volkswirtschaftlichen Risiken, aber auch die langfristigen Interessen ihres Unternehmens einfach ausblenden, weil für die Boni der Vorstände allein die nächsten fünf Jahre zählen. Für eine verantwortungsvolle Regierung muss allerdings das volkswirtschaftliche Interesse im Mittelpunkt stehen.
In dem Sinne war für viele das Grundsatzpapier des BDI von 2019 ein Wendepunkt, und nach dem Russland-Krieg hat sich der Wunsch nach Diversifizierung weiter verstärkt. Deshalb haben Robert Habeck und ich gemeinsam Vorschläge für eine sicherheitsbewusste Außenwirtschaftsförderung gemacht. Eine Außenpolitik, erst recht eine Außenwirtschaftspolitik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit unseren Wohlstand und sozialen Zusammenhalt gefährdet, wäre nicht nur kurzsichtig, sie wäre ein Sicherheitsrisiko.
Ist China zum Gegner geworden?
Nein. Es wäre eine Bankrotterklärung der Diplomatie, wenn wir nicht zumindest den Versuch unternehmen würden, mit allen Ländern konstruktive Beziehungen zu haben. Der Kern unserer Sicherheitsstrategie lautet, dass wir mit anderen Ländern in so vielen Bereichen wie möglich kooperieren und zusammenarbeiten wollen – und zugleich souverän und eigenständig handeln können müssen, wenn andere plötzlich zu unseren Lasten agieren. So sieht für mich eine strategische Souveränität Europas aus. Das betrifft nicht nur Infrastruktur oder Halbleiter, sondern auch wichtige Medikamente.
Und es betrifft eben nicht nur uns, sondern auch unsere Nachbarn. Wenn ich aus Sorge vor schlechten Beziehungen mit Autokraten bei schweren Regelbrüchen schweige – dann beschädige ich damit zugleich die vielen anderen Beziehungen zu all den Ländern, die Opfer dieser Regelbrüche sind, und die wir mit ihren Sorgen alleine lassen. Genau das haben wir bei Russland erlebt, und ich möchte nicht, dass sich das im Indopazifik wiederholt.
Das Interview mit Annalena Baerbock ist ein Auszug aus einem längeren Gespräch, das Berlin.Table mit der Außenministerin geführt hat. Weitere Themenschwerpunkte waren der Ukraine-Krieg, die Diplomatie mit dem Iran und Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien. Lesen Sie das Interview in voller Länge hier.
Es war ein turbulentes Jahr für China: Wir haben strenge Lockdowns gesehen, einen der wichtigsten Parteikongresse der vergangenen 30 Jahre, Aufruhr auf den Straßen und ein unerwartetes Ende von Null-Covid. Was hat Sie in diesem Jahr in China am meisten überrascht, und würden Sie das Jahr 2022 als einen Wendepunkt in der jüngeren chinesischen Geschichte betrachten?
Was heute in China geschieht, spricht für sich selbst. Trotz scheinbarer Klarheit sind sowohl Beobachter als auch Akteure innerhalb und außerhalb Chinas irgendwie verwirrt. Die Verwirrung ergibt sich aus der unvernünftigen, vom gesunden Menschenverstand und der Wissenschaft losgelösten Entscheidungs- und Umsetzungspraxis des Landes. Niemand weiß, warum die dynamische Null-Covid-Politik umgesetzt werden musste. Diese Maßnahmen löschten auf sehr brutale Weise grundlegende Eigenschaften der menschlichen Existenz aus und ließen die Menschen ohne Unterstützung durch Familien, Gemeinschaften, Freunde und medizinische Systeme zurück. In absoluten Zahlen ausgedrückt, wurden die Menschen wie Tiere regiert. Was uns in diesem Ausmaß dann doch überraschte.
Ja, in der chinesischen Kultur wird traditionell viel über Menschlichkeit nachgedacht, sowohl von den Regierenden als auch von den einfachen Menschen. Was China in den vergangenen drei Jahren während der Pandemie erlebt hat, ist beispiellos. Die plötzliche Wiedereröffnung steht im Widerspruch zur bisherigen Logik der Regierung und erschüttert das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung und ihre Politik schlagartig. Außerdem führt sie zu einer enormen Anzahl von Covid-Fällen. Fast jeder hat sich mit Covid infiziert. Es gibt also viel Panik und Tod. Damit wird die Legitimität des Regimes und seiner Politik erneut infrage gestellt.
Das plötzliche Ende der Zero-Covid-Beschränkungen folgten unmittelbar auf die Proteste in Peking und Shanghai. Sehen Sie eine neue Zivilgesellschaft auf dem Vormarsch?
Ich glaube nicht, dass es in China eine Bürgerrechtsbewegung gibt. Die Proteste kamen spontan zustande, vergleichbar mit der Reaktion, wenn wir uns die Finger in der Tür klemmen oder uns den Kopf stoßen. Es gibt in China keine bewussten Bürgerrechtsbewegungen, weil es keine “Bürger” im Sinne der westlichen Gesellschaft gibt: also Personen, die sich ihrer Informationsquelle bewusst sind und ihre Meinung kundtun, um eine Reaktion auszulösen, die der Gesellschaft zugutekommt. China unterliegt seit jeher einer strengen Zensur. Alle eingehenden Informationen und alle erlaubten Äußerungen werden streng kontrolliert. Abweichende Meinungen werden gelöscht und blockiert. Und Menschen mit abweichenden Meinungen werden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt.
Es ist also völlig falsch zu glauben, dass die Wiedereröffnung bedeutet, dass das Regime weich geworden ist. Die chinesische Regierung ist in jeder Hinsicht äußerst selbstbewusst, und das wird sich auch in Zukunft in ihrer Regierungsführung widerspiegeln.
Von außen betrachtet wirken Xi Jinpings Umgang mit Covid und das plötzliche Ende der Beschränkungen hilflos, widersprüchlich und chaotisch. Ist das eine Fehleinschätzung?
Die internationale Medienberichterstattung über China wird unabhängig von der Perspektive immer falsch sein. Wie soll man eine ungeordnete Regierung beurteilen, die ohne Logik agiert? Alle ihre Urteile werden sich als falsch erweisen. Die derzeit umgesetzte Politik bedeutet nicht, dass das Regime den Protesten nachgegeben hat. Tatsächlich sind alle Demonstranten verhaftet, und die Verhaftungen dauern noch an. Das löst kaum Reaktionen aus. Die Leute sorgen sich stattdessen eher um das Wohlergeben der Wirtschaft. Die politisch korrekte Parteilinie wird bei den Konjunkturproblemen jedoch kaum helfen.
Da der internationale Flugverkehr bereits im Januar 2023 ohne Quarantänemaßnahmen wieder aufgenommen werden könnte: Kann die Welt mit China bald wieder zur Tagesordnung übergehen?
Die ausländischen Geschäftsbeziehungen mit China werden wieder auf ein Niveau wie vor der Pandemie zurückkehren, da der internationale Handel in hohem Maße von China abhängig ist.
Was würden Sie den Menschen in China raten, die weiter langfristige Veränderungen fordern?
Ich habe keine Ratschläge zu geben. Ich habe mich einst selbst engagiert, wollte etwas verändern und habe hart dafür gearbeitet. Im Moment sitzen diejenigen, die sich genauso angestrengt haben, im Gefängnis. Unter einem solchen Regime funktioniert das alles nicht. Autokratische Regime sind dazu da, jegliche Bemühungen um den Aufbau einer Zivilgesellschaft zunichtezumachen.
Sie haben einmal gesagt: Die Macht der Kunst demütigt die politischen Eliten, wenn es um sozialen Wandel geht. Sehen Sie die weißen Blätter, die vielen Memes und die Wortspiel-Kritik in den sozialen Medien auch als eine Art künstlerischen Ausdruck?
Ich glaube nicht, dass es sich dabei um einen bewussten künstlerischen Ausdruck handelt. Diese Äußerungen sind so, wie sie sind, in Ermangelung besserer Optionen. Sie drücken nicht nur den Wunsch nach freiem Ausdruck aus, sondern verkörpern auch eine extreme Art von Hilflosigkeit.
Was ist Ihre größte Hoffnung für China und die Welt 2023?
Ich hoffe, dass China im Jahr 2023, wenn die Pandemie vorbei ist, zu einem gewissen Grad an Normalität zurückkehren kann. Was Taiwan betrifft, so bemüht sich das Regime der VR China um eine Lösung, aber ich denke, das Problem wird noch lange Zeit bestehen bleiben. Die Taiwan-Frage ist ein internationales Problem.
Welches sind die größten Gefahren, die wir sofort angehen müssen?
Die größten Gefahren sind heute nach wie vor die Konflikte zwischen zwei Welten: der herrschende Westen mit seiner alten Logik und seinen Globalisierungskonzepten gegen die neu entwickelten Länder wie China, Russland und andere, die eine weitere Entwicklung anstreben und eine andere Art von Ordnung vorschlagen. Es ist schwierig, diese beiden Welten miteinander in Einklang zu bringen. In Zukunft wird sich dieses Problem noch verschärfen.
Sie haben China vor acht Jahren verlassen. Was fehlt Ihnen am meisten?
Was ich vermisse, ist nicht China selbst, sondern vielmehr mein Recht, frei zu reisen. Zu diesem Recht gehört auch, dass ich zurückkehren kann, um meine Verwandten und Freunde zu besuchen.
Sie haben zwischen 2015 und 2019 in Berlin gelebt. Ihre Äußerungen, dass Deutschland autoritär und ausländerfeindlich sei, wurden breit diskutiert und auch politisch instrumentalisiert. Wie stehen Sie heute zu diesem Aufschrei? Fühlen Sie sich missverstanden?
Als Künstler überlege ich mir als erstes, wie ich meine Gefühle wahrheitsgetreu ausdrücken kann. Jeder kann die autoritären Züge Deutschlands beobachten, die tief in der Realität verwurzelt sind. Es ist ein kulturelles Problem und kann nicht von Einzelnen geändert werden. In jedem Land gibt es Anhänger des Autoritarismus, der Autokratie und sogar des Nationalsozialismus. Es ist nur so, dass jedes Land diese Gedanken in einer anderen Form und in einem anderen Ausmaß zum Ausdruck bringt. Deutschland weist in dieser Hinsicht meiner Meinung nach wesentliche Merkmale dieser Gedanken auf. Jeder Satz meiner Kritik ist richtig.
Sie sind nach wie vor eine der meistzitierten Personen chinesischer Herkunft in deutschen Medien. Ihre Stimme zählt, wenn es darum geht, China besser zu verstehen. Sie haben auch die Olaf-Scholz-Reise nach Peking nach dem Parteitag verteidigt. Was würden Sie jetzt deutschen und europäischen Politikern raten, wenn sie ihre China-Strategien planen?
Ich habe Olaf Scholz nie verteidigt. Was ich sagte: Sein Verhalten als Politiker ist nicht viel anders als das anderer Politiker. Deutschland schmeichelt sich nicht nur heuchlerisch bei der politischen Korrektheit (Anm. d. Red.: in China) ein. Es ist vielmehr bemüht, seinen eigenen Interessen gerecht zu werden. Scholz hat dafür keine Komplimente verdient. Was ich befürwortete, ist der politische Dialog. Oberflächlich betrachtet gibt es große Unterschiede in der Haltung der verschiedenen europäischen Länder, aber im Kern geben sie alle sich große Mühe, China bei Laune zu halten. Deutsche Politiker sind also nicht anders als andere Politiker in Europa.
Ai Weiwei, Künstler, geboren 1957, lebt derzeit in Portugal. Er setzt sich in seinen Werken mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinander. In China war er 2011 für mehrere Monate im Gefängnis und danach mit einem Ausreiseverbot belegt. Von 2015 bis 2019 lebte er in Berlin und lehrte an der Universität der Künste. Danach wechselte er nach Großbritannien. Ai hat die Fragen schriftlich beantwortet.
Die Women’s Tennis Association (WTA) möchte weiterhin keine Damen-Turniere in China stattfinden lassen, solange der Fall Peng Shuai nicht befriedigend aufgeklärt sei. “Wie wir es mit jeder Spielerin der Welt tun würden, haben wir eine formelle Untersuchung der Vorwürfe durch die zuständigen Behörden gefordert”, heißt es in einer Stellungnahme der WTA, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt.
Man habe zwar Bestätigungen erhalten, dass die 36-Jährige sicher sei. Ein persönliches Treffen sei jedoch bislang noch nicht zustande gekommen. “Wir halten weiterhin an unserer Position fest und unsere Gedanken bleiben bei Peng”, teilte die WTA mit.
Peng Shuai hatte im November 2021 im sozialen Netzwerk Weibo einem hochrangigen Parteikader sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Der Eintrag wurde jedoch gelöscht. Die Zensurbehörde blockierte zudem jeden weiteren Beitrag dazu im chinesischen Internet. Daraufhin sagte die WTA alle Turniere in China ab, darunter auch das Saisonfinale der WTA in Shenzhen mit den acht besten Spielerinnen der Saison. flee
Die Türkei will Staatsbürger mit uigurischen Wurzeln nicht an China ausliefern. Diese Haltung bestärkte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Damit nehme Ankara bewusst Verstimmungen im Verhältnis zur chinesischen Regierung in Kauf, sagte der Politiker. In der Türkei leben rund 50.000 Uiguren. Das Land ist die größte uigurische Diaspora außerhalb Zentralasiens.
Menschenrechtsorganisationen erheben jedoch Vorwürfe gegen die türkische Regierung, sie habe uigurische Dissidenten in Drittländer abgeschoben, die an die autonome Region Xinjiang grenzen. So sollte den chinesischen Behörden der Zugriff auf die Gesuchten vereinfacht werden, ohne die Türkei damit direkt in Verbindung zu bringen. In China erwartet unfreiwillige Rückkehrer eine Gefängnisstrafe oder die Einweisung in ein Umerziehungslager.
Çavuşoğlu widersprach dieser Darstellung jedoch nun eindeutig. Die chinesischen Auslieferungsanträge hätten sich nicht auf chinesische Staatsangehörige, sondern auf türkische Staatsangehörige bezogen, sagte er. Sie seien zudem allesamt abgelehnt worden. Anderslautende Berichte bezeichnete er als Lüge. Die Türkei würde die Rechte von türkischen Uiguren in der internationalen Arena verteidigen. grz
Der Hongkonger Kardinal Joseph Zen darf an der Beerdigung des emeritierten Papstes Benedikt XVI. teilnehmen. Die Behörden hätten dem 90-Jährigen die Ausreise gestattet, teilte sein Sekretariat am Dienstag mit. Dazu hatten Zens Anwälte in einer nicht öffentlichen Anhörung beim Gericht in West Kowloon die Rückgabe seines Hongkonger Passes beantragt. Die Beisetzung des im Alter von 95 Jahren verstorbenen ehemaligen Pontifex findet am Donnerstag im Vatikan statt.
Als Papst hatte Benedikt XVI. den damaligen Hongkonger Erzbischof zum Kardinal ernannt. Zen ist stets als Kritiker Chinas aufgetreten. So verurteilte er den 2018 zwischen dem Vatikan und der Volksrepublik geschlossenen Vertrag zur Ernennung katholischer Bischöfe in dem Land als Ausverkauf der chinesischen Untergrundkirche. Ab 2020 geriet Zen trotz seines Status als Kardinal in die Fänge des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes. Im Mai 2022 war Zen wegen des Verdachts auf Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften festgenommen worden (China.Table berichtete). Er und fünf weitere Aktivisten wurden im November zu Geldstrafen verurteilt. Der Grund war offiziell, dass sie es versäumt hatten, einen inzwischen aufgelösten Hilfsfonds anzumelden, der inhaftierte Teilnehmer der Massenproteste von 2019 unterstützen sollte. ck
Als die Regierung in Peking in der vergangenen Woche das Ende der Null-Covid-Politik verkündete, stürmten die Menschen auf die Weibo-Seite von Li Wenliang, um ihm die Nachricht zu überbringen. “Dr. Li, endlich ist es vorbei. Nach drei Jahren”, schrieb jemand.
Am 1. Februar 2020 schrieb der Whistleblower und Augenarzt aus Wuhan seine letzte Nachricht auf dem chinesischen Twitter-Gegenstück Weibo: “Heute wurde ich positiv auf Covid getestet. Der Staub hat sich gelegt. Endlich die Diagnose. (Hundegesicht-Emoji.)“.
Fünf Tage später verstarb er.
Lis Tod löste einen Tsunami der Trauer und Wut aus, wie er im chinesischen Netz noch nie dagewesen war: über das Ableben eines jungen, gewissenhaften Arztes, über die demütigenden Zurechtweisungen, die er über sich ergehen lassen musste, weil er andere über die Pandemie aufgeklärt hatte, und über die Vertuschung des Vorgangs durch die chinesische Regierung.
In zahlreichen Kommentaren unter Lis letztem Weibo-Eintrag lassen die Netzbürger seitdem ihrem Ärger freien Lauf, zollten ihm Respekt und wünschen ihm alles Gute für sein Leben nach dem Tod.
Dann fingen manche zudem an, mit ihm so in Dialog zu treten als redeten sie mit einem alten Freund, einem verstorbenen Bekannten oder einem verehrten Heiligen. Manchmal schreiben sie nur ein einfaches Hallo; sie schreiben ihm Geburtstagsglückwünsche (am 12. Oktober); sie posten Bilder von Lis Lieblingsessen, gebratenem Hähnchen. Einer hält Li sogar über die Ergebnisse der Fußballweltmeisterschaft auf dem Laufenden. Ein anderer erzählte Li jeden Abend einen Witz.
Meistens aber erzählen sie ihm aus ihrem Alltag, vor allem von der Not und dem Elend, das durch die Pandemie und die drakonischen Coronamaßnahmen der Regierung verursacht wurde.
Einige nennen es die Chinesische Klagemauer. Eine ausländische Internetseite fasst regelmäßig Beiträge dieser Klagemauer zusammen.
“Wie geht es Ihnen auf der anderen Seite, Dr. Li? Mein Onkel ist gestern gestorben, zwei Monate nach meinem Großvater. Ich hoffe wirklich, dass Sie ihn dort treffen. Ihr könntet zusammen etwas trinken“, lautet ein Kommentar.
“Es regnet draußen. Ich mag Regentage, weil ich dann weinen kann, ohne dass andere es merken“, schrieb ein anderer, ohne zu sagen, warum er oder sie traurig war.
Ein Großteil der Kommentare drehte sich in den Jahren mit Null-Covid um die endlosen Corona-Tests und alle möglichen Einschränkungen. Im Laufe der Zeit zeigten sich die Auswirkungen der Pandemie-Maßnahmen in verschiedenen Teilen des Landes auf ganz unterschiedliche Weise. Manche hatten monatelang nicht genug zu essen; eine saß auf einer Reise nach Xinjiang zwei Monate im Lockdown fest; wieder andere waren mehr als zehnmal von Lockdowns betroffen; jemand verlor seinen Job und konnte seine Hypothek nicht mehr zurückzahlen; jemand, der in Kanada lebt, erhielt kein Visum für die Einreise nach China, um seine sterbende Mutter zu besuchen … All dies wurde auf der Seite von Li geschrieben.
“Wann wird das aufhören? Dr. Li, dreht sich das Leben nur um Lockdowns und Corona-Tests?”
“Dr. Li, wir müssen uns jeden Tag auf Corona testen. Mein Sohn ist vier Jahre alt. Heute habe ich gesehen, wie er und seine Freunde ‘Doktor und Patient’ gespielt haben und so taten, als würden sie sich auf Corona testen. Corona-Tests Test, das ist seine gesamte Kindheit bislang. Ich bin so traurig.”
Einige Kommentare haben einen raueren Ton. “Ist die chinesische Welt anders als der Rest der Welt?”
“Es sind fast drei Jahre vergangen, und es ist alles immer noch gleich, nichts hat sich geändert”, schrieb jemand, der sich offensichtlich auf die Regierung bezog.
“Dr. Li, jetzt können Sie im Paradies frei atmen. Und niemand bestraft sie für die Wahrheit. Wenn Sie eine Reinkarnation in Erwägung ziehen, versuchen Sie es in einem anderen Land.”
Bereits vor seinem Tod gewann Li Wenliang das Mitgefühl der Bevölkerung, denn was ihm widerfuhr, war ein perfektes Beispiel dafür, wie die chinesische Regierung mit Krisen umgeht: Vertuschung und Bestrafung eines aufrichtigen Bürgers, der um die Wahrheit bemüht ist.
Was Li Wenliang in seinen letzten Tagen tat, macht seinen Fall noch ergreifender: Er postete ein Foto einer Polizeiverwarnung wegen “Verbreitung von Gerüchten”. In dem Dokument musste Li mit seiner Unterschrift und seinen roten Fingerabdrücken schwören, dass er sein “gesetzeswidriges Verhalten” einstellen würde, und musste außerdem erklären, dass er sich bewusst sei, dass er bestraft werden würde, wenn er so weitermache.
Etwa zur gleichen Zeit, als er das Dokument auf Weibo postete, gab Li ein Zeitungsinterview, in dem er sagte, dass er sich ungerecht behandelt fühle und folgende schallende Aussage machte: “In einer gesunden Gesellschaft sollte es nicht nur eine einzige Stimme geben.”
In einem Land, in dem die Menschen ständig in Angst leben, war diese Aussage eines äußerlich zurückhaltend wirkenden Arztes äußerst mutig.
Auch die Reaktion der Regierung auf die öffentliche Meinung um und nach dem Tod von Li ist einen genaueren Blick wert.
Selbstverständlich wurde Lis Weibo-Seite von den Zensoren streng überwacht. Vier Monate nach seinem Tod wurde die Kommentarfunktion auf seiner Seite geschlossen und sämtliche Kommentare wurden entfernt. Dies löste einen großen Aufschrei im Internet aus.
Daraufhin wurde die Kommentarfunktion wieder aktiviert und die alten Kommentare waren ebenfalls wieder da. Allerdings wurde die Reihenfolge der Kommentare geändert. Normalerweise erscheinen Kommentare mit den meisten Likes an erster Stelle. Doch nach der Umstellung erscheinen nun die neusten Kommentare ganz oben. Dies ist nur auf Li Wenliangs Seite so. Somit wurden die kritischsten, bewegendsten und aufsehenerregendsten Kommentare regelrecht ausgeblendet.
Zu diesem Zeitpunkt verzeichnete Lis letzter Beitrag bereits mehr als eine Million Kommentare. In den darauf folgenden zwei Jahren kamen ständig weitere hinzu, bis heute. Aber die Anzeige blieb bei “1 Millionen+” stehen. Eigentlich wird die tatsächliche Zahl der Kommentare eines Beitrages angezeigt, ohne Obergrenze.
Es schien also alles unter Kontrolle zu sein.
Doch gehen wir zurück zu der Nacht, in der Li Wenliang diese Welt verließ.
Laut Recherchen der New York Times verstarb Li am 6. Februar 2020, gegen 21 Uhr. Schon bald erreichte die Nachricht über seinen Tod auch die chinesischen sozialen Medien. Ein Vulkan des Zorns brach los, und es schien, als würde jeder der 1,4 Milliarden Chinesen weinen, schreien, fluchen und in den sozialen Medien nach Rache rufen.
Für einige Stunden geriet die Situation außer Kontrolle. Ich glaube, die Zensoren waren einfach überwältigt und gelähmt vom Ausmaß der Empörung. Sie mögen versucht haben, Beiträge zu löschen, haben es dann aber angesichts der gigantischen Menge an Kommentaren, die jeden Winkel des chinesischen Internets überschwemmten, aufgegeben.
Schließlich gab die Führung bekannt, dass Li immer noch im Krankenhaus versorgt werde. Sofort bezichtigten einige die Regierung der Lüge, um die Gemüter der Bevölkerung zu beruhigen. Einige ließen sich tatsächlich zu der Hoffnung verleiten, dass Li noch am Leben sei. Am nächsten Tag wurde er in den frühen Morgenstunden für tot erklärt, sechs Stunden später nach seinem eigentlichen Tod, nachdem die meisten Menschen bereits zu Bett gegangen waren.
Damals ging niemand auf die Straße. Die Rechnung der Regierung schien aufgegangen zu sein. Aber das Ausmaß der öffentlichen Reaktion im Netz war überwältigend. Die unbeholfene Reaktion der Regierung, wenn auch nur für einige Stunden, zeigte, dass ihr ausgeklügeltes Zensur- und Überwachungssystem nicht allmächtig ist.
Und das ließ sich auch im letzten Monat wieder beobachten, als die Leute mutig mit einem leeren weißen Blatt Papier auf die Straße gingen.
China wirkt oft wie ein stilles Becken. Die Menschen dort scheinen alles über sich ergehen zu lassen. Jetzt wissen wir, dass diese Auffassung nicht immer zutrifft.
das Jahr 2022 war turbulent und hat uns als Journalisten und Sie als China-Profis laufend mit Überraschungen konfrontiert. 2023 beginnt erneut dramatisch mit einer Pandemie-Welle, die erhebliche Auswirkungen im In- und Ausland hat.
Wir haben den kritischen Künstler Ai Weiwei nach seinen Ansichten dazu gefragt. Er sieht hinter der eiligen Öffnung keinen Plan der Führung, sondern vermutet reines Chaos. Ob die offensichtlichen Fehler das Regime entscheidend schwächen? Nein, sagt Ai Weiwei. Dazu sitzt es zu fest im Sattel.
Derweil wartet die China-Communitygespannt auf die neue China-Strategie der Bundesregierung, von der erste Details ja bereits durchgesickert sind. Im Interview verteidigt Außenministerin Annalena Baerbock nun die Ideen und Ziele ihres Hauses. Deutschland habe “erlebt, was passieren kann, wenn wir uns massiv von einem Land abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt, das als autokratisches Regime im Wettbewerb zu unserer Demokratie steht”, sagte Baerbock. Daher sei eine Diversifizierung der Wirtschaft geboten. Die Grünen-Politikerin lobt in diesem Zusammenhang den deutschen Mittelstand – und kritisiert die Dax-Konzerne.
In der SPD wächst die Sorge, der harschere Ton – vorgegeben durch das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium – könne die Beziehungen zu China schwer beschädigen und den Wohlstand gefährden. Verstehen Sie diese Sorge?
In einer komplett vernetzten Welt kann man sich von keiner Region und erst recht nicht von einer der größten Volkswirtschaften abkoppeln. Deswegen ist die China-Strategie auch keine Entkopplungsstrategie. Aber wir haben erlebt, was passieren kann, wenn wir uns massiv von einem Land abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt, das als autokratisches Regime im Wettbewerb zu unserer Demokratie steht. Es macht uns verwundbar, und Vorsorge ist der beste Schutz. Ich sehe es als unsere Verantwortung als Regierung an, uns davor zu schützen, indem wir uns und die Wirtschaft systematisch in Außen-, Digital-, Infrastruktur- und Energiepolitik bestmöglich auf der Höhe der globalen Herausforderungen aufstellen.
Setzen Sie Russland und China gleich?
Nein. Aber wir haben erlebt, dass China sich in den letzten Jahren nicht nur immer weiter von unseren demokratischen Werten, sondern auch vom internationalen Recht und den Regeln für einen fairen Wettbewerb entfernt hat. Deshalb ist es in unserem ureigenen Wirtschaftsinteresse, uns von China nicht so abhängig zu machen, wie wir das bei Russland gemacht haben. Wir können doch nicht nochmal so unverantwortlich auf Sicht fahren nach dem Motto “so schlimm wird es schon nicht kommen” – im Falle Russlands bezahlen wir das jetzt teuer mit unzähligen Milliarden an Steuergeldern.
Das wird aber nicht ohne Folgen bleiben. Wie erklären Sie das Unternehmen und Beschäftigten, die um Geschäft und Arbeitsplätze fürchten?
Ich muss da meist nicht viel erklären. Gerade viele Mittelständler und Familienunternehmen betreiben in ihrem Chinageschäft kluges Risikomanagement, fahren aufgrund der härteren Gangart der letzten Jahre Investitionen in China zurück und diversifizieren sich im Indopazifik. Bei einigen DAX-Konzernen hat man den Eindruck, dass sie die volkswirtschaftlichen Risiken, aber auch die langfristigen Interessen ihres Unternehmens einfach ausblenden, weil für die Boni der Vorstände allein die nächsten fünf Jahre zählen. Für eine verantwortungsvolle Regierung muss allerdings das volkswirtschaftliche Interesse im Mittelpunkt stehen.
In dem Sinne war für viele das Grundsatzpapier des BDI von 2019 ein Wendepunkt, und nach dem Russland-Krieg hat sich der Wunsch nach Diversifizierung weiter verstärkt. Deshalb haben Robert Habeck und ich gemeinsam Vorschläge für eine sicherheitsbewusste Außenwirtschaftsförderung gemacht. Eine Außenpolitik, erst recht eine Außenwirtschaftspolitik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit unseren Wohlstand und sozialen Zusammenhalt gefährdet, wäre nicht nur kurzsichtig, sie wäre ein Sicherheitsrisiko.
Ist China zum Gegner geworden?
Nein. Es wäre eine Bankrotterklärung der Diplomatie, wenn wir nicht zumindest den Versuch unternehmen würden, mit allen Ländern konstruktive Beziehungen zu haben. Der Kern unserer Sicherheitsstrategie lautet, dass wir mit anderen Ländern in so vielen Bereichen wie möglich kooperieren und zusammenarbeiten wollen – und zugleich souverän und eigenständig handeln können müssen, wenn andere plötzlich zu unseren Lasten agieren. So sieht für mich eine strategische Souveränität Europas aus. Das betrifft nicht nur Infrastruktur oder Halbleiter, sondern auch wichtige Medikamente.
Und es betrifft eben nicht nur uns, sondern auch unsere Nachbarn. Wenn ich aus Sorge vor schlechten Beziehungen mit Autokraten bei schweren Regelbrüchen schweige – dann beschädige ich damit zugleich die vielen anderen Beziehungen zu all den Ländern, die Opfer dieser Regelbrüche sind, und die wir mit ihren Sorgen alleine lassen. Genau das haben wir bei Russland erlebt, und ich möchte nicht, dass sich das im Indopazifik wiederholt.
Das Interview mit Annalena Baerbock ist ein Auszug aus einem längeren Gespräch, das Berlin.Table mit der Außenministerin geführt hat. Weitere Themenschwerpunkte waren der Ukraine-Krieg, die Diplomatie mit dem Iran und Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien. Lesen Sie das Interview in voller Länge hier.
Es war ein turbulentes Jahr für China: Wir haben strenge Lockdowns gesehen, einen der wichtigsten Parteikongresse der vergangenen 30 Jahre, Aufruhr auf den Straßen und ein unerwartetes Ende von Null-Covid. Was hat Sie in diesem Jahr in China am meisten überrascht, und würden Sie das Jahr 2022 als einen Wendepunkt in der jüngeren chinesischen Geschichte betrachten?
Was heute in China geschieht, spricht für sich selbst. Trotz scheinbarer Klarheit sind sowohl Beobachter als auch Akteure innerhalb und außerhalb Chinas irgendwie verwirrt. Die Verwirrung ergibt sich aus der unvernünftigen, vom gesunden Menschenverstand und der Wissenschaft losgelösten Entscheidungs- und Umsetzungspraxis des Landes. Niemand weiß, warum die dynamische Null-Covid-Politik umgesetzt werden musste. Diese Maßnahmen löschten auf sehr brutale Weise grundlegende Eigenschaften der menschlichen Existenz aus und ließen die Menschen ohne Unterstützung durch Familien, Gemeinschaften, Freunde und medizinische Systeme zurück. In absoluten Zahlen ausgedrückt, wurden die Menschen wie Tiere regiert. Was uns in diesem Ausmaß dann doch überraschte.
Ja, in der chinesischen Kultur wird traditionell viel über Menschlichkeit nachgedacht, sowohl von den Regierenden als auch von den einfachen Menschen. Was China in den vergangenen drei Jahren während der Pandemie erlebt hat, ist beispiellos. Die plötzliche Wiedereröffnung steht im Widerspruch zur bisherigen Logik der Regierung und erschüttert das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung und ihre Politik schlagartig. Außerdem führt sie zu einer enormen Anzahl von Covid-Fällen. Fast jeder hat sich mit Covid infiziert. Es gibt also viel Panik und Tod. Damit wird die Legitimität des Regimes und seiner Politik erneut infrage gestellt.
Das plötzliche Ende der Zero-Covid-Beschränkungen folgten unmittelbar auf die Proteste in Peking und Shanghai. Sehen Sie eine neue Zivilgesellschaft auf dem Vormarsch?
Ich glaube nicht, dass es in China eine Bürgerrechtsbewegung gibt. Die Proteste kamen spontan zustande, vergleichbar mit der Reaktion, wenn wir uns die Finger in der Tür klemmen oder uns den Kopf stoßen. Es gibt in China keine bewussten Bürgerrechtsbewegungen, weil es keine “Bürger” im Sinne der westlichen Gesellschaft gibt: also Personen, die sich ihrer Informationsquelle bewusst sind und ihre Meinung kundtun, um eine Reaktion auszulösen, die der Gesellschaft zugutekommt. China unterliegt seit jeher einer strengen Zensur. Alle eingehenden Informationen und alle erlaubten Äußerungen werden streng kontrolliert. Abweichende Meinungen werden gelöscht und blockiert. Und Menschen mit abweichenden Meinungen werden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt.
Es ist also völlig falsch zu glauben, dass die Wiedereröffnung bedeutet, dass das Regime weich geworden ist. Die chinesische Regierung ist in jeder Hinsicht äußerst selbstbewusst, und das wird sich auch in Zukunft in ihrer Regierungsführung widerspiegeln.
Von außen betrachtet wirken Xi Jinpings Umgang mit Covid und das plötzliche Ende der Beschränkungen hilflos, widersprüchlich und chaotisch. Ist das eine Fehleinschätzung?
Die internationale Medienberichterstattung über China wird unabhängig von der Perspektive immer falsch sein. Wie soll man eine ungeordnete Regierung beurteilen, die ohne Logik agiert? Alle ihre Urteile werden sich als falsch erweisen. Die derzeit umgesetzte Politik bedeutet nicht, dass das Regime den Protesten nachgegeben hat. Tatsächlich sind alle Demonstranten verhaftet, und die Verhaftungen dauern noch an. Das löst kaum Reaktionen aus. Die Leute sorgen sich stattdessen eher um das Wohlergeben der Wirtschaft. Die politisch korrekte Parteilinie wird bei den Konjunkturproblemen jedoch kaum helfen.
Da der internationale Flugverkehr bereits im Januar 2023 ohne Quarantänemaßnahmen wieder aufgenommen werden könnte: Kann die Welt mit China bald wieder zur Tagesordnung übergehen?
Die ausländischen Geschäftsbeziehungen mit China werden wieder auf ein Niveau wie vor der Pandemie zurückkehren, da der internationale Handel in hohem Maße von China abhängig ist.
Was würden Sie den Menschen in China raten, die weiter langfristige Veränderungen fordern?
Ich habe keine Ratschläge zu geben. Ich habe mich einst selbst engagiert, wollte etwas verändern und habe hart dafür gearbeitet. Im Moment sitzen diejenigen, die sich genauso angestrengt haben, im Gefängnis. Unter einem solchen Regime funktioniert das alles nicht. Autokratische Regime sind dazu da, jegliche Bemühungen um den Aufbau einer Zivilgesellschaft zunichtezumachen.
Sie haben einmal gesagt: Die Macht der Kunst demütigt die politischen Eliten, wenn es um sozialen Wandel geht. Sehen Sie die weißen Blätter, die vielen Memes und die Wortspiel-Kritik in den sozialen Medien auch als eine Art künstlerischen Ausdruck?
Ich glaube nicht, dass es sich dabei um einen bewussten künstlerischen Ausdruck handelt. Diese Äußerungen sind so, wie sie sind, in Ermangelung besserer Optionen. Sie drücken nicht nur den Wunsch nach freiem Ausdruck aus, sondern verkörpern auch eine extreme Art von Hilflosigkeit.
Was ist Ihre größte Hoffnung für China und die Welt 2023?
Ich hoffe, dass China im Jahr 2023, wenn die Pandemie vorbei ist, zu einem gewissen Grad an Normalität zurückkehren kann. Was Taiwan betrifft, so bemüht sich das Regime der VR China um eine Lösung, aber ich denke, das Problem wird noch lange Zeit bestehen bleiben. Die Taiwan-Frage ist ein internationales Problem.
Welches sind die größten Gefahren, die wir sofort angehen müssen?
Die größten Gefahren sind heute nach wie vor die Konflikte zwischen zwei Welten: der herrschende Westen mit seiner alten Logik und seinen Globalisierungskonzepten gegen die neu entwickelten Länder wie China, Russland und andere, die eine weitere Entwicklung anstreben und eine andere Art von Ordnung vorschlagen. Es ist schwierig, diese beiden Welten miteinander in Einklang zu bringen. In Zukunft wird sich dieses Problem noch verschärfen.
Sie haben China vor acht Jahren verlassen. Was fehlt Ihnen am meisten?
Was ich vermisse, ist nicht China selbst, sondern vielmehr mein Recht, frei zu reisen. Zu diesem Recht gehört auch, dass ich zurückkehren kann, um meine Verwandten und Freunde zu besuchen.
Sie haben zwischen 2015 und 2019 in Berlin gelebt. Ihre Äußerungen, dass Deutschland autoritär und ausländerfeindlich sei, wurden breit diskutiert und auch politisch instrumentalisiert. Wie stehen Sie heute zu diesem Aufschrei? Fühlen Sie sich missverstanden?
Als Künstler überlege ich mir als erstes, wie ich meine Gefühle wahrheitsgetreu ausdrücken kann. Jeder kann die autoritären Züge Deutschlands beobachten, die tief in der Realität verwurzelt sind. Es ist ein kulturelles Problem und kann nicht von Einzelnen geändert werden. In jedem Land gibt es Anhänger des Autoritarismus, der Autokratie und sogar des Nationalsozialismus. Es ist nur so, dass jedes Land diese Gedanken in einer anderen Form und in einem anderen Ausmaß zum Ausdruck bringt. Deutschland weist in dieser Hinsicht meiner Meinung nach wesentliche Merkmale dieser Gedanken auf. Jeder Satz meiner Kritik ist richtig.
Sie sind nach wie vor eine der meistzitierten Personen chinesischer Herkunft in deutschen Medien. Ihre Stimme zählt, wenn es darum geht, China besser zu verstehen. Sie haben auch die Olaf-Scholz-Reise nach Peking nach dem Parteitag verteidigt. Was würden Sie jetzt deutschen und europäischen Politikern raten, wenn sie ihre China-Strategien planen?
Ich habe Olaf Scholz nie verteidigt. Was ich sagte: Sein Verhalten als Politiker ist nicht viel anders als das anderer Politiker. Deutschland schmeichelt sich nicht nur heuchlerisch bei der politischen Korrektheit (Anm. d. Red.: in China) ein. Es ist vielmehr bemüht, seinen eigenen Interessen gerecht zu werden. Scholz hat dafür keine Komplimente verdient. Was ich befürwortete, ist der politische Dialog. Oberflächlich betrachtet gibt es große Unterschiede in der Haltung der verschiedenen europäischen Länder, aber im Kern geben sie alle sich große Mühe, China bei Laune zu halten. Deutsche Politiker sind also nicht anders als andere Politiker in Europa.
Ai Weiwei, Künstler, geboren 1957, lebt derzeit in Portugal. Er setzt sich in seinen Werken mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinander. In China war er 2011 für mehrere Monate im Gefängnis und danach mit einem Ausreiseverbot belegt. Von 2015 bis 2019 lebte er in Berlin und lehrte an der Universität der Künste. Danach wechselte er nach Großbritannien. Ai hat die Fragen schriftlich beantwortet.
Die Women’s Tennis Association (WTA) möchte weiterhin keine Damen-Turniere in China stattfinden lassen, solange der Fall Peng Shuai nicht befriedigend aufgeklärt sei. “Wie wir es mit jeder Spielerin der Welt tun würden, haben wir eine formelle Untersuchung der Vorwürfe durch die zuständigen Behörden gefordert”, heißt es in einer Stellungnahme der WTA, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt.
Man habe zwar Bestätigungen erhalten, dass die 36-Jährige sicher sei. Ein persönliches Treffen sei jedoch bislang noch nicht zustande gekommen. “Wir halten weiterhin an unserer Position fest und unsere Gedanken bleiben bei Peng”, teilte die WTA mit.
Peng Shuai hatte im November 2021 im sozialen Netzwerk Weibo einem hochrangigen Parteikader sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Der Eintrag wurde jedoch gelöscht. Die Zensurbehörde blockierte zudem jeden weiteren Beitrag dazu im chinesischen Internet. Daraufhin sagte die WTA alle Turniere in China ab, darunter auch das Saisonfinale der WTA in Shenzhen mit den acht besten Spielerinnen der Saison. flee
Die Türkei will Staatsbürger mit uigurischen Wurzeln nicht an China ausliefern. Diese Haltung bestärkte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Damit nehme Ankara bewusst Verstimmungen im Verhältnis zur chinesischen Regierung in Kauf, sagte der Politiker. In der Türkei leben rund 50.000 Uiguren. Das Land ist die größte uigurische Diaspora außerhalb Zentralasiens.
Menschenrechtsorganisationen erheben jedoch Vorwürfe gegen die türkische Regierung, sie habe uigurische Dissidenten in Drittländer abgeschoben, die an die autonome Region Xinjiang grenzen. So sollte den chinesischen Behörden der Zugriff auf die Gesuchten vereinfacht werden, ohne die Türkei damit direkt in Verbindung zu bringen. In China erwartet unfreiwillige Rückkehrer eine Gefängnisstrafe oder die Einweisung in ein Umerziehungslager.
Çavuşoğlu widersprach dieser Darstellung jedoch nun eindeutig. Die chinesischen Auslieferungsanträge hätten sich nicht auf chinesische Staatsangehörige, sondern auf türkische Staatsangehörige bezogen, sagte er. Sie seien zudem allesamt abgelehnt worden. Anderslautende Berichte bezeichnete er als Lüge. Die Türkei würde die Rechte von türkischen Uiguren in der internationalen Arena verteidigen. grz
Der Hongkonger Kardinal Joseph Zen darf an der Beerdigung des emeritierten Papstes Benedikt XVI. teilnehmen. Die Behörden hätten dem 90-Jährigen die Ausreise gestattet, teilte sein Sekretariat am Dienstag mit. Dazu hatten Zens Anwälte in einer nicht öffentlichen Anhörung beim Gericht in West Kowloon die Rückgabe seines Hongkonger Passes beantragt. Die Beisetzung des im Alter von 95 Jahren verstorbenen ehemaligen Pontifex findet am Donnerstag im Vatikan statt.
Als Papst hatte Benedikt XVI. den damaligen Hongkonger Erzbischof zum Kardinal ernannt. Zen ist stets als Kritiker Chinas aufgetreten. So verurteilte er den 2018 zwischen dem Vatikan und der Volksrepublik geschlossenen Vertrag zur Ernennung katholischer Bischöfe in dem Land als Ausverkauf der chinesischen Untergrundkirche. Ab 2020 geriet Zen trotz seines Status als Kardinal in die Fänge des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes. Im Mai 2022 war Zen wegen des Verdachts auf Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften festgenommen worden (China.Table berichtete). Er und fünf weitere Aktivisten wurden im November zu Geldstrafen verurteilt. Der Grund war offiziell, dass sie es versäumt hatten, einen inzwischen aufgelösten Hilfsfonds anzumelden, der inhaftierte Teilnehmer der Massenproteste von 2019 unterstützen sollte. ck
Als die Regierung in Peking in der vergangenen Woche das Ende der Null-Covid-Politik verkündete, stürmten die Menschen auf die Weibo-Seite von Li Wenliang, um ihm die Nachricht zu überbringen. “Dr. Li, endlich ist es vorbei. Nach drei Jahren”, schrieb jemand.
Am 1. Februar 2020 schrieb der Whistleblower und Augenarzt aus Wuhan seine letzte Nachricht auf dem chinesischen Twitter-Gegenstück Weibo: “Heute wurde ich positiv auf Covid getestet. Der Staub hat sich gelegt. Endlich die Diagnose. (Hundegesicht-Emoji.)“.
Fünf Tage später verstarb er.
Lis Tod löste einen Tsunami der Trauer und Wut aus, wie er im chinesischen Netz noch nie dagewesen war: über das Ableben eines jungen, gewissenhaften Arztes, über die demütigenden Zurechtweisungen, die er über sich ergehen lassen musste, weil er andere über die Pandemie aufgeklärt hatte, und über die Vertuschung des Vorgangs durch die chinesische Regierung.
In zahlreichen Kommentaren unter Lis letztem Weibo-Eintrag lassen die Netzbürger seitdem ihrem Ärger freien Lauf, zollten ihm Respekt und wünschen ihm alles Gute für sein Leben nach dem Tod.
Dann fingen manche zudem an, mit ihm so in Dialog zu treten als redeten sie mit einem alten Freund, einem verstorbenen Bekannten oder einem verehrten Heiligen. Manchmal schreiben sie nur ein einfaches Hallo; sie schreiben ihm Geburtstagsglückwünsche (am 12. Oktober); sie posten Bilder von Lis Lieblingsessen, gebratenem Hähnchen. Einer hält Li sogar über die Ergebnisse der Fußballweltmeisterschaft auf dem Laufenden. Ein anderer erzählte Li jeden Abend einen Witz.
Meistens aber erzählen sie ihm aus ihrem Alltag, vor allem von der Not und dem Elend, das durch die Pandemie und die drakonischen Coronamaßnahmen der Regierung verursacht wurde.
Einige nennen es die Chinesische Klagemauer. Eine ausländische Internetseite fasst regelmäßig Beiträge dieser Klagemauer zusammen.
“Wie geht es Ihnen auf der anderen Seite, Dr. Li? Mein Onkel ist gestern gestorben, zwei Monate nach meinem Großvater. Ich hoffe wirklich, dass Sie ihn dort treffen. Ihr könntet zusammen etwas trinken“, lautet ein Kommentar.
“Es regnet draußen. Ich mag Regentage, weil ich dann weinen kann, ohne dass andere es merken“, schrieb ein anderer, ohne zu sagen, warum er oder sie traurig war.
Ein Großteil der Kommentare drehte sich in den Jahren mit Null-Covid um die endlosen Corona-Tests und alle möglichen Einschränkungen. Im Laufe der Zeit zeigten sich die Auswirkungen der Pandemie-Maßnahmen in verschiedenen Teilen des Landes auf ganz unterschiedliche Weise. Manche hatten monatelang nicht genug zu essen; eine saß auf einer Reise nach Xinjiang zwei Monate im Lockdown fest; wieder andere waren mehr als zehnmal von Lockdowns betroffen; jemand verlor seinen Job und konnte seine Hypothek nicht mehr zurückzahlen; jemand, der in Kanada lebt, erhielt kein Visum für die Einreise nach China, um seine sterbende Mutter zu besuchen … All dies wurde auf der Seite von Li geschrieben.
“Wann wird das aufhören? Dr. Li, dreht sich das Leben nur um Lockdowns und Corona-Tests?”
“Dr. Li, wir müssen uns jeden Tag auf Corona testen. Mein Sohn ist vier Jahre alt. Heute habe ich gesehen, wie er und seine Freunde ‘Doktor und Patient’ gespielt haben und so taten, als würden sie sich auf Corona testen. Corona-Tests Test, das ist seine gesamte Kindheit bislang. Ich bin so traurig.”
Einige Kommentare haben einen raueren Ton. “Ist die chinesische Welt anders als der Rest der Welt?”
“Es sind fast drei Jahre vergangen, und es ist alles immer noch gleich, nichts hat sich geändert”, schrieb jemand, der sich offensichtlich auf die Regierung bezog.
“Dr. Li, jetzt können Sie im Paradies frei atmen. Und niemand bestraft sie für die Wahrheit. Wenn Sie eine Reinkarnation in Erwägung ziehen, versuchen Sie es in einem anderen Land.”
Bereits vor seinem Tod gewann Li Wenliang das Mitgefühl der Bevölkerung, denn was ihm widerfuhr, war ein perfektes Beispiel dafür, wie die chinesische Regierung mit Krisen umgeht: Vertuschung und Bestrafung eines aufrichtigen Bürgers, der um die Wahrheit bemüht ist.
Was Li Wenliang in seinen letzten Tagen tat, macht seinen Fall noch ergreifender: Er postete ein Foto einer Polizeiverwarnung wegen “Verbreitung von Gerüchten”. In dem Dokument musste Li mit seiner Unterschrift und seinen roten Fingerabdrücken schwören, dass er sein “gesetzeswidriges Verhalten” einstellen würde, und musste außerdem erklären, dass er sich bewusst sei, dass er bestraft werden würde, wenn er so weitermache.
Etwa zur gleichen Zeit, als er das Dokument auf Weibo postete, gab Li ein Zeitungsinterview, in dem er sagte, dass er sich ungerecht behandelt fühle und folgende schallende Aussage machte: “In einer gesunden Gesellschaft sollte es nicht nur eine einzige Stimme geben.”
In einem Land, in dem die Menschen ständig in Angst leben, war diese Aussage eines äußerlich zurückhaltend wirkenden Arztes äußerst mutig.
Auch die Reaktion der Regierung auf die öffentliche Meinung um und nach dem Tod von Li ist einen genaueren Blick wert.
Selbstverständlich wurde Lis Weibo-Seite von den Zensoren streng überwacht. Vier Monate nach seinem Tod wurde die Kommentarfunktion auf seiner Seite geschlossen und sämtliche Kommentare wurden entfernt. Dies löste einen großen Aufschrei im Internet aus.
Daraufhin wurde die Kommentarfunktion wieder aktiviert und die alten Kommentare waren ebenfalls wieder da. Allerdings wurde die Reihenfolge der Kommentare geändert. Normalerweise erscheinen Kommentare mit den meisten Likes an erster Stelle. Doch nach der Umstellung erscheinen nun die neusten Kommentare ganz oben. Dies ist nur auf Li Wenliangs Seite so. Somit wurden die kritischsten, bewegendsten und aufsehenerregendsten Kommentare regelrecht ausgeblendet.
Zu diesem Zeitpunkt verzeichnete Lis letzter Beitrag bereits mehr als eine Million Kommentare. In den darauf folgenden zwei Jahren kamen ständig weitere hinzu, bis heute. Aber die Anzeige blieb bei “1 Millionen+” stehen. Eigentlich wird die tatsächliche Zahl der Kommentare eines Beitrages angezeigt, ohne Obergrenze.
Es schien also alles unter Kontrolle zu sein.
Doch gehen wir zurück zu der Nacht, in der Li Wenliang diese Welt verließ.
Laut Recherchen der New York Times verstarb Li am 6. Februar 2020, gegen 21 Uhr. Schon bald erreichte die Nachricht über seinen Tod auch die chinesischen sozialen Medien. Ein Vulkan des Zorns brach los, und es schien, als würde jeder der 1,4 Milliarden Chinesen weinen, schreien, fluchen und in den sozialen Medien nach Rache rufen.
Für einige Stunden geriet die Situation außer Kontrolle. Ich glaube, die Zensoren waren einfach überwältigt und gelähmt vom Ausmaß der Empörung. Sie mögen versucht haben, Beiträge zu löschen, haben es dann aber angesichts der gigantischen Menge an Kommentaren, die jeden Winkel des chinesischen Internets überschwemmten, aufgegeben.
Schließlich gab die Führung bekannt, dass Li immer noch im Krankenhaus versorgt werde. Sofort bezichtigten einige die Regierung der Lüge, um die Gemüter der Bevölkerung zu beruhigen. Einige ließen sich tatsächlich zu der Hoffnung verleiten, dass Li noch am Leben sei. Am nächsten Tag wurde er in den frühen Morgenstunden für tot erklärt, sechs Stunden später nach seinem eigentlichen Tod, nachdem die meisten Menschen bereits zu Bett gegangen waren.
Damals ging niemand auf die Straße. Die Rechnung der Regierung schien aufgegangen zu sein. Aber das Ausmaß der öffentlichen Reaktion im Netz war überwältigend. Die unbeholfene Reaktion der Regierung, wenn auch nur für einige Stunden, zeigte, dass ihr ausgeklügeltes Zensur- und Überwachungssystem nicht allmächtig ist.
Und das ließ sich auch im letzten Monat wieder beobachten, als die Leute mutig mit einem leeren weißen Blatt Papier auf die Straße gingen.
China wirkt oft wie ein stilles Becken. Die Menschen dort scheinen alles über sich ergehen zu lassen. Jetzt wissen wir, dass diese Auffassung nicht immer zutrifft.