Table.Briefing: China

Arbeit und Ausbeutung – Olympia-Nachlese

  • Tech-Branche erwartet völlige Aufopferung
  • Spiele in Peking: “So darf es nicht sein”
  • Ukraine beschäftigt Sozialmedien in China
  • Wegen Xinjiang-Baumwolle: Puma leidet unter Boykott
  • Hongkong: Einschränkungen für Ungeimpfte
  • UN: Peking liefert Waffen an Militär-Junta in Myanmar
  • Porträt: LGBTQ-Aktivist und Filmemacher Popo Fan
Liebe Leserin, lieber Leser,

im Schatten eines Krieges in Europa wirken Diskussionen um Arbeitsrechte in der chinesischen Tech-Industrie wie eine Marginalie. Doch es sind Millionen Menschen betroffen von einer Arbeitskultur, die Körper krank macht und Seelen verkrüppelt.

Die Tragik daran ist, dass uns die Digitalisierung vor solchen gesellschaftlichen Entwicklungen eigentlich schützen soll. Sie automatisiert und erleichtert große Teile unseres Lebens. In China aber hat sie einen Teufelskreis geschaffen, in dem es Erfolg nur auf Basis persönlicher Opfer gibt. Opfer jener, ohne die es all die neuen Technologien gar nicht geben würde. Fabian Peltsch hat mit einem ehemaligen Produktmanager des chinesischen Lieferdienstes Meituan gesprochen, der ihm seine Erfahrungen schilderte.

Außerdem werfen wir heute noch einmal einen Blick zurück auf die Olympischen Spiele in Peking und ihren Bärendienst an den Menschenrechten. Betroffen auch hier: Millionen von Menschen, vornehmlich in Xinjiang. Wir dürfen den Blick darauf nicht abwenden, auch wenn der Krieg in Europa derzeit einen großen Teil unserer Aufmerksamkeit verlangt.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

Arbeitskultur in China: Fressen und gefressen werden

Meituan Mitarbeiter:innen in Dongguan in China: Chinas Arbeitsbedingungen fordern immer mehr Opfer und werden zunehmend öffentlich kritisiert, beispielsweise von Zhang Yifei.
Wer nicht mitmacht, fliegt raus: Meituan-Mitarbeiter im südchinesischen Dongguan am Beginn eines langen Arbeitstages.

Ende Januar ging der Post von Zhang Yifei in China viral. Darin prangerte der 25-jährige Chinese öffentlich die Arbeitsbedingungen bei seinem Arbeitgeber Tencent an. “Haben Sie jemals darüber nachgedacht, dass es für ihre Angestellten um Leben und Tod geht, wenn sie solche Zeitpläne aufstellen?”, empörte er sich in einer unternehmensinternen Chat-Gruppe mit 600 Mitgliedern.

Einer von Zhangs Kollegen war zuvor vom Management dafür gelobt worden, dass er mehr als 20 Stunden am Stück gearbeitet und dabei rund 200 Änderungen an einem Produktdesign vorgenommen hatte. So konnte es noch wie geplant an den Start gehen. “Eine schrittweise Tötung zum ehrenvollen Ansporn umzudeuten, könnte man als schwarzen Humor bezeichnen. Aber jeder Entscheidungsträger, der so etwas möglich macht, ist ein Komplize”, ätzte der erst wenige Monate zuvor eingestellte Programmierer und reichte kurz darauf seine Kündigung ein. Seine Kompromisslosigkeit machte Zhang über Nacht zum Helden vieler überarbeiteter Chinesen.

Über die teilweise unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Chinas Tech-Industrie beschweren sich viele. Konsequenzen zu ziehen, gar zu kündigen, trauen sich jedoch nur die wenigsten. Im Gegenteil: Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu tragischen Todesfällen, die auch auf die Folgen von Überarbeitung zurückzuführen sind.

Erst Anfang dieses Monats war ein 25-jähriger Angestellter der erfolgreichen Video-Plattform Bilibili an einer Gehirnblutung gestorben. Kurz zuvor hatte er über das chinesische Neujahrsfest in der Firmenzentrale in Wuhan fast durchgängig gearbeitet. Der Job des jungen Mannes bestand darin, die sekündlich neu einlaufenden Videos auf “illegale oder verletzende Inhalte” zu prüfen – eine Arbeit, die so monoton und seelenlos ist, dass sie auch als “Fließbandarbeit der Internetära” bezeichnet wird.

Überstunden als Selbstverständlichkeit

Eine prägnante Abkürzung, die sich für Chinas ausuferndes Arbeitspensum etabliert hat, lautet “996”: Von Mitarbeitern, insbesondere in der Tech-Branche, wird erwartet, dass sie von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends an sechs Tagen in der Woche arbeiten. “Das Arbeitsleben in China ist hochgradig von Wettbewerb bestimmt”, sagt John Wang. Der 31-Jährige war bis vor einem Jahr für den chinesischen Tech-Giganten Meituan als Produktmanager tätig. Seit August 2021 lebt er in Leipzig, wo er seinen MBA an der HHL Graduate School of Management macht. Nach Deutschland kam er auch, um dem harten Arbeitsalltag in China zu entkommen.

“Mein Arbeitstag ging offiziell von 10 bis 21 Uhr. Aber meistens fing ich um acht morgens an und ging erst um 23 Uhr nach Hause“, erinnert er sich im Gespräch mit China.Table. Es herrschte ein immanenter Druck, abends als Letzter das Büro zu verlassen, sagt der studierte Physiker. “Und wenn du es doch früher nach Hause geschafft hast, hörte die Arbeit nicht auf. Du musstest immer erreichbar sein und sofort antworten, wenn eine Frage hereinkam. Dein Körper war zu Hause, aber deine Aufmerksamkeit war immer noch bei deinem Job.”

Dem chinesischen Arbeitsgesetz von 1994 zufolge beträgt die Standardarbeitszeit acht Stunden pro Tag und maximal 44 Stunden pro Woche. In einer Umfrage der Zeitung Chengdu Economic Daily gaben jedoch mehr als die Hälfte der befragten Arbeitnehmer an, dass sie jeden Tag Überstunden leisten, wobei nur 44 Prozent dafür auch eine Vergütung erhielten. Arbeitgeber argumentieren, dass ihre Mitarbeiter sich “freiwillig” dafür entscheiden, Überstunden zu machen und dabei auf zusätzliches Geld verzichten würden.

Der Tech-Gigant Huawei ließ sich diese “Freiwilligkeit” sogar von Mitarbeitern schriftlich bestätigen. Andere erklären, potenzielle Überstunden seien bereits im Gehalt inbegriffen. Gegen die Verhältnisse aufbegehren kann man kaum, wenn man seinen Job behalten will. Unabhängige Gewerkschaften sind in der Volksrepublik verboten.

Chinas Mittelschicht: Zwischen Burn-Out und Selbstbestimmung

Bleibt also nur das Internet, um seinem Ärger anonym Luft zu machen. Im Januar 2021 kursierte dort eine Liste, auf denen Mitarbeiter großer chinesischer Tech-Unternehmen ihre Arbeitszeiten miteinander verglichen (China.Table berichtete). Betitelt war das Dokument mit 996.ICU – nach der englischen Abkürzung für “intensive care unit”: Notaufnahme. Innerhalb von nur drei Tagen hatte die Tabelle bereits mehr als 1.000 Einträge. Dann wurde sie von Zensoren aus dem chinesischen Netz gelöscht.

Als Antwort auf die öffentliche Diskussion erklärten Chinas Oberster Volksgerichtshof und das Ministerium für Human Ressources and Social Security (MOHRSS) im vergangenen August immerhin, dass chinesische Arbeitnehmer nicht mehr als 36 Überstunden pro Monat und drei Überstunden pro Tag leisten dürften. Doch nicht alle Mitarbeiter freuten sich darüber. “Wenn man bei einem Unternehmen wie Meituan oder Tencent arbeitet, ist man auf Überstunden vorbereitet. Auch, weil die Gehälter so hoch sind”, erklärt Wang. “Viele Mitarbeiter waren auf den besten Universitäten des Landes.”

Chinas wachsende Mittelschicht ist einerseits stolz auf den erreichten Wohlstand, andererseits wächst der Wunsch, diesen Wohlstand mit mehr Freizeit genießen zu können. Für Chinas Unternehmen waren Überstunden lange Zeit auch ein Überlebensfaktor: Was den chinesischen Start-ups an finanziellen Mitteln und Know-how fehlte, glichen sie mit niedrigen Arbeitskosten, Geschwindigkeit und Flexibilität aus – alles Dinge, die von schnell austauschbarer Manpower abhängig sind.

Huawei-Gründer Ren Zhengfei nannte das Arbeitsumfeld seiner Firma stolz “Wolf-Kultur”. Wenn die Mitarbeiter untereinander zwischen Fressen und gefressen werden konkurrieren, schlage sich das in einer größeren Wettbewerbsfähigkeit der Firma nieder. Wer da nicht mitmacht, fällt schnell durchs Raster, sagt Wang. “Wenn du den Job nicht machen willst, macht ihn jemand anders mit noch mehr Überstunden.”

Newcomer arbeiten extra hart, um sich zu beweisen

In China drängen allein in diesem Jahr mehr als zehn Millionen neue Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt. Unternehmen bevorzugen junge Angestellte unter 30, da sie schlicht als energetischer gelten. Zudem sei ihre Bezahlung niedriger als die eines langjährigen Mitarbeiters, erklärt Wang. “Wenn du mit 35 noch keinen leitenden Posten ergattert hast, wird es mit jedem Jahr wahrscheinlicher, dass du plötzlich entlassen wirst.” Auch dagegen gäbe es keine rechtliche Handhabe.

“Die Unternehmensführung sagt dir nicht, du bist gefeuert, weil du zu alt bist. Sie erklären dir zum Beispiel, dass deine Arbeit hinter ihren Erwartungen zurückbleibt. Jedes Jahr werden so viele ältere Mitarbeiter entlassen, damit man neue einstellen kann. Und die Newcomer arbeiten oft extra hart, weil sie sich beweisen wollen.”

Unternehmen wie Meituan oder Huawei bevorzugen bei ihrer Personalsuche oft Absolventen aus kleineren Städten, die ihren “ersten Topf voll Gold” (第一桶金 dìyī tǒng jīn) verdienen wollen, um in die Mittelschicht aufzusteigen. Die Versagensangst ist groß, der Druck, es zu schaffen, bringt die Menschen schnell an den Rand des Zusammenbruchs. Der “Burn-Out” sei als Konzept noch nicht in China angekommen, sagt Wang. “Man hört vielleicht mal davon, aber man fragt sich nicht, ob man selbst darunter leidet. Man denkt, man hat Stress. Man denkt, das ist eben das, was man tun muss, um Karriere zu machen.”

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“Stellenwert von Olympischen Spielen wird sich verändern”

Das positive Fazit des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach zu den Olympischen Winterspielen in Peking konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr es wochenlang hinter den Kulissen rumort hatte. Der diplomatische Boykott durch zahlreiche demokratische Nationen überschattete die Idee einer friedlichen Auszeit für die Welt. Kaum etwas von dem, was die olympische Idee ausmacht, hatte während der Corona-Pandemie die Chance, sich zu entfalten. Die sterile Atmosphäre der Spiele, geprägt von Abstand und Isolation, standen sinnbildlich für das abgekühlte Verhältnis des Gastgeberlandes zu großen Teilen der westlichen Welt.

“Sportereignisse dürfen keine Kulisse für Propagandaveranstaltungen von Diktaturen sein. Die Olympischen Spiele in China waren es aber”, sagt der SPD-Menschenrechtspolitiker Frank Schwabe zu China.Table. “In Zukunft darf es keine Sportereignisse mehr geben, die kein überzeugendes Menschenrechts-, Umwelt- und Nachhaltigkeitskonzept haben. Wenn diese Spiele einen Sinn gehabt haben, dann den, dass Peking als Paradebeispiel dafür steht, wie es nicht sein darf.

Laut Civey-Umfrage als Fazit der Olympischen Spiele in Peking hat sich das Ansehen der Olympischen Spiele verschlechtert.
Das Ansehen der Olympischen Spiele hat gelitten.

Die Mär von den unpolitischen Olympischen Winterspielen hatte China jahrelang verbissen verteidigt. Und das IOC stand treu an seiner Seite. Drei Tage vor dem Ende des Sportfestes fielen jedoch die Masken. Eine Sprecherin des Organisationskomitees BOCOG erklärte vor der internationalen Presseschar den Inselstaat Taiwan zu einem “untrennbaren Teil” der Volksrepublik und bezeichnete die Beweise für die systematische Zwangsarbeit von Uiguren in Xinjiang als “Lüge”. Der Moment, in dem das BOCOG die Contenance verlor, lehrte das IOC, dass es seine Schuldigkeit getan hatte.

Bitterer Beigeschmack der Spiele überträgt sich auf Werbe-Partner

Am Freitag zwar erinnerte Bach die Organisatoren erstmals während seiner Amtszeit daran, dass sie Neutralität bewahren mögen. Doch die Riposte des früheren Weltklasse-Fechters kam um Jahre zu spät, um glaubhaft den Eindruck vermitteln zu können, dass das IOC seine festgeschriebenen Prinzipien tatsächlich auch ernst nimmt.

Die Kontroverse um die Ausrichtung der Wettbewerbe in einem Land, das von zahlreichen Regierungen und Parlamenten des Genozids an den Uiguren beschuldigt wird, dürfte die Wahrnehmung von Olympia als völkerverbindendes Treffen der Welt weiter beschädigen, glaubt Jutta Braun, Historikerin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. “Der Stellenwert von Olympischen Spielen wird sich verändern. Der Streit um die politische Verfasstheit des ausrichtenden Landes ist das eine – zudem stellen gerade offene Gesellschaften verstärkt kritische Nachfragen hinsichtlich der wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit. Das IOC muss mittlerweile genauer erklären, weshalb es die Spiele an bestimmte Orte vergibt”, sagt Braun.

Auch das Image der Gastgeber hat – zumindest in Deutschland – unter der Ausrichtung gelitten. In einer exklusiven Umfrage von Civey im Auftrag von China.Table gab eine überwiegende Mehrheit von knapp 60 Prozent an, dass die Olympischen Spiele das Ansehen der Volksrepublik in ihren Augen verschlechtert habe. Nur zwölf Prozent sehen eine Verbesserung der Reputation des Landes.

Auch Chinas Ansehen hat durch die Ausrichtung der Olympischen Spiele gelitten.

Auch die Marke Olympia hat gelitten. Über 70 Prozent sehen die Olympischen Spiele als beschädigt an. Nur vier Prozent glauben, Olympia in China habe der Marke gutgetan. Verbesserungen sowohl für China als auch die Spiele erkennen vornehmlich die Anhänger der Linken und der AfD.

Der Marketing-Stratege Markus Oelsner sieht auch die Hoffnungen der Werbepartner der Spiele in Mitleidenschaft gezogen (China.Table berichtete). Oelsner arbeitete 2008 in Peking für eine PR-Agentur, die damals im Auftrag des Olympia-Organisationskomitees BOCOG das Gastgeberland “weltoffen, farbenfroh und hypermodern” als Mittelpunkt der Erde zu positionieren versuchte. Er vermutet, dass bei den Marketingverantwortlichen der heutigen IOC-Partner “die Alarmglocken läuten”. “Zu schnell überträgt sich der bittere Beigeschmack der Spiele auf die Marken, die sie offiziell fordern und fördern”, sagt er.

Oelsner erkennt im Vergleich zu den Sommerspielen vor 14 Jahren “eine brisante Mischung aus nationalistischem Kalkül mit dem Ziel, neue milliardenschwere Wintersportmärkte zu erschließen“. Diese Spiele, findet er, “werden dem wundervollen Land und seinen stolzen Menschen in keinster Weise gerecht.”

Ausrichtung sollte Chinas Krisenfestigkeit beweisen

Für die autoritär regierende Kommunistische Partei sind die Winterspiele jedoch in anderer Hinsicht ein voller Erfolg. Besonders nach innen nutzt die Propaganda Olympia als Instrument, die eigene Legitimation zu stärken. Während heimische Medien seit zwei Jahren den Eindruck vermitteln, dass überall in der Welt die Gesellschaften an der Corona-Pandemie zerbrechen, symbolisiert die Ausrichtung der Spiele der eigenen Bevölkerung eine beispiellose Fähigkeit, mit Krisen umzugehen.

Das Bild wurde unterfüttert mit dem Aufmarsch von Staats- und Regierungschefs aus aller Welt sowie dem Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO. Während Chinas Staats- und Parteichef seit über zwei Jahren das eigene Land nicht verlassen hat und damit signalisiert, er könne sich nur in China sicher fühlen, vermitteln die übrigen Staaten plus WHO, sie könnten Pekings Corona-Politik vertrauen.

Das IOC tat sein Übriges, um die gewünschten Botschaften in der Welt zu verbreiten. Das Komitee sei zu einer “Prostituierten von Regimen geworden, die genug zahlen”, hatte der CDU-Politiker Michael Brand im Interview mit China.Table gesagt. SPD-Mann Schwabe findet: “Insbesondere das Verhalten des deutschen IOC-Chefs Thomas Bach war beschämend.”

Nicht nur, dass sich Bach im Fall der Tennisspielerin Peng Shuai der Sprachregelung der chinesischen Regierung anpasste. Der frühere Spitzensportler übernahm unreflektiert chinesische Positionen und Behauptungen auch in anderer Hinsicht. Beispielsweise, wenn es um die Nachhaltigkeit der Spiele geht.

Das Organisationskomitee hatte im Januar verkündet, 99 Prozent seiner Nachhaltigkeitsziele erreicht zu haben und erstmals in der Geschichte klimaneutrale Spiele abzuhalten. Doch bei allem guten Willen waren die Zahlen schön gerechnet. Der Kohlenstoff-Ausgleich durch die Anpflanzung von Bäumen und dem vermeintlichen Einsatz höherer Kapazitäten von grünem Strom hat seine Tücken und überzeugt Experten nicht.

ICT fordert eine nachhaltige Menschenrechtspolitik gegenüber China

Auch die Natur wurde Chinas olympischem Traum geopfert. Beispielsweise in Zhangjiakou, wo Bäume abgeholzt und Wildtiere verscheucht wurden. Doch diese Aspekte belasten Pekings Spiele keineswegs exklusiv, sondern sind das Resultat des Gigantismus, der durch überbordende Eitelkeit und Gier vieler IOC-Mitglieder gefördert wird. Die Spiele in Pyeongchang vor vier und Sotschi vor acht Jahren waren in dieser Hinsicht keinen Deut besser.

Nachhaltigkeit wünschen sich jedoch nicht nur all jene, denen Klima und Umwelt am Herzen liegt. Dass die Aufmerksamkeit der demokratischen Weltgemeinschaft für Chinas dramatisch schlechte Menschenrechtsbilanz mit dem Ende der Spiele abnehmen könnte, fürchtet die International Campaign for Tibet (ICT). “Nach den letzten Olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008 hat die Welt weggeschaut, als Chinas Führung hart gegen die Tibeter, Uiguren und viele andere vorging. Konsequenzen für die Kommunistische Partei Chinas gab es nicht“, schreibt die ICT.

Die Organisation fordert Regierungen, internationale Organisationen, Unternehmen und Medien auf, “nach den diesjährigen Olympischen Spielen eine konsequente Menschenrechtspolitik gegenüber der KP Chinas umzusetzen”.

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News

Ukraine beschäftigt Sozialmedien in China

Während die Nachrichten über Angriffe auf die Ukraine in Europa seit Donnerstagmorgen die Schlagzeilen beherrschten, waren Chinas Staatsmedien zunächst noch zögerlich in der Berichterstattung. Zum Donnerstagabend hin aber gehörte der Konflikt neben anderen Themen dann auch zu den Aufmachern beim Auslandssender CGTN, der Nachrichtenagentur Xinhua und dem Staatsfernsehen CCTV. Allerdings war der Umfang jedoch geringer als in westlichen Medien. Die Staatsmedien gaben vor allem die Aussagen von Außenminister Wang Yi wieder.

Auf den großen Social-Media-Kanälen Weibo, Weixin und Douyin indes war der Krieg in der Ukraine Thema Nummer Eins. Eine Weibo-Themenseite, die den neuesten Entwicklungen in der Ukraine gewidmet ist, verzeichnete innerhalb weniger Stunden mehr als 2,5 Milliarden Aufrufe und 360.000 Kommentare.

Dort trendete sogar ein eigener Begriff, der beschreibt, dass man sich nicht auf die Arbeit konzentrieren kann, weil die Nachrichten aus der Ukraine so beunruhigend sind: wū xīn gōngzuò 乌心工作 – ein Wortspiel aus “Ukraine 乌克兰 Wūkèlán und wúxīn gōngzuò 无心工作: Nicht in der Stimmung sein, zu arbeiten.

In Kommentaren wurden die Ereignisse in Europa auch mit Taiwan und den Diaoyu-Inseln in Verbindung gebracht. Ein besonders drastisches Meme, das auf Weibo geteilt wurde, zeigte ein Schwein mit der Aufschrift “Ukraine” in einem Schlachttrog. Ein weiteres Schwein, über dem “Taiwan” steht, muss dem blutigen Treiben über ein Mäuerchen hinweg zusehen. Das Meme sollte die Botschaft übertragen, dass Taiwan als nächstes seinem Schicksal geweiht ist.

Andere Nutzer betonten, dass Krieg zu nichts führe und plädierten für eine friedliche Lösung des Konfliktes. Auf WeChat Moments ging der Post eines Studenten mit dem User-Namen Tángyīshuǐ 唐一水 viral. Dieser schrieb: “所有支持战争的都是傻逼” – “Jeder, der Krieg unterstützt, ist ein ‘shabi’”. “Shabi”(傻逼) ist eines der derbsten Schimpfworte der chinesischen Sprache. Der Student schrieb weiter: “Das ist das Jahr 2020, nicht 1914. Wir sollten heute den Preis des Krieges kennen.” Jeder, der jetzt auf dem Sofa sitze, sein Wifi genieße, Früchte esse und den Krieg feiere, sollte sich bewusst sein, dass dieser Wohlstand auf Jahren des Friedens gewachsen sei, so der Autor.

Für Aufsehen vor allem in den westlichen Medien sorgte eine versehentlich veröffentlichte Anweisung an chinesische Medien zur Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt: Horizon News, eine Untergruppe von Beijing News, die der Kommunistischen Partei Chinas gehört, veröffentlichte laut Washington Post bereits am Dienstag “Anweisungen” zur Berichterstattung über die eskalierende Lage in der Ukraine auf ihrer Weibo-Seite. In dem Beitrag erklärte Horizon News, dass Inhalte, die Russland negativ darstellten, nicht veröffentlicht werden sollen. Auch eine pro-westliche Darstellung der Ereignisse sollte demnach vermieden werden. fpe

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UN: Peking liefert Junta in Myanmar Waffen

China hat einem Experten der Vereinten Nationen (UN) zufolge Myanmars Junta seit dem Putsch im vergangenen Jahr weiterhin mit Waffen beliefert. Der Sonderberichterstatter für die Rechtslage in Myanmar, Tom Andrews, forderte den UN-Sicherheitsrat auf, eine Dringlichkeitssitzung einzuberufen, “um zumindest jene Waffentransfers zu verbieten, von denen das myanmarische Militär bekanntermaßen Gebrauch macht, um Zivilisten anzugreifen und zu töten”. Neben China seien auch Russland und Serbien für die Waffenlieferungen an die Junta verantwortlich.

Der Sonderberichterstatter verlangt insbesondere von den wichtigsten Uno-Ländern eine besondere Verantwortung.. “Trotz der Beweise dafür, dass die Gräueltaten der Militärjunta seit dem Putsch im vergangenen Jahr ungestraft begangen wurden, liefern die UN-Sicherheitsratsmitglieder Russland und China der Militärjunta von Myanmar weiterhin zahlreiche Kampfflugzeuge, gepanzerte Fahrzeuge und im Fall Russlands das Versprechen weiterer Waffen”, erklärte Andrews. Serbien habe im selben Zeitraum den Export von Raketen und Artillerie an das Militär in Myanmar autorisiert.

Laut des Berichts des UN-Sonderbeauftragten hat China Myanmar seit 2018 Kampfflugzeuge, Raketen und Munition geliefert. So habe das myanmarische Militär unter anderem JF-17M “Thunder”-Kampfflugzeuge von dem chinesischen Staatsunternehmen Aviation Industry Corporation of China (AVIC) und Pakistans staatlichem Pakistan Aeronautical Complex (PAC) erhalten. “China setzte seinen Transfer von Militärflugzeugen nach dem Putsch fort. Am 15. Dezember 2021 hat die myanmarische Luftwaffe zusätzliche Flugzeuge in Auftrag gegeben, die von chinesischen staatlichen Industrien hergestellt wurden”, heißt es in dem Bericht. Mit der Lieferung zahlreicher Kampfjets, Raketen und militärischer Transportflugzeuge auch nach dem Putsch verstoße Peking gegen “das humanitäre Völkerrecht und wahrscheinlich gegen das Völkergewohnheitsrecht”, so Andrews. ari

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Puma leidet unter Boykott

Der Herzogenauracher Sportartikelhersteller Puma stellt sich auf ein schwieriges laufendes Jahr ein. Zu schaffen macht Puma der anhaltende Boykott in China. Im ersten Quartal dürfte der Umsatz hier erneut zurückgehen, sagte Puma-Chef Björn Gulden am Mittwoch. “Ich kann für das Gesamtjahr kein Wachstum hier versprechen, hoffe aber, dass es so kommt.” Immer noch habe Puma Schwierigkeiten damit, chinesische Prominente als Werbeträger zu gewinnen.

Ausgelöst wurde der Käuferstreik durch die Entscheidung von Puma, keine Baumwolle mehr aus der Provinz Xinjiang zu beziehen, nachdem es zu Berichten über Menschenrechtsverletzungen an der dort lebenden Minderheit der Uiguren gekommen war. Auch die Rivalen Adidas und Nike stehen unter Druck. Die Regierung in Peking weist die Vorwürfe zurück.

Dennoch bleibt Puma-Chef Gulden zuversichtlich. Das Unternehmen sagte für das Jahr 2022 ein währungsbereinigtes Umsatzplus von mindestens zehn Prozent voraus. Der Betriebsgewinn solle sich auf 600 bis 700 Millionen Euro verbessern von 557 Millionen Euro im abgelaufenen Jahr. An der Börse gaben die Aktien bis zu 3,6 Prozent nach und notierten zeitweise so niedrig wie seit fast elf Monaten nicht mehr. Die Prognose liege etwas unter den Markterwartungen, schrieben die Experten von Jefferies.

Puma stellt sie überdies unter den Vorbehalt, dass die Produktion in den wichtigsten Herkunftsländern in Asien aufrechterhalten wird und es zu keinen wesentlichen Geschäftsunterbrechungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise kommt. Zudem dürfte der Inflationsdruck durch höhere Frachtraten und Rohstoffpreise steigen. Gulden kündigte als Reaktion auf den Inflationsdruck Preiserhöhungen an. In der ersten Jahreshälfte dürften die Verkaufspreise etwas angehoben werden, in der zweiten dann stärker. rtr

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Hongkong: Einschränkungen für Ungeimpfte

Hongkong schränkt den Bewegungsradius von Ungeimpften wegen steigender Corona-Infektionszahlen drastisch ein. Ab Donnerstag wird unter anderem das Betreten eines Supermarktes in der Stadt nur noch mit einem Impfnachweis erlaubt sein. Auch für Restaurants, Freizeiteinrichtungen, Behörden oder sogenannte Nassmärkte, wo Tiere frisch geschlachtet werden, soll die Regel gelten. Insgesamt sind zwei Dutzend verschiedene Institutionen, Geschäftsarten und Etablissement von der Maßnahme betroffen.

Nach jahrelang niedrigen Fallzahlen steigt die Zahl der Ansteckungen mit SARS-CoV-2 in der Finanzmetropole seit Wochen kontinuierlich an (China.Table berichtete). Am Montag waren über 7.500 neue Fälle in Hongkong registriert worden. Ein dramatischer Anstieg von “buchstäblich Hunderttausenden” erwartet Karen Grepin von der University of Hong Kong’s School of Public Health. “Alle Daten deuten darauf hin, dass wir uns in einem frühen Stadium dieser Welle befinden”, sagte sie dem staatlichen Rundfunksender RTHK.

Corona-Maßnahmen auf unbestimmte Zeit

Die Regierung hatte deshalb in der vergangenen Woche bereits 20.000 Hotelzimmer reserviert, um Infizierte und Kontaktpersonen unter Quarantäne stellen zu können (ChinaTable berichtete). 30.000 Erkrankte warten derweil noch auf ihren Transfer in die Isolation. 1.000 ehemalige Staatsdiener wurden zur Unterstützung der Hotels bei der Aufnahme der Patienten einberufen.

Auch die Abstandsregelungen werden ab Donnerstag verschärft. In Restaurants dürfen dann nur noch maximal zwei Personen an einem Tisch Platz nehmen. Alle Maßnahmen sollen auf unbestimmte Zeit gelten. Bislang hatte die Regierung im Zwei-Wochen-Rhythmus neu entschieden. Die Maßnahmen folgen einer Ermahnung an die Hongkonger Behörden durch Chinas Staatspräsident Xi Jinping vor wenigen Tagen.

Ältere deutlich unter der Impfquote von gut 80 Prozent

Die Impfquote in Hongkong liegt zurzeit bei knapp über 80 Prozent. Besonders ältere Bevölkerungsgruppen rangieren allerdings deutlich unter dieser Marke. In der Altersklasse der 70- bis 79-Jährigen waren es vor wenigen Tagen rund 63 Prozent, bei den über 80-Jährigen lediglich etwa 33 Prozent. Gründe für die Impfskepsis seien Angst von Alleinstehenden im Falle von Komplikationen im Nachgang der Impfung und mangelnde Aufklärung durch Ärzte, berichten örtliche Medien. Insgesamt leben knapp 7,5 Millionen Menschen in Hongkong.

Ab Donnerstag gelten die neuen Coronavirus-Regeln vorerst nur für Erwachsene. Sie werden jedoch in den kommenden Monaten schrittweise verschärft. Bis Ende April müssen 12- bis 17-Jährige mindestens eine Impfdosis verabreicht bekommen haben, Erwachsene dann mindestens zwei, wenn sie weiterhin Zutritt zu allen Einrichtungen haben wollen. Von Ende Juni an müssen Erwachsene eine Auffrischung nachweisen, wenn die zweite Spritze neun Monate zurückliegt. Kinder und Jugendliche müssen dann zweimal geimpft sein.

Spätestens Ende des Frühjahrs werden die Beschränkungen auf den Besuch von Schulen und öffentliche Krankenhäusern ausgeweitet. Regierungschefin Carrie Lam hatte die Bürger:innen der Stadt im Januar gewarnt: “Wenn Sie sich gegen eine Impfung entscheiden, dann müssen Sie einige der Konsequenzen tragen.” grz

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Portrait

Popo Fan

Popo Fan ist LGBTQ+ Aktivist und für seinen Dokumentarfilm "Rainbow Mama" berühmt.
Dokumentarfilmer und LGBTQ-Aktivist

Noch heute kommen junge Menschen aus ganz China zu Popo Fan, um sich bei ihm zu bedanken: Ohne seinen Film “Mama Rainbow” hätten sie sich nie getraut, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. In seiner Kurzdoku hatte der im ostchinesischen Jiangsu geborene Filmemacher sechs Mütter porträtiert, deren Kinder gerade ihr Coming-out gewagt hatten. Homosexualität ist noch immer ein kontroverses Thema in China: Obwohl sie seit 1997 nicht mehr verboten ist, fühlen sich gleichgeschlechtlich liebende Menschen noch immer stigmatisiert.

Nicht wenige gehen Scheinehen ein, aus Angst, von der eigenen Familie verstoßen zu werden oder den Arbeitsplatz zu verlieren. Der Staat kehrt das Thema unter den Teppich. “Homosexuelle Beziehungen positiv in den Medien darzustellen ist in China Tabu”, erklärt der 35-Jährige, der an der Beijing Film Academy studiert hat und mittlerweile in Berlin lebt. In “Mama Rainbow” siegt am Ende die Mutterliebe über die tief verankerten Ängste und Vorurteile. “Wir hoffen, mit diesen positiven Geschichten den Menschen in China Mut zuzusprechen“, sagt Fan. “Die Botschaft an das Publikum lautet: Diese Mütter akzeptieren ihre Kinder wie sie sind, womöglich akzeptiert und unterstützt dich auch deine Mutter!”

Für seine Filme, die sich um Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe (“New Beijing, New Marriage”), Transgender (“Be A Woman”) und Geschlechterdiskriminierung (“The VaChina Monologues”) drehen, erhielt Fan mehrere Preise, darunter den “Prism Award” des Hong Kong Lesbian and Gay Film Festival. In Peking organisierte er zehn Jahre lang unter dem Radar der Behörden das “Beijing Queer Film Festival“. Obwohl seine Werke offiziell nicht in seiner Heimat gezeigt werden dürfen, ist er einer der bekanntesten LGBTQ-Aktivisten Chinas. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er keine Angst hat, die staatlich geduldete Homophobie öffentlich anzuprangern.

Nachdem “Mama Rainbow” 2015 von mehr als einer Million Nutzern angeklickt worden war, verschwand der Film plötzlich von chinesischen Streamingseiten wie “Tudou” und “Youku”. Da er weder Sex noch Gewalt propagiert, und damit auch nicht gegen die Nutzungsbestimmungen verstieß, reichte Fan vor einem Pekinger Gericht Klage ein. Er wollte verstehen, gegen welches Gesetz er eigentlich verstoßen hatte. Das so rigide wie intransparente System so direkt herauszufordern, hatte sich noch kein schwuler chinesischer Künstler getraut. “Wir wurden in China dazu erzogen, die Finger von der Politik zu lassen, da das gefährlich sei”, bekennt Fan, der sich monatelang durch alle Instanzen kämpfte.

Am Ende gewann er den Fall insofern, als die staatliche Zensurbehörde zugab, nie offiziell die Löschung des Films beantragt zu haben. Geändert hat das Eingeständnis nichts: Fans Werke sind noch immer nicht auf den Videoportalen des chinesischen Festlandes zu sehen. Wie der Staat weisen die Tech-Unternehmen jede Verantwortung von sich. “Das Problem ist, dass es keine klare Linie gibt, was erlaubt ist und was nicht. Die Zensur hängt von den jeweiligen Entscheidungsträgern ab. Wenn eine Person etwas mag, kommt man damit durch, aber wenn eine andere Person dagegen ist, kann ein Film verboten werden. Also versuchen die meisten Filmemacherinnen und Filmemacher, auf der sicheren Seite zu bleiben. Das tötet die Kreativität.” Fabian Peltsch

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Hongkong: Einschränkungen für Ungeimpfte
    • UN: Peking liefert Waffen an Militär-Junta in Myanmar
    • Porträt: LGBTQ-Aktivist und Filmemacher Popo Fan
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    im Schatten eines Krieges in Europa wirken Diskussionen um Arbeitsrechte in der chinesischen Tech-Industrie wie eine Marginalie. Doch es sind Millionen Menschen betroffen von einer Arbeitskultur, die Körper krank macht und Seelen verkrüppelt.

    Die Tragik daran ist, dass uns die Digitalisierung vor solchen gesellschaftlichen Entwicklungen eigentlich schützen soll. Sie automatisiert und erleichtert große Teile unseres Lebens. In China aber hat sie einen Teufelskreis geschaffen, in dem es Erfolg nur auf Basis persönlicher Opfer gibt. Opfer jener, ohne die es all die neuen Technologien gar nicht geben würde. Fabian Peltsch hat mit einem ehemaligen Produktmanager des chinesischen Lieferdienstes Meituan gesprochen, der ihm seine Erfahrungen schilderte.

    Außerdem werfen wir heute noch einmal einen Blick zurück auf die Olympischen Spiele in Peking und ihren Bärendienst an den Menschenrechten. Betroffen auch hier: Millionen von Menschen, vornehmlich in Xinjiang. Wir dürfen den Blick darauf nicht abwenden, auch wenn der Krieg in Europa derzeit einen großen Teil unserer Aufmerksamkeit verlangt.

    Ihr
    Marcel Grzanna
    Bild von Marcel  Grzanna

    Analyse

    Arbeitskultur in China: Fressen und gefressen werden

    Meituan Mitarbeiter:innen in Dongguan in China: Chinas Arbeitsbedingungen fordern immer mehr Opfer und werden zunehmend öffentlich kritisiert, beispielsweise von Zhang Yifei.
    Wer nicht mitmacht, fliegt raus: Meituan-Mitarbeiter im südchinesischen Dongguan am Beginn eines langen Arbeitstages.

    Ende Januar ging der Post von Zhang Yifei in China viral. Darin prangerte der 25-jährige Chinese öffentlich die Arbeitsbedingungen bei seinem Arbeitgeber Tencent an. “Haben Sie jemals darüber nachgedacht, dass es für ihre Angestellten um Leben und Tod geht, wenn sie solche Zeitpläne aufstellen?”, empörte er sich in einer unternehmensinternen Chat-Gruppe mit 600 Mitgliedern.

    Einer von Zhangs Kollegen war zuvor vom Management dafür gelobt worden, dass er mehr als 20 Stunden am Stück gearbeitet und dabei rund 200 Änderungen an einem Produktdesign vorgenommen hatte. So konnte es noch wie geplant an den Start gehen. “Eine schrittweise Tötung zum ehrenvollen Ansporn umzudeuten, könnte man als schwarzen Humor bezeichnen. Aber jeder Entscheidungsträger, der so etwas möglich macht, ist ein Komplize”, ätzte der erst wenige Monate zuvor eingestellte Programmierer und reichte kurz darauf seine Kündigung ein. Seine Kompromisslosigkeit machte Zhang über Nacht zum Helden vieler überarbeiteter Chinesen.

    Über die teilweise unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Chinas Tech-Industrie beschweren sich viele. Konsequenzen zu ziehen, gar zu kündigen, trauen sich jedoch nur die wenigsten. Im Gegenteil: Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu tragischen Todesfällen, die auch auf die Folgen von Überarbeitung zurückzuführen sind.

    Erst Anfang dieses Monats war ein 25-jähriger Angestellter der erfolgreichen Video-Plattform Bilibili an einer Gehirnblutung gestorben. Kurz zuvor hatte er über das chinesische Neujahrsfest in der Firmenzentrale in Wuhan fast durchgängig gearbeitet. Der Job des jungen Mannes bestand darin, die sekündlich neu einlaufenden Videos auf “illegale oder verletzende Inhalte” zu prüfen – eine Arbeit, die so monoton und seelenlos ist, dass sie auch als “Fließbandarbeit der Internetära” bezeichnet wird.

    Überstunden als Selbstverständlichkeit

    Eine prägnante Abkürzung, die sich für Chinas ausuferndes Arbeitspensum etabliert hat, lautet “996”: Von Mitarbeitern, insbesondere in der Tech-Branche, wird erwartet, dass sie von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends an sechs Tagen in der Woche arbeiten. “Das Arbeitsleben in China ist hochgradig von Wettbewerb bestimmt”, sagt John Wang. Der 31-Jährige war bis vor einem Jahr für den chinesischen Tech-Giganten Meituan als Produktmanager tätig. Seit August 2021 lebt er in Leipzig, wo er seinen MBA an der HHL Graduate School of Management macht. Nach Deutschland kam er auch, um dem harten Arbeitsalltag in China zu entkommen.

    “Mein Arbeitstag ging offiziell von 10 bis 21 Uhr. Aber meistens fing ich um acht morgens an und ging erst um 23 Uhr nach Hause“, erinnert er sich im Gespräch mit China.Table. Es herrschte ein immanenter Druck, abends als Letzter das Büro zu verlassen, sagt der studierte Physiker. “Und wenn du es doch früher nach Hause geschafft hast, hörte die Arbeit nicht auf. Du musstest immer erreichbar sein und sofort antworten, wenn eine Frage hereinkam. Dein Körper war zu Hause, aber deine Aufmerksamkeit war immer noch bei deinem Job.”

    Dem chinesischen Arbeitsgesetz von 1994 zufolge beträgt die Standardarbeitszeit acht Stunden pro Tag und maximal 44 Stunden pro Woche. In einer Umfrage der Zeitung Chengdu Economic Daily gaben jedoch mehr als die Hälfte der befragten Arbeitnehmer an, dass sie jeden Tag Überstunden leisten, wobei nur 44 Prozent dafür auch eine Vergütung erhielten. Arbeitgeber argumentieren, dass ihre Mitarbeiter sich “freiwillig” dafür entscheiden, Überstunden zu machen und dabei auf zusätzliches Geld verzichten würden.

    Der Tech-Gigant Huawei ließ sich diese “Freiwilligkeit” sogar von Mitarbeitern schriftlich bestätigen. Andere erklären, potenzielle Überstunden seien bereits im Gehalt inbegriffen. Gegen die Verhältnisse aufbegehren kann man kaum, wenn man seinen Job behalten will. Unabhängige Gewerkschaften sind in der Volksrepublik verboten.

    Chinas Mittelschicht: Zwischen Burn-Out und Selbstbestimmung

    Bleibt also nur das Internet, um seinem Ärger anonym Luft zu machen. Im Januar 2021 kursierte dort eine Liste, auf denen Mitarbeiter großer chinesischer Tech-Unternehmen ihre Arbeitszeiten miteinander verglichen (China.Table berichtete). Betitelt war das Dokument mit 996.ICU – nach der englischen Abkürzung für “intensive care unit”: Notaufnahme. Innerhalb von nur drei Tagen hatte die Tabelle bereits mehr als 1.000 Einträge. Dann wurde sie von Zensoren aus dem chinesischen Netz gelöscht.

    Als Antwort auf die öffentliche Diskussion erklärten Chinas Oberster Volksgerichtshof und das Ministerium für Human Ressources and Social Security (MOHRSS) im vergangenen August immerhin, dass chinesische Arbeitnehmer nicht mehr als 36 Überstunden pro Monat und drei Überstunden pro Tag leisten dürften. Doch nicht alle Mitarbeiter freuten sich darüber. “Wenn man bei einem Unternehmen wie Meituan oder Tencent arbeitet, ist man auf Überstunden vorbereitet. Auch, weil die Gehälter so hoch sind”, erklärt Wang. “Viele Mitarbeiter waren auf den besten Universitäten des Landes.”

    Chinas wachsende Mittelschicht ist einerseits stolz auf den erreichten Wohlstand, andererseits wächst der Wunsch, diesen Wohlstand mit mehr Freizeit genießen zu können. Für Chinas Unternehmen waren Überstunden lange Zeit auch ein Überlebensfaktor: Was den chinesischen Start-ups an finanziellen Mitteln und Know-how fehlte, glichen sie mit niedrigen Arbeitskosten, Geschwindigkeit und Flexibilität aus – alles Dinge, die von schnell austauschbarer Manpower abhängig sind.

    Huawei-Gründer Ren Zhengfei nannte das Arbeitsumfeld seiner Firma stolz “Wolf-Kultur”. Wenn die Mitarbeiter untereinander zwischen Fressen und gefressen werden konkurrieren, schlage sich das in einer größeren Wettbewerbsfähigkeit der Firma nieder. Wer da nicht mitmacht, fällt schnell durchs Raster, sagt Wang. “Wenn du den Job nicht machen willst, macht ihn jemand anders mit noch mehr Überstunden.”

    Newcomer arbeiten extra hart, um sich zu beweisen

    In China drängen allein in diesem Jahr mehr als zehn Millionen neue Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt. Unternehmen bevorzugen junge Angestellte unter 30, da sie schlicht als energetischer gelten. Zudem sei ihre Bezahlung niedriger als die eines langjährigen Mitarbeiters, erklärt Wang. “Wenn du mit 35 noch keinen leitenden Posten ergattert hast, wird es mit jedem Jahr wahrscheinlicher, dass du plötzlich entlassen wirst.” Auch dagegen gäbe es keine rechtliche Handhabe.

    “Die Unternehmensführung sagt dir nicht, du bist gefeuert, weil du zu alt bist. Sie erklären dir zum Beispiel, dass deine Arbeit hinter ihren Erwartungen zurückbleibt. Jedes Jahr werden so viele ältere Mitarbeiter entlassen, damit man neue einstellen kann. Und die Newcomer arbeiten oft extra hart, weil sie sich beweisen wollen.”

    Unternehmen wie Meituan oder Huawei bevorzugen bei ihrer Personalsuche oft Absolventen aus kleineren Städten, die ihren “ersten Topf voll Gold” (第一桶金 dìyī tǒng jīn) verdienen wollen, um in die Mittelschicht aufzusteigen. Die Versagensangst ist groß, der Druck, es zu schaffen, bringt die Menschen schnell an den Rand des Zusammenbruchs. Der “Burn-Out” sei als Konzept noch nicht in China angekommen, sagt Wang. “Man hört vielleicht mal davon, aber man fragt sich nicht, ob man selbst darunter leidet. Man denkt, man hat Stress. Man denkt, das ist eben das, was man tun muss, um Karriere zu machen.”

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    “Stellenwert von Olympischen Spielen wird sich verändern”

    Das positive Fazit des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach zu den Olympischen Winterspielen in Peking konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr es wochenlang hinter den Kulissen rumort hatte. Der diplomatische Boykott durch zahlreiche demokratische Nationen überschattete die Idee einer friedlichen Auszeit für die Welt. Kaum etwas von dem, was die olympische Idee ausmacht, hatte während der Corona-Pandemie die Chance, sich zu entfalten. Die sterile Atmosphäre der Spiele, geprägt von Abstand und Isolation, standen sinnbildlich für das abgekühlte Verhältnis des Gastgeberlandes zu großen Teilen der westlichen Welt.

    “Sportereignisse dürfen keine Kulisse für Propagandaveranstaltungen von Diktaturen sein. Die Olympischen Spiele in China waren es aber”, sagt der SPD-Menschenrechtspolitiker Frank Schwabe zu China.Table. “In Zukunft darf es keine Sportereignisse mehr geben, die kein überzeugendes Menschenrechts-, Umwelt- und Nachhaltigkeitskonzept haben. Wenn diese Spiele einen Sinn gehabt haben, dann den, dass Peking als Paradebeispiel dafür steht, wie es nicht sein darf.

    Laut Civey-Umfrage als Fazit der Olympischen Spiele in Peking hat sich das Ansehen der Olympischen Spiele verschlechtert.
    Das Ansehen der Olympischen Spiele hat gelitten.

    Die Mär von den unpolitischen Olympischen Winterspielen hatte China jahrelang verbissen verteidigt. Und das IOC stand treu an seiner Seite. Drei Tage vor dem Ende des Sportfestes fielen jedoch die Masken. Eine Sprecherin des Organisationskomitees BOCOG erklärte vor der internationalen Presseschar den Inselstaat Taiwan zu einem “untrennbaren Teil” der Volksrepublik und bezeichnete die Beweise für die systematische Zwangsarbeit von Uiguren in Xinjiang als “Lüge”. Der Moment, in dem das BOCOG die Contenance verlor, lehrte das IOC, dass es seine Schuldigkeit getan hatte.

    Bitterer Beigeschmack der Spiele überträgt sich auf Werbe-Partner

    Am Freitag zwar erinnerte Bach die Organisatoren erstmals während seiner Amtszeit daran, dass sie Neutralität bewahren mögen. Doch die Riposte des früheren Weltklasse-Fechters kam um Jahre zu spät, um glaubhaft den Eindruck vermitteln zu können, dass das IOC seine festgeschriebenen Prinzipien tatsächlich auch ernst nimmt.

    Die Kontroverse um die Ausrichtung der Wettbewerbe in einem Land, das von zahlreichen Regierungen und Parlamenten des Genozids an den Uiguren beschuldigt wird, dürfte die Wahrnehmung von Olympia als völkerverbindendes Treffen der Welt weiter beschädigen, glaubt Jutta Braun, Historikerin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. “Der Stellenwert von Olympischen Spielen wird sich verändern. Der Streit um die politische Verfasstheit des ausrichtenden Landes ist das eine – zudem stellen gerade offene Gesellschaften verstärkt kritische Nachfragen hinsichtlich der wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit. Das IOC muss mittlerweile genauer erklären, weshalb es die Spiele an bestimmte Orte vergibt”, sagt Braun.

    Auch das Image der Gastgeber hat – zumindest in Deutschland – unter der Ausrichtung gelitten. In einer exklusiven Umfrage von Civey im Auftrag von China.Table gab eine überwiegende Mehrheit von knapp 60 Prozent an, dass die Olympischen Spiele das Ansehen der Volksrepublik in ihren Augen verschlechtert habe. Nur zwölf Prozent sehen eine Verbesserung der Reputation des Landes.

    Auch Chinas Ansehen hat durch die Ausrichtung der Olympischen Spiele gelitten.

    Auch die Marke Olympia hat gelitten. Über 70 Prozent sehen die Olympischen Spiele als beschädigt an. Nur vier Prozent glauben, Olympia in China habe der Marke gutgetan. Verbesserungen sowohl für China als auch die Spiele erkennen vornehmlich die Anhänger der Linken und der AfD.

    Der Marketing-Stratege Markus Oelsner sieht auch die Hoffnungen der Werbepartner der Spiele in Mitleidenschaft gezogen (China.Table berichtete). Oelsner arbeitete 2008 in Peking für eine PR-Agentur, die damals im Auftrag des Olympia-Organisationskomitees BOCOG das Gastgeberland “weltoffen, farbenfroh und hypermodern” als Mittelpunkt der Erde zu positionieren versuchte. Er vermutet, dass bei den Marketingverantwortlichen der heutigen IOC-Partner “die Alarmglocken läuten”. “Zu schnell überträgt sich der bittere Beigeschmack der Spiele auf die Marken, die sie offiziell fordern und fördern”, sagt er.

    Oelsner erkennt im Vergleich zu den Sommerspielen vor 14 Jahren “eine brisante Mischung aus nationalistischem Kalkül mit dem Ziel, neue milliardenschwere Wintersportmärkte zu erschließen“. Diese Spiele, findet er, “werden dem wundervollen Land und seinen stolzen Menschen in keinster Weise gerecht.”

    Ausrichtung sollte Chinas Krisenfestigkeit beweisen

    Für die autoritär regierende Kommunistische Partei sind die Winterspiele jedoch in anderer Hinsicht ein voller Erfolg. Besonders nach innen nutzt die Propaganda Olympia als Instrument, die eigene Legitimation zu stärken. Während heimische Medien seit zwei Jahren den Eindruck vermitteln, dass überall in der Welt die Gesellschaften an der Corona-Pandemie zerbrechen, symbolisiert die Ausrichtung der Spiele der eigenen Bevölkerung eine beispiellose Fähigkeit, mit Krisen umzugehen.

    Das Bild wurde unterfüttert mit dem Aufmarsch von Staats- und Regierungschefs aus aller Welt sowie dem Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO. Während Chinas Staats- und Parteichef seit über zwei Jahren das eigene Land nicht verlassen hat und damit signalisiert, er könne sich nur in China sicher fühlen, vermitteln die übrigen Staaten plus WHO, sie könnten Pekings Corona-Politik vertrauen.

    Das IOC tat sein Übriges, um die gewünschten Botschaften in der Welt zu verbreiten. Das Komitee sei zu einer “Prostituierten von Regimen geworden, die genug zahlen”, hatte der CDU-Politiker Michael Brand im Interview mit China.Table gesagt. SPD-Mann Schwabe findet: “Insbesondere das Verhalten des deutschen IOC-Chefs Thomas Bach war beschämend.”

    Nicht nur, dass sich Bach im Fall der Tennisspielerin Peng Shuai der Sprachregelung der chinesischen Regierung anpasste. Der frühere Spitzensportler übernahm unreflektiert chinesische Positionen und Behauptungen auch in anderer Hinsicht. Beispielsweise, wenn es um die Nachhaltigkeit der Spiele geht.

    Das Organisationskomitee hatte im Januar verkündet, 99 Prozent seiner Nachhaltigkeitsziele erreicht zu haben und erstmals in der Geschichte klimaneutrale Spiele abzuhalten. Doch bei allem guten Willen waren die Zahlen schön gerechnet. Der Kohlenstoff-Ausgleich durch die Anpflanzung von Bäumen und dem vermeintlichen Einsatz höherer Kapazitäten von grünem Strom hat seine Tücken und überzeugt Experten nicht.

    ICT fordert eine nachhaltige Menschenrechtspolitik gegenüber China

    Auch die Natur wurde Chinas olympischem Traum geopfert. Beispielsweise in Zhangjiakou, wo Bäume abgeholzt und Wildtiere verscheucht wurden. Doch diese Aspekte belasten Pekings Spiele keineswegs exklusiv, sondern sind das Resultat des Gigantismus, der durch überbordende Eitelkeit und Gier vieler IOC-Mitglieder gefördert wird. Die Spiele in Pyeongchang vor vier und Sotschi vor acht Jahren waren in dieser Hinsicht keinen Deut besser.

    Nachhaltigkeit wünschen sich jedoch nicht nur all jene, denen Klima und Umwelt am Herzen liegt. Dass die Aufmerksamkeit der demokratischen Weltgemeinschaft für Chinas dramatisch schlechte Menschenrechtsbilanz mit dem Ende der Spiele abnehmen könnte, fürchtet die International Campaign for Tibet (ICT). “Nach den letzten Olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008 hat die Welt weggeschaut, als Chinas Führung hart gegen die Tibeter, Uiguren und viele andere vorging. Konsequenzen für die Kommunistische Partei Chinas gab es nicht“, schreibt die ICT.

    Die Organisation fordert Regierungen, internationale Organisationen, Unternehmen und Medien auf, “nach den diesjährigen Olympischen Spielen eine konsequente Menschenrechtspolitik gegenüber der KP Chinas umzusetzen”.

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    Ukraine beschäftigt Sozialmedien in China

    Während die Nachrichten über Angriffe auf die Ukraine in Europa seit Donnerstagmorgen die Schlagzeilen beherrschten, waren Chinas Staatsmedien zunächst noch zögerlich in der Berichterstattung. Zum Donnerstagabend hin aber gehörte der Konflikt neben anderen Themen dann auch zu den Aufmachern beim Auslandssender CGTN, der Nachrichtenagentur Xinhua und dem Staatsfernsehen CCTV. Allerdings war der Umfang jedoch geringer als in westlichen Medien. Die Staatsmedien gaben vor allem die Aussagen von Außenminister Wang Yi wieder.

    Auf den großen Social-Media-Kanälen Weibo, Weixin und Douyin indes war der Krieg in der Ukraine Thema Nummer Eins. Eine Weibo-Themenseite, die den neuesten Entwicklungen in der Ukraine gewidmet ist, verzeichnete innerhalb weniger Stunden mehr als 2,5 Milliarden Aufrufe und 360.000 Kommentare.

    Dort trendete sogar ein eigener Begriff, der beschreibt, dass man sich nicht auf die Arbeit konzentrieren kann, weil die Nachrichten aus der Ukraine so beunruhigend sind: wū xīn gōngzuò 乌心工作 – ein Wortspiel aus “Ukraine 乌克兰 Wūkèlán und wúxīn gōngzuò 无心工作: Nicht in der Stimmung sein, zu arbeiten.

    In Kommentaren wurden die Ereignisse in Europa auch mit Taiwan und den Diaoyu-Inseln in Verbindung gebracht. Ein besonders drastisches Meme, das auf Weibo geteilt wurde, zeigte ein Schwein mit der Aufschrift “Ukraine” in einem Schlachttrog. Ein weiteres Schwein, über dem “Taiwan” steht, muss dem blutigen Treiben über ein Mäuerchen hinweg zusehen. Das Meme sollte die Botschaft übertragen, dass Taiwan als nächstes seinem Schicksal geweiht ist.

    Andere Nutzer betonten, dass Krieg zu nichts führe und plädierten für eine friedliche Lösung des Konfliktes. Auf WeChat Moments ging der Post eines Studenten mit dem User-Namen Tángyīshuǐ 唐一水 viral. Dieser schrieb: “所有支持战争的都是傻逼” – “Jeder, der Krieg unterstützt, ist ein ‘shabi’”. “Shabi”(傻逼) ist eines der derbsten Schimpfworte der chinesischen Sprache. Der Student schrieb weiter: “Das ist das Jahr 2020, nicht 1914. Wir sollten heute den Preis des Krieges kennen.” Jeder, der jetzt auf dem Sofa sitze, sein Wifi genieße, Früchte esse und den Krieg feiere, sollte sich bewusst sein, dass dieser Wohlstand auf Jahren des Friedens gewachsen sei, so der Autor.

    Für Aufsehen vor allem in den westlichen Medien sorgte eine versehentlich veröffentlichte Anweisung an chinesische Medien zur Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt: Horizon News, eine Untergruppe von Beijing News, die der Kommunistischen Partei Chinas gehört, veröffentlichte laut Washington Post bereits am Dienstag “Anweisungen” zur Berichterstattung über die eskalierende Lage in der Ukraine auf ihrer Weibo-Seite. In dem Beitrag erklärte Horizon News, dass Inhalte, die Russland negativ darstellten, nicht veröffentlicht werden sollen. Auch eine pro-westliche Darstellung der Ereignisse sollte demnach vermieden werden. fpe

    • Gesellschaft
    • Russland
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    UN: Peking liefert Junta in Myanmar Waffen

    China hat einem Experten der Vereinten Nationen (UN) zufolge Myanmars Junta seit dem Putsch im vergangenen Jahr weiterhin mit Waffen beliefert. Der Sonderberichterstatter für die Rechtslage in Myanmar, Tom Andrews, forderte den UN-Sicherheitsrat auf, eine Dringlichkeitssitzung einzuberufen, “um zumindest jene Waffentransfers zu verbieten, von denen das myanmarische Militär bekanntermaßen Gebrauch macht, um Zivilisten anzugreifen und zu töten”. Neben China seien auch Russland und Serbien für die Waffenlieferungen an die Junta verantwortlich.

    Der Sonderberichterstatter verlangt insbesondere von den wichtigsten Uno-Ländern eine besondere Verantwortung.. “Trotz der Beweise dafür, dass die Gräueltaten der Militärjunta seit dem Putsch im vergangenen Jahr ungestraft begangen wurden, liefern die UN-Sicherheitsratsmitglieder Russland und China der Militärjunta von Myanmar weiterhin zahlreiche Kampfflugzeuge, gepanzerte Fahrzeuge und im Fall Russlands das Versprechen weiterer Waffen”, erklärte Andrews. Serbien habe im selben Zeitraum den Export von Raketen und Artillerie an das Militär in Myanmar autorisiert.

    Laut des Berichts des UN-Sonderbeauftragten hat China Myanmar seit 2018 Kampfflugzeuge, Raketen und Munition geliefert. So habe das myanmarische Militär unter anderem JF-17M “Thunder”-Kampfflugzeuge von dem chinesischen Staatsunternehmen Aviation Industry Corporation of China (AVIC) und Pakistans staatlichem Pakistan Aeronautical Complex (PAC) erhalten. “China setzte seinen Transfer von Militärflugzeugen nach dem Putsch fort. Am 15. Dezember 2021 hat die myanmarische Luftwaffe zusätzliche Flugzeuge in Auftrag gegeben, die von chinesischen staatlichen Industrien hergestellt wurden”, heißt es in dem Bericht. Mit der Lieferung zahlreicher Kampfjets, Raketen und militärischer Transportflugzeuge auch nach dem Putsch verstoße Peking gegen “das humanitäre Völkerrecht und wahrscheinlich gegen das Völkergewohnheitsrecht”, so Andrews. ari

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    Puma leidet unter Boykott

    Der Herzogenauracher Sportartikelhersteller Puma stellt sich auf ein schwieriges laufendes Jahr ein. Zu schaffen macht Puma der anhaltende Boykott in China. Im ersten Quartal dürfte der Umsatz hier erneut zurückgehen, sagte Puma-Chef Björn Gulden am Mittwoch. “Ich kann für das Gesamtjahr kein Wachstum hier versprechen, hoffe aber, dass es so kommt.” Immer noch habe Puma Schwierigkeiten damit, chinesische Prominente als Werbeträger zu gewinnen.

    Ausgelöst wurde der Käuferstreik durch die Entscheidung von Puma, keine Baumwolle mehr aus der Provinz Xinjiang zu beziehen, nachdem es zu Berichten über Menschenrechtsverletzungen an der dort lebenden Minderheit der Uiguren gekommen war. Auch die Rivalen Adidas und Nike stehen unter Druck. Die Regierung in Peking weist die Vorwürfe zurück.

    Dennoch bleibt Puma-Chef Gulden zuversichtlich. Das Unternehmen sagte für das Jahr 2022 ein währungsbereinigtes Umsatzplus von mindestens zehn Prozent voraus. Der Betriebsgewinn solle sich auf 600 bis 700 Millionen Euro verbessern von 557 Millionen Euro im abgelaufenen Jahr. An der Börse gaben die Aktien bis zu 3,6 Prozent nach und notierten zeitweise so niedrig wie seit fast elf Monaten nicht mehr. Die Prognose liege etwas unter den Markterwartungen, schrieben die Experten von Jefferies.

    Puma stellt sie überdies unter den Vorbehalt, dass die Produktion in den wichtigsten Herkunftsländern in Asien aufrechterhalten wird und es zu keinen wesentlichen Geschäftsunterbrechungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise kommt. Zudem dürfte der Inflationsdruck durch höhere Frachtraten und Rohstoffpreise steigen. Gulden kündigte als Reaktion auf den Inflationsdruck Preiserhöhungen an. In der ersten Jahreshälfte dürften die Verkaufspreise etwas angehoben werden, in der zweiten dann stärker. rtr

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    Hongkong: Einschränkungen für Ungeimpfte

    Hongkong schränkt den Bewegungsradius von Ungeimpften wegen steigender Corona-Infektionszahlen drastisch ein. Ab Donnerstag wird unter anderem das Betreten eines Supermarktes in der Stadt nur noch mit einem Impfnachweis erlaubt sein. Auch für Restaurants, Freizeiteinrichtungen, Behörden oder sogenannte Nassmärkte, wo Tiere frisch geschlachtet werden, soll die Regel gelten. Insgesamt sind zwei Dutzend verschiedene Institutionen, Geschäftsarten und Etablissement von der Maßnahme betroffen.

    Nach jahrelang niedrigen Fallzahlen steigt die Zahl der Ansteckungen mit SARS-CoV-2 in der Finanzmetropole seit Wochen kontinuierlich an (China.Table berichtete). Am Montag waren über 7.500 neue Fälle in Hongkong registriert worden. Ein dramatischer Anstieg von “buchstäblich Hunderttausenden” erwartet Karen Grepin von der University of Hong Kong’s School of Public Health. “Alle Daten deuten darauf hin, dass wir uns in einem frühen Stadium dieser Welle befinden”, sagte sie dem staatlichen Rundfunksender RTHK.

    Corona-Maßnahmen auf unbestimmte Zeit

    Die Regierung hatte deshalb in der vergangenen Woche bereits 20.000 Hotelzimmer reserviert, um Infizierte und Kontaktpersonen unter Quarantäne stellen zu können (ChinaTable berichtete). 30.000 Erkrankte warten derweil noch auf ihren Transfer in die Isolation. 1.000 ehemalige Staatsdiener wurden zur Unterstützung der Hotels bei der Aufnahme der Patienten einberufen.

    Auch die Abstandsregelungen werden ab Donnerstag verschärft. In Restaurants dürfen dann nur noch maximal zwei Personen an einem Tisch Platz nehmen. Alle Maßnahmen sollen auf unbestimmte Zeit gelten. Bislang hatte die Regierung im Zwei-Wochen-Rhythmus neu entschieden. Die Maßnahmen folgen einer Ermahnung an die Hongkonger Behörden durch Chinas Staatspräsident Xi Jinping vor wenigen Tagen.

    Ältere deutlich unter der Impfquote von gut 80 Prozent

    Die Impfquote in Hongkong liegt zurzeit bei knapp über 80 Prozent. Besonders ältere Bevölkerungsgruppen rangieren allerdings deutlich unter dieser Marke. In der Altersklasse der 70- bis 79-Jährigen waren es vor wenigen Tagen rund 63 Prozent, bei den über 80-Jährigen lediglich etwa 33 Prozent. Gründe für die Impfskepsis seien Angst von Alleinstehenden im Falle von Komplikationen im Nachgang der Impfung und mangelnde Aufklärung durch Ärzte, berichten örtliche Medien. Insgesamt leben knapp 7,5 Millionen Menschen in Hongkong.

    Ab Donnerstag gelten die neuen Coronavirus-Regeln vorerst nur für Erwachsene. Sie werden jedoch in den kommenden Monaten schrittweise verschärft. Bis Ende April müssen 12- bis 17-Jährige mindestens eine Impfdosis verabreicht bekommen haben, Erwachsene dann mindestens zwei, wenn sie weiterhin Zutritt zu allen Einrichtungen haben wollen. Von Ende Juni an müssen Erwachsene eine Auffrischung nachweisen, wenn die zweite Spritze neun Monate zurückliegt. Kinder und Jugendliche müssen dann zweimal geimpft sein.

    Spätestens Ende des Frühjahrs werden die Beschränkungen auf den Besuch von Schulen und öffentliche Krankenhäusern ausgeweitet. Regierungschefin Carrie Lam hatte die Bürger:innen der Stadt im Januar gewarnt: “Wenn Sie sich gegen eine Impfung entscheiden, dann müssen Sie einige der Konsequenzen tragen.” grz

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    • Gesundheit
    • Hongkong

    Portrait

    Popo Fan

    Popo Fan ist LGBTQ+ Aktivist und für seinen Dokumentarfilm "Rainbow Mama" berühmt.
    Dokumentarfilmer und LGBTQ-Aktivist

    Noch heute kommen junge Menschen aus ganz China zu Popo Fan, um sich bei ihm zu bedanken: Ohne seinen Film “Mama Rainbow” hätten sie sich nie getraut, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. In seiner Kurzdoku hatte der im ostchinesischen Jiangsu geborene Filmemacher sechs Mütter porträtiert, deren Kinder gerade ihr Coming-out gewagt hatten. Homosexualität ist noch immer ein kontroverses Thema in China: Obwohl sie seit 1997 nicht mehr verboten ist, fühlen sich gleichgeschlechtlich liebende Menschen noch immer stigmatisiert.

    Nicht wenige gehen Scheinehen ein, aus Angst, von der eigenen Familie verstoßen zu werden oder den Arbeitsplatz zu verlieren. Der Staat kehrt das Thema unter den Teppich. “Homosexuelle Beziehungen positiv in den Medien darzustellen ist in China Tabu”, erklärt der 35-Jährige, der an der Beijing Film Academy studiert hat und mittlerweile in Berlin lebt. In “Mama Rainbow” siegt am Ende die Mutterliebe über die tief verankerten Ängste und Vorurteile. “Wir hoffen, mit diesen positiven Geschichten den Menschen in China Mut zuzusprechen“, sagt Fan. “Die Botschaft an das Publikum lautet: Diese Mütter akzeptieren ihre Kinder wie sie sind, womöglich akzeptiert und unterstützt dich auch deine Mutter!”

    Für seine Filme, die sich um Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe (“New Beijing, New Marriage”), Transgender (“Be A Woman”) und Geschlechterdiskriminierung (“The VaChina Monologues”) drehen, erhielt Fan mehrere Preise, darunter den “Prism Award” des Hong Kong Lesbian and Gay Film Festival. In Peking organisierte er zehn Jahre lang unter dem Radar der Behörden das “Beijing Queer Film Festival“. Obwohl seine Werke offiziell nicht in seiner Heimat gezeigt werden dürfen, ist er einer der bekanntesten LGBTQ-Aktivisten Chinas. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er keine Angst hat, die staatlich geduldete Homophobie öffentlich anzuprangern.

    Nachdem “Mama Rainbow” 2015 von mehr als einer Million Nutzern angeklickt worden war, verschwand der Film plötzlich von chinesischen Streamingseiten wie “Tudou” und “Youku”. Da er weder Sex noch Gewalt propagiert, und damit auch nicht gegen die Nutzungsbestimmungen verstieß, reichte Fan vor einem Pekinger Gericht Klage ein. Er wollte verstehen, gegen welches Gesetz er eigentlich verstoßen hatte. Das so rigide wie intransparente System so direkt herauszufordern, hatte sich noch kein schwuler chinesischer Künstler getraut. “Wir wurden in China dazu erzogen, die Finger von der Politik zu lassen, da das gefährlich sei”, bekennt Fan, der sich monatelang durch alle Instanzen kämpfte.

    Am Ende gewann er den Fall insofern, als die staatliche Zensurbehörde zugab, nie offiziell die Löschung des Films beantragt zu haben. Geändert hat das Eingeständnis nichts: Fans Werke sind noch immer nicht auf den Videoportalen des chinesischen Festlandes zu sehen. Wie der Staat weisen die Tech-Unternehmen jede Verantwortung von sich. “Das Problem ist, dass es keine klare Linie gibt, was erlaubt ist und was nicht. Die Zensur hängt von den jeweiligen Entscheidungsträgern ab. Wenn eine Person etwas mag, kommt man damit durch, aber wenn eine andere Person dagegen ist, kann ein Film verboten werden. Also versuchen die meisten Filmemacherinnen und Filmemacher, auf der sicheren Seite zu bleiben. Das tötet die Kreativität.” Fabian Peltsch

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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