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Erscheinungsdatum: 12. Juli 2025

Investieren, bevor es zu spät ist – die Sozialwirtschaft ist ein Zukunftsmarkt

Die finanzielle Schieflage der Krankenkassen dominiert die Debatte um die Finanzierung des Gesundheitswesens. Dadurch gerät ein massives Problem weiter aus dem Blick: der Investitionsstau in der sozialen Infrastruktur. Über Jahrzehnte wurde zu wenig in Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Kitas und andere Einrichtungen investiert. Die Folgen: marode Gebäude, veraltete Technik, Digitalisierungsrückstand – und eine wachsende Zahl von Insolvenzen bei Trägern, die dem Druck nicht mehr standhalten.

Einzelne Bereiche wie Kitas oder Digitalisierung sind im Sondervermögen der Bundesregierung berücksichtigt. Das ist ein erster Schritt, aber kein Durchbruch – zumal dafür teilweise im Bundeshaushalt gekürzt wurde. Das von der Politik angestrebte und von der Bevölkerung erwartete Versorgungsniveau lässt sich so nicht aufrechterhalten.

Die soziale Infrastruktur erodiert. Und der Zeitpunkt ist denkbar schlecht. Denn der Bedarf an gesundheits- und sozialwirtschaftlichen Leistungen wird weiter steigen. Die demografische Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten. Also müssen wir den Umgang damit neu gestalten. Strategien sind gefragt, nicht kurzfristige Reparaturen. Und wir müssen den Mut fassen, neue Wege zu gehen.

  1. Wir müssen die Bürokratie entschlacken und mehr Innovation zulassen. Wer heute in eine Pflegeeinrichtung investieren will, betritt einen Dschungel aus Antragsverfahren, Förderbedingungen und Zuständigkeiten. Wir brauchen ein Klima des Vertrauens in die Subsidiarität und in die Problemlösungskompetenz der Akteure vor Ort.

  2. Die soziale Infrastruktur ist das Rückgrat unseres Gemeinwesens. Ihre Erneuerung duldet keinen Aufschub. Es braucht Programme, die nicht nur auf Anschubfinanzierung setzen, sondern langfristige Perspektiven bieten. Die Refinanzierung muss verlässlich gesichert sein – auch angesichts steigender Bau- und Betriebskosten sowie zusätzlicher Ausgaben für Digitalisierung und energetische Sanierung.

  3. Wir müssen Reformvorhaben entschlossen umsetzen. Mit der Krankenhausreform wurde eine überfällige Weichenstellung vorgenommen. Nun muss auch eine bedarfsgerechte Umsetzung erfolgen. Eine umfassende Pflegereform ist ebenso dringend. Brauchbare Vorschläge liegen vor – was fehlt, ist der politische Mut. Beide Themen erfordern unpopuläre Entscheidungen und viel Aufklärung, vor allem vor Ort. Eine verantwortungsvolle Politik muss sich dem stellen.

  4. Träger von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen haben das gleiche Problem: Sie müssen investieren, aber darauf sind weder die Vergütungslogik für die Leistungserbringung noch das Gemeinnützigkeitsrecht ausgerichtet. Um ihre Aufgaben auch künftig zu erfüllen, brauchen sie Zugang zu langfristigem, stabilem Kapital. Versorgungskassen, Versicherungen und Pensionsfonds weltweit suchen nach sicheren, auch sozial nachhaltigen Anlagemöglichkeiten. Dafür muss eine adäquate Rendite ermöglicht werden, ohne die Gemeinnützigkeit, in deren Rechtsrahmen die weitaus überwiegende Zahl der Träger agiert, zu gefährden. Unser subsidiäres System ist vom Dreiklang frei-gemeinnütziger, privater und öffentlicher Organisationen geprägt. Letztere sind im Kapitalzugang im Vorteil, frei-gemeinnützige Träger dagegen sehr benachteiligt. Dabei stehen gerade sie für die Balance zwischen Effizienz und gesellschaftlicher Fürsorge.

Die Herausforderungen sind groß. Aber sie sind lösbar – wenn wir jetzt handeln. Die Akteure der Sozialwirtschaft nehmen sie an – durch Spezialisierung, Professionalisierung und betriebswirtschaftliche Kompetenz. Hören wir also endlich auf, die Sozial- und Gesundheitswirtschaft nur als Kostenfaktor zu sehen. Sie ist vielmehr ein Zukunftssektor, dessen Wachstum demografiegestützt über Jahrzehnte garantiert ist. Die Politik allein hat es in der Hand, daraus eine Win-Win-Win-Situation für Gesellschaft, Leistungsträger und Kapitalgeber zu machen. Durch weniger Bürokratie, mehr Mut bei Reformen und bessere Bedingungen für Investitionen. Nur wer heute handelt, sichert Teilhabe, Würde und gesellschaftlichen Zusammenhalt für morgen.

Harald Schmitz ist Vorstandsvorsitzender der SozialBank AG

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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