„Shaping the Future with Technology“– so das offizielle Motto der Hannover Messe in diesem Jahr. Unsere Unternehmen haben dementsprechend innovative Produkte und Lösungen gezeigt, um Fabriken weltweit mit allerhöchster Produktivität und Nachhaltigkeit auszurüsten. Und dennoch war die Stimmung auf dem Messegelände insgesamt abwartend.
„Die kommenden Jahre entscheiden, ob hier die Lichter ausgehen“, formuliert ein CEO mit Blick auf die strengen hiesigen Regulierungsvorgaben während einer ZVEI-Diskussionsveranstaltung. Gleichwohl wurde allenthalben auch deutlich: Mit seiner starken Industrie hat Deutschland die besten Voraussetzungen, den jetzt relevanten Umsetzungsschritt bei Industrie 4.0 zu machen und damit seine Rolle als Industrieausrüster der Welt zu festigen.
Die entscheidenden Impulse dazu werden aus einem Bereich kommen, der in Europa noch immer ambivalent betrachtet wird: der künstlichen Intelligenz. Gerade die EU als Regulierungsinstanz lässt im AI Act erkennen, dass sie auf diese Technologie eher zwiespältig blickt. Dabei liegen in ihrer industriellen Anwendung enorme Chancen. Gerade die deutsche Industrie erfüllt alle Voraussetzungen, um mit KI erfolgreich zu sein: Sie hat hochwertige Daten, einzigartiges Domänenwissen und innovative Geschäftsmodelle. Doch damit sich diese weltweit einzigartige Ausgangslage in Wirtschaftswachstum auszahlt, muss die Politik entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.
Schon 2023 hat der Wirtschaftswissenschaftler Richard Baldwin erklärt: „ Du verlierst deinen Job nicht an die KI, sondern an jemanden, der KI benutzt.“ Das gilt vor allem für die Industrie: Industrieprodukte und ganze Fabriken ohne KI-gestützte Datenveredelung werden keine Zukunft haben. Besonders dann, wenn die internationale Konkurrenz entsprechende Innovationen entwickelt.
Doch hohe Compliance-Kosten für hier entwickelnde und umsetzende Unternehmen könnten sich als schwerwiegender Wettbewerbsnachteil erweisen. Vor allem die KI-Verordnung der EU könnte sich zum Hemmschuh entwickeln. Eine Studie der EU-Kommission selbst kommt zu dem Schluss, dass auf europäische Unternehmen Kosten von über 300.000 Euro pro KI-Produkt zukommen könnten. Zu viel, gerade für Start-ups und KMU, die für den deutschen Wohlstand eine zentrale Rolle spielen. Alleine schon die Existenz des AI-Acts – und seiner teils widersprüchlichen Ziele mit anderen Digitalgesetzen, ist eine Hypothek für die Innovationsfreude.
Es ist zwingend erforderlich, den AI Act in Deutschland so unkompliziert und bürokratiearm wie möglich umzusetzen und dabei auf die typisch deutsche „Goldrandlösung“ zu verzichten. Stattdessen muss industrielle AI ohne innovationshemmende Unsicherheiten Vorfahrt bekommen! Bestehende Widersprüche sollten ausschließlich zugunsten industrieller AI beseitigt werden. Denn die Tücken des horizontalen Regulierungsansatzes treten mittlerweile immer deutlicher zutage. Bereits jetzt müssen Industrieprodukte, beispielsweise im medizinischen Bereich, aufgrund sektoraler Regulierung höchste Sicherheitsstandards erfüllen. Solche Doppelregulierungen müssen abgestellt werden.
Die Regulatorik muss in Deutschland und Europa auf ein Maß zurückgeführt werden, das unsere Unternehmen nicht überfordert. Darüber hinaus müssen wir unsere Mitarbeit in den Standardisierungs- und Normungsgremien ausbauen. Gerade mittelständische Unternehmen sind damit jedoch oft in personeller Hinsicht überfordert. Deswegen sollte sich die nächste Bundesregierung auch diesem Feld in Form einer steuerlichen Normungsförderung zuwenden. Wenn wir uns nicht durch unnötige Regulierungen selbst aus dem Rennen nehmen, haben wir bei industrieller KI beste Chancen, „Benchmark“ für die USA und China zu sein.
Wolfgang Weber ist seit 2020 Vorsitzender der Geschäftsführung des ZVEI mit Sitz in Frankfurt am Main. Nach dem Chemiestudium in Frankfurt, Promotion in Zürich und kurzen Stationen bei SAP und einem Post Doc-Aufenthalt in San Diego begann er 1999 als Referent beim Verband der Chemischen Industrie (VCI).