Executive Summary
Erscheinungsdatum: 29. Oktober 2025

Kapitalmarktunion statt Superbörse: Was Europa wirklich braucht

Friedrich Merz hat sich für eine europäische Superbörse ausgesprochen. (Collage: Table.Briefings.)

Merz’ Plan für eine europäische Superbörse sorgt für Aufsehen – doch Fachleute fordern mehr: Statt neuer Handelsplätze braucht Europa endlich eine echte Kapitalmarktunion, um Investitionen zu bündeln und global konkurrenzfähig zu werden.

Der Vorstoß von Bundeskanzler Friedrich Merz zur Schaffung einer europäischen Börse ist richtig, greift aber zu kurz. Nur wenn ein einheitlicher Kapitalmarkt geschaffen wird, kann Europa international wettbewerbsfähig bleiben, sagen mehrere Experten im Gespräch mit Table.Briefings.

Die Unterstützung für den Vorstoß ist groß und kommt aus vielen Richtungen. Der Anlegerschutzverein DSW sprach von einem „Königsweg für Europa“, Finanzminister Lars Klingbeil und Bundesbankpräsident Joachim Nagel signalisierten „volle Unterstützung“. Auch die Finanzplätze Amsterdam, Paris und Mailand sowie die Europäische Zentralbank reagierten positiv.

Für Volkswirte ist die europäische Superbörse allerdings kein echter Gamechanger, denn das eigentliche Problem liegt tiefer. Europa leidet seit Jahren unter einer starken Fragmentierung seiner Kapitalmärkte. Unterschiedliche Vorschriften, Zuständigkeiten der Aufsichtsbehörden und nationale Interessen erschweren eine echte Integration. „Es gibt keine Abkürzungen. All dies wird noch viele Jahre dauern“, sagt der Ökonom Pawel Tokarksi von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Gerade die Macht der nationalen Banken blockiert weitere Integration. „In Europa dominiert weiterhin ein stark nationales Bankensystem, das wenig Interesse hat, Gebühren oder Einfluss abzugeben. Ohne Bankenunion keine echte Kapitalmarktunion“, warnt Florian Heider, Direktor des Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE, im Gespräch mit Table.Briefings.

Heider begrüßt es, dass Kanzler und Finanzminister das Thema einer europäischen Börse und einer tieferen Kapitalmarktunion auf die Agenda gesetzt haben. Eine gemeinsame europäische Börsenaufsicht mit mehr Befugnissen ließe sich seiner Ansicht nach „vergleichsweise leicht umsetzen und würde ein wichtiges Signal senden“. Deutlich schwieriger sei jedoch die Schaffung einer zentralen europäischen Börse, die „nicht politisch verordnet werden, sondern von den Börsenunternehmen selbst entstehen“ müsse.

Und die Börsenbetreiber verfolgen immer auch ihre eigenen Interessen. Ein offener Punkt ist die Standortfrage. Wo soll die europäische Superbörse angesiedelt sein? Ingrid Hengster, CEO von Barclays Deutschland und frühere KfW-Vorständin, hält eine europäische Superbörse „auf absehbare Zeit nicht für realistisch“. Denn: „Dies würde erhebliche institutionelle und politische Abstimmungen zwischen den großen Börsenplätzen erfordern, die bislang nicht gelungen sind.“

Der Vorschlag sei dennoch richtig und Merz’ Push notwendig. „Es braucht eine klare Ansage von oben“, so Hengster. Ohne politischen Druck werde es nicht funktionieren – zu festgefahren seien die Strukturen, zu groß die Eigeninteressen der Börsen. Mit über 500 Handelsplätzen hat Europa laut Deutscher Börse nicht nur den fragmentiertesten, sondern auch einen der intransparentesten Märkte geschaffen: Nur rund 30 Prozent des Aktienhandels laufen über regulierte Börsen.

Die Dringlichkeit lässt sich auch an den Zahlen ablesen: In den ersten neun Monaten dieses Jahres gab es in den USA laut der Beratungsagentur Ernst & Young 180 Börsengänge mit einem Gesamtvolumen von 33 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: In Europa waren es gerade einmal 72 IPOs mit einem Volumen von 9,4 Milliarden US-Dollar.

Die Ursachen dafür sind vielfältiger, als es auf den ersten Blick erscheint. Zum einen erzielen Unternehmen in den USA bei Börsengängen oft bis zu 25 Prozent höhere Bewertungen als in Europa. Zum anderen spielt auch die vorsichtigere Investorenkultur in Europa eine Rolle, die neuen Geschäftsmodellen weniger Vertrauen schenkt, wie der Aktienexperte und Chief Economist von Scalable Capital, Christian Röhl, betont. In den USA dagegen sorgt eine größere Offenheit für Risiko dafür, dass junge Unternehmen schneller Kapital erhalten und bessere Chancen auf Wachstum haben. An diesem grundlegenden Narrativ kann auch Merz’ Idee einer europäischen Superbörse nichts ändern.

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Letzte Aktualisierung: 03. November 2025

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