CEO.Economics
Erscheinungsdatum: 24. Januar 2025

Wir müssen dem Staat wieder vertrauen können

Warum der Staat neues Vertrauen braucht und was die zukünftige Bundesregierung tun muss, um dies zu erreichen, verrät Prognos-Chefvolkswirt Michael Böhmer.

Von Michael Böhmer

Vertrauen gewinnt man nur durch Leistung. Hier hat eine neue Bundesregierung einiges nachzuholen. Denn das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat ist in Schieflage geraten. Viele Menschen hegen ein tiefes Misstrauen gegenüber ihrem Staat und trauen ihm nichts mehr zu. Neben manch anderen Gründen ist das Vertrauen vor allem durch eines erschüttert: Vieles funktioniert einfach nicht mehr. Mannigfach erfüllt die Öffentliche Hand nicht in dem Maße ihre Aufgaben, wie sie es dem Bürger versprochen hat und wie es zweifelsfrei ihre Aufgabe ist. Das ist ein Problem für die Demokratie, aber auch für die Ökonomie und für die Chancen, die Deutschland hat, wieder eine ordentliche Wachstumsperformance hinzulegen und seine wirtschaftliche Rolle in Europa und in der Welt zu festigen.Es liegt zu viel im Argen.

Beispiel Netzinfrastruktur: Hier geht es neben dem Vertrauen, dass die Dinge funktionieren, um handfeste Wachstumswirkungen. Verkehr, Strom, Breitband. Überall liegt es in der Verantwortung des Staates, hierfür Netze bereitzustellen oder diese Aufgabe an Private zu übertragen und sie dann gescheit zu regulieren – im Preis und in der Qualität. Privatisierung von Infrastruktur entlässt den Staat nicht aus der Verantwortung.

Ein gut ausgebautes Straßen- und Schienennetz sorgt für niedrige Transportkosten und erhöht damit die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Die Pünktlichkeit der DB Cargo lag 2023 gerade mal bei 69 Prozent – nur mal so als Beispiel. Eine kostengünstige Übertragung von Strom an jeden Ort der Republik ist Voraussetzung für einen starken Industriestandort. Und was schnelles Internet zu leisten imstande ist, zeigen unter anderem Schätzungen des Forschungsinstituts Prognos: Der Netzausbau der letzten Jahre hat zu gut fünf Milliarden Euro mehr Wertschöpfung pro Jahr geführt. Da wäre noch deutlich mehr drin.

Beispiel Bildung : Augenscheinlich bringen wir dem wichtigsten Gut, über das wir als Volkswirtschaft verfügen, nicht den angemessenen Stellenwert entgegen: Große Klassen, Unterrichtsausfall, allenfalls mittelmäßige PISA-Ergebnisse und eine konstante Schulabbrecherquote von sechs bis sieben Prozent. Rund zehn Prozent der Eltern wiederum „fliehen“ mit ihren Kindern aus dem staatlichen Bildungssystem, mit dem sie offenkundig nicht zufrieden sind, in private Schulen.

Beispiel öffentliche Verwaltung: Die Dysfunktionalität vieler öffentlicher Verwaltungen, die von Mangel an Personal, an Digitalisierung und an Effizienz gekennzeichnet sind, machen den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht nur teuer für Unternehmen, sie wirken mittlerweile geradezu demokratiegefährdend, wenn sie die Gleichbehandlung der Bürger nicht mehr gewährleisten können. Gleiches gilt für Defizite bei Polizei und Justiz. Es darf kein Raum gegeben werden, das Gewaltmonopol des Staates infrage zu stellen.

Diese kurze Aufzählung zeigt nur einige besonders prägnante Beispiele. Hier und an anderen Stellen haben sich über die Jahre Defizite aufgebaut, die der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt nicht würdig sind. Vor allem sind sie unnötig. Mit substanziellen Verbesserungen könnten wir leicht unsere Wachstumsmöglichkeiten erhöhen und die Gesellschaft als Ganzes überzeugen, dass Deutschland alles in allem gut funktioniert.

Geht das wirklich leicht? All das kostet ja unfassbar viel Geld. Welche Regierungskonstellation auch immer sich nach dem 23. Februar finden wird, sie sollte schnellstmöglich das Anästhetikum absetzen, alles lieb gewonnene könne so bleiben wie immer. Prioritäten zu verändern, vermutlich ziemlich radikal, ist aus meiner Sicht ein Imperativ für die nächste Regierung. 48 von 100 in Deutschland erwirtschafteten Euro gehen durch staatliche Hände. Die Struktur dieser Ausgaben folgt aber keinem Naturgesetz, sie ist politisch gestaltbar.

Finden Unternehmen gute Rahmenbedingungen vor, werden sie sich für den Standort Deutschland entscheiden. Sie investieren und stärken somit die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft unseres Landes.

Spüren und erleben die Menschen, dass unser Staat, so wie er verfasst ist, Leistung bringen kann, werden sie auch wieder Vertrauen fassen und mehr Eigeninitiative zeigen. Wenn wir diese Trendumkehr nicht schaffen, wird es – so ist meine große Sorge als Demokrat – 2029 ein böses Erwachen geben.

Dr. Michael Böhmer ist Chefvolkswirt des Forschungs- und Beratungsunternehmens Prognos. Er lebt in München.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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