CEO.Economics
Erscheinungsdatum: 02. Mai 2025

US-Strafzölle: Droht Europa als Kollateralschaden ein Tsunami billiger chinesischer Importe?

Der Handelskrieg zwischen den USA und China dauert an. Die Sorge ist groß, dass Europa, insbesondere Deutschland, zwischen die Fronten gerät. Wenn sich Washington und Peking gegenseitig mit Zöllen überziehen, braucht China neue Absatzmärkte für seine Exportgüter. Es wird oft befürchtet, dass die EU ungewollt zum Flutbecken für chinesische Überkapazitäten wird. Dies könnte potenziell weitreichende Folgen für die ohnehin gebeutelte Industrie haben. Wie ernst sollten wir solche Befürchtungen nehmen?

Das KITE-Handelsmodell des Kiel Instituts zeigt, dass bei den gegenwärtigen Zöllen Chinas Exporte in die USA kurzfristig um fast 50 Prozent einbrechen. Echtzeit-Schiffsdaten signalisieren bereits einen scharfen Rückgang. Bei einem Exportvolumen von China in die USA von über 400 Milliarden US-Dollar bedeutet das annähernd 200 Milliarden an Waren, die nicht mehr nach Übersee gelangen. Diese müssen dann absorbiert werden. Zwar wurden davon Waren im Wert von etwa 80 Milliarden – vor allem Smartphones und Computer – wieder von den Zöllen ausgenommen. Doch wenn die verbleibende Exportmenge umgeleitet wird, könnten dann immer noch bis zu 150 Milliarden US-Dollar an chinesischen Produkten auf den Weltmarkt drängen.

Aber wohin? Ein Blick auf die Handelsströme zeigt: In die EU kommen rund 15 Prozent von Chinas Exporten. Wenn dieser Anteil auch für die Umleitung in etwa greift, dann dürften die europäischen Importe aus China kurzfristig um zehn bis 15 Milliarden US-Dollar steigen. Langfristig könnte der Effekt sogar noch stärker ausfallen. Ist das viel? Das BIP der EU beträgt annähernd 20 Billion. 20 Milliarden zusätzlicher Importe sind also nur 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Makroökonomisch wäre das wohl zu verkraften. Für einzelne Branchen könnte die Luft allerdings dünn werden.

Aber auch zeigt ein genauerer Blick auf die chinesischen Exporten in die USA, die jetzt umgeleitet werden, dass nicht Deutschland und die EU am meisten unter der zusätzlichen Konkurrenz leiden werden. Andere Länder sind stärker betroffen, da es sich vornehmlich um Branchen wie Textilien, Schuhe und einfache Konsumgüter handelt. Auch in Hightech-Segmenten wie Unterhaltungselektronik könnten vermehrte chinesische Exporte die Marktverhältnisse verschieben, denn hier gibt es nur wenige europäische Anbieter.

Anders sieht es in einigen mittel- und osteuropäischen Ländern aus. Sie haben sich auf spezifische Industriegüter und Zulieferkomponenten spezialisiert, weshalb die Konkurrenz aus China größere Probleme bereiten könnte. Und auch jenseits der Grenzen Europas werden die Exportindustrien in Ländern wie Vietnam, Bangladesch und Kambodscha betroffen sein. Hier wäre die Billig-Konkurrenz aus China ein potenzieller Gegenwind für eine erfolgreiche exportorientierte Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre.

Einen Gewinner gibt es in jedem Fall. Von den Überkapazitäten würden vor allem europäische Verbraucher profitieren, und zwar doppelt. Zum einen werden die Preise für viele einfache Konsumgüter fallen. Zum anderen werden fallende Preise weitere Zinssenkungen der EZB wahrscheinlicher machen, was unter anderem den Häuserkauf wieder attraktiver macht. Für Verbraucher wird das eine willkommene Entlastung sein.

Aber auch für europäische Unternehmen könnten Vorprodukte billiger werden. Dadurch eröffnen sich neue Chancen auf dem US-amerikanischen Markt. Kurzum, insgesamt sieht es danach aus, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Europa und insbesondere Deutschland beherrschbar bleiben, auch wenn Unsicherheit und Volatilität weiter auf der Stimmung lasten werden.

Prof. Moritz Schularick ist Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW).

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!