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Erscheinungsdatum: 11. April 2025

Koalitionsvertrag im Krisenmodus

Selten wurde ein Koalitionsvertrag in eine derart volatile weltwirtschaftliche Lage hineingeboren, wie der, den Union und SPD nun vorgelegt haben. Noch am Tag der Verkündung drohte dem globalen Handel ein Schock: US-Zölle auf Exporte aus verschiedenen Ländern standen im Raum, gleichzeitig gerieten die Anleihemärkte ins Wanken. Erst am Abend entspannte sich die Lage etwas – Donald Trump verkündete eine 90-tägige Zollpause, mit Ausnahme von China.

Die Gründe für die plötzlichen Ausschläge an den Finanzmärkten sind unklar. Vermutet wird, dass Hedgefonds große, gehebelte Positionen in US-Staatsanleihen auflösen mussten. Ironischerweise könnten genau diese Turbulenzen den Welthandel vor einem unmittelbaren Schock bewahrt haben. In diesem Umfeld ein Regierungsprogramm zu formulieren, ist alles andere als leicht. Doch die Koalitionspartner haben zentrale wirtschafts- und finanzpolitische Themen adressiert. Das geplante Finanzpaket sichert die Finanzierung von Verteidigung und Infrastruktur. Bei Bahnfinanzierung, Energienetzen, Wohnungsbau sowie Mittelstands- und Start-up-Förderung werden Fortschritte angestrebt.

Auch zur Stärkung des Potenzialwachstums enthält der Vertrag konkrete Maßnahmen: etwa die steuerlich begünstigte Aktivrente, verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen oder eine neue „Work and Stay“-Agentur zur Förderung von Erwerbsmigration. Insgesamt könnten diese Maßnahmen das Wachstumspotenzial um etwa 0,4 Prozentpunkte steigern – das ist keine Revolution, aber auch nicht nichts.

Zahlreiche weitere Vorhaben, etwa zu frühkindlicher Bildung und Integration, sind noch nicht detailliert genug, um ihre Wirkung zu beziffern. Doch auch sie könnten langfristig die Wirtschaftsleistung erhöhen – vorausgesetzt, ihre Umsetzung gelingt. Hier liegt jedoch das erste große Problem: Der gesamte Vertrag steht unter Finanzierungsvorbehalt. Halten sich Union und SPD strikt an die europäischen Fiskalregeln, bleiben kaum Spielräume für neue Ausgaben oder Einnahmeverzichte. Viele der verabredeten Vorhaben könnten bereits am ersten Haushalt scheitern.

Das zweite Problem ist strategischer Natur: Industriepolitisch fokussiert sich der Koalitionsvertrag vor allem darauf, Bestehendes zu bewahren – mit niedrigen Strompreisen und Subventionen. Wichtig wäre aber, das deutsche Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Momentan lebt Deutschland vom Export von Industriegütern. Der mit Abstand größte Abnehmer sind die USA. Spätestens nach der Nahtoderfahrung diese Woche wäre es gut, darüber nachzudenken, wie wir das Wachstumsmodell diversifizieren könnten, um weniger von den USA abhängig zu sein. Schließlich tobt der Handelskrieg weiter und die US-Regierung hat sehr deutlich gemacht, dass sie ihr Handelsbilanzdefizit reduzieren möchte – koste es, was es wolle.

Schweden zeigt, wie eine solche Diversifizierung aussehen kann. Dort arbeiten mittlerweile wesentlich mehr Menschen in hochwertigen Dienstleistungen als in Deutschland. Jobs im Hightech-Bereich, der Softwareentwicklung oder Datenverarbeitung – um nur ein paar Beispiele zu nennen – sind nicht nur an sich erstrebenswert, sondern machen tendenziell auch die Industrie produktiver.

Damit eine solche Diversifizierung gelingen kann, braucht es aber eine Politik, die sich traut, das Problem anzusprechen. Und es bräuchte einige der Vorhaben im Bildungsbereich, die im Koalitionsvertrag eher vage skizziert sind und Gefahr laufen, aufgrund beschränkter Mittel nicht umgesetzt zu werden. Denn Karrieren in hochqualifizierten Dienstleistungen sind wesentlich wahrscheinlicher, wenn es nicht schon an der frühkindlichen Bildung fehlt.

Der Koalitionsvertrag enthält vielversprechende Ansätze. Doch wenn er nur dazu dient, das alte Modell zu konservieren, dürfte das in der neuen Welt riskanter sein als den meisten Deutschen lieb ist.

Philippa Sigl-Glöckner ist Ökonomin und Gründungsdirektorin der Denkfabrik „Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen“. Seit 2020 gehört sie dem wirtschaftspolitischen Beirat der SPD an.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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