CEO.Economics
Erscheinungsdatum: 27. Dezember 2024

Don’t be Nokia – Was Deutschlands Finanzpolitik vom Niedergang des Mobilfunkriesen lernen kann

von Philippa Sigl-Glöckner

Finanzpolitisch wird Deutschland oft wie ein solider Mittelständler gesehen: ein bisschen langweilig, aber grundsolide. Tatsächlich ähnelt der Staat jedoch eher einem Unternehmen wie Nokia, das einst den Mobiltelefonmarkt dominierte, dann aber durch fehlende Investitionen und Innovation ins Abseits geriet. Hybris, Gegenwartsbias und eine komplexe Organisationsstruktur versperrten damals den Blick auf das Wesentliche – mit fatalen Folgen.

Ähnlich sieht es aktuell in Deutschland aus: Statt sich auf das Schließen von Investitionslücken und die Erneuerung des deutschen Geschäftsmodells zu konzentrieren, kreist die Politik um byzantinisch anmutende Detailfragen zur Schuldenbremse. Es wird diskutiert, was erlaubt ist – nicht, was nötig wäre. Dabei sind die heutigen Rahmenbedingungen gänzlich andere als in der Zeit, aus der unsere Schuldenregeln stammen.

Bis 2030 schätzen meine Kolleginnen und Kollegen vom Dezernat Zukunft die öffentliche Investitionslücke auf knapp 800 Milliarden Euro. Die größten Ausgabenblöcke sind Verkehr, Verteidigung, Dekarbonisierung und Bildung. Wie lassen sich jährlich 133 Milliarden Euro nachhaltig finanzieren? Mit Einsparung allein ist das nicht zu machen. Die Bundesregierung allein müsste ca. 70 Milliarden Euro pro Jahr in einem knapp 500 Milliarden Euro großen Haushalt finden, in dem jetzt schon eine große Lücke klafft. Bereits zweistellige, grundgesetzkonforme Einsparungen sind schwer zu finden.

Eine offensichtliche Antwort wäre eine Schuldenbremsenreform, die eine Kreditfinanzierung produktiver Ausgaben ermöglicht, solange keine Inflationsgefahr besteht. Insbesondere in wirtschaftlich schwachen Zeiten können solche produktiven Ausgaben signifikante Wachstumseffekte haben. Liegen die Realzinsen dazu noch knapp über Null – wie heute der Fall – führen solche Ausgaben nicht zu einer steigenden, sondern einer fallenden Zinslast.

Gut 100 der 800 Milliarden Euro fallen aber nicht in die Kategorie produktive Ausgaben. Mittelfristig höhere Kosten von innerer Sicherheit über Klimaanpassung bis hin zur Deckelung des Strompreises und dem Unterhalt der Bundeswehr sollten aus laufenden Einnahmen finanziert werden. Wie man das gleichzeitig mit großen Steuergeschenken hinbekommen möchte, bleibt das Geheimnis wahlkämpfender Politiker.

Aber selbst wenn die Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung fehlt, gibt es Möglichkeiten im Rahmen der heutigen Schuldenbremse. Mittels finanzieller Transaktionen lässt sich Infrastruktur finanzieren: Gibt der Bund der Bahn einen Kredit anstatt eines Zuschusses, fallen die dafür aufgenommenen Schulden nicht unter die Schuldenbremse.

Dazu enthält die Schuldenbremse eine Konjunkturkomponente, die die Verschuldung an die Wirtschaftslage anpasst. Heute ist diese Konjunkturkomponente so ausgestaltet, dass sie – unabhängig von der aktuellen Politik – die Wirtschaft bremst, wenn diese besser läuft als in der Vergangenheit. Das ist weder notwendig noch zielführend. Schließlich ist für die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen nichts wichtiger als ein möglichst hohes Beschäftigungsniveau. Wenn Frauen mehr erwerbstätig sein wollen und können als früher, sollte das berücksichtigt werden, genauso wie es das Ziel sein sollte, Zugewanderte möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Eine reformierte Konjunkturkomponente könnte die finanziellen Spielräume für beschäftigungstreibende Politik erhöhen.

Es gibt also Wege, im Rahmen der Schuldenbremse finanzielle Spielräume zu schaffen. Nur machen diese Wege die Finanzierung von unkontroversen Investitionen deutlich komplexer und teurer als nötig. Komplexer, weil der Haushalt um die Schuldenbremse herumstrukturiert wird. Teuerer, weil mindestens ein Teil der Ausgaben unsicher bleiben wird. Infolgedessen weiten zum Beispiel Bauunternehmen ihre Kapazitäten nicht aus, die kurzfristige Investitionsspritze treibt die Kosten. Zudem steigen die Anreize für den Staat private Vorfinanzierung zu nutzen. Auch die treibt die Kosten, weil sich keiner so günstig finanzieren kann wie der Bund.

Nokia verstrickte sich in seiner Matrix-Organisation. Deutschland läuft Gefahr sich in der Schuldenbremse zu verheddern. Das muss nicht sein. Anstatt um unsere Schuldenregel zu kreisen, sollten wir eine ernsthafte Diskussion um eine nachhaltige und realistische Finanzpolitik beginnen – eine Finanzpolitik, die mit einer Erneuerung des deutschen Geschäftsmodells und Wachstum einhergeht. Alles andere können wir uns in der heutigen Zeit nicht leisten.

Philippa Sigl-Glöckner ist Ökonomin und Gründungsdirektorin der Denkfabrik „Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen". Seit 2020 gehört sie dem wirtschaftspolitischen Beirat der SPD an. Bei den kommenden Bundestagswahlen kandidiert sie für die SPD für den Wahlkreis München-Nord.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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