wie soll die Schule der Zukunft aussehen? Am ersten Tag des Hackathons “Wir für Schule” stand diese Frage im Zentrum. Ein Zukunftsrat mit mehr als einhundert Mitgliedern hat sich diese Frage gestellt – und erste Antworten präsentiert. Der einwöchige Hack hat sich vorgenommen, weitere hinzuzufügen.
Christian Füller stellt Ihnen in dieser Ausgabe von Bildung.Table Edulog vor, eine digitale Lernstandserfassung für Kinder, die kurz vor ihrer Einschulung stehen – und die nach ersten Berichten darüber das Interesse der Bildungspraktiker geweckt hat. Und der Neu-Ulmer Lehrer Sebastian Schmidt erläutert die Möglichkeiten des Breakout-Rooms für den digitalen und den analogen Unterricht.
Sie lesen heute die dritte Ausgabe von Bildung.Table und ich möchte Sie um Ihre Meinung zu unserem neuen publizistischen Angebot bitten. Schreiben Sie mir, was Ihnen gefällt, und auch, welche Informationen Sie sich wünschen. Denn nur so können wir besser werden – und damit zu einer Lektüre, die Sie als Bildungsprofi interessiert, herausfordert und Ihnen Spaß macht. In unserem Bildung.Table-Archiv finden Sie alle bisher erschienenen Inhalte, übersichtlich sortiert, zum Nachlesen. Empfehlen Sie uns gern weiter, und falls Ihnen Bildung.Table weitergeleitet wurde: Hier ist der Link zum Anmelden.
Wenn die Bildungsforscherin Monika Kil heute Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth “Edulog” übergibt, kann dies eine Zeitenwende für die empirische Schulforschung und den Einsatz von Algorithmen in der Bildung werden. Mit Hilfe des digitalen Sprachlernspiels Edulog können Forscher den Sprachstand von Kindern vor der Einschulung viel genauer messen, als das bisher möglich war. Das würde einer Herausforderung begegnen, die es in der Bildungspolitik seit Jahren gibt. Wegen der zunehmenden Heterogenisierung der Schülerschaft wollen Grundschulen bereits vor der Einschulung erfahren, wie die sprachlichen Fähigkeiten ihrer künftigen Erstklässler sind. Führt man solche Tests rechtzeitig durch, können die Kinder durch gezielte Kurse auf das Lernen in der Schule vorbereitet werden – und Defizite aufholen. Auf deutsch: der Algorithmus könnte künftig dabei helfen, dass Kinder nicht schon in der Grundschule den Anschluss verlieren.
Für Deutschland könnte das Projekt den Durchbruch digitaler Lernstandsmessungen bringen. Zwar hat sich mit den Pisa-Studien seit dem Jahr 2000 eine so genannte empirische Wende ereignet. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik wurde seitdem weniger theoretisiert und Bildungspolitik konnte sich mehr auf empirische Fakten stützen. Allerdings gibt es nun eine Reserviertheit gegenüber digital gestützten empirischen Erhebungen. Eine Lernstandsanalyse der Schülergeneration Corona etwa liegt bisher nicht vor – weil die Institute für eine analoge Erhebung zu lange brauchen. Das zuständige Bamberger Leibniz-Institut für Bildungsverläufe benötigt nach eigenen Angaben noch bis nächstes Jahr, um zu beschreiben, wie groß die Corona-Lernlücken wirklich sind. Ein viel schnelleres und vor allem genaueres digitales Monitoring lehnt Institutsleiterin Cordula Artelt im Gespräch mit Bildung.Table nicht ab. Artelt verweist aber darauf, dass diese das Plazet der Kultusbürokratie brauchen. “Auch die Durchführung diese Studien muss in fast allen Bundesländern ministeriell genehmigt werden“, sagte Artelt.
Das Projekt Edulog kann zeigen, dass digitale Erhebungsmethoden beides sind: schnell und genau. An dem Projekt, das unter anderen von Digitalministerin Dorothee Bär (CSU) und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) in der “Digitalinitiative Bildung und Gesundheit” begleitet wird, sind mehrere Wissenschaftler beteiligt – Logopäden, Ärzte, Gesundheitsforscher, Erziehungswissenschaftler. Entscheidend aber war, dass es in der Praxis getestet wurde, an der Astrid-Lindgren-Schule in Hagen. 66 Kinder aus den umliegenden Kitas kamen im März und April Monate vor ihrer Einschulung in die Grundschule und spielten vor einem Computer das Lernspiel. Sie mussten Sätze nachsprechen, die ihnen eine kleine Maus vorsagte. Sie sollten in einer Urlaubsszene auf dem Bildschirm zeigen, welcher Sonnenschirm geöffnet ist. Sie mussten aber auch, ganz analog, auf einem Blatt Papier Männchen malen.
Diese Übungen waren für Konrektorin Wiebke Kemper nichts besonderes – aber die blitzschnelle rechnergestützte Bilanz überraschte sie. Während das Kind eingibt und spricht, läuft im Hintergrund der Algorithmus mit. “Wir bekommen von dem Programm eine schnelle Auswertung”, sagte sie. “Die kommt auch direkt einmal in schriftlicher Form, als Bericht, dann in Form von Diagrammen und Kurven, und so sehen wir ganz genau, wo das Kind steht und in welchen Bereichen es vielleicht noch gefördert werden sollte.” Über den ersten Durchgang der Diagnosesoftware Edulog berichtete der WDR – anschließend stand in der Lindgren-Grundschule das Telefon nicht mehr still. Schulleiter:innen riefen an und fragten: “Können wir das auch haben? Wir wollen kein Kind verloren geben, wir wollen von Anfang an wissen, wo die Stärken liegen, wo wir ansetzen können, um das Kind optimal zu fördern”. In dem Test an der Lindgren-Schule wurden bei drei Kindern leichte und bei einem Kind starke Förderbedarfe festgestellt.
Das Programm hat den Vorteil, dass es dank seiner digitalen Konstruktion in 20 Sprachen einsetzbar ist. Das bedeutet, dass man etwa ein Kind, das Farsi spricht, erst in Deutsch und dann in seiner Muttersprache testen kann. Was ist der Vorteil? Dass es wirklich um die Lernvoraussetzungen eines Kindes geht – und nicht in erster Linie darum, dass es Deutsch kann. “Wir sind eine Bildungsgesellschaft”, sagt Monika Kil, die an der Donau-Universität in Linz Professorin ist. “Wir können es uns nicht leisten Kinder anderer Muttersprachen abzuwerten, bloß weil wir keine adäquaten Testmethoden haben. Etwa dass ein Kind in die Logopädie geschickt wird, nur weil es Farsi spricht – obwohl es dort nichts verloren hat.” Das sei auch der Grund, warum Claudia Roth Schirmfrau des Projektes wurde.
Sprachtests vor der Einschulung gibt es als analoge Variante schon lange, sie hießen in Berlin Bärenstark oder in Nordrhein-Westfalen Delfin. Sie hatten aber stets das Problem, dass sie sehr lange dauerten und nicht immer genau anzeigten, wo das Kind steht. Edulog hat diese Schwierigkeit nicht – es ist ein softwarebasiertes Verfahren zur Erfassung und Einschätzung der schulischen Grundfähigkeiten. Die hinter den Aufgaben mitlaufenden Algorithmen ermöglichen eine Art Röntgenaufnahme des Sprachstands der Kinder. EduLog misst Sprachverständnis und -produktion, es hat einen visuellen und auditiven Bereich und untersucht die Phonologie des Kindes, also die Fähigkeit, Laute differenziert zu erfassen.
Auf die Frage, ob das Verfahren nicht auch leicht zur Abweisung von Schulanfängern missbraucht werden könnte, erwidert Professorin Kil, dass es nicht erlaubt sei, Kinder von der Einschulung in die Grundschule mehr als einmal zurückzustellen. “Es darf keinen Missbrauch dieses Instruments in unserer Gesellschaft geben, dass muss ethisch und durch verbindliche Verfahren gesichert werden”, sagte die früherer Leiterin eines Leibniz-Instituts. Auch durch fehlende Genehmigungen durch die Kultusbürokratie lasse sich das Instrument wahrscheinlich nicht aufhalten. “Es herrscht Lernmittelfreiheit, die Praxis kann dieses Instrument nutzen.”
Es begann mit einem protokollarischen Faux Pas. Draußen in der Welt hat ihn niemand bemerkt, aber in der Konferenz der Kultusminister dürfte es Pein verursacht haben, dass die Moderatorin des Eröffnungsgesprächs zuerst die – formell – unzuständige Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) begrüßte. Und dann sehr lange brauchte, um zu erklären, warum nun eigentlich die Bildungsministerin aus Brandenburg auch da war. Ach ja, weil Britta Ernst (SPD) die Präsidentin der KMK ist, mithin die Ministerin aller deutschen Kultusministerinnen. In einem komplett hierarchiefreien Hackathon ist das egal, im derzeitigen Fingerhakeln zwischen Ernst und Karliczek ist es das überhaupt nicht. Weil Karliczek jüngst ohne Absprache mit der KMK einen Runden Tisch ausrief, bockte die Ständige Konferenz, die älter als die Bundesrepublik ist. Und deswegen warten die Bildungsanbieter immer noch darauf, dass sie an irgendeinem Tisch zu sitzen kommen, wo über die so genannte Nachhilfemilliarde gesprochen wird (Bildung.Table berichtete).
Beim Hackathon schien Anja Karliczek deutlich besser gelaunt als Britta Ernst. Die Bundesministerin sagte, der Hackathon und Bildung seien sehr wichtig. Schon das erste Kapitel von Verena Pausders Buch drehe sich ja auch um Bildung. Karliczeks Rede an die Teilnehmer:innen ließ sich auf einen Nenner bringen: sie verbreitete gute Laune. Britta Ernst hingegen war so nüchtern und klar, wie sie es in der Regel ist. Ja, beim Hackathon gehe es um etwas, was für alle und gerade jetzt wichtig sei: “Wie sieht die Zukunft der Bildung aus?” Die KMK nehme “Wir für Schule” ernst, sagte sie, weil in diesem Format so viele Menschen aus dem ganzen Land teilnehmen.
Ernst versäumte auch nicht, die wichtigen Keywords in die Runde zu werfen, die bei einem Hackathon gerne gehört werden: in den Schulen seien heute Menschen, die womöglich noch 2070 arbeiteten. “Sie lernen also für eine Zukunft, die wir noch nicht kennen”. Von der Pandemie sei ein Innovationsschub ausgegangen, bestätigte Brandenburgs oberste Bildungsfrau – aber man habe gleichwohl auch gesehen, was nicht funktionierte. Und hier hinterließ Ernst eine Botschaft, die zumindest dem Zukunftsrat und den beiden Initiatoren des Hackathons, Verena Pausder und Max Maendler, missfallen haben dürfte: Ernst betonte, wie wichtig es sei, zeitlose Basiskompetenzen zu vermitteln. Nämlich: Mathe und Deutsch. Angesichts der Tatsache, dass der Zukunftsrat gerade ein Zielbild vorstellt, in dem Mathe und Deutsch möglicherweise keine dominante Rolle spielen, wenn sie denn überhaupt genannt sind, war dies ein deutliches Signal. Es wäre eine wichtige Frage gewesen, die man hätte erörtern können, nein müssen. Allein, die beiden Ministerinnen verschwanden nach ihren Grußworten und ließen, anders als angekündigt, keine Fragen zu.
Um Deutsch und Mathematik ging es bei der Vorstellung des “Zielbilds für die Schule von morgen” am Mittag des ersten Hackathon-Tages nicht. Elizabeth le Minh moderierte die dreiviertelstündige Zoom-Sitzung. Maya Upman und Steffi Xylander präsentierten und kommentierten die Ergebnisse des 108-köpfigen Zukunftsrats.
“Dieses Mal soll’s anders sein” wünscht sich die Thüringer Lehrerin Xylander und stimmt damit ihrer Zukunftsrats-Kollegin Upmann zu. Die 13-jährige Schülerin aus Bayern sprach von einem “Vorschlag an die Politik, der umgesetzt werden soll.” Die beiden haben mit dem Zukunftsrat bei #wirfürschule an einem “Zielbild für die Schule von morgen” gearbeitet. Der Rat besteht aus “zufällig ausgewählten” Lehrer:innen, Eltern, Schüler:innen und anderen Menschen aus dem Bildungssystem. Sehr spannend und “nicht einfach” sei die Zusammenarbeit laut Xylander gewesen. Nun wird im Rahmen des Hackathons Feedback gesammelt, um das finale Zielbild im Juli der Kultusministerkonferenz zu präsentieren.
Herausgekommen sind über 40 Seiten Ideen und Ziele für die Schule von morgen, auf denen 80 Forderungen vorgestellt werden. Den Rahmen ziehen dabei drei Oberkategorien: “Ziele und Aufgaben von Schule”, “Vision” und “Nationales Curriculum” – das vorläufige Konzept ist ein Vorschlag für die ganze Bildungsrepublik. Steffi Xylander sprach über Bildung als Ländersache, nannte dieses Spannungsfeld eine “enorme Hürde, die überwunden werden muss” und erwähnte den Zukunftsrat als Beispiel, das beweist, wie länderübergreifend zusammengearbeitet werden kann. Als mögliche bundesweite Lösung schlägt sie einen Rat vor, der über nationale Bildungsthemen entscheiden könne. Die Lehrerin will so das “kleinstaatliche Denken aufbrechen.” In diesem “Nationalen Curriculum” sollen Werte, Kompetenzen und Lernthemen festgehalten werden.
Maya Upmann konzentrierte sich in ihrer Vorstellung des Zielbilds vor allem auf das Stichwort “Individuell” – Schüler sollen nicht mehr in verschiedene Schulzweige eingestuft, sondern individuell in den Klassen unterrichtet werden. Dies könne zum Beispiel über Computer und Tablets gelöst werden, die Schüler:innen nach einem Einstufungstest individuell zugeschnittene Aufgaben zuteilen können – geführt und kontrolliert durch Lehrer:innen. Diese sollen dabei als “Lernbegleiter, Berater und Mitmacher” agieren. Die Rolle der Eltern soll sich ebenfalls ändern, Maya wünscht sich mehr Austausch zwischen Eltern und Lehrern.
Heftig diskutiert wurde im Gremium laut Steffi Xylander das Thema Schulnoten. Man wolle perspektivisch die Abschlussprüfungskultur ändern. Dafür seien Schulen, die auch ohne Noten motivieren können, ein gutes Beispiel. Xylander erwähnte außerdem, dass man in Prüfungen nicht nur sachliche, sondern auch soziale Kompetenzen abrufen könne und Noten nicht als “alleiniges Erkennungsmerkmal” der Entwicklung von Schüler:innen zu sehen.
Maya Upmann möchte, das Schüler:innen auf zukünftig relevante Berufe vorbereitet werden. Für Steffi Xylander gehört diese ständige Entwicklung und Anpassung auch in den Lehrerberuf, der mehr als nur ein Studium benötigt. Zu dieser “Schnelligkeit” gehöre auch das Thema Digitalisierung.
In Bezug auf schlechte Lernbiografien macht sich Steffi Xylander stellvertretend für ihren Berufsstand Vorwürfe. “Was haben wir diesen Leuten angetan?”, fragt die Lehrerin – auch in Hinblick auf das Thema psychische Gesundheit. Ein gesunder Lehrer, der mit Spaß und Freude arbeitet, übertrage diese Haltung auch auf seine Schüler, sagt Xylander.
Für die Lehrerin ist das Zielbild des Zukunftsrats keine perfekte Lösung. “Wir wissen es auch nicht hundertprozentig besser”, gibt sie zu. Doch man habe sich einer Herausforderung gestellt und wolle gestalten und zum Mitwirken anregen. Dabei werde man nie auf einen Nenner kommen, aber versuchen, dass Wesentliche einzukreisen.
Im Dokument des Zielbilds wird übrigens doch über Mathematik geschrieben. Unter “Kompetenzen” auf Seite 25 geht es um mathematische und naturwissenschaftliche Grundkenntnisse. Von Deutsch steht nichts im Programm. Direkt neben Mathematik und Naturwissenschaft steht aber “Digital Literacy” – digitale Kompetenz. “Um unserer digitalen Welt nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern sie vielmehr aktiv zu gestalten und bestmöglich zu nutzen, brauchen Kinder die entsprechenden Fertigkeiten”, heißt es im Zielbild für die Schule von Morgen.
Ende Juni soll das abgegebene Feedback in das Zielbild eingebaut werden, im Juli wird das Konzeptpapier an die Kultusministerkonferenz übergeben. Christian Füller/Enno Eidens
Heute gibts beim Hackathon keine Grußworte. Da wird nur gearbeitet. Der Tag allerdings beginnt mit einem Achtsamkeitstraining. Bildung.Table ist dabei.
Vor bald drei Jahren schrieb die große Koalition in ihren Koalitionsvertrag, dass sie im Rahmen einer umfassenden Open Educational Resources-Strategie die Entstehung und Verfügbarkeit, die Weiterverbreitung und den didaktisch fundierten Einsatz offen lizenzierter, frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien fördern und eine geeignete Qualitätssicherung etablieren wolle. Viel Zeit ist ins Land gegangen und das ambitionierte Ziel wird jetzt auf den letzten Metern der Legislatur vom Bundesministerium für Bildung und Forschung angegangen. Wie wirkungsvoll die Umsetzung jedoch sein wird, steht noch in den Sternen.
Dabei hat spätestens die Pandemie gezeigt, wie wichtig freie Bildungsmaterialien und an diese anschließende Strukturen für eine gerechte Bildung sind. Im Rahmen einer Konsultation konnten verschiedene Akteure ihre Positionen und Wünsche zur Strategie äußern. Dabei waren neben verschiedenen Mitgliedern des Bündnis Freie Bildung auch Interessenverbände von Schulbuchverlagen anwesend. Die Diskussionen drehten sich um die Fragen: Wie soll sie aussehen, die ideale OER-Strategie? Und: Was braucht es, um Bildung offener zu gestalten?
Mit Open Educational Resources (OER) werden Lehr- und Lernmaterialien bezeichnet, die ohne rechtliche oder technische Hürden zugänglich, nutz- und veränderbar sind. Das Wesen dieser offenen Materialien liegt – nach David Wiley – darin, dass jede Person sie legal und kostenfrei verwahren, verwenden, verarbeiten, vermischen und verbreiten kann. Diese vermeintlich spitzfindigen Details bergen große Potenziale: Sie fördern die Nutzung dezentral vorhandener Informationen und geben der informell gelebten Netzkultur einen rechtssicheren Rahmen. Damit greift offene Bildung aber auch tief in über Jahrzehnte gewachsene Strukturen ein und fordert ihre Umgestaltung.
Während herkömmliche Medien – wie das analoge Schulbuch – auf die eindimensionale Nutzung ausgerichtet sind, rufen OER zur Zusammenarbeit auf. Das erfordert Austausch, Peer-to-Peer-Lernen und Community Building, um eine Kultur des Teilens zu etablieren. Dieser Bedarf steht dem geringen Zeitbudget der Lehrenden und der auf Fächer fokussierten Schulstrukturen entgegen, die schon auf der Mikroebene wenig auf Zusammenarbeit setzen.
Durch die freien Gestaltungsmöglichkeiten des offenen Materials und die daraus resultierende Diversität an Bildungsangeboten kommt OER insbesondere Schülerinnen und Schülern zugute, deren Potenzial durch die klassischen Lehrwerke nicht ausgeschöpft werden kann. Zu ihnen zählen neben Menschen mit besonderen Förderbedarfen oder solchen, deren Familiensprache nicht Deutsch ist, auch Lernende mit Hoch- und Teilbegabungen. Durch zielgerichtete Förderungen und Investitionen in barrierefreie Zugänge zu Bildungsmaterialien werden letztendlich auch Wohlstand, Lebensqualität und die internationale Position Deutschlands gestärkt.
Um freie Bildung strukturell zu ermöglichen, braucht es zahlreiche Veränderungen und Fördermaßnahmen auf vier Ebenen: institutionelle Organisation, Lizenzierungspolitik, Materialentwicklung, öffentliche Vergabe sowie pädagogische, rechtliche und technische Weiterbildung. Für eine umfangreiche OER-Strategie wird hier nur eine Auswahl von konkreten Maßnahmen hervorgehoben.
Durch die neuen Plattformen WirLernenOnline und Mundo wird sichtbar, dass zwar zahlreiche OER existieren, sie aber teilweise veraltet sind oder keine zeitgemäßen Ansätze verfolgen. Aber genau solche Materialien sind notwendig, wenn ein kompetenzorientiertes, selbstgesteuertes Lernen zum neuen Standard werden soll, das digitale Anwendungen in der Breite ihrer Möglichkeiten integriert und sich dadurch auch selbst transformiert. Es bestehen bereits zahlreiche Konzepte, die zeigen, wie ein solches Lernen aussehen kann. Sie müssen verstetigt werden und in die Breite gelangen. Dazu eignet sich das Konzept freier Bildungsmaterialien. Es braucht Instrumente, die einerseits die Begleitung einer praxistauglichen und öffentlichkeitswirksamen Dokumentation berücksichtigen, andererseits aber auch die Kompensierung des nötigen Arbeitsaufwands seitens der Ideengeber:innen und die Unterstützung bei rechtlichen Fragen zum Ziel haben. Verschiedene Projekte – wie der edulabs edusprint und die OERcamp Werkstatt – haben bereits gezeigt, wie das gelingen kann.
Was mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, soll frei nutzbar sein. So sollen Bildungsmaterialien, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, standardmäßig als OER freigegeben sowie in offenen Formaten bereitgestellt werden, um auch für Dritte nutzbar zu sein. Dies ermöglicht es Lehrenden, Zuschnitt und Umfang von Materialien besser an die Bedürfnisse der Lernenden und den jeweiligen Kontext anzupassen, sie aktuell zu halten und weltweit legal auszutauschen. Dafür sollten Nutzungsrechte verwendet werden, wie sie beispielsweise durch die Creative-Commons-Lizenzen CC BY bzw. die Freigabe-Erklärung CC0 erteilt werden. Mit der umfangreichen Bewerbung einer solchen offenen Lizenzierung seitens öffentlicher Institutionen steigt die Bekanntheit und das Bewusstsein für solche freien Materialien.
Es ist ein Kulturwandel notwendig, um offene Bildungsmaterialien als selbstverständliches Mittel zu integrieren. Dazu zählt besonders eine Kultur des Teilens und des offenen Austausches – im Kollegium, aber auch darüber hinaus. Schulen können nicht alles aus eigener Kraft leisten. In vielen Regionen existieren bereits zahlreiche Institutionen oder Projekte, die Lösungen entwickelt haben und über die nötige Expertise verfügen. Darum braucht es eine starke regionale Vernetzung und die Förderung von Austausch. In regionalen Lernnetzwerken kann das gelingen. Sie schaffen dezentrale Kompetenzknoten, in denen auf institutioneller Ebene Wissen ausgetauscht und gemeinsame Lernräume als Schnittstellen eröffnet werden, die Freiräume und Selbstlernen auch auf institutioneller Ebene ermöglichen. Die geplanten Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten können hier eine wichtige Rolle einnehmen. So nutzen einerseits Lernende – begleitet durch Lehrende und Akteurinnen an den jeweiligen Lernstätten – Räumlichkeiten und Flächen dritter Lernorte. Andererseits entsteht auch ein Austausch auf institutioneller Ebene, indem z.B. Schulleitende und Lehrende neue Orte und Praktiken durch die direkte Zusammenarbeit entdecken. Mit der Entwicklung hinreichender Konzepte verändert sich so auch die Weiterbildungskultur, indem institutionelle Grenzen aufgeweicht werden.
Im Fokus der OER-Strategie des Bundes muss der Abbau von Zugangshürden zu Bildung stehen. OER sind ein Werkzeug zur Verringerung der digitalen Spaltung, also der bestehenden Ungleichheit des Zugangs zu und der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Strategie muss die Potenziale von freier und offener Bildung nutzen und fördern. Das Bündnis Freie Bildung freut sich, bei der Umsetzung dieser Ziele mitzuwirken und ruft dazu auf, sich aktiv zu beteiligen. Dominik Theis/Maximilian Voigt
Dominik Theis ist Koordinator des Bündnis Freie Bildung und Projektmanager für Bildungspolitik bei Wikimedia Deutschland e. V. Maximilian Voigt ist Projektleiter für Bildungspolitik bei der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
Schule ist heute meistens das Gegenteil von dem, was der Freiday erreichen will. Junge Menschen gehen morgens zur Schule und sitzen vor ihrer Lehrkraft. Welches Fach sie absitzen, spielt eigentlich keine Rolle. Aufgebaut ist der Unterricht grundsätzlich so, dass die Themen, die Schwerpunkte und die Arbeitsweise fremdbestimmt sind – aus Sicht der Schüler:innen. Inwieweit ihre eigene Neugier und Ideen in den Unterricht einfließen, variiert kaum, von einigen wenigen Reformschulen abgesehen, die bewusst Schüler:innen mit einbeziehen. Unterm Strich bleibt Regelschule eine Sache von Frontalunterricht, Hausaufgaben und Noten. Doch wie können junge Menschen selbstständig denken, eigene Pläne machen und lernen, dass Scheitern normal ist und kein Grund zum Aufgeben? Die Antwort darauf will der Freiday geben, eines der Gewinner-Projekte des “Wir für Schule”-Hackathons 2020 (Bildung.Table berichtete).
Wenn eine Schule beim Freiday mitmacht, bekommen Schüler:innen die Möglichkeit, wöchentlich für mindestens vier Stunden zu bestimmen, was sie erkunden und lernen wollen. Es gibt keine Noten. Der Freiday ist ausdrücklich kein Fach im klassischen Sinne. Dieses Schulprojekt soll ein Raum für die Ideen junger Menschen sein. Das Format ist bewusst nur grob eingegrenzt, schließlich soll die Kreativität der nächsten Generation voll zum Tragen kommen. Anknüpfungspunkte sind die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Die Schüler kommen jahrgangsübergreifend zusammen und überlegen gemeinsam, mit welchen Inhalten sie sich beschäftigen möchten.
Die Idee für den Freiday kommt von der Initiative “Schule im Aufbruch”, gegründet 2012 von Margret Rasfeld. Bis heute ist Rasfeld, die eine der bekanntesten Schulleiterinnen der Republik war, das Gesicht der Initiative. Von 2007 bis 2016 leitete sie die Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ) und probierte dort viele Projekte und Formate selbstbestimmten Lernens aus. Wenn man so will, steckt in allen diesen Formaten die Grundidee des Freiday. So etwa die “Herausforderung”. Hier gehen Schülerinnen, ausgestattet mit einem volljährigen Begleitenden und jeweils 150 Euro, für knapp drei Wochen auf Reise. Sie haben 18 Tage lang Freiday – nur dass sie ihn hier gemeinsam aushandeln. Von der Idee über die Planung bis zur Ausführung liegt der Ball bei ihnen.
Unterstützt werden sie bei allen Schritten von Lehrkräften und älteren Schülerinnen, die bereits Erfahrung mit der Herausforderung haben. Keine Herausforderung läuft genau nach Plan – was die Schülerinnen zu ständiger Selbstständigkeit zwingt. Sie müssen lernen, mit ihrem Geld hauszuhalten und bei kleinen und großen Krisen auf Lösungen kommen. Die Begleitpersonen greifen erst ein, wenn es gefährlich wird. Neben der Herausforderung hat Margret Rasfeld Lernbüros und den Projekttag eingeführt. In Lernbüros entscheiden Schülerinnen nicht völlig frei, aber sie wählen die Fächer, die sie individuell bearbeiten. Der Projekttag kommt dem Freiday am nächsten: Jeden Donnerstag stehen drei Doppelstunden zur freien Verfügung. Schülerinnen sind angehalten im Klassenverband oder kleineren Grüppchen Projekte zu konzipieren, zu planen und umzusetzen. Hinter allem steht die Idee, Lernen an den vier Säulen der Unesco-Bildungsziele zu orientieren. Lernen, Wissen zu erwerben; Lernen zusammenzuleben; Lernen zu handeln; Lernen zu sein.
Ich habe Margret Rasfeld kennengelernt, als ich in der Grundschule war. Damals protestierten wir in unserem Kiez gegen Außenheizstrahler und forderten vor dem Bundestag die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz. Meine Lehrerin, Sabine Weiche, impfte uns den Grundsatz ein, der an der ESBZ unter Schulleiterin Rasfeld weitergeführt wurde. Lieber probieren und scheitern, als es gar nicht erst zu versuchen. So fuhr ich als Siebtklässler das erste Mal zu einer Lehrendenfortbildung – als Fortbildner. Ein Format also, in dem Schülerinnen der ESBZ Lehrenden in ganz Europa ihren Schulalltag erklärten. Für mich waren diese und andere Erfahrungen immens wichtig, vermittelten sie mir doch das Gefühl, auch ich könne etwas beisteuern zur neuen Art Schule. Die Lust am Handeln, die mich bis heute prägt, habe ich engagierten Pädagoginnen wie Rasfeld und Weiche zu verdanken.
Schülerinnen sollen verstehen und lernen, dass sie als Einzelne und in der Gemeinschaft bereits dazu in der Lage sind, Dinge in die eigene Hand zu nehmen – und so zu verändern. Der Freiday stellt also eine direkte Verbindung zwischen den Wünschen, Träumen, Ideen und Idealen junger Menschen und deren konkreter Ausgestaltung her. Angedacht ist eben auch: verändert die Dinge, die ihr verändern könnt. Das heißt oft lokal denken und arbeiten, beispielsweise den jeweiligen Bezirk und die Gemeinschaft vor Ort als Entfaltungsraum zu nutzen.
Frau Rasfeld steht für einen Schulstil, der Scheitern nicht nur zulässt, sondern provoziert. Schülerinnen sollen lernen, damit umzugehen. Sie sollen lernen, dass sich aus Fehlern sehr viel lernen lässt und wie diese Lehren in Zukunft anzuwenden sind. Der Freiday bietet ihnen genau diese Möglichkeit. Sie haben die Freiheit zu scheitern, ohne eine schlechte Note befürchten zu müssen. In diesem Freiraum können Sie sich und ihre Ideen austesten. Die Fähigkeit mit Rückschlägen umzugehen, egal welcher Natur, ist eine, die die meisten Menschen früher oder später lernen. Margret Rasfeld würde sagen: besser jetzt als später. Robert Saar
Der Autor ist bei Margret Rasfeld zur Schule gegangen.
Ein Breakout-Room bietet dem Lehrenden die Möglichkeit, Partner- oder Gruppenarbeit zwischen Schüler:innen virtuell zu organisieren. In der Schule nutzt man einen Teilungsraum, im Video einen Breakout-Room, ein digitales Besprechungszimmer. Das hat noch einen anderen Vorteil: in großen Videokonferenzen reden Schüler:innen häufig nicht so gern und geben ihren Bildschirm in der Regel nicht frei. Teilt man diese Schüler:innen aber in kleine Gruppen ein, reden sie erfahrungsgemäß mehr und schalten vielleicht auch die Kamera frei.
Man braucht ein Videokonferenzsystem, das Nebenräume ermöglicht, egal ob WebEx, Teams, Zoom, BigBlueButton oder andere Plattformen. Wichtig ist auch, dass das Teilen des Bildschirms möglich ist – damit die Schüler:innen sich ihre Dokumente zeigen und zusammen daran arbeiten können. Man muss das technisch vorher einstellen. Im Notfall kann man auf YouTube nachsehen, wie ein Breakout-Room eingeschaltet wird.
Ich sehe eine Arbeitsteilung zwischen Klassenzimmer und Breakout-Room. Das Vertiefen und die ganz intensive Auseinandersetzung findet im Klassenzimmer statt. Wir sollten diesen Präsenzort so großartig vorbereiten, wie es nur geht. Einfachere Dinge, wie das Hinführen zu einer Aufgabe, der erste Austausch in einer Partnerarbeit, wo sich Schüler:innen erzählen, was sie schon wissen, könnte man aber schon von zu Hause erledigen. Das ginge oft viel einfacher, wenn man sich am Nachmittag mal schnell in einem Breakout-Room trifft.
Reden, reden, reden – das ist genau das, was in der coronabedingten Schließung gefehlt hat. Der Breakout-Room macht das möglich. In meinen Augen ist das zugleich das Plus dieses Instruments für die Zeit danach. Der Breakout-Room ist nichts anderes als ein Dialog- und Arbeitsraum. Und das ist für mich die Brücke zu einem übergeordneten didaktischen Ziel: dem kompetenzorientierten und schülerzentrierten Arbeiten. Das bedeutet, vereinfacht gesagt, dass der Unterricht immer vom Dialog der Schüler:innen ausgeht und nicht etwa vom Monolog des Lehrerenden. Deswegen sind für mich Gesprächsanlässe und ganz viel miteinander zu reden immer das didaktische Ziel schlechthin – egal, ob in Deutsch, im Religionsunterricht oder vielen anderen Fächern.
Breakout-Room hin oder her – nach der Pandemie sollten Schüler erstmal ins Freie ausbrechen.
Sebastian Schmidt ist einer der Lehrer des Jahres 2019 und Mitglied der erweiterten Schulleitung der Inge-Aicher-Scholl Realschule Neu-Ulm.
wie soll die Schule der Zukunft aussehen? Am ersten Tag des Hackathons “Wir für Schule” stand diese Frage im Zentrum. Ein Zukunftsrat mit mehr als einhundert Mitgliedern hat sich diese Frage gestellt – und erste Antworten präsentiert. Der einwöchige Hack hat sich vorgenommen, weitere hinzuzufügen.
Christian Füller stellt Ihnen in dieser Ausgabe von Bildung.Table Edulog vor, eine digitale Lernstandserfassung für Kinder, die kurz vor ihrer Einschulung stehen – und die nach ersten Berichten darüber das Interesse der Bildungspraktiker geweckt hat. Und der Neu-Ulmer Lehrer Sebastian Schmidt erläutert die Möglichkeiten des Breakout-Rooms für den digitalen und den analogen Unterricht.
Sie lesen heute die dritte Ausgabe von Bildung.Table und ich möchte Sie um Ihre Meinung zu unserem neuen publizistischen Angebot bitten. Schreiben Sie mir, was Ihnen gefällt, und auch, welche Informationen Sie sich wünschen. Denn nur so können wir besser werden – und damit zu einer Lektüre, die Sie als Bildungsprofi interessiert, herausfordert und Ihnen Spaß macht. In unserem Bildung.Table-Archiv finden Sie alle bisher erschienenen Inhalte, übersichtlich sortiert, zum Nachlesen. Empfehlen Sie uns gern weiter, und falls Ihnen Bildung.Table weitergeleitet wurde: Hier ist der Link zum Anmelden.
Wenn die Bildungsforscherin Monika Kil heute Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth “Edulog” übergibt, kann dies eine Zeitenwende für die empirische Schulforschung und den Einsatz von Algorithmen in der Bildung werden. Mit Hilfe des digitalen Sprachlernspiels Edulog können Forscher den Sprachstand von Kindern vor der Einschulung viel genauer messen, als das bisher möglich war. Das würde einer Herausforderung begegnen, die es in der Bildungspolitik seit Jahren gibt. Wegen der zunehmenden Heterogenisierung der Schülerschaft wollen Grundschulen bereits vor der Einschulung erfahren, wie die sprachlichen Fähigkeiten ihrer künftigen Erstklässler sind. Führt man solche Tests rechtzeitig durch, können die Kinder durch gezielte Kurse auf das Lernen in der Schule vorbereitet werden – und Defizite aufholen. Auf deutsch: der Algorithmus könnte künftig dabei helfen, dass Kinder nicht schon in der Grundschule den Anschluss verlieren.
Für Deutschland könnte das Projekt den Durchbruch digitaler Lernstandsmessungen bringen. Zwar hat sich mit den Pisa-Studien seit dem Jahr 2000 eine so genannte empirische Wende ereignet. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik wurde seitdem weniger theoretisiert und Bildungspolitik konnte sich mehr auf empirische Fakten stützen. Allerdings gibt es nun eine Reserviertheit gegenüber digital gestützten empirischen Erhebungen. Eine Lernstandsanalyse der Schülergeneration Corona etwa liegt bisher nicht vor – weil die Institute für eine analoge Erhebung zu lange brauchen. Das zuständige Bamberger Leibniz-Institut für Bildungsverläufe benötigt nach eigenen Angaben noch bis nächstes Jahr, um zu beschreiben, wie groß die Corona-Lernlücken wirklich sind. Ein viel schnelleres und vor allem genaueres digitales Monitoring lehnt Institutsleiterin Cordula Artelt im Gespräch mit Bildung.Table nicht ab. Artelt verweist aber darauf, dass diese das Plazet der Kultusbürokratie brauchen. “Auch die Durchführung diese Studien muss in fast allen Bundesländern ministeriell genehmigt werden“, sagte Artelt.
Das Projekt Edulog kann zeigen, dass digitale Erhebungsmethoden beides sind: schnell und genau. An dem Projekt, das unter anderen von Digitalministerin Dorothee Bär (CSU) und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) in der “Digitalinitiative Bildung und Gesundheit” begleitet wird, sind mehrere Wissenschaftler beteiligt – Logopäden, Ärzte, Gesundheitsforscher, Erziehungswissenschaftler. Entscheidend aber war, dass es in der Praxis getestet wurde, an der Astrid-Lindgren-Schule in Hagen. 66 Kinder aus den umliegenden Kitas kamen im März und April Monate vor ihrer Einschulung in die Grundschule und spielten vor einem Computer das Lernspiel. Sie mussten Sätze nachsprechen, die ihnen eine kleine Maus vorsagte. Sie sollten in einer Urlaubsszene auf dem Bildschirm zeigen, welcher Sonnenschirm geöffnet ist. Sie mussten aber auch, ganz analog, auf einem Blatt Papier Männchen malen.
Diese Übungen waren für Konrektorin Wiebke Kemper nichts besonderes – aber die blitzschnelle rechnergestützte Bilanz überraschte sie. Während das Kind eingibt und spricht, läuft im Hintergrund der Algorithmus mit. “Wir bekommen von dem Programm eine schnelle Auswertung”, sagte sie. “Die kommt auch direkt einmal in schriftlicher Form, als Bericht, dann in Form von Diagrammen und Kurven, und so sehen wir ganz genau, wo das Kind steht und in welchen Bereichen es vielleicht noch gefördert werden sollte.” Über den ersten Durchgang der Diagnosesoftware Edulog berichtete der WDR – anschließend stand in der Lindgren-Grundschule das Telefon nicht mehr still. Schulleiter:innen riefen an und fragten: “Können wir das auch haben? Wir wollen kein Kind verloren geben, wir wollen von Anfang an wissen, wo die Stärken liegen, wo wir ansetzen können, um das Kind optimal zu fördern”. In dem Test an der Lindgren-Schule wurden bei drei Kindern leichte und bei einem Kind starke Förderbedarfe festgestellt.
Das Programm hat den Vorteil, dass es dank seiner digitalen Konstruktion in 20 Sprachen einsetzbar ist. Das bedeutet, dass man etwa ein Kind, das Farsi spricht, erst in Deutsch und dann in seiner Muttersprache testen kann. Was ist der Vorteil? Dass es wirklich um die Lernvoraussetzungen eines Kindes geht – und nicht in erster Linie darum, dass es Deutsch kann. “Wir sind eine Bildungsgesellschaft”, sagt Monika Kil, die an der Donau-Universität in Linz Professorin ist. “Wir können es uns nicht leisten Kinder anderer Muttersprachen abzuwerten, bloß weil wir keine adäquaten Testmethoden haben. Etwa dass ein Kind in die Logopädie geschickt wird, nur weil es Farsi spricht – obwohl es dort nichts verloren hat.” Das sei auch der Grund, warum Claudia Roth Schirmfrau des Projektes wurde.
Sprachtests vor der Einschulung gibt es als analoge Variante schon lange, sie hießen in Berlin Bärenstark oder in Nordrhein-Westfalen Delfin. Sie hatten aber stets das Problem, dass sie sehr lange dauerten und nicht immer genau anzeigten, wo das Kind steht. Edulog hat diese Schwierigkeit nicht – es ist ein softwarebasiertes Verfahren zur Erfassung und Einschätzung der schulischen Grundfähigkeiten. Die hinter den Aufgaben mitlaufenden Algorithmen ermöglichen eine Art Röntgenaufnahme des Sprachstands der Kinder. EduLog misst Sprachverständnis und -produktion, es hat einen visuellen und auditiven Bereich und untersucht die Phonologie des Kindes, also die Fähigkeit, Laute differenziert zu erfassen.
Auf die Frage, ob das Verfahren nicht auch leicht zur Abweisung von Schulanfängern missbraucht werden könnte, erwidert Professorin Kil, dass es nicht erlaubt sei, Kinder von der Einschulung in die Grundschule mehr als einmal zurückzustellen. “Es darf keinen Missbrauch dieses Instruments in unserer Gesellschaft geben, dass muss ethisch und durch verbindliche Verfahren gesichert werden”, sagte die früherer Leiterin eines Leibniz-Instituts. Auch durch fehlende Genehmigungen durch die Kultusbürokratie lasse sich das Instrument wahrscheinlich nicht aufhalten. “Es herrscht Lernmittelfreiheit, die Praxis kann dieses Instrument nutzen.”
Es begann mit einem protokollarischen Faux Pas. Draußen in der Welt hat ihn niemand bemerkt, aber in der Konferenz der Kultusminister dürfte es Pein verursacht haben, dass die Moderatorin des Eröffnungsgesprächs zuerst die – formell – unzuständige Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) begrüßte. Und dann sehr lange brauchte, um zu erklären, warum nun eigentlich die Bildungsministerin aus Brandenburg auch da war. Ach ja, weil Britta Ernst (SPD) die Präsidentin der KMK ist, mithin die Ministerin aller deutschen Kultusministerinnen. In einem komplett hierarchiefreien Hackathon ist das egal, im derzeitigen Fingerhakeln zwischen Ernst und Karliczek ist es das überhaupt nicht. Weil Karliczek jüngst ohne Absprache mit der KMK einen Runden Tisch ausrief, bockte die Ständige Konferenz, die älter als die Bundesrepublik ist. Und deswegen warten die Bildungsanbieter immer noch darauf, dass sie an irgendeinem Tisch zu sitzen kommen, wo über die so genannte Nachhilfemilliarde gesprochen wird (Bildung.Table berichtete).
Beim Hackathon schien Anja Karliczek deutlich besser gelaunt als Britta Ernst. Die Bundesministerin sagte, der Hackathon und Bildung seien sehr wichtig. Schon das erste Kapitel von Verena Pausders Buch drehe sich ja auch um Bildung. Karliczeks Rede an die Teilnehmer:innen ließ sich auf einen Nenner bringen: sie verbreitete gute Laune. Britta Ernst hingegen war so nüchtern und klar, wie sie es in der Regel ist. Ja, beim Hackathon gehe es um etwas, was für alle und gerade jetzt wichtig sei: “Wie sieht die Zukunft der Bildung aus?” Die KMK nehme “Wir für Schule” ernst, sagte sie, weil in diesem Format so viele Menschen aus dem ganzen Land teilnehmen.
Ernst versäumte auch nicht, die wichtigen Keywords in die Runde zu werfen, die bei einem Hackathon gerne gehört werden: in den Schulen seien heute Menschen, die womöglich noch 2070 arbeiteten. “Sie lernen also für eine Zukunft, die wir noch nicht kennen”. Von der Pandemie sei ein Innovationsschub ausgegangen, bestätigte Brandenburgs oberste Bildungsfrau – aber man habe gleichwohl auch gesehen, was nicht funktionierte. Und hier hinterließ Ernst eine Botschaft, die zumindest dem Zukunftsrat und den beiden Initiatoren des Hackathons, Verena Pausder und Max Maendler, missfallen haben dürfte: Ernst betonte, wie wichtig es sei, zeitlose Basiskompetenzen zu vermitteln. Nämlich: Mathe und Deutsch. Angesichts der Tatsache, dass der Zukunftsrat gerade ein Zielbild vorstellt, in dem Mathe und Deutsch möglicherweise keine dominante Rolle spielen, wenn sie denn überhaupt genannt sind, war dies ein deutliches Signal. Es wäre eine wichtige Frage gewesen, die man hätte erörtern können, nein müssen. Allein, die beiden Ministerinnen verschwanden nach ihren Grußworten und ließen, anders als angekündigt, keine Fragen zu.
Um Deutsch und Mathematik ging es bei der Vorstellung des “Zielbilds für die Schule von morgen” am Mittag des ersten Hackathon-Tages nicht. Elizabeth le Minh moderierte die dreiviertelstündige Zoom-Sitzung. Maya Upman und Steffi Xylander präsentierten und kommentierten die Ergebnisse des 108-köpfigen Zukunftsrats.
“Dieses Mal soll’s anders sein” wünscht sich die Thüringer Lehrerin Xylander und stimmt damit ihrer Zukunftsrats-Kollegin Upmann zu. Die 13-jährige Schülerin aus Bayern sprach von einem “Vorschlag an die Politik, der umgesetzt werden soll.” Die beiden haben mit dem Zukunftsrat bei #wirfürschule an einem “Zielbild für die Schule von morgen” gearbeitet. Der Rat besteht aus “zufällig ausgewählten” Lehrer:innen, Eltern, Schüler:innen und anderen Menschen aus dem Bildungssystem. Sehr spannend und “nicht einfach” sei die Zusammenarbeit laut Xylander gewesen. Nun wird im Rahmen des Hackathons Feedback gesammelt, um das finale Zielbild im Juli der Kultusministerkonferenz zu präsentieren.
Herausgekommen sind über 40 Seiten Ideen und Ziele für die Schule von morgen, auf denen 80 Forderungen vorgestellt werden. Den Rahmen ziehen dabei drei Oberkategorien: “Ziele und Aufgaben von Schule”, “Vision” und “Nationales Curriculum” – das vorläufige Konzept ist ein Vorschlag für die ganze Bildungsrepublik. Steffi Xylander sprach über Bildung als Ländersache, nannte dieses Spannungsfeld eine “enorme Hürde, die überwunden werden muss” und erwähnte den Zukunftsrat als Beispiel, das beweist, wie länderübergreifend zusammengearbeitet werden kann. Als mögliche bundesweite Lösung schlägt sie einen Rat vor, der über nationale Bildungsthemen entscheiden könne. Die Lehrerin will so das “kleinstaatliche Denken aufbrechen.” In diesem “Nationalen Curriculum” sollen Werte, Kompetenzen und Lernthemen festgehalten werden.
Maya Upmann konzentrierte sich in ihrer Vorstellung des Zielbilds vor allem auf das Stichwort “Individuell” – Schüler sollen nicht mehr in verschiedene Schulzweige eingestuft, sondern individuell in den Klassen unterrichtet werden. Dies könne zum Beispiel über Computer und Tablets gelöst werden, die Schüler:innen nach einem Einstufungstest individuell zugeschnittene Aufgaben zuteilen können – geführt und kontrolliert durch Lehrer:innen. Diese sollen dabei als “Lernbegleiter, Berater und Mitmacher” agieren. Die Rolle der Eltern soll sich ebenfalls ändern, Maya wünscht sich mehr Austausch zwischen Eltern und Lehrern.
Heftig diskutiert wurde im Gremium laut Steffi Xylander das Thema Schulnoten. Man wolle perspektivisch die Abschlussprüfungskultur ändern. Dafür seien Schulen, die auch ohne Noten motivieren können, ein gutes Beispiel. Xylander erwähnte außerdem, dass man in Prüfungen nicht nur sachliche, sondern auch soziale Kompetenzen abrufen könne und Noten nicht als “alleiniges Erkennungsmerkmal” der Entwicklung von Schüler:innen zu sehen.
Maya Upmann möchte, das Schüler:innen auf zukünftig relevante Berufe vorbereitet werden. Für Steffi Xylander gehört diese ständige Entwicklung und Anpassung auch in den Lehrerberuf, der mehr als nur ein Studium benötigt. Zu dieser “Schnelligkeit” gehöre auch das Thema Digitalisierung.
In Bezug auf schlechte Lernbiografien macht sich Steffi Xylander stellvertretend für ihren Berufsstand Vorwürfe. “Was haben wir diesen Leuten angetan?”, fragt die Lehrerin – auch in Hinblick auf das Thema psychische Gesundheit. Ein gesunder Lehrer, der mit Spaß und Freude arbeitet, übertrage diese Haltung auch auf seine Schüler, sagt Xylander.
Für die Lehrerin ist das Zielbild des Zukunftsrats keine perfekte Lösung. “Wir wissen es auch nicht hundertprozentig besser”, gibt sie zu. Doch man habe sich einer Herausforderung gestellt und wolle gestalten und zum Mitwirken anregen. Dabei werde man nie auf einen Nenner kommen, aber versuchen, dass Wesentliche einzukreisen.
Im Dokument des Zielbilds wird übrigens doch über Mathematik geschrieben. Unter “Kompetenzen” auf Seite 25 geht es um mathematische und naturwissenschaftliche Grundkenntnisse. Von Deutsch steht nichts im Programm. Direkt neben Mathematik und Naturwissenschaft steht aber “Digital Literacy” – digitale Kompetenz. “Um unserer digitalen Welt nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern sie vielmehr aktiv zu gestalten und bestmöglich zu nutzen, brauchen Kinder die entsprechenden Fertigkeiten”, heißt es im Zielbild für die Schule von Morgen.
Ende Juni soll das abgegebene Feedback in das Zielbild eingebaut werden, im Juli wird das Konzeptpapier an die Kultusministerkonferenz übergeben. Christian Füller/Enno Eidens
Heute gibts beim Hackathon keine Grußworte. Da wird nur gearbeitet. Der Tag allerdings beginnt mit einem Achtsamkeitstraining. Bildung.Table ist dabei.
Vor bald drei Jahren schrieb die große Koalition in ihren Koalitionsvertrag, dass sie im Rahmen einer umfassenden Open Educational Resources-Strategie die Entstehung und Verfügbarkeit, die Weiterverbreitung und den didaktisch fundierten Einsatz offen lizenzierter, frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien fördern und eine geeignete Qualitätssicherung etablieren wolle. Viel Zeit ist ins Land gegangen und das ambitionierte Ziel wird jetzt auf den letzten Metern der Legislatur vom Bundesministerium für Bildung und Forschung angegangen. Wie wirkungsvoll die Umsetzung jedoch sein wird, steht noch in den Sternen.
Dabei hat spätestens die Pandemie gezeigt, wie wichtig freie Bildungsmaterialien und an diese anschließende Strukturen für eine gerechte Bildung sind. Im Rahmen einer Konsultation konnten verschiedene Akteure ihre Positionen und Wünsche zur Strategie äußern. Dabei waren neben verschiedenen Mitgliedern des Bündnis Freie Bildung auch Interessenverbände von Schulbuchverlagen anwesend. Die Diskussionen drehten sich um die Fragen: Wie soll sie aussehen, die ideale OER-Strategie? Und: Was braucht es, um Bildung offener zu gestalten?
Mit Open Educational Resources (OER) werden Lehr- und Lernmaterialien bezeichnet, die ohne rechtliche oder technische Hürden zugänglich, nutz- und veränderbar sind. Das Wesen dieser offenen Materialien liegt – nach David Wiley – darin, dass jede Person sie legal und kostenfrei verwahren, verwenden, verarbeiten, vermischen und verbreiten kann. Diese vermeintlich spitzfindigen Details bergen große Potenziale: Sie fördern die Nutzung dezentral vorhandener Informationen und geben der informell gelebten Netzkultur einen rechtssicheren Rahmen. Damit greift offene Bildung aber auch tief in über Jahrzehnte gewachsene Strukturen ein und fordert ihre Umgestaltung.
Während herkömmliche Medien – wie das analoge Schulbuch – auf die eindimensionale Nutzung ausgerichtet sind, rufen OER zur Zusammenarbeit auf. Das erfordert Austausch, Peer-to-Peer-Lernen und Community Building, um eine Kultur des Teilens zu etablieren. Dieser Bedarf steht dem geringen Zeitbudget der Lehrenden und der auf Fächer fokussierten Schulstrukturen entgegen, die schon auf der Mikroebene wenig auf Zusammenarbeit setzen.
Durch die freien Gestaltungsmöglichkeiten des offenen Materials und die daraus resultierende Diversität an Bildungsangeboten kommt OER insbesondere Schülerinnen und Schülern zugute, deren Potenzial durch die klassischen Lehrwerke nicht ausgeschöpft werden kann. Zu ihnen zählen neben Menschen mit besonderen Förderbedarfen oder solchen, deren Familiensprache nicht Deutsch ist, auch Lernende mit Hoch- und Teilbegabungen. Durch zielgerichtete Förderungen und Investitionen in barrierefreie Zugänge zu Bildungsmaterialien werden letztendlich auch Wohlstand, Lebensqualität und die internationale Position Deutschlands gestärkt.
Um freie Bildung strukturell zu ermöglichen, braucht es zahlreiche Veränderungen und Fördermaßnahmen auf vier Ebenen: institutionelle Organisation, Lizenzierungspolitik, Materialentwicklung, öffentliche Vergabe sowie pädagogische, rechtliche und technische Weiterbildung. Für eine umfangreiche OER-Strategie wird hier nur eine Auswahl von konkreten Maßnahmen hervorgehoben.
Durch die neuen Plattformen WirLernenOnline und Mundo wird sichtbar, dass zwar zahlreiche OER existieren, sie aber teilweise veraltet sind oder keine zeitgemäßen Ansätze verfolgen. Aber genau solche Materialien sind notwendig, wenn ein kompetenzorientiertes, selbstgesteuertes Lernen zum neuen Standard werden soll, das digitale Anwendungen in der Breite ihrer Möglichkeiten integriert und sich dadurch auch selbst transformiert. Es bestehen bereits zahlreiche Konzepte, die zeigen, wie ein solches Lernen aussehen kann. Sie müssen verstetigt werden und in die Breite gelangen. Dazu eignet sich das Konzept freier Bildungsmaterialien. Es braucht Instrumente, die einerseits die Begleitung einer praxistauglichen und öffentlichkeitswirksamen Dokumentation berücksichtigen, andererseits aber auch die Kompensierung des nötigen Arbeitsaufwands seitens der Ideengeber:innen und die Unterstützung bei rechtlichen Fragen zum Ziel haben. Verschiedene Projekte – wie der edulabs edusprint und die OERcamp Werkstatt – haben bereits gezeigt, wie das gelingen kann.
Was mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, soll frei nutzbar sein. So sollen Bildungsmaterialien, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, standardmäßig als OER freigegeben sowie in offenen Formaten bereitgestellt werden, um auch für Dritte nutzbar zu sein. Dies ermöglicht es Lehrenden, Zuschnitt und Umfang von Materialien besser an die Bedürfnisse der Lernenden und den jeweiligen Kontext anzupassen, sie aktuell zu halten und weltweit legal auszutauschen. Dafür sollten Nutzungsrechte verwendet werden, wie sie beispielsweise durch die Creative-Commons-Lizenzen CC BY bzw. die Freigabe-Erklärung CC0 erteilt werden. Mit der umfangreichen Bewerbung einer solchen offenen Lizenzierung seitens öffentlicher Institutionen steigt die Bekanntheit und das Bewusstsein für solche freien Materialien.
Es ist ein Kulturwandel notwendig, um offene Bildungsmaterialien als selbstverständliches Mittel zu integrieren. Dazu zählt besonders eine Kultur des Teilens und des offenen Austausches – im Kollegium, aber auch darüber hinaus. Schulen können nicht alles aus eigener Kraft leisten. In vielen Regionen existieren bereits zahlreiche Institutionen oder Projekte, die Lösungen entwickelt haben und über die nötige Expertise verfügen. Darum braucht es eine starke regionale Vernetzung und die Förderung von Austausch. In regionalen Lernnetzwerken kann das gelingen. Sie schaffen dezentrale Kompetenzknoten, in denen auf institutioneller Ebene Wissen ausgetauscht und gemeinsame Lernräume als Schnittstellen eröffnet werden, die Freiräume und Selbstlernen auch auf institutioneller Ebene ermöglichen. Die geplanten Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten können hier eine wichtige Rolle einnehmen. So nutzen einerseits Lernende – begleitet durch Lehrende und Akteurinnen an den jeweiligen Lernstätten – Räumlichkeiten und Flächen dritter Lernorte. Andererseits entsteht auch ein Austausch auf institutioneller Ebene, indem z.B. Schulleitende und Lehrende neue Orte und Praktiken durch die direkte Zusammenarbeit entdecken. Mit der Entwicklung hinreichender Konzepte verändert sich so auch die Weiterbildungskultur, indem institutionelle Grenzen aufgeweicht werden.
Im Fokus der OER-Strategie des Bundes muss der Abbau von Zugangshürden zu Bildung stehen. OER sind ein Werkzeug zur Verringerung der digitalen Spaltung, also der bestehenden Ungleichheit des Zugangs zu und der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Strategie muss die Potenziale von freier und offener Bildung nutzen und fördern. Das Bündnis Freie Bildung freut sich, bei der Umsetzung dieser Ziele mitzuwirken und ruft dazu auf, sich aktiv zu beteiligen. Dominik Theis/Maximilian Voigt
Dominik Theis ist Koordinator des Bündnis Freie Bildung und Projektmanager für Bildungspolitik bei Wikimedia Deutschland e. V. Maximilian Voigt ist Projektleiter für Bildungspolitik bei der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
Schule ist heute meistens das Gegenteil von dem, was der Freiday erreichen will. Junge Menschen gehen morgens zur Schule und sitzen vor ihrer Lehrkraft. Welches Fach sie absitzen, spielt eigentlich keine Rolle. Aufgebaut ist der Unterricht grundsätzlich so, dass die Themen, die Schwerpunkte und die Arbeitsweise fremdbestimmt sind – aus Sicht der Schüler:innen. Inwieweit ihre eigene Neugier und Ideen in den Unterricht einfließen, variiert kaum, von einigen wenigen Reformschulen abgesehen, die bewusst Schüler:innen mit einbeziehen. Unterm Strich bleibt Regelschule eine Sache von Frontalunterricht, Hausaufgaben und Noten. Doch wie können junge Menschen selbstständig denken, eigene Pläne machen und lernen, dass Scheitern normal ist und kein Grund zum Aufgeben? Die Antwort darauf will der Freiday geben, eines der Gewinner-Projekte des “Wir für Schule”-Hackathons 2020 (Bildung.Table berichtete).
Wenn eine Schule beim Freiday mitmacht, bekommen Schüler:innen die Möglichkeit, wöchentlich für mindestens vier Stunden zu bestimmen, was sie erkunden und lernen wollen. Es gibt keine Noten. Der Freiday ist ausdrücklich kein Fach im klassischen Sinne. Dieses Schulprojekt soll ein Raum für die Ideen junger Menschen sein. Das Format ist bewusst nur grob eingegrenzt, schließlich soll die Kreativität der nächsten Generation voll zum Tragen kommen. Anknüpfungspunkte sind die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Die Schüler kommen jahrgangsübergreifend zusammen und überlegen gemeinsam, mit welchen Inhalten sie sich beschäftigen möchten.
Die Idee für den Freiday kommt von der Initiative “Schule im Aufbruch”, gegründet 2012 von Margret Rasfeld. Bis heute ist Rasfeld, die eine der bekanntesten Schulleiterinnen der Republik war, das Gesicht der Initiative. Von 2007 bis 2016 leitete sie die Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ) und probierte dort viele Projekte und Formate selbstbestimmten Lernens aus. Wenn man so will, steckt in allen diesen Formaten die Grundidee des Freiday. So etwa die “Herausforderung”. Hier gehen Schülerinnen, ausgestattet mit einem volljährigen Begleitenden und jeweils 150 Euro, für knapp drei Wochen auf Reise. Sie haben 18 Tage lang Freiday – nur dass sie ihn hier gemeinsam aushandeln. Von der Idee über die Planung bis zur Ausführung liegt der Ball bei ihnen.
Unterstützt werden sie bei allen Schritten von Lehrkräften und älteren Schülerinnen, die bereits Erfahrung mit der Herausforderung haben. Keine Herausforderung läuft genau nach Plan – was die Schülerinnen zu ständiger Selbstständigkeit zwingt. Sie müssen lernen, mit ihrem Geld hauszuhalten und bei kleinen und großen Krisen auf Lösungen kommen. Die Begleitpersonen greifen erst ein, wenn es gefährlich wird. Neben der Herausforderung hat Margret Rasfeld Lernbüros und den Projekttag eingeführt. In Lernbüros entscheiden Schülerinnen nicht völlig frei, aber sie wählen die Fächer, die sie individuell bearbeiten. Der Projekttag kommt dem Freiday am nächsten: Jeden Donnerstag stehen drei Doppelstunden zur freien Verfügung. Schülerinnen sind angehalten im Klassenverband oder kleineren Grüppchen Projekte zu konzipieren, zu planen und umzusetzen. Hinter allem steht die Idee, Lernen an den vier Säulen der Unesco-Bildungsziele zu orientieren. Lernen, Wissen zu erwerben; Lernen zusammenzuleben; Lernen zu handeln; Lernen zu sein.
Ich habe Margret Rasfeld kennengelernt, als ich in der Grundschule war. Damals protestierten wir in unserem Kiez gegen Außenheizstrahler und forderten vor dem Bundestag die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz. Meine Lehrerin, Sabine Weiche, impfte uns den Grundsatz ein, der an der ESBZ unter Schulleiterin Rasfeld weitergeführt wurde. Lieber probieren und scheitern, als es gar nicht erst zu versuchen. So fuhr ich als Siebtklässler das erste Mal zu einer Lehrendenfortbildung – als Fortbildner. Ein Format also, in dem Schülerinnen der ESBZ Lehrenden in ganz Europa ihren Schulalltag erklärten. Für mich waren diese und andere Erfahrungen immens wichtig, vermittelten sie mir doch das Gefühl, auch ich könne etwas beisteuern zur neuen Art Schule. Die Lust am Handeln, die mich bis heute prägt, habe ich engagierten Pädagoginnen wie Rasfeld und Weiche zu verdanken.
Schülerinnen sollen verstehen und lernen, dass sie als Einzelne und in der Gemeinschaft bereits dazu in der Lage sind, Dinge in die eigene Hand zu nehmen – und so zu verändern. Der Freiday stellt also eine direkte Verbindung zwischen den Wünschen, Träumen, Ideen und Idealen junger Menschen und deren konkreter Ausgestaltung her. Angedacht ist eben auch: verändert die Dinge, die ihr verändern könnt. Das heißt oft lokal denken und arbeiten, beispielsweise den jeweiligen Bezirk und die Gemeinschaft vor Ort als Entfaltungsraum zu nutzen.
Frau Rasfeld steht für einen Schulstil, der Scheitern nicht nur zulässt, sondern provoziert. Schülerinnen sollen lernen, damit umzugehen. Sie sollen lernen, dass sich aus Fehlern sehr viel lernen lässt und wie diese Lehren in Zukunft anzuwenden sind. Der Freiday bietet ihnen genau diese Möglichkeit. Sie haben die Freiheit zu scheitern, ohne eine schlechte Note befürchten zu müssen. In diesem Freiraum können Sie sich und ihre Ideen austesten. Die Fähigkeit mit Rückschlägen umzugehen, egal welcher Natur, ist eine, die die meisten Menschen früher oder später lernen. Margret Rasfeld würde sagen: besser jetzt als später. Robert Saar
Der Autor ist bei Margret Rasfeld zur Schule gegangen.
Ein Breakout-Room bietet dem Lehrenden die Möglichkeit, Partner- oder Gruppenarbeit zwischen Schüler:innen virtuell zu organisieren. In der Schule nutzt man einen Teilungsraum, im Video einen Breakout-Room, ein digitales Besprechungszimmer. Das hat noch einen anderen Vorteil: in großen Videokonferenzen reden Schüler:innen häufig nicht so gern und geben ihren Bildschirm in der Regel nicht frei. Teilt man diese Schüler:innen aber in kleine Gruppen ein, reden sie erfahrungsgemäß mehr und schalten vielleicht auch die Kamera frei.
Man braucht ein Videokonferenzsystem, das Nebenräume ermöglicht, egal ob WebEx, Teams, Zoom, BigBlueButton oder andere Plattformen. Wichtig ist auch, dass das Teilen des Bildschirms möglich ist – damit die Schüler:innen sich ihre Dokumente zeigen und zusammen daran arbeiten können. Man muss das technisch vorher einstellen. Im Notfall kann man auf YouTube nachsehen, wie ein Breakout-Room eingeschaltet wird.
Ich sehe eine Arbeitsteilung zwischen Klassenzimmer und Breakout-Room. Das Vertiefen und die ganz intensive Auseinandersetzung findet im Klassenzimmer statt. Wir sollten diesen Präsenzort so großartig vorbereiten, wie es nur geht. Einfachere Dinge, wie das Hinführen zu einer Aufgabe, der erste Austausch in einer Partnerarbeit, wo sich Schüler:innen erzählen, was sie schon wissen, könnte man aber schon von zu Hause erledigen. Das ginge oft viel einfacher, wenn man sich am Nachmittag mal schnell in einem Breakout-Room trifft.
Reden, reden, reden – das ist genau das, was in der coronabedingten Schließung gefehlt hat. Der Breakout-Room macht das möglich. In meinen Augen ist das zugleich das Plus dieses Instruments für die Zeit danach. Der Breakout-Room ist nichts anderes als ein Dialog- und Arbeitsraum. Und das ist für mich die Brücke zu einem übergeordneten didaktischen Ziel: dem kompetenzorientierten und schülerzentrierten Arbeiten. Das bedeutet, vereinfacht gesagt, dass der Unterricht immer vom Dialog der Schüler:innen ausgeht und nicht etwa vom Monolog des Lehrerenden. Deswegen sind für mich Gesprächsanlässe und ganz viel miteinander zu reden immer das didaktische Ziel schlechthin – egal, ob in Deutsch, im Religionsunterricht oder vielen anderen Fächern.
Breakout-Room hin oder her – nach der Pandemie sollten Schüler erstmal ins Freie ausbrechen.
Sebastian Schmidt ist einer der Lehrer des Jahres 2019 und Mitglied der erweiterten Schulleitung der Inge-Aicher-Scholl Realschule Neu-Ulm.