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Erscheinungsdatum: 06. Dezember 2023

Das Lehramt braucht eine Heimat an der Universität

Bildungspolitisch kann man das zu Ende gehende Jahr 2023 als „Jahr der Lehrkräftebildung“ bezeichnen. Selten gab es eine solche Vielzahl von Analysen und Empfehlungen, die sich in Zeiten des Lehrkräftemangels auf die Qualitäts- und Zukunftssicherung richteten.

Bildungsberater, KMK-Kenner, Reformer: In seiner Kolumne denkt Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles jeden Monat Bildungspolitik neu. Erfahren Sie hier mehr über die Vita unseres Kolumnisten.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) startete das Jahr mit einer Stellungnahme zum Lehrkräftemangel. Jetzt beendet sie es mit einem Gutachten zur Lehrkräfteausbildung unter den Bedingungen des Mangels. Dazwischen lieferten bildungspolitische Akteure gute bis gut gemeinte Reformvorschläge. Fast alle relevanten Stiftungen, der Wissenschaftsrat, die Hochschulrektorenkonferenz und aktuell der Stifterverband fertigten umfangreiche Stellungnahmen zum Veränderungsbedarf der Lehrkräftebildung. Der Stifterverband dürfte mit seinen „75 Maßnahmen für die Lehrkräftebildung der Zukunft“ rein zahlenmäßig kaum zu toppen sein.

Und dennoch ist es erstaunlich, dass bei all den Vorschlägen ein konkret wirksamer und naheliegender Vorschlag fehlt: die Organisation der Lehrkräftebildung in einem eigenen Fachbereich an den Universitäten. Es wird zwar allerorten ein erhöhter Stellenwert der Lehrkräftebildung an den Universitäten gefordert. Schlussfolgerungen bleiben dann jedoch immer sehr vage. Und sie stellen die bestehende Zersplitterung der Ausbildungsorganisation über diverse Fakultäten strukturell nicht infrage.

Idealtypisch für diese Zurückhaltung steht der „ Masterplan Lehrkräftebildung neu gestalten“ des Stifterverbands von Ende November 2023. Die Forderung nach „Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen und Organisationsstrukturen“ ist zwar einer von sechs Schwerpunktbereichen, in die der Verband die 75 Maßnahmenvorschläge bündelt.

Die Problembeschreibung ist konkret und präzise: „Eines der zentralen Probleme der Lehrkräftebildung ist ihre Fragmentierung. (…) Die Zentren für Lehrerbildung bzw. Schools of Education, die eingerichtet wurden, um einen zentralen und identitätsstiftenden Ort für die Lehrkräftebildung in den Universitäten zu schaffen, sind bisher zum allergrößten Teil nicht so aufgestellt, dass sie diesen Anspruch gerecht werden könnten. Bislang gibt es weder in den Universitäten noch organisations- und phasenübergreifend eine wirkungsvolle Instanz, die jenseits von Partikularinteressen die Anforderungen an eine qualitätsvolle Lehrkräftebildung formuliert.“

Diese richtige Analyse mündet dann aber nicht in der konsequenten Forderung nach einem entsprechenden institutionellen Ort an den Hochschulen. Statt einen eigenständigen Fachbereich für die Lehramtsausbildung zu fordern, werden (durchaus wichtige) Einzelaspekte institutioneller Eigenständigkeit wie Berufungsrechte, Weisungsrechte, Budgetverantwortung, Qualitätsstandards etc. gefordert.

Vor 25 Jahren war die Debatte schon einmal weiter. So stellte die Konferenz der Hochschulrektoren 1998 fest: „Die Aufsplitterung des Lehramtsstudiums für unterschiedliche Lehrämter einerseits und zwischen den einzelnen fachlichen Bestandteilen der Lehramtsstudiengänge andererseits hat (…) zur Folge, dass den Lehramtsstudierenden in den Hochschulen ein institutioneller Ort fehlt, dem sie sich zuordnen könnten.“ Der Wissenschaftsrat empfahl 2001 explizit die Verlegung der Zuständigkeit für die Lehrkräftebildung in neu einzurichtende „ Fachbereiche für Bildungswissenschaften und Wissenstransfer “ zu prüfen. Eines der Haupthindernisse für eine gute Lehrkräftebildung wurde im „Fächeregoismus“ gesehen, der nur institutionell zu überwinden sei.

Wenn in vorweihnachtlichen Zeiten das Wünschen hilft, dann wünsche ich mir mehr Mut zu strukturellen Antworten auf die massiven Herausforderungen in der universitären Lehrkräftebildung. Mit inneruniversitären Kooperationsappellen oder schönen „Mission Statements“ zur Bedeutung der Lehrkräftebildung kommen wir nicht weiter. Das haben die vergangenen 25 Jahre und die Verschärfung der Situation gezeigt. Notwendig ist eine ernsthafte Debatte um eine institutionelle Neuausrichtung der akademischen Lehrkräfteausbildung, in der die Einrichtung eigener Fachbereiche der Lehrkräftebildung eine ernsthafte Option sein muss.

Der Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher Manfred Prenzel stellt in der aktuellen Ausgabe von „Bildung und Erziehung“ richtig fest, dass eine Fakultätsstruktur wie bei den vergleichbaren Studiengängen Jura und Medizin auch in der Lehrkräftebildung mehrere Vorteile bringen kann: ein kohärentes Studienangebot, eine bessere Praxisorganisation und die Studierenden hätten eine „Heimat“ an der Universität.

Aber wie so oft im Bildungssystem, sind die Erkenntnis und die mögliche Lösung nicht das Problem. Es ist eher der fehlende Mut, die Erkenntnis und Problemlösung gegen Fächeregoismen und inneruniversitäre Machtstrukturen umzusetzen. Hier nochmal die Worte des Wissenschaftsrats von 2001, die man der Bildungspolitik und den Mitgliedern der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK besonders groß ins Stammbuch (bzw. Gutachten) schreiben möchte.

„Nach Auffassung des Wissenschaftsrates ist das Ziel, Lehrer auszubilden, durch die Verortung der Lehrerausbildung an einem eigenständigen Fachbereich qualitativ besser zu erreichen als im herkömmlichen Kontext der einzelnen Fächer, die über mehrere Fachbereiche verstreut und nicht integrativ auf Lehrerbildung ausgerichtet sind. Auch für die Ausbildung eines Berufsethos der Lehrerschaft wäre ein solcher Fachbereich als einheitlicher institutioneller Ort der Lehrerbildung vorteilhaft.“

Dem ist Ende 2023 in Zeiten eines extremen Lehrkräftemangels und extrem hoher Abbruchzahlen in der Lehramtsausbildung nichts hinzuzufügen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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