Letzte Aktualisierung: 9. Januar 2024
„Ein einziges Bundesland unter AfD-Führung kann die KMK lahmlegen“
Bildungsberater, KMK-Kenner, Reformer: In seiner Kolumne denkt Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles regelmäßig Bildungspolitik neu. Erfahren Sie hier mehr über die Vita unseres Kolumnisten.
Vor wenigen Tagen warnte der Autor und Kolumnist Heribert Prantl unter dem Titel „Die Dummheit der Demokratie“ vor den drohenden rechtsextremen Gefahren im neuen Jahr. Er fragte zugespitzt, ob wir 2024 statt Strompreisbremsen und Schuldenbremsen nicht lieber eine Neonazi-Bremse diskutieren sollten. Prantl zitiert zur Begründung die hämischen Worte des NSDAP-Propagandaministers Goebbels von 1935: „Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde“.
Knapp 90 Jahre später sehen wir uns und unser demokratisches Gemeinwesen der Situation ausgesetzt, dass eine Partei wie die AfD in bundesweiten Umfragen deutlich über 20 Prozent liegt und damit gegenüber der letzten Bundestagswahl 2021 um 100 Prozent zugelegt hat. Eine Partei, die in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Eine rechtsextreme Partei also, die in 14 von 16 Landesparlamenten sitzt, im Bundestag vertreten ist und in 2024 absehbar die Chance hat, in Ländern wie Thüringen, Sachsen und Brandenburg deutlich über 30 Prozent zu kommen und damit stärkste Fraktion im jeweiligen Landtag zu werden. Vor wenigen Tagen meldete das Handelsblatt, dass in Ost wie West eine Mehrheit der Bundesbürger glaubt, dass die AfD in 2024 einen Ministerpräsidenten stellen wird.
Bildungspolitik ist für Rechtspopulisten eine Kampfarena
Was heißt das für die Bildungspolitik in Deutschland? Neben der Innen- und Medienpolitik ist die Bildungspolitik für Rechtspopulisten eine der zentralen Kampfarenen, um den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts zu verschieben. Beispielhaft lassen sich aktuell die AfD-Reaktionen auf die schlechten deutschen Ergebnisse in den PISA-Vergleichsstudien zitieren, die systematisch Bildungsdefizite mit Menschen ausländischer Herkunft verbinden: „Ohne Migrationswende keine Bildungswende“ (MdB Höchst, AfD); Überlastung durch „Migrantenquote und die ungesteuerte Masseneinwanderung“ (MdA Weiß, AfD); „falsche Asyl- und Migrationspolitik [schlägt] voll durch auf den Schulbereich“ (MdL Dr. Wolf, AfD).
Programmatisch formuliert die AfD im Bund und in den Ländern bildungspolitisch durchweg Negativbotschaften und bleibt eigene konstruktive Konzepte schuldig: Man ist gegen „Bildungsexperimente“, gegen die „Einheitsschule“, gegen den „Bildungssozialismus“, gegen die „Inklusion“, gegen „Verhätschelung“ der Schülerinnen und Schüler, gegen „Frühsexualisierung“ und „Genderwahn im Stundenplan“. Björn Höcke als einer der prominentesten AfD-Politiker und Thüringer Spitzenkandidat kündigte im August 2023 an, dass die AfD die Bildungspolitik „umkrempeln“ wird und gegen die „Gleichschaltung“ der Länder vorgehen will. Im letzten Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 trat man gegen den „Akademisierungswahn“, „Islamunterricht“ und „Sonderrechte für Muslime“ an. Die AfD forderte dafür die Vermittlung von mehr „deutschem Kulturgut“ sowie mehr Sonderschulen.
AfD stellt wichtige Bildungsthemen infrage
Eine Analyse des Fachportals lehrer-news.de weist nach, dass bildungspolitische Eckpfeiler wie etwa die Europabildung, die Bildung für nachhaltige Entwicklung, Antidiskriminierung oder Gleichstellung von der AfD grundsätzlich infrage gestellt werden. Bereits 2018 hatte eine GEW-Analyse die AfD-Erziehungsziele einer „gefestigten Nationalidentität“ und „Erziehung zur Männlichkeit“ herausgestellt.
Was heißt das für Bildung in der wehrhaften Demokratie? Jenseits von Verbotsdebatten und Brandmauern müssen die demokratischen Institutionen gefestigt und demokratische Politik effizienter werden. Auf die Bildungspolitik bezogen kann das in institutioneller Hinsicht zum Beispiel heißen: Ein einziges Bundesland unter AfD-Führung (oder einer von der AfD abhängigen Regierung) kann die KMK in der bestehenden Struktur bei einer konsequenten Obstruktionspolitik vollständig lahmlegen. Das Saarland als aktuelles Präsidentschaftsland sollte die anstehende KMK-Reform in 2024 nicht auf die Streichung von ein paar Gremien reduzieren, sondern ernsthaft die überfällige Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip in den Blick nehmen.
„Die AfD ist nur so stark, wie die Politik der demokratischen Parteien schwach ist“
Auf inhaltlicher Ebene ist die Bildungspolitik in der Pflicht zu liefern. Die AfD ist nur so stark, wie die Politik der demokratischen Parteien schwach ist: Bröckelnde Schulen, fehlende WLAN-Anbindungen und Geräte, überfüllte Klassen, Lehrkräftemangel und in Folge Unterrichtsausfall und Leistungsabfall in PISA & Co. sind Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten und Rechtsextremen. Konkret heißt das: Das Startchancen-Programm muss wirksam werden. Der Digitalpakt II muss kommen. Die Ausbildungskapazitäten für Lehrkräfte müssen dauerhaft erhöht und die Priorisierung von Bildung muss glaubwürdig unterlegt werden.
„Wir schlafwandeln in ein Desaster“, warnte der SPD-Innenminister von Thüringen, wo im September – wie auch in Sachsen und Brandenburg – gewählt wird. Am 9. Juni 2024 finden neben den Europawahlen in acht Bundesländern Kommunalwahlen statt, die für die AfD eine reale Chance sind, kommunal (auf Ebene der Schulträger) in der Breite Fuß zu fassen. Es ist an der Zeit, aufzuwachen und die Gefahren auch im Bildungsbereich nicht klein- und wegzureden.
Mut zur Intoleranz gegenüber rechts außen!
Wenn die AfD mit Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Lehrkräfte vorgeht, den Beutelsbacher Konsens faktisch infrage stellt und Menschen ausgrenzt, dann ist es an der Zeit, offensiver gegen die Gegner der Demokratie vorzugehen. Carlo Schmid (SPD) formulierte Ende 1948 im Parlamentarischen Rat sehr klar: „Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selbst die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. (…) Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“ Das gilt auch und gerade für die Bildungspolitik. Mut zur Intoleranz gegenüber den Anfeindungen von rechts außen!