Ländermonitoring: Warum Kitas in der Qualitätskrise stecken

Das Ländermonitoring der Bertelsmann Stiftung schlägt Alarm: Die Kitas drohen in eine kaum noch aufzuhaltende Abwärtsspirale zu geraten.

03. Dezember 2024

Das Recht auf einen Kita-Platz, das seit 1996 für Kinder ab drei Jahren und seit 2013 für Kinder ab dem ersten Lebensjahr gilt, war erstmal nur das: ein Recht auf einen Betreuungsplatz, damit beide Eltern arbeiten gehen können. Die Qualität der Kita und der frühkindlichen Bildung waren – um es vorsichtig zu sagen – nicht ganz oben auf der Prioritätenliste.

Jetzt, 28 beziehungsweise elf Jahre später, ist das quantitative Versprechen nahezu eingelöst. 91 Prozent aller Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren gehen in die Kita. Die Betreuungsquote der unter Dreijährigen liegt bei immerhin knapp 37 Prozent, diese Zahl hat sie sich seit 2008 etwa verdoppelt.

Die Qualität der Betreuung aber hat kaum mithalten können, zeigt jetzt das neue „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme 2024“, das die Bertelsmann Stiftung an diesem Mittwoch veröffentlicht. Die Ergebnisse: alarmierend.

Trend zu immer weniger Qualität

Der Anteil an pädagogischen Fachkräften mit mindestens Fachschulausbildung sinkt demnach deutlich. 2023 wiesen nur noch 32 Prozent der Kita-Teams eine Fachkraftquote von mindestens 82,5 Prozent auf. 2017 erreichten noch 41 Prozent der Kitas diesen Mindestwert. Einen leichten bis starken Rückgang der Quote verzeichnen 13 der 16 Ländern.

Berlin sticht besonders heraus. 2017 hatte hier noch in 53 Prozent der Kitas mindestens eine pädagogische Fachkraft gearbeitet. 2023 ist der Anteil auf 35 Prozent geschrumpft. In Mecklenburg-Vorpommern, wo die Quote 2017 mit 90 Prozent so erfreulich hoch war wie in allen Ost-Ländern außer Berlin, liegt sie 2023 nur noch bei 74 Prozent.

Das ist dann immer noch Jammern auf hohem Niveau : In Bayern etwa weisen nur drei Prozent der Teams eine ausreichende Fachkraftquote auf. Der empfohlene Zielwert liegt übrigens bei 85 Prozent. Das hat die vom Bundesfamilienministerium eingesetzte Arbeitsgruppe „Frühe Bildung“ im Frühjahr festgehalten.

Statt in mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung zu investieren, zeichnet sich ein Trend ab, sich mit immer weniger Qualität zufriedenzugeben. In mehreren Ländern – wie Hessen, Nordrhein-Westfalen oder auch Bremen – wurden oder werden die fachlichen Anforderungen an die pädagogisch tätigen Kräfte in Kitas gesenkt. Etwa, indem mehr Quereinsteiger zugelassen werden.

Personalschlüssel oft nicht kindgerecht

Eine niedrige Fachkraftquote beeinträchtigt die Qualität der pädagogischen Arbeit und erhöht die Belastung des Personals. Wenn die Betreuer nur noch mit Anweisungen an die Kinder den Tag überleben und keine Zeit haben, mit den Kleinen ins Gespräch zu kommen, dann leidet die sprachliche Bildung genauso wie die Job-Zufriedenheit des Personals.

Hinzu kommt die bundesweit mäßige Betreuungssituation in den meisten Kitas. Deutschlandweit sind 66 Prozent der Kinder in Kitas untergebracht, deren Personalschlüssel als nicht kindgerecht gilt, heißt es im Ländermonitoring. Ein guter, kindgerechter Schlüssel läge laut Bertelsmann Stiftung bei einem Erzieher für drei Kinder in der Krippe und bei einem Erzieher für 7,5 Kinder in Kita-Gruppen.

Am besten schneidet Baden-Württemberg ab, wo 41,6 Prozent der Kinder in Gruppen mit einem Personalschlüssel betreut werden, der als nicht kindgerecht gilt. Am anderen Ende der Skala steht Thüringen. Hier werden neun von zehn Kindern von zu wenig Personal betreut.

Fachkräfte denken über Berufsausstieg nach

Solche Bedingungen führen fast zwingend zu Überbelastungen der Mitarbeitenden. Und sie fördern die Abwanderung aus dem Berufsfeld, besonders von jungen Fachkräften: Von den Beschäftigten in der Altersgruppe von 26 bis 30 Jahren erwägen fast 31 Prozent mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 100 Prozent in den kommenden Jahren einen Berufsausstieg. Das ergab die Online-Umfrage „ Psychosoziale Belastung und Kinderschutz in der KiTa “, die Marina Lagemann und Eva Werner vom Institut für Kindheits- und Schulpädagogik der Justus-Liebig-Universität Gießen zwischen Mai und Juli 2023 durchgeführt haben. Teilgenommen haben daran mehr als 21.500 pädagogische Kita-Mitarbeiter. Die Studie wurde zusammen mit dem Ländermonitoring vorgestellt.

63 Prozent haben auf die Frage nach der personellen Besetzung ihrer Kita geantwortet, sie seien eigentlich immer oder meistens unterbesetzt. Unterbesetzung sei in der Folge – und wenig überraschend – einer der treibenden Faktoren für die Wahrnehmung der eigenen Überbelastung. Überbelastung wiederum führt den Daten zufolge eher dazu, dass über einen Ausstieg aus dem Beruf nachgedacht wird. Wobei sich allerdings selbst dort, wo die Personaldecke gut ist, ein großer Teil der Beschäftigten regelmäßig als überlastet beschreibt.

Weniger Betreuung, dafür verlässlich

Marina Lagemann von der Universität Gößen fürchtet eine „ Destabilisierung des Systems “ auf Mitarbeiterebene. Die Daten zeigten, dass ein „ hohes Risiko “ für den Kita-Sektor bestehe, in eine Negativspirale hineingezogen zu werden, wenn Abwanderung von Fachkräften zu noch mehr Frust und damit weiterer Abwanderung führe.

Eine Lösung, die Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung, in den Raum stellt, klingt rigoros, ist aber wohl schlicht pragmatisch: „Um das System auf einem gewissen Niveau halten zu können, ist es erforderlich, über eine Reduktion der Betreuungszeiten nachzudenken.“ Es sei keinem geholfen, wenn immer wieder spontane Betreuungszeiten gestrichen werden müssten, weil Personal fehle. Weniger, dafür verlässlich. Das sei letztlich auch im Sinne der Eltern.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025