Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 04. Juli 2024

Wir müssen die ökonomische Frage stellen!

Populisten nutzen die Angst vor dem wirtschaftlichen und sozialen Abstieg für ihre Zwecke aus. Insbesondere die Kosten der ökologischen Transformation erregen Unsicherheit. Die Politik müsse daher die wirtschaftliche Situation der unteren Mittelschicht stärker in den Blick nehmen, appelliert Michael Kellner, Grünen-Politiker und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Das heißt zum Beispiel: die Förderprogramme richtig justieren, das Klimageld umsetzen. Mit seinem Standpunkt antwortet Kellner auf Sebastian Turners Beitrag „Akademikerkinder, erkennt endlich euren blinden Fleck!“ Mit der Serie „Hacking Populism“ zeigt Table.Briefings Wege auf, wie dem Populismus begegnet werden kann.

Als Gastautor für die Serie „Hacking Populism“ falle ich gerne in den Kanon meiner Vorgänger*innen: Es wird zu Recht moniert, dass der Akademisierungsgrad der Abgeordneten zu hoch sei im Vergleich zu denjenigen, die einen handwerklichen Hintergrund haben; die eine Ausbildung statt eines Studiums absolvierten, die aus einem mittelständischen Unternehmen in den Bundestag gegangen sind, um ihre Erfahrungen aus der Arbeitswelt in Politik umzuwandeln.

Repräsentanz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ist wichtig. Als jemand mit ostdeutscher Biografie, der viel in Ostdeutschland unterwegs ist, sehe ich zum Beispiel, was es mit einer Gesellschaft macht, wenn Führungspositionen ungleich besetzt sind und die ostdeutsche Perspektive so oft fehlt. Menschen aus Ostdeutschland machen 20 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus, doch dieses Verhältnis findet sich weder in der Besetzung von Leitungsposten in Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz noch Kultur und Medien wieder. So sind zum Beispiel nur 6 Prozent der Vorsitzenden Richter*innen der Landesgerichte aus Ostdeutschland; im Medienbereich sind gerade mal 8,1 Prozent der Leitungsposten mit Ostdeutschen besetzt; das Militär hat genau Null ostdeutsche Führungskräfte. Die BTU Cottbus wird als einzige Hochschule von einer Präsidentin mit ostdeutschen Wurzeln geleitet. Wir können uns dieses Ungleichgewicht der Teilhabe als Gesellschaft nicht weiter leisten, wenn wir die demokratische Ordnung stärken wollen, denn diese mangelnde Repräsentanz erleichtert Populismus. Ich selbst mache die Erfahrung, dass Menschen mir genauer zuhören und offener diskutieren, wenn sie merken, dass ich nicht nur Grüner, sondern – manchmal zur Überraschung – auch Ostdeutscher bin.

Doch mit mangelnder Repräsentanz von Handwerkern im Bundestag oder Forscherinnen mit ostdeutscher Sozialisierung lässt sich nicht allein erklären, warum so viele Menschen in der Bundesrepublik immer anfälliger für die schnellen Versprechen des Populismus werden.

Ja, Repräsentanz ist wichtig, aber sie ist nicht alles. Ich will schließlich auch nicht nur auf meine biografische Herkunft reduziert werden. Es ist die ökonomische Perspektive, die wir in den Blick nehmen müssen. Wem verlangen wir wie viel ab, wenn es um die notwendige ökologische Transformation unserer Gesellschaft geht?

Wenn wir heute betrachten, welche Bevölkerungsgruppen die Auswirkungen der Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels wie treffen, dann fallen einem folgende Dinge auf: Es gibt eine gehobene Mittelschicht und Oberschicht, die sich ein modernes Elektroauto leisten kann. Die sich die Solaranlage aufs Dach schraubt und sich die Wärmepumpe einbaut und sich über die Amortisierung der Kosten im Laufe der nächsten Jahre freut. Sie kann sich dem CO2-Preis entziehen, weil sie in der Lage ist, die erforderlichen Investitionen zu tätigen.

Auf der anderen Seite gibt es eine Gruppe, die besonders betroffen ist von den Vorgaben zur Klimaneutralität. Das ist die untere Mittelschicht, gerade auf dem Land. Die in Häusern wohnen, die teilweise nicht ausreichend isoliert sind. Die nicht auf Fernwärme zurückgreifen können, weil kein Netz vorhanden ist, sondern die Ölheizung im Keller haben. Die auf ein Auto angewiesen sind, weil es nicht wie in der Stadt eine gute ÖPNV-Anbindung gibt. Hier fehlen oft die Rücklagen, um ein neues Elektroauto und eine neue Heizung zu beschaffen. Sie können sich also nicht auf eine klimafreundliche Mobilität und Wärme umstellen. Die Investitionen in Elektroauto, Wärmepumpe oder Sanierungsmaßnahmen sind für einige eine existentielle Bedrohung, für andere fühlen sie sich so an. Als demokratische Parteien müssen wir darauf Antworten haben, das haben wir aus der Vergangenheit gelernt, das spiegelt sich in den Ergebnissen zu den Europa- und Kommunalwahlen wider.

Populisten nutzen die Angst vieler Menschen vor dem wirtschaftlichen und sozialen Abstieg aus, während sie gleichzeitig die Errungenschaften der letzten Jahre untergraben und die Auswirkungen der Klimakrise herunterspielen. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir die wirtschaftliche Situation der unterschiedlichen Einkommensgruppen und besonders der unteren Mittelschicht in den Blick nehmen.

Aus Regierungsperspektive bedeutet das auch, dass wir diese Faktoren in den existierenden und neuen Fördermodellen berücksichtigen müssen. Da wäre zum Beispiel der ausgelaufene Umweltbonus, um den Kauf von Elektroautos zu unterstützen. Der Bonus war in vielerlei Hinsicht nicht klug designt. Das Förderprogramm hat die untere Mittelschicht kaum erreicht. Außerdem wurden damit zu wenig inländische Hersteller gefördert, weil denen die entsprechenden Fahrzeuge fehlten. Frankreich hat dafür eine interessante Lösung entwickelt, die Leute auf dem Land mit geringen Einkommen unterstützt: Mit dem „Social Leasing“ können sich Haushalte mit einem jährlichen Einkommen unter 15.400 Euro und mindestens 15 Kilometer vom Arbeitsplatz entfernt wohnt ein Elektroauto leasen und zahlen dafür nur 56 bis 100 Euro pro Monat. Eine Idee, die ich richtig und wichtig finde.

Ein anderes Beispiel ist die Heizungsförderung. Diese ist zwar hart in Verruf geraten, und man hätte im Nachhinein betrachtet einiges besser machen können. Doch was wir darin verankert haben und wovon gerade die Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen profitieren, ist der soziale Ausgleich der Investitionen durch den Einkommensbonus. Wer unter 40.000 Euro im Jahr verdient, erhält zusätzliche 30 Prozent Förderung für seinen Heizungstausch, wenn die alte Heizung den Geist aufgibt. Insgesamt können so bis zu 70 Prozent der Kosten durch Fördermittel aufgefangen werden.

Das führt mich auch zum Klimageld, mit dem wir Grünen in den Wahlkampf 2021 gezogen sind. Allgemein haben Menschen mit einem geringeren Einkommen auch einen geringeren CO2-Fußabdruck, können sich aber viel weniger vor den Auswirkungen der Klimakrise schützen als Menschen, die mehr verdienen oder Vermögen haben. Das Klimageld soll genau diese Menschen entlasten. Durch die Bepreisung klimaschädlicher Emissionen, dem sogenannten CO2-Preis, wird der Ausstoß fossiler Energien teurer. Diese zusätzlichen Einnahmen aus dem steigenden CO2-Preis fließen in einen Fonds, aus dem alle Bürgerinnen und Bürger ein Klimageld erhalten. Nachdem wir das Klimageld im Koalitionsvertrag verankert haben, ist jetzt endlich das Finanzministerium dabei, einen digitalen Auszahlmechanismus zu entwickeln. Wie mangelhaft die Digitalisierung in unserem Land ist, zeigt sich auch darin. Einen solchen Mechanismus hätten wir schon für das Energiegeld während der Energiekrise gebraucht.

In Österreich wird das Klimageld bereits ausgezahlt und was ich dabei besonders richtig finde: Dort gibt es einen Stadt-Land-Bonus. Für Menschen im ländlichen Raum gibt es ein höheres Klimageld als in der Stadt. Denn auf dem Land hat man oft gezwungenermaßen höhere Kosten. Heizen mit Fernwärme ist oft nicht möglich und auf Grund der großen Distanzen und schlechten ÖPNV-Anbindungen kann man eben nicht auf das Auto verzichten. Das ist eine faire Lösung, die die unterschiedlichen Herausforderungen unserer heterogenen Gesellschaft in den Blick nimmt.

Wenn wir also darüber sprechen, wie wir gegen Populismus vorgehen können, dann ist es richtig, sich Gedanken über Repräsentanz zu machen. Aber eben auch über die entscheidenden ökonomischen Fragen, die sich die Leute stellen. Es ist unsere Aufgabe, Lösungen anzubieten. Lösungen, die wir bei der Erarbeitung auf ihre sozialen Auswirkungen prüfen und die dazu beitragen, dass die Scheren in der Gesellschaft von Arm und Reich, zwischen Land und Stadt nicht durch Klimaschutz und Transformation größer werden.

Michael Kellner ist seit Dezember 2021 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. 2013 bis 2022 war der gebürtige Geraer Politischer Geschäftsführer der Grünen, seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode sitzt er für die Grünen im Bundestag.

Lesen Sie hier alle bisher erschienen Beiträge der Serie „Hacking Populism“.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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